Zwischen Dichtung und Wahrheit: Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien im Bildungssystem

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Zwischen Dichtung und Wahrheit: Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien im Bildungssystem
PR 2021, 75. Jahrgang, S. 377-392
                        © 2021 Klaus Zierer - DOI https://doi.org/10.3726/PR042021.0035

                                                Klaus Zierer

        Zwischen Dichtung und Wahrheit:
      Möglichkeiten und Grenzen von digitalen
            Medien im Bildungssystem

1. Ausgangsfrage:                                          epochaltypsiche Schlüsselprobleme, weil
    Digitalisierung als                                     sie derzeit von globaler Bedeutung sind
                                                            und letztendlich auch nur global gelöst
    epochaltypische                                         werden können. Insofern ist es immer ver-
    Herausforderung                                         kürzend, eines dieser Themen gesondert
                                                            in den Blick zu nehmen, weil so wichtige
Es sind drei Themen, die den gesamtge-                      Facetten ausgeblendet werden. Und den-
sellschaftlichen Diskurs aktuell bestimmen:                 noch ist dieser gesonderte Blick notwen-
Erstens die Flüchtlingsfrage, die bereits im                dig, um jedes Thema für sich genommen
September 2015 ins Zentrum der Aufmerk-                     und in angemessener Tiefe beleuchten zu
samkeit gelangte, als mehrere hundert tau-                  können. Kennzeichnend für epochaltypi-
send Menschen vor dem Krieg in Syrien                       sche Schlüsselprobleme ist daher, dass sie
nach Europa geflohen sind und deren Fol-                    sowohl eine problemspezifische als auch
gen bis heute nicht umfassend geklärt sind.                 eine problemübergreifende Perspektive
Zweitens die Digitalisierungsfrage, die in                  erfordern2.
Deutschland seit dem Bundestagswahl-                            Vor diesem Hintergrund wird im vorlie-
kampf 2018 auf der Agenda der zukunfts-                     genden Papier der Frage nachgegangen,
weisenden Herausforderungen steht und                       welchen Einfluss Digitalisierung im Kon-
beispielsweise in Wirtschaft und Industrie,                 text von Schule und Unterricht hat. Ver-
Wissenschaft und Forschung, Gesundheit                      folgt man den öffentlichen Diskurs dazu,
und Medizin innovative Wege verspricht.                     so findet man sich schnell zwischen Dich-
Und drittens die Nachhaltigkeitsfrage, die                  tung und Wahrheit: Sowohl auf Seiten der
nicht erst seit der Bewegung „Fridays for                   Digitalisierungsbefürworter als auch auf
Future“, aber doch durch sie in besonde-                    Seiten der Digitalisierungskritiker finden
rer Weise eine öffentliche Wahrnehmung                      sich Argumente, die keine Evidenz be-
erfährt und die Art und Weise, wie das                      anspruchen, diese häufig sogar bewusst
Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts                        zurückweisen und daher Glaubenssätzen
vom Menschen gestaltet wird, in einen                       gleichen. Insofern erscheint das Aufgrei-
ökologischen, ökonomischen und sozialen                     fen von empirischen Befunden wichtig, um
Zusammenhang bringt.                                        zu einer sachlichen Debatte gelangen zu
    Zweifelsfrei sind diese drei Fra-                       können. Zu diesem Zweck wird in einem
gen in Anlehnung an Wolfgang Klafki1                        ersten Schritt der Datensatz von „Visible

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Learning“ unter die Lupe genommen, um                       – wie jede andere Methode auch – Vorteile,
darauf aufbauend in einem zweiten Schritt                   aber auch Nachteile mit sich bringen, ist un-
Kernbotschaften für den Einsatz digitaler                   strittig, mindert dennoch nicht ihren Wert für
Medien in Schule und Unterricht ableiten                    die Forschung5. Doch auch die Anzahl an
zu können. Abschließend werden in einem                     Meta-Analysen nimmt parallel zur Anzahl der
dritten Schritt Schlussfolgerungen gezo-                    Primärstudien zu, so dass derzeit mehrere
gen, die vor allem auf die Professionalisie-                hundert Meta-Analysen vorliegen, die sich
rung von Lehrpersonen gerichtet ist.                        mit Gelingensbedingungen von Schule und
                                                            Unterricht auseinandersetzen.
                                                                 Vor diesem Hintergrund stellt der Ver-
2. „Visible Learning“ als                                  such von John Hattie, eine Synthese von
    empirische Grundlage                                    Meta-Analysen durchzuführen, einen inno-
                                                            vativen Ansatz dar. Zuerst von John Hattie
Angesichts der Tatsache, dass erziehungs-                   in „Visible Learning“6 veröffentlicht, werten
wissenschaftliche Forschungen quantitativ                   wir bis heute alle auffindbaren erziehungs-
betrachtet in den letzten Jahren zugenom-                   wissenschaftlichen Meta-Analysen aus,
men haben und auch weiter zunehmen –                        die sich mit der Lernleistung von Kindern,
ein Blick auf die Statistik zu Promotionen                  Jugendlichen und Erwachsenen befassen.
im Fach belegt dies3 – ist zunächst fest-                        Auf diesem Weg werden Faktoren ge-
zustellen, dass es im Kontext von Schule                    neriert, unter die thematisch zusammen-
und Unterricht nicht eklatant an Erkennt-                   gehörige Meta-Analysen subsummiert und
nissen fehlt. Vielmehr ist ein immer wieder                 eine entsprechende Effektstärke berech-
beklagtes Problem in einem Mangel der                       net werden. Waren es bei der Veröffentli-
Implementation der vorliegenden Erkennt-                    chung von „Visible Learning“ im Jahr 2009
nisse zu sehen. Dieser Mangel ist nicht                     816 Meta-Analysen mit 138 Faktoren, so
selten Folge einer Unübersichtlichkeit der                  sind es zum Stichtag 01. September 2019
Forschungsergebnisse.                                       1.660 Meta-Analysen mit 298 Faktoren,
    Meta-Analysen können hierbei Abhilfe                    was einmal mehr den steten Zuwachs an
schaffen, weil sie versuchen, Primärstudien                 Forschungen verdeutlicht. Nachstehende
zu einem bestimmten Themenbereich zu-                       Tabelle bietet einen Überblick über die
sammenzufassen und somit zu weiterführen-                   Entwicklung des Datensatzes von „Visible
den Erkenntnissen gelangen4. Dass diese                     Learning“:

Tabelle 1: Überblick über die Entwicklung des Datensatzes von „Visible Learning“
                        Visible Learning       Visible Learning        Visible Learning       Visible Learning
                        (2009)                 for Teachers            Insights (2019)        (01.09.2019)
                                               (2013)
Meta-Analysen           816                    931                     1.412                  1.660
Primärstudien           52.469                 60.167                  82.955                 91.295
Lernende                ca. 200 Millionen      ca. 240 Millionen       ca. 300 Millionen      ca. 300 Millionen
Faktoren                138                    150                     255                    298

Für die Berechnung der Effektstärke eines                   Anzahl der Primärstudien vorgenommen.
Faktors und damit für die Synthese der                      Damit wird die Kritik einer Reihe von For-
Meta-Analyse wird seit „Visible Learning                    scherinnen und Forschern aufgegriffen8,9,
Insights“7 nicht mehr eine einfache Mittel-                 wonach bei der einfachen Mittelwertbe-
wertberechnung verwendet, sondern eine                      rechnung kleinere Meta-Analysen, also Me-
Gewichtung der Meta-Analysen über die                       ta-Analysen mit einem kleinen Datensatz an

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Einzelstudien, genauso stark eingerechnet                   die Möglichkeit, innovative Ansätze in Schu-
werden wie größere Meta-Analysen, also                      le und Unterricht sichtbar zu machen.
Meta-Analysen mit einem großen Daten-                            Ähnlich wie Meta-Analysen ist auch
satz an Einzelstudien. Sie schlugen daher                   eine Synthese von Meta-Analysen nicht
vor, ähnlich wie bei der Zusammenführung                    frei von Makel. So kann diese die Schwä-
von Einzelstudien selbst, eine Gewichtung                   chen von Meta-Analysen nicht kompen-
der Meta-Analysen vorzunehmen. Da bei                       sieren10 und neue Probleme kommen
zahlreichen Meta-Analysen selbst nach in-                   hinzu11,12. Infolgedessen stellt eine Synthe-
tensiver Recherche nur eine begrenzte An-                   se von Meta-Analysen einen spezifischen
zahl an Kennwerten zu finden ist, erweist                   Zugang der Bildungsforschung dar, der
sich eine Gewichtung der Meta-Analysen                      durch andere Verfahren ergänzt werden
über die Anzahl der einbezogenen Einzel-                    muss. Diese Einschränkung ist im Folgen-
studien als der beste Weg. Folgende For-                    den zu beachten.
mel resultiert daraus für die Berechnung                         Zur Überprüfung der Codierung der
der Effektstärke eines Faktors:                             Meta-Analysen wird seit „Visible Learning
                                                            Insights“ eine Reliabilitätsprüfung durch-
                                                            geführt. Dazu werden stetig zehn Pro-
                                                            zent der Meta-Analysen als Stichprobe
Wirft man einen ersten Blick auf den ak-                    gezogen und von zwei Codierern jeweils
tuellen Datensatz und setzt die Anzahl der                  die Autorinnen und Autoren, das Erschei-
Meta-Analysen zu den erhobenen Effekt-                      nungsjahr, die Anzahl der Primärstudien,
stärken in Relation, so ergibt sich ein erstes              die durchschnittliche Effektstärke sowie
wichtiges Ergebnis: Nur 7,7 Prozent der                     die Zuweisung zu einem der ca. 300
Effektstärken sind negativ, 92,3 Prozent po-                Faktoren erhoben. Mithilfe dieser Daten
sitiv. Insofern ist es mit Blick auf diese Em-              wird Krippendorff’s Alpha berechnet, das
pirie wenig hilfreich, danach zu fragen, ob                 Werte zwischen .81 und .99 erreicht und
eine pädagogische Maßnahme wirkt, denn                      sich damit im akzeptablen Bereich13 be-
nahezu alles, was empirisch untersucht                      findet. Größere Abweichungen werden
worden ist, wirkt. Stattdessen erscheint                    ausgiebig diskutiert und führen zu einer
es sinnvoll, den Nullpunkt zu verschieben –                 Anpassung des Codierhandbuches und
weg von der Null, hin zur 0,40. Denn dieser                 ggf. Neucodierung von Meta-Analysen.
Wert markiert den durchschnittlichen Wert                        Im Kontext der Frage nach der Wirk-
über alle Effektstärken hinweg und kann als                 samkeit von digitalen Medien in Schule
Umschlagpunkt definiert werden: 50 Pro-                     und Unterricht eröffnet der aktuelle Da-
zent aller Maßnahmen, die untersucht wor-                   tensatz von „Visible Learning“ somit einen
den sind, haben einen Effekt, der größer                    bestimmten Zugang. Folgende Übersicht
oder gleich 0,40 ist. Der Anspruch lautet                   liefert einen ersten Blick auf den entspre-
damit „Was wirkt am besten?“ und er liefert                 chenden Datensatz:
im Vergleich zu trivialen Frage „Was wirkt?“
           Tabelle 2: Datensatzanzahl zu digitalen Medien in „Visible Learning“
           Digitale Medien in „Visible Learning“
           Anzahl der Meta-Analysen                                  243
           Anzahl der Primärstudien                                  13.937
           Altersdurchschnitt der Meta-Analysen                      2003 (Min: 1978; Max: 2019)
           Anzahl der generierten Faktoren                           33
           Durchschnittliche Effektstärke                            0,33

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Wirft man zunächst einen Blick auf das                      gerade in den letzten Jahren eine Zunah-
Alter der Meta-Analysen und sortiert diese                  me an Forschungsaktivität zu registrieren
dementsprechend, so zeigt sich, dass                        ist:
Tabelle 3: Anzahl an Meta-Analysen zu digitalen Medien in Abhängigkeit zum Erscheinungsjahr
Anzahl an Meta-Analysen                                                  Zeitraum
               2                                                       1975-1979
             23                                                        1980-1984
             23                                                        1985-1989
             23                                                        1990-1994
             14                                                        1995-1999
             39                                                        2000-2004
             33                                                        2005-2009
             36                                                        2010-2014
             50                                                        2015-2019
            243                                                          Gesamt
Diese Tatsache deckt sich mit dem steigen-                  Datensatz von „Visible Learning“ zeigt sich
den Interesse an der Digitalisierung, wie es                die Ähnlichkeit in den Forschungsergeb-
gesamtgesellschaftlich beobachtbar ist.                     nissen, selbst der Unterschied der durch-
Des Weiteren lohnt auch im Fall der Me-                     schnittlichen Effektstärke von 0,40 für den
ta-Analysen zu digitalen Medien der bereits                 ganzen Datensatz von „Visible Learning“
angesprochene Zusammenhang zwischen                         und von 0,33 für die Meta-Analysen zu digi-
Effektstärke und Anzahl an Meta-Analysen,                   talen Medien ist gering und stützt damit die
die diese Effektstärke berichten. Gerade                    Argumentation hinsichtlich der Einführung
in der Gegenüberstellung zum kompletten                     eines Umschlagpunktes bei 0,40.

 Abbildung 1: Vergleich der Effektstärken zu digitalen Medien und „Visible Learning“ insgesamt nach
 Häufigkeit

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Welche der 298 Faktoren befassen sich                          der nachstehende Übersicht zu entneh-
mit dem Einfluss von digitalen Medien                          men ist, sind es schließlich 33 Faktoren,
auf die Lernleistung von Kindern, Jugend-                      die sich mit digitalen Medien auseinander-
lichen und Erwachsenen? Um auf der                             setzen. Die meisten dieser Faktoren sind
Ebene der Faktoren eine Interpretations-                       der Domäne „Implementation“ zugeordnet
hilfe zu erhalten, sind in „Visible Learning“                  und insofern von unmittelbarer unterrichtli-
die Faktoren neun Domänen zugeordnet,                          cher Relevanz, wohingegen nur ein kleiner
die sich vom didaktischen Dreieck ableiten                     Anteil an Faktoren zu digitalen Medien au-
lassen14: Elternhaus und Schule als äuße-                      ßerunterrichtliche Effekte untersucht. Letz-
re Domänen; Lernende, Lehrperson, Cur-                         tere sind dennoch von Relevanz, wie in der
ricula, Lernstrategien, Lehrstrategien und                     weiteren Argumentation gezeigt wird.
Implementation als innere Domänen. Wie
Tabelle 4: Übersicht über Faktoren zur Wirksamkeit von digitalen Medien
Domäne                 Faktor                         N-          N-         Alter-    Alter-   CI      d
                                                      Metas       Studien    Min       Max              gewichtet
Lernende               (Cyber-)Bullying                   3       47         2014      2018     0,11      -0,19
Implementation         Clicker                            2       81         2014      2016     0,25       0,17
Implementation         Computerunterstützung             38       2.271      1978      2018     0,08       0,35
Implementation         Fernunterricht                    15       915        1987      2011     0,08       0,11
Implementation         Flipped Classroom                  6       258        2017      2019     0,09       0,29
Implementation         Simulationen und                  18       797        1981      2016     0,07       0,32
                       Simulationsspiele
Implementation         Technologiegestütztes               1      14         2002      2002     0,00        0,16
                       Lernen zu Hause
Implementation         Intelligentes Tutoring              3      231        2013      2016     0,15        0,45
                       Systems
Implementation         Interaktive Lernvideos              7      377        1980      2019     0,13        0,62
Implementation         Einsatz von Smartphones             8      387        2005      2019     0,20        0,27
                       und Tablets im Unterricht
Lernende               Außerschulische                     1      39         2018      2018     0,00       -0,32
                       Smartphone-Nutzung
Implementation         Laptop-Einzelnutzung                1      10         2016      2016     0,00        0,16
Implementation         Online Lernen                       7      288        2008      2013     0,09        0,23
Lernende               Soziale Medien                      3      100        2017      2018     0,01       -0,14
Implementation         Digitalisierung                     9      453        1986      2019     0,28        0,91
                       (nicht-westliche Länder)
Implementation         Digitalisierung im                  2      28         2003      2007     0,02        0,02
                       Fernunterricht
Implementation         Digitalisierung im                  5      142        2003      2018     0,21        0,53
                       Fremdsprachenunterricht
Implementation         Digitalisierung in                17       820        1981      2013     0,06        0,28
                       Mathematik
Implementation         Digitalisierung in anderen          2      58         1992      2001     0,04        0,39
                       Fächern
Implementation         Digitalisierung beim              15       674        2000      2019     0,10        0,17
                       Lesen
Implementation         Digitalisierung in den              6      391        1980      2007     0,09        0,18
                       Naturwissenschaften

4 / 2021                                 Pädagogische Rundschau                                                 381

 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0
                             wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Implementation         Digitalisierung in                  3      193        2001      2004     0,09        0,17
                       Kleingruppen
Implementation         Digitalisierung beim                3      70         1991      2003     0,07        0,43
                       Schreiben
Implementation         Digitalisierung im                13       2.520      1980      2018     0,16        0,33
                       Tertiärbereich
Implementation         Digitalisierung im                14       556        1984      2018     0,11        0,44
                       Primarbereich
Implementation         Digitalisierung im                11       694        1983      2017     0,03        0,31
                       Sekundarbereich II
Implementation         Digitalisierung bei                 4      114        1985      2003     0,17        0,62
                       Förderbedarf
Implementation         Digitalisierung im                  3      42         2008      2017     0,01        0,51
                       Sekundarbereich I
Elternhaus             Fernsehen                           3      37         1982      2001     0,07       -0,15
Curricula              Nutzung von                         5      222        1986      2006     0,11        0,23
                       Taschenrechnern
Implementation         Einsatz von PowerPoint              2      60         2006      2018     0,15        0,11
Curricula              Förderung der visuellen             7      689        1980      2019     0,22        0,66
                       Wahrnehmung
Implementation         Visuelle und audio-visu-            6      359        1979      2000     0,20        0,10
                       elle Medien
Gesamtstatistik                                         243       13.937     1978      2019     0,10        0,26

3. Kernbotschaften aus                                        Faktoren zu digitalen Medien unternom-
    den Ergebnissen von                                        men werden. Dabei sind folgende Fragen
                                                               leitend, die im öffentlichen Diskurs eine
    „Visible Learning“
                                                               Rolle spielen15:
Angesichts dieser langen Liste an Fakto-
                                                               a) Welchen Einfluss haben digitale
ren zum digitalen Lernen zeigt sich: Auf-
                                                                   Medien auf Lernende und ihre
grund der Erweiterung des Datensatzes
                                                                   Lernausgangslage?
von „Visible Learning“ von anfänglich 138
auf aktuell 298 Faktoren und einer Zu-
                                                               Nicht selten finden sich im öffentlichen
nahme an Wirkfaktoren allein im Bereich
                                                               Diskurs Drohszenarien, wonach digitale
der Digitalisierung um fast ein Vierfaches
                                                               Medien zu verheerenden Folgen führen
wird eine Orientierung immer schwieriger.
                                                               werden: Kinder, die nicht mehr laufen,
„Visible Learning“, so könnte man geneigt
                                                               springen und werfen können, Jugendli-
sein zu folgern, steht damit immer mehr
                                                               che, die fettleibig sind, und Erwachsene,
vor der Herausforderung, die es eigentlich
                                                               die nicht mehr miteinander kommunizieren
lösen wollte, nämlich den breiten Fundus
                                                               können16. In den letzten Jahren ist hierzu
der empirischen Bildungsforschung über-
                                                               eine Reihe von Forschung durchgeführt
sichtlich und handhabbar zu machen. Eine
                                                               worden, so dass es mittlerweile auch erste
weitere Strukturierung und Interpretation
                                                               Meta-Analysen dazu gibt. Insofern lässt
ist infolgedessen unerlässlich, um allge-
                                                               sich mithilfe der Zuordnung der Faktoren
meine Ergebnisse nennen zu können.
                                                               zu Domänen eine evidenzbasierte Antwort
    In den nachstehenden Ausführungen
                                                               auf diese Frage geben:
soll ein entsprechender Versuch für die 33

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                             wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Tabelle 5: Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit von digitalen Medien und domänenspe-
        zifischer Zuordnung
        Domänenspezifische Zuordnung der Faktoren                     Anzahl an Faktoren            d
        Curricula und Implementation                                  29                             0,31
        Lernende und Elternhaus                                        4                            -0,20

Letztlich sind es vier Faktoren, die Aus-                   mehr Bildungsgerechtigkeit führen, wird als
kunft darüber geben können, welchen                         Mythos entlarvt: Kinder und Jugendliche aus
Einfluss digitale Medien auf Lernende und                   bildungsfernen Milieus nutzen digitale Medi-
ihre Lernausgangslage haben: „Außer-                        en nicht nur länger, sondern auch weniger
schulische Smartphone-Nutzung“ mit d=-                      sinnvoll, vor allem mit YouTube-Videos und
0,32, „Fernsehen“ mit d=-0,18, „(Cyber-)                    (besonders Jungen) mit Computerspielen20.
Bullying“ mit d=-0,16 und „Soziale Medi-                        Aus den Ergebnissen resultiert somit
en“ mit d=-0,14. Alle genannten Faktoren                    ein Bildungs- und Erziehungsauftrag. Denn
haben negative Effekte. Hält man sich an                    die negativen Effekten von digitalen Medi-
dieser Stelle nochmals vor Augen, dass in                   en, die sie im außerschulischen Bereich
der Summe lediglich 7,7 Prozent aller Ef-                   hervorrufen können, sind nicht der Tech-
fekte in „Visible Learning“ negativ sind, so                nik anzulasten, sondern den Menschen,
müssen diese Werte aufhorchen lassen.                       die diese Technik nutzen. Angesichts der
Ein Blick in ausgewählte Meta-Analysen ist                  Datenlage wird man nicht umhinkommen,
hilfreich, um pädagogische Konsequenzen                     auch über Verbote nachzudenken.
daraus ziehen zu können:                                        Die zu ziehende Forderung lautet
     Aaron W. Kates, Huang Wu und Chris                     daher: Digitalisierung stellt eine epochal-
L. S. Coryn gehen in einer Meta-Analyse der                 typsiche Herausforderung dar, weswegen
Frage nach, welchen Einfluss die Dauer der                  der Bildungs- und Erziehungsauftrag greift.
außerschulischen Smartphone-Nutzung auf                     Insofern muss das Bildungswesen einen
die schulischen Lernleistungen hat und wer-                 Beitrag zu einer umfassenden Medienbil-
ten dazu 39 Primärstudien aus17. Mit der-                   dung leisten. Diese umfasst die Felder der
selben Zugangsweise analysieren Caroline                    Medienkunde, der Mediennutzung, der Me-
Marker, Timo Gnambs und Markus Appel 46                     diengestaltung und der Medienkritik21. Vor
Primärstudien, die den Einfluss von sozialen                dem Hintergrund der aktuellen Gesetzesla-
Medien (Facebook, Twitter & Co.) auf die                    ge, wonach Medienbildung als fächerüber-
Lernleistung untersuchen18. In beiden Me-                   greifendes Bildungs- und Erziehungsziel in
ta-Analysen ist das Ergebnis eindeutig: Je                  den meisten Bundesländern definiert ist,
länger sich Kinder und Jugendliche in ihrer                 ist die Entscheidung, ob dafür am besten
Freizeit mit ihren Smartphones beschäfti-                   ein eigenes Fach oder eine fächerübergrei-
gen und je mehr Zeit sie in sozialen Medien                 fende Zugangsweise ist, eine strukturelle.
verbringen, desto geringer ist die schuli-                  Wichtiger wird sein, wie letztlich diese Me-
sche Lernleistung – eine der bekanntesten                   dienbildung vonstatten geht und welche
Primärstudien in diesem Kontext ist „Brain                  Qualitätsstandards sie erreicht.
Drain“ von Adrian F. Ward, Kristen Duke,
Ayelet Gneezy und Maaren W. Bos19. Was                      b) Welchen Einfluss hat die Altersstufe
zudem bemerkenswert ist, sind die Ergeb-                        auf die Wirksamkeit von digitalen
nisse im Hinblick auf den Zusammenhang                          Medien in Schule und Unterricht?
von außerschulicher Smartphone-Nutzung
und familiärem Hintergrund. Denn der Glau-                  Während der vorausgegangene Abschnitt
be daran, dass digitale Medien per se zu                    sich mit der Frage beschäftigte, welchen

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Einfluss digitalen Medien auf Lernende                           Der Datensatz aus „Visible Learning“
und ihre Lernausgangslage haben, und                        bietet die Möglichkeit eine Antwort auf
damit den Bildungsgedanken ins Zentrum                      die Frage zu geben, ob das Alter der Ler-
rückte, fokussiert die Frage dieses Ab-                     nenden entscheidend für die Wirksamkeit
schnittes darauf, welchen Einfluss digitale                 von digitalen Medien auf die Lernleistung
Medien auf das Lernen in Abhängigkeit                       ist. Denn er enthält die Faktoren „Digita-
zum Alter von Schülerinnen und Schüler                      lisierung im Primarbereich“ mit d=0,44,
haben. Dass Bildung nicht gleich Lernen                     „Digitalisierung im Sekundarbereich I“ mit
ist, zeigt sich in erster Linie daran, dass                 d=0,51, „Digitalisierung im Sekundarbe-
Bildung aufgrund der normativen Inhaltsre-                  reich II“ mit d=0,31 und „Digitalisierung im
flexion nie wertfrei ist, wohingegen Lernen                 Tertiärbereich“ mit d=0,33. Diese Werte
unabhängig vom Inhalt betrachtet werden                     sind Ergebnis von Meta-Analysen, die bei
kann. Dieser Unterschied ist aus meiner                     der Zusammenführung von Primärstudien
Sicht für eine pädagogische Auseinander-                    das Alter der Lernenden als eine mögliche
setzung mit den Möglichkeiten und Gren-                     Moderatorvariable untersuchen22:
zen einer Digitalisierung in Schule und
Unterricht zu beachten.
Tabelle 6: Wirksamkeit von digitalen Medien in Abhängigkeit zum Alter der Lernenden
Faktor                       N-Metas       N-Studien       Alter-Min      Alter-Max         CI         d gewichtet
Digitalisierung im             14            556            1984            2018           0,11           0,44
Primarbereich
Digitalisierung im               3             42            2008           2017           0,01            0,51
Sekundarbereich I
Digitalisierung im              11            694            1983           2017           0,03            0,31
Sekundarbereich II
Digitalisierung im              13           2.520           1980           2018           0,16            0,33
Tertiärbereich

Die Effektstärken der genannten Fakto-                      Schule und Unterricht nicht vom Alter der
ren zeigen, dass es weder zu einer steten                   Lernenden abhängt, sondern andere Fak-
Zunahme, noch zu einer steten Abnahme                       toren hinzukommen müssen.
der Wirksamkeit kommt. Dies wäre die                            Angesichts der immer wiederkehren-
Voraussetzung, um den Schluss ziehen                        den Diskussionen über Handyverbote
zu können, dass ein Zusammenhang zwi-                       an Schulen ist darauf hinzuweisen, dass
schen der Altersstufe und dem Einfluss                      aus dieser Datenlage nicht der Schluss
einer Digitalisierung auf den Lernerfolg                    gezogen werden kann, dass Kinder in
besteht. Ein Faktor, bei dem dieser Zu-                     der Primarstufe beispielsweise besser
sammenhang, ist vergleichsweise „Koope-                     mit Smartphones umgehen können als
ratives Lernen“. Mit zunehmenden Alter                      Jugendliche. Denn in den Primärstudien
der Lernenden lässt sich nachweisen,                        geht es immer um den Einsatz von digita-
dass die Wirksamkeit entsprechender Un-                     len Medien in Verbindung mit didaktischen
terrichtsmethoden steigen, was letztlich                    Überlegungen. Für die Diskussion über
damit zu tun hat, dass Kooperieren gelernt                  Handyverbote sind die Ergebnisse aus
werden muss23.                                              den Meta-Analysen und daraus gezogene
    Infolgedessen bleibt festzuhalten, dass                 Schlüsse aus dem vorausgegangenen Ab-
die Wirksamkeit von digitalen Medien in                     schnitt hilfreicher.

384                                      Pädagogische Rundschau                                           4 / 2021

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                             wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
c) Welchen Einfluss hat das Fach auf die                   bestimmten Fächern größere Effekte erzie-
    Wirksamkeit von digitalen Medien in                     len können – und häufig hat man technikaf-
    Schule und Unterricht?                                  fine Fächer, wie die Naturwissenschaften
                                                            und Mathematik vor Augen. Erneut lässt
Neben der Abhängigkeit der Wirksamkeit                      sich diese Frage mithilfe des Datensatzes
digitaler Medien vom Alter der Lernen-                      aus „Visible Learning“ beantworten. Nach-
den wird in der öffentlichen Debatte die                    stehende sechs Faktoren sind von Bedeu-
Frage diskutiert, ob digitalen Medien in                    tung:
Tabelle 7: Wirksamkeit von digitalen Medien in Abhängigkeit vom Fach
Faktor                                      N-           N-          Alter-      Alter-        CI            d
                                           Metas       Studien        Min        Max                     gewichtet
Digitalisierung im                           5          142          2003        2018         0,21         0,53
Fremdsprachenunterricht
Digitalisierung in Mathematik                17          820         1981        2013         0,06          0,28
Digitalisierung in anderen Fächern            2           58         1992        2001         0,04          0,39
Digitalisierung beim Lesen                   15          674         2000        2019         0,10          0,17
Digitalisierung beim Schreiben                3           70         1991        2003         0,07          0,43
Digitalisierung in den                        6          391         1980        2007         0,09          0,18
Naturwissenschaften

Diese Übersicht liefert aus meiner Sicht                    abhängt, sondern andere Faktoren hinzu-
das überraschende Ergebnis, dass Digita-                    kommen müssen.
lisierung in den Naturwissenschaften und
Mathematik nur geringe Effektstärken er-                    d) Welchen Einfluss hat die Technik auf
reicht. Ebenso überraschend erscheinen                          die Wirksamkeit von digitalen Medien
die Werte beim Lesen und Schreiben:                             in Schule und Unterricht?
Während das Unterstützungspotenzial
beim Schreiben offensichtlich als hoch                      Es ist eines der hartnäckigsten Argumente
einzuschätzen ist, zeigt sich beim Lesen                    in der Diskussion über Möglichkeiten und
nur eine geringe Wirksamkeit. Erwähnens-                    Grenzen einer Digitalisierung im Bildungs-
wert ist hierzu die Meta-Analyse „Don’t                     bereich, dass es nur eine Frage der Zeit
Throw Away Your Printed Books“ aus dem                      ist, bis die Technik Lernen revolutioniere.
Jahr 2018 von Pablo Delgado, Cristian                       Bereits ein Blick auf die Effektstärken der
Vargas, Rakefet Ackerman und Ladisla                        vorangestellten Tabelle lässt erkennen,
Salmerón24. Sie kommen zu dem Ergeb-                       dass dies kein Automatismus ist. Denn zu
nis, dass Lesen von Papier einem Lesen                      den jüngeren Errungenschaften des digi-
auf technischen Endgeräten überlegen ist,                   talen Zeitalters gehören „Laptop-Einzel-
solange es um Informationsentnahme und                      nutzung“ mit d=0,16, „Online Lernen“ mit
-verarbeitung geht, wie es häufig in Schu-                  d=0,23, „Clicker“ mit d=0,17, „Einsatz von
le und Unterricht der Fall ist. Verfolgt das                PowerPoint“ mit d=011 und „Einsatz von
Lesen lediglich das Ziel der Unterhaltung,                  Smartphones und Tablets im Unterricht“
gibt es keine Unterschiede zwischen ana-                    mit d=0,27 – allesamt also geringe Effekten
logem und digitalem Lesen25.                                auf den Lernerfolg mit Werten unterhalb
     Infolgedessen bleibt festzuhalten, dass                des Umschlagpunktes von 0,40. Selbst
die Wirksamkeit von digitalen Medien in                     der Faktor „Flipped Classroom“, der dank
Schule und Unterricht nicht vom Fach                        digitaler Medien eine Renaissance erfährt,

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schafft es mit d=0,29 nicht, durchschla-                       Vertiefung des Gelernten. Dies zeigt
gende Effekte zu erreichen. Vielmehr of-                       sofort, dass die Auslagerung der Ver-
fenbart er eine offene Forschungsfrage.                        mittlung von Inhalten auf der Ebene
Denn es lässt sich feststellen, dass Pri-                      eines Oberflächenverständnisses zu
märstudien und dementsprechend Me-                             beschränken ist und nicht für die Aus-
ta-Analysen aus nicht westlichen Ländern                       lagerung der Vermittlung von Inhalten
durchgehend deutliche höhere Effekte                           auf der Ebene eines Tiefenverständ-
berichten als vergleichbare Untersuchun-                       nisses geeignet ist. Für Letzteres ist
gen aus westlichen Ländern (weswegen                           nun mehr Zeit in der Vertiefungsphase.
ein gesonderter Faktor „Digitalisierung                     3. Das Lernen im „Flipped Classroom“
in nicht-westlichen Ländern“ generiert                         erfordert ein gewisses Maß an Ver-
wurde). Beispielsweise werten Cui Tan,                         antwortung seitens der Lernenden.
Wei-Gang Yue und Yu Fu26 29 Studien                            Schülerinnen und Schüler, die sich
(aus dem tertiären Bereich in China) aus                       nicht gründlich vorbereiten und die
und kommen zu dem Ergebnis, dass ein                           Vermittlungsphasen nicht gewissen-
„Flipped Classroom“ den Lernenden hel-                         haft abschließen, können die Vertie-
fen kann, Wissen, Fähigkeiten, Einstellun-                     fungsphasen nicht effektiv verfolgen.
gen, Selbstlernen, Studienzufriedenheit,                       In dieser Hinsicht erfordert ein erfolg-
kritisches Denken und Problemlösungs-                          reiches, umgedrehtes Klassenzimmer
fähigkeiten zu verbessern. Sie berichten                       eine intensive, vertrauensvolle und
über alle Aspekte hinweg hohe Effektstär-                      wertschätzende Beziehung zwischen
ken von d = 1,13. Demgegenüber wirken                          Lernenden und Lehrperson sowie ef-
die Ergebnisse, die Li Cheng, Albert D.                        fektive Unterrichtsregeln und Rituale.
Ritzhaupt und Pavlo Antonenko liefern,                      4. Lernende müssen über bestimmte
ernüchternd: Sie analysieren 55 Primär-                        Fähigkeiten verfügen, um im „Flipped
studien aus westlichen Ländern und kom-                        Classroom“ zu lernen. Dazu gehört
men lediglich auf eine Effektstärke von d =                    neben der Gewissenhaftigkeit auch
0,1927. Offensichtlich wirkt „Flipped Clas-                    die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung.
sroom“ nicht immer. Was ist also der Kern-                     Da Letzteres nicht selbstverständlich
gedanke eines „Flipped Classrooms“ und                         ist (Stichwort „Dunning-Kruger-Ef-
was sind die Gelingensbedingungen?28.                          fekt“)29, muss das „Flipped Class-
                                                               room“ je nach Leistungsniveau der
1. Die Qualität der Beiträge, die die                          Lernenden Schritt für Schritt ein-
   Lernenden außerhalb des Klassen-                            geführt und an dieses angepasst
   zimmers erarbeiten sollen, ist nicht                        werden.
   unerheblich. So gibt es beispielswei-
   se auf YouTube eine große Anzahl von                     Das Gesagte macht deutlich: Erfolgrei-
   Erklärvideos zu verschiedenen The-                       ches „Flipped Classroom“ ist nicht nur
   men. Aber nicht alle von ihnen sind                      eine Frage der digitalen Medien. Voraus-
   zu empfehlen. In diesem Zusammen-                        gelagert ist eine Haltung zum Lernen und
   hang ist es nicht zuletzt Aufgabe der                    Lehren. Infolgedessen verlangt es von
   Lehrperson, den Schülerinnen und                         allen Beteiligten eine gemeinsame Vision
   Schülern ein passendes Angebot zu                        von Unterricht, die oft nicht mit den traditi-
   unterbreiten.                                            onellen Mustern übereinstimmt.
2. Durch die Auslagerung der Vermitt-                           Infolgedessen bleibt festzuhalten,
   lungsphase erhält der eigentliche Un-                    dass die Wirksamkeit von digitalen Medi-
   terricht mehr Zeit und Raum für die                      en in Schule und Unterricht nicht von der

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Technik abhängt, sondern andere Fakto-                      Aber auch hier sprechen Ergebnisse der
ren hinzukommen müssen.                                     empirischen Bildungsforschung eine an-
    All diesen Ergebnissen zum Trotz findet                 dere Sprache. Nimmt man beispielsweise
man immer wieder das weiter oben ange-                      alle oben genannten Faktoren aus „Visible
sprochene Argument, dass das Gesagte                        Learning“, die im Kontext einer Digitalisie-
nur für die Hardware und Software von                       rung zu verorten sind, und betrachtet für
vor fünf, zehn Jahren gelte, wohingegen                     diese die entsprechenden Meta-Analysen
die neuesten Errungenschaften des Com-                      im Hinblick auf das Erscheinungsjahr und
puterzeitalters bereits einen Schritt weiter                die darin errechneten Effektstärken, so er-
seien und alle Einwände aufgeholt hätten.                   gibt sich folgende Darstellung:

        Abbildung 2: Zeitliche Entwicklung der Effektstärken in Abhängigkeit zum Alter der Meta-
        Analysen

Das Resultat zeigt (neben einer großen                      sind mehr denn je nicht davor gefeit, das
Streuung) eine konstante durchschnittliche                  durchaus vorhandene Mehr an Program-
Effektstärke über die letzten vierzig Jahre.                miermöglichkeiten falsch zu lenken.
Interessant ist der Vergleich dieses Ergeb-
nisses mit den technischen Fortschritten im
Kontext der Digitalisierung, die mehr als ra-               4. Conclusio:
sant verlaufen sind. Als Beispiel sei die Leis-                 Lehrerprofessionalität
tungsentwicklung von Prozessoren und von                        und Unterrichtsqualität
Speichermedien genannt. So muss festge-
                                                                ins Zentrum rücken.
halten werden, dass die Pädagogik nicht
mit der Digitalisierung Schritt hält, ja gar
                                                            Welche allgemeinen Ergebnisse lassen sich
nicht kann, weil Lernen anderen Gesetzmä-
                                                            angesichts des Einflusses von Altersstufe,
ßigkeiten folgt als Digitalisierung. Daran än-
                                                            Fach und Technik auf die Wirksamkeit von
dern auch die neuesten Errungenschaften
                                                            digitalen Medien auf die Lernleistung nen-
des digitalen Zeitalters nichts – und es wäre
                                                            nen? Da in allen drei Aspekten keine Zusam-
sogar töricht, dies zu fordern. Die neueste
                                                            menhänge aus den Daten ableitbar sind, ist
Technik braucht ebenso den Menschen,
                                                            davon auszugehen, dass sie nicht entschei-
der sie bedienen kann, und Programmierer
                                                            dend für den Erfolg einer Digitalisierung

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sind. Vielmehr weisen diese Ergebnisse                      Mensch um die sechs bis acht Wiederho-
bereits in die entscheidende Richtung:                      lungen braucht, um eine Information vom
Wichtiger als die Altersstufe oder das Fach                 Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis
oder die Technik ist die Frage, wie es der                  zu bringen. Fehlen diese Wiederholungen
Lehrperson gelingt, digitale Medien in den                  und die damit verbundene Anstrengung
Unterricht zu integrieren.                                  und der nötige Einsatz, so nimmt das
    Allein das Aufstellen der neuesten                      Vergessen seinen Lauf. Der Moment des
Technik führt nicht dazu, dass Lehrperso-                   Vergessens beginnt also im Moment des
nen diese sinnvoll in ihren Unterricht integ-               Merkens. Und dies ist unabhängig davon,
rieren und dann das durchaus vorhandene                     ob analog oder digital gelernt wurde.
Potenzial einer Digitalisierung ausschöp-                       Zweitens erfordert Lernen Herausfor-
fen. Die referierten Meta-Analysen weisen                   derungen: Es ist eine der beständigsten
vielmehr daraufhin, dass digitale Medien in                 Botschaften von Technikkonzernen, dass
erster Linie als Ersatz für traditionelle Me-               Digitalisierung Lernen leichter macht. So
dien genutzt werden und in diesem Sinn                      schön diese These klingt, so falsch ist
ausschließlich als Informationsträger: Der                  sie: Bildung im Allgemeinen und Lernen
Computer als Lexikonersatz, das Tablet                      im Besonderen ist nichts Leichtes. Denn
als Arbeitsblattersatz und das Smartboard                   es schreitet über Umwegen und Irrwegen
als Tafelersatz. Wenn es jedoch Lehrper-                    voran, führt nicht selten zu Misserfolg und
sonen gelingt, so ein wichtiges Ergebnis                    Scheitern, erzeugt Fehler. Insofern darf es
aus den zugrundeliegenden Primärstudien                     im Bildungsbereich nicht darum gehen,
in diesem Bereich, digitale Medien nicht                    Lernen möglichst leicht zu machen. Es
nur als Informationsträger, sondern auch                    muss darum gehen, Lernen möglichst he-
zur Informationsverarbeitung zu nutzen,                     rausfordernd zu gestalten. Das Flow-Er-
dann sind höhere Effektstärken jenseits                     lebnis ist der beste empirische Beleg für
der durchschnittlichen Effektstärke von                     diese Grammatik des Lernens31: Men-
d=0,4 möglich. Eine Sportlehrperson, die                    schen erreichen dann den Zustand tiefer
die Videoaufnahme eines Bewegungsab-                        Zufriedenheit, wenn sie einer Aufgabe
laufes einer Schülerin nutzt, um mit dieser                 nachgehen, die sie herausfordert und in-
danach ins Gespräch zukommen und an-                        sofern die Wahrscheinlichkeit des Erfolges
hand des Vor- und Zurückspielens oder                       genauso groß ist wie die Wahrscheinlich-
des Abspielens in Zeitlupe kognitive Pro-                   keit des Scheiterns. Wenn Digitalisierung
zesse anzuregen, ist ein solches Beispiel.                  im Bildungsbereich wirksam werden soll,
    Insofern lässt sich als Fazit ziehen:                   dann muss sie so eingesetzt werden, dass
Eine Digitalisierung kann im Unterricht hilf-               dank ihr die Herausforderung noch besser
reich sein, wenn sie kein Selbstzweck ist,                  gesetzt werden kann also ohne sie.
sondern wesentliche Grundsätze des Ler-                         Drittens erfordert Lernen positive Be-
nens und Lehrens berücksichtigt:                            ziehungen: Es zählt zu einem der zentralen
    Erstens erfordert Lernen Anstrengung                    Ergebnisse der Anthropologie, dass der
und Einsatz: Immer wieder wird die These                    Mensch ein Gegenüber braucht, um sich
vertreten, dass sich Lernen durch Digitali-                 selbst zu erkennen. Bei Martin Buber32
sierung völlig verändert. An einer zentralen                heißt es dementsprechend: Der Mensch
Grammatik des Lernens lässt sie sich wi-                    wird am Du zum Ich. Empirisch lässt
derlegen, die mithilfe der Vergessenskurve                  sich diese Erkenntnis mittlerweile mehr-
nach Hermann Ebbinghaus30 verdeutlicht                      fach belegen, so zum Beispiel mit dem
werden kann. So wissen wir aus zahlrei-                     Dumm-und-dümmer-Effekt33: Menschen
chen psychologischen Studien, dass der                      neigen dazu, sich in ihren Möglichkeiten

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zu überschätzen oder zu unterschätzen.                      dank Digitalisierung Menschen kein Fak-
Nur selten trifft das Bild, das man von sich                tenwissen mehr brauchen. Wissen ist
zeichnet, ins Schwarze. Die Fremdein-                       jederzeit und überall verfügbar, so dass
schätzung ist wichtig, um sich daran zu                     sich Lernende voll und ganz auf die Kom-
reiben und sich zu hinterfragen. Insofern                   petenzentwicklung konzentrieren können.
ist auch das – durch die Digitalisierung                    Diese Argumentation verkennt den Un-
befeuerte – Gerede vom Lernbegleiter                        terschied zwischen Faktenwissen und
und vom überzogenen individualisierten                      Klugheit sowie den Zusammenhang von
Lernen wenig hilfreich, vielmehr unsinnig:                  Oberflächenverständnis und Tiefenver-
Lernende brauchen nicht nur einen „guide                    ständnis, wie er in der Didaktik seit jeher
on the side“. Sie brauchen auch und in                      bekannt ist. Damit Lernende in den Be-
jeder Phase ihres Lebens einen „change                      reich des Tiefenverständnisses kommen
agent“, wie es John Hattie nennt: einen                     können, der als sinnstiftendes, kreatives
Menschen, der ihnen den Spiegel vorhält,                    und problemlösendes Denken das Ziel von
der sie ermutigt und die Herausforderung                    Bildung darstellt, müssen sie ein gewisses
setzt, wenn sie nicht an sich glauben,                      Maß an reproduzierbarem Wissen erwor-
der sie aber auch bremst, wenn sie fal-                     ben haben. Allein zu wissen, wo etwas
sche Erwartungen an sich setzen34. Zur                      steht und wo eine Information aufzufin-
Grammatik des Lernens gehören folglich                      den ist, reicht nicht aus. Tiefenverständnis
Lehrpersonen, die mit bewusstem und                         basiert auf Oberflächenverständnis. Und
verantwortungsvollem Veränderungswillen                     damit Lernende dieses weiterverarbeiten
agieren – wohlwissend, dass sie nur An-                     können, müssen die Fakten im Kopf sein –
gebote des Lernens machen können, die                       und nicht auf Platinen von Rechnern.
der Lernende nur selbst nutzen kann.                            Es könnten noch weitere solcher
    Viertens erfordert Lernen Motivation:                   Grundsätze des Lernens angeführt wer-
Der Klassiker in der Diskussion um den                      den, aber die Kernbotschaft ist bereits
Mehrwert der Digitalisierung im Bildungs-                   sichtbar: Solange wir Menschen Men-
bereich ist die These, dass durch den Ein-                  schen sind, solange bleibt Lernen Ler-
satz von Tablets, Smartphones & Co. die                     nen. Daran wird auch eine Digitalisierung
Lernmotivation steigt. Empirisch ist das                    nichts ändern. Und jeder, der das behaup-
abbildbar und auf den ersten Blick bestä-                   tet und forciert, verkennt den Menschen
tigbar. Allerdings zeigt sich auf den zweiten               und macht aus Menschen Maschinen.
Blick, dass diese Zunahme der Motivation                    Das mag durchaus für so manchen ein
nach zwei bis vier Wochen wieder abnimmt                    Ziel sein, den Homo sapiens durch den
– spätestens dann, wenn Lernende mer-                       Homo digitales zu ersetzen oder zumin-
ken, dass es doch nur ums Lernen geht.                      dest „upzugraden“ – nach dem Motto: die
Und so leidet dieses Digitalisierungsargu-                  künstliche Intelligenz ist die Lösung für
ment an der Unkenntnis der Grammatik                        die menschliche Dummheit. Aber dann
des Lernens, dass Lernen Motivation er-                     reden wir nicht mehr von Bildung, sondern
fordert: aber im Kern und auf Dauer eben                    von Programmierung. Und es zählt nicht
keine Motivation, die außerhalb des Ler-                    mehr das, was ich aus meinem Leben ge-
nens liegt, sondern eine, die auf die Sache                 macht habe, sondern das, was man aus
gerichtet ist, die es zu lernen gilt.                       mir gemacht hat. Wenn wir aber weiterhin
    Fünftens erfordert Lernen Oberflä-                      von Menschen und ihrer Bildung reden,
chenverständnis, um Tiefenverständnis                       dann lohnt die Beachtung der Gramma-
entwickeln zu können: In Zeiten von Alexa                   tik des Lernens und Lehrens. Werden
und Siri mag für viele unstrittig sein, dass                diese Grundsätze einer Digitalisierung im

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Bildungsbereich beachtet, ist der Schritt                   Lernen erfolgreich werden kann. Vier
vom Informationsträger hin zur Informati-                   seien exemplarisch näher beschrieben:
onsverarbeitung möglich. Digitalisierung                         Erstes Entwicklungsfeld „Pädagogi-
kann so zu einem Mehr an kognitiver und                     sche Expertise“: Der Umgang mit neuen
sozialer Vernetzung beitragen. Fehlen                       Medien in pädagogischen Kontexten
diese Grundsätze, bleibt eine Digitalisie-                  macht deutlich, dass ein erfolgreicher Ein-
rung auf einer Ersatzebene und kann keine                   satz nicht nur vom Wissen und Können der
nachhaltigen positiven Effekte auf das Ler-                 Lehrpersonen abhängt. Denn weder reicht
nen von Schülerinnen und Schüler haben.                     dafür eine ausgeprägte Fachkompetenz,
     Ähnlich argumentiert Neil Postman35,                   noch ein hohes Maß an pädagogischer und
der im Zug einer zunehmenden Technisie-                     didaktischer Kompetenz. Vielmehr benötigt
rung des Bildungsbereiches davor warnt,                     all dieses Wissen und Können ein Wollen
Unterricht als Unterhaltung zu sehen. Digi-                 und ein Werten. Kompetenz (als Wissen
talisierung mit all ihren Möglichkeiten birgt               und Können) und Haltung (als Wollen und
in sich diese Gefahr, mit fatalen Folgen für                Werten) sind folglich zentral für das Ge-
den Unterricht: Gute Unterhaltung setzt                     lingen pädagogischer Interventionen und
nichts voraus, erfordert keine Anstrengung                  beide zeigen sich aus erkenntnistheoreti-
und ist nicht verbindlich. Guter Unterricht                 scher Sicht als zwei Seiten einer Medail-
ist genau das Gegenteil: Er setzt die Her-                  le36. Wie gelingt es also, Lehrpersonen
ausforderung, verlangt Einsatz und basiert                  Kompetenz und Haltung im Umgang und
auf gegenseitigen Rechten und Pflichten                     Einsatz mit neuen Medien beizubringen?
von Lernenden und Lehrperson.                                    Zweites Entwicklungsfeld „Fehler-
     Digitalisierung gehört heute mehr denn                 kultur“: Neue Medien bleiben immer ein
je zum Leben. Eine Schule, die sich der                     Bindeglied zwischen Lernenden und Leh-
damit verbundenen erzieherischen Aufga-                     renden. Insofern haben sie eine dienende
ben verschließt, würde ihrem Bildungs- und                  Funktion innerhalb dieser Interaktion. In
Erziehungsauftrag nicht gerecht werden.                     dieser können sie Lernen fördern, aber
Dieser beinhaltet aber immer auch, Mög-                     auch hemmen. Dass vieles davon abhän-
lichkeiten und Grenzen aufzuzeigen und                      gen wird, ob eine Lernkultur herrscht, in
zum Wohl der Kinder und Jugendlichen                        der Fehler begrüßt werden, ja sogar ins
Entscheidungen zu treffen. Digitalisierung                  Zentrum der Interaktion gerückt werden,
um der Digitalisierung willen läuft diesem                  zeigen Forschungen zu neuen Medien be-
Wohl zuwider, weil sie blind dem Diktat der                 reits heute. Das oben genannte Beispiel
Technik folgt und dabei den Menschen mit                    einer Sportlehrperson mag erneut zur
seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten                       Veranschaulichung des Gesagten dienen.
vergisst. Menschen müssen also nicht nur                    Denn wenn diese den Bewegungsablauf
lernen, die neuen Medien einzuschalten.                     einer Lernenden digital aufzeichnet, in die
Sie müssen auch wissen, wann es an der                      Zeitlupe geht, vor- und zurückspielt, dann
Zeit ist, sie auszuschalten. Und entspre-                   nutzt sie neue Medien, um nach Fehlern
chendes gilt auch für Lehrpersonen und                      zu suchen, um Fehler als Lernchancen zu
ihren Unterricht: Lehrpersonen müssen                       begreifen, um Fehler in den Mittelpunkt
wissen, wann es sich lohnt, neue Medien                     des Lehrens zu rücken37. Dieser Umgang
in den Unterricht zu integrieren, und wann                  mit Fehlern ist keine Selbstverständlich-
es besser ist, mit traditionellen Medien zu                 keit. Neue Medien können helfen, eine
arbeiten. Daraus ergeben sich verschie-                     entsprechende Fehlerkultur aufzubauen.
dene Entwicklungsfelder, damit digitales                    Hierfür ist zu klären: Welche Vorausset-
                                                            zungen müssen auf Seiten der Lernenden

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und Lehrenden gegeben sein und welche                       wichtigsten Kennzeichen erfolgreicher
Merkmale müssen neue Medien vorwei-                         Lehrpersonen39.
sen, um eine entsprechende Fehlerkultur                          Digitalisierung ist für ein zukunftsfähi-
zu befördern?                                               ges Bildungssystem wichtig. Sie ist aber
     Drittes Entwicklungsfeld „Kooperati-                   nicht der Heilsbringer für alle pädagogi-
onskultur“: Eines der größten Potenziale                    schen Herausforderungen. Hinzukommt,
zur Leistungssteigerung in pädagogischen                    dass Digitalisierung eine epochaltypische
Kontexten ist im Austausch und der Ko-                      Herausforderung neben anderen ist – und
operation der Lehrpersonen zu sehen.                        mit anderen steht sie durchaus in Konkur-
Darauf verweisen sowohl allgemeine Stu-                     renz und Widerspruch. Am besten zeigt
dien, wie beispielsweise „The Rational                      sich dies am Thema „Nachhaltigkeit“.
Optimist“ von Matt Ridley38. Das Stich-                     Denn Digitalisierung hat durchaus Facet-
wort lautet in diesem Kontext „kollektive                   ten, die mit sozialer Gerechtigkeit und
Intelligenz“. Neue Medien bieten vielfältige                ökologischer Verantwortung (noch) nicht
Möglichkeiten für den Austausch und die                     zusammenpassen: Arbeitsverlust auf der
Kooperation, obschon diese nicht selbst-                    einen Seite und seltene Erden auf der an-
verständlich sind. Wie müssen folglich                      deren Seite sollen als Schlüsselbegriffe
neue Medien gestaltet und in den Prozess                    ausreichen, um das Problem zu skizzieren.
des Austausches und der Kooperation                              Das Bildungswesen steht folglich vor
eingebunden werden, damit kollektive In-                    einer ihrer größten Herausforderungen,
telligenz entstehen kann, sichtbar wird und                 weil eine Reihe von gesamtgesellschaftli-
auf diesem Weg die Professionalität von                     chen Problemen zeitgleich pädagogische
Lehrpersonen positiv beeinflusst?                           Maßnahmen erfordern. Angesichts der em-
     Viertes Entwicklungsfeld „Evidenzba-                   pirischen Ergebnissen wird eine bildungs-
sierung“: Die Flut an Programmen und                        theoretische Position nicht nur bestätigt,
an Spielen, an Apps und vielem anderen                      sondern in den Mittelpunkt gerückt: Der
mehr erfordert mehr denn je eine evidenz-                   Ort der Bildung in Lehr-Lern-Prozessen ist
basierte Ausrichtung in Forschung und                       in der Begegnung von Mensch zu Mensch
Praxis. Nicht allein der Einsatz der neuen                  zu sehen. Schulische Bildung bleibt im
Medien ist erfolgreich, sondern erst wenn                   Wesentlichen eine Frage der gelingenden
damit Lernprozesse nachhaltig befördert                     Interaktion zwischen Menschen. Technik ist
worden sind. Daraus resultiert die Heraus-                  in diese Interaktion sinnvoll zu integrieren
forderung, zu klären, welche neue Medien                    und den Menschen unterzuordnen. Sich
wann und insbesondere warum erfolg-                         darauf bei der Gestaltung des Bildungswe-
reich Bildungsprozesse unterstützen, wel-                   sens zu besinnen, drängt sich angesichts
che neue Medien dies wann und warum                         der angestellten Überlegungen auf.
nicht tun und wie es Lehrpersonen vor Ort
gelingen kann, diese Fragen zu beantwor-
ten. Und damit ist die Brücke geschlagen
zum ersten Entwicklungsfeld „Pädagogi-                      Anmerkungen
sche Expertise“: Lehrpersonen brauchen                      1     Klafki, W. (1996) Neue Studien zur Bildungs-
Kompetenz und Haltung – im Umgang mit                             theorie und Didaktik. Beltz.
neuen Medien, aber auch im Hinblick auf                     2     vgl. Zierer, K. (2019) Bildung: jetzt! Warum
ihre eigene Professionalität. Sich selbst                         Bildung wichtiger denn je ist und was wir tun
in einer Verantwortung für den Bildungs-                          müssen. In: Scheidewege. 372 – 387.
erfolg von Lernenden zu sehen und sich                      3     vgl. Koller, H.-C. et al. (2016) Datenreport
                                                                  Erziehungswissenschaft. Budrich.
diesbezüglich zu hinterfragen, ist eine der

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4     vgl. Lipsey, M., & Wilson, D. (2001) Practical       21    Baacke, D. (1997) Medienpädagogik. Nie­       -
      meta-analysis. Sage.                                       meyer.
5     vgl. Zierer, K. (2014) Hattie für gestresste         22    vgl. z. B Tingir, S. et al. (2017) Effects of
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      (2016) Visionär und imposant – aber auch             29    Hattie, J. & Zierer, K. (2017) Ten Mindframes
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392                                     Pädagogische Rundschau                                           4 / 2021

Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0
                            wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
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