1456 CAMPUS - Universität Greifswald

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1456 CAMPUS - Universität Greifswald
Magazin der Universität Greifswald

CAMPUS
                                                         Ausgabe 14/Oktober 2020

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                        1456

                            Corona-Uni:
                      Zeit des Wandels?

   Dinosauriern auf     Ergebnisse von Vor-   International Office
   der Spur             pommern Connect       startet Podcast
                                                                               1
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1456 CAMPUS - Universität Greifswald
Editorial

                                                                         Foto: Kilian Dorner
Liebe Leser*innen,
im März 2020 hatten wir noch die Hoffnung, dass die beginnende Corona-
Pandemie zwar das Sommersemester 2020 bestimmen würde, jedoch
spätestens im Wintersemester 2020/21 die Rückkehr zum „Normalbetrieb“
erfolgen könnte.

Nun wissen wir es besser und stellen uns angesichts der unverändert be-
drohlichen Entwicklung des Infektionsgeschehens auf ein weiteres pande-
miegeprägtes Semester ein. Wir haben jedoch in den vergangenen Mona-
ten aus den vielen neuen Erfahrungen mit Distanz in Forschung, Lehre und
Verwaltung gelernt und mit vereinten Kräften vieles auf den Weg gebracht,
was uns erwarten lässt, dass wir das Wintersemester trotz aller Einschrän-
kungen meistern werden. Wir ermöglichen Präsenz in Forschung, Lehre
und (akademischer) Selbstverwaltung soweit es eben geht, wir optimieren
die technischen Möglichkeiten und stellen zusätzliche finanzielle Mittel
für Betreuung zur Verfügung. Geleitet werden wir in all unserem Handeln
von dem Ziel, die Universität als einen sozialen Raum zu bewahren. Eine
Universität lebt von Begegnungen, sie ist ein Forum für den Austausch
von Wissen und neuen Ideen, von politischem, sozialem und kulturellem
Engagement.

Wie sehr soziale Begegnungen und sozialer Austausch eine Universität
prägen, zeigen die vielen Berichte in diesem Heft, die deutlich machen,
dass die Universität Greifswald seit März 2020 trotz aller Beschränkungen
nicht stillsteht – und weiterhin nicht stillstehen wird. Das ist nur möglich,
weil alle Mitglieder der Universität in hohem Maße dazu bereit waren und
sind, sich auf die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen einzustel-
len und nach Kräften dazu beitragen, dass wir unsere Aufgaben in Lehre,
Forschung, Transfer und Verwaltung erfüllen können. Die große Solidari-
tät in der Bewältigung der krisenhaften Entwicklung zählt für mich zu den
besten Erinnerungen an den Sommer und Herbst 2020.

Mit herzliche Grüßen

Ihre Johanna Weber | Rektorin

                                                                                                      3
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8           CORONA-UNI: ZEIT DES WANDELS?
Seite

        Panorama                      Lernen & Lehren                         Wissenschaft &
                                   19 Artenkenntnis digital
                                                                              Gesellschaft
06 Aktuelles aus der Universität
                                   20 Slawistikstudierende auf Spuren-   26   Auszeichnungen
                                      suche. Sowjetische Bildwelten           und Preise
        Im Fokus                      und Moderne
                                                                         28 Covid-19
08 Corona-Uni: Zeit des Wandels?   22 Exzellente Lehrpersonen               auf der Spur
                                      ausgezeichnet
                                                                         29 Impfstoff forschung
        Forschung                     Hochschulpolitik                      auf dem Riems

14 Raubdinosauriern                23 Zielvereinbarung zu neuen          30 Über eine digitale Bilderreise
   auf der Spur                       Studienangeboten an der
                                      Universität                        32 Vorpommern Connect – Ein
16 Warum Zellen ein eff izientes                                            Forschungsprojekt in der Region,
   Müllrecycling für Proteine      24 Neue Gesichter                        mit der Region, für die Region
   brauchen                           an der Universität

18 Digitalisierung und Zeit

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                                                                                          Inhalt

                                           14                                              36

                               26                                                         30

    Internationales                                 Alumni & Karriere
34 Erasmus zum Mitnehmen                        46 Gründungsideen
                                                   mit großem Potenzial
36 Internationale Partnerschaften
   im Profil                                    48 „Das Flair stimmte einfach“ – Inter-
                                                   view mit Alumna der Universität
37 Greifswald goes International –
   Der Podcast vom International Off ice

    Campus & Unileben
38 Geschichten                                        Das Redaktionsteam von
   aus dem Heimathafen                                 Campus 1456 wünscht
                                                      Ihnen viel Freude bei der
40 Von Improvisation                                          Lektüre!
   zu Innovation
                                                         Bleiben Sie gesund!
41 Kustodie erwirbt lange verschollen
   geglaubte Zeichnung

42 Fotogalerie

44 Zwei Bilder,
   zwei Geschichten

                                                                                                5
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Aufbau Nationaler Forschungs-                            versität aktiv. Wegen der Kontaktbeschränkungen
dateninfrastruktur mit                                   im Rahmen der Corona-Pandemie wurde die Sitzung
                                                         online abgehalten. Am Anfang der Senatssitzung
Greifswalder Beteiligung                                 dankte er seiner Vorgängerin, Prof. Dr. Maria-There-
                                                         sia Schafmeister, die den Senat seit September 2008
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz hat Ende           leitete. Die Wahl zum Senatsvorsitzenden erfolgte
Juni 2020 neun Konsortien für den Aufbau einer Nati-     zuvor als Briefwahl. •
onalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) auf der
Grundlage einer Begutachtung durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Förderung aus-          Uni Greifswald im inter-
gewählt. Die Fördersumme bis zum Jahr 2028 liegt
jährlich bei bis zu 90 Millionen Euro. Die Universität
                                                         nationalen THE-Ranking in der
Greifswald sowie die Universitätsmedizin sind an         Spitzengruppe
drei Konsortien beteiligt: NFDI4Cat für Wissenschaf-
ten mit Bezug zur Katalyse (Chemie, Prof. Dr. Uwe
Bornscheuer) sowie NFDI4Health für personenbezo-
gene Gesundheitsdaten (Medizin, Prof. Dr. Carsten
Oliver Schmidt und Prof. Dr. Dagmar Waltemath). Das
noch in Planung befindliche Herrenhauszentrum
Greifswald (Geisteswissenschaften, Prof. Dr. Kilian
Heck) wird im Falle seiner Realisierung am NFDI4Cul-      Foto: Till Junker

ture für Forschungsdaten zu materiellen und imma-
teriellen Kulturgütern beteiligt. Ziel der von Bund
und Ländern geförderten NFDI ist, die wertvollen
Datenbestände von Wissenschaft und Forschung für
das gesamte deutsche Wissenschaftssystem syste-
matisch zu erschließen, zu vernetzen und nachhaltig      Die Uni Greifswald erreicht im aktuellen Times High-
sowie qualitativ nutzbar zu machen. •                    er Education (THE) World University Ranking einen
                                                         Platz unter den 350 besten Universitäten der Welt
                                                         und gehört damit erstmals zu den 25 Prozent der
                                                         leistungsstärksten Universitäten. Ihr gelang damit
Senat unter neuem                                        eine Verbesserung um über 200 Plätze gegenüber
Vorsitzenden                                             dem Vorjahreszeitraum. In Deutschland belegt sie
                                                         Platz 32 und ist damit 9 Ränge weiter vorne als im
                                                         Vorjahr. THE gehört zu den renommiertesten Uni-
                                                         versitätsrankings. Besonders hervorgehoben ist die
                                                         Platzierung in der Kategorie Forschung mit Rang 259
                                                         bei den Zitationen als Maß für die wissenschaftliche
                                                         Relevanz einer Publikation. Hier verbesserte sich die
                                                         Universität Greifswald um 243 Ränge. Bewertet wur-
                                                         den 1527 Universitäten weltweit und 48 in Deutsch-
                                                         land. Bezugszeitraum ist das Jahr 2018. •

                                                         Internationales Graduierten-
Prof. Dr. Uwe Bornscheuer, Lehrstuhlinhaber für Bio-
                                                         kolleg zu Wendepunkten
technologie und Enzymkatalyse am Institut für Bio-       im Ostseeraum
chemie, wurde Mitte April in der konstituierenden
Sitzung des Senats zu dessen neuem Vorsitzenden          An der Universität Greifswald entsteht ein interna-
gewählt. Uwe Bornscheuer forscht und lehrt seit          tionales Graduiertenkolleg mit dem Namen „Ost-
mehr als 20 Jahren an der Universität Greifswald         see-Peripetien. Reformationen, Revolutionen, Katas-
und war bereits in verschiedenen Gremien der Uni-        trophen“. Es wird von der Deutschen Forschungs-

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Panorama

                                                                          gesorgt werden, die nicht länger forstwirtschaft-
                                                                          lich genutzt werden. Die Zoologen der Universität
                                                                          Greifswald untersuchen die Bestände der Mops-
                                                                          fledermaus in Deutschland mit populationsge-
                                                                          netischen Methoden, um Genaueres über die ge-

                                                 Foto: Jan Meßerschmidt
                                                                          netische Vielfalt in den verschiedenen Gebieten
                                                                          herauszufinden und um zu erfahren, wie die Wie-
                                                                          derbesiedelung aus den verbliebenen Populatio-
                                                                          nen abläuft. Koordiniert wird das Projekt von der
                                                                          Stiftung FLEDERMAUS. Weitere Partner sind die
                                                                          Naturstiftung David und die NABU-Landesverbän-
                                                                          de Baden-Württemberg und Niedersachsen. •
gemeinschaft (DFG) mit über vier Millionen Euro
gefördert. Prof. Dr. Eckhard Schumacher ist Spre-
cher des Kollegs. Zusammen mit den Koopera-
tionspartnern University of Tartu in Estland und der
                                                                          DFG-Schwerpunktprogramm
Norwegian University of Science and Technology in                         Evolution von Riechsystemen
Norwegen wird ab April 2021 untersucht, wie sich
die Vorstellung des Ostseeraums in Erzählungen                            Die „Evolutionäre Optimierung neuronaler Syste-
und Erzählweisen konstituiert, die durch spezifische                      me“ ist Thema des neuen Schwerpunktprogramms
Ereignisse, Wendepunkte oder auch Katastrophen                            der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Sys-
geprägt ist. Dabei spielt der Peripetie-Begriff eine                      temische und theoretische Neurowissenschaft wer-
wichtige Rolle, der Wendepunkte wie Revolutio-                            den mit Evolutions- und Entwicklungsbiologie zu-
nen, Reformationen, Katastrophen und ähnliches                            sammengeführt, um interdisziplinäre Prinzipien zu
beschreibt. Solche Momente „bestimmen auch die                            erfassen, die bestimmen, wie sich biologische Ner-
Wahrnehmung von historischen Ereignissen, den                             vensysteme entwickeln. Ein dazugehöriges Teilpro-
politischen Diskurs und die Alltagssprache“, so Prof.                     jekt über die Evolution von Riechsystemen wird von
Eckhard Schumacher. Es soll herausgefunden wer-                           Greifswalder Forschenden geleitet und zunächst
den, welche Peripetien die Wahrnehmung des Ost-                           mit 500.000 Euro gefördert. Zum Team gehören Wis-
seeraums besonders bestimmt haben und verbindet                           senschaftler*innen vom Zoologischen Institut und
dabei geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche                       Museum in Greifswald, vom Max-Planck-Institut für
Disziplinen. Durch die Kooperation mit den Universi-                      chemische Ökologie in Jena und vom Institut für
täten Trondheim und Tartu ist es Teil der internatio-                     Zoologie der Universität zu Köln. Sie untersuchen,
nalen Diskussion. •                                                       wie sich die neuronalen Netzwerke im zentralen
                                                                          Riechsystem naher verwandter wirbelloser Tiere
                                                                          strukturell und funktional spezialisiert haben. „Das
                                                                          Imaging-Zentrum des Fachbereichs Biologie mit
Bundesweites Schutzprojekt                                                seinen vielfältigen mikroskopischen Möglichkeiten
Mopsfledermaus gestartet                                                  bietet dabei beste technische Voraussetzungen,
                                                                          um unser Teilprojekt effektiv zu bearbeiten“, so
Greifswalder Zoologen sind Teil eines neuen Pro-                          Prof. Dr. Steffen Harzsch vom Zoologischen Institut
jekts zum Schutz der Mopsfledermaus. Der Einsatz                          und Museum der Universität Greifswald. •
von Pestiziden sowie Quartiersverluste führten in
der Vergangenheit zu erheblichen Bestandsein-
brüchen. Hinzu kommen weitere Einschränkungen
durch die zunehmende forstwirtschaftliche Wald-
nutzung und die Zerteilung ihres Lebensraums
durch Verkehrstrassen. Der Erhaltungszustand der
Mopsfledermaus gilt daher als „ungünstig“. Das
                                                                          Foto: Steffen Harzsch

Projekt „Schutz und Förderung der Mopsfleder-
maus in Deutschland“ hat zum Ziel, den Lebens-
raum der Mopsfledermaus besser zu schützen.
Hierzu sollen Wälder in mehreren Bundesländern
wieder naturnaher bewirtschaftet und für Flächen

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1456 CAMPUS - Universität Greifswald
Corona-Uni: Zeit des Wandels?
    Als uns zu Jahresbeginn immer besorgniserregendere Meldungen über
    das neuartige Coronavirus aus der chinesischen Millionenstadt er-
          reichten, ahnte wohl kaum jemand, was da auf uns zukam.

    Bereits kurze Zeit später liefen dramatische Bilder aus Italien über die
    Bildschirme. Spätestens Ende Februar war in Deutschland allen be-
             wusst, dass das Virus nicht an uns vorbeiziehen wird.

    So wie viele anderen Hochschulen in Deutschland stellte auch die Uni-
    versität Greifswald eine Seite mit FAQs zu Hygienemaßnahmen und
    Schutzmaßnahmen online. Schon wenige Tage später verschärfte sich
    die Situation. Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
    Mecklenburg-Vorpommern verschob am 13. März 2020 aufgrund der
    raschen Ausbreitung des Coronavirus den Beginn des Lehrbetriebes
    zunächst bis zum 20. April. Zur Abwehr weiterer Infektionsrisiken und
    zum Schutz der Hochschulangehörigen erhielten die Hochschulen des
    Landes den Entscheidungsspielraum, Maßnahmen zu ergreifen, um die
    Bereiche, die für die Funktionsfähigkeit der Hochschulen erforderlich
    sind, abzusichern. Die Universität hat daraufhin die Mitarbeitenden am
    16. März unbürokratisch ins Home Office geschickt. Das heißt, es muss-
    te kein Antrag auf Arbeit im Home Office gestellt werden, wichtig war
    die Absprache mit den Vorgesetzten. Es wurde eine Notfallbesetzung
    abgesichert. Wie die Zeit mit Corona aussah und welche Erkenntnisse
    die Universität Greifswald daraus zieht, wird auf den folgenden Seiten
      durch Beiträge verschiedener Universitätsangehöriger beleuchtet.

                           Von Jan Meßerschmidt
                                                                               Foto: Corona Borealis Studio, shutterstock.com

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1456 CAMPUS - Universität Greifswald
Im Fokus

                              Prof. Dr. Steffen Fleßa,
                                         Prorektor für
                                 Studium und Lehre
                                 Foto: Kilian Dorner

   Die Universität Greifswald
   ist eine Präsenzuni
    Von Steffen Fleßa

Bis zum Sommersemester 2020 wurden                  Und sie ließen sich darauf ein und konnten       und sich an der Lösung freuen, Gedanken
fast alle Lehrveranstaltungen an der Uni-           teilweise der neuen Form der Lehre Positi-       einbringen und eigene Gedanken neu ent-
versität Greifswald in Präsenz abgehalten.          ves abgewinnen. Die Möglichkeit, Videos          wickeln gehören essentiell zur Universität.
Vorlesungen, Übungen, Tutorien, Labor-              anzuhalten, zurück zu spulen, zu wieder-         Aber es zeigte sich, dass die Partizipation
und Computerkurse, Führungsseminare,                holen oder auch mal schneller/langsamer          auch bei hervorragend konzipierter digita-
Sprecherziehung und viele weitere Ange-             anzuhören, erwies sich für viele als der         ler Lehre geringer ist als in der Präsenzleh-
bote lebten davon, dass Dozierende und              klassischen Vorlesung überlegen. Für ei-         re. Gerade die Reflexion und die persön-
Studierende sich in einem Raum trafen,              nige Studierende war es auch ein großer          lichkeitsbildenden Elemente universitärer
sich in die Augen sahen, in ihren Persön-           Vorteil, dass sie sich die Zeit frei einteilen   Lehre erfordern die direkte Einwirkung.
lichkeiten wahrnahmen und sich in der               konnten, wann sie studieren wollten. Und         Gerade die Universität Greifswald lebt von
Begegnung entwickeln konnten. Die di-               auch die Bereitschaft der Dozierenden,           Nähe, kurzen Wegen, persönlichem Ken-
gitale Lehre spielte bislang in einigen Fä-         zusätzliche Online-Sprechstunden einzu-          nen, Einwirken und Bindung. Vieles wurde
chern eine punktuell wichtige, aber auf             richten, wurde positiv bewertet.                 schmerzlich vermisst.
die ganze Uni betrachtet eine eher margi-
nale Rolle.                                         Aber es gab auch große Probleme. Ex-             So bleibt am Ende des Sommersemesters
                                                    kursionen sind als zentraler Bestandteil         2020 bei vielen eine neue Wertschätzung
Am 13. März 2020 wurde alles anders:                der Lehre bis heute unter Wahrung des            der Präsenzuniversität. Studierende und
Die von der Landesregierung angeord-                Abstandsgebotes unmöglich. Praktika              Dozierende sehnen sich danach, wieder
neten Maßnahmen implizierten, dass die              werden von externen Partnern nicht mehr          einander persönlich zu begegnen. Aber es
Präsenzlehre im Sommersemester 2020                 angeboten, so dass Hausarbeiten als              bleibt die Erkenntnis, dass die reine Stoff-
kaum möglich sein würde. Die Universi-              sehr limitierter Ersatz angefertigt werden       vermittlung auch in Zukunft durch On-
tät Greifswald musste reagieren – und die           mussten. Gelitten haben vor allem alle           line-Lehre unterstützt werden kann, da sie
Verwaltung sowie die Dozierenden haben              Studiengänge, bei denen Fertigkeiten ge-         durchaus Vorteile zumindest gegenüber
in beeindruckender Geschwindigkeit und              übt werden müssen, z. B. im Labor, in der        der klassischen Vorlesung hat. Gemäß
Entschlossenheit gehandelt: In Windes-              Musik, der Kunst oder im Sprachunter-            dem Motto „Prüfet alles – das Gute behal-
eile wurden Kurse über digitale Lehre ent-          richt. Hier musste so schnell als möglich        tet“ werden wir die Stärken der Präsenz-
wickelt und (online) besucht, Lehrvideos            die Präsenzlehre unter Wahrung größter           uni weiter ausbauen, aber gleichzeitig die
erstellt sowie Echtzeitlehre in BigBlueBut-         Sicherheit wiederhergestellt werden.             Vorteile der digitalen Lehre verstärkt nut-
ton konzipiert. Als dann die Vorlesungszeit         Auch in anderen Lehrveranstaltungen              zen, wo sie die Lernziele gut unterstützt.
mit zwei Wochen Verspätung losging, war             wurde deutlich, dass die persönliche             Die Universität Greifswald bleibt eine Prä-
Erstaunliches geleistet worden. Das Som-            Nähe zwischen Studierenden und Dozie-            senzuni – aber mit breitem Portfolio an
mersemester 2020 fand statt! Anders als             renden, aber auch zwischen Studierenden          Lehr- und Lernformen. •
erwartet, manchmal etwas holprig, aber              untereinander eine Stärke der universitä-
mit großer Hingabe wurden Studierende               ren Lehre ist. Erklären und Nachfragen,
unterrichtet.                                       gemeinsam über einem Problem brüten

                                                                                                                                                9
1456 CAMPUS - Universität Greifswald
Der Sprung ins kalte Wasser –
     Digitale Lehre im Eilverfahren
     Von Jana Kiesendahl

                                                                                                                    Dr. Jana Kiesendahl,
                                                                                                                    Projektleiterin
                                                                                                                    Digitalisierung in der
                                                                                                                    Hochschullehre
                                                                                                                    Foto: Laura Schirr-
                                                                                                                    meister

                                                                                       „Mein Fazit lautet: Wenn Präsenz- und
                                                                                       Onlineunterricht in der Zukunft didak-
                                                                                       tisch begründet miteinander kombiniert
                                                                                       werden, lassen sich die jeweiligen Vor-
                                                                                       teile produktiv zusammenführen und
                                                                                       gute sowie zeitgemäße Lehre an unserer
                                                                                       Universität anbieten. Dafür sollten künf-
                                                                                       tig Schulungsangebote ausgebaut und
                                                                                       Leihgeräte bereitgestellt werden, damit
                                                                                       digitale Lehre auch einer digitalen Di-
                                                                                       daktik folgt.“ •

Mit der Mitteilung des Bildungsministe-    erstellt und unmittelbar nach der Frei-
riums, den Präsenzbetrieb an den Hoch-     schaltung der Videokonferenzsoftware
schulen des Landes im Sommersemes-         BigBlueButton durch das Rechenzen-
ter auszusetzen, standen alle Lehrenden    trum Online-Schulungen mit mehr als
                                                                                               Leere Flure, leere Hallen,
von einem Tag auf den anderen vor der      400 Teilnehmenden durchgeführt.
                                                                                               leere Sitzmöglichkeiten
Herausforderung, ihre Lehrkonzepte ad                                                          Foto: Magnus Schult
hoc auf digitale Formate umzustellen.      Vieles, was zunächst undenkbar er-
Der Großteil des Lehrpersonals betrat      schien, war plötzlich möglich. Unter den
damit absolutes Neuland mit Spannung       gegebenen Umständen haben die Leh-
und Befürchtungen gleichermaßen.           renden ihr digitales Semester engagiert
Unser Bereich „Digitalisierung in der      gemeistert und waren überrascht, wie
Hochschullehre“ war damit bedeutsa-        gut digitale Lehre (v. a. mit BigBlueBut-
mer denn je: Neben technischen Fra-        ton) funktionieren kann. Sie haben er-
gen zu Moodle oder der Erstellung von      kannt, in welchen Situationen Präsenz-
Lehrvideos musste geklärt werden, wie      unterricht wertvoll ist und wann umge-
digitale Prüfungen ablaufen können,        kehrt digitale Formate ihren Mehrwert
wie die Anrechnung auf das Lehrde-         haben. Der Arbeitsaufwand in der Kon-
putat gehandhabt wird etc. Auf unserer     zeption und Durchführung digitaler Leh-
Webseite www.uni-greifswald.de/digi-       re ist neben dem relativ einsamen Arbei-
tale-lehre haben wir Hilfestellungen für   ten ohne soziale Face-to-Face-Kontakte
die Entwicklung digitaler Lehrkonzepte     indes die deutlichste Kritik, die Lehren-
formuliert, zahlreiche Online-Tutorials    de nennen.

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Im Fokus

   Kommunikation
   und Corona
   Von Jan Meßerschmidt

Kommunikationsabteilungen sollten vor-      täglich mehrfach angepasst werden. In-      Bereits nach wenigen Tagen gab es auf
bereitet sein auf die besonderen kom-       nerhalb eines Tages verdoppelten sich       den Internetseiten erste arbeitsrecht-
munikativen Herausforderungen in Kri-       die Zugriffszahlen auf die Internetseiten   liche Informationen und Hinweise zu
sensituationen. Es gibt dafür Handbü-       der Universität. Auf den Social-Media-      den rechtlichen Grundlagen und dienst-
cher und in Workshops ging es auch um       Kanälen gab es immer mehr Anfragen,         lichen Regelungen zum Thema Home
das Szenario eines Falls von hochanste-     beispielsweise ob denn die nächste          Office. So wuchsen in kürzester Zeit
ckender Erkrankung auf dem Campus.          Prüfung noch stattfinden wird. Unsach-      FAQ-Listen zu verschiedensten Themen,
Die Annahme ging bis COVID-19 von be-       lichen Kommentaren begegneten wir           beispielsweise zur Durchführung von
herrschbaren Einzelfällen aus, die auch     mit Freundlichkeit, Verständnis und der     Prüfungen, zum Thema internationale
kommunikativ nach wenigen Tagen be-         Ehrlichkeit auch einmal zu sagen, dass      Gäste, zur Frage Familie und Corona,
wältigt sind.                               es mehr Fragen als Antworten gibt. Die      zum Studium ohne Präsenz und zur
                                            Social-Media-Kanäle waren in dieser         Studienorientierung. Wesentliche Ände-
Mit Corona erlebte auch die Pressestel-     besonderen Situation sehr hilfreich, da     rungen und neue Informationen wurden
le der Universität Greifswald eine völlig   viele Mitglieder der Universität rasch      und werden auch weiterhin mit Rund-
neue Situation und eine bis heute an-       und unmittelbar über Änderungen an          mails kommuniziert.
haltende kommunikative Herausforde-         den Informationsseiten zu Corona infor-
rung. Der Lockdown und die weitest-         miert werden konnten. Zudem richteten       Wie sich die Situation entwickeln wird,
gehenden Einschränkungen des norma-         die Anbieter auch Informationselemen-       kann aktuell niemand vorhersagen.
len Campusbetriebs veränderten völlig       te zu COVID-19 ein. Diese werden nach       Doch bereits jetzt ist klar, dass das Ka-
unvorbereitet den Arbeitsalltag aller       wie vor stark aufgerufen.                   pitel Pandemie in den Krisenhandbü-
Universitätsangehörigen. In den ersten                                                  chern neu geschrieben werden muss. Es
Tagen mussten die FAQs zur Situation                                                    lohnt sich, auch die Kommunikations-
                                                                                        erfahrungen der vergangenen Monate
                                                                                        auszuwerten und sich die Frage zu stel-
                                                                                        len, was können wir an positiven Kom-
                                                                                        munikationserfahrungen in einen Univer-
                                                                                        sitätsalltag ohne Corona mitnehmen. •

                                                                                                                Jan Meßerschmidt,
                                                                                                                Leiter der Presse- und
                                                                                                                Informationsstelle
                                                                                                                Foto: Magnus Schult

                                                                                                                                    11
Quo vadis                                     werden auch intensiv für die tägliche       nen, hat das Rektorat sich bereits dazu
                                                   Kommunikation in der Verwaltung ge-         bekannt, die aktuelle Dienstvereinba-
     Homeoffice?
                                                   nutzt. Zu keinem Zeitpunkt war die Funk-    rung zur Heim- und Telearbeit weiter als
     Von Frank Schütte                             tionsfähigkeit des Dienstbetriebs unserer   bisher auszulegen. Mittelfristig sollten
                                                   Universität trotz der einschränkenden       wir die jetzigen Regelungen differenziert
                                                   und belastenden Rahmenbedingungen           weiterentwickeln, um eine moderne und
                                                   gefährdet. Mich erfüllt dies mit großer     attraktive Arbeitgeberin zu bleiben. •
Wie überall in der Bundesrepublik haben            Freude und Stolz.
auch die Beschäftigten unserer Univer-
sität während der ersten Welle der Co-             Das trifft ausdrücklich auch auf die von
rona-Pandemie aus Gründen des Infek-               mir geleitete Universitätsverwaltung zu.
tionsschutzes zu großen Teilen zuhause             Die klassische Verwaltungsarbeit ist nach
                                                                                                  Kolleg*innen mit
gearbeitet. Lediglich ein kleiner Teil stell-      wie vor von Büropräsenz, relativ starren       Betreuungsaufgaben
te einen Notbetrieb direkt vor Ort sicher.         Arbeitszeiten und Papierakten geprägt.
                                                   Das macht in Grenzen durchaus Sinn,            Von Ruth Terodde
Die Beschäftigten unserer Universität              aber das Engagement im und die Rück-
haben diese historische Herausforde-               meldungen aus dem Homeoffice wäh-
rung nicht nur angenommen, sondern                 rend der Pandemie haben mir einmal
mit viel Elan, Kreativität und Pragma-             mehr bewiesen: Mobiles Arbeiten funktio-    Besonders herausfordernd war die Co-
tismus herausragend bewältigt. Das Re-             niert auch in öffentlichen Verwaltungen     rona-bedingte Zeit des Home Office für
chenzentrum hatte die für Homeoffice               ohne Einbußen für Arbeitsfähigkeit und      Kolleg*innen mit Betreuungsaufgaben.
notwendigen und bereits vorhandenen                -qualität. Dies zeigt sich gleichermaßen    Neben technischen Problemen und der
Techniken und Dienste bereits zu Beginn            in der Sachbearbeitung und der Führung.     Organisation der Arbeit in der eigenen
der Corona-Pandemie innerhalb weniger              Dabei gilt es die persönlichen Umstände     Wohnung – oftmals ohne Arbeitszim-
Tage aufgestockt, die Leistungsfähigkeit           und Wünsche mit den dienstlichen Präfe-     mer, dafür mit dem Rechner auf dem
des Universitätsnetzes gestärkt und un-            renzen in einen Ausgleich zu bringen. Des   Esstisch – mussten Kolleg*innen die
ter anderem eine Konferenzplattform                Weiteren sind Selbstdisziplin, Vertrauen,   Betreuung ihrer Kinder gewährleisten,
kurzfristig installiert und freigeschaltet.        Standardisierung und Digitalisierung von    denen es im Zweifel nicht zu vermitteln
Solche und ähnliche Tools wurden und               Prozessen unverzichtbar. Dies betrifft      ist, dass Mutter oder Vater gerade ein
                                                   beispielsweise die Verwaltung einzelner     wichtiges Telefonat zu führen haben
                                                   Vorgänge, die Aktenführung sowie die        oder einfach Ruhe für ihre Arbeit brau-
                                                   Studierenden- und Prüfungsverwaltung.       chen.
                                                   Insofern ist es richtig und wichtig, dass
                                                   wir die Themen E-Akte und Campusma-         Wer hat in den letzten Monaten keine
                                                   nagement ganz oben auf unserer Digita-      Videokonferenz erlebt, in der ein klei-
                                                   lisierungsagenda haben.                     nes Kind mit dem Kabel spielte. Darü-
                                                                                               ber kann man vielleicht noch schmun-
                                                   Was geschieht nun mit den positiven         zeln. Kolleg*innen mit schulpflichtigen
                                                   wie negativen Homeoffice-Erfahrungen?       Kindern hatten jedoch nur wenig Anlass
                                                   Sollte sich ein stärkerer Bedarf abzeich-   dazu. Neben ihrem Arbeitsalltag muss-
                                                                                               ten sie im Rahmen des Home Schooling
                                                                                               auf einmal in die Rolle der Lehrer*in-
                                                                                               nen schlüpfen. So musste etwa eine
                                                                                               Mutter von drei schulpflichtigen Kin-
                                                                                               dern neben ersten Leseübungen und
                                                                                               englischer Grammatik auch Astrono-
                                                                                               mie-Aufgaben auf Oberstufen-Niveau
                                                                                               vermitteln – und das mit Hilfe des einen
                                                                                               Rechners, den die Familie zu Hause zur
                                                                                               Verfügung hatte.

Dr. Frank Schütte, Kanzler | Foto: Magnus Schult

12
Im Fokus

                                              Studierende mit
                                              Kindern
                                              Von Ellen Augstein

                                           Die Folgen der Corona-Pandemie tra-          Den Familienservice haben sehr viele
                                           fen insbesondere studierende Eltern          E-Mails von Studierenden erreicht, die
                                           besonders hart.                              ähnliche Probleme schilderten. Viele
                                                                                        Eltern fühlten sich in dieser Zeit von
                                           Kitas wurden geschlossen, die Notfall-       ihrer Universität nicht genügend unter-
                                           betreuung der Universität musste vorü-       stützt und aufgefangen. Sie wünschten
                                           bergehend schließen und Vorlesungen,         sich mehr Entgegenkommen, Unter-
                                           Seminare oder Tutorien wurden digital        stützung und Rückhalt – das müssen
                                           fortgeführt, einige davon synchron. Wir      wir in der Zukunft berücksichtigen. •
                                           haben mit einer alleinerziehenden Mut-
                                           ter von zwei Kindern gesprochen, wel-
                                           che uns ihre Erfahrungen schilderte.

                                           Die junge Frau befand sich zum Beginn        Ellen Augstein, Ansprechpartnerin Familienservice
                                           der Corona-Pandemie in der Vorberei-         Foto: Laura Promehl
                                           tung des Physikums – und plötzlich
                                           musste sie zusätzlich ganztags Mutter,
                                           Hausfrau und Lehrerin sein. Unter die-
                                           ser Belastung geriet die Studierende
                                           in ihrer sehr kleinen Wohnung an ihre
                                           Grenzen, da Studierende nicht als sys-
Ruth Terodde, Gleichstellungsbeauftragte
                                           temrelevant gelten.
Foto: Vincent Leifer
                                           Ohne Aussicht auf Betreuung ihrer Kin-
                                           der stand auch der Semesterstart vor
Umso beeindruckender ist, was viele        der Tür. Wochenlange Bemühungen um
Kolleg*innen im Bereich der digitalen      eine Notbetreuung blieben erfolglos.
Lehre, aber auch in der Verwaltung         In der Folge konnte die junge Studie-
geleistet haben. Für das kommende          rende nur pro forma an der digitalen
Semester können wir nur hoffen, dass       Lehre teilnehmen. Nach zwei nerven-
Schulen und Kitas weitgehend den           aufreibenden Monaten konnte ab Mai
Normalbetrieb aufrechterhalten. Dass       eine verkürzte Notbetreuung angeboten
unter diesen Umständen nicht immer         werden, die dennoch nicht reichte, um
familienfreundliche      Veranstaltungs-   der Mutter genügend Zeit zum Lernen
zeiten angeboten werden können, ver-       zu verschaffen, so dass sie nachts lern-
stehe ich. Aber wir haben auch zu be-      te. Kurz vor der Prüfung erkältete sich
rücksichtigen, dass Eltern mit Kindern     das jüngste Kind und musste wieder zu
ihren Familienaufgaben nachkommen          Hause betreut werden. Bemühungen
müssen. Und dazu brauchen wir ein          der Frau, das Ablegen der Prüfung für
hohes Maß an Solidarität unter den         das Physikum zu verschieben, blieben
Universitätsangehörigen, Verständnis       erfolglos. Die Prüfung, die so wichtig für
für individuelle Lebensumstände und        das weitere Studium war, hat sie gerade
Bereitschaft für kreative Lösungen. •      so bestehen können.

                                                                                                                                            13
Von Marco Schade

Raubdinosauriern auf der Spur
Irritator challengeri: Eine gigantische Fressmaschine oder
ein geschickter Jäger?

     Irritator challengeri ist etwa 110 Millionen Jahre alt und    verfügte. Der gute Geruchssinn kann angenommen werden,
     stammt aus der kreidezeitlichen Romualdo-Formation in         weil der Riechkolben und die Riechbahnen große Abdrücke
     Brasilien. Das Tier stand in seinem Ökosystem, aus dem        im Stirnbein hinterlassen haben. Messungen an der Cochlea
     auch zahlreiche Pflanzen, Insekten, Fische und Flugsau-       (beim Säugetier zur „Hörschnecke“ aufgerollt) lassen zusam-
     rier bekannt sind, vermutlich an der Spitze der Nahrungs-     men mit Hohlräumen in der Umgebung des Gehirns vermu-
     pyramide. Der Schädel von Irritator ist etwa 55 Zentimeter    ten, dass das Gehör von Irritator etwa so gut ausgeprägt war
     lang. Ihm fehlt allerdings der vordere Teil der Schnauze.     wie bei einigen heutigen Vögeln.
     Aufgrund einer ehemals künstlich verlängerten Schnauze
     und eines irreführenden Kammes über den Augen war Irri-       Wenn Irritator aufmerksam seine Umgebung beobachtete,
     tators stammesgeschichtliche Zugehörigkeit zuerst nicht       hielt der Räuber wahrscheinlich den seitlichen Bogengang
     geklärt. Heute wird das Tier zu den zweibeinigen Raub-        des Innenohres horizontal zum Boden. Dadurch zeigte seine
     dinosauriern, genauer den Spinosauriern, gezählt.             Schnauze in einem Winkel von 45° nach unten, so dass das
                                                                   Tier ein relativ breites Gesichtsfeld hatte, in dem es dreidi-
                                                                   mensional sehen konnte, um beispielsweise Entfernungen
Der namensgebende Vertreter dieser Gruppe, Spinosaurus,            besser abzuschätzen. Eine große Ausstülpung des Kleinhir-
übertraf an Körperlänge sogar Tyrannosaurus rex. Spinosau-         nes (der Flocculus) und der lange vordere Bogengang des In-
rier besaßen kräftige Arme und lange Dornfortsätze auf den         nenohres deuten außerdem darauf hin, dass Irritator seinen
Wirbeln. Ihre verlängerten Kiefer ließen unter anderem auf         Kopf schnell und kontrolliert abwärts bewegen konnte.
eine halbaquatische Lebensweise und Fischfang schließen.
Tatsächlich wurden im Bauch eines aus England stammen-             Diese Erkenntnisse stehen im Einklang mit einem Raubtier,
den Tieres Fischschuppen gefunden. Allerdings gab es darin         welches seine ausgeprägten Sinne zur aktiven Jagd auf re-
auch die Knochen eines noch jungen, pflanzenfressenden             lativ kleine Beutetiere – zu denen auch Fische gezählt haben
Dinosauriers. Darüber hinaus ist aus Brasilien der Halswirbel      dürften – nutzte, um diese mit schnellen und kontrollierten
eines Flugsauriers bekannt, in dem der Zahn eines Spinosau-        Abwärtsbewegungen seiner Kiefer zu ergreifen. Zuvor beob-
riers steckt. Ob die Raubtiere ihrer Beute aktiv nachstellten      achtete Irritator womöglich lauernd die Wasseroberfläche
oder lediglich an deren Kadavern fraßen, kann heute nicht          von Flüssen oder Seen. Bis das Tier vor rund 110 Millionen
mit Sicherheit gesagt werden. Die Funde deuten auf ein op-         Jahren im Gebiet des heutigen Brasiliens starb und so begra-
portunistisches Jagd- und Fressverhalten, das auch heute           ben wurde, dass seine Überreste uns heute Einblick in sein
noch für viele Raubtiere typisch ist.                              Leben geben können.

Mikro-Computertomografie-Daten weisen jetzt darauf hin,            Zukünftige Forschung
dass Irritator kleine Opfer aktiv erbeutete. Auf Basis der Daten   Die Ausgrabung und Bergung ausgestorbener Tiere aus den
wurden digitale Ausgüsse der Hirnkapsel und des Innenohres         entlegensten Teilen der Erde ist seit jeher die Grundlage
erzeugt. Die Ausgüsse legen im Vergleich zu nahen Verwand-         der Paläontologie. Öffentliche und private Museen verfügen
ten und noch heute lebenden Tieren wie Vögeln nahe, dass           heute oft über zahlreiche Fossilien von herausragender in-
Irritator über einen guten Geruchssinn und ein gutes Gehör         ternationaler Bedeutung. Das vorhandene Material ist häufig

14
Forschung

MOTIVATION

„In meiner Kindheit beherrschten Dino-
saurier all‘ meine Gedanken. Die Faszi-
nation für diese riesigen, zweibeinigen
Raubtiere, die sich wie Laufvögel fort-
bewegten, ließ mich nie ganz los. Nach
zahlreichen Besuchen in den großarti-
gen naturhistorischen Museen Austra-
liens habe ich mich dann entschlossen,
meinen neuen alten Traum zu verwirkli-
chen – Paläontologe zu werden.“

                                                                                                             Schädel von Irritator
                                                                                                             challengeri | Bild: Marco
                                                                                                             Schade

empfindlich. Neue technische Verfahren in der Paläontologie      chungsmethoden bergen ihre fossilen Überreste jedoch noch
ermöglichen noch genauere und vor allem materialschonen-         immer ein enormes wissenschaftliches Potenzial und können
de Einblicke in die Lebensweise längst ausgestorbener Tier-      neue Erkenntnisse über die Anatomie, Verwandtschaftsver-
arten und deren Lebenswelten. Im Rahmen seiner Promo-            hältnisse, Evolution, Physiologie und Ökologie dieser Zeugen
tion untersucht Marco Schade unter anderem die Dinosaurier       der Erdgeschichte liefern. •
Irritator challengeri und Emausaurus ernsti. Letzterer ist ein
kleiner Pflanzenfresser und wurde 1963 in einer Tongrube in
der Nähe von Greifswald gefunden. Beide Saurier wurden for-
mal bereits beschrieben. Durch den Einsatz neuer Untersu-        Link zur Publikation:  www.tinyurl.com/irritator

                                        ÜBER MARCO SCHADE
                                        Marco Schade, Jahrgang 1988, wurde in Greifswald geboren und holte am Abend-
                                        gymnasium das Abitur nach. Zuvor machte er eine Lehre zum Groß- und Außen-
                                        händler, bereitete Fischbrötchen in Wieck zu, war Türsteher in Berlin und lebte und
                                        arbeitete auf einer Farm in Australien. Danach zog es ihn für sein Geologiestudium
                                        zurück in seine Geburtsstadt Greifswald. Seinen Master im Fach „Geobiology and
                                        Paleobiology“ machte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2018
                                        wurde er im Deutschen Herzzentrum in München untersucht. Dort fragte er nach,
                                        ob es möglich wäre, einen Dinosaurierschädel zu scannen. So kam er an die Roh-
    Foto: Ole Kracht

                                        daten für seine Forschung. Seit 2020 ist er Doktorand am Lehrstuhl für Paläontolo-
                                        gie und Historische Geologie an der Uni Greifswald.

                                                                                                                                   15
Von Frédéric Ebstein und Elke Krüger

Warum Zellen ein effizientes
Müllrecycling für Proteine brauchen

„Wie Honig im Kopf – alles verklebt.“ So             nennt man auch Proteinopathien, zu        am Institut für Medizinische Bioche-
antwortet Opa Amandus im gleichna-                   denen solche neurodegenerativen Er-       mie und Molekularbiologie der Univer-
migen Kinofilm auf die Frage seiner En-              krankungen wie Alzheimer oder Parkin-     sitätsmedizin Greifswald versuchen,
kelin Tilda, wie sich das Vergessen an-              son gehören. Im gesunden Menschen         durch Experimente im Labor wichtige
fühle. Amandus‘ Beschreibung ist gar                 übernimmt ein spezieller Protein-         Fragen zu beantworten: Warum erfül-
nicht so weit entfernt von der Situation             schredder – das Proteasom – die Auf-      len unsere Proteinschredder ihre Auf-
im Gehirn eines an Alzheimer erkrank-                gabe, alte und falsch geformte Proteine   gabe nicht mehr und wie kann man de-
ten Patienten. Ein Hauptmerkmal sind                 in Zellen zu entsorgen. Diesen Schred-    ren Funktion, z. B. durch Medikamente,
Protein- oder Eiweißablagerungen, die                der muss man sich wie eine zelluläre      unterstützen? Dabei widmen sie sich
sich im Laufe des Lebens ansammeln                   Müllabfuhr vorstellen, die bei Alzhei-    dem grundlegenden Verständnis der
und im Alter die Nervenzellen im Ge-                 merpatient*innen nicht mehr richtig       Proteinabbauprozesse bei Krankheiten
hirn nicht mehr richtig arbeiten lassen.             funktioniert. Forscher*innen wie Prof.    wie Krebs, Infektion, Autoimmunität
Krankheiten mit Proteinablagerungen                  Elke Krüger und PD Dr. Frédéric Ebstein   oder eben Neurodegeneration.

PD Dr. Frédréric Ebstein und Prof. Dr. Elke Krüger
 Foto: Laura Schirrmeister

16
Forschung

Proteine oder Eiweißmoleküle erfüllen      die die kaputten oder unerwünschten       Teufelskreis, weil sie die Schäden an
in Zellen vielfältige Funktionen wie in    Proteine identifizieren und mit einem     den Zellbausteinen verstärkt und eine
Zellstruktur, Stoffwechsel oder Kom-       Molekül namens Ubiquitin markieren.       überschießende Entzündungsreaktion
munikation. Alles zusammen ergibt          Dadurch werden sie vom Protein-           auslöst“, kommentiert Prof. Krüger.
ein sehr kleinteiliges und anfälliges      schredder Proteasom erkannt und ab-       „Die Entschlüsselung des genauen Me-
Gebilde aus vielen unterschiedlichen       gebaut, um eben nicht als Proteinmüll     chanismus von der Botschaft ‚Müllan-
Proteinen, die wie einzelne Puzzleteile    die Zellen zu verstopfen. Das macht       sammlung‘ zur letztlichen Herstellung
nur in der richtigen Form und Position     man sich bei der Krebstherapie zunut-     der Interferone wird das Ziel unserer
das Bild einer gesunden, funktionie-       ze. Tumorzellen benötigen viel Pro-       Forschung für die nächsten Jahre sein.
renden Zelle ausmachen. „Wir sind          teinbiosynthese und viele Proteaso-       Den Mechanismus zu kennen biete
weit davon entfernt ein vollständiges      men zum schnellen Wachstum. Die           mehrere Ansätze, wie gegengesteuert
Bild dieser Vorgänge zu haben. Das         pharmakologische Abschaltung des          werden könne. Von solchen seltenen
Identifizieren neuer Puzzleteile macht     Proteasoms zwingt die Krebszellen         Erkrankungen kann man eine Menge
unsere Forschung so faszinierend“, er-     mit zu viel Proteinmüll in den Tod.       lernen“, ergänzt Dr. Ebstein. Instituts-
klärt Prof. Krüger.                                                                  direktorin Prof. Krüger erklärt die Be-
                                           Seltene Proteinopathien haben häufig      deutung: „Wir bauen im Moment eine
Unser Körper stellt in Zellen Proteine     genetische Ursachen. Bei den seltenen     Biobank mit Proben von Proteaso-
selber aus Proteinbausteinen – den         Proteasomopathien sind Bausteine          mopathie-Patienten weltweit auf, an
Aminosäuren – her und benötigt dafür       des Proteasoms durch eine genetische      denen wir Wirkstoffe austesten. Bei
Aminosäuren aus der Nahrung. Zellen        Mutation defekt, sodass der Schredder     Erfolg könnten eines Tages vielleicht
haben ausgeklügelte Programme, um          nur eingeschränkt arbeiten kann. Der      auch Alzheimer-Patienten von solchen
das sensible Gleichgewicht von Pro-        Rückstau des Proteinabfalls wiederum      Wirkstoffen profitieren. Auch hier gibt
teinbiosynthese und -abbau zu erhal-       alarmiert das Immunsystem und regt        es immer eine Entzündungskompo-
ten. Einerseits werden nur erforder-       zur Produktion von Interferonen an,       nente.“ •
liche Proteine zur richtigen Zeit am       die die angeborene Abwehrmaschine-
richtigen Ort über die Biosynthese be-     rie zusätzlich aktivieren. Interferone     www2.medizin.uni-greifswald.de/
reitgestellt, andererseits müssen falsch   sind spezielle immunologische Boten-      biochemie
prozessierte oder nicht gebrauchte         stoffe, die eine immunstimulierende,
Proteine abgebaut werden. Daraus           und vor allem antivirale Wirkung ent-
werden wiederum Aminosäuren für            falten. „Eine Interferonantwort ist an
Neusynthesen bereitgestellt. Gesteu-       sich positiv, da sie die Abwehr gegen
ert wird das Ganze über effiziente Pro-    Eindringlinge fördert. Sie führt bei
teinqualitätskontrollmechanismen,          den Patient*innen jedoch zu einer Art

                                               Die Abbildung zeigt eine Interferon-behandelte Epithelzelle, die auf Ubi-
                                               quitin gefärbt wurde (grün). Der grüne diffuse Hintergrund kommt von
                                               physiologisch anfallenden Proteinen, die zum Abbau mit Ubiquitin mar-
                                               kiert wurden. Interferone lösen eine Art Zellstress aus, der zu einer er-
                                               höhten Proteinmüllansammlung führt (dicke grüne Punkte). In gesunden
                                               Zellen werden diese Proteinklumpen vom Proteinschredder Proteasom
                                               abgebaut. Wenn der Schredder nicht richtig funktioniert, sammeln sich
                                               die Klumpen an und verstopfen die Zelle.

                                                                                                                           17
Von Elias Kreuzmair

Digitalisierung                                                                      legenden Überlegungen zu Zeitkon-
                                                                                     zepten, andererseits auf der Frage

und Zeit                                                                             nach Akzeleration und Aktualisierung.
                                                                                     Der starken Zuspitzung zeitlicher Kon-
                                                                                     zepte in zeitdiagnostischen Texten,
Wie über Gegenwart schreiben?                                                        die sich bis in einzelne Metaphern zu
                                                                                     den kulturkritischen Texten Friedrich
                                                                                     Nietzsches im 19. Jahrhundert zu-
Digitalisierung wird häufig mit Be-        der Zeitwahrnehmung und stellt sie in     rückführen lässt, stehen komplexere
schleunigung in Verbindung gebracht        den Kontext aktueller Entwicklungen       Zeitverhältnisse in Romanen wie Re-
– Arbeitsprozesse laufen schneller ab,     der deutschsprachigen Gegenwarts-         alitätsgewitter (2016) von Julia Zange
die Übertragungsgeschwindigkeit von        literatur. Im Fokus des von Prof. Dr.     oder Allegro Pastell (2020) von Leif
Nachrichten steigt. Der US-amerika-        Eckhard Schumacher geleiteten lite-       Randt gegenüber. Für die Beschrei-
nische Journalist und Medientheore-        raturwissenschaftlichen Projekts steht    bung dieser Zeitverhältnisse arbeitet
tiker Douglas Rushkoff hat in seinem       die Frage, wie über welche Konzep-        das Projekt an neuen analytischen
gleichnamigen kulturkritischen Essay       te von Gegenwart geschrieben wird.        Begriffen und Verfahren – etwa an di-
von einem „present shock“ gespro-          Dazu werden zeitdiagnostische Texte       gitalen Analysen großer Textkorpora
chen. Durch die Beschleunigung vieler      wie Rushkoffs Present Shock auf ihre      im Hinblick auf Zeitkonzepte.
Prozesse wäre unsere Aufmerksamkeit        Schreibverfahren und ihre Rhetorik hin
                                                                                     Wie Zeitkonzepte, digitale Medien und
Foto: Magdalena Pflock

                                                                                     Formate im Zusammenhang stehen,
                                                                                     wurde im Rahmen des Projekts kürz-
                                                                                     lich am Beispiel sogenannter „Coro-
                                                                                     na-Tagebücher“ untersucht. Gerade in
                                                                                     der Ausnahmesituation wird sichtbar,
                                                                                     welche Motive und Schreibverfahren
                                                                                     zum Standardrepertoire der Zeitrefle-
                                                                                     xion gehören und welche Neuakzentu-
                                                                                     ierungen sich durch die Digitalisierung
                                                                                     ergeben. Zu beobachten ist weniger
                                                                                     ein „present shock“ als ein komplexes
                                                                                     Neben- und Ineinander von Be- und
                                                                                     Entschleunigung. Die Untersuchung
                                                                                     solcher Konstellationen vor einem
an den Moment gebunden. Nicht nur          analysiert und zu literarischen Texten,   weiteren Horizont von literarischen
bei Rushkoff steht in Überlegungen         die digitale Schreibweisen, etwa aus      und nicht-literarischen Texten wird in
zur Transformation von Zeitkonzep-         Facebook oder Twitter, aufgreifen, in     den nächsten zweieinhalb Jahren Auf-
ten aus den letzten Jahren die Gegen-      Bezug gestellt. Geklärt werden soll auf   gabe des Projekts sein. •
wart im Zentrum. So ist u. a. von einer    diese Weise 1) was das Neue am zeit-
„breiten Gegenwart“, einer „absoluten      diagnostischen Diskurs seit Mitte der
Gegenwart“ oder einer „endlosen Ge-        2000er Jahre ist, 2) was literarische
genwart“ die Rede, die als Folge der Di-   Texte, die in der Debatte über neue
gitalisierung das Denken von Zeit und      Gegenwartskonzepte bisher kaum vor-
Geschichte bestimme.                       kommen, zu ihr beitragen können und                     @ggw_hgw
                                           3) wie von diesem Beitrag ausgehend
Das DFG-geförderte Forschungspro-          neue Impulse für die gesellschaftliche           www.germanistik.uni-
jekt „Schreibweisen der Gegenwart.         Selbstreflexion gesetzt werden können.        greifswald.de/schreibweisen
Zeitreflexion und literarische Verfah-     Der Schwerpunkt der Forschungsar-
ren“ untersucht diese Verschiebung         beiten lag bisher einerseits auf grund-

18
Lernen & Lehren

Von Peter Michalik

Artenkenntnis digital
Lernwerkzeug unterstützt Studierende in der praktischen
biowissenschaftlichen Lehre

Fundiertes Wissen über Vielfalt und

                                           Foto: Lucas Voigt
Funktionen von Organismen bildet die
Basis für nachhaltiges Handeln im Na-
tur- und Klimaschutz. Das Erkennen der
Organismen in ihren Lebensräumen ist
dabei von zentraler Bedeutung. Aus
diesem Grund ist die Kenntnis der hei-
mischen Tier- und Pflanzenarten eine
grundlegende Komponente biowissen-
schaftlicher Studiengänge. Sie wird im
Rahmen von praktischen Übungen an-
hand von universitären Sammlungen
                                              Foto: xyz

unterrichtet und durch Exkursionen ins
Freiland ergänzt.

Wie aber kann der Zugang zu den zu         Initiatoren hoffen, einen großen Teil      rer mit integrierten Bestimmungs-
bestimmenden Organismen ermög-             davon in absehbarer Zeit in DigiTiB in-    schlüsseln ausgebaut werden. Somit
licht werden, wenn die Studierenden        tegrieren zu können.                       ist DigiTiB auch attraktiv für Schulen
nicht im Kursraum sitzen? Welches                                                     und interessierte Laien, die sich an der
Lernwerkzeug könnte den Studieren-         Bereits knapp vier Wochen nach dem         Bestimmung heimischer Tiere versu-
den ermöglichen, sich auch außerhalb       Start der Initiative Anfang April 2020     chen möchten. •
der Präsenzzeit mit der Bestimmung         sind über 2 500 Bilder von über 500
einheimischer Tierarten zu beschäfti-      Arten aus knapp 20 Hochschulen und
gen? Diese Fragen stellten sich die bei-   weiteren Einrichtungen eingegangen.
den Initiatoren der Initiative DigiTiB,    Mittlerweile können fast 600 Arten von
die Biologiedozenten Peter Michalik        Schnecken, Muscheln, Gliederfüßern
(Universität Greifswald) und Michael       und Wirbeltieren bestimmt werden.                   Bestimmen Sie mit!
Heethoff (TU Darmstadt) nicht erst seit    Alle Mitwirkenden verzichten in dem                  www.digitib.de
der Corona-Pandemie. Die starken Ein-      Projekt auf ihre Bildrechte, so dass das
schränkungen bei Ausbruch der Coro-        Bildmaterial in DigiTiB Interessierten       Die Initiative ist Teil eines größe-
na-Pandemie hat die Entwicklung von        zur freien Verfügung steht.                   ren Projektes zu digitalen Lehr-
DigiTiB jedoch beschleunigt, da viele                                                    Lern-Formen in der praktischen
Hochschulen nach einem digitalen           DigiTiB kann Studierenden nicht nur           biowissenschaftlichen Lehre an
Lernwerkzeug für die Tierbestimmung        helfen, digital Artenkenntnis zu erlan-      der Universität Greifswald, das in
suchten. Nach einem deutschland-           gen. Es vermittelt auch Wissenswertes       Kooperation mit der TU Darmstadt
weiten Aufruf erhielten die Initiatoren    zur Biologie der jeweiligen Tiere. Das        und der Universität Rostock ge-
eine überwältige Resonanz – etwa 50        Lernwerkzeug ersetzt jedoch keines-         staltet wird. Sie wird finanziell vom
Lehrende von knapp 20 Hochschulen          wegs einen praktischen Präsenzkurs. In       Land Mecklenburg-Vorpommern
haben ihre Mitarbeit zugesichert. Ins-     der weiteren Entwicklung soll DigiTiB                    unterstützt.
gesamt werden etwa 900 Tierarten in        durch zahlreiche virtuelle 3D-Modelle
universitären Kursen vorgestellt. Die      ergänzt und als interaktiver Naturfüh-

                                                                                                                           19
Von Ute Marggraff

Slawistikstudierende auf Spurensuche.
Sowjetische Bildwelten und Moderne
„Grau ist alle Theorie“ sagten sich die    liche Zusammenhänge gebracht. Im        Kommiliton*innen aufmerksam mach-
Studierenden am Institut für Slawistik     wechselseitigen Austausch erarbei-      te, in die Galerie.
an der Universität Greifswald und be-      teten die Studierenden dann unter
gaben sich mit ihren Kameras auf die       Berücksichtigung individueller Nei-     Auch die erstmals in Norddeutschland
Suche nach Bild- und Textspuren sow-       gungen und Interessen Exposés, die      als Reproduktion zu sehende ästhe-
jetischer Streitkräfte. Diese waren von    im Weiteren zu einer Ausstellung im     tisch und politisch subversive Arbeit
1945 bis 1994 in Mecklenburg-Vorpom-       Greifswalder Koeppenhaus verdichtet     „Third World War Ends“ (1983) von
mern und anliegenden Bundesländern         wurden.                                 Vitaly Komar und Alexander Melamid
stationiert. Die von ihnen genutzten                                               holte die Besucher*innen direkt in der
Flächen mit der dazu gehörenden In-        Mehr als 70 sorgfältig kommentierte     Gegenwart ab. Sie vergleicht die infla-
frastruktur werden heute anderweitig       Fotografien und Zeitdokumente von       tionsartige Verbreitung der Skulptur
verwendet und sind in einigen Fäl-         Denkmalen und Skulpturen, aber auch     des Soldaten mit Kind aus dem Trep-
len renaturiert worden. Im Zuge der        Graffiti und Alltagsgegenstände gaben   tower Park mit dem Ausverkauf von
Konversation sind auf den teilweise        zu verstehen, worum es den Neugieri-    Waren in der westlichen Welt. Bis heu-
kontaminierten Flächen Artefakte mit       gen, mit einer Portion Entdeckerfreu-   te spielen die fest in der internationa-
symbolpolitischem Charakter besei-         de ausgestatteten Studierenden geht.    len Kunstszene etablierten Begründer
tigt worden. Umwelteinflüsse oder                                                  der Soz-Art mit tief im Unterbewuss-
Vandalismus haben zu Zerstörungen          Farbenfrohe Wandbilder bedienen of-     ten verankerten Stereotypen, wie
beigetragen. Für die Feldstudien der       fizielle Mythen. Zugleich spricht aus   Vitaly Komar in seinem Vortrag „Von
kulturwissenschaftlichen Lehrveran-        ihnen die Sehnsucht nach einer an-      der Pop-Art zur Soz-Art und zurück?“
staltungsreihe „Zwischen Exerzierplatz     deren Welt. Märchen aus der Kindheit    verriet. In enger Zusammenarbeit mit
und Sehnsucht nach der Heimat. Bild-       oder auch die heimatliche Natur er-     dem Koeppenhaus und vielen freiwil-
und Textspuren sowjetischer Truppen        wachen fast trotzig zu neuem Leben.     ligen Akteur*innen ist in der Galerie
im Spannungsfeld von Politik und           Utopische Landschaften tauchen auf.     ein multidimensionaler Lern- und Be-
Kunst“, war Eile geboten.                  Mit fremden Galaxien als Ambiente für   gegnungsraum entstanden. Verschie-
                                           einen Satelliten unbekannter Bauart     dene Tätigkeiten konnten praxisnah
Bevor Foto- und Filmaufnahmen in           beeindruckte seinerzeit ein nüchter-    ausprobiert und die gewonnenen Er-
den oft abseits der Zivilisation liegen-   nes Treppenhaus eines Kulturhauses      fahrungen und Erkenntnisse zur Viel-
den Wald- und Seengebieten stattfin-       im Bauhausstil die Besucher*innen.      falt und zum Neben- und Miteinander
den und in einer Lehrveranstaltung         Sensible, ironisch gebrochene Formen    europäischer Kulturen mit anderen
ausgewertet werden konnten, muss-          speichern Alltagserfahrungen und        geteilt werden. Damit diese nicht „ver-
ten die Orte auf Karten gesucht und        sind als geistreicher „Kommentar“ zur   stauben“, wurde ein zweisprachiger
ihre heutigen Besitzer*innen ausfin-       eigenen Lebenssituation, zu Geschich-   virtueller Rundgang durch die Galerie
dig gemacht werden. Anträge waren          te und Kultur beachtenswert. Imitiert   entworfen, der u. a. von Studierenden
zu stellen und Genehmigungen ein-          und neu bearbeitet entfalten einzel-    und Lehrenden an der Fakultät für
zuholen. Im Sommersemester 2019            ne Motive ein bewegtes Eigenleben       Journalistik der Staatlichen Univer-
wurden die in Kooperation mit Orts-        in der Printwerbung und im Internet.    sität Sankt Petersburg genutzt wird,
chronist*innen und anderen Zeit-           Mit dem so ins Heute geweiteten Blick   die eng mit den Literaturwissenschaft-
zeug*innen aufwendig recherchierten        schafften es auch ein Werbeplakat für   ler*innen an der Greifswalder Slawis-
und dokumentierten Objekte von den         Butter vom Lande und der Komiker        tik zusammenarbeiten. •
Studierenden diskutiert und in fach-       Pavel Volja, auf den Roman Orlov die

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Lernen & Lehren

                                                                        Abstraktes Industrie-
                                                                        design mit digitalem
                                                                        Ausblick in Drögen

                                                                        Foto: Ute Marggraff

                                                                        Studierende bei
                                                                        der Auswertung

                                                                        Foto: Sophie Weidlich

Aleksandr Nevskij in Jüterbog | Foto: Markus Hennen

                                                         Weitere Informationen zur
                                                      Slawistik und filmische Einblicke
                                                               in das Projekt:

                                                           www.slawistik.uni-
                                                             greifswald.de

                                                             @Fotoausstellung
                                                               Greifswald

                                                                                              21
Von Andreas Fritsch

                                             Exzellente Lehrpersonen
                                             ausgezeichnet
Wer lehrt am besten? Jährlich vergibt die Universität Greifswald die Lehrpreise. Im Juni 2020 nominierten die Studierenden
knapp 200 Lehrpersonen für den Preis, der exzellente Lehre an unserer Universität würdigt und mit 2.000 Euro dotiert ist. Die
Jury, bestehend aus Studierenden aller fünf Fakultäten, konnte allerdings nur drei Preisträger*innen vorschlagen. Anlässlich
der besonderen Herausforderungen für die Lehre während der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 hat das Rektorat
außerdem einmalig einen Sonderpreis für besonderes Engagement in der digitalen Lehre vergeben.

                                             Prof. Dr. Joachim Lege (Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Verfassungs-
                                             geschichte, Rechts- und Staatsphilosophie), der seit 2003 an der Universität
Foto: Kilian Dorner

                                             Greifswald lehrt, wird mit einem Lehrpreis in der Kategorie Motivierung der Stu-
                                             dierenden zur Eigenständigkeit ausgezeichnet. Durch eine Kombination von an-
                                             geleiteten und selbstständigen Lernprozessen werden die Studierenden gezielt
                                             zum eigenständigen Lernen motiviert. Damit schaff t er eine wichtige Vorausset-
                                             zung für lebenslanges Lernen.

Apl. Prof. Dr. Heiko Hüneke (Institut für Geographie und Geologie) wird in der                 Foto: Laura Schirrmeister

Kategorie Hervorragende Betreuung der Studierenden mit einem Lehrpreis aus-
gezeichnet. Der als außerplanmäßiger Professor am Fachbereich Sedimentologie
tätige Dozent ist für seine Studierenden über das reguläre Maß hinaus erreichbar,
gibt auf Fragen und Beiträge der Studierenden besonders hilfreiches Feedback
und unterstützt diese bei der Vorbereitung von studentischen Arbeiten in beson-
derem Maße.

                                             Prof. Dr. Mladen V. Tzvetkov wird ein Lehrpreis in der Kategorie Reflektierte Lehre
                                             verliehen. Mit der Auszeichnung wird gewürdigt, dass der geschäftsführende Direk-
                                             tor des Instituts für Pharmakologie der Universitätsmedizin Greifswald die Rück-
Foto: Lukas Voigt

                                             meldungen und Fragen der Studierenden zur Lehre besonders wertschätzt, Evalua-
                                             tionen für die Weiterentwicklung der Lehre nutzt und Inhalte der Lehre gezielt der
                                             kritischen Prüfung durch die Studierenden aussetzt, was zu einer vertieften Ausein-
                                             andersetzung mit den Lehrinhalten führt.

Mit dem Sonderpreis für besonderes Engagement in der
digitalen Lehre ausgezeichnet werden Dr. Margitta Kuty
(Institut für Anglistik und Amerikanistik) und Dr. Jana Kiesen-
dahl (Qualitätspakt Lehre/Digitalisierung in der Hochschul-
lehre). Frau Kuty ist als Leiterin der Fachdidaktik Englisch fe-
derführend an der Entwicklung eines digitalen Lernportfolio
                                                                   Foto: Laura Schirrmeister

                                                                                                                           Foto: Laura Schirrmeister

für die Praxisphasen im Lehramtsstudium beteiligt. Frau Kie-
sendahl, die über die Angemessenheit in computervermittel-
ter Kommunikation forschte, bildet studentische Hilfskräfte
als eTutor*innen aus, zeigt in Videotutorials den mediendi-
daktisch sinnvollen Einsatz digitaler Technologien und gibt
Moodle-Kurse.

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