TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4

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TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
2021 / 02

TITELTHEMA           WISSENSCHAFT       PANORAMA
AGENT-PROJEKT:       WAS WASSERLINSEN   MIT JÄGER SILVIO
GENBANKEN RÜCKEN     ZU ALLESKÖNNERN    HENNEBERG IM
ZUSAMMEN    | S. 4   MACHT | S. 14      IPK-REVIER | S. 34
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
Liebe Leserinnen und Leser,

E
          in weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu, in
          welchem Corona-bedingte Einschränkungen
          und Kontaktreduktionen das Institutsleben
über weite Strecken geprägt haben. Viele Mitarbeitende
befanden sich im Homeoffice oder mussten aufgrund von
Schul- und Kitaschließungen zur Betreuung der Kinder zu
Hause bleiben. Am IPK geplante Tagungsveranstaltungen
und Workshops wurden abgesagt oder als Online-Veran-
staltungen abgehalten. Umgekehrt fiel der Besuch von
Tagungsveranstaltungen außerhalb des Instituts weitge-
hend ins Wasser.
        Ungeachtet der vordergründigen Ruhe auf dem
Campus können wir aus wissenschaftlicher Sicht auf ein
sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken. Forschungsergeb-
nisse wurden in über 180 Artikeln in wissenschaftlichen
Fachzeitschriften publiziert. Es ist jedoch zu befürchten,                                            Prof. Dr. Andreas Graner

dass fortgesetzte Corona-bedingte Einschränkungen sich
auch auf die wissenschaftliche Arbeit auswirken werden.                Einen ganz anderen Werdegang hat Silvio
        Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass viele   Henneberg. Der langjährige Küchenchef des Casinos ist
Mitarbeitende das Angebot des Instituts angenommen             heute im Bereich des Campus-Managements tätig und
haben, sich vor Ort gegen Corona impfen zu lassen. Mit         zusätzlich vom IPK als Jäger beauftragt. In dieser Funktion
einer Impfquote von mehr als 95 Prozent liegt das IPK          kümmert er sich um das Revier rund um das Institut.
weit über dem Durchschnitt, und es bleibt zu hoffen,           Warum seine Arbeit wichtig ist, sein Wildbret gelegentlich
dass die gegenwärtige Infektionswelle die Mitarbeitenden       noch im Casino landet und er für seine Arbeit manchmal
verschonen wird.                                               Gummibärchen braucht - all das hat er dem IPK-Journal auf
        Die Wissenschaft lebt von Kooperationen. 2021 hat      seinem Hochsitz erzählt.
es gleich mehrere Gespräche mit CEPLAS, dem Exzellenz-                 Der Standort Malchow auf der Insel Poel ist
cluster für Pflanzenwissenschaften in Köln, Düsseldorf         wiederum Evelin Willner ans Herz gewachsen. Dabei hat
und Jülich, gegeben. Dabei geht es um die Abstimmung           die Kuratorin des Öl- und Futterpflanzensortimentes auch
laufender Forschungsprogramme, die Entwicklung neuer           manch eine Herausforderung bewältigen müssen. Heute
Forschungsprojekte, aber auch um die Ausbildung von            führt sie die Besucher voller Begeisterung durch den neuen
wissenschaftlichem Nachwuchs.                                  Lehrgarten in Malchow. Wiesenrispe, Weiches Honiggras
        Neue Möglichkeiten für weitere Kooperationen           oder Rotklee - an jeder Parzelle hat sie eine Geschichte zu
eröffnen sich auch durch die neue Forschungsgruppe             den dort angebauten Gräser- und Kleegrasmischungen
„Stammzellsysteme bei Getreide“, deren Einrichtung die         parat. Ihre neuste Leidenschaft: Tee aus Rotkleeblüten.
Deutsche Forschungsgemeinschaft im September 2021                      Jeder kennt den Anblick von kleinen Bachläufen
beschlossen hat. Das Institut ist einer von zehn Partnern.     oder Seen, die mit einer grünen Schicht überzogen sind.
Wir hoffen, bei unseren Arbeiten neue Stammzellgene            Entenflott oder Entengrütze heißt es im Volksmund. Doch
zu entdecken, die zu einer Ertragsverbesserung von             nur wenige wissen, dass sich hinter diesem Phänomen eine
Nutzpflanzen verwendet werden können.                          Kulturpflanze mit großem Potenzial verbirgt: die Wasser-
        Nach fast 30 Jahren verlässt Hans-Peter Mock,          linse. Die Pflanze kann uns nicht nur bei der Ernährung
Leiter der Arbeitsgruppe „Angewandte Biochemie“, zum           helfen, sondern auch bei der Energiegewinnung sowie der
Jahresende das Institut und geht in den Ruhestand. Bei         Wasser- und Gewässerreinigung. Kaum einer weiß das so
einem Rundgang über den Campus erzählt der 65-Jährige          gut wie Ingo Schubert. Im nächsten Jahr ist er Mitorgani-
von seinem Start, seiner besonderen Liebe zur Bibliothek,      sator der Internationalen Wasserlinsen-Konferenz, die am
einem Basecap sowie T-Shirts für seine Arbeitsgruppe,          IPK - und damit erstmals in Europa - stattfindet.
mit denen er eine ganz besondere Geschichte verbindet.                 Bevor es jedoch soweit ist, wünsche ich Ihnen
Schon vor einigen Jahren hat Andrea Bräutigam das IPK          ein schönes Weihnachtsfest, geruhsame Feiertage und
verlassen. Heute ist sie Professorin an der Universität        wie immer viel Freude beim Stöbern in der vorliegenden
Bielefeld. In der Rubrik „Was macht eigentlich…?“ spricht      Ausgabe des IPK-Journals
sie über ihren hohen Respekt vor furchtlosen Studentinnen
und Studenten, Kölner Kneipen, ihre sehr direkte Art und die   Ihr
Suche nach wissenschaftlichem Nachwuchs.                       Andreas Graner

                                                                                                                           Editorial | 1
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IMPRESSUM   Herausgeber:
                      Leibniz-Institut für Pflanzengenetik
                      und Kulturpflanzenforschung (IPK)
                      OT Gatersleben, Corrensstraße 3, D-06466 Seeland
                      Tel.: + 49 (0) 394 82 54 27 | Fax: 49 (0) 394 82 55 00
                      info@ipk-gatersleben.de | www.ipk-gatersleben.de

                      Redaktion: Dr. Jens Freitag, Christian Schafmeister
                      Satz/Layout: Andreas Bähring
                      Assistenz: Katja Koch

                      Nummer der Ausgabe: 2021/2

                      Redaktionsschluss: 26.11.2021
                      Auflage: 400 Exemplare
                      Papier: Maxioffset, EU Ecolabel zertifiziert, Umschlag: 130 g/m2,
                      innen: 110 g/m2
                      Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH

                      Bildnachweise:

                      Umschlag; Seite 14 ; Hintergrundbild auf Seite 37
                      “https://de.freepik.com/fotos/hintergrund“
                      Hintergrund Foto erstellt von freepik - de.freepik.com

                      Andreas Bähring (IPK Leibniz-Institut)
                      Seiten: 1; 7; 10; 16; 17; 18; 19; 22; 24; 25; 26; 29; 32; 33; 34; 35;
                      37; 42; 43; 44

                      David Ausserhofer
                      Seite: 27

                      Dr. Twan Rutten (IPK Leibniz-Institut)
                      Seite: 12-13 (gefärbte Ährenspitze)

                      Prof. Thomas Dresselhaus
                      Seite: 11

                      Jannis Philippi
                      (S/W Färbung; Ausschnitt: Andreas Bähring)
                      https://en.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons
                      Seite: 41

                      Universität Bielefeld
                      Seite: 39

                      ©AGENTconsortium, 2021
                      Seite: 5

                      Geweihgrafik auf Seite 36
                      „Designed by Smithytomy / Freepik“

2 | Impressum
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
INHALT
         TITELTHEMA
         4| Die Kapitäne im Datenfluss

         WISSENSCHAFT
         07| „Wir brauchen politische Entscheidungen“
         10| Wenn Gene in die Oper gehen
         16| Die Frau vom Keim-TÜV
         18| High-Tech auf Schienen
         22| Die Hürdenläuferin
         24| Der Kartoffel in die Augen schauen
         27| Wissenschaft kommuniziert - aus der Nähe, auf abstand
         30| „FAIR-Prinzipien müssen breiter gedacht werden“
         32| Lydia Kienbaum und Krishna Mohan Pathi erhalten Preise

         PANORAMA
         34| Gummibären für den Waschbären
         37| Vorfreude auf die Nummer 23
         42| Neues Gesicht im Grünen Labor
         46| „I Got SPAM“
         48| IPK in den Medien

         50| Publikationen
         52| Neu eingeworbene Drittmittel

                                                        Inhaltsverzeichnis | 3
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
DIE KAPITÄNE IM
         DATENFLUSS
         ZIEL DES AGENT-PROJEKTES IST, EIN NETZWERK KOOPERIERENDER
         GENBANKEN AUFZUBAUEN, STANDARDS ZU ETABLIEREN UND
         TECHNISCHE INFRASTRUKTUREN ZUSAMMENZUFÜHREN. AM IPK
         SIND DARAN ZWEI ARBEITSGRUPPEN MASSGEBLICH BETEILIGT.

         W
                       eltweit werden 7,4 Millionen Muster in     versucht das Projekt, einen wichtigen Beitrag zur
                       mehr als 1.750 Genbanken eingelagert       globalen Ernährungssicherheit, zur Erhöhung /
                       und erhalten. Die ersten Genbanken zur     Stabilisierung der Agro-Biodiversität und zur verbes-
         Erhaltung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen      serten Klima-Anpassung der wichtigsten Feldfrüchte
         für künftige Generationen wurden bereits Anfang          beizutragen“, sagt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der
         des 20. Jahrhunderts eingerichtet. Die Bundeszen-        Arbeitsgruppe „Genomik Genetischer Ressourcen“
         trale Ex-situ-Genbank am IPK Leibniz-Institut, die       am IPK und Koordinator des EU-Projektes, das eine
         u.a. auf die Sammlung des im Jahre 1943 gegrün-          Laufzeit von fünf Jahren hat und von der EU mit rund
         deten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kulturpflanzen-       sieben Millionen Euro gefördert wird.
         forschung zurückzuführen ist, zählt international zu             Das IPK ist in dem Projekt unter anderem
         den zehn größten Genbanken für Kulturpflanzen. In        m aßg e b li c h an d e n b e id e n A r b e i ts pake te n
         ihrem Bestand beherbergen die Mitarbeitenden des         „Datenfluss und Datenstandard“ und „Technische
         IPK heute mehr als 150.000 Muster von insgesamt          Infrastruktur“ beteiligt. „Das Ziel ist es, einen standar-
         knapp 3.000 Arten. Die meisten davon werden bei          disierten Datenerhebungsprozess für phänotypi-
         minus 18 Grad Celsius in Weckgläsern aufbewahrt.         sche und genotypische Daten aus den beteiligten
         Doch das ist nur die eine Seite. Die Muster liegen       Genbanken zu etablieren“, erklärt Dr. Matthias
         grundsätzlich auch in digitaler Form vor.                Lange, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Bioinfor-
                Bei der Digitalisierung der Genbanken             matik und Informationstechnologie“. Dabei wird
         im globalen Maßstab gibt es aber ein zentrales           auf den bestehenden Europäischen Suchkatalog
         Problem: Die Verfahren zur Datenerhebung, das            für pflanzengenetische Ressourcen (EURISCO) als
         heißt deren Umfang sowie die zugrunde liegenden          Technologieplattform zurückgegriffen, der bereits
         Standards, aber auch die Datenbanktechnologien           seit 2014 vom IPK betrieben wird. EURISCO bietet
         in den einzelnen Ländern sind nicht definiert und        Informationen zu mehr als zwei Millionen Mustern
         unterscheiden sich stark. Das tatsächliche Potenzial     (Akzessionen) von Kulturpflanzen und ihren wilden
         der gespeicher ten Ressourcen ist daher für              Verwandten, die von etwa 400 Instituten ex-situ
         Züchtung und Forschung bisher nur eingeschränkt          erhalten werden.
         zugänglich. Zum Beispiel liegen bislang kaum                     „EURISCO dient als Integrationspunkt, dort
         genotypische Daten vor, die idealerweise systema-        sollen in Zukunft alle Informationen zusammenge-
         tisch als Teil der Dokumentation der Genbankmuster       führt werden.“ Zunächst wird von EURISCO eine Art
         verfügbar wären.                                         Kopie erstellt, die mit weiteren Daten und Recherche-
                A n diesen Punk ten set z t das E U - For-        und Visualisierungsmöglichkeiten Stück für Stück
         schungsprojekt AGENT an, das im Mai 2020 mit             angereichert wird. So sollen agronomisch interes-
         einer „Kick-off“-Veranstaltung startete. Ziel ist, das   sante Merkmale wie Pflanzenhöhe, Blütezeitpunkt
         Potenzial des in zahlreichen Genbanken rund um den       und 1.000 -Korn-Gewicht systematisch erfasst
         Globus eingelagerten biologischen Materials durch        werden. Weiterhin werden diese im Zusammen-
         Einführung internationaler Standards und in einer        hang mit der jeweiligen Umwelt des Standortes -
         offenen digitalen Infrastruktur für die Verwaltung       also etwa dortigen Boden- oder Wetterdaten - als
         pflanzengenetischer Ressourcen zu erschließen.           auch mit möglichen Krankheitsmerkmalen in Bezug
         „Mit einer besseren Integration des genetischen          gesetzt. Auch diese werden systematisch zugäng-
         Materials in moderne Züchtungsprogramme                  lich gemacht.

4 | Wissenschaft
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
„Unser Anspruch ist es, das bestehende         bereits die zentrale technische Infrastruktur am
System hinsichtlich abgestimmter Datenformate,        IPK haben, auf deren Verwendung sich alle Partner
deren nachhaltiger Zugänglichkeit und Visualisie-     geeinigt haben. Dies sind ideale Voraussetzungen,
rung zu verbessern und auf eine neue Qualitätsstufe   um ein zentrales Informationssystem für pflanzen-
zu heben“, betont Dr. Matthias Lange. Der Kernda-     genetische Daten über alle europäischen Genbanken
tensatz der Genbanken soll dafür erweitert, nach      aufzubauen.“ Dazu gehört auch die Integration von
einem Regelwerk kuriert und danach als homogener      genotypischen Daten, also dem sogenannten geneti-
Datenfluss von allen AGENT-Partner gespeist           schen Fingerabdruck von Genbankmaterial. Diese
werden. „Unser Vorteil ist, dass wir mit EURISCO      können dazu dienen, um über sogenannte moleku-

                                                                                              Wissenschaft | 5
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lare Datenanfragen die Recherche in genetischen            pflanzen sind beide Getreide von globaler Bedeutung.
         Profilen von Pflanzenmustern in Genbanken zu               Hinzu kommt, dass bereits vor Beginn des Projektes
         ermöglichen.                                               umfangreiche Datensätze für diese Pflanzen-
                Die zentralen Herausforderungen bestehen            arten verfügbar sind. „Die im Zuge von AGENT
         darin, die digitalen Prozesse zu homogenisieren und        entwickelten Prozesse zum Datenmanagement
         zugleich die technische Infrastruktur zu verzahnen.        könnten künftig aber auch auf andere Nutzpflanzen-
         Beim ersten Punk t geht es vor allem um den                sammlungen angewendet werden.“
         Datenfluss beim Proben- und Materialmanage-                         Eine der wirklichen Innovationen des
         ment, beim zweiten Punkt geht es derweil um die            Projektes besteht darin, dass Genbanken, auf der
         Verzahnung der bestehenden Datenbanken, Websys-            Grundlage eines Bewertungsnetzes, in den verschie-
         teme und Suchportale der AGENT-Partner. „AGENT             denen europäischen Klimazonen phänotypische
         soll also eine Art Schmelztiegel der bestehenden           Daten für einen Teil ihrer genetischen Ressourcen
         Systeme werden“, erklärt Dr. Matthias Lange. Ziel          sammeln werden. „Diese Informationen werden
         ist es auch, Doppelungen von Akzessionen in den            verwendet, um phänotypische Werte für die größeren
         einzelnen Genbanken aufzuspüren. „Hier ist unser           Sammlungen vorherzusagen, indem Informationen
         Ziel, die Bestände digital zu einer virtuell vereinigten   auf der Grundlage der zuvor gesammelten genomi-
         und harmonisierten Dokumen-                                                      schen Fingerabdrücke integriert
         tation von Genbank muster n                                                      werden“, sagt Prof. Dr. Nils
         zusammenzuführen“.                           „AGENT ist eine                     Stein.
                Der Bedarf ist gewaltig.                                                           Durch die Breite des
         „Seit der Einrichtung von                  Art Schmelztiegel                     AGENT- Konsor tiums ist es
         Genbanken wurden große                                                           gelungen, auch angrenzende
         Mengen unschätzbar wertvoller
                                                         bestehender                      Datenökosysteme, Infrastruk-
         genetischer Ressourcen                             Systeme.“                     turen und Standardisierungs-
         zwischen Institutionen auf der                                                   initiativen einzubeziehen. Das
         ganzen Welt ausgetauscht, was                                                    b etrif f t et wa ge meinsame
                                                            Matthias Lange
         zu Redundanzen zwischen den                                                      Arbeiten mit dem Europäi -
         S ammlungen führ te“, erklär t                                                   schen Netzwerk für Bioinfor-
         Projektkoordinator Prof. Dr. Nils                                                matikinfrastrukturen - ELIXIR,
         Stein. „Im Rahmen von AGENT wollen wir eine                das globale Netzwerk zur offenen Verbreitung von
         Bestandsaufnahme der derzeit in den regionalen             pflanzengenetischen Ressourcen - DivSeek oder
         Genbanken der EU ver fügbaren Ressourcen                   auch das Europäische Evaluierungsnetzwerk für
         vornehmen und sicherstellen, dass künftig alle             pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und
         Länder diese genetischen Ressourcen in komple-             Landwirtschaft - EVA. Positive Effekte erhofft sich
         mentärer Weise nutzen können.“                             IPK-Wissenschaftler Lange aber nicht nur für die
                Zentrale Abläufe und Arbeiten des Projektes         Zusammenarbeit der einzelnen Genbanken, sondern
         sind bereits voll im Gange: es wird Material für           auch für das IPK selbst. „AGENT ist ein wichtiger
         die Genotypisierung im Feld und in Gewächshäu-             Impuls, der hier am Institut wie ein Treiber wirkt und
         sern herangezogen und genotypisiert. Desweiteren           Kräfte freisetzt, um die digitale Transformation von
         führen die beteiligten Genbankpartner Feldversuche         Prozessen zu optimieren und einen weiteren Schritt
         zur Erfassung von Phänotypen (allgemeine agrono-           auf dem Weg zu einem bio-digitalen Ressourcen-
         mische Merkmale, Krankheitsresistenz, Klimaver-            zentrum zu machen.“ Angedacht ist aber auch eine
         träglichkeit) durch und sie digitalisieren historische     Ausstrahlung des Projekts über Europa hinaus.
         Phänotypinformationen.                                     Mittel- bis langfristig ist es ein wichtiges Ziel, weitere
                Die Bioinformatik und die Datenbankpartner          Genbanken rund um den Globus für die durch
         sind unterdessen intensiv damit befasst, Datenflüsse,      AGENT vorgezeichneten Bemühungen zur Standar-
         Datenintegrationsstrukturen und Analysewerk-               disierung und Digitalisierung zu gewinnen und in ein
         zeuge zu etablieren und verfügbar zu machen. Dabei         internationales Kooperationsnetzwerk einzubinden.
         werden Kontakte zu assoziierten Evaluierungsnetz-
         werken geknüpft, die in den kommenden Jahren
         AGENT-Material im Feld auf seine Nutzbarkeit im            Mehr Infos zu AGENT und zu EURISCO:
         Pre-Breeding hin testen.
                Im Fokus des Projektes stehen zunächst              https://agent-project.eu/
         Weizen und Gerste. Als Grundnahrungsmittel-                https://eurisco.ipk-gatersleben.de/

6 | Wissenschaft
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
„WIR BRAUCHEN
POLITISCHE
ENTSCHEIDUNGEN“
ANDREAS GRANER, GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR DES IPK,
SPRICHT IM INTERVIEW ÜBER NEUE FORSCHUNGSBEREICHE, DIE
NEUBESETZUNG DER ADMINISTRATIVEN LEITUNG UND SEINE
ERWARTUNGEN AN DIE POLITIK BEIM THEMA GRÜNE GENTECHNIK.

                                                       heit der Mitarbeitenden zu schützen. Neben einer
                                                       Vielzahl präventiver Maßnahmen hat das Institut
                                                       auch frühzeitig Impfungen für alle Mitarbeitenden
                                                       ermöglicht.

                                                       Halten Sie ein Leben ohne Coronavi-
                                                       rus überhaupt noch für möglich?

                                                       Ein Leben ohne das Coronavirus wird es in Zukunft
                                                       nicht mehr geben. Wir werden mit dem Virus leben
                                                       müssen. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand
                                                       stellen Impfungen die Voraussetzung für die Ein-
                                                       dämmung der Pandemie in den kommenden Win-
   „Das Institut verfügt über                          termonaten dar.

 ein sehr breites Fundament                            In ihrer neuesten Stellungnahme weist die Leo-
                                                       poldina darauf hin, dass eine angemessenere Re-
        wissenschaftlicher                             gelung zur Offenlegung des Impfstatus in der Ar-
                                                       beitsschutzverordnung eine wichtige Maßnahme
               Exzellenz.“                             zur Eindämmung der Infektionszahlen darstellt. Ich
                                                       gehe daher davon aus, dass dem Impfstatus in den
                 Andreas Graner
                                                       kommenden Monaten eine wichtige Rolle bei der
                                                       Organisation der Arbeit zukommen wird.

Die Poster Session während der Institutstage im        ZEIT, ZDF, SPIEGEL, Deutschlandfunk - die
Oktober war die erste Gelegenheit seit Monaten,        Medien haben das IPK zuletzt immer stärker
bei der Kolleginnen und Kollegen wieder unge-          auf dem Schirm gehabt. Ist das ein schöner
zwungen bei einem Wein oder Bier zusammen-             Nebeneffekt oder ist das ein Punkt, der künftig
stehen konnten. Nun aber steigen die Zahlen er-        auch bei der Beantragung von Fördergeldern
neut stark an. Wie haben Sie die Corona-Zeit am        ein wichtiges Kriterium werden wird?
Institut erlebt? Und worauf müssen sich die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter noch einstellen?         Die Berichterstattung in den Medien ist ein wichtiger
                                                       Faktor, um die Bevölkerung über Inhalte und Bedeu-
Die Corona-Pandemie stellt eine große Herausforde-     tung unserer Forschungsarbeiten zu informieren.
rung für das gesamte Gesundheits- und Staatswe-        Darüber hinaus profitiert auch der Bekanntheitsgrad
sen dar. Auf das Institut bezogen bedeutet dies, den   des Instituts. Letzterer kann bei der Erschließung
regulären Forschungsbetrieb so weit wie möglich        neuer Förderquellen sowie bei der Initiierung neuer
aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Gesund-      Förderprogramme in den Ministerien eine wichtige

                                                                                                   Wissenschaft | 7
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
Rolle spielen. Die eigentliche Vergabe von Förder-        Bei der Zusammenarbeit mit CEPLAS verfolgen
         geldern wird jedoch weiterhin das Ergebnis eines          wir folgende Ziele: Abstimmung der laufenden For-
         wissenschaftlichen Ideenwettbewerbs bleiben, bei          schungsprogramme, Entwicklung gemeinsamer
         dem in erster Linie die Qualität und der innovative       Forschungsprojekte, Ausbildung von wissenschaftli-
         Charakter des Projekts entscheidend sind.                 chem Nachwuchs. Durch verstärkte Kommunikation
                                                                   mit der Politik und Einrichtungen für die Forschungs-
         Derzeit suchen Sie eine neue Administrative               förderung soll das Bewusstsein für die Bedeutung
         Leitung. Wann rechnen Sie damit, dass diese               der Pflanzenforschung zur Lösung von Zukunftsauf-
         Schlüsselstelle wiederbesetzt ist?                        gaben geschärft werden.

         Nach dem Weggang des Administrativen Leiters im           Auch der Chef des Crop Trust, Stefan Schmitz,
         Juli habe ich diese Aufgabe kommissarisch über-           war vor einigen Wochen mit einer Delegation
         nommen, da es nicht gelungen war, eine verwal-            zum Strategiegespräch in Gatersleben. Gibt
         tungsinterne Übergangslösung zu finden. Gottsei-          es da spannende Anknüpfungspunkte für das
         dank werde ich dabei von vielen Seiten unterstützt.       IPK? Und wie sind Sie mit dem Crop Trust
         Ich habe in den vergangenen Monaten viel hinzuge-         verblieben?
         lernt und Einblicke in die internen Strukturen, Abläufe
         und Entscheidungsprozesse gewonnen. Die Her-              Das IPK arbeitet seit vielen Jahren mit dem Crop
         ausforderung ist groß und ich hoffe sehr, dass das        Trust zusammen, da dieser das Saatgutlager „Global
         Institut im kommenden Frühjahr wieder über eine           Seed Vault“ auf Spitzbergen betreibt, in welchem
         Administrative Leitung verfügen wird.                     mittlerweile rund 60.000 Sammlungsmuster des IPK
                                                                   als Sicherheitsduplikate gelagert werden. Bei dem
         Vor einigen Monaten sind zwei Perspektiv-                 Gespräch ging es darum, dem neuen Leiter des Crop
         gruppen an den Start gegangen, die jeweils                Trusts einen Überblick über die Arbeiten am Institut
         von Frauen geleitet werden. Welche weiteren               zu geben und Anknüpfungspunkte für weitere ge-
         Schritte sind geplant, um Frauen stärker zu               meinsame Aktivitäten zu identifizieren. Hierbei geht
         fördern, gerade in Führungspositionen?                    es in erster Linie um Forschungsfragen, die einen
                                                                   hohen Bezug zu Entwicklungsländern aufweisen, da
         Das Institut hat in den vergangenen Jahren große          die Aufgaben des Crop Trusts sich auf diese Länder
         Anstrengungen unternommen, um den Anteil von              beschränken.
         Frauen in wissenschaftlichen Leitungspositionen
         zu erhöhen. Hierbei kommen wir allerdings nur in          Die Veröffentlichung zur Entschlüsselung des
         kleinen Schritten voran. Aufgrund der bestehenden         Roggen-Genoms war eine der Arbeiten, die
         Altersstruktur wird nur eine begrenzte Anzahl an          enorme Aufmerksamkeit erzeugt hat. Was
         Stellen in der ersten (Abteilungsleitungen) und zwei-     waren aus Ihrer Sicht die wissenschaftlichen
         ten Führungsebene (Arbeitsgruppenleitungen) frei.         Höhepunkte 2021?
         Der Anteil von Bewerberinnen auf Führungspositi-
         onen liegt in der Regel weit unter 50 Prozent. Vor        Das Jahr 2021 war einmal mehr durch hohe wissen-
         diesem Hintergrund ist es wichtig, junge Wissen-          schaftliche Produktivität gekennzeichnet. Dies spie-
         schaftlerinnen aus dem IPK an Leitungsaufgaben            gelt sich auch in der hohen Anzahl an Publikationen
         heranzuführen. Mit den Perspektivgruppen haben            wider. Es ist an dieser Stelle nicht möglich alle High-
         wir ein Strukturelement geschaffen, dass den Schritt      lights im Einzelnen aufzulisten. Wichtig erscheint
         in die Eigenständigkeit unterstützt. Es sei jedoch        mir aber die Feststellung, dass alle Abteilungen dazu
         ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Perspektiv-         beigetragen haben. Das heißt, dass das Institut über
         gruppen nicht ausschließlich auf Frauen beschränkt        ein sehr breites Fundament an wissenschaftlicher
         sein sollen.                                              Exzellenz verfügt. Einzelheiten hierzu werden sich im
                                                                   Forschungsbericht 2020/21 finden.
         Die Wissenschaft lebt von Kooperationen. 2021
         hat es gleich mehrere Gespräche mit CEPLAS,               Das Profil eines wissenschaftlichen Institutes
         dem Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaf-             ist im Wandel, muss immer wieder geschärft
         ten, gegeben. Was ist das Ziel? Und wie ist da            werden. Können Sie schon sagen, in welche
         der aktuelle Stand?                                       Richtung sich das IPK entwickeln wird und
                                                                   welche Themen 2022 eine Rolle spielen könn-
                                                                   ten?

8 | Wissenschaft
TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
Die forschungsstrategische Ausrichtung des IPK           weiter zu stärken. Was ist seitdem dort pas-
spiegelt sich in den fünf Forschungsschwerpunkten        siert? Und sind Sie damit zufrieden?
wider, die auf Grundlage der gewonnenen Erkennt-
nisse sowie äußerer Faktoren weiterentwickelt wer-       Der Ausbau der TEN und die damit verbundene
den.                                                     Stärkung der beiden Standorte, Groß Lüsewitz und
Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens stellt die         Malchow, ist ein zentrales Anliegen der Institutsent-
Weiterentwicklung der Genbank in ein bio-digitales       wicklung. In 2019 wurde ein zweiteiliges Konzept
Ressourcenzentrum in den kommenden Jahren ein            zur Stärkung der Forschungsarbeiten und zum Aus-
zentrales Thema von abteilungsübergreifender Be-         bau des Erhaltungsmanagements erarbeitet. Eine
deutung dar. Darin werden die Genbankakzessionen,        wichtige Grundlage für Letzteres ist die Sanierung
die bisher lediglich mit Passportdaten über ihre Her-    der baulichen Infrastruktur an beiden Standorten.
kunft und taxonomische Einordnung beschrieben            Aufgrund der in der Startphase des Projekts auf-
waren, mit weiterführenden Informationen zur Merk-       gelaufenen Verzögerungen ist die Umsetzung zum
malsausprägung und zur DNA-Sequenz charakteri-           gegenwärtigen Zeitpunkt aber leider noch mit vielen
siert. So wird sich die Nutzbarmachung der geneti-       Unsicherheiten behaftet.
schen Vielfalt für Forschung und Pflanzenzüchtung
erheblich verbessern lassen.                             Im Entwurf des Koalitionsvertrages der
                                                         Rot-Roten Koalition in Mecklenburg-Vorpom-
Welche weiteren Schwerpunkte gibt es?                    mern gibt es ein klares Statement zur Genome-
                                                         ditierung: „Der wissensbasierte Einsatz neuer
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Ausweitung       Züchtungsmethoden ist in Zeiten des Klima-
der erfolgreichen Arbeiten zur Genomforschung bei        wandels notwendig. Wir fordern die Zulassung
Getreide auf andere Nutzpflanzen. In diesem Zu-          neuer Züchtungstechniken beim Bund und der
sammenhang wird zum 1. Januar 2022 eine neue             EU ein.“ Wie bewerten Sie die aktuelle politi-
unabhängige Nachwuchsgruppe ihre Arbeit zum              sche Debatte? Und welche Erwartungen haben
Thema „Legume Genomics“ aufnehmen. Diese wird            Sie bei dem Thema an die neue Bundesregie-
über einen Zeitraum von fünf Jahren aus Mitteln          rung?
der Leibniz Gemeinschaft (Pakt für Forschung und
Innovation) finanziert.                                  Ich erwarte, dass in Fragen der Grünen Gentechnik
Darüber hinaus wurden in diesem Herbst die Bau-          und des Genome Editing der allgemeine wissen-
arbeiten an der Pflanzenkulturhalle erfolgreich          schaftliche Kenntnisstand sowie die Stellungnah-
abgeschlossen. Damit wird diese Forschungsinf-           men der Akademien und Forschungseinrichtungen
rastruktur im kommenden Jahr von Beginn an für           nicht nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden,
den Vollbetrieb zur Verfügung stehen und wichtige        sondern endlich in politischen Entscheidungen um-
Möglichkeiten zur Erforschung der Anpassung von          gesetzt werden. Nach den vielen Enttäuschungen in
Nutzpflanzen an den Klimawandel ermöglichen.             den vergangenen 25 Jahren verfalle ich angesichts
                                                         der aktuellen Debatte in keine übermäßige Euphorie
In der Vergangenheit gab es die Aufforderung,            und würde mich umso mehr freuen, wenn ich damit
die zwei Standorte der Teilsammlungen Nord               falsch läge.

Auswahl von Stellungnahmen und Diskussionspapieren der Nationalen Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ in ‚Halle.
Gegenwertig sind drei aktiv Forschende des IPK als Mitglieder der Akademie berufen.

Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie der Leopoldina (2021):
https://www.leopoldina.org/publikationen/stellungnahmen/stellungnahmen/

Stellungnahme der Leopoldina „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter
Pflanzen in der EU“ (2019):
https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/

Diskussionspapier der Leopoldina zur „Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz – Erwartungen an wissenschaftliche Expertise“
(2021):
https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/nutzen-von-wissenschaftlicher-evidenz-erwartun-
gen-an-wissenschaftliche-expertise-2021/

                                                                                                     Wissenschaft | 9
WENN GENE IN
         DIE OPER GEHEN
         DAS IPK IST TEIL DER FORSCHUNGSGRUPPE „STAMMZELLSYSTEME
         BEI GETREIDE“, DEREN EINRICHTUNG DIE DEUTSCHE FORSCHUNGS-
         GEMEINSCHAFT BESCHLOSSEN HAT. THORSTEN SCHNURBUSCH
         ERKLÄRT DIE ZIELE UND ERLÄUTERT, WAS GENREGULATIONSNETZ-
         WERKE MIT EINEM OPERNORCHESTER ZU TUN HABEN.

                                                               zu erwartenden Verhältnissen, zwingend erforder-
                                                               lich ist. Die Herausforderungen sind dabei enorm:
                                                               eine begrenzte landwirtschaftlich nutzbare Fläche,
                                                               steigende Temperaturen, Ökologisierung, aber auch
                                                               Intensivierung der Landwirtschaft - um nur einige zu
                                                               nennen.

                                                               Wie unterscheiden sich menschliche und
                                                               pflanzliche Stammzellen und was sind Ge-
                                                               meinsamkeiten?

                    Prof. Dr. Thorsten                         Gemeinsam haben sie ihre Undifferenziertheit und
                                                               das Potenzial, alle Gewebe des Organismus zu
                 Schnurbusch hofft,                            bilden. Im Gegensatz zu tierischen Stammzellen

                neue Stammzellgene                             besitzen pflanzliche Stammzellen aber Zellwände,
                                                               die sie umgeben und in Form halten. Hinzu kommen
               zu entdecken, die zur                           Plastiden, also Vorläuferstufen der sogenannten Chlo-
                                                               roplasten, die Zellen die Fotosynthese ermöglichen.
            Ertragsverbesserung von                            Pflanzen nutzen Stammzellenreservoirs in ihren Me-
                                                               ristemen, um ihr ober- und unterirdisches Wachstum
             Nutzpflanzen beitragen.                           anzutreiben.
                                                               Meristeme enthalten nicht nur den pflanzlichen Bau-
                                                               plan, sondern bestimmen bei Nutzpflanzen auch ganz
                                                               wesentlich Produktivität und Ertrag.
         Beim Thema Stammzellen denken die meis-
         ten sofort an menschliche Stammzellen und             Das heißt, Meristeme sind ein entscheidender
         die damit verbundenen ethischen Diskussio-            Ansatzpunkt dafür, auch künftig die wachsen-
         nen, aber auch an neue Chancen zur Heilung            de Weltbevölkerung möglichst gut ernähren zu
         zahlreicher Krankheiten. Welche Hoffnungen            können?
         verbindest Du mit Stammzellen bei Pflanzen?
                                                               Ja, das kann man so sagen. Die gesamte pflanzliche
         Ich verbinde mit der Erforschung pflanzlicher         Produktion - sei es bei Kartoffelknollen, Blattsalat
         Stammzellen die Hoffnung, dass wir ertragsbilden-     oder Getreidekörnern - lässt sich auf meristematische
         de Organe wie zum Beispiel Getreideähren in einem     Aktivitäten zurückführen.
         ersten Schritt besser verstehen lernen, um dann in
         einem zweiten Schritt auch Ernte-Erträge nachhal-     Am Anfang der Entwicklung stehen Pollen und
         tig steigern zu können. Und ich bin überzeugt, dass   Eizelle. Ab welchem Zeitpunkt der pflanzlichen
         eine nachhaltige Produktionssteigerung unter den      Entwicklung spricht man eigentlich von Stamm-
         derzeitigen, vor allem aber auch den künftig noch     zellen, und wo bilden diese sich bei Pflanzen?

10 | Wissenschaft
Jeder Samen oder jedes Korn enthält embryonales                          Aufführung. Das sind vielleicht 20-30 Instrumente,
Gewebe, oder einen Embryo, aus dem die neue Gene-                        gespielt von 100 Musikern, fein aufeinander abge-
ration Pflanze - der Keimling - entsteht. Der Embryo                     stimmt, von einem Dirigenten geleitet. Und jedes
enthält bereits die zwei grundlegenden Stammzellty-                      Instrument leistet seinen Beitrag für das Gesamt-
pen zum Aufbau der Wurzel (Wurzelstammzellen) und                        kunstwerk.
des Sprosses.                                                            Bei Signal- und Genregulationsnetzwerken ist das
                                                                         ähnlich, nur eben noch viel komplizierter. Hier müs-
Was ist der aktuelle Stand der Forschung im                              sen hunderte bis tausende Gene (Instrumente und
Bereich Stammzellen und Getreide?                                        Musiker) gleichzeitig koordiniert werden. Sogenann-
                                                                         te Transkriptionsfaktoren (Dirigenten) geben den
Die Genregulationsnetzwerke in Meristemen der                            Takt vor und beeinflussen den Einsatz oder das Ab-
Modellpflanze Arabidopsis sind bereits recht gut er-                     schalten von Genen. Man könnte die Signal- oder
forscht. Anders ist die Situation bei Getreide. Die Me-                  Genregulationsnetzwerke auch als Gesamtkunst-
risteme von Gerste, Weizen, Mais und Reis sind sehr                      werke auf zellulärer Ebene bezeichnen. Die Summe
komplex und bislang nur wenig erforscht. Unser Ver-                      aller gleichzeitig ablaufenden Prozesse ist auch bei
ständnis über die Entwicklung und Organisation der                       Modellpflanzen wie Arabidopsis nicht bekannt. Bei

Zur neuen Forschungsgruppe „Stammzellsysteme bei Getreide“ gehören insgesamt zehn Partner, darunter das IPK Leibniz-Institut.

Meristeme und entsprechenden Stammzellsysteme                            Getreide wissen wir noch viel weniger, dort stehen
ist daher noch sehr limitiert. Deshalb wollen wir jetzt                  wir ganz am Anfang. Aber das macht es gleichzeitig
im Verbund die Signal- und Genregulationsnetzwerke                       ja auch so spannend und bietet viele Möglichkeiten,
in den Meristemen verschiedener Getreide genauer                         um Neues zu entdecken.
untersuchen.
                                                                         Welches Ziel verfolgen die beteiligten Wissen-
Signal- und Genregulationsnetzwerke - das                                schaftlerinnen und Wissenschaftler der neuen
klingt recht abstrakt. Wie aber funktioniert                             Forschungsgruppe und wie geht Ihr vor?
ein solches Netzwerk? Und welche Elemente
spielen dabei eine Rolle und welche Funktion                             Wir hoffen, bei unseren Arbeiten neue Stammzell-
haben sie jeweils?                                                       gene zu entdecken, die zur Ertragsverbesserung
                                                                         von Nutzpflanzen verwendet werden können. Wir
Man kann sich das wie ein großes Orchester bei                           denken, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, neue
einer Oper vorstellen. Jedes Instrument hat seinen                       Regulationen bei verschiedenen Grasfamilien (Mais,
Part in unterschiedlichen Stücken im Verlauf der                         Gerste, Brachypodium) zu finden, einfach schon aus

                                                                                                                                Wissenschaft | 11
dem Grund, dass die zugrun-        Grundsätzlich verfolgen wir ge-     zusammen. Wie können sich
         de liegenden Blütenstände der      netische Ansätze, wobei zum         Eure bisherige Arbeit und
         Gräser sehr unterschiedlich aus-   Beispiel die Funk tionen von        die Forschungen des neuen
         sehen. Unterschiedliche Form-      bekannten Proteinfamilien aus       DFG-Verbundes ergänzen
         gebungen sind in der Regel mit     Arabidopsis in Getreide getestet    und befruchten?
         unterschiedlichen Genregulati-     werden soll. Damit stellen sich
         onsnetzwerken gekoppelt.           gleich mehrere Fragen: In wel-      Ja, das ist richtig! Stammzellen
                                            chen Zellen des Meristems oder      beeinflussen die Pflanzenarchi-
                                            der Stammzellen werden diese        tektur fundamental. Am IPK wird
                                            Gene exprimiert? Wie sehen Blü-     im Rahmen des neuen Verbunds
                                            tenstände von Mutanten aus?         an einer Familie von Transkrip-
                                            Oder inwieweit interagieren ver-    tionsfaktoren gearbeitet, die in
                                            schiedene Proteine bei der Ent-     der Modelpflanze Arabidopsis
                                            wicklung des Blütenstands?          bereits als Stammzellenmarker
                                                                                identifiziert wurden. Nun geht
                                            Du möchtest Dich mit Deinen         es uns darum, die Funktionen
                                            Kolleginnen und Kollegen            dieser Proteine in Gerste zu be-
                                            vor allem mit Gerste beschäf-       schreiben und zu testen, welche
                                            tigen, seit Jahren das Mo-          der Proteine bei Gerste die Erhal-
                                            dellsystem für Getreide am          tung der Stammzellen steuern.
                                            IPK. Inwieweit könnt Ihr auf
                                            die bisher geleisteten Arbei-       Und die Vorteile des Verbun-
                                            ten zurückgreifen, etwa die         des?
                                            Charakterisierung von 22.000
                                            Mustern aus der Genbank?            Im Verbund können wir einfach
                                                                                viel schneller vorankommen,
                                            Grundsätzlich muss man sagen,       zumal hier wirklich Leute zum
                                            dass meine Kolleginnen und Kol-     ersten Mal zusammenkommen,
                                            legen am IPK exzellente Vorar-      die sich mit dem Thema schon
                                            beiten geleistet haben! Die dabei   jahrelang beschäftigen. Einige
                                            entstandenen sogenannten Co-        Kolleginnen und Kollegen haben
                                            re-Kollektionen sind für unsere     vorher etwa zell- und entwick-
                                            Arbeiten besonders relevant,        lungsbiologisch mit der Model-
                                            weil sie es uns ermöglichen, für    pflanze Arabidopsis gearbeitet
                                            jedes dieser Stammzellgene die      und wollen jetzt ihre Erfahrungen
                                            entsprechende Sequenzvariati-       und ihr Wissen in Kulturpflanzen
                                            on abzurufen. Dadurch können        (Getreide) einbringen und über-
                                            wir unter anderem abschät-          tragen. Das ist toll für Leute wie
                                            zen oder herausfinden, welche       mich, die in dieser Hinsicht viel
                                            Proteinregionen bestimmte Ei-       weniger wissen. Andererseits ar-
                                            genschaften oder Phänotypen         beite ich schon meine ganze wis-
                                            zuzuordnen sind. Dies können        senschaftliche Karriere mit Wei-
                                            Varianten (Allele) sein, die wie-   zen/Gerste, sodass ich viel mehr
                                            derum für die Pflanzenzüchtung      über Getreide weiß als sie. Wenn
                                            sehr wertvoll sind. Mittlerweile    wir uns also zusammenschlie-
                                            ist es eben eine echte Genbank,     ßen und uns gegenseitig aushel-
                                            nicht nur eine Samenbank wie        fen, ist es eine Win-Win-Situati-
                                            vor 5-10 Jahren.                    on für alle Beteiligten. Und am
                                                                                Ende sollten wir viel schneller,
                                            Du leitest am Institut die          viel mehr über Stammzellen bei
                                            Arbeitsgruppe „Pflanzliche          Getreide wissen, als wenn jeder
                                            Baupläne“. Stammzellen und          das für sich alleine erforschen
                                            Architektur der Pflanze hän-        würde.
                                            gen ja vermutlich sehr eng

12 | Wissenschaft
Inwieweit sind Erkennt-
nisse zur Gerste dabei auf
andere Getreidearten über-
tragbar?

Da bin ich zuversichtlich und
denke, dass sich unsere Er-
ke n ntnis s e b e i G e r s te , mi t
leichten Abwandlungen, durch-
aus auf Weizen oder Roggen
übertragen lassen werden.

Welche Möglichkeiten
siehst Du für einen Aus-
tausch mit anderen Fach-
richtungen außerhalb der
Pflanzenforschung? In der
Leibniz-Gemeinschaft gibt
es ja das Forschungsnetz-
werk Stammzellen und                       Welche Bedeutung hat es für
Organoide. Welche Koopera-                 Dich und das IPK, einer der
tionsmöglichkeiten können                  Partner in der neu gegrün-
sich da ergeben?                           deten Forschungsgruppe der
                                           DFG zu sein?
Das Leibniz-Forschungsnetz-
werk S tammzellen ist ja ein               Ich denke, dass der Verbund ein-
Zusammenschluss von Leu-                   malig ist, weil wir in Deutschland
ten, die sich v.a. mit tierischer          zurzeit eine überproportional
Stammzellforschung beschäf-                hohe Anzahl an exzellenten Wis-
tigen. Im Rahmen dieses                    senschaftlerinnen und Wissen-
Netzwerks könnte man auch                  schaftlern haben, die sich mit
nochmals darauf aufmerksam                 diesem Thema beschäftigen.
machen, dass auch Pflanzen                 Deshalb erwarte ich auch eine
S tammzellen besitzen, und                 internationale Strahlkraft des
d as s d i e F o r s c h u n g d a r a n   Projektes. Die wiederum wird
ebenfalls zu unserem Ge -                  helfen, die Ergebnisse bekannt
meinwohl beiträgt, Wohlstand               zu machen und zu verbreiten.
erhält und unsere Ernährung                Davon profitiert dann sicherlich
sichert.                                   auch das IPK als Wissenschafts-
                                           standort für Kulturpflanzenfor-
Auf welchen Zeitraum ist                   schung.
das Projekt angelegt und                   Für mich persönlich erwarte ich
wann hofft Ihr auf erste                   eine spannende Zeit der Entde-
Ergebnisse?                                ckungen, fruchtvolle Kooperatio-
                                           nen, aber auch die Verbesserung
Das Projekt ist auf zwei Mal               meines Wissens zur Zell- und
vier Jahre angelegt und wird in            Entwicklungsbiologie. Und das
den kommenden vier Jahren                  ist sicher auch notwendig, denn
zunächst mit insgesamt fast                eigentlich bin ich von Hause her
vier Millionen Euro gefördert.             eher ein Pflanzengenetiker mit
Erste Ergebnisse erwarten wir              Interesse an entwicklungsbiolo-
nach drei bis vier Jahren und              gischen Fragestellungen. Es gibt
zwar bei jedem der zehn geför-             also noch viel Luft nach oben,
derten Projekte.                           besser zu werden.

                                                                                Wissenschaft | 13
WASSERLINSEN,
                DIE ALLESKÖNNER
        JEDER KENNT DEN ANBLICK VON BÄCHEN UND SEEN, DIE MIT EINER
         GRÜNEN SCHICHT ÜBERZOGEN SIND. ENTENGRÜTZE HEISST ES IM
       VOLKSMUND. DOCH NUR WENIGE WISSEN, DASS SICH DAHINTER EINE
        KULTURPFLANZE MIT VIEL POTENZIAL VERBIRGT: DIE WASSERLINSE.

                             „Wasserlinsen sind
                            biologisch ungemein
                                 spannend.“
                                  Ingo Schubert

14 | Wissenschaft
D
         ie Wasserlinse kann uns nicht nur bei der       Ebenso spannend ist die Nutzung zur Wasser- und
         Ernährung helfen, sondern auch bei der          Gewässerreinigung. „In Indien und China werden
         Gewinnung von Energie sowie der Wasser-         Wasserlinsen bereits heute in Kläranlagen genutzt“,
und Gewässerreinigung“, betont Ingo Schubert,            berichtet IPK-Forscher Schubert. Das Prinzip ist so
Leiter der Senior-Gastgruppe Karyotypevolution am        einfach wie wirksam. Für ihr rasantes Wachstum -
IPK Leibniz-Institut. Der Wissenschaftler beschäf-       in manchen Fällen verdoppelt sich die Fläche der
tigt sich schon seit 2013 mit diesen Pflanzen            Wasserlinsen innerhalb von 32 Stunden - nutzen die
und hat früh erkannt, welche Möglichkeiten sich          Pflanzen die Nitrate und Phosphate, die sie direkt im
durch Wasserlinsen bieten. „Das Interesse seitens        Abwasser finden. Darüber hinaus können sie auch
der Wissenschaft ist zuletzt auch exponentiell           Schwermetalle aufnehmen.
gestiegen, vor allem in Asien und in den USA“, sagt             Die Hoffnungen, die sich mit den Wasser-
Ingo Schubert. Daher ist er froh, dass die nächste       linsen verbinden, sind enorm. Einige sprechen von
Internationale Wasserlinsen-Konferenz 2022 nun           „Grünen Maschinen“, andere hoffen auf eine breite
am IPK stattfindet - und damit erstmals in Europa.       Verwendung in der Raumfahrt - als Nahrungs-
Zusammen mit IPK-Kollegin Manuela Nagel und              mittel und zur Wasseraufbereitung. „Die Nieder-
Klaus-Jürgen Appenroth, emeritierter Wissen-             lande haben bei der Europäischen Union bereits vor
schaftler der Universität Jena, sitzt Ingo Schubert im   einiger Zeit beantragt, Wasserlinsen für die mensch-
Organisationskomitee der „International Conference       liche Ernährung zuzulassen“, sagt Ingo Schubert.
on Duckweed Research and Applications“.                  Außerdem gibt es Überlegungen, Wasserlinsen mit
        „Wasserlinsen sind biologisch ungemein           wenig Aufwand massenhaft zu produzieren. Dies
spannend“, sagt Ingo Schubert. Sie sind „organre-        könnte in flachen Wasserbecken passieren, in denen
duziert“, bilden also beispielsweise keinen Spross       auch Abwärme von Kraftwerken genutzt werden
aus. Bei den derzeit 36 bekannten Arten gibt es          könnte.
enorme Unterschiede in der Größe des Genoms.                    „Letztendlich sind die Wasserlinsen zwar kein
Die Spanne reicht dabei von 160 Megabasen bis            Allheilmittel, wir können es uns aber nicht leisten,
zu 2.200 Megabasen. Bei den meisten Arten gibt           auf eine solche Ressource zu verzichten“, sagt Ingo
es 20 Chromosomenpaare. „Und je kleiner eine Art         Schubert. Um das Potenzial dieser kleinen Pflanze
ist, umso größer ist das Genom. Das ist durchaus         zu heben, wird weiter geforscht. So soll zum Beispiel
bemerkenswert“, betont der IPK-Wissenschaftler.          in den kommenden Jahren ein Exzellenzkern zu
       Die erste Genomsequenz einer Wasserlinse          dem Thema in der Ukraine aufgebaut werden - ein
wurde 2013 von einem internationalen Konsortium          entsprechender Antrag für das 2,5-Millionen-Eu-
unter Führung von US-Wissenschaftlern entschlüs-         ro-Projekt wurde vom IPK beim Bundesministerium
selt. „Damals hat man das IPK mit ins Boot geholt,       für Bildung und Forschung gestellt. Die Konzeptions-
und wir konnten auch einige Fehler korrigieren“,         phase für das Projekt soll noch 2021 beginnen. Doch
blickt Ingo Schubert zurück. Das Problem war,            auch direkt am IPK wird weiter an den Wasserlinsen
dass die ursprüngliche Sequenz rein bioinforma-          geforscht, etwa mit Kryokonservierung. „Die Idee
tisch assembliert wurde. „Dieser statistische Ansatz     dahinter ist, von jeder Art so etwas wie ein „Urmeter“
birgt jedoch im Einzelfall die Gefahr von Irrtümern.     – also eine definierte Referenzlinie, am IPK zu hinter-
Wir haben dagegen einen mikroskopischen Ansatz           legen.“ Das sei schon deshalb wichtig, weil sich viele
genutzt und fanden einige Fehler bei der automati-       Arten sehr ähneln.
schen Zusammenstellung der Sequenzbereiche zu                   Und welche Fragen brennen Ingo Schubert
und auf den Chromosomen.“                                noch auf den Nägeln? „Wir wissen immer noch nicht
       Heute ist klar, warum Wasserlinsen auch           sicher, in welche Richtung die Evolution der Wasser-
für die Ernährung von Menschen und Nutztieren            linsengenome läuft“, räumt der IPK-Forscher ein.
immer wichtiger werden könnten. „Der Proteingehalt       „Da sind wir weiter beim Entschlüsseln exotischer
ist für die menschliche Ernährung optimal, zudem         Genomvarianten, die uns dabei weiterhelfen können.“
enthalten die Pflanzen wertvolle omega-3-Fett-
säuren“, sagt der IPK-Wissenschaftler. Doch nicht nur
das: Wasserlinsen verbrauchen auch keine zusätzli-
chen Anbauflächen, sie können sich sehr schnell auf
dem Wasser vermehren. Vorteile bieten die Pflanzen
auch bei der Energiegewinnung. So enthalten einige
der Arten sehr viele Kohlenhydrate. „Die können
zur Herstellung von Bioethanol verwendet werden.“

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Sibylle Pistrick schaut sich im Keimlabor des Institutes die Samen auf einem der Rundfilter an.

         DIE FRAU VOM
         KEIM-TÜV
         DEN JOB ALS IMKERIN LEHNTE SIBYLLE PISTRICK 1987 AB. STATT-
         DESSEN ARBEITET SIE SEIT FAST 35 JAHREN IM KEIMLABOR DER
         ABTEILUNG GENBANK UND HAT SCHON SO MANCH EINEN MEILEN-
         STEIN IN DER INSTITUTSGESCHICHTE MITERLEBT.

         K
                           egelförmige Glashauben gegen die                           Sache, damit waren die Würfel gefallen“, sagt die
                           Austrocknung, Papierstreifen für                           62-jährige Mitarbeiterin aus der Arbeitsgruppe „Res-
                           die Wasseraufnahme, Rundfilter zur                         sourcengenetik und Reproduktion“. Und sie hat es
                           Ablage der Samen, viel Licht und                           nicht bereut. „Es bleibt faszinierend, Samen zum
         ein stets gut gefüllter Wassertank - das sind die                            Leben zu erwecken und jeden Tag die enorme Viel-
         wichtigsten Dinge, die Sibylle Pistrick für ihre Arbe-                       falt zu erleben - von Arznei- und Gewürzpflanzen bis
         it benötigt. Seit 1987 ist sie bereits am Institut und                       hin zu Getreide und Zwiebeln.“
         arbeitet von Beginn an im Keimlabor sowie in den                                      Die Rundfilter nutzen sie und ihre Kolleginnen
         Kühlzellen der Genbank. „Als ich am Institut anfing,                         dabei für kleines Saatgut, etwa Paprika oder Mohn.
         gab es zwei freie Stelle. Ich hätte als Imkerin anfan-                       120 Rundfilter mit den Samen und den Glashauben
         gen können oder eben im Keimlabor“, berichtet die                            als Abdeckung passen dabei auf eine Ebene in einem
         Agraringenieurin. „Bienen sind aber nicht so meine                           der beiden Jacobsen Keimapparate. Normalerweise

16 | Wissenschaft
liegen die Proben dort 28 Tage. „In dieser Zeit stellen
wir die Bedingungen von Tag und Nacht nach“,
erklärt Sibylle Pistrick. Zwischen 7 und 17 Uhr gibt es
viel Licht bei einer Temperatur des Wasserbades von
30 Grad, danach sinkt die Temperatur auf 20 Grad
und die Samen liegen im Dunkeln.
       Größere Samen wie Bohnen- und Getreide-
körner werden dagegen in Keimrollen gelegt, die
dann in einen Lichtschrank kommen. Auch dort
kann die Temperatur geregelt werden, aber auch
die Luftfeuchtigkeit. Liegt die Keimfähigkeit am
Ende unter der Schwelle von 85 Prozent, müssen die
Proben reproduziert werden, damit danach wieder
neue und frische Samen zur Verfügung stehen.
Jedes Jahr werden rund 12.000 Muster, sogenannte
Ak zessionen, einer Keimprüfung unterzogen
und fast 10.000 Muster kommen pro Jahr in den
Reproduktionsanbau. Standardmäßig wird die
Keimfähigkeit der Genbank-Akzessionen ca. aller
20 Jahre überprüft.
       Der Arbeitstag für Sibylle Pistrick beginnt
dabei meist um 6 Uhr. Zuerst kontrolliert sie die
Temperaturanzeige in den Kühlzellen der Genbank,
danach schaut sie sich die Proben und Geräte im
Keimlabor an. „Das läuft alles routinemäßig ab,
aber ich möchte immer akkurat arbeiten. Das ist
mein Anspruch.“ Nach der Besprechung mit ihren
Kolleginnen geht es für Sibylle Pistrick an die eigent-
liche Arbeit - sei es zum Auszählen von Proben im
                                                          Größere Samen wie Bohnen - und Getreidekörner werden in
Keimlabor oder sei es zur Materialbestellung im           sogenannte Keimrollen gelegt (Foto oben), die dann in einen
Büro, die sie für die Arbeitsgruppe übernimmt.            Lichtschrank kommen (Foto unten). Dort können die Temperatur,
                                                          aber auch die Luftfeuchtigkeit geregelt werden.
       „Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich so
lange Zeit am Institut bleiben werde“, gesteht Sibylle
Pistrick, die zuvor als wissenschaftliche Assistentin
am Institut für Getreideforschung Bernburg-Had-           Bestand, Einlagerungsdatum und natürlich die
mersleben in Bernburg/Strenzfeld gearbeitet hat.          Keimfähigkeit in Prozent sehen.
Doch es kam anders und in der Zwischenzeit hat sie                Das Institut, daran lässt Sibylle Pistrick
einige Meilensteine am IPK miterlebt. „1990 startete      keinen Zweifel aufkommen, ist ihr über all die Jahre
die erste große Inventur über alle Sortiments-            ans Herz gewachsen. „Ich habe mich hier von Beginn
gruppen, die einige Jahre in Anspruch genommen            an wohl gefühlt“, sagt die 62-Jährige, die sich seit
hat.“ Ab dem Jahr 2002 wurde dann das Material            Beginn der 1990er Jahre im Personalrat engagiert.
aus der Genbank in Braunschweig nach Gatersleben          „Es ist für mich stets eine sehr reizvolle Aufgabe,
überführt. „Auch da haben wir erst umfangreiche           wenn ich Kolleginnen und Kollegen bei Problemen
Keimprüfungen durchgeführt und die Muster dann            helfen kann“, erklärt sie ihre Motivation. Allerdings
in den Kühlzellen der Genbank eingelagert“, sagt die      habe sich die Belastung über die Jahre stark erhöht.
62-Jährige. Und 2006 wurde am IPK das Genban-             „Es gibt einfach viel mehr Regelungen, die man als
kinformationssystem (GBIS) freigeschaltet. Seitdem        Personalrat kennen und beachten muss.“
haben die Sortimentsgruppen auch direkt Zugriff                   Ihrem Spaß an der Arbeit hat das keinen
auf die Daten aus der Keimprüfung. „Davor wurde           Abbruch getan, im Gegenteil. „Ich komme einfach
alles noch per Hand notiert“, erzählt die IPK-Mitarbei-   jeden Tag gerne ans Institut.“ Und die nächsten
terin, öffnet einen Schrank in ihrem Büro und holte       Proben für den Keimapparat warten sicher schon.
eine alte, orangefarbene Kladde heraus. Fein säuber-
lich notiert kann man dort in langen Spalten Katalo-
gnummer, Standort im Samenkühllager, Erntejahr,

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HIGH-TECH
      AUF SCHIENEN
      MIT DEM PHENO CRANE ERÖFFNEN SICH AM IPK VÖLLIG NEUE MÖGLICHKEI-
      TEN. MARIE-CHEYENNE HELLMANN UND IHRE KOLLEGEN ARBEITEN AKTUELL
      DARAN, NACH DER INSTALLATION DIE LETZTEN „KINDERKRANKHEITEN“ DES
      GERÄTES IN DER PFLANZENKULTURHALLE ABZUSTELLEN.

      M
                  it einer Fernbedienung in der Hand steht              ments (PSI) aus Tschechien. Sie lieferte im November 2020
                  Marie - Cheyenne Hellmann an diesem                   sämtliche Komponenten ans IPK. Wegen der Corona-Pan-
                  November-Tag am Rande des Abteils in der              demie verzögerte sich dann aber die Installation, die erst
      Pflanzenkulturhalle. Ihr Blick richtet sich nicht auf einen der   Ende September abgeschlossen werden konnte. Anschlie-
      zahlreichen Container mit den Rapspflanzen, sie schaut            ßend gab es eine dreitägige Schulung für Techniker, Ingeni-
      konzentriert Richtung Decke. Ganz langsam senkt sich              eure und Wissenschaftler, die mit den Systemen arbeiten
      dort auf Knopfdruck das rechteckige Kamera-Panel und              werden. Seitdem machen sich Marie-Cheyenne Hellmann
      steuert von oben auf einen der Container zu. Das Schlitten        und ihre Kollegen jeden Tag ein Stück weit mehr mit den
      mit dem Kamera-Panel ist das Herzstück des Pheno Crane            Hightech Geräten am Pheno Crane vertraut. „Das bleibt
      - der neusten Errungenschaft in der Pflanzenkulturhalle des       eine echte Herausforderung, denn es handelt sich um ein
      IPK Leibniz-Institutes. Ausgestattet ist er mit drei Kameras,     komplett neues System und die erste Komplett-Anlage, die
      darunter einer Hyperspektralkamera. Doch nicht nur das:           wir am IPK von der Firma PSI haben.“
      auch ein 3D-Laser-Scanner und zahlreiche Leuchtmittel sind               Aktuell arbeiten Marie-Cheyenne Hellmann und ihre
      integriert. Die gesamte Einheit bewegt sich mit Rollen auf        Kollegen an der Feinabstimmung. Es gibt noch Probleme
      Schienen unter der Hallendecke oder von der Decke nach            mit der (Re-)Positionierbarkeit des Schlittens. Für die Abstel-
      unten, hin zu den Containern. „Dass ich das System mit            lung solcher Kinderkrankheiten ist aber noch etwas Zeit. Die
      der Fernbedienung steuere, wird aber die Ausnahme sein.           Rapspflanzen aus dem AVATARS-Projekt, die bis vor Kurzem
      Schon bald soll das System nach ein paar kleineren Optimie-       noch in den Containern der Pflanzenkulturhalle standen,
      rungen automatisch Container für Container ansteuern und          sind inzwischen draußen und überwintern dort. Das spart
      Aufnahmen der Pflanzen machen“, sagt die Ingenieurin, die         Energie und eine aufwendige Simulation der Winterruhe,
      am IPK für die Phänotypisierungsanlagen zuständig ist.            da Experiment und Natur dies Mal parallel laufen. Erst im
             Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler           Frühjahr 2022 kommen die Container wieder in die Pflanzen-
      eröffnen sich mit dem neuen System völlig neue Möglich-           kulturhalle zurück. „Dann sind auch die ersten Aufnahmen
      keiten. „Wir konnten in unseren Phänotypisierungsanlagen          mit dem Pheno Crane für einen echten Versuch geplant“,
      am IPK zwar auch schon bisher Aufnahmen von großen                blickt die Ingeneurin voraus.
      Pflanzen wie z.B. Mais machen, aber nicht unter feldähn-
      lichen Bedingungen.“ Das heißt, bislang konnte immer nur
      eine Pflanze in einem Topf fotografiert werden. Künftig
      sind Aufnahmen von Pflanzen in den Containern möglich.
      Dort stehen sie im gleichen Abstand wie auf dem Feld, das
      Erdvolumen ist deutlich größer und die einzelnen Schichten
      entsprechen ungefähr denen auf dem Acker. „Wir können
      die Pflanzen dann also künftig unter deutlich realisti-
      scheren Bedingungen aufnehmen“, betont Marie-Cheyenne
      Hellmann.
             Konstruiert und fertig gestellt wurde der neue
      Pheno Crane von der Spezialfirma Photon Systems Instru-

18 | Wissenschaft
Per Knopfdruck senkt sich das Kamera-Panel des Pheno Crane auf die Container in der Pflanzenkulturhalle.

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AND THE WINNER IS …
         AVATARS
         #AUSGEZEICHNET

         I
              n James Camerons preisgekröntem                     und Augmented Reality (AR) wird hier Pflanzen-
              3D-Kracher AVATAR schlüpft die Hauptfigur           forschung in neuen Dimensionen erlebbar. Diese
              Jake Sully mittels Computertechnologie in           und der scheinbar unendliche Raum eröffnen neue
         die Hülle eines Na’vi und entdeckt deren fantasti-       Möglichkeiten für die interaktive Visualisierung
         sche Biosphäre Pandora. Das vom Bundesministe-           von Daten - eine Revolution für Pflanzenforschung
         rium für Bildung und Forschung geförderte Projekt        und Züchtung. Für dieses visionäre VR/AR-Kon-
         AVATARS, in dem das IPK eine führende Rolle hat,         zept ist das AVATARS Projekt kürzlich mit dem VR
         steht dem in nichts nach. Mittels Virtual Reality (VR)   NOW Award in der Kategorie „Best Industry VR“
                                                                  ausgezeichnet worden.

          #AVATARS

          I
               m Fokus des AVATARS Projekts steht die             Nutzpflanzen helfen, die immer besser an unsere
               Samenentwicklung von Raps. Viele Terabyte          Anforderungen und den Klimawandel angepasst
               an Daten werden über einen Zeitraum von            sind. Auf dem Weg dahin arbeitet das IPK sehr
          mehreren Jahren erhoben, um die Lebenspro-              eng mit dem Züchtungsforschungsunternehmen
          zesse des Rapssamens besser zu verstehen. Ziel          NPZ Innovation, Breakpoint One - einem Berliner
          ist es, künftig genauere Vorhersagen zur Vitalität      Softwareentwickler für VR/AR Anwendungen - sowie
          und Keimfähigkeit machen zu können. Letztlich           den weiteren Projektpartnern an den Universitäten
          sollen die verbesserte Visualisierung und Analyse       Bielefeld, Kaiserslautern und Hannover zusammen.
          der Forschungsdaten bei der Züchtung von

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