1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

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1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Magazin der Universität Greifswald

CAMPUS
                                                         Ausgabe 13/April 2020

    *
                        1456

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                     Bioökonomie

   #Digitale            Über Wissenschafts-   Auslandsjahr
   Lehre                kommunikation         in Brasilien
                                                                             1
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1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
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1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Editorial

                                                                         Foto: Kilian Dorner
Liebe Leser*innen,
die Corona-Pandemie absorbiert gegenwärtig unsere ganze Kraft und Auf-
merksamkeit. Der Semesterbeginn ist verschoben und das Sommersemes-
ter kann zunächst nur mit digitalen Formaten beginnen. Veranstaltungen
bis weit in den Sommer hinein sind abgesagt, nur vereinzelt bewegen sich
noch Menschen auf dem Campus. Für eine Institution wie unsere Univer-
sität, die ein Ort der sozialen Begegnung ist, bricht mit „social distancing“
eine existenzielle Grundlage weg.

Die Mitglieder der Universität sind gegenwärtig mit großem und bewun-
dernswertem Einsatz bemüht, zentrale Aufgaben in Lehre und Forschung
weiterhin zu erfüllen und die grundlegende Funktionsfähigkeit der Universi-
tät zu erhalten. Sie arbeiten unter erheblich beschwerten Bedingungen, mit
denen sich die ganze Gesellschaft konfrontiert sieht, darunter geschlossene
Schulen und Kindertagesstätten, Probleme bei der Pflege von Angehörigen
und eingeschränkte Möglichkeiten der Mobilität. Unseren Studierenden
brechen Arbeitsmöglichkeiten weg, ohne die sie ihr Studium nicht finanzie-
ren können und unseren internationalen Studierenden fehlen notwendige
Kontakte zur Integration. Das sind nur wenige Beispiele aus der Vielzahl an
Anpassungsleistungen, die wir gegenwärtig erbringen müssen.

Bei einigen Veränderungen wird uns schmerzhaft bewusst, dass wir uns
in „normalen“ Zeiten viele Fesseln angelegt haben, die nun eine schnelle
Anpassung behindern. Es wird zu den Lehren gehören, die wir aus der Co-
rona-Pandemie ziehen sollten, auf unnötige Fesseln zu verzichten. Gesell-
schaften mit einem hohen Kontrollbedürfnis, wie die unsrige es ist, neigen
dazu, fehlende faktische Kontrolle über aktuelles und künftiges Geschehen
durch zumindest „kognitive Kontrolle“ zu ersetzen: Wir wollen möglichst
genau wissen, was geschehen wird, wir wünschen uns die Zukunft wie ein
Planspiel, in dem wir das potenziell Künftige bereits in der Gegenwart erpro-
ben können. Mit Ungewissheit können wir nicht gut umgehen, das lernen
wir zu wenig.

In dieser Ausnahmesituation tut es gut, sich an das Leben an unserer Uni-
versität vor Corona zu erinnern: An spannende Forschung, attraktive Leh-
re, Auszeichnungen und Erfolge, internationale Beziehungen, Reisen, neue
Kolleg*innen. Die vorliegende Ausgabe von Campus 1456 berichtet von
Themen, denen wir uns hoffentlich bald wieder mit voller Kraft und Freude
widmen dürfen!

Herzliche Grüße
Ihre Johanna Weber | Rektorin
                                                                                                      3
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8           FOKUS: BIOÖKONOMIE
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        Panorama                        Lernen & Lehren
                                     19 #Digitale Lehre an der           29 Zerstörung statt Sicherheit:
06 Aktuelles aus der Universität        Universität Greifswald              Universitätsgut im Zweiten Weltkrieg

                                     20 Von Zulu-Kultur, Feldforschung   30 Molekulare Grundlagen
        Im Fokus                        und Safari – ein Reisetagebuch      des Lebens

08 Fokus Bioökonomie                                                     31 Wie Menschen
                                     Hochschulpolitik                       Erwartungen bilden

        Forschung                    22 Erster Nachhaltigkeitsbericht    32 Auszeichnungen
                                        der Uni Greifswald erschienen       und Preise
14 Forschungsprojekt untersucht
   Todesfälle bei Fluchtversuchen    23 Kurznachrichten
   über die Ostsee                      der Universität                      Internationales
16 Virtuelles Raum-Zeit-Modell der   24 Neue Gesichter                   34 Auf Entdeckungstour in Brasilien
   historischen Metropole Nürnberg      an der Universität
                                                                         36 Internationale Partnerschaften
18 Krankenhäuser im                                                         im Profil – Staatliche Universität Tomsk
   ländlichen Raum
                                        Wissenschaft &
                                        Gesellschaft
                                     26 Forschung im Elfenbeinturm
                                        war gestern

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                                                                                                  Inhalt

                                       29                                                          26

                                  38                                                               36

    Campus & Unileben
37 News

38 Zapfenernte                              Liebe Leser*innen,
   im Uniforst
                                            das Redaktionsteam des aktuellen Campus-Magazins
40 Gut vernetzt in der Region –             wurde kurz vor der Endkorrektur und dem Druck von den
   Nova Innovationscampus                   Konsequenzen der Corona-Krise überrascht. Wir haben
                                            uns dafür entschieden, das Heft trotzdem fertig- und im
41 Ein Bild – eine Geschichte               Netz bereitzustellen. Leider sind einige Informationen zu
                                            geplanten Veranstaltungen inzwischen obsolet bzw. es ist
42 Fotogalerie                              unsicher, ob die Veranstaltungen noch durchgeführt wer-
                                            den können. Bitte informieren Sie sich deshalb weiterhin
44 Geschichten aus                          regelmäßig auf den Internetseiten der Universität über
   dem Heimathafen                          die aktuelle Situation.

                                            Wir bitten Sie um Verständnis und wünschen Ihnen viel
    Alumni & Karriere                       Freude bei der Lektüre. Bleiben Sie gesund.

46 Start-up NordOst                         Ihr Redaktionsteam von Campus 1456

47 ökohle – Nachhaltige Grillkohle
   aus Greifswald

48 Greifswalder Jurist
   auf Karrierekurs

                                                                                                        5
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Prorektor mit Eugen                                                   sche Meeresmuseum Stralsund und das Deutsche
Münch-Preis ausgezeichnet                                             Schifffahrtsmuseum Bremerhaven. Die 2019 ge-
                                                                      gründete DAM zählt nun 19 Mitgliedseinrichtungen.
                                                                      Ihr Ziel ist es, die gesellschaftliche Verantwortung
                                                                      wahrzunehmen, nachhaltig mit den Küsten, Meeren
                                                                      und Ozeanen umzugehen, lösungsorientierte For-
                                                                      schung zu betreiben und Wissen zu vermitteln. Die
                                                                      Universität Greifswald bringt ihre Expertise aus dem
                                                                      Küsteningenieurswesen und der Marinen Biotechno-
                                                                      logie in die Allianz ein. •

Die Gewinner des Eugen Münch-Preises
v.l.n.r.: Prof. Patrick Jahn, Dr. Matthias Gräser, Dr. Jan Pfister,
Prof. Steffen Fleßa | Foto: Sylvia Willax

Prof. Dr. Steffen Fleßa, Prorektor der Universität
Greifswald sowie Inhaber des Lehrstuhls für Allge-
meine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheits-
management, hat den Eugen Münch-Preis für in-
novative Gesundheitsversorgung in der Kategorie                       Vertreter*innen der neuen DAM-Mitglieder und DAM-Vorstand
Versorgungsforschung erhalten. Ausgezeichnet wur-                     Foto: DAM/Sinje Hasheider
de seine Veröffentlichung „Economic efficiency ver-
sus accessibility: Planing of the hospital landscape
in rural regions using a linear model on the example
of paediatric and obstetric wards in the northeast of
                                                                      Erneute DFG-Förderung für
Germany”, die er in Zusammenarbeit mit Dr. Neelt-                     maritime Proteomforschung
je van den Berg und Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann
vom Institut für Community Medicine verfasste. Das
Rechenmodell stellt dar, welche Auswirkungen das
Zusammenlegen von Kliniken oder Fachabteilun-
gen auf die Erreichbarkeit für die Bevölkerung sowie
auf die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser
hat. Entwickelt wurde es anhand der Standorte der
Krankenhausversorgung in der Geburtshilfe und Pä-
diatrie in Vorpommern-Greifswald. Der Preis ist mit
20.000 Euro dotiert und wird jährlich von der Stiftung
Münch vergeben, die Wissenschaft, Forschung und                       Foto: I. Bakenhus/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie,
praxisnahe Arbeiten in der Gesundheitswirtschaft                      Bremen
fördert. (s. auch Artikel S. 18) •
                                                                      Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat
                                                                      eine zweite Förderphase für die Forschungsgruppe
Universität Greifswald in                                             FOR 2406 „Proteogenomik des marinen Polysac-
                                                                      charid-Abbaus“ (POMPU) bewilligt. Die Universität
die Deutsche Allianz Meeres-                                          Greifswald und das Max-Planck-Institut für Marine
forschung aufgenommen                                                 Mikrobiologie Bremen erforschen den bakteriellen
                                                                      Algenabbau in marinen Ökosystemen. Unter ande-
Die Deutsche Allianz Meeresforschung (DAM) hat                        rem bedingt durch die Klimaerwärmung treten ver-
im Februar die Universität Greifswald sowie fünf                      mehrt massive Algenblüten auf, die von marinen
weitere Mitglieder aufgenommen: das Forschungs-                       Bakterien schnell abgebaut werden. Dieser für den
zentrum Küste, die Bundesanstalt für Geowissen-                       globalen Kohlenstoffkreislauf wichtige Prozess und
schaften und Rohstoffe (BGR), das Bundesamt für                       vor allem die Polysaccharide, also die Mehrfach-
Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das Deut-                      zuckerverbindungen, werden von der Forschungs-

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Panorama

gruppe POMPU untersucht. Dazu nehmen die For-          Genomics of Microbes, dem Leibniz-Institut für
schenden Meerwasserproben. Ihr Ziel ist, Genome        Plasmaforschung und Technologie sowie dem Fried-
und Proteine maritimer Bakteriengemeinschaften         rich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems wird mit
zu bestimmen und ihre Enzymfunktionen sowie An-        dem neuen Institut die in Greifswald bereits beste-
passungsmechanismen aufzuklären. Dadurch sol-          hende Spitzenforschung ergänzt. In Anbetracht neu-
len bisher weitgehend unbekannte Mechanismen           er Herausforderungen für das Gesundheitssystem,
erklärt werden, um die Funktion der Meere als „bio-    insbesondere im Bereich der Infektionsforschung,
logische Pumpe“ im Zeitalter der Klimaerwärmung        soll das Institut als Außenstelle des Helmholtz-Zen-
besser zu verstehen. (s. auch Artikel S. 12) •         trums für Infektionsforschung in Braunschweig die
                                                       Infektionsbiologie in Deutschland deutlich voran-
                                                       bringen. Durch die Bundes- und Landesförderung
                                                       wird außerdem „die Voraussetzung geschaffen, sich
Jean-Monnet-Lehrstuhl im                               erfolgreich an nationalen Exzellenzforschungspro-
Bereich Geld und Währung                               grammen zu beteiligen“, so die Prorektorin der Uni-
                                                       versität, Prof. Dr. Katharina Riedel. •
Prof. Dr. Joscha Beckmann von der Rechts- und
Staatswissenschaftlichen Fakultät hat für die kom-     Citizen Science Projekt mit
menden drei Jahre einen Jean-Monnet-Lehrstuhl im
Bereich Geld und Währung inne. Die Fördersumme
                                                       UN-Dekade Biologische Vielfalt
von 50.000 Euro wird für Forschung und Lehre ein-      ausgezeichnet
gesetzt, die Herausforderungen für Europa in Zeiten
von Unsicherheit und Digitalisierung analysiert. So    Das Citizen Science Projekt „F.U.N.“ (Forschung, Um-
wird beispielsweise untersucht, welche Auswirkun-      weltbildung und Naturschutz) wurde Ende Septem-
gen der Brexit auf die Finanzwirtschaft hat. Die Eu-   ber 2019 von der UN-Dekade Biologische Vielfalt als
ropäische Kommission fördert mit den Jean-Mon-         offizielles Projekt ausgezeichnet. Die Zusammen-
net-Lehrstühlen weltweit qualitativ hochwertige        arbeit des Lehrstuhls für Angewandte Zoologie der
Lehre und Forschung zu Europa. Auch die Studieren-     Universität Greifswald und des Naturparks Nossen-
den profitieren direkt von dem Fördergeld: Sie konn-   tiner/Schwinzer Heide bringt Bürger*innen am Bei-
ten im Januar 2020 an einer kostenfreien Exkursion     spiel der Fledermäuse nahe, was Naturforschung
nach Frankfurt am Main zur Europäischen Zentral-       und Naturschutz bedeuten. Sowohl vor Ort an der
bank und zur Deutschen Bundesbank teilnehmen. •        Citizen-Science-Station in Wooster Teerofen als
                                                       auch online lädt das Projekt zur Partizipation ein.
                                                       Die Auszeichnung der Vereinten Nationen soll dem
                                                       Rückgang der Naturvielfalt entgegenwirken und den
                                                       Fokus auf die Biodiversität und damit verbundene
                                                       Chancen lenken. Der Greifswalder Oberbürgermeis-
                                                       ter Dr. Stefan Fassbinder übergab die Auszeichnung
                                                       an den Projektleiter Prof. Gerald Kerth und den Pro-
Foto: Ole Kracht

                                                       jektkoordinator Marcus Fritze, im Gegenzug erhielt
                                                       er einen Fledermauskasten. •
                                                        www.fledermausfun.de

Erstes Helmholtz-Institut
für Greifswald
Zur Stärkung des Wissenschaftsstandorts Greifs-
wald unterstützen der Bund und das Land Meck-
lenburg-Vorpommern die Etablierung eines neuen
Helmholtz-Instituts für den Bereich der Infektions-
forschung in Greifswald. Universität und Universi-
tätsmedizin begrüßen diese Entscheidung nach-          v.l.n.r.: Prof. Gerald Kerth, Dr. Stefan Fassbinder, Marcus Fritze
drücklich. Zusätzlich zum Center for Functional        Foto: Till Junker

                                                                                                                            7
1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Fokus Bioökonomie
    In Zeiten des Klimawandels, einer wachsenden Weltbevölkerung und
    eines dramatischen Rückgangs der Artenvielfalt müssen die biologi-
    schen Ressourcen der Erde effizient und nachhaltig genutzt werden.
    Dieses Ziel verfolgt die Bioökonomie, indem sie die Transformation zu
    einem nachhaltigen Wirtschaftssystem einfordert. Zur Umsetzung hat
    das Bundeskabinett im Januar 2020 die „Nationale Bioökonomiestra-
    tegie“ beschlossen. Bis 2024 will die Bundesregierung 3,6 Milliarden
    Euro in den Ausbau der Bioökonomie investieren. Damit der biobasier-
    te Wandel gelingen kann, ist aber auch die Einbindung der Gesellschaft
    zwingend erforderlich. Vor diesem Hintergrund fördert das „Wissen-
    schaftsjahr 2020 – Bioökonomie“ den Dialog zwischen Wissenschaft
    und Gesellschaft mit vielfältigen Diskussions- und Mitmachformaten.

    Bioökonomie ist auch ein neuer Schwerpunkt an der Universität Greifs-
    wald. Diese verfügt über umfangreiche Expertise in der Biotechnologie
    und Enzymkatalyse sowie bioökonomiebasierten Transformations-
    prozessen. Auch die Paludikultur spielt eine wichtige Rolle. Hierbei
    geht es um die landwirtschaftliche Nutzung wiedervernässter Moore.
    An zahlreichen Instituten und Partnerinstituten wird Grundlagenfor-
    schung und anwendungsorientierte Forschung zum Thema betrieben.
    In Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen und Startups wer-
    den die Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt. Gebündelt werden die
    Aktivitäten im Bündnis Plant³ mit über 60 Partnern aus Wirtschaft und
    Wissenschaft. Ziel ist es, auf Basis der Bioökonomie einen regionalen
    Strukturwandel im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern anzusto-
    ßen. Das Fokusthema stellt ausgewählte Visionen, Ideen und Projekte
                     vor, die zu diesem Wandel beitragen.

                            Von Julia Lammertz
                                                                             Foto: Till Junker

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1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Im Fokus

   Plant³ – Bioökonomie für
   den Strukturwandel in Nordost-
   deutschland

Im Gespräch mit Daniel Schiller, Bündnissprecher von
Plant³ und Professor für Wirtschafts- und Sozialgeographie
an der Universität Greifswald.

Julia Lammertz: Plant³ ist eines von 20 Innovationsbünd-
nissen, die sich in einem mehrstufigen Auswahlverfahren                                  Foto: Kilian Dorner
des BMBF aus über 100 Einreichungen durchsetzen konn-
ten. Wofür steht Plant³?
Daniel Schiller: Das Bündnis mit über 60 Partnern aus
Wirtschaft und Wissenschaft erarbeitet Strategien für die
Veredelung von pflanzenbasierten Rohstoffen in Nordost-
deutschland. Die Potenz Hoch 3 steht einerseits für die In-          Plant³ wird geführt von der Universität Greifswald, der
novationsfelder Land, Moor und Meer und andererseits für             Wirtschaftsfördergesellschaft Vorpommern und dem
die Erhöhung der Wertschöpfung durch Wissen (Forschung),                Wissenschafts- und Technologiepark Nord°Ost°
Innovation (Unternehmen) und (strukturellen) Wandel unter              (WITENO). Das BMBF fördert Plant³ im Programm
Beachtung der sozialökologischen Nachhaltigkeit.                      „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ bis
                                                                               2024 mit bis zu 15 Millionen Euro.
Was will das Bündnis erreichen?
Langfristiges Ziel von Plant³ ist, das östliche Mecklen-                                www.plant3.de
burg-Vorpommern als führende Bioökonomie-Region zu eta-
blieren und zugleich ein Vorbild für die nachhaltige Transfor-
mation ländlicher Räume zu schaffen.

Was passiert aktuell?                                            Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten in der Umset-
Bereits in der Konzeptphase von Plant³ gab es viele Projekt-     zung einer nachhaltigen biobasierten Wirtschaftsform? Wie
ideen. Die ersten sind zu Beginn des Jahres gestartet. Eine      nehmen Sie die Skeptiker mit?
Denkfabrik wird die Entwicklung neuer Wertschöpfungsket-         Wirtschaftsmodelle in der Bioökonomie sind noch zu wenig
ten wissenschaftlich begleiten und Impulse für die strategi-     erprobt, d. h. es müssen Erfolgsmodelle geschaffen werden,
sche Weiterentwicklung liefern. Das Projekt „Treibhaus“ wird     um Vertrauen in ein biobasiertes Wirtschaftssystem zu er-
u. a. Startups und etablierte Unternehmen dabei unterstüt-       zeugen. Zugleich haben kleine Unternehmen im ländlichen
zen, Innovationsprozesse zu optimieren. In den Innovations-      Raum wenig Mittel für Innovationen. Es fehlt ihnen an Geld
feldern Moor und Meer sind die ersten Forschungs- und Ent-       und personellen Ressourcen, aber auch an Erfahrung. Unser
wicklungsprojekte beantragt, weitere sind in Vorbereitung.       Ziel ist daher auch, die Innovationsfähigkeit der Unterneh-
Neben der Mitgliedergewinnung ist es überaus wichtig das         men durch Vernetzung und Austausch sowie durch Weiter-
Thema in die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu         bildung in Form von Workshops oder Innovationsforen zu
tragen. Große Unterstützung leistet hier das Wissenschafts-      stärken.
jahr 2020 – Bioökonomie. Es erzeugt eine große Dynamik für
die Kommunikation des Themas und gibt uns insbesondere           Was ist Ihre ganz persönliche Vision von Bioökonomie?
die Möglichkeit, mit eigenen Veranstaltungen viele Syner-        Der Wandel kann nur gelingen, wenn wirtschaftliche Poten-
gien zu nutzen. Aktuell planen wir für das Wintersemester        ziale und Ziele mit ökologischer Nachhaltigkeit verbunden
eine Bioökonomie-Vortragsreihe im Krupp-Kolleg, deren fes-       werden und dabei die Gesellschaft einbezogen wird. Dafür
ter Bestandteil auch ein Bürgerforum ist. Und natürlich freu-    müssen die Chancen, aber auch die Risiken der Bioökonomie
en wir uns auf den BioÖkonomie-Podcast „FaktenSammler“           mit verschiedenen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft,
der Pressestelle.                                                Politik und Gesellschaft diskutiert werden. •

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1456 CAMPUS - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Land und
     Bioökonomie
     Von Volker Beckmann

Land ist eine Schlüsselressource der
biobasierten Wirtschaft. Terrestrische
Ökosysteme beherbergen über 80 % der
weltweiten Biomasse. Eine Wirtschaft,
die weitgehend auf fossile Energie- und
Rohstoffquellen verzichten will, muss
angesichts begrenzter Flächen neue
Wege finden, biologische Ressourcen,
Prozesse und Systeme produktiv und
nachhaltig zu nutzen und innovativ zu
erschließen.

Weltweit werden aktuell etwa 37 %
der Fläche landwirtschaftlich genutzt,
mit steigender Tendenz. Davon sind
ca. 70 % Weiden und 30 % Ackerland.
Das Ackerland wird hauptsächlich zur                                                    Schilfernte in den Niederlanden | Foto: Sabine Wichmann

Futtermittelproduktion      verwendet.
Neben der Nahrungsproduktion wird            schaftslehre und Landschaftsökono-           Erlebnis- und Lernorten im ländlichen
eine wachsende Fläche für die Produk-        mie, geleitet von Prof. Dr. Volker Beck-     Raum. Neben wissenschaftlichen Po-
tion von Energie und zur stofflichen         mann, befasst sich mit der Ökonomie          tenzialanalysen setzt das Projekt mit
Nutzung gebraucht. Ebenfalls steigend        und Politik der nachhaltigen Nutzung         Stakeholder- und Szenarienworkshops
sind Siedlungs- und Verkehrsflächen,         von Land und natürlichen Ressourcen          sowie Pilotprojekten konkrete Impul-
die weltweit jedoch nur 1,5 % der Land-      sowie des Natur-, Umwelt und Klima-          se für eine Stärkung der nachhaltigen
fläche einnehmen. Nur noch 29 % der          schutzes im regionalen, nationalen           Bioökonomie in Vorpommern.
terrestrischen Fläche sind Wälder mit        und internationalen Rahmen. Ein For-
unterschiedlicher Nutzungsintensität         schungsschwerpunkt ist die Erschlie-         Einen weiteren Forschungsschwer-
und 32 % weitgehend ungenutzt.               ßung von biobasierten Wertschöp-             punkt stellt die nachhaltige Nutzung
                                             fungsketten in Stadt-Land-Kontexten.         von Schilf dar. Nationale und interna-
Bioökonomie, verkürzt verstanden als                                                      tionale Forschungsprojekte zur Öko-
eine Ausdehnung und Intensivierung           In Mecklenburg-Vorpommern erfolgt            nomie der Schilfnutzung zeigen, dass
der land-, forst- und fischereiwirtschaft-   vorwiegend landwirtschaftliche Roh-          die weltweit verbreitete Feuchtgebiets-
lichen Nutzung, gerät zunehmend in           stoffproduktion, während Verarbei-           pflanze ein hohes Verwertungspoten-
Konflikt mit Zielen des Natur-, Umwelt-      tung und Veredlung außerhalb des             zial besitzt. Neben der traditionellen
und Klimaschutzes. Es kommt deshalb          Bundeslandes geschieht. Das Projekt          Nutzung zur Reetdachdeckung, zur
darauf an, die Bioökonomie so zu ge-         Vorpommern Connect (www.vorpom-              Papierherstellung und als Baumaterial
stalten, dass brachliegende Potenziale       mern-connect.de) untersucht die Mög-         sind auch neue Nutzungen wie die Her-
genutzt, Produktivität umweltfreund-         lichkeiten, biobasierte regionale Wert-      stellung von Verbundplatten, Bioplas-
lich erhöht und Zielkonflikte zwischen       schöpfungsketten in Vorpommern zu            tik und Heizpellets möglich. Besonders
Schutz und Nutzung, zwischen Nah-            stärken. Im Fokus stehen Produktion,         relevant ist, dass die Nutzung kaum in
rungsmittel-, Rohstoff- und Energieer-       Verarbeitung und Vertrieb regiona-           Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduk-
zeugung aus landbasierter Biomasse           ler Lebensmittel, die Verwertung von         tion steht und oft mit Natur-, Umwelt-
soweit wie möglich entschärft werden.        Energiebiomasse aus wiedervernäss-           und Klimaschutzzielen vereinbar ist. •
Der Lehrstuhl für Allgemeine Volkswirt-      ten Mooren und die Entwicklung von

10
Im Fokus

                                                                                                                        alles optimal und ökonomisch effizient
                                                                                                                        verläuft, untersucht das Verbundpro-
    Bioökonomie                                                                                                         jekt BonaMoor. Bau- und Dämmstoffe
                                                                                                                        aus Rohrkolben entwickelt das Unter-
    aus dem Moor
                                                                                                                        nehmen Wetland Products in Kamp (Lk
     Von Nina Körner und Franziska Tanneberger                                                                          Vorpommern-Greifswald). Zum Anbau
                                                                                                                        von Rohrkolben forscht das Verbund-
                                                                                                                        projekt Paludi-PRIMA, das 2019 eine 8
                                                                                                                        ha große Pilotfläche bei Neukalen (Lk
Schilf, Rohrkolben, Torfmoose – an                        neuer Torf gebildet und Fläche erhalten.                      Mecklenburgische Seenplatte) angelegt
nasse Bedingungen angepasste Moor-                        Und wiedervernässte Moore können                              hat. Wie Torfmoose kultiviert werden
pflanzen können nachwachsende Roh-                        gleichzeitig für Land- oder Forstwirt-                        und einen nachwachsenden Ersatz für
stoffe für Bau-, Heiz- oder Verpackungs-                  schaft genutzt werden. Diese Lösung                           den Torf im Erwerbsgartenbau liefern
materialien, für Futter oder Torfersatz                   heißt Paludikultur. Das Greifswald Moor                       können, war Gegenstand mehrerer Pro-
liefern. Sie sind daher im moorreichen                    Centrum (GMC) treibt die Entwicklung                          jekte der Universität Greifswald. Derzeit
Norddeutschland ein Grundstoff für                        dieser vielversprechenden Form nach-                          beschäftigt sich das Verbundvorhaben
die Bioökonomie. Allerdings sind hier                     haltiger Landnutzung in zahlreichen                           Mooszucht damit, das „Supermoos“ für
die meisten Moore durch künstliche                        Forschungs- und Umsetzungsprojekten                           eine industrielle Substratherstellung zu
Entwässerung für die land- oder forst-                    voran.                                                        finden. Als Ausgründung der Greifswal-
wirtschaftliche Nutzung degradiert und                                                                                  der Forschungsprojekte hat 2018 die
verursachen sehr hohe Treibhausgas-                       Ein traditionelles Beispiel ist die Nut-                      PaludiMed GmbH im Breesener Moor im
emissionen. Obwohl entwässerte Moore                      zung von Schilf für Rohrdächer. Gerade                        Biosphärenreservat Schaalsee die euro-
in ganz Deutschland nur 7 % der land-                     im ländlichen Raum entstehen heute                            paweit größte Anbaufläche für den in Eu-
wirtschaftlichen Fläche ausmachen,                        aber auch neue Arbeitsplätze und inno-                        ropa gefährdeten und unter Naturschutz
verursachen sie 37 % der Treibhausgas-                    vative Produkte: So versorgt in Malchin                       stehenden Sonnentau angelegt. Diesen
emissionen der Landwirtschaft.                            (Lk Mecklenburgische Seenplatte) das                          kultiviert sie dort zur medizinischen und
                                                          weltweit erste Heizwerk für Biomas-                           pharmazeutischen Verwendung. Die Ex-
Nasse Moore und wiedervernässte Flä-                      se aus wiedervernässtem Niedermoor                            pertise der bisherigen Forschung und
chen dagegen speichern Kohlenstoff                        über 500 Haushalte sowie kommu-                               das Potenzial der wirtschaftlichen Nut-
und sind damit effektive Klimaschüt-                      nale Gebäude dezentral mit Wärme.                             zung von Mooren fließen ein in Plant³.
zer. Statt zu degradieren wird auf ihnen                  Wie von der Ernte bis zur Verbrennung                         Dort ist die Paludikultur eine von drei
                                                                                                                        Säulen, die durch innovative Forschung
                                                                                                                        und Entwicklung zum biobasierten
                                                                                                                        Strukturwandel in Nordostdeutschland
                                                                                                                        beitragen soll.

                                                                                                                        Verpackungen, Einweggeschirr, Laminat
                                                                                                                        – damit diese und die oben genannten
                                                                                                                        Produkte bioökonomisch durchstarten
                                                                                                                        können, müssen politische und rechtli-
                                                                                                                        che Rahmenbedingungen stark verbes-
                                                                                                                        sert werden. Dafür kämpft das GMC zu-
                                                                                                                        sammen mit Paludikultur-Unternehmen
                                                                                                                        auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. •

                                                                                                                               www.greifswaldmoor.de
                                                                                                                                 www.moorwissen.de

Rohrkolbensetzlinge zur Pflanzung auf der Pilotfläche des Paludi-PRIMA-Projektes bei Neukalen. | Foto: lensescape.org

                                                                                                                                                               11
Zucker aus
         dem Meer
          Von Thomas Schweder

     Unser Planet ist zu mehr als 70 % von                     satz für wegfallende Arbeitsplätze in der
     Wasser bedeckt. Daher ist es wenig ver-                   Küstenfischerei wurde dort ein Algen-ba-
     wunderlich, dass marine Ökosysteme                        sierter Wirtschaftszweig initiiert. Auch die
     maßgeblich unser Leben bestimmen. So                      Ostsee bietet hier Potenzial. Plant³ hat
     sind unsere Weltmeere nicht nur wichti-                   sich daher zum Ziel gesetzt, dieses bis-
     ge Wasserstraßen für den globalen Han-                    her ungenutzte Potenzial auszuschöpfen
     del, sondern liefern uns auch Nahrung,                    und regionale Konzepte zur nachhaltigen
     Energie und Rohstoffe, während unsere                     biotechnologischen Nutzung von Algen
     Küsten wichtige Naherholungsgebiete                       zu entwickeln.
     sind. Darüber hinaus produzieren die
     Meere schätzungsweise 70 % des ge-                        Marine Algen enthalten hochwertige
     samten Sauerstoffs auf unserem Globus.                    biotechnologisch relevante Zuckerver-
     Verantwortlich dafür sind marine Algen                    bindungen. Im Plant3-Verbundprojekt
     – vornehmlich mikroskopisch kleine Mik-                   „MarZucker“ liegt der Schwerpunkt auf
     roalgen, aber auch größere Makroalgen.                    diesen wertvollen marinen Zuckerver-
     Algen können vor allem in den nähr-                       bindungen. Greifswalder und Rostocker
     stoffreichen Küstenregionen der Ozea-                     Forschende der Biologie, Biochemie
     ne in massiven Blüten auftreten, wobei                    und Biotechnologie wollen Verfahren
     erhebliche Mengen an Biomasse produ-                      zur Kultivierung regional vorkommen-
     ziert werden. Solche Algenblüten werden                   der mariner Algen entwickeln, um damit
     durch anthropogenen Nährstoffeintrag                      langfristig in der Region Algenbiomasse
     (etwa Düngemittel aus der Landwirt-                       zu gewinnen. Für die zukünftige indus-
     schaft) und durch den Klimawandel wei-                    trielle Erschließung der wertvollen Al-
     ter verstärkt und können in touristisch                   genzucker sind neue Enzymverfahren
     genutzten Küstenregionen durch die                        erforderlich. Solche Verfahren werden
     Verunreinigung der Strände problema-                      in Kooperation mit dem regionalen Un-
     tisch sein. Das schnelle und anspruchs-                   ternehmen Enzymicals AG entwickelt.
     lose Wachstum dieser Algen bietet aber                    Wichtige Vorarbeiten für dieses ange-
     auch Chancen für neue Verwertungs-                        wandte Forschungsprojekt entstammen
     konzepte, denn Algen sind reich an wert-                  der DFG-geförderten Forschungsgruppe
     vollen Inhaltsstoffen wie beispielsweise                  POMPU (FOR 2406), die grundlegende
     Gel-bildenden Polysacchariden oder                        Mechanismen des marinen Polysaccha-
     ungesättigten Fettsäuren. Ihre Nutzung                    ridabbaus untersucht. Die Ergebnisse der
     als nachwachsende Biomasse-Ressource                      Grundlagenforschung sollen innerhalb
     für die Gewinnung von Inhaltsstoffen wie                  von Plant³ in Verwertungsstrategien und
     Zuckern und Fetten sowie als Grundlage                    praktische Anwendungen überführt wer-
     für alternative Nahrungs- und Futtermit-                  den. Denkbar ist der Einsatz der aus dem
     tel hat in den vergangenen Jahrzehnten                    Meer gewonnenen Algen-basierten und
     weltweit an Bedeutung gewonnen. Vor                       maßgeschneiderten Zucker als Feinche-
     allem in Frankreich konnte eine Vielzahl                  mikalien, als analytische Referenzche-
     neuer Nutzungsformen auf der Basis                        mikalien bzw. in der pharmazeutischen
     mariner Algen etabliert werden. Als Er-                   Industrie sowie als Präbiotika. •
     Foto oben: Das Mikrobiom der Algenblüte: Polysaccharid-abbauende Bakterien (grün) an der Kieselalge
     Chaetoceros sp. | Foto: I. Bakenhus/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
     Foto links: Aus der Grünalge Ulva sp. kann das biotechnologisch interessante Polysaccharid Ulvan
     gewonnen werden | Foto: Thomas Wilfried

12
Im Fokus

   Wissen für die Ohren –
   Uni Greifswald ist Förderprojekt
   beim Wissenschaftsjahr 2020
   Von Hannah Weißbrodt

Flugzeugtreibstoff aus Algen, Turnschu-    Wissenschaft angeregt werden. Inhalt-                    nachhaltigen Wirtschaftsweise mit sich
he aus Pilzleder, Jacken aus künstlicher   lich liegt der Fokus auf gesellschaftsre-                bringt. Dabei ist das digitale Hörfor-
Spinnenseide: Das sind schon heute         levanten Zukunftsthemen. Vor diesem                      mat ideal, um Wissen auf Augenhöhe
konkrete Anwendungen, die sich aus der     Hintergrund fördert das BMBF jedes                       zu kommunizieren. Ob gemütlich auf
Bioökonomieforschung entwickelt ha-        Jahr innovative Projekte aus der Wissen-                 dem Sofa, auf dem Weg zur Arbeit oder
ben, wie der Trailer zum Wissenschafts-    schaftskommunikation. Die Presse- und                    beim Kochen, Podcasts können von
jahr 2020 – Bioökonomie zeigt.             Informationsstelle der Uni Greifswald                    überall gehört werden. Personen, die
                                           hat ein Konzept für eine Podcast-Reihe                   Podcasts hören, haben alle räumlichen
Doch was sind die Wissenschaftsjahre       zum Thema Bioökonomie eingereicht                        oder zeitlichen Freiheiten. Dies ist ein
und welches Ziel wird mit ihnen ver-       und wurde aus über 90 Projektideen                       großer Vorteil gegenüber klassischen
folgt? Die Wissenschaftsjahre sind eine    ausgewählt.                                              Vermittlungsformaten. Die Hörerschaft
gemeinsame Initiative des Bundesmi-                                                                 kann die Inhalte des Podcasts außer-
nisteriums für Bildung und Forschung       Ziel des Podcasts „FaktenSammler“ ist                    dem aktiv mitgestalten. Über ein Kon-
(BMBF) und Wissenschaft im Dialog          es, allen Interessierten grundlegende                    taktformular, das auf der projekteige-
(WiD). Sie werden seit dem Jahr 2000       und interessante Fakten zu diesem For-                   nen Website eingerichtet wird, können
ausgerichtet. Als zentrales Element der    schungs- und Innovationsfeld zu vermit-                  Fragen ebenso wie Kommentare formu-
Wissenschaftskommunikation haben           teln. Dazu werden sowohl Forschende                      liert werden. Diese fließen dann in die
die Wissenschaftsjahre das Ziel, For-      unserer Universität, als auch weitere                    weiteren Folgen mit ein. Es bleibt also
schungsthemen allgemeinverständlich        Akteure, z. B. aus der Wirtschaft, zu Wort               spannend, welche der vielen Facetten
durch Diskussions- und Mitmachfor-         kommen. Der Podcast wird sowohl die                      der Bioökonomie in den acht Episoden
mate in die Gesellschaft zu tragen und     Chancen der Bioökonomie, als auch                        besonders in den Fokus rücken. •
sichtbar zu machen. Damit soll der Dia-    die großen Herausforderungen in den
log und Austausch über Forschung und       Blick nehmen, die der Wandel zu einer                     www.uni-greifswald.de/faktensammler

              PODCAST

    Der monatliche Bioökonomie-
     Podcast „FaktenSammler“
          startet im Mai!

     Mehr zum Wissenschaftsjahr
        2020 – Bioökonomie:
      www.wissenschaftsjahr.de

         #DasistBioökonomie

                                              Das FaktenSammler-Team v.l.n.r.: Jeannette Schütze, Hannah Weißbrodt, Jan Meßerschmidt (alle Presse- und
                                                    Informationsstelle), Julia Lammertz (Zentrum für Forschungsförderung und Transfer) | Foto: Ole Kracht

                                                                                                                                                      13
Von Merete Peetz

Forschungsprojekt untersucht Todesfälle
bei Fluchtversuchen über die Ostsee

Am 13. August 1961 gab es einen tiefen                                                                      punkt für den „ungesetzlichen Grenz-
und folgenreichen Einschnitt in der Ge-                                                                     durchbruch“ war die Ostseeküste. War
schichte der DDR. An diesem Tag wurde                                                                       das enge Kontrollnetz an der Küste, die
die DDR nach Westen hin abgeriegelt.                         ZEITZEUGENKONTAKT                              sogenannte „unsichtbare Mauer“ über-
Dadurch wurde seine Bevölkerung zum                                                                         wunden, bedeutete dies jedoch noch
Verbleib in diesem Staat gezwungen.                       Um die Schicksale der Opfer                       nicht den Erfolg der Flucht. Die nächs-
Wer das Land dennoch verlassen woll-                   nachzuzeichnen und sie dadurch                       te, viel riskantere Hürde war die Ostsee
te, erlitt in der Regel Repressionen un-               vor dem Vergessen zu bewahren,                       selber. Bis zur Bundesrepublik oder zur
terschiedlichster Art. Der Wunsch nach                  werden beständig Zeitzeugen                         Südküste Dänemarks mussten mehrere
freier Entfaltung veranlasste Einige                    sowie Angehörige gesucht, die                       Seemeilen überwunden werden. Dies
dazu, aus der DDR zu fliehen. Die Flucht-               mit persönlichen Erinnerungen                       geschah oft mit simplen Wasserfahr-
wege waren vielfältig: Es wurden Tun-                    zur Aufarbeitung des Themas                        zeugen, welche die Küstenbewachung
nel unter der Berliner Mauer gegraben,                            beitragen.                                nur schwer entdecken konnte. Solche
durch streng überwachte Grenzgebiete                                                                        Fluchthilfen hielten den Naturgewalten
nach Westdeutschland hin wurde aus-                                Kontakt:                                 der offenen See meist nicht stand.
gebrochen und auch ein Urlaub in den                            merete.peetz@
mit der DDR befreundeten Ostblock-                            uni-greifswald.de;                            Nach dem bisherigen Kenntnisstand
staaten war oft Beginn einer Flucht in                      Telefon 03834 420 3157                          wagten etwa 5600 Personen diesen
die westlichen Staaten. Ein weiterer,                                                                       riskanten Fluchtweg. 80 % von ihnen
bisher weniger erforschter Ausgangs-                                                                        wurden bereits beim Versuch verhaf-

                          Tagesrapport des Volkspolizeikreisamtes Bad Doberan | Quelle: Landesarchiv Greifswald Rep. 202, Bad Doberan, Nr. 16, ODH146/88, Blatt 3

14
Forschung

tet, etwa 16 % ist die Flucht gelungen                   fältigen Archivlandschaft – vor allem in
und mindestens 174 Menschen fanden                       den kleinen Archiven Mecklenburg-Vor-
bei ihrem Fluchtversuch den Tod. Die                     pommerns – über Durchsichten von
Leichen der Flüchtlinge wurden an die                    Sterbebüchern der küstennahen Stan-
Strände zwischen Fehmarn, Rügen und                      desämter bis hin zu Anfragen nach Er-
Dänemark gespült oder mit Fischernet-                    mittlungsakten bei der Staatsanwalt-                   Das Forschungsprojekt „Todesfälle
zen aus dem Meer geborgen.                               schaft. Solche schriftlichen Quellen                   bei Fluchtversuchen über die Ost-
                                                         sind häufig verwaltungstechnischer                     see“ ist Teil des Verbundprojektes
Seit Anfang Juli 2019 untersucht ein                     Art. Sie verraten meist nur wenig über                    „Grenzregime. Todesfälle bei
Forschungsteam am Institut für Politik-                  die Persönlichkeit und Motivationen                     Fluchtversuchen und Rechtsbeu-
und Kommunikationswissenschaft un-                       der Betroffenen. Eine weitere wichtige                  gung gegen Ausreisewillige“, das
ter der Leitung von Prof. Dr. Hubertus                   Quelle für das Projekt sind daher Zeit-                  gemeinsam mit der Freien Uni-
Buchstein diese Todesfälle. Das Ziel des                 zeugen oder Angehörige. Sie können                     versität Berlin und der Universität
Projektes ist es, die Schicksale der Op-                 über Vermisstenfälle berichten, die sich                 Potsdam durchgeführt wird. Es
fer in einem biographischen Band nach-                   oft als Todesopfer erweisen. Zeitzeugen                 wird vom Bundesministerium für
zuzeichnen und sie dadurch vor dem                       und Angehörige sind außerdem sehr                      Bildung und Forschung gefördert.
Vergessen zu bewahren. Die Ermittlung                    wichtig, um den Lebensweg der Verun-                   Das Projekt läuft bis Oktober 2022.
der Todesopfer ist sehr arbeitsintensiv.                 glückten zu rekonstruieren. •                              www.eiserner-vorhang.de
Sie reicht von Recherchen in einer viel-
                                                                                                                Das Greifswalder Forschungsteam
                                                                                                                   besteht aus Dr. Jenny Linek,
                                                                                                                Merete Peetz und Henning Hoch-
                                                                                                                 stein sowie zwei studentischen
                                                                                                                           Hilfskräften.
   1966 im großen Belt,                     1969 am Strand                         1962 am Strand
  2 Seemeilen südöstlich                südlich von Vantore, DK                      von Prerow
vom Leuchtturm „Hov Fyr“

Orte der Leichenbergung bei Fluchtversuchen tödlich verunglückter Personen (1961–1989). Karte: M. Peetz 2020.

                                                                                                                                                      15
Von Gerhard Weilandt

Forschende entwickeln
virtuelles Raum-Zeit-Modell
der historischen Metropole Nürnberg

     Das Caspar-David-Friedrich-Institut der Universität Greifs-     konnten die zerstörten Häuser vergleichsweise detailliert re-
     wald war in den Jahren 2016 bis 2018 in das Projekt TOPO-       konstruiert werden. Auf eine farbige Rekonstruktion der Fas-
     RAZ – Topographie in Raum und Zeit eingebunden. Unter           saden wurde bewusst verzichtet, da die Quellen dafür nicht
     der Leitung des Leibniz-Instituts FIZ Karlsruhe entwickelten    ausreichen. Darüber hinaus sind nicht alle Häuser Nürnbergs
     Forschende aus verschiedenen Disziplinen ein virtuelles         in Zeichnungen oder Fotos überliefert. Das betrifft insbeson-
     Raum-Zeit-Modell der historischen Metropole Nürnberg.           dere die kleinen und engen Nebengassen. In diesen Fällen
     Dieses ist bislang national wie international ohne Vergleich.   werden vereinfachte 3D-Modelle in TOPORAZ eingestellt,
                                                                     wobei immer die Möglichkeit besteht, bei neuen Funden die
                                                                     schlichten Fassaden durch präzisere Modelle zu ersetzen. Es
                                                                     gibt fünf Levels of Detail (LoD A-E) von einer einfachen, nur
Am Beispiel des zentralen Platzes der Stadt Nürnberg – des           die Kubatur anzeigenden Kiste in Grundstücksgröße bis zum
Hauptmarkts – schufen die Forschenden erstmals wissen-               detailliert ausgearbeiteten Modell mit Fassade, Nebengebäu-
schaftlich fundierte 3D-Modelle in vier Zeitstufen vom Barock        den und Innenhöfen.
bis in die Gegenwart. Sie sind vollständig georeferenziert und
mit einer Datenbank verknüpft, für die historische Quellen –         Die an die 3D-Modelle angeschlossene Datenbank enthält alle
Texte, Bilder und Karten – neu erschlossen und eingepflegt           verfügbaren Quellen zu den Objekten (öffentliche Bauten, Pri-
wurden. So wurde es möglich, die Entwicklung dieses Stadt-           vathäuser, Plätze etc.) von den Anfängen der Überlieferung im
raums von den Anfängen bis zur weitgehenden Zerstörung               Mittelalter bis heute. Die Informationen betreffen auch deren
der Altstadt im Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus zu do-          Bewohnende und Nutzende, ihre familiären, beruflichen und
kumentieren und anschaulich darzustellen.                            sozialen Verflechtungen. Die virtuelle Forschungsumgebung
                                                                     wird so zur Plattform für die Zusammenführung von hetero-
Die digitale Rekonstruktion ist mit vielen Herausforderungen         genen Forschungsdaten aller historischen Disziplinen. Sie un-
konfrontiert, wenn man sie wissenschaftlich absichern und            terstützt damit das vernetzte transdisziplinäre Arbeiten. Die
nicht nur auf eine vage Anschaulichkeit reduzieren will. Von         meisten in TOPORAZ enthaltenen Daten sollen unter freien
den historischen Gebäuden des Hauptmarktes waren nur die             Lizenzen zur Nachnutzung zur Verfügung stehen, eine zen-
platzbeherrschende Frauenkirche und ein einzelnes Gebäude            trale Voraussetzung für die Umsetzung einer Open-Science-
als Ruinen erhalten. Sie reichten jedoch aus, einen verläss-         Strategie, die erst eine breite Nutzung ermöglicht. Im März
lichen Maßstab für die Dimensionen der anderen Gebäude               2020 ist das Nachfolgeprojekt TRANSRAZ (Laufzeit drei Jahre)
zu liefern. Diese wurden auf der Basis von Zeichnungen und           gestartet, in dem der Transfer von TOPORAZ in die breite An-
Druckgrafiken seit dem 16. Jahrhundert und Fotografien des           wendung erfolgt.
19. und frühen 20. Jahrhunderts rekonstruiert. Hinzu kamen
Bauakten des 19. Jahrhunderts mit zahleichen Grundrissen             Hier wird der innovative Ansatz erheblich erweitert. Die ge-
und Aufrissen. Im Allgemeinen und insbesondere für den               samte Altstadt Nürnbergs (ca. 3 000 Häuser, davon nur ca. 10 %
Hauptmarkt ist die Quellenlage in Nürnberg exzellent – das           bis heute erhalten) wird jetzt erfasst. Erst so können die
Stadtarchiv verfügt über einen riesigen Fundus von mehre-            übergreifenden Stadtstrukturen und die sozialen Netzwerke
ren 10 000 historischen Fotos und 75 000 Bauakten. Deshalb           Nürnbergs in den Blick treten. Dazu müssen – anders als im

16
Forschung

                                                                                                        Historische Fotografie
                                                                                                        des Nürnberger Haupt-
                                                                                                        marktes, ca. aus dem
                                                                                                        Jahre 1909
                                                                                                        Quelle: Stadtarchiv
                                                                                                        Nürnberg A 47/II Nr.
                                                                                                        KS-132-11

Vorprojekt – Big-Data-Methoden zur (teil-)automatischen        Die virtuelle Forschungsumgebung ermöglicht es, die Er-
Quellenerschließung angewandt werden, womit das Projekt        gebnisse wissenschaftlicher Forschung in anschaulicher
eine neue Ausrichtung im Sinne Künstlicher Intelligenz er-     Weise für interessierte Laien nutzbar zu machen und leistet
hält. Ferner sollen die georeferenzierten Daten mit externen   damit einen wichtigen Beitrag zum Erkenntnistransfer und
Datenquellen (Archivportal-D, Druckwerke) verknüpft und        zur Bildung. Grundsätzlich ist TRANSRAZ auf beliebige topo-
somit Teil eines weltweiten Netzwerks werden. Geplant ist      grafische Räume anwendbar und kann standardisierend für
die Erweiterung um eine Beteiligungsplattform im Sinne von     die raumbezogene Forschung wirken. Hieraus ergeben sich
Citizen Science, etwa durch die Möglichkeit, private Fotos     Perspektiven für die Nachhaltigkeit auch im außerakademi-
oder Urkunden in das Modell einzustellen.                      schen Bereich. •

                                                                                                        Der Nürnberger Haupt-
                                                                                                        markt im 3D-Modell
                                                                                                        der Zeitstufe um 1910
                                                                                                        Quelle: Toporaz/FIZ
                                                                                                        Karlsruhe

                                                                                                                            17
Von Steffen Fleßa                                                                                    zu reagieren, steigt mit der Häufigkeit
                                                                                                     des Eintritts derartiger Risiken und
                                                                                                     damit der Fallzahl. Dementsprechend

Krankenhäuser                                                                                        zeigen die meisten – wenn auch nicht
                                                                                                     alle – Studien eine signifikante Korre-

im ländlichen Raum                                                                                   lation von Volumen und Outcome der
                                                                                                     Behandlungen im Gesundheitswesen.
                                                                                                     Die Vorteile der Zentralisierung gehen
                                                                                                     mit einer schlechteren Erreichbarkeit
Krankenhäuser leisten einen wichtigen                    nen einheitlichen Preis (G-DRG Entgelt)     einher. Problematisch ist hierbei, dass
Beitrag zur Gesundheitsversorgung der                    für einen bestimmten Fall unabhängig        die Entscheidungssituation häufig
Bevölkerung. Die Qualität der Leistun-                   von den Krankenhausspezifika vor-           nicht transparent ist und Diskussio-
gen sowie ein naher Standort stellen                     sieht, erhalten kleine und große bzw.       nen nicht auf Basis von Fakten geführt
deshalb für die Bevölkerung eine wich-                   städtische und ländliche Krankenhäu-        werden. Der Lehrstuhl für Allgemeine
tige Komponente ihrer Lebensqualität                     ser dasselbe Entgelt für dieselbe Leis-     Betriebswirtschaftslehre und Gesund-
dar. Wenn Fachabteilungen (z. B. Ge-                     tung. Damit sind die kleineren Häuser       heitsmanagement der Uni Greifswald
burtshilfe) oder ganze Krankenhäuser                     im ländlichen Raum systematisch             unterstützt derartige Entscheidungen
geschlossen werden, kommt es regel-                      benachteiligt und weisen ein höheres        durch modellgestützte Analysen rati-
mäßig zu Protesten und Bürgerinitia-                     Insolvenzrisiko auf. Eine Konzentration     onaler. In Kooperation mit der Com-
tiven, die für den Erhalt „ihres“ Kran-                  auf wenige Standorte in den Städten         munity Medicine wurde etwa für die
kenhauses kämpfen. Im Gegenzug zu                        ist eine logische Konsequenz der be-        Pädiatrie und Geburtshilfe des Kreis-
städtischen Ballungszentren, in denen                    stehenden Krankenhausfinanzierung.          krankenhauses Wolgast ein Modell
das Angebot an Krankenhausdienst-                        Weiterhin spricht der Übungseffekt für      entwickelt, das sowohl die Kosten als
leistungen kaum infrage gestellt wird,                   eine Konzentration auf wenige, größe-       auch die Erreichbarkeit für verschiede-
entwickelt sich bei der ländlichen Be-                   re Standorte. Häufig verrichtete Eingrif-   ne Zentralisierungsalternativen trans-
völkerung das subjektive Empfinden                       fe (z. B. eine Operation) führen zu einer   parent darstellt. •
einer Schlechterstellung.                                Reduktion der Arbeitszeit pro Prozess
                                                         und damit der Stückkosten. Darüber
Der Rückbau von Krankenhäusern hat                       hinaus impliziert eine höhere Fallzahl
ökonomische und qualitative Gründe.                      in der Regel eine Verbesserung der                      LITERATUR
Fixkostendegression, Größendegres-                       Qualität. Hierbei ist nicht nur die Qua-          Fleßa, Steffen. „Kleinere
sion und Verbundvorteile implizieren,                    lität des einzelnen Teilprozesses zu be-        Krankenhäuser im ländlichen
dass größere Krankenhäuser (gemes-                       achten, sondern vor allem die Qualität          Raum“, Springer Books (2020).
sen in Bettenzahl, Fallzahl, Case Mix)                   des Gesamtprozesses einschließlich
geringere Fallkosten haben als kleine-                   aller Risiken. Die Fähigkeit, auf Kom-           Die Abbildungen links zeigen
re. Da die Krankenhausfinanzierung ei-                   plikationen angemessen professionell             die Einzugssituation im Jahr
                                                                                                            2014 sowie bei einer Kon-
                                                                                                          zentration auf den Standort
                                                                                                        Greifswald. Ausgangspunkt war
                                                                                                          ein jährlicher Gesamtverlust
                                                                                                        aller drei Krankenhäuser in der
                                                                                                         Pädiatrie und Geburtshilfe von
                                                                                                          3,5 Mio. Euro. Durch die Kon-
                                                                                                         zentration kann der Verlust in
                                                                                                         einen Gewinn von 2 Mio. Euro
                                                                                                        gewandelt werden. Gleichzeitig
                                                                                                         steigt insbesondere für die Be-
                                                                                                        völkerung im östlichen Usedom
                                                                                                            die Distanz erheblich an.

Pkw-Erreichbarkeit der Krankenhäuser im Kreis Vorpommern-Greifswald (Berg, Radicke et al. 2019).

18
Lernen & Lehren

Von Jana Kiesendahl

#Digitale Lehre an der
Universität Greifswald
„Was verbinden Sie mit Digitalisie-
rung?“, fragten wir Greifswalder Leh-
rende bei einem Workshop zu digita-
ler Hochschullehre. Das Ergebnis war
ebenso heterogen wie die Lebensbe-
reiche, in denen uns Digitalisierung
begegnet. Dennoch gab es vier Begrif-
fe, die immer wieder genannt wurden:
Flexibilität, Spaß, Interaktivität und
Aufmerksamkeit. Digitale Lehrange-
bote schaffen für alle Beteiligten eine
örtliche und zeitliche Flexibilität. Sie
bieten hervorragende Möglichkeiten,
Interaktivität, Aufmerksamkeit und
                                            Foto: Julian Bota

Spaß in die (digitale und analoge) Lehr-
veranstaltung zu bringen und damit die
Lernbereitschaft der Studierenden zu
erhöhen, indem zum Beispiel Umfra-
gen, Wordclouds oder Quizfragen digi-
tal durchgeführt werden.                   talisierung in der Hochschullehre“ und      Die Universität Greifswald hat sich
                                           der Hochschuldidaktik, können sich          auf den (digitalen) Weg gemacht. Wir
Noch immer aber kommen digitale            Lehrende zu Themen wie Mobile Lear-         sollten aber bedenken: Lehrende und
Medien primär in Form von Power-           ning, Moodle, E-Portfolios, Webinare,       Studierende durchlaufen den digitalen
Point-Folien zum Einsatz. Moodle wird      Lehrvideos oder Urheberrecht in digi-       Wandel gemeinsam. Sie testen, modi-
kaum als umfangreiches Lernmanage-         talen Lernmodulen fortbilden.               fizieren, übernehmen oder verwerfen
mentsystem für kollaborative Textar-                                                   digitale Lehr-Lern-Formate. Der Dialog
beit, Abstimmungstools, interaktive        Ganz neu ist das eTutor*innen-Pro-          mit den Lernenden sollte in diesem
Videos, animierte Timelines oder Tests     gramm – ein Ausbildungsprogramm,            Wandelprozess einen hohen Stellen-
genutzt, sondern eher als „Handap-         bei dem studentische Hilfskräfte (nach      wert einnehmen und auch die Anerken-
parat“ für Texte und Dateien. Es geht      positiv beschiedenem Antrag) seit Fe-       nung digitaler Prüfungsformate ein Ziel
aber auch anders: Wir haben an der Uni     bruar 2020 geschult und begleitet wer-      sein, um zeitgemäß und dem Leitbild
eine Reihe an Projekten und engagier-      den, um Lehrende kompetent in ihrer         der Universität getreu exzellente Lehre
te Lehrende, die digitale Lehrszenarien    digitalen Lehrpraxis zu unterstützen.       anbieten zu können. •
einsetzen (möchten). So werden aktu-       Sie erwerben in Präsenz- und Online-
ell acht Projekte „Digitale Lehre in MV“   modulen Kenntnisse zur Funktionswei-
gefördert, die neben internationalen       se von digitalen Lehr-Lern-Instrumen-
Onlinekursen auch E-Portfolios, eine       ten, zu deren didaktisch sinnvollem           Weitere Informationen zu digitaler
Tierbestimmungs-App, Spielumgebun-         Einsatz sowie zur Begleitung individuel-         Lehre sowie Best-Practice-
gen und anderes entwickeln.                ler und kollaborativer Lernprozesse mit         Beispielen von Greifswalder
                                           digitalen Medien. Im Sommersemester                       Lehrenden
Mit der 2019 gegründeten Workshop-         2020 schließt sich die Praxisphase an,           www.uni-greifswald.de/
reihe „update_Lehre“, einer Koopera-       in der die eTutor*innen ihre Lehrkraft in               digitale-lehre
tion des interstudies_2-Projekts „Digi-    digitaler Lehre unterstützen.

                                                                                                                              19
Von Studierenden aus Greifswald und dem südlichen Afrika

Von Zulu-Kultur, Feldforschung
und Safari – ein Reisetagebuch
Vom 5. bis 11. September 2019 orga-       Paul eine Einführung in unser Untersu-     rück zur Unterkunft. Teamwork bei der
nisierte der Lehrstuhl für Physische      chungsgebiet und wir besprechen den        Arbeit mit großen Geräten ist wirklich
Geographie der Universität Greifswald     Plan für die kommenden Tage.               unabdingbar. Es macht großen Spaß.
gemeinsam mit der Universität Kwa-
Zulu-Natal eine durch den DAAD geför-      DAY                                        DAY

derte Sommerschule in Richards Bay,         2                                         5+6

Südafrika. Vier afrikanische und vier     Mehr Regen! Die Zulu-Kultur ist ein fes-   Unsere Gruppe erkundet heute den
deutsche Studierende wurden dazu          ter Bestandteil der südafrikanischen       Mzingazi See nahe unserer Unterkunft.
aus über 60 Bewerbungen ausgewählt.       Geschichte. Um diese besser kennen-        Mit Hilfe der lokalen Polizei beladen wir
Ziel der Sommerschule war es, Studie-     zulernen, fahren wir ins Shakaland, ei-    unser Boot und fahren auf den See. Wir
renden eine praktische Erfahrung in       nem Zulu-Museumsdorf. Hier zeigt man       nehmen mit verschiedenen Geräten
Beprobungs- und Bohrtechniken zu er-      uns die Traditionen der Zulu-Kultur und    Proben des Seebodens und -wassers.
möglichen. Diese Techniken werden oft     ihre Kampftechniken.                       Im Eifer des Gefechts vergessen wir
in den Geo- und Umweltwissenschaf-                                                   sogar die Mittagspause. An der tiefsten
ten eingesetzt. Die Teilnehmenden be-     Der Goedertrouw-Damm, unser nächs-         Stelle des Sees platzieren wir eine Ket-
kamen auch einen Einblick in die dorti-   tes Ziel, dient als Süßwasserspeicher.     te mit Temperatur-Loggern, die wir am
ge Kultur. Alle gemeinsam haben einen     Wir entscheiden uns, eine Probe für        Folgetag wieder bergen. Wir wollen her-
Blog über die Erlebnisse geschrieben.     spätere Wasseranalysen zu nehmen           ausfinden, ob der See unterschiedliche
Hier eine gekürzte Fassung:               und werden in das nötige Vorgehen          Temperaturen in verschiedenen Was-
                                          eingeführt. Der Tag vergeht schnell.       sertiefen hat. Aus den Aufzeichnungen
 DAY                                      Zurück in Richards Bay packen wir die      der Logger leiten wir ab, dass dies nicht
  1                                       Mietwagen. Morgen beginnt die eigent-      der Fall ist.
Regen, es schüttet aus Eimern! Wir –      liche Feldforschung. Wir sind sehr ge-
drei Geographiestudierende aus Greifs-    spannt.                                     DAY

wald: Caroline, Isabella und Marius,                                                   7

unser Fotograf Magnus und Dr. Finn         DAY                                       Um fünf Uhr morgens genießen wir
Viehberg – landen nach 20-stündiger        3+4                                       den Sonnenaufgang am Strand. Nach
Reise bei strömendem Regen auf dem        Strahlender Sonnenschein! Heute ist        dem Frühstück packen wir alle Gerä-
Flughafen von Durban. Hier treffen wir    unser Ziel eine trocken gefallene Bucht    te und Proben und fahren zum Fluss
Eugene (Uni Kapstadt, Südafrika) und      in der Nähe des Hafens von Richards        uMhlatuze. Die Gegend dort ist stark
Jeff (Copperbelt University, Sambia)      Bay. Hier werden uns verschiedene          vermüllt. Während eines kurzen Ar-
und fahren nach Richards Bay – dem        Bohrtechniken vorgestellt und es ge-       beitseinsatzes sammeln wir vier Müll-
Ziel unserer Reise.                       lingt uns einige Bohrkerne zu bergen.      säcke voll! Anschließend besuchen wir
                                          Anschließend „sprechen“ wir die Ker-       einen Mangrovensumpf im uMlalazi
Dort erwarten uns Prof. Torsten Haber-    ne an, das heißt wir bestimmen Far-        Naturreservat. Wir sehen Affen, Zebras,
zettl, Paul Mehlhorn (beide Dozenten      be, Kalkgehalt und Organismen. Mit         einen Bienenfresser und weitere be-
der Uni Greifswald), Moteng (Uni Wit-     Dr. Jemma Finch (Uni KwaZulu-Natal)        eindruckende Tiere. Mit dieser kleinen
watersrand, Südafrika) und Balemo-        sammeln wir Pollenproben und be-           Wildlife-Erfahrung endet unsere Som-
geng (Okavango Research Institute,        reiten diese auf (abends schauen wir       merschule und wir fahren zurück nach
Botswana). Nach einem kurzen Ken-         uns diese unter dem Mikroskop an!).        Durban, um unsere Flüge nach Hause
nenlernen geben uns Torsten, Finn und     Erschöpft aber zufrieden kehren wir zu-    zu erwischen. •

20
Lernen & Lehren

                                                             Die Studierenden neh-
                                                             men die Koordinaten
                                                             der Bohrung auf.

                                                             Alle Fotos:
                                                             Magnus Schult

Nach Abschluss der Sommerschule bekamen
alle Teilnehmenden ein Zertifikat.

                                            Den gesamten Blog und mehr
                                             Informationen zu Train-ME:
                                              geo.uni-greifswald.de/
                                                     trainme/

                                             Die Sommerschule fand statt
                                          im Rahmen des derzeit in der Phy-
                                          sischen Geographie angesiedelten
                                           internationalen Projekts TRACES
                                             (Tracing Human and Climate
                                            impacts in South Africa). Dieses
                                            wird durch das BMBF gefördert.

                                                                                21
Von Tiemo Timmermann

     CO2-Fußabdruck
     der Uni Greifswald
                                  Erster Nachhaltigkeitsbericht
      für 2016 (ohne UMG)         der Uni Greifswald erschienen

                                  Nachhaltige Entwicklung braucht klare      Nachhaltigkeitsgeographie wurden für
                                  Ziele, entschiedenes Handeln und eine      die Jahre 2011 und 2016 arbeitsaufwen-
                                  ordentliche Portion Beharrlichkeit. Der    dige Bilanzierungen erstellt, die eine
                                  erste Nachhaltigkeitsbericht der Univer-   Vorstellung von der Größe des CO2-Fuß-
                                  sität, im Oktober 2019 erschienen, gibt    abdrucks der Universität geben. Der er-
                                  einen systematischen, faktenreichen        mittelte CO2-Fußabdruck berücksichtigt
                                  und anschaulichen Überblick zum ak-        bisher den Primärenergieverbrauch für
                                  tuellen Stand der Nachhaltigkeit an der    Wärme und Strom, Dienstreisen und
                                  Universität und schafft damit Orientie-    Exkursionen sowie die Nutzung der
                                  rung für die nächsten Schritte.            Fahrzeuge des Fuhrparks. Wärmeerzeu-
                                                                             gung und Flugreisen stellen die größten
                                  In rund 90 Forschungsprojekten sowie       erfassten Quellen von CO2eq -Emissionen
                                  neun Studienprogrammen und einem           dar. Sie stehen daher im Fokus einer
                                  Graduiertenkolleg setzt sich die Uni-      Klimaschutzstrategie, die zurzeit an
                                  versität wissenschaftlich mit Prozessen    der Universität erarbeitet wird. Weitere
                                  und Bedingungen nachhaltiger Trans-        klimarelevante Emissionen (u. a. verur-
                                  formation auseinander oder entwickelt      sacht durch Universitätsländereien, Be-
                                  nachhaltige Verfahren in angewandten       schaffung, Gebäudemanagement, Ab-
                                  Projekten für den Transfer. Auch im        fall) sowie die Universitätsmedizin (UMG)
                                  täglichen Campusmanagement und in          bleiben bei der Bilanzierung derzeit
                                  der Universitätsverwaltung wird immer      noch ausgeklammert; sie sollen im
                                  stärker auf nachhaltige Lösungen ge-       nächsten Bericht einbezogen werden,
                                  setzt. Der Bericht listet hier Maßnahmen   dessen Publikation 2021 geplant ist. •

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                                  auf, die zu beeindruckenden Ergebnis-
                                  sen führten. So konnte durch den Um-        www.uni-greifswald.de/
                                  stieg auf emissionsarmen Ökostrom die      nachhaltigkeit
                                  CO2eq -Emissionen aus Strom und Wär-
T O N N E N                       me bereits im Jahr 2012 schlagartig um
                                                                                 t

CO2-Äquivalente                   64 % reduziert werden. Investitionen in    10000                         Fähre & Bus

                                  stromsparende LED-Beleuchtung und                                        Bahn
                                                                              9000
                                  moderne Lüftungstechnik verringerten

=                                 den Stromverbrauch der Zentralen Uni-
                                  versitätsbibliothek um 42 %. Auch beim
                                  Papierverbrauch sprechen die Zahlen
                                                                              8000

                                                                              7000
                                                                                                           PKW/Kleinbus

                                                                                                           Flugzeug

                                                                              6000                         Erdgas
                                  für sich. Der Gesamtpapierverbrauch
2 611 TONNEN
                                  sinkt kontinuierlich und zugleich wächst    5000                         Fernwärme
Strom und Wärme                   der Anteil von Recyclingpapier.
                                                                              4000                         Strom

1 030 TONNEN                      Klimaschutz hat für die Universität         3000
Dienstreisen und                  Greifswald einen besonderen Stellen-
                                                                              2000
Fuhrparknutzung                   wert, sie bekennt sich in ihrem Leitbild
                                  zum Ziel der CO2-Neutralität. Im For-       1000                     CO2-Fußabdruck der Uni Greifswald
                                                                                                       in 2011 und 2016 (ohne UMG,
Größte CO2eq-Emissionsquellen =   schungsprojekt „CO2-neutrale Uni“ so-          0                     jahresspezifische Emissionsfaktoren
Wärmeerzeugung und Flugreisen     wie durch zwei Masterarbeiten im Fach               2011    2016     nach Umweltbundesamt/ProBas)

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