TITELTHEMA AGENT-PROJEKT: GENBANKEN RÜCKEN ZUSAMMEN | S. 4
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2021 / 02 TITELTHEMA WISSENSCHAFT PANORAMA AGENT-PROJEKT: WAS WASSERLINSEN MIT JÄGER SILVIO GENBANKEN RÜCKEN ZU ALLESKÖNNERN HENNEBERG IM ZUSAMMEN | S. 4 MACHT | S. 14 IPK-REVIER | S. 34
Liebe Leserinnen und Leser, E in weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu, in welchem Corona-bedingte Einschränkungen und Kontaktreduktionen das Institutsleben über weite Strecken geprägt haben. Viele Mitarbeitende befanden sich im Homeoffice oder mussten aufgrund von Schul- und Kitaschließungen zur Betreuung der Kinder zu Hause bleiben. Am IPK geplante Tagungsveranstaltungen und Workshops wurden abgesagt oder als Online-Veran- staltungen abgehalten. Umgekehrt fiel der Besuch von Tagungsveranstaltungen außerhalb des Instituts weitge- hend ins Wasser. Ungeachtet der vordergründigen Ruhe auf dem Campus können wir aus wissenschaftlicher Sicht auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken. Forschungsergeb- nisse wurden in über 180 Artikeln in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Es ist jedoch zu befürchten, Prof. Dr. Andreas Graner dass fortgesetzte Corona-bedingte Einschränkungen sich auch auf die wissenschaftliche Arbeit auswirken werden. Einen ganz anderen Werdegang hat Silvio Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass viele Henneberg. Der langjährige Küchenchef des Casinos ist Mitarbeitende das Angebot des Instituts angenommen heute im Bereich des Campus-Managements tätig und haben, sich vor Ort gegen Corona impfen zu lassen. Mit zusätzlich vom IPK als Jäger beauftragt. In dieser Funktion einer Impfquote von mehr als 95 Prozent liegt das IPK kümmert er sich um das Revier rund um das Institut. weit über dem Durchschnitt, und es bleibt zu hoffen, Warum seine Arbeit wichtig ist, sein Wildbret gelegentlich dass die gegenwärtige Infektionswelle die Mitarbeitenden noch im Casino landet und er für seine Arbeit manchmal verschonen wird. Gummibärchen braucht - all das hat er dem IPK-Journal auf Die Wissenschaft lebt von Kooperationen. 2021 hat seinem Hochsitz erzählt. es gleich mehrere Gespräche mit CEPLAS, dem Exzellenz- Der Standort Malchow auf der Insel Poel ist cluster für Pflanzenwissenschaften in Köln, Düsseldorf wiederum Evelin Willner ans Herz gewachsen. Dabei hat und Jülich, gegeben. Dabei geht es um die Abstimmung die Kuratorin des Öl- und Futterpflanzensortimentes auch laufender Forschungsprogramme, die Entwicklung neuer manch eine Herausforderung bewältigen müssen. Heute Forschungsprojekte, aber auch um die Ausbildung von führt sie die Besucher voller Begeisterung durch den neuen wissenschaftlichem Nachwuchs. Lehrgarten in Malchow. Wiesenrispe, Weiches Honiggras Neue Möglichkeiten für weitere Kooperationen oder Rotklee - an jeder Parzelle hat sie eine Geschichte zu eröffnen sich auch durch die neue Forschungsgruppe den dort angebauten Gräser- und Kleegrasmischungen „Stammzellsysteme bei Getreide“, deren Einrichtung die parat. Ihre neuste Leidenschaft: Tee aus Rotkleeblüten. Deutsche Forschungsgemeinschaft im September 2021 Jeder kennt den Anblick von kleinen Bachläufen beschlossen hat. Das Institut ist einer von zehn Partnern. oder Seen, die mit einer grünen Schicht überzogen sind. Wir hoffen, bei unseren Arbeiten neue Stammzellgene Entenflott oder Entengrütze heißt es im Volksmund. Doch zu entdecken, die zu einer Ertragsverbesserung von nur wenige wissen, dass sich hinter diesem Phänomen eine Nutzpflanzen verwendet werden können. Kulturpflanze mit großem Potenzial verbirgt: die Wasser- Nach fast 30 Jahren verlässt Hans-Peter Mock, linse. Die Pflanze kann uns nicht nur bei der Ernährung Leiter der Arbeitsgruppe „Angewandte Biochemie“, zum helfen, sondern auch bei der Energiegewinnung sowie der Jahresende das Institut und geht in den Ruhestand. Bei Wasser- und Gewässerreinigung. Kaum einer weiß das so einem Rundgang über den Campus erzählt der 65-Jährige gut wie Ingo Schubert. Im nächsten Jahr ist er Mitorgani- von seinem Start, seiner besonderen Liebe zur Bibliothek, sator der Internationalen Wasserlinsen-Konferenz, die am einem Basecap sowie T-Shirts für seine Arbeitsgruppe, IPK - und damit erstmals in Europa - stattfindet. mit denen er eine ganz besondere Geschichte verbindet. Bevor es jedoch soweit ist, wünsche ich Ihnen Schon vor einigen Jahren hat Andrea Bräutigam das IPK ein schönes Weihnachtsfest, geruhsame Feiertage und verlassen. Heute ist sie Professorin an der Universität wie immer viel Freude beim Stöbern in der vorliegenden Bielefeld. In der Rubrik „Was macht eigentlich…?“ spricht Ausgabe des IPK-Journals sie über ihren hohen Respekt vor furchtlosen Studentinnen und Studenten, Kölner Kneipen, ihre sehr direkte Art und die Ihr Suche nach wissenschaftlichem Nachwuchs. Andreas Graner Editorial | 1
IMPRESSUM Herausgeber: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) OT Gatersleben, Corrensstraße 3, D-06466 Seeland Tel.: + 49 (0) 394 82 54 27 | Fax: 49 (0) 394 82 55 00 info@ipk-gatersleben.de | www.ipk-gatersleben.de Redaktion: Dr. Jens Freitag, Christian Schafmeister Satz/Layout: Andreas Bähring Assistenz: Katja Koch Nummer der Ausgabe: 2021/2 Redaktionsschluss: 26.11.2021 Auflage: 400 Exemplare Papier: Maxioffset, EU Ecolabel zertifiziert, Umschlag: 130 g/m2, innen: 110 g/m2 Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH Bildnachweise: Umschlag; Seite 14 ; Hintergrundbild auf Seite 37 “https://de.freepik.com/fotos/hintergrund“ Hintergrund Foto erstellt von freepik - de.freepik.com Andreas Bähring (IPK Leibniz-Institut) Seiten: 1; 7; 10; 16; 17; 18; 19; 22; 24; 25; 26; 29; 32; 33; 34; 35; 37; 42; 43; 44 David Ausserhofer Seite: 27 Dr. Twan Rutten (IPK Leibniz-Institut) Seite: 12-13 (gefärbte Ährenspitze) Prof. Thomas Dresselhaus Seite: 11 Jannis Philippi (S/W Färbung; Ausschnitt: Andreas Bähring) https://en.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons Seite: 41 Universität Bielefeld Seite: 39 ©AGENTconsortium, 2021 Seite: 5 Geweihgrafik auf Seite 36 „Designed by Smithytomy / Freepik“ 2 | Impressum
INHALT TITELTHEMA 4| Die Kapitäne im Datenfluss WISSENSCHAFT 07| „Wir brauchen politische Entscheidungen“ 10| Wenn Gene in die Oper gehen 16| Die Frau vom Keim-TÜV 18| High-Tech auf Schienen 22| Die Hürdenläuferin 24| Der Kartoffel in die Augen schauen 27| Wissenschaft kommuniziert - aus der Nähe, auf abstand 30| „FAIR-Prinzipien müssen breiter gedacht werden“ 32| Lydia Kienbaum und Krishna Mohan Pathi erhalten Preise PANORAMA 34| Gummibären für den Waschbären 37| Vorfreude auf die Nummer 23 42| Neues Gesicht im Grünen Labor 46| „I Got SPAM“ 48| IPK in den Medien 50| Publikationen 52| Neu eingeworbene Drittmittel Inhaltsverzeichnis | 3
DIE KAPITÄNE IM DATENFLUSS ZIEL DES AGENT-PROJEKTES IST, EIN NETZWERK KOOPERIERENDER GENBANKEN AUFZUBAUEN, STANDARDS ZU ETABLIEREN UND TECHNISCHE INFRASTRUKTUREN ZUSAMMENZUFÜHREN. AM IPK SIND DARAN ZWEI ARBEITSGRUPPEN MASSGEBLICH BETEILIGT. W eltweit werden 7,4 Millionen Muster in versucht das Projekt, einen wichtigen Beitrag zur mehr als 1.750 Genbanken eingelagert globalen Ernährungssicherheit, zur Erhöhung / und erhalten. Die ersten Genbanken zur Stabilisierung der Agro-Biodiversität und zur verbes- Erhaltung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen serten Klima-Anpassung der wichtigsten Feldfrüchte für künftige Generationen wurden bereits Anfang beizutragen“, sagt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der des 20. Jahrhunderts eingerichtet. Die Bundeszen- Arbeitsgruppe „Genomik Genetischer Ressourcen“ trale Ex-situ-Genbank am IPK Leibniz-Institut, die am IPK und Koordinator des EU-Projektes, das eine u.a. auf die Sammlung des im Jahre 1943 gegrün- Laufzeit von fünf Jahren hat und von der EU mit rund deten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kulturpflanzen- sieben Millionen Euro gefördert wird. forschung zurückzuführen ist, zählt international zu Das IPK ist in dem Projekt unter anderem den zehn größten Genbanken für Kulturpflanzen. In m aßg e b li c h an d e n b e id e n A r b e i ts pake te n ihrem Bestand beherbergen die Mitarbeitenden des „Datenfluss und Datenstandard“ und „Technische IPK heute mehr als 150.000 Muster von insgesamt Infrastruktur“ beteiligt. „Das Ziel ist es, einen standar- knapp 3.000 Arten. Die meisten davon werden bei disierten Datenerhebungsprozess für phänotypi- minus 18 Grad Celsius in Weckgläsern aufbewahrt. sche und genotypische Daten aus den beteiligten Doch das ist nur die eine Seite. Die Muster liegen Genbanken zu etablieren“, erklärt Dr. Matthias grundsätzlich auch in digitaler Form vor. Lange, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Bioinfor- Bei der Digitalisierung der Genbanken matik und Informationstechnologie“. Dabei wird im globalen Maßstab gibt es aber ein zentrales auf den bestehenden Europäischen Suchkatalog Problem: Die Verfahren zur Datenerhebung, das für pflanzengenetische Ressourcen (EURISCO) als heißt deren Umfang sowie die zugrunde liegenden Technologieplattform zurückgegriffen, der bereits Standards, aber auch die Datenbanktechnologien seit 2014 vom IPK betrieben wird. EURISCO bietet in den einzelnen Ländern sind nicht definiert und Informationen zu mehr als zwei Millionen Mustern unterscheiden sich stark. Das tatsächliche Potenzial (Akzessionen) von Kulturpflanzen und ihren wilden der gespeicher ten Ressourcen ist daher für Verwandten, die von etwa 400 Instituten ex-situ Züchtung und Forschung bisher nur eingeschränkt erhalten werden. zugänglich. Zum Beispiel liegen bislang kaum „EURISCO dient als Integrationspunkt, dort genotypische Daten vor, die idealerweise systema- sollen in Zukunft alle Informationen zusammenge- tisch als Teil der Dokumentation der Genbankmuster führt werden.“ Zunächst wird von EURISCO eine Art verfügbar wären. Kopie erstellt, die mit weiteren Daten und Recherche- A n diesen Punk ten set z t das E U - For- und Visualisierungsmöglichkeiten Stück für Stück schungsprojekt AGENT an, das im Mai 2020 mit angereichert wird. So sollen agronomisch interes- einer „Kick-off“-Veranstaltung startete. Ziel ist, das sante Merkmale wie Pflanzenhöhe, Blütezeitpunkt Potenzial des in zahlreichen Genbanken rund um den und 1.000 -Korn-Gewicht systematisch erfasst Globus eingelagerten biologischen Materials durch werden. Weiterhin werden diese im Zusammen- Einführung internationaler Standards und in einer hang mit der jeweiligen Umwelt des Standortes - offenen digitalen Infrastruktur für die Verwaltung also etwa dortigen Boden- oder Wetterdaten - als pflanzengenetischer Ressourcen zu erschließen. auch mit möglichen Krankheitsmerkmalen in Bezug „Mit einer besseren Integration des genetischen gesetzt. Auch diese werden systematisch zugäng- Materials in moderne Züchtungsprogramme lich gemacht. 4 | Wissenschaft
„Unser Anspruch ist es, das bestehende bereits die zentrale technische Infrastruktur am System hinsichtlich abgestimmter Datenformate, IPK haben, auf deren Verwendung sich alle Partner deren nachhaltiger Zugänglichkeit und Visualisie- geeinigt haben. Dies sind ideale Voraussetzungen, rung zu verbessern und auf eine neue Qualitätsstufe um ein zentrales Informationssystem für pflanzen- zu heben“, betont Dr. Matthias Lange. Der Kernda- genetische Daten über alle europäischen Genbanken tensatz der Genbanken soll dafür erweitert, nach aufzubauen.“ Dazu gehört auch die Integration von einem Regelwerk kuriert und danach als homogener genotypischen Daten, also dem sogenannten geneti- Datenfluss von allen AGENT-Partner gespeist schen Fingerabdruck von Genbankmaterial. Diese werden. „Unser Vorteil ist, dass wir mit EURISCO können dazu dienen, um über sogenannte moleku- Wissenschaft | 5
lare Datenanfragen die Recherche in genetischen pflanzen sind beide Getreide von globaler Bedeutung. Profilen von Pflanzenmustern in Genbanken zu Hinzu kommt, dass bereits vor Beginn des Projektes ermöglichen. umfangreiche Datensätze für diese Pflanzen- Die zentralen Herausforderungen bestehen arten verfügbar sind. „Die im Zuge von AGENT darin, die digitalen Prozesse zu homogenisieren und entwickelten Prozesse zum Datenmanagement zugleich die technische Infrastruktur zu verzahnen. könnten künftig aber auch auf andere Nutzpflanzen- Beim ersten Punk t geht es vor allem um den sammlungen angewendet werden.“ Datenfluss beim Proben- und Materialmanage- Eine der wirklichen Innovationen des ment, beim zweiten Punkt geht es derweil um die Projektes besteht darin, dass Genbanken, auf der Verzahnung der bestehenden Datenbanken, Websys- Grundlage eines Bewertungsnetzes, in den verschie- teme und Suchportale der AGENT-Partner. „AGENT denen europäischen Klimazonen phänotypische soll also eine Art Schmelztiegel der bestehenden Daten für einen Teil ihrer genetischen Ressourcen Systeme werden“, erklärt Dr. Matthias Lange. Ziel sammeln werden. „Diese Informationen werden ist es auch, Doppelungen von Akzessionen in den verwendet, um phänotypische Werte für die größeren einzelnen Genbanken aufzuspüren. „Hier ist unser Sammlungen vorherzusagen, indem Informationen Ziel, die Bestände digital zu einer virtuell vereinigten auf der Grundlage der zuvor gesammelten genomi- und harmonisierten Dokumen- schen Fingerabdrücke integriert tation von Genbank muster n werden“, sagt Prof. Dr. Nils zusammenzuführen“. „AGENT ist eine Stein. Der Bedarf ist gewaltig. Durch die Breite des „Seit der Einrichtung von Art Schmelztiegel AGENT- Konsor tiums ist es Genbanken wurden große gelungen, auch angrenzende Mengen unschätzbar wertvoller bestehender Datenökosysteme, Infrastruk- genetischer Ressourcen Systeme.“ turen und Standardisierungs- zwischen Institutionen auf der initiativen einzubeziehen. Das ganzen Welt ausgetauscht, was b etrif f t et wa ge meinsame Matthias Lange zu Redundanzen zwischen den Arbeiten mit dem Europäi - S ammlungen führ te“, erklär t schen Netzwerk für Bioinfor- Projektkoordinator Prof. Dr. Nils matikinfrastrukturen - ELIXIR, Stein. „Im Rahmen von AGENT wollen wir eine das globale Netzwerk zur offenen Verbreitung von Bestandsaufnahme der derzeit in den regionalen pflanzengenetischen Ressourcen - DivSeek oder Genbanken der EU ver fügbaren Ressourcen auch das Europäische Evaluierungsnetzwerk für vornehmen und sicherstellen, dass künftig alle pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Länder diese genetischen Ressourcen in komple- Landwirtschaft - EVA. Positive Effekte erhofft sich mentärer Weise nutzen können.“ IPK-Wissenschaftler Lange aber nicht nur für die Zentrale Abläufe und Arbeiten des Projektes Zusammenarbeit der einzelnen Genbanken, sondern sind bereits voll im Gange: es wird Material für auch für das IPK selbst. „AGENT ist ein wichtiger die Genotypisierung im Feld und in Gewächshäu- Impuls, der hier am Institut wie ein Treiber wirkt und sern herangezogen und genotypisiert. Desweiteren Kräfte freisetzt, um die digitale Transformation von führen die beteiligten Genbankpartner Feldversuche Prozessen zu optimieren und einen weiteren Schritt zur Erfassung von Phänotypen (allgemeine agrono- auf dem Weg zu einem bio-digitalen Ressourcen- mische Merkmale, Krankheitsresistenz, Klimaver- zentrum zu machen.“ Angedacht ist aber auch eine träglichkeit) durch und sie digitalisieren historische Ausstrahlung des Projekts über Europa hinaus. Phänotypinformationen. Mittel- bis langfristig ist es ein wichtiges Ziel, weitere Die Bioinformatik und die Datenbankpartner Genbanken rund um den Globus für die durch sind unterdessen intensiv damit befasst, Datenflüsse, AGENT vorgezeichneten Bemühungen zur Standar- Datenintegrationsstrukturen und Analysewerk- disierung und Digitalisierung zu gewinnen und in ein zeuge zu etablieren und verfügbar zu machen. Dabei internationales Kooperationsnetzwerk einzubinden. werden Kontakte zu assoziierten Evaluierungsnetz- werken geknüpft, die in den kommenden Jahren AGENT-Material im Feld auf seine Nutzbarkeit im Mehr Infos zu AGENT und zu EURISCO: Pre-Breeding hin testen. Im Fokus des Projektes stehen zunächst https://agent-project.eu/ Weizen und Gerste. Als Grundnahrungsmittel- https://eurisco.ipk-gatersleben.de/ 6 | Wissenschaft
„WIR BRAUCHEN POLITISCHE ENTSCHEIDUNGEN“ ANDREAS GRANER, GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR DES IPK, SPRICHT IM INTERVIEW ÜBER NEUE FORSCHUNGSBEREICHE, DIE NEUBESETZUNG DER ADMINISTRATIVEN LEITUNG UND SEINE ERWARTUNGEN AN DIE POLITIK BEIM THEMA GRÜNE GENTECHNIK. heit der Mitarbeitenden zu schützen. Neben einer Vielzahl präventiver Maßnahmen hat das Institut auch frühzeitig Impfungen für alle Mitarbeitenden ermöglicht. Halten Sie ein Leben ohne Coronavi- rus überhaupt noch für möglich? Ein Leben ohne das Coronavirus wird es in Zukunft nicht mehr geben. Wir werden mit dem Virus leben müssen. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand stellen Impfungen die Voraussetzung für die Ein- dämmung der Pandemie in den kommenden Win- „Das Institut verfügt über termonaten dar. ein sehr breites Fundament In ihrer neuesten Stellungnahme weist die Leo- poldina darauf hin, dass eine angemessenere Re- wissenschaftlicher gelung zur Offenlegung des Impfstatus in der Ar- beitsschutzverordnung eine wichtige Maßnahme Exzellenz.“ zur Eindämmung der Infektionszahlen darstellt. Ich gehe daher davon aus, dass dem Impfstatus in den Andreas Graner kommenden Monaten eine wichtige Rolle bei der Organisation der Arbeit zukommen wird. Die Poster Session während der Institutstage im ZEIT, ZDF, SPIEGEL, Deutschlandfunk - die Oktober war die erste Gelegenheit seit Monaten, Medien haben das IPK zuletzt immer stärker bei der Kolleginnen und Kollegen wieder unge- auf dem Schirm gehabt. Ist das ein schöner zwungen bei einem Wein oder Bier zusammen- Nebeneffekt oder ist das ein Punkt, der künftig stehen konnten. Nun aber steigen die Zahlen er- auch bei der Beantragung von Fördergeldern neut stark an. Wie haben Sie die Corona-Zeit am ein wichtiges Kriterium werden wird? Institut erlebt? Und worauf müssen sich die Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter noch einstellen? Die Berichterstattung in den Medien ist ein wichtiger Faktor, um die Bevölkerung über Inhalte und Bedeu- Die Corona-Pandemie stellt eine große Herausforde- tung unserer Forschungsarbeiten zu informieren. rung für das gesamte Gesundheits- und Staatswe- Darüber hinaus profitiert auch der Bekanntheitsgrad sen dar. Auf das Institut bezogen bedeutet dies, den des Instituts. Letzterer kann bei der Erschließung regulären Forschungsbetrieb so weit wie möglich neuer Förderquellen sowie bei der Initiierung neuer aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Gesund- Förderprogramme in den Ministerien eine wichtige Wissenschaft | 7
Rolle spielen. Die eigentliche Vergabe von Förder- Bei der Zusammenarbeit mit CEPLAS verfolgen geldern wird jedoch weiterhin das Ergebnis eines wir folgende Ziele: Abstimmung der laufenden For- wissenschaftlichen Ideenwettbewerbs bleiben, bei schungsprogramme, Entwicklung gemeinsamer dem in erster Linie die Qualität und der innovative Forschungsprojekte, Ausbildung von wissenschaftli- Charakter des Projekts entscheidend sind. chem Nachwuchs. Durch verstärkte Kommunikation mit der Politik und Einrichtungen für die Forschungs- Derzeit suchen Sie eine neue Administrative förderung soll das Bewusstsein für die Bedeutung Leitung. Wann rechnen Sie damit, dass diese der Pflanzenforschung zur Lösung von Zukunftsauf- Schlüsselstelle wiederbesetzt ist? gaben geschärft werden. Nach dem Weggang des Administrativen Leiters im Auch der Chef des Crop Trust, Stefan Schmitz, Juli habe ich diese Aufgabe kommissarisch über- war vor einigen Wochen mit einer Delegation nommen, da es nicht gelungen war, eine verwal- zum Strategiegespräch in Gatersleben. Gibt tungsinterne Übergangslösung zu finden. Gottsei- es da spannende Anknüpfungspunkte für das dank werde ich dabei von vielen Seiten unterstützt. IPK? Und wie sind Sie mit dem Crop Trust Ich habe in den vergangenen Monaten viel hinzuge- verblieben? lernt und Einblicke in die internen Strukturen, Abläufe und Entscheidungsprozesse gewonnen. Die Her- Das IPK arbeitet seit vielen Jahren mit dem Crop ausforderung ist groß und ich hoffe sehr, dass das Trust zusammen, da dieser das Saatgutlager „Global Institut im kommenden Frühjahr wieder über eine Seed Vault“ auf Spitzbergen betreibt, in welchem Administrative Leitung verfügen wird. mittlerweile rund 60.000 Sammlungsmuster des IPK als Sicherheitsduplikate gelagert werden. Bei dem Vor einigen Monaten sind zwei Perspektiv- Gespräch ging es darum, dem neuen Leiter des Crop gruppen an den Start gegangen, die jeweils Trusts einen Überblick über die Arbeiten am Institut von Frauen geleitet werden. Welche weiteren zu geben und Anknüpfungspunkte für weitere ge- Schritte sind geplant, um Frauen stärker zu meinsame Aktivitäten zu identifizieren. Hierbei geht fördern, gerade in Führungspositionen? es in erster Linie um Forschungsfragen, die einen hohen Bezug zu Entwicklungsländern aufweisen, da Das Institut hat in den vergangenen Jahren große die Aufgaben des Crop Trusts sich auf diese Länder Anstrengungen unternommen, um den Anteil von beschränken. Frauen in wissenschaftlichen Leitungspositionen zu erhöhen. Hierbei kommen wir allerdings nur in Die Veröffentlichung zur Entschlüsselung des kleinen Schritten voran. Aufgrund der bestehenden Roggen-Genoms war eine der Arbeiten, die Altersstruktur wird nur eine begrenzte Anzahl an enorme Aufmerksamkeit erzeugt hat. Was Stellen in der ersten (Abteilungsleitungen) und zwei- waren aus Ihrer Sicht die wissenschaftlichen ten Führungsebene (Arbeitsgruppenleitungen) frei. Höhepunkte 2021? Der Anteil von Bewerberinnen auf Führungspositi- onen liegt in der Regel weit unter 50 Prozent. Vor Das Jahr 2021 war einmal mehr durch hohe wissen- diesem Hintergrund ist es wichtig, junge Wissen- schaftliche Produktivität gekennzeichnet. Dies spie- schaftlerinnen aus dem IPK an Leitungsaufgaben gelt sich auch in der hohen Anzahl an Publikationen heranzuführen. Mit den Perspektivgruppen haben wider. Es ist an dieser Stelle nicht möglich alle High- wir ein Strukturelement geschaffen, dass den Schritt lights im Einzelnen aufzulisten. Wichtig erscheint in die Eigenständigkeit unterstützt. Es sei jedoch mir aber die Feststellung, dass alle Abteilungen dazu ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Perspektiv- beigetragen haben. Das heißt, dass das Institut über gruppen nicht ausschließlich auf Frauen beschränkt ein sehr breites Fundament an wissenschaftlicher sein sollen. Exzellenz verfügt. Einzelheiten hierzu werden sich im Forschungsbericht 2020/21 finden. Die Wissenschaft lebt von Kooperationen. 2021 hat es gleich mehrere Gespräche mit CEPLAS, Das Profil eines wissenschaftlichen Institutes dem Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaf- ist im Wandel, muss immer wieder geschärft ten, gegeben. Was ist das Ziel? Und wie ist da werden. Können Sie schon sagen, in welche der aktuelle Stand? Richtung sich das IPK entwickeln wird und welche Themen 2022 eine Rolle spielen könn- ten? 8 | Wissenschaft
Die forschungsstrategische Ausrichtung des IPK weiter zu stärken. Was ist seitdem dort pas- spiegelt sich in den fünf Forschungsschwerpunkten siert? Und sind Sie damit zufrieden? wider, die auf Grundlage der gewonnenen Erkennt- nisse sowie äußerer Faktoren weiterentwickelt wer- Der Ausbau der TEN und die damit verbundene den. Stärkung der beiden Standorte, Groß Lüsewitz und Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens stellt die Malchow, ist ein zentrales Anliegen der Institutsent- Weiterentwicklung der Genbank in ein bio-digitales wicklung. In 2019 wurde ein zweiteiliges Konzept Ressourcenzentrum in den kommenden Jahren ein zur Stärkung der Forschungsarbeiten und zum Aus- zentrales Thema von abteilungsübergreifender Be- bau des Erhaltungsmanagements erarbeitet. Eine deutung dar. Darin werden die Genbankakzessionen, wichtige Grundlage für Letzteres ist die Sanierung die bisher lediglich mit Passportdaten über ihre Her- der baulichen Infrastruktur an beiden Standorten. kunft und taxonomische Einordnung beschrieben Aufgrund der in der Startphase des Projekts auf- waren, mit weiterführenden Informationen zur Merk- gelaufenen Verzögerungen ist die Umsetzung zum malsausprägung und zur DNA-Sequenz charakteri- gegenwärtigen Zeitpunkt aber leider noch mit vielen siert. So wird sich die Nutzbarmachung der geneti- Unsicherheiten behaftet. schen Vielfalt für Forschung und Pflanzenzüchtung erheblich verbessern lassen. Im Entwurf des Koalitionsvertrages der Rot-Roten Koalition in Mecklenburg-Vorpom- Welche weiteren Schwerpunkte gibt es? mern gibt es ein klares Statement zur Genome- ditierung: „Der wissensbasierte Einsatz neuer Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Ausweitung Züchtungsmethoden ist in Zeiten des Klima- der erfolgreichen Arbeiten zur Genomforschung bei wandels notwendig. Wir fordern die Zulassung Getreide auf andere Nutzpflanzen. In diesem Zu- neuer Züchtungstechniken beim Bund und der sammenhang wird zum 1. Januar 2022 eine neue EU ein.“ Wie bewerten Sie die aktuelle politi- unabhängige Nachwuchsgruppe ihre Arbeit zum sche Debatte? Und welche Erwartungen haben Thema „Legume Genomics“ aufnehmen. Diese wird Sie bei dem Thema an die neue Bundesregie- über einen Zeitraum von fünf Jahren aus Mitteln rung? der Leibniz Gemeinschaft (Pakt für Forschung und Innovation) finanziert. Ich erwarte, dass in Fragen der Grünen Gentechnik Darüber hinaus wurden in diesem Herbst die Bau- und des Genome Editing der allgemeine wissen- arbeiten an der Pflanzenkulturhalle erfolgreich schaftliche Kenntnisstand sowie die Stellungnah- abgeschlossen. Damit wird diese Forschungsinf- men der Akademien und Forschungseinrichtungen rastruktur im kommenden Jahr von Beginn an für nicht nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden, den Vollbetrieb zur Verfügung stehen und wichtige sondern endlich in politischen Entscheidungen um- Möglichkeiten zur Erforschung der Anpassung von gesetzt werden. Nach den vielen Enttäuschungen in Nutzpflanzen an den Klimawandel ermöglichen. den vergangenen 25 Jahren verfalle ich angesichts der aktuellen Debatte in keine übermäßige Euphorie In der Vergangenheit gab es die Aufforderung, und würde mich umso mehr freuen, wenn ich damit die zwei Standorte der Teilsammlungen Nord falsch läge. Auswahl von Stellungnahmen und Diskussionspapieren der Nationalen Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ in ‚Halle. Gegenwertig sind drei aktiv Forschende des IPK als Mitglieder der Akademie berufen. Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie der Leopoldina (2021): https://www.leopoldina.org/publikationen/stellungnahmen/stellungnahmen/ Stellungnahme der Leopoldina „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU“ (2019): https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/ Diskussionspapier der Leopoldina zur „Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz – Erwartungen an wissenschaftliche Expertise“ (2021): https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/nutzen-von-wissenschaftlicher-evidenz-erwartun- gen-an-wissenschaftliche-expertise-2021/ Wissenschaft | 9
WENN GENE IN DIE OPER GEHEN DAS IPK IST TEIL DER FORSCHUNGSGRUPPE „STAMMZELLSYSTEME BEI GETREIDE“, DEREN EINRICHTUNG DIE DEUTSCHE FORSCHUNGS- GEMEINSCHAFT BESCHLOSSEN HAT. THORSTEN SCHNURBUSCH ERKLÄRT DIE ZIELE UND ERLÄUTERT, WAS GENREGULATIONSNETZ- WERKE MIT EINEM OPERNORCHESTER ZU TUN HABEN. zu erwartenden Verhältnissen, zwingend erforder- lich ist. Die Herausforderungen sind dabei enorm: eine begrenzte landwirtschaftlich nutzbare Fläche, steigende Temperaturen, Ökologisierung, aber auch Intensivierung der Landwirtschaft - um nur einige zu nennen. Wie unterscheiden sich menschliche und pflanzliche Stammzellen und was sind Ge- meinsamkeiten? Prof. Dr. Thorsten Gemeinsam haben sie ihre Undifferenziertheit und das Potenzial, alle Gewebe des Organismus zu Schnurbusch hofft, bilden. Im Gegensatz zu tierischen Stammzellen neue Stammzellgene besitzen pflanzliche Stammzellen aber Zellwände, die sie umgeben und in Form halten. Hinzu kommen zu entdecken, die zur Plastiden, also Vorläuferstufen der sogenannten Chlo- roplasten, die Zellen die Fotosynthese ermöglichen. Ertragsverbesserung von Pflanzen nutzen Stammzellenreservoirs in ihren Me- ristemen, um ihr ober- und unterirdisches Wachstum Nutzpflanzen beitragen. anzutreiben. Meristeme enthalten nicht nur den pflanzlichen Bau- plan, sondern bestimmen bei Nutzpflanzen auch ganz wesentlich Produktivität und Ertrag. Beim Thema Stammzellen denken die meis- ten sofort an menschliche Stammzellen und Das heißt, Meristeme sind ein entscheidender die damit verbundenen ethischen Diskussio- Ansatzpunkt dafür, auch künftig die wachsen- nen, aber auch an neue Chancen zur Heilung de Weltbevölkerung möglichst gut ernähren zu zahlreicher Krankheiten. Welche Hoffnungen können? verbindest Du mit Stammzellen bei Pflanzen? Ja, das kann man so sagen. Die gesamte pflanzliche Ich verbinde mit der Erforschung pflanzlicher Produktion - sei es bei Kartoffelknollen, Blattsalat Stammzellen die Hoffnung, dass wir ertragsbilden- oder Getreidekörnern - lässt sich auf meristematische de Organe wie zum Beispiel Getreideähren in einem Aktivitäten zurückführen. ersten Schritt besser verstehen lernen, um dann in einem zweiten Schritt auch Ernte-Erträge nachhal- Am Anfang der Entwicklung stehen Pollen und tig steigern zu können. Und ich bin überzeugt, dass Eizelle. Ab welchem Zeitpunkt der pflanzlichen eine nachhaltige Produktionssteigerung unter den Entwicklung spricht man eigentlich von Stamm- derzeitigen, vor allem aber auch den künftig noch zellen, und wo bilden diese sich bei Pflanzen? 10 | Wissenschaft
Jeder Samen oder jedes Korn enthält embryonales Aufführung. Das sind vielleicht 20-30 Instrumente, Gewebe, oder einen Embryo, aus dem die neue Gene- gespielt von 100 Musikern, fein aufeinander abge- ration Pflanze - der Keimling - entsteht. Der Embryo stimmt, von einem Dirigenten geleitet. Und jedes enthält bereits die zwei grundlegenden Stammzellty- Instrument leistet seinen Beitrag für das Gesamt- pen zum Aufbau der Wurzel (Wurzelstammzellen) und kunstwerk. des Sprosses. Bei Signal- und Genregulationsnetzwerken ist das ähnlich, nur eben noch viel komplizierter. Hier müs- Was ist der aktuelle Stand der Forschung im sen hunderte bis tausende Gene (Instrumente und Bereich Stammzellen und Getreide? Musiker) gleichzeitig koordiniert werden. Sogenann- te Transkriptionsfaktoren (Dirigenten) geben den Die Genregulationsnetzwerke in Meristemen der Takt vor und beeinflussen den Einsatz oder das Ab- Modellpflanze Arabidopsis sind bereits recht gut er- schalten von Genen. Man könnte die Signal- oder forscht. Anders ist die Situation bei Getreide. Die Me- Genregulationsnetzwerke auch als Gesamtkunst- risteme von Gerste, Weizen, Mais und Reis sind sehr werke auf zellulärer Ebene bezeichnen. Die Summe komplex und bislang nur wenig erforscht. Unser Ver- aller gleichzeitig ablaufenden Prozesse ist auch bei ständnis über die Entwicklung und Organisation der Modellpflanzen wie Arabidopsis nicht bekannt. Bei Zur neuen Forschungsgruppe „Stammzellsysteme bei Getreide“ gehören insgesamt zehn Partner, darunter das IPK Leibniz-Institut. Meristeme und entsprechenden Stammzellsysteme Getreide wissen wir noch viel weniger, dort stehen ist daher noch sehr limitiert. Deshalb wollen wir jetzt wir ganz am Anfang. Aber das macht es gleichzeitig im Verbund die Signal- und Genregulationsnetzwerke ja auch so spannend und bietet viele Möglichkeiten, in den Meristemen verschiedener Getreide genauer um Neues zu entdecken. untersuchen. Welches Ziel verfolgen die beteiligten Wissen- Signal- und Genregulationsnetzwerke - das schaftlerinnen und Wissenschaftler der neuen klingt recht abstrakt. Wie aber funktioniert Forschungsgruppe und wie geht Ihr vor? ein solches Netzwerk? Und welche Elemente spielen dabei eine Rolle und welche Funktion Wir hoffen, bei unseren Arbeiten neue Stammzell- haben sie jeweils? gene zu entdecken, die zur Ertragsverbesserung von Nutzpflanzen verwendet werden können. Wir Man kann sich das wie ein großes Orchester bei denken, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, neue einer Oper vorstellen. Jedes Instrument hat seinen Regulationen bei verschiedenen Grasfamilien (Mais, Part in unterschiedlichen Stücken im Verlauf der Gerste, Brachypodium) zu finden, einfach schon aus Wissenschaft | 11
dem Grund, dass die zugrun- Grundsätzlich verfolgen wir ge- zusammen. Wie können sich de liegenden Blütenstände der netische Ansätze, wobei zum Eure bisherige Arbeit und Gräser sehr unterschiedlich aus- Beispiel die Funk tionen von die Forschungen des neuen sehen. Unterschiedliche Form- bekannten Proteinfamilien aus DFG-Verbundes ergänzen gebungen sind in der Regel mit Arabidopsis in Getreide getestet und befruchten? unterschiedlichen Genregulati- werden soll. Damit stellen sich onsnetzwerken gekoppelt. gleich mehrere Fragen: In wel- Ja, das ist richtig! Stammzellen chen Zellen des Meristems oder beeinflussen die Pflanzenarchi- der Stammzellen werden diese tektur fundamental. Am IPK wird Gene exprimiert? Wie sehen Blü- im Rahmen des neuen Verbunds tenstände von Mutanten aus? an einer Familie von Transkrip- Oder inwieweit interagieren ver- tionsfaktoren gearbeitet, die in schiedene Proteine bei der Ent- der Modelpflanze Arabidopsis wicklung des Blütenstands? bereits als Stammzellenmarker identifiziert wurden. Nun geht Du möchtest Dich mit Deinen es uns darum, die Funktionen Kolleginnen und Kollegen dieser Proteine in Gerste zu be- vor allem mit Gerste beschäf- schreiben und zu testen, welche tigen, seit Jahren das Mo- der Proteine bei Gerste die Erhal- dellsystem für Getreide am tung der Stammzellen steuern. IPK. Inwieweit könnt Ihr auf die bisher geleisteten Arbei- Und die Vorteile des Verbun- ten zurückgreifen, etwa die des? Charakterisierung von 22.000 Mustern aus der Genbank? Im Verbund können wir einfach viel schneller vorankommen, Grundsätzlich muss man sagen, zumal hier wirklich Leute zum dass meine Kolleginnen und Kol- ersten Mal zusammenkommen, legen am IPK exzellente Vorar- die sich mit dem Thema schon beiten geleistet haben! Die dabei jahrelang beschäftigen. Einige entstandenen sogenannten Co- Kolleginnen und Kollegen haben re-Kollektionen sind für unsere vorher etwa zell- und entwick- Arbeiten besonders relevant, lungsbiologisch mit der Model- weil sie es uns ermöglichen, für pflanze Arabidopsis gearbeitet jedes dieser Stammzellgene die und wollen jetzt ihre Erfahrungen entsprechende Sequenzvariati- und ihr Wissen in Kulturpflanzen on abzurufen. Dadurch können (Getreide) einbringen und über- wir unter anderem abschät- tragen. Das ist toll für Leute wie zen oder herausfinden, welche mich, die in dieser Hinsicht viel Proteinregionen bestimmte Ei- weniger wissen. Andererseits ar- genschaften oder Phänotypen beite ich schon meine ganze wis- zuzuordnen sind. Dies können senschaftliche Karriere mit Wei- Varianten (Allele) sein, die wie- zen/Gerste, sodass ich viel mehr derum für die Pflanzenzüchtung über Getreide weiß als sie. Wenn sehr wertvoll sind. Mittlerweile wir uns also zusammenschlie- ist es eben eine echte Genbank, ßen und uns gegenseitig aushel- nicht nur eine Samenbank wie fen, ist es eine Win-Win-Situati- vor 5-10 Jahren. on für alle Beteiligten. Und am Ende sollten wir viel schneller, Du leitest am Institut die viel mehr über Stammzellen bei Arbeitsgruppe „Pflanzliche Getreide wissen, als wenn jeder Baupläne“. Stammzellen und das für sich alleine erforschen Architektur der Pflanze hän- würde. gen ja vermutlich sehr eng 12 | Wissenschaft
Inwieweit sind Erkennt- nisse zur Gerste dabei auf andere Getreidearten über- tragbar? Da bin ich zuversichtlich und denke, dass sich unsere Er- ke n ntnis s e b e i G e r s te , mi t leichten Abwandlungen, durch- aus auf Weizen oder Roggen übertragen lassen werden. Welche Möglichkeiten siehst Du für einen Aus- tausch mit anderen Fach- richtungen außerhalb der Pflanzenforschung? In der Leibniz-Gemeinschaft gibt es ja das Forschungsnetz- werk Stammzellen und Welche Bedeutung hat es für Organoide. Welche Koopera- Dich und das IPK, einer der tionsmöglichkeiten können Partner in der neu gegrün- sich da ergeben? deten Forschungsgruppe der DFG zu sein? Das Leibniz-Forschungsnetz- werk S tammzellen ist ja ein Ich denke, dass der Verbund ein- Zusammenschluss von Leu- malig ist, weil wir in Deutschland ten, die sich v.a. mit tierischer zurzeit eine überproportional Stammzellforschung beschäf- hohe Anzahl an exzellenten Wis- tigen. Im Rahmen dieses senschaftlerinnen und Wissen- Netzwerks könnte man auch schaftlern haben, die sich mit nochmals darauf aufmerksam diesem Thema beschäftigen. machen, dass auch Pflanzen Deshalb erwarte ich auch eine S tammzellen besitzen, und internationale Strahlkraft des d as s d i e F o r s c h u n g d a r a n Projektes. Die wiederum wird ebenfalls zu unserem Ge - helfen, die Ergebnisse bekannt meinwohl beiträgt, Wohlstand zu machen und zu verbreiten. erhält und unsere Ernährung Davon profitiert dann sicherlich sichert. auch das IPK als Wissenschafts- standort für Kulturpflanzenfor- Auf welchen Zeitraum ist schung. das Projekt angelegt und Für mich persönlich erwarte ich wann hofft Ihr auf erste eine spannende Zeit der Entde- Ergebnisse? ckungen, fruchtvolle Kooperatio- nen, aber auch die Verbesserung Das Projekt ist auf zwei Mal meines Wissens zur Zell- und vier Jahre angelegt und wird in Entwicklungsbiologie. Und das den kommenden vier Jahren ist sicher auch notwendig, denn zunächst mit insgesamt fast eigentlich bin ich von Hause her vier Millionen Euro gefördert. eher ein Pflanzengenetiker mit Erste Ergebnisse erwarten wir Interesse an entwicklungsbiolo- nach drei bis vier Jahren und gischen Fragestellungen. Es gibt zwar bei jedem der zehn geför- also noch viel Luft nach oben, derten Projekte. besser zu werden. Wissenschaft | 13
WASSERLINSEN, DIE ALLESKÖNNER JEDER KENNT DEN ANBLICK VON BÄCHEN UND SEEN, DIE MIT EINER GRÜNEN SCHICHT ÜBERZOGEN SIND. ENTENGRÜTZE HEISST ES IM VOLKSMUND. DOCH NUR WENIGE WISSEN, DASS SICH DAHINTER EINE KULTURPFLANZE MIT VIEL POTENZIAL VERBIRGT: DIE WASSERLINSE. „Wasserlinsen sind biologisch ungemein spannend.“ Ingo Schubert 14 | Wissenschaft
D ie Wasserlinse kann uns nicht nur bei der Ebenso spannend ist die Nutzung zur Wasser- und Ernährung helfen, sondern auch bei der Gewässerreinigung. „In Indien und China werden Gewinnung von Energie sowie der Wasser- Wasserlinsen bereits heute in Kläranlagen genutzt“, und Gewässerreinigung“, betont Ingo Schubert, berichtet IPK-Forscher Schubert. Das Prinzip ist so Leiter der Senior-Gastgruppe Karyotypevolution am einfach wie wirksam. Für ihr rasantes Wachstum - IPK Leibniz-Institut. Der Wissenschaftler beschäf- in manchen Fällen verdoppelt sich die Fläche der tigt sich schon seit 2013 mit diesen Pflanzen Wasserlinsen innerhalb von 32 Stunden - nutzen die und hat früh erkannt, welche Möglichkeiten sich Pflanzen die Nitrate und Phosphate, die sie direkt im durch Wasserlinsen bieten. „Das Interesse seitens Abwasser finden. Darüber hinaus können sie auch der Wissenschaft ist zuletzt auch exponentiell Schwermetalle aufnehmen. gestiegen, vor allem in Asien und in den USA“, sagt Die Hoffnungen, die sich mit den Wasser- Ingo Schubert. Daher ist er froh, dass die nächste linsen verbinden, sind enorm. Einige sprechen von Internationale Wasserlinsen-Konferenz 2022 nun „Grünen Maschinen“, andere hoffen auf eine breite am IPK stattfindet - und damit erstmals in Europa. Verwendung in der Raumfahrt - als Nahrungs- Zusammen mit IPK-Kollegin Manuela Nagel und mittel und zur Wasseraufbereitung. „Die Nieder- Klaus-Jürgen Appenroth, emeritierter Wissen- lande haben bei der Europäischen Union bereits vor schaftler der Universität Jena, sitzt Ingo Schubert im einiger Zeit beantragt, Wasserlinsen für die mensch- Organisationskomitee der „International Conference liche Ernährung zuzulassen“, sagt Ingo Schubert. on Duckweed Research and Applications“. Außerdem gibt es Überlegungen, Wasserlinsen mit „Wasserlinsen sind biologisch ungemein wenig Aufwand massenhaft zu produzieren. Dies spannend“, sagt Ingo Schubert. Sie sind „organre- könnte in flachen Wasserbecken passieren, in denen duziert“, bilden also beispielsweise keinen Spross auch Abwärme von Kraftwerken genutzt werden aus. Bei den derzeit 36 bekannten Arten gibt es könnte. enorme Unterschiede in der Größe des Genoms. „Letztendlich sind die Wasserlinsen zwar kein Die Spanne reicht dabei von 160 Megabasen bis Allheilmittel, wir können es uns aber nicht leisten, zu 2.200 Megabasen. Bei den meisten Arten gibt auf eine solche Ressource zu verzichten“, sagt Ingo es 20 Chromosomenpaare. „Und je kleiner eine Art Schubert. Um das Potenzial dieser kleinen Pflanze ist, umso größer ist das Genom. Das ist durchaus zu heben, wird weiter geforscht. So soll zum Beispiel bemerkenswert“, betont der IPK-Wissenschaftler. in den kommenden Jahren ein Exzellenzkern zu Die erste Genomsequenz einer Wasserlinse dem Thema in der Ukraine aufgebaut werden - ein wurde 2013 von einem internationalen Konsortium entsprechender Antrag für das 2,5-Millionen-Eu- unter Führung von US-Wissenschaftlern entschlüs- ro-Projekt wurde vom IPK beim Bundesministerium selt. „Damals hat man das IPK mit ins Boot geholt, für Bildung und Forschung gestellt. Die Konzeptions- und wir konnten auch einige Fehler korrigieren“, phase für das Projekt soll noch 2021 beginnen. Doch blickt Ingo Schubert zurück. Das Problem war, auch direkt am IPK wird weiter an den Wasserlinsen dass die ursprüngliche Sequenz rein bioinforma- geforscht, etwa mit Kryokonservierung. „Die Idee tisch assembliert wurde. „Dieser statistische Ansatz dahinter ist, von jeder Art so etwas wie ein „Urmeter“ birgt jedoch im Einzelfall die Gefahr von Irrtümern. – also eine definierte Referenzlinie, am IPK zu hinter- Wir haben dagegen einen mikroskopischen Ansatz legen.“ Das sei schon deshalb wichtig, weil sich viele genutzt und fanden einige Fehler bei der automati- Arten sehr ähneln. schen Zusammenstellung der Sequenzbereiche zu Und welche Fragen brennen Ingo Schubert und auf den Chromosomen.“ noch auf den Nägeln? „Wir wissen immer noch nicht Heute ist klar, warum Wasserlinsen auch sicher, in welche Richtung die Evolution der Wasser- für die Ernährung von Menschen und Nutztieren linsengenome läuft“, räumt der IPK-Forscher ein. immer wichtiger werden könnten. „Der Proteingehalt „Da sind wir weiter beim Entschlüsseln exotischer ist für die menschliche Ernährung optimal, zudem Genomvarianten, die uns dabei weiterhelfen können.“ enthalten die Pflanzen wertvolle omega-3-Fett- säuren“, sagt der IPK-Wissenschaftler. Doch nicht nur das: Wasserlinsen verbrauchen auch keine zusätzli- chen Anbauflächen, sie können sich sehr schnell auf dem Wasser vermehren. Vorteile bieten die Pflanzen auch bei der Energiegewinnung. So enthalten einige der Arten sehr viele Kohlenhydrate. „Die können zur Herstellung von Bioethanol verwendet werden.“ Wissenschaft | 15
Sibylle Pistrick schaut sich im Keimlabor des Institutes die Samen auf einem der Rundfilter an. DIE FRAU VOM KEIM-TÜV DEN JOB ALS IMKERIN LEHNTE SIBYLLE PISTRICK 1987 AB. STATT- DESSEN ARBEITET SIE SEIT FAST 35 JAHREN IM KEIMLABOR DER ABTEILUNG GENBANK UND HAT SCHON SO MANCH EINEN MEILEN- STEIN IN DER INSTITUTSGESCHICHTE MITERLEBT. K egelförmige Glashauben gegen die Sache, damit waren die Würfel gefallen“, sagt die Austrocknung, Papierstreifen für 62-jährige Mitarbeiterin aus der Arbeitsgruppe „Res- die Wasseraufnahme, Rundfilter zur sourcengenetik und Reproduktion“. Und sie hat es Ablage der Samen, viel Licht und nicht bereut. „Es bleibt faszinierend, Samen zum ein stets gut gefüllter Wassertank - das sind die Leben zu erwecken und jeden Tag die enorme Viel- wichtigsten Dinge, die Sibylle Pistrick für ihre Arbe- falt zu erleben - von Arznei- und Gewürzpflanzen bis it benötigt. Seit 1987 ist sie bereits am Institut und hin zu Getreide und Zwiebeln.“ arbeitet von Beginn an im Keimlabor sowie in den Die Rundfilter nutzen sie und ihre Kolleginnen Kühlzellen der Genbank. „Als ich am Institut anfing, dabei für kleines Saatgut, etwa Paprika oder Mohn. gab es zwei freie Stelle. Ich hätte als Imkerin anfan- 120 Rundfilter mit den Samen und den Glashauben gen können oder eben im Keimlabor“, berichtet die als Abdeckung passen dabei auf eine Ebene in einem Agraringenieurin. „Bienen sind aber nicht so meine der beiden Jacobsen Keimapparate. Normalerweise 16 | Wissenschaft
liegen die Proben dort 28 Tage. „In dieser Zeit stellen wir die Bedingungen von Tag und Nacht nach“, erklärt Sibylle Pistrick. Zwischen 7 und 17 Uhr gibt es viel Licht bei einer Temperatur des Wasserbades von 30 Grad, danach sinkt die Temperatur auf 20 Grad und die Samen liegen im Dunkeln. Größere Samen wie Bohnen- und Getreide- körner werden dagegen in Keimrollen gelegt, die dann in einen Lichtschrank kommen. Auch dort kann die Temperatur geregelt werden, aber auch die Luftfeuchtigkeit. Liegt die Keimfähigkeit am Ende unter der Schwelle von 85 Prozent, müssen die Proben reproduziert werden, damit danach wieder neue und frische Samen zur Verfügung stehen. Jedes Jahr werden rund 12.000 Muster, sogenannte Ak zessionen, einer Keimprüfung unterzogen und fast 10.000 Muster kommen pro Jahr in den Reproduktionsanbau. Standardmäßig wird die Keimfähigkeit der Genbank-Akzessionen ca. aller 20 Jahre überprüft. Der Arbeitstag für Sibylle Pistrick beginnt dabei meist um 6 Uhr. Zuerst kontrolliert sie die Temperaturanzeige in den Kühlzellen der Genbank, danach schaut sie sich die Proben und Geräte im Keimlabor an. „Das läuft alles routinemäßig ab, aber ich möchte immer akkurat arbeiten. Das ist mein Anspruch.“ Nach der Besprechung mit ihren Kolleginnen geht es für Sibylle Pistrick an die eigent- liche Arbeit - sei es zum Auszählen von Proben im Größere Samen wie Bohnen - und Getreidekörner werden in Keimlabor oder sei es zur Materialbestellung im sogenannte Keimrollen gelegt (Foto oben), die dann in einen Büro, die sie für die Arbeitsgruppe übernimmt. Lichtschrank kommen (Foto unten). Dort können die Temperatur, aber auch die Luftfeuchtigkeit geregelt werden. „Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich so lange Zeit am Institut bleiben werde“, gesteht Sibylle Pistrick, die zuvor als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Getreideforschung Bernburg-Had- Bestand, Einlagerungsdatum und natürlich die mersleben in Bernburg/Strenzfeld gearbeitet hat. Keimfähigkeit in Prozent sehen. Doch es kam anders und in der Zwischenzeit hat sie Das Institut, daran lässt Sibylle Pistrick einige Meilensteine am IPK miterlebt. „1990 startete keinen Zweifel aufkommen, ist ihr über all die Jahre die erste große Inventur über alle Sortiments- ans Herz gewachsen. „Ich habe mich hier von Beginn gruppen, die einige Jahre in Anspruch genommen an wohl gefühlt“, sagt die 62-Jährige, die sich seit hat.“ Ab dem Jahr 2002 wurde dann das Material Beginn der 1990er Jahre im Personalrat engagiert. aus der Genbank in Braunschweig nach Gatersleben „Es ist für mich stets eine sehr reizvolle Aufgabe, überführt. „Auch da haben wir erst umfangreiche wenn ich Kolleginnen und Kollegen bei Problemen Keimprüfungen durchgeführt und die Muster dann helfen kann“, erklärt sie ihre Motivation. Allerdings in den Kühlzellen der Genbank eingelagert“, sagt die habe sich die Belastung über die Jahre stark erhöht. 62-Jährige. Und 2006 wurde am IPK das Genban- „Es gibt einfach viel mehr Regelungen, die man als kinformationssystem (GBIS) freigeschaltet. Seitdem Personalrat kennen und beachten muss.“ haben die Sortimentsgruppen auch direkt Zugriff Ihrem Spaß an der Arbeit hat das keinen auf die Daten aus der Keimprüfung. „Davor wurde Abbruch getan, im Gegenteil. „Ich komme einfach alles noch per Hand notiert“, erzählt die IPK-Mitarbei- jeden Tag gerne ans Institut.“ Und die nächsten terin, öffnet einen Schrank in ihrem Büro und holte Proben für den Keimapparat warten sicher schon. eine alte, orangefarbene Kladde heraus. Fein säuber- lich notiert kann man dort in langen Spalten Katalo- gnummer, Standort im Samenkühllager, Erntejahr, Wissenschaft | 17
HIGH-TECH AUF SCHIENEN MIT DEM PHENO CRANE ERÖFFNEN SICH AM IPK VÖLLIG NEUE MÖGLICHKEI- TEN. MARIE-CHEYENNE HELLMANN UND IHRE KOLLEGEN ARBEITEN AKTUELL DARAN, NACH DER INSTALLATION DIE LETZTEN „KINDERKRANKHEITEN“ DES GERÄTES IN DER PFLANZENKULTURHALLE ABZUSTELLEN. M it einer Fernbedienung in der Hand steht ments (PSI) aus Tschechien. Sie lieferte im November 2020 Marie - Cheyenne Hellmann an diesem sämtliche Komponenten ans IPK. Wegen der Corona-Pan- November-Tag am Rande des Abteils in der demie verzögerte sich dann aber die Installation, die erst Pflanzenkulturhalle. Ihr Blick richtet sich nicht auf einen der Ende September abgeschlossen werden konnte. Anschlie- zahlreichen Container mit den Rapspflanzen, sie schaut ßend gab es eine dreitägige Schulung für Techniker, Ingeni- konzentriert Richtung Decke. Ganz langsam senkt sich eure und Wissenschaftler, die mit den Systemen arbeiten dort auf Knopfdruck das rechteckige Kamera-Panel und werden. Seitdem machen sich Marie-Cheyenne Hellmann steuert von oben auf einen der Container zu. Das Schlitten und ihre Kollegen jeden Tag ein Stück weit mehr mit den mit dem Kamera-Panel ist das Herzstück des Pheno Crane Hightech Geräten am Pheno Crane vertraut. „Das bleibt - der neusten Errungenschaft in der Pflanzenkulturhalle des eine echte Herausforderung, denn es handelt sich um ein IPK Leibniz-Institutes. Ausgestattet ist er mit drei Kameras, komplett neues System und die erste Komplett-Anlage, die darunter einer Hyperspektralkamera. Doch nicht nur das: wir am IPK von der Firma PSI haben.“ auch ein 3D-Laser-Scanner und zahlreiche Leuchtmittel sind Aktuell arbeiten Marie-Cheyenne Hellmann und ihre integriert. Die gesamte Einheit bewegt sich mit Rollen auf Kollegen an der Feinabstimmung. Es gibt noch Probleme Schienen unter der Hallendecke oder von der Decke nach mit der (Re-)Positionierbarkeit des Schlittens. Für die Abstel- unten, hin zu den Containern. „Dass ich das System mit lung solcher Kinderkrankheiten ist aber noch etwas Zeit. Die der Fernbedienung steuere, wird aber die Ausnahme sein. Rapspflanzen aus dem AVATARS-Projekt, die bis vor Kurzem Schon bald soll das System nach ein paar kleineren Optimie- noch in den Containern der Pflanzenkulturhalle standen, rungen automatisch Container für Container ansteuern und sind inzwischen draußen und überwintern dort. Das spart Aufnahmen der Pflanzen machen“, sagt die Ingenieurin, die Energie und eine aufwendige Simulation der Winterruhe, am IPK für die Phänotypisierungsanlagen zuständig ist. da Experiment und Natur dies Mal parallel laufen. Erst im Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Frühjahr 2022 kommen die Container wieder in die Pflanzen- eröffnen sich mit dem neuen System völlig neue Möglich- kulturhalle zurück. „Dann sind auch die ersten Aufnahmen keiten. „Wir konnten in unseren Phänotypisierungsanlagen mit dem Pheno Crane für einen echten Versuch geplant“, am IPK zwar auch schon bisher Aufnahmen von großen blickt die Ingeneurin voraus. Pflanzen wie z.B. Mais machen, aber nicht unter feldähn- lichen Bedingungen.“ Das heißt, bislang konnte immer nur eine Pflanze in einem Topf fotografiert werden. Künftig sind Aufnahmen von Pflanzen in den Containern möglich. Dort stehen sie im gleichen Abstand wie auf dem Feld, das Erdvolumen ist deutlich größer und die einzelnen Schichten entsprechen ungefähr denen auf dem Acker. „Wir können die Pflanzen dann also künftig unter deutlich realisti- scheren Bedingungen aufnehmen“, betont Marie-Cheyenne Hellmann. Konstruiert und fertig gestellt wurde der neue Pheno Crane von der Spezialfirma Photon Systems Instru- 18 | Wissenschaft
Per Knopfdruck senkt sich das Kamera-Panel des Pheno Crane auf die Container in der Pflanzenkulturhalle. Wissenschaft | 19
AND THE WINNER IS … AVATARS #AUSGEZEICHNET I n James Camerons preisgekröntem und Augmented Reality (AR) wird hier Pflanzen- 3D-Kracher AVATAR schlüpft die Hauptfigur forschung in neuen Dimensionen erlebbar. Diese Jake Sully mittels Computertechnologie in und der scheinbar unendliche Raum eröffnen neue die Hülle eines Na’vi und entdeckt deren fantasti- Möglichkeiten für die interaktive Visualisierung sche Biosphäre Pandora. Das vom Bundesministe- von Daten - eine Revolution für Pflanzenforschung rium für Bildung und Forschung geförderte Projekt und Züchtung. Für dieses visionäre VR/AR-Kon- AVATARS, in dem das IPK eine führende Rolle hat, zept ist das AVATARS Projekt kürzlich mit dem VR steht dem in nichts nach. Mittels Virtual Reality (VR) NOW Award in der Kategorie „Best Industry VR“ ausgezeichnet worden. #AVATARS I m Fokus des AVATARS Projekts steht die Nutzpflanzen helfen, die immer besser an unsere Samenentwicklung von Raps. Viele Terabyte Anforderungen und den Klimawandel angepasst an Daten werden über einen Zeitraum von sind. Auf dem Weg dahin arbeitet das IPK sehr mehreren Jahren erhoben, um die Lebenspro- eng mit dem Züchtungsforschungsunternehmen zesse des Rapssamens besser zu verstehen. Ziel NPZ Innovation, Breakpoint One - einem Berliner ist es, künftig genauere Vorhersagen zur Vitalität Softwareentwickler für VR/AR Anwendungen - sowie und Keimfähigkeit machen zu können. Letztlich den weiteren Projektpartnern an den Universitäten sollen die verbesserte Visualisierung und Analyse Bielefeld, Kaiserslautern und Hannover zusammen. der Forschungsdaten bei der Züchtung von 20 | Wissenschaft
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