2019 November Programm - Denkfabrik 2020 Eine Welt 2.0 - Dekolonisiert euch!

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2019 November Programm - Denkfabrik 2020 Eine Welt 2.0 - Dekolonisiert euch!
Denkfabrik 2020
Eine Welt 2.0 –
Dekolonisiert euch!
Seite 3

Programm

                      2019   November
2 Editorial

                                                                                                                                           Inhalt
© Deutschlandradio/Anja Schäfer

                                                            Liebe Hörerinnen                                                                  2 Editorial
                                                            und Hörer,                                                                        3 Aktuell
                                                                                                                                                Denkfabrik 2020
                                                       neulich stellte ich eine Presseanfrage an das Bundes-                                  4 Musik
                                                       ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wenig                                Antonín Dvořák: ‚Rusalka‘
                              später erhielt ich eine E-Mail mit dem Absender ‚Neuigkeitenzimmer‘. Fast hätte                                   Danielle Nicole & Band
                              ich sie als Spam gelöscht. Dann wurde mir klar: Es war die Antwort aus dem Ver-                                 6 Spezial
                              kehrsministerium. Die Nachricht kam aus der Pressestelle. ‚Neuigkeitenzimmer‘                                     Geschichten zum Mauerfall
                              heißt die jetzt und zuständig für Auskünfte ist nicht ein Pressesprecher, son-                                    vor 30 Jahren
                              dern der ‚Leiter strategisches Medienmanagement‘.                                                               7 Deutschlandfunk Nova
                                    Auch in Berliner Parteizentralen und Bundestagsfraktionen werden zurzeit                                   „Steht die Mauer noch?“
                              ‚Newsrooms‘ eingerichtet. Newsrooms sind an sich die Herzkammern von Zei-                                         Auf dem Weg zu euren
                                                                                                                                                Ost-West-Geschichten
                              tungsredaktionen, Nachrichtenagenturen und Rundfunksendern. Redakteure
                              sortieren dort Nachrichtenströme aus aller Welt und entscheiden, welche Mel­-                                   8 Literatur
                                                                                                                                                Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2019
                              dung an der ersten Stelle der nächsten Nachrichtensendung steht, welche
                                                                                                                                                Indische Autorinnen verschaffen
                              Reportagen, Kommentare und Berichte in der Zeitung gedruckt werden. Das                                           sich Gehör
                              Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden, glaubwürdige Berichterstattung,
                                                                                                                                             10 Lange Nacht
                              kompetente Analyse und unabhängige Kommentierung gewährleisten: Das
                                                                                                                                                Unerzählte Geschichten
                              ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten in traditionellen Medien.                                    Eine Lange Nacht über Alexander
                              In der digitalen Medienwelt aber treten andere Akteure an ihre Stelle.                                            und Wilhelm von Humboldt
                                    ‚Newsrooms‘ in Parteizentralen und ‚Neuigkeitenzimmer‘ in Ministerien                                   11 Landeskorrespondentinnen
                              sind Symptome eines Medienwandels, der auch die politische Kommunikation                                     		 und -korrespondenten
                              verändert. Politiker und ihre Medienstrategen werden zu Publizisten. Über Twit-                                  Berichte aus Hamburg
                              ter erreichen Spitzenpolitiker eine breite Öffentlichkeit, ohne sich in Interviews                             12 Visitenkarte
                              kritischen Nachfragen stellen zu müssen. Auf Instagram inszenieren sich Minis-                                    Die Sendung ‚Über Podcast‘
                              ter als Posterboys im Stil von George Clooneys Espresso-Werbung.                                                  im Deutschlandfunk Kultur
                                    Die Rolle von Parteien und anderen nicht journalistischen Akteuren in                                    13 Radiomenschen
                              der politischen Kommunikation ist Thema unserer diesjährigen Konferenz                                            Catrin Stövesand
                              ‚Formate des Politischen‘ am 14. und 15. November im Haus der Bundespresse-                                       Johannes Kuhn
                              konferenz. Gäste sind unter anderen der ORF-Moderator Armin Wolf, der You-                                     14 Gastbeitrag
                              Tuber Rezo, der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Eric Gujer sowie                                          Dr. Gregor Mayntz
                              weitere pro­mi­nente Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Politiker.
                                                                                                                                             15 Programmkalender November 19
                              Auf deutschlandfunk.de/formate können Sie die Konferenz auch live verfolgen.
                              Sie finden dort auch alle Informationen zu Programm und Anmeldung. Ich                                         78 Hörspiel und Feature
                              freue mich, wenn Sie dabei sind!                                                                                  Monatsübersichten

                                  Ihr                                                                                                        80 Hörspiel
                                  Stephan Detjen                                                                                                Tipps/Ursendungen
                                  Chefkorrespondent /Leiter Hauptstadtstudio und Studio Brüssel                                              83 Feature
                                  Deutschlandradio                                                                                              Tipps/Ursendungen
                                                                                                                                             86 Hintergrund
                                  Hörerservice                                            Service-Nummern
                                                                                                                                                Die Suche nach dem guten
                                  Telefon                                                 Nachrichten                                           Flugbenzin
                                  0221 345-1831                                           0221 345-29911                                        Wenn künstliche Gelenke
                                  Fax                                                     Verkehrslage                                          Probleme bereiten
                                  0221 345-1839                                           0221 345-29916
                                  E-Mail                                                  Seewetterbericht                                   88 Feuilleton
                                  hoererservice@deutschlandradio.de                       0221 345-29918                                        FAUST-Theaterpreis 2019
                                  Internet                                                Programme hören                                       Flamenco – Identität und Gefühl
                                  deutschlandradio.de/kontakt                             0221 345-63000
                                                                                                                                             90 Kinder
                          Impressum                                                                                                             Hörspiel ‚Wir nannten ihn Tüte‘
                          Herausgeber Deutschlandradio, Körperschaft des             Gestaltung Mohr Design
                          öffentlichen Rechts, Raderberggürtel 40, 50968 Köln,       Druck pva, Druck- und Mediendienstleistungen GmbH,      91 Interview/Hörerforum
                          Telefon 0221 345-0                                         Industriestraße 15, 76829 Landau
                          Verantwortlich Dr. Eva Sabine Kuntz (v.i.S.d.P.),          Vertrieb Deutschlandradio Service GmbH (DRS)
                          Dr. Jörg Schumacher, Dr. Helmut Buchholz                   Raderberggürtel 40, 50968 Köln
                          Redaktion Bettina Mayr, Brigitte Vankann, Miriam           Adressenänderungen
                          von Chamier (Deutschlandradio Service GmbH)                adressverwaltung@deutschlandradio.de
                          Mitarbeit Petra Baron, Mario Loch                          Neu- und Abbestellungen deutschlandradio.de/kontakt              Alexander von Humboldts
                          (Deutschland­radio Service GmbH), Ulrike Wallisch          Redaktionsschluss 24. September 2019,                           ,Naturgemälde der Tropenländer‘ (1807)
                          Programmbeirat Markus Frania, Dr. Jan-Christoph Kitzler,   Programmänderungen vorbehalten                                   zeigt einen Querschnitt
                          Rolf K. Otten (Deutschlandradio Service GmbH),                                                                              durch den Andenvulkan Chimborazo
                          Susanne Pickert, Barbara Roth, Marie Sagenschneider                                                                         © akg-images/Science Source
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das ist das Thema
der Denkfabrik 2020

Eine Welt 2.0 –
Dekolonisiert euch!
                 Die Denkfabrik widmet sich       den richtigen Umgang mit dem Völkermord         wurden und in europäischen Museen zu
den großen Fragen der Zeit und diskutiert sie     an den Herero und Nama. Da ist der Streit um    ­bewundern sind? Sind wir bereit, sie zurück-
in fairer und freier Debatte, auf Augenhöhe       die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter an die    zugeben; wenn ja, nach welchen Kriterien?
mit Ihnen, liebe Hörerinnen und Nutzer. Sie       Herkunftsländer. Da ist der Streit darüber,      Wollen wir noch Bücher im Original lesen,
will die unterschiedlichsten Zugänge zu           was nun eigentlich Rassismus ist – und was       wenn dort Begriffe auftauchen, die wir heute
einem Thema finden, innovative Formate            eben nicht.                                      als rassis­tisch einordnen?
testen, die Kräfte in der Zusammenarbeit mit          Keine dieser Debatten ist rückwärtsge-            Diese Debatten kreisen um die Neuge-
den richtigen Kooperationspartnern verviel-       wandt. Es geht dabei nicht nur um Afrika und     staltung des Zusammenlebens, politisch,
fachen.                                           Restitution, sondern darum, unsere Bezie-        kulturell, ökonomisch. Sie betreffen das Ver-
     Noch ist es zu früh, um eine Bilanz des      hungen zu überdenken und neu zu ordnen:          hältnis zwischen dem globalen Norden und
ersten Jahres Denkfabrik zu ziehen. Sie ist       global, national, regional und lokal. Es geht    dem Süden ebenso wie das der Bürgerinnen
aber, auch dank Ihrer Beteiligung, so beein-      um Heimat, Identität, Europa, neue Sklaverei,    und Bürger in Stadtvierteln wie Berlin-Neu-
druckend, dass in der Denkfabrik kommen-          Fluchtbewegungen, es geht um wirtschaft-         kölln, Duisburg-Marxloh oder Stuttgart-Feu-
des Jahr mit Hochdruck weitergearbeitet           liche Abhängigkeiten und Machtstrukturen         erbach. Und immer häufiger betreffen sie
werden soll. Höchste Zeit also, das Thema         innerhalb unserer eigenen Gesellschaft.          auch das Miteinander innerhalb von Familien.
für 2020 vorzustellen.                                Verbunden mit dem Thema sind sehr kon-            Nun fängt die Planung für die konkrete
     Wir haben Sie gebeten, über vier The-        krete Fragen, die sich an uns selbst richten:    Umsetzung des Themas an. Dabei stützen
men abzustimmen. Fast 17.000 Hörerinnen           Wie hoch ist der Preis unserer günstigen         wir uns auch auf die zahlreichen Kommen-
und Nutzer haben von Mitte Juli bis Ende          T-Shirts oder Smartphones für die Menschen       tare, die Sie uns mit Ihrer Stimme geschickt
September davon Gebrauch gemacht und              auf anderen Kontinenten, deren Ressourcen        haben. Haben Sie Dank dafür! Wir halten Sie
entschieden: ‚Eine Welt 2.0 – Dekolonisiert       dafür ausgebeutet werden? Was geschieht          im Programmheft auf dem Laufenden – und
euch!‘ wird das Thema der Denkfabrik 2020.        mit den Zehntausenden Kunstwerken, die in        freuen uns, wenn Sie bis dahin auf dem Por-
(Auf Platz 2 landete ‚Öffentlichkeit und De-      kolonialen Zeiten gesammelt und geraubt          tal der Denkfabrik vorbeischauen!
mokratie‘, auf Platz 3 ‚Digitale Gesellschaft –
                                                                                                     Denkfabrik / Dr. Eva Sabine Kuntz,
digitale Kompetenz‘ und auf Platz 4 ‚Deut-
                                                                                                     Leiterin HA Intendanz
sche Unterschiede‘).
     Kolonialzeit – ein Randthema?
Im Gegenteil: Seit wenigen Jahren hat auch
Deutschland eine Debatte erfasst, die wir
‚Dekolonisierung‘ nennen. Und diese Diskus-
sion wird umfassender. Da ist der Streit um

deutschlandradio.de/denkfabrik
4 Musik
                                                 ‚RIAS stellt vor‘ – das Plakat
                                                 des ersten Konzertes am 3. November 1959

Philharmonie Berlin                                                                              Live aus dem Kulturpalast Dresden
Antonín Dvořák: ‚Rusalka‘                                                                        Musik – Demokratie – Europa

Seinen Dvořák-Schwerpunkt in der aktuellen                                                       ‚…und der Zukunft zugewandt!‘ – eine Zeile
Konzertsaison eröffnete Chefdirigent Robin                                                       aus der Nationalhymne der DDR, in selbiger
Ticciati mit der konzertanten Aufführung der                                                     allerdings schon seit den 70er-Jahren nicht
sub­ti­len Märchen-Oper ‚Rusalka‘ des tsche-                                                     mehr gesungen, weil im Text ‚Deutschland,
chischen Meisters. Das war zugleich der Ab-                                                      einig Vaterland‘ folgt. Das war damals kein
schluss des Musikfests Berlin. Damit erhielt                                                     erklärtes Staatsziel mehr. Als dann das ‚ei­ni­
das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin                                                          ge Vaterland‘ 1990 Realität wurde, ging für
die seltene Gelegenheit, sich als brillantes                                                     viele Komponisten, vor allem Musiker der
und einfühlsames Opernorchester zu profi-                                                        zeitgenössischen Musik ‚das Licht aus‘. Es
lieren. Wie zuvor im Sommer bereits beim                                                         ist ein Querstand der Entwicklung, dass die
Opernfestival in Glyndebourne interpretier­-     Seit 60 Jahren auf Entdeckungsreise             einst Querständigen nun vollends ins Ab-
te Sally Matthews die Titelrolle. Auch die       Die Konzertreihe ‚RIAS stellt vor‘/             seits gerieten. Friedrich Schenkers ‚Sinfonie
meisten anderen Solisten hatten zuvor in         ‚Debüt im Deutschlandfunk Kultur‘               in Memoriam Martin Luther King‘ zum Bei-
England gesungen, nur der Tenor Klaus                                                            spiel – uraufgeführt in Dresden 1972, im Kul-
Flo­rian Vogt war als Prinz kurzfristig einge-   Dunkel und undurchschaubar mag die Tief-        turpalast. Kurt Masur dirigiert: Die Reaktio­
sprungen. Außerdem dabei war der Rund-           see auf jemanden wirken, der unvorbereitet      nen des Publikums, krachende Türen, Zwi-
funkchor Berlin in dieser sensiblen und          mit ihr konfrontiert wird. Mit der richtigen    schenrufe, das gab es auch in der DDR. Wie
zu­­gleich mitreißenden Aufführung in tsche-     Ausrüstung und Beleuchtung lassen sich          reagieren wir heute auf Schenkers Provo-
chischer Originalsprache. Das Alterswerk         jedoch unter den Millionen scheinbar ähn-       ka­tionen? Ein Thementag der Dresdner Phil­
Antonín Dvořáks erstrahlte in neuem Glanz.       licher Wesen, die dort versteckt leben, ein-    harmonie, den wir live im Programm haben.
   Deutschlandfunk Kultur                        zigartige Individuen entdecken. Besonderes      Das Collegium Novum reist an, das sich im­-
   Samstag, 2. November, 19.05 Uhr               ins Scheinwerferlicht zu rücken, das hatten     ­mer für die Ost-Moderne eingesetzt hat,
   Oper                                          sich auch die Begründer der Konzertreihe         Paul-Heinz Dittrichs Kammermusik ist zu hö­-
                                                 ‚RIAS stellt vor‘ auf die Fahnen geschrieben,    ren, Musik von Goldmann und Georg Katzer
                                                 als sie im Herbst 1959 mit einem knallroten      – seine ‚Fabbrica abbandonata‘ – auf Worte
                                                 Plakat die Berliner zu einem Konzert mit un-     von Wolfgang Hilbig: eine apo­kalyptische
Schwerpunkt beim                                 bekannten Künstlern einluden. Gemeinsam          Vision in sächsischer Industrie­landschaft.
‚Atelier neuer Musik‘                            mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin           Deutschlandfunk Kultur
Das kompositorische Erbe                         wurden damals drei junge Solisten und ein          Samstag, 9. November, 19.05 Uhr
der ehemaligen DDR                               Dirigent präsentiert. Das Modell war erfolg-       Themenabend Musik
                                                 reich und so wird die Veranstaltungsreihe bis
                                                                                                    Weitere Musiksendungen
Differenzierende Blicke auf das komposito-       heute fortgeführt. Über 500 junge Künstler
                                                                                                    zum Thema 30 Jahre Mauerfall:
rische Erbe der ehemaligen DDR sind das          waren inzwischen zu Gast. Zum 60. Geburts-
                                                                                                    Deutschlandfunk Kultur
Thema im ‚Atelier neuer Musik‘. Berichtet        tag haben wir elf von ihnen eingeladen, am
                                                                                                    Freitag, 8. November, 20.03 Uhr
wird vom Festival-Symposium ‚Unter dem           28. Oktober mit dem DSO in die Philharmo-
                                                                                                    Konzert
Radar‘ im Mai 2019 in der Musikhochschule        nie zu einem Jubiläumskonzert zurückzu­-           RundunkchorLounge
Han­nover; ostdeutsches Kunst- und Massen-       kehren. Auf dem Programm stehen Werke
                                                                                                    Sonntag, 10. November, 20.03 Uhr
liedschaffen wurde hier reflektiert. Erinnert    von Schostakowitsch, Beethoven, Berlioz,
                                                                                                    Konzert
wird an die zeitgenössischen Konzerte im         Bartók, Bruch, Brahms und Enescu.
                                                                                                    ‚Unter dem Radar‘ – Lieder aus der DDR
Ost­berliner Theater im Palast (der Republik).      Deutschlandfunk Kultur                          Ein Abend von den
Eine weitere Sendung analysiert das ‚Anders­­-      Sonntag, 3. November, 20.03 Uhr                 Sommerlichen Musiktagen Hitzacker
sein‘ der DDR-Avantgarde, die sich auf der          Konzert
Basis gesellschaftskritischen kulturellen Ver-
haltens stets auf Diskurs fokussierte. Revue
passiert auch ein Experiment beim Kölner                                                         Mit Druck, Präsenz und Energie
Forum neuer Musik 2010: Das ensemble
                                                  Klassik-Pop-et cetera
                                                                                                 Danielle Nicole & Band
20/21 der Kölner Musikhochschule beschäf-         Die Gastmoderatoren
tigte sich mit der Gruppe Neue Musik Hanns              Deutschlandfunk                          Danielle Nicole ist die Frontfrau ihres Power­
Eisler Leipzig und verdeutlichte, dass jene             Samstags jeweils 10.05 Uhr               trios, sie spielt Bass und singt – was wegen
Leipziger von vor 40 Jahren zu Recht zum                                                         unterschiedlich betonter Phrasierungen
gesamtdeutschen Kulturgut gehören.                2. 11. Der Pianist Aaron Pilsan                gar nicht so leicht ist. Und singende Bassis­
   Deutschlandfunk                                                                               tin­nen sind besonders selten. Aber sie be-
                                                  9. 11. Der Dramatiker und Autor Thomas Köck
   Samstag, 2./9./16./30. November,                                                              kommt beides meisterlich hin, den Gesang
   22.05 Uhr                                     16. 11. Die Musikerin Alin Coen                 und ihr rockendes Bassspiel. 2006 gründete
   Atelier neuer Musik                                                                           sie mit ihrem Bruder Kris am Schlagzeug ihre
   2. November                                   23. 11. Der Schauspieler Fabian Hinrichs        erste Band, 2015 hat sie ihr erstes Soloalbum
   Das ensemble 20/21 entdeckt                                                                   veröffentlicht. Bei ihrem zweiten Auftritt
                                                 30. 11. Der Autor Takis Würger
   Goldmann und Schenker                                                                         beim Bluesfestival Schöppingen überzeugte
   9. November                                                                                   sie wieder mit purer Energie und überrannte
   Fragen an das zeitgenössische Lied                                                            die letzten bestehenden Grenzen zwischen
   in der DDR                                                                                    Blues und Rock mit Druck und Groove.
   16. November                                                                                     Deutschlandfunk
   Die Welt der neuen Musik im ehemaligen TiP                                                       Freitag, 15. November, 21.05 Uhr
   30. November                                                                                     On Stage
   Die andere Avantgarde – made in GDR
Musik 5

                                                                              ,Bildnis des Komponisten Anton Rubinstein‘, Gemälde von Michail Michailowitsch Jarowoj © akg-images
                            Aufzeichnung
                            aus der Bethanienkirche Leipzig
                            ‚Rosen aus Florida‘ –
                            nach Fragmenten von Leo Fall

                            Es ist Leo Falls letzte Operette und im Grun-
                            de Erich Wolfgang Korngolds erste Bearbei-
                            tung. Falls Musik war in der Skizze fertig,
                            dann starb er. Der Direktor des Theaters an
                            der Wien fragte bei Korngold an und stieß
                            auf Wohlwollen. Korngold, der mit seinen
                            Opern komplexe Psychogramme geschaffen
                            hatte, reizte diese raffinierte Einfachheit des
                            Komponisten Fall – die er nach seinem Gusto
                            aufladen konnte. Die Premiere der Korngold-
                                                                                                                                                                                                                                                          Der Komponist und Pianist
                            Fassung war 1929 ein gesellschaftliches Er-                                                                                                                                                                                             Anton Rubinstein
                            eignis. Es geht um einen der reichsten Jung-                                                                                                                                                                                            Deutschlandfunk
                            gesellen Amerikas, der meint, mit Geld alles                                                                                                                                                                         Donnerstag, 21. November, 22.05 Uhr
                            kaufen zu können. Täglich lässt er sich Rosen
                            aus Flo­rida einfliegen. Er heißt auch noch
                            Goliath, frönt seinem Jet-Set-Stream und
                            wird von listigen Frauen ausgetrickst. Am                                                                                                               Musikalische Offenbarungen
                            Schluss bekommt er seine Irina und fährt in                                                                                                             Der Komponist und Pianist Anton
                            den Hafen der Ehe ein.                                                                                                                                  Rubinstein (1829 – 1894)
                               Deutschlandfunk Kultur
                               Samstag, 16. November, 19.05 Uhr                                                                                                                     Anton Rubinstein war im musikalischen Russ­-        Konzerte' waren äußerst vielfältig und konn-
                               Oper                                                                                                                                                 land des 19. Jahrhunderts eine herausragen­         ten mehr als vier Stunden dauern. Er zählt
                                                                                                                                                                                    de Persönlichkeit. Er galt als virtuoser Pianist,   zu den Mitbegründern des Petersburger Kon-
                                                                                                                                                                                    der, ähnlich wie sein Lehrer Franz Liszt, mit       servatoriums und gilt als treibende Kraft

                              On Stage                                                                                                                                              seinem spektakulären Klavierspiel vor allem
                                                                                                                                                                                    weibliche Anhänger an den Rand einer Ohn-
                                                                                                                                                                                                                                        beim Aufbau eines russischen Musikbetrie­
                                                                                                                                                                                                                                        bes. Nicht zuletzt war Anton Rubinstein aber
                                   Deutschlandfunk                                                                                                                                  macht bringen konnte. Seine ,Histori­schen          auch Komponist, knapp 150 Titel füllen sei-
                                   Freitags jeweils 21.05 Uhr                                                                                                                                                                           nen Werkkatalog. Es ist ein Kuriosum, dass
                             8. 11. Auf zwei Hochzeiten                                                                                                                                                                                 man bei Rubinstein heute vor allem an seine
                            		 Die polnische Band Two Timer                                                                                                                                                                             kleine ,Melodie in F‘ denkt, dabei hatte er so
                            		 Aufnahme vom 17. Mai 2019                                                                                                                            Aufnahme vom Musikfest Bremen                       viel mehr zu bieten.
                            		 beim Bluesfest Eutin                                                                                                                                 Richard Bona Group                                     Deutschlandfunk
                                                                                                                                                                                                                                           Donnerstag, 21. November, 22.05 Uhr
                            15. 11. Mit Druck, Präsenz und Energie
                                                                                                                                                                                    Seine Musik vereint Jazz-Funk mit den Melo-            Historische Aufnahmen
                            		 Danielle Nicole & Band
                            		 Aufnahme vom 9. Juni 2019
                                                                                                                                                                                    dien und Rhythmen Westafrikas. Berühmt für
                            		 beim Bluesfestival Schöppingen                                                                                                                       seine atemberaubende Virtuosität auf dem
                                                                                                                                                                                    E-Bass, ist Richard Bona als Sänger aber auch
                            22. 11. ‚Pardis‘ – Paradies                                                                                                                             ein Geschichtenerzähler par excellence, ei-
                                                                                                                                                                                                                                          Historische
                            		 Hamid Motebassem Ensemble &
                                                                                                                                                                                    ne Art moderner Griot. Als 13-Jähriger spielt         Aufnahmen
                            		 Thüringer Symphoniker Saalfeld-
                                                                                                                                                                                    er in seinem Geburtsland Kamerun in einem                  Deutschlandfunk
                            		Rudolstadt
                                                                                                                                                                                    Tanzlokal – mit einer selbst gebauten Gitar-               Donnerstags jeweils 22.05 Uhr
                            		 Aufnahme vom 5. Juli 2019
                            		 beim Rudolstadt Festival                                                                                                                             re. Noch im selben Jahr kommt ihm eine Plat-
                                                                                                                                                                                    te von Jaco Pastorius zu Ohren. Vollkommen           7. 11. Virtuose für die Ewigkeit
                            29. 11. Richard Bona Group (2/2)                                                                                                                        fasziniert wechselt Bona sofort zum E-Bass.         		 Der Pianist Vladimir Horowitz
                            		 Richard Bona, E-Bass, Gesang                                                                                                                         Noch ahnt niemand, dass er alsbald zu einem         		 (1903 – 1989) in neu veröffentlichten
                            		 Dennis Hernandez, Trompete                                                                                                                                                                               		Livemitschnitten
                                                                                                                                                                                    der brillantesten Vertreter dieses Instrumen­
                            		 Ciro Manna, Gitarre
                                                                                                                                                                                    tes werden sollte. Über Paris verschlägt es         14. 11. Wegbereiter des modernen Violinspiels
                            		 Michael Lecoq, Keyboards
                                                                                                                                                                                    ihn nach New York. Als Mitglied von Joe Za­         		 Der Geiger und Pädagoge Carl Flesch
                            		 Archibald Ligonniere, Schlagzeug
                                                                                                                                                                                    winuls Syndicate wird er schließlich welt­          		(1873 – 1944)
                            		 Aufnahme vom 25. August 2018
                            		 beim Musikfest Bremen                                                                                                                                bekannt. Seit vielen Jahren verfolgt der Ka-        21. 11. Musikalische Offenbarungen
                                                                                                                                                                                    meruner eine erfolgreiche Solokarrie­re. Mit        		 Der Komponist und Pianist
                                                                                                                                                                                    eigener Band eröffnete Richard Bona im ver-         		 Anton Rubinstein (1829 – 1894)
                                                                                                                                                                                    gangenen Jahr das Musikfest Bremen: ein
                                                                                                                                                                                                                                        28. 11. Sternstunden
                                                                                                                                                                                    umjubelter Auftritt mit knochentrockenem
© daniellenicolemusic.com

                                                                                                                                                                                                                                                G I U S EPPE V ER D I
                                                                                                                                                                                    Funk, filigraner Afro-Fusion und leisen Ge-
                                                                                                                                                                                                                                        		 ‚Quattro Pezzi Sacri‘
                                                                                                                                                                                    sangseinlagen voller Poesie.
                                                                                                                                                                                                                                        		 für gemischten Chor und Orchester
                                                                                                                                                                                       Deutschlandfunk                                  		 Janet Baker, Mezzo-Sopran
                                                                                                                                                                                       Dienstag, 26. November, 21.05 Uhr                		 Philharmonia Chorus and Orchestra,
                                                                                                                                                                                       Jazz Live                                        		London
                                                                                                                                                                                       (Teil 1)                                         		 Leitung: Carlo Maria Giulini
                                                       Danielle Nicole
                                                                                                                                                                                                                                        		 Aufnahme vom Dezember 1962
                                                                                                                                                                                       Freitag, 29. November, 21.05 Uhr
                                                                                                                                                                                       On Stage
                                                                                                                                                                                       (Teil 2)
6 Spezial

Kolleginnen und Kollegen
erinnern sich (Teil 2)

                                                                                                                              Grenzübergang Invalidenstraße (9. November 1989)
Der Mauerfall

                                                                                                                              © akg-images/ddrbildarchiv.de
vor 30 Jahren
               Am 9. November 1989 fiel                                          ankomme, fallen mir auffällig-un­auffällige
die Mauer zwischen Ost- und Westberlin.                                          Männer in schwarzen Lederjacken auf. Aber

                                                                                                                                                                                                   © Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastré
Welche Erinnerungen haben unsere Kolle-                                          auch hier ist nichts mehr, wie es war. Fas-
ginnen und Kollegen an dieses historische                                        sungslos starren die Stasileute auf den US-
Ereignis? Wie haben sie die Zeit davor und                                       Korrespondenten ein paar Meter weiter, der
danach erlebt?                                                                   mit seinem koffergroßen Satellitentelefon                                                                                                                   Silke Hasselmann,
                                                                                 völlig entspannt auf dem Bürgersteig mit                                                                                                                    Landeskorrespon-
                                                                                 der Zentrale in New York telefoniert und mir                                                                                                                dentin Mecklenburg-
                                                                                 zuwinkt. Pressefreiheit live in Ostberlin, am                                                                                                               Vorpommern,
                  © Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastrér

                                                                                 Tag nach dem Mauerfall.                                                                                                                                     Deutschlandradio
                                                                                                                                                                                 Am 9. November 1989 bin ich – wie so häufig
                                                                                                                                                                                 damals – bereits am frühen Abend gemein-
                                                                                                                                                                                 sam mit meinem zweijährigen Sohn einge-
                                                             Doris Simon,                                                                                                        schlafen: erschöpft vom Alltag mit den lan-
                                                             Referentin                                                                                                          gen autolosen Wegen zwischen der Fried-
                                                             Programmdirektion                                           Dr. Matthias                                            richshainer Wohnung, der 1,5 km entfernten
                                                             Deutschlandradio                                            von Hellfeld,                                           Kinderkrippe und der noch viel weiter ent­
                                                                                                   © Norman Wollmacher

Am 10. November 1989 morgens stehe ich,                                                                                  Redakteur bei                                           legenen Arbeitsstelle. Der 10. November
westdeutsche Jungjournalistin beim RIAS,                                                                                 ‚Eine Stunde History‘,                                  1989 muss ein Freitag gewesen sein, denn
in der Schlange am Übergang Heinrich-Hei­                                                                                Deutschlandfunk                                         alle zwei Wochen donnerstags und freitags
ne-Straße Richtung Osten. Der weißbärtige                                                                                Nova                                                    fuhr ich als Fernstudentin zur Berliner Hum-
Mann zwei Meter vor mir: Lew Kopelew, so­-                                       Ich erinnere mich genau: Ich saß in der Re-                                                     boldt-Universität. An diesem Morgen war es
w­jetischer Schriftsteller, ein Dissident, der                                   daktion von WDR 2 und bereitete die Mitter-                                                     wieder so weit, und ich wunderte mich über
nach Sibirien verbannt war. Der glaubt im                                        nachtssendung ‚Berichte von heute‘ vor, als                                                     die seltsam aufgekratzte Stimmung in der
Ernst, dass sie ihn reinlassen? Ich schwitze.                                    die erste Tickermeldung mit der Äußerung                                                        ungewöhnlich vollgequetschten S-Bahn
Nicht wegen Kopelew, sondern wegen mei-                                          von Günter Schabowski hereingebracht wur-                                                       Richtung Friedrichstraße. Doch erst an der
ner Handtasche: Unter meinem Portemon­                                           de. Kurz danach war ich im Studio, ein Kolle-                                                   Uni erfuhr ich von der folgenreichen Scha­
naie steckt ein Aufnahmegerät. Lew Kopelew                                       ge verkündete die Neuigkeit und schnell war                                                     bowski-Pressekon­ferenz, was bedeutet, dass
zeigt seinen Pass, darf durch die Tür. Wahn-                                     klar, dass wir „durchsenden“ würden. Ich war                                                    ich ziemlich lange keine Nachrichten gehört
sinn! Ich muss die Tasche öffnen. Da ist der                                     irgendwann in der Nacht dran, moderierte                                                        haben muss. Ungewöhnlich, denn ich arbei-
Rekorder. Der Grenzer schaut rein, schiebt                                       um halb zwölf meine Sendung und blieb                                                           tete zu dieser Zeit aus politischen Gründen
mir die Tasche zurück und blafft: „Nächster!“                                    dann gleich im Studio. Neben mir der legen-                                                     zwar nicht bei meinem Sender Jugendradio
Ich bin sprachlos … Und denke zum ersten                                         däre Adolf Buddha Krämer, der mit der ,Schla­-                                                  DT 64, sondern strafversetzt bei Stimme der
Mal: Wenn sich selbst das jetzt ändert, dann                                     gerrallye‘ die älteste Hitparade der ARD ins                                                    DDR mit ihrer berüchtigten ‚Rotlicht-Bestrah-
bleibt ja kein Stein mehr auf dem anderen.                                       Leben gerufen hatte. Abwechselnd machten                                                        lung‘. Doch spätestens seit der gefälschten
Den Geist kriegen sie nicht mehr in die Fla-                                     wir Musik, lasen Tickermeldungen vor, die                                                       Kommunalwahl im Mai 1989 hatte ich sämt-
sche.                                                                            alle halbe Stunde von einem Boten als Papier                                                    liche ‚Antennen‘ auf Ereignisse und offizielle
    November 1989. Die Welt im Umbruch,                                          ins Studio gebracht wurden, und berichteten                                                     wie informelle ‚Wende‘-Nachrichten einge-
und wir in Berlin mittendrin. Im Rückblick ein                                   von jubelnden Menschen. Für mich war das                                                        stellt. Die Maueröffnung also verschlafen,
wochenlanger Mix von Gefühlen und Schlaf-                                        alles ein wenig unwirklich. Als junger Repor-                                                   gruben sich diese zwei Gedanken umso tief-
losigkeit. Jeden Tag Überraschungen, auf                                         ter musste ich mich viel zu sehr auf die Live-                                                  er in mein Gedächtnis: die bange Frage, ob
Ewigkeit fest­betoniert geglaubte Dinge än-                                      moderationen konzentrieren, sodass ich die                                                      sich das Zeitfenster wieder schließen würde
dern sich über Nacht. Die Themen liegen auf                                      Tragweite des Geschehens erst am nächs­ten                                                      und damit die Gelegenheit verpasst sei, sich
der Straße, die Leute wollen reden. Recher-                                      Morgen richtig wahrgenommen habe. Über-                                                         Westberlin ansehen zu können. Zugleich war
chen in Leipzig, in Dresden, rund um Berlin.                                     all – so berichteten wir dann – hatten sich                                                     mir klar, dass hier etwas aufregend Funda-
Freundlich-neugierige Fragen: „Für wen ma-                                       Schlangen mit Trabis gebildet, die sich ge-                                                     mentales und zugleich höchst Ambivalentes
chen Sie das?“ Die Antwort: „Für den RIAS!“,                                     duldig auf den Weg gemacht hatten, den                                                          mit ungewissem Ausgang geschieht. An Aus­-
öffnet zu 99 Prozent alle Türen. Als ich am                                      Westen zu besuchen. Sie gaben den Start-                                                        schlafen war für lange Zeit nicht mehr zu
10. November zu Fuß in der Behrensstraße                                         schuss für die aufregendste Zeit, die die                                                       denken …
                                                                                 Deutschen in der jüngeren Vergangenheit                                                                             Diese und weitere Texte der
deutschlandfunkkultur.de/                                                        erleben konnten.                                                                                    Kolleginnen und Kollegen finden Sie unter
mauerfall                                                                                                                                                                                                 deutschlandradio.de
Deutschlandfunk Nova 7

                                             „Steht die Mauer
                                              noch?“

Auf dem Weg zu euren
Ost-West-Geschichten                                                                                                                       Tina Howard (l.) und Rahel Klein (r.)
                                                                                                                                           vor dem Deutschlandfunk Nova-Mobil
                 Tina, du bist in Leipzig auf-
gewachsen – am 9. November 1989 warst
du sieben Jahre alt. Erinnerst du dich noch
an den Tag?
Tina Howard: Da war ich vermutlich schon
                                                   © Deutschlandfunk Nova/Max Burbach

im Bett. ;-) Die Leute sind ja erst spät abends
wirklich rüber nach Westberlin. Ich erinnere
mich aber, dass unser Fernseher andauernd
lief und meine Eltern am nächs­ten Tag über-
legt haben, nach Berlin zu fah­ren, weil ja nie-
mand wusste, ob die nicht die Mauer einfach
wieder zumachen.
     Rahel, du bist 1990 in Siegen geboren.                                                 Rahel, bei Deutschlandfunk Nova ar­            das meist in der schnelllebigen Bericht­
War die Teilung Deutschlands für dich                                                   beiten viele Menschen, die zum Beispiel            erstattung möglich ist. Und ich würde gern
überhaupt mal Thema?                                                                    in Leipzig studiert haben, die auch noch in        zeigen, dass es für beide Seiten, Ost und
Rahel Klein: Kaum. Ich kann mich ehrlich ge-                                            der DDR aufgewachsen sind – spielt da die          West, gut war, dass es die Wiedervereini-
sagt nicht daran erinnern, dass wir das The-                                            Herkunft irgendeine Rolle in der Bericht­          gung gab.
ma in der Schule so richtig durchgenommen                                               erstattung?                                            Sind Ossi-Witze, Wessi-Witze okay –
haben. Und innerhalb meiner Familie war die                                             Rahel: Ich glaube, dass meine Kolleginnen          oder verbietet ihr euch die gegenseitig?
deutsche Teilung auch kaum Thema. Ich er-                                               und Kollegen mit Bezug zur DDR oder zum            Tina: Voll okay. Wer nicht über sich lachen
innere mich daran, dass meine Eltern einmal                                             Osten im Allgemeinen oft einen differen­zier-      kann, nimmt sich definitiv zu ernst.
über die Grenze wollten, aber nicht durften.                                            teren und etwas anderen Blick auf die Ent-         Rahel: Ich bin offen für Wessi-Witze – ich
Erst während meines Studiums habe ich                                                   wicklungen im Osten haben. Ich glaube, dass        kenne bisher nämlich keine. ;-)
mich mit der Geschichte der DDR ausein­an­                                              es uns da manchmal an Verständnis mangelt
                                                                                                                                              Das Gespräch führte Lena Stärk,
dergesetzt, habe Leipzig, Dresden und Ber-                                              und deshalb finde ich es wichtig, dass sich
                                                                                                                                              Redakteurin Deutschlandfunk Nova
lin besucht.                                                                            die Kolleginnen und Kollegen mit ihrem an-
     Der Mauerfall erscheint vor allem in                                               deren Blickwinkel einbringen.                         „Steht die Mauer noch?“ –
vielen Berufsbiografien immer wie ein Um-                                                   Tina, du lebst schon länger in Köln.              Auf dem Weg zu euren
bruch. Wie hat er dein Leben verändert,                                                 Spielt dieses Herkunfts-Thema überhaupt               Ost-West-Geschichten
Tina?                                                                                   noch eine Rolle?                                      Vom 4. bis 9. November
Tina: Grundlegend und für immer, weil sich                                              Tina: Ja, das spielt eine Rolle. Ich bin einfach      auf dem Instagram-Account
für mich Möglichkeiten eröffneten, die mei-                                             anders aufgewachsen. Nicht nur, dass ich an-          @dlfnova, im Liveprogramm
ne Eltern nicht hatten. In meinem (Kinder-)                                             dere Bücher gelesen und Zeichentrickfilme             von Deutschlandfunk Nova –
Alltag änderten sich die Dinge erst nach                                                gesehen habe. Der Anfang meines Lebens                in den Sendungen ‚Grünstreifen‘
                                                                                                                                              und ‚Ab 21‘ sowie auf
und nach. Ich war der erste Jahrgang, der                                               war von einer Gesellschaft geprägt, die nicht
                                                                                                                                              deutschlandfunknova.de/
von der 5. Klasse an aufs Gymnasium ging.                                               auf Konsum ausgerichtet war, sondern auf
                                                                                                                                              steht-die-mauer-noch
Und meine Eltern sind richtige Reise­freaks                                             eine in der Regel erzwungene Gemeinschaft.
geworden – ich hab viel von (West-)Europa                                                   Auf was freut ihr euch am meisten auf
gesehen. Ich hab aber auch gesehen, wie                                                 der Reise?
Menschen in meiner Umgebung ihre Jobs                                                   Rahel: Ich freue mich am meisten darauf,              Tina Howard ist 1982 in Leipzig geboren,
verloren haben, jahrelang auf Montage ge-                                               ganz unterschiedliche Menschen zu treffen             Rahel Klein 1990 in Siegen (NRW). Gemein-
fahren sind oder ihnen gesagt wurde, dass                                               und mir ihre persönlichen Geschichten anzu-           sam besuchen sie in der Woche vor dem
alles, was sie bisher gemacht ha­ben, Käse                                              hören. Und ich freue mich darauf, die Begeg-          Mauerfall-Jubiläum Menschen, in deren
war. Das war nicht leicht und ist es für eini-                                          nungen für mich ganz persönlich zu reflektie-         Leben die deutsche Ost-West-Geschichte
ge bis heute nicht.                                                                     ren und unsere Hörerinnen und Hörer daran             Spuren hinterlassen hat. Von ihrer Reise
                                                                                        in unseren Storys teilhaben zu lassen.                berichten sie auf Instagram und im Live-
                                                                                        Tina: Ich sitze gern in fremden Wohnzimmern           programm von Deutschlandfunk Nova.
                                                                                        – ich hab schon in vielen verrückten Wohn-
                                                                                        zimmern gesessen. Außerdem möchte ich
                                                                                        ein vielfältigeres Bild vom Osten zeigen, als
deutschlandfunknova.de/
steht-die-mauer-noch
8 Literatur

Lesung und Gespräch
mit dem Preisträger
Norbert Scheuer

                                                                                                                                                       © Fritz Peter Linden
Wilhelm Raabe-
Literaturpreis 2019
                Zum 15. Mal vergibt der             Zeiten getragen haben. Bis heute und bis          landfunk, mit neuen Statuten und einem Pool
Deutschlandfunk gemeinsam mit der Stadt             nach Kall in der Eifel, wo der Schriftsteller     von rund 20 Juroren, die rochieren, sodass
Braunschweig den Wilhelm Raabe-Literatur-           Norbert Scheuer lebt. Er hat seinen kleinen       die jeweils neunköpfige Jury in jedem Jahr
preis. In diesem Jahr erhält ihn der Eifeler        Eifelort in bisher acht Romanen zum Spiegel       auf einigen Positionen verändert ist. In einem
Erzähler Norbert Scheuer für seinen achten          der Welt gemacht und in jedem seiner              Festakt im Kleinen Haus des Staatstheaters
Roman aus seiner Lebenslandschaft: ‚Winter-         Bü­cher das lokale Kleine zum Gegenstand          Braunschweig wird am 3. November der
bienen‘. Der Raabe-Preis ist mit 30.000 Euro        höchster Aufmerksamkeit gesteigert. Da-           Raabe-Preis verliehen. Der Deutschlandfunk
einer der renommiertesten und höchst do-            mit hat er zugleich einen großen metapho­-        wird den Festakt und eine Lesung des Preis-
tierten Preise im deutschsprachigen Raum.           ri­schen Raum geöffnet. In seinem Roman           trägers mit anschließendem Gespräch am
Er wird vergeben für ein in deutscher Spra-         ‚Winterbienen‘ leisten dies eben jene in un-      Samstag, 30. November, von 20.05 Uhr bis
che verfasstes erzählerisches Werk, das eine        serer Gegenwart über alles geschätzten,           22.00 Uhr senden. Auf dem Digitalkanal
wichtige Etappe in der Entwicklung des je-          ja geradezu verehrten Insekten, die zu Tau-       ‚Dokumente und Debatten‘ ist der komplette
weiligen Autors darstellt. Das Buch muss im         senden einen gemeinsamen Körper bilden.           Festakt am 3. November live zu hören, eben-
Jahr der Preisvergabe erschienen sein. Zu                 Der Roman spielt in den letzten Monaten     so wie das am Vorabend stattfindende fünf-
den bisherigen Preisträgern gehören Rainald         des Zweiten Weltkriegs, und mit den sum-          stündige Programm der ,Langen Nacht der
Goetz, Jochen Missfeldt, Ralf Rothmann,             menden Bienen auf den Wiesen an der Urft          Literatur‘ in Braunschweig.
Wolf Haas, Katja Lange-Müller, Andreas              kontrastieren und korrespondieren die alliier-
                                                                                                         Dr. Hubert Winkels, Leiter der
Maier, Sibylle Lewitscharoff, Christian Kracht,     ten Jagdflugzeuge am westlichen Himmel.
                                                                                                         Literaturredaktion im Deutschlandfunk
Marion Poschmann, Thomas Hettche, Cle-              Egidius Arimond ist Epileptiker, der versucht,
mens J. Setz, Heinz Strunk, Petra Morsbach          sich mit Medikamenten ruhigzuhalten. Dabei
                                                                                                         Sonntag, 3. November, 11.30 Uhr
und Judith Schalansky.                              ist es doch die kriegerische Außenwelt, die          Verleihung des
    In der Preisbegründung der Jury für             in konvulsivischen Zuckungen tobt. Ohne Auf-         Wilhelm Raabe-Literaturpreises 2019
Norbert Scheuer heißt es:                           hebens rettet er jüdische Mitmenschen vor            an den Schriftsteller Norbert Scheuer
„Alle Dinge dieser Welt sind einander ähn-          dem Tod, mithilfe seiner Bienenvölker.               Live aus dem Kleinen Haus
lich. Das Kleinste korrespondiert mit dem                 In ‚Winterbienen‘ erreicht Norbert Scheu-      des Braunschweiger Staatstheaters
Größten, und noch im Kontrast steckt Ver-           er eine äußerste Nähe von symbolischem               Im Livestream auf deutschlandradio.de
wandtschaft. Nikolaus von Kues ist einer der        Zeichen und konkreter Realität. In der Form          unter ‚Dokumente und Debatten‘
Philosophen, die diese Einsicht durch die           des Tagebuchs findet er zu einer Kompaktheit
                                                                                                         Deutschlandfunk
                                                    der Darstellung und einer Gelassenheit der
                                                                                                         Samstag, 30. November, 20.05 Uhr
                                                    Schreibweise, die jedes Unheil in der Welt
                                                                                                         Studio LCB
                                                    überführt in eine neue ästhetische Ordnung.
   Norbert Scheuer, geboren 1951, lebt als                                                               Deutschlandfunk Kultur
                                                    Das macht ihn zu einem einzigartigen rea­­-
   freier Schriftsteller in der Eifel. Er erhielt                                                        Sonntag, 1. Dezember, 0.05 Uhr
                                                    lis­tischen Erzähler unserer Zeit, zu einem
   zahlreiche Literaturpreise und veröffent-                                                             Studio LCB
   lichte zuletzt die Romane ‚Die Sprache           poetisch-realistischen Erzähler auch in der
   der Vögel‘ (2015), nominiert für den Preis       Tra­dition Wilhelm Raabes.“
   der Leipziger Buchmesse, und ‚Am Grund                 Der Raabe-Preis selbst geht zurück auf
   des Universums‘ (2017). Sein Roman               das Jahr 1944, als Ricarda Huch ausgezeich-
   ‚Überm Rauschen‘ (2009) stand auf der            net wurde, kann also dieses Jahr sein 75-jäh-
   Shortlist des Deutschen Buchpreises und          riges Jubiläum feiern. Ein Neuanfang wurde
   war 2010 ‚Buch für die Stadt Köln‘.              im Jahr 2000 gemacht – mit dem Deutsch-
Literatur 9

Der Anfang von Ende
Michael Ende
und sein Geburtsort Garmisch

Seine Bücher haben weltweit eine Gesamt-        Nora Bossong                                                                                           Schweigen gilt nicht!
auflage von mehr als 30 Millionen und sind      ,Schutzzone‘                                                                                           Indische Autorinnen
übersetzt in 40 Sprachen. ‚Die unendliche                                                                                                              verschaffen sich Gehör
Geschichte‘, ‚Momo‘ oder ‚Jim Knopf und         Nora Bossong hat mit ,Schutzzone’ wohl ihr
Lukas der Lokomotivführer‘ wurden vielfach      am direktesten auf die große Politik zielen­                                                           Schon 1940 begehrte eine indische Autorin
für Film, Fernsehen, Radio und Theater adap-    des Buch geschrieben: Nach Stationen bei                                                               öffentlich auf. Unnava Lakshmi Bai verließ ein
tiert. In seinem Geburtsort Garmisch-Parten-­   der UN in New York und Burundi arbeitet                                                                von Männern dominiertes Literaturevent mit
kirchen ehrte man den Autor mit der Umge-       Mira für das Büro der Vereinten Nationen in                                                            den Worten: „Konntet ihr in unserer litera-
staltung des Kurparks in einen Themenpark       Genf. Während sie tagsüber Berichte über                                                               rischen Geschichte nicht eine einzige Frau
mit versunkenen Skulpturen und rätselhaf­       Krisenregionen und Friedensmaßnahmen                                                                   finden? Ich werde bei keiner Veranstaltung
ten Brunnen. Das Michael-Ende-Museum ist        schreibt, eilt sie abends durch die Gänge                                                              bleiben, bei der Frauen so missachtet wer-
allerdings wegen eines zu knappen Kultur­       der Luxushotels, um zwischen verfeindeten                                                              den.“ 70 Jahre später landet die frühere Haus-
etats mittlerweile geschlossen. Der kleine      Staatsvertretern zu vermitteln. Dann begeg-                                                            haltshilfe Baby Halder mit der Biografie ‚Vom
Kurort ist unweigerlich mit Michael Ende        net sie Milan wieder, in dessen Familie sie                                                            Dunkel ins Licht‘ einen Bestseller. Muslimin­
verbunden: Dort haben sich die Eltern des       nach der Trennung ihrer Eltern im Frühjahr                                                             nen treten aus Protest gegen ihre Unterdrü-
Schriftstellers, der surrealistische Maler      1994 gelebt hat. Die Erinnerungen an diese                                                             ckung nackt in der Öffentlichkeit auf und
Edgar Ende und die Geschäftsfrau Luise          Zeit überrumpeln und fas­zinieren sie zu-                                                              bringen ihre Verbitterung zu Papier. Die Da-
Bartholomä, kennen- und lieben gelernt. In      gleich. Als ihre Rolle bei der Aufarbeitung                                                            lit-Angehörige Urmila Pawar schildert in ih-
Garmisch-Partenkirchen wird ihr Sohn Mi-        des Völkermordes in Burundi hinterfragt                                                                ren Memoiren eindringlich, wie das Leben
chael vor 90 Jahren, am 12. November 1929,      wird, gerät auch Miras Souverä­nität ins Wan-                                                          einer Frau, die von „ganz unten“ kommt, ver-
geboren. Dort verbrachte er seine ersten        ken, ihr Glaube, sie könne von außen ein­                                                              laufen kann. In dem Verlag Zubaan, der sich
Lebensjahre, kehrte im Zweiten Weltkrieg        greifen, ohne selbst schuldig zu werden.                                                               auf Frauenrechte spezialisiert hat, laufen die
für zwei Jahre zurück und pflanzte dann ein        Deutschlandfunk                                                                                     Fäden zusammen. Die Chefin, Urvashi Buta-
halbes Jahrhundert später eine Linde im            Mittwoch, 20./27. November, 20.30 Uhr                                                               lia, hat mit ihrem Buch ‚Geteiltes Schweigen
Kurpark. Was erzählt die Verwurzelung mit          Lesezeit                                                                                            – Innenansichten zur Teilung Indiens‘ dazu
seinem Geburtsort über das Werk von Mi-                                                                                                                beigetragen, die Debatte zur Situation indi­
chael Ende? Und wie steht Garmisch-Parten-                                                                                                             scher Frauen zu differenzieren.
kirchen heute zu seinem berühmten Sohn?                                                                                                                   Deutschlandfunk Kultur
   Deutschlandfunk Kultur                       Nach 1968 kamen die Vollidioten                                                                           Freitag, 29. November, 19.30 Uhr
   Freitag, 1. November, 19.30 Uhr              Wie Frankfurt zum Zentrum                                                                                 Zeitfragen. Literatur
   Zeitfragen. Literatur                        des Humors wurde

                                                Die ’68er-Bewegung bestand nicht nur aus
                                                Straßendemonstrationen, Molotow-Cocktails
Erzähl mir Deutschland!                         und radikalen Politparolen. Gesellschaftliche
Von Mauern und Menschen                         Lockerungsübungen, amerikanische Pop-
                                                                                                   Urvashi Butalia © picture-alliance/Candy Welz/dpa

                                                Kultur und neue Möglichkeiten des Lachens
In Romanen und Erzählungen lebt die deut-       sind von ihr nicht zu trennen. In Frankfurt ent-
sche Teilung und ihr Ende im November           stand mit der Satirezeitschrift ‚pardon‘ eine
1989, leben die Jahre danach fort. 30 Jahre     Zentraleinrichtung dieser Kulturrevolte: Hier
nach dem Mauerfall unternimmt Elke Schlin-      wurde, parallel zu dem Aufstand an den Uni-
sog eine Deutschlandreise zu jenen Schrift-     versitäten, eine bestimmte Form von Hoch-
                                                                                                                                                       Indische Autorinnen
stellerinnen und Schriftstellern, die von       komik erfunden. Es überrascht, wer in dieser
                                                                                                                                                       verschaffen sich Gehör
dem wichtigsten Ereignis der Nachkriegszeit     Redaktion nebeneinander saß: Eckhard Hen-                                                              Deutschlandfunk Kultur
nicht lassen. Jan Brandt erzählt in ‚Gegen      scheid, der 1973 mit seinem satirisch-ver-                                                             Freitag, 29. November, 19.30 Uhr
die Wand‘ von den letzten Tagen der BRD-        schnörkelten, barocken Kneipenroman ‚Die
Komfortzone in einem ostfriesischen Dorf.       Vollidioten‘ den Nerv der Zeit traf, und Wil-
Manja Präkels‘ Buch ‚Als ich mit Hitler         helm Genazino, der virtuos zwischen Humor
Schnaps­kirschen aß‘ ist eine verstörende       und Melancholie balancierte und zu einem                                                                Lesezeit
Geschichte aus einem brandenburgischen          der herausragendsten Gegenwartsschrift-
Zehdenick voller Angstzonen, damals in den      steller heranwuchs. Was sie einte, war nicht                                                                  Deutschlandfunk
                                                                                                                                                              Mittwochs jeweils 2.30 und 20.30 Uhr
Wendejahren bis in die Gegenwart. Lukas         so ganz klar. Für eine Ausstellung der Kari­
Rietzschels Roman ‚Mit der Faust in die Welt    katuristen Robert Gernhardt, Hans Traxler                                                              6. 11. Jan Peter Bremer liest aus seinem
schlagen‘ handelt von einer gesamtdeut-         und F. K. Waechter fand man aber 1981 die                                                              		 Roman ,Der junge Doktorand‘ (Teil 1)
schen Sorgenregion und Wutlandschaft, der       schlagkräftige Formel von der ‚Neuen Frank-
Lausitz. Frank Goosen kündigt ‚Kein Wunder‘     furter Schule‘: Die alte Frankfurter Schule                                                            13. 11. Jan Peter Bremer (Teil 2)
an und schildert in dem Roman den letzten       um Theodor W. Adorno wurde in andere Ana-
                                                                                                                                                       20. 11. Nora Bossong liest aus ihrem Roman
Sommer vor der Wende in Bochum.                 lyseformen überführt, jetzt wurde kräftig
                                                                                                                                                       		 ,Schutzzone' (Teil 1)
   Deutschlandfunk Kultur                       gelacht.
   Sonntag, 3. November, 22.03 Uhr                 Deutschlandfunk Kultur                                                                              27. 11. Nora Bossong (Teil 2)
   Literatur                                       Sonntag, 24. November, 22.03 Uhr
                                                   Literatur                                                                                                  Weitere Informationen zu den
                                                                                                                                                              Literatursendungen in Deutsch­landfunk
                                                                                                                                                              und Deutschlandfunk Kultur finden Sie
                                                                                                                                                              unter deutschlandradio.de/literatur
10 Lange Nacht

                                                                                 Unerzählte
                                                                                 Geschichten

                               Eine Lange Nacht

                                                                                                                                                                                     © ullstein bild/Granger, NYC
                               über Alexander und Wilhelm von Humboldt
© ullstein bild/Granger, NYC
Alexander von Humboldt

                                                „Es hat Leute gegeben, die            Sie gelten als Kosmopoliten, Gegner von        hatten einen Blick für das Große, aber eben
                               von einem Ort gegen Morgen weggereist             Unterdrückung, Sklaverei und Kolonialismus.         auch einen Blick fürs Detail. Und sie hatten,
                               und an denselben Ort von Abend wieder her-        Und sie zählen zu den letzten Vertretern der        wie es nun mal eine Eigenschaft von For-
                               gekommen sind. Wäre dies auf einer flachen        Spezies der Universalgelehrten ebenso wie           schern ist, ein Faible für noch nie erzählte
                               Scheibe wohl möglich?“ Alexander von Hum-         zu den ersten im modernen Sinne interdis­           Geschichten. Dass die Erde keine Scheibe
                               boldt (1769 – 1858), vor 250 Jahren geboren,      ziplinären Forschern. Gerade Alexander von          ist, war übrigens auch mal eine.
                               konnte die Welt und ihre Kugelgestalt auch        Humboldt ist in den letzten Jahren mit Pub­
                                                                                                                                        David Blankenstein
                               einfach erklären, wie sich seinen für junge       likatio­nen zu seiner Person überhäuft wor-
                               Bergleute verfassten Unterrichtsvorlagen          den, in seinem Jubiläumsjahr kommen dazu
                               entnehmen lässt. Alexander und sein Bruder        noch eine Briefmarke und eine offizielle Ge-
                               Wilhelm (1767– 1835) sind heute in Deutsch-       denkmünze. Gibt es also zu den Brüdern                     Deutschlandfunk Kultur
                               land Mythos: Weltversteher, Vordenker der         Humboldt noch etwas zu erzählen?                           Samstags, 0.05 Uhr
                               Ökologie und Vorhersager des Klimawandels              Tatsächlich offenbart ein genauerer Blick             Lange Nacht
                               der eine, Urheber des Bildungsgedankens           in die Lebensumstände der Brüder, der Wech-                Deutschlandfunk
                               und der modernen Universität der andere.          ­sel der Perspektive und die Einbeziehung                  Samstags, 23.05 Uhr
                               Sie wirken fast überlebensgroß und werden          des zeitlichen Kontextes ihrer Biografien, Ge-            Lange Nacht
                               für ihre Aktualität gefeiert. Wilhelm von Hum-     schichten, die sich lohnen, noch erzählt zu
                               boldt wollte den Menschen verstehen und            werden. Was ist zum Beispiel mit den Reisen,       2. 11. „Eine gute Geschichte ist nie ganz
                                                                                                                                     		erklärbar“
                               studierte dazu sich selbst, die Gesellschaft,      die sie nicht gemacht haben, und warum?
                                                                                                                                     		 Die Lange Nacht über den Filmemacher
                               den Staat und schließlich, in der Form der         Woran sind die erfolgreichen Brüder geschei-
                                                                                                                                     		 Edgar Reitz
                               Sprachen, die ganze Welt. Das war seine            tert, im Großen wie im Kleinen? Welche Prak-
                               Grundlage, um als Politiker die Schulen Preu-      tiken ihrer Wissenschaft und ihrer Haltungen       9.11. Kindheitsmuster, Herkunftsmonster
                               ßens zu reformieren, 1810 die erste Universi-      sehen wir heute als problematisch an? Wie          		 Eine Lange Nacht über Christa Wolf
                               tät Berlins ins Leben zu rufen, die heute nach     wurden sie von ihren Zeitgenossen wahrge-          		 und Franz Fühmann und ihre deutsche
                               den Brüdern heißt, und als Diplomat beim           nommen und wie hat sich die Sicht auf sie          		Vergangenheit
                               Wiener Kongress Europa neu zu ordnen.              entwickelt? Was ist an ihnen zeitgemäß und         16. 11. Die letzten Romantiker
                               Alex­ander hatte nicht nur eine Schule für         was eben nicht?                                    		 Eine Lange Nacht des Bossa Nova
                               Bergleute gegründet, sondern unternahm                 Die Möglichkeiten, über diese und andere
                               danach noch eine fünfjährige Forschungs­           Fragen nachzudenken, entstehen nicht not-          23. 11. Eingeschlossen zwischen sterbliche
                                                                                                                                     		Dinge
                               reise nach Amerika, deren Ergebnisse er in         wendigerweise dadurch, dass Wilhelm und
                                                                                                                                     		 Eine Lange Nacht über das Mittelmeer
                               der Form eines 30-bändigen Werks mit der           Alexander von Humboldt mit den großen Fra-
                               Öffentlichkeit teilte, gefolgt von einer zumin-    gen unserer Zeit verbunden werden, sondern         30. 11. Unerzählte Geschichten
                               dest zahlenmäßig noch umfangreicheren              sie entstehen oft im Kleinen, angesichts ei­-      		 Eine Lange Nacht über Alexander
                               und berühmten Vortragsreihe in Berlin sowie        nes Dokuments, eines Briefes, des Objekts          		 und Wilhelm von Humboldt
                               einem Buch über praktisch alle Phänomene           einer Ausstellung. Es ist der Blick auf Details,   		 (Siehe auch den Veranstaltungshinweis
                               der Welt, das damals jeder Bildungsbürger-         der die gewohnten Erzählungen über sie mal         		 am 30.11. auf der Rückseite dieses
                               Haushalt, der etwas auf sich hielt, zu Hause       bereichern, mal begleiten oder auch mal bre-       		Heftes.)
                               haben musste: dem ‚Kosmos‘.                        chen und infrage stellen kann. Die Brüder
                                                                                  Humboldt waren selbst kritische Geister, sie
Landeskorrespondentinnen und -korrespondenten (Teil 15) 11

                Als Radio der Länder
                unterhalten wir Korres­
                pondentenstudios in
                allen 16 Landeshaupt-
                städten und am Finanz-
                standort Frankfurt/Main.

                                                                                                                         © Steffen Hofemann
                Unsere Inlandskorres­
pondenten stehen für den föderalen
Sendeauftrag der drei Deutschland-
radio-Programme. In dieser Artikelreihe                                            Hamburg
stellen die Kolleginnen und Kollegen von                                                                Axel Schröder wurde 1971 in Uelzen geboren.
Kiel bis München ihre Bundesländer vor.                                                                   Nach dem Studium in Göttingen und Berlin
                                                                                                            (Soziologie, Politik und Jura) folgten erste
                                                                                                          journalistische Schritte bei der taz und dem
                                                                                                        Freitag, bevor er das Radio für sich entdeckte.
                                                                                                    Seit 2003 liefert Axel Schröder Beiträge aus
                                                                                                    Hamburg für das Deutschlandradio sowie auch
                                                                                                    für den NDR, WDR, SWR und den Bayerischen
                                                                                                    Rundfunk. Er liebt das Geräusch von schreienden
                                                                                                    Möwen, das der Hamburger Wind über die Stadt
                                                                                                    weht, und wundert sich erfreut, wie viele Ge­
                                                                                                    schich­ten die Menschen in dieser Stadt zu
                                                                                                    erzählen haben – man muss ihnen nur zuhören.

Berichte aus Hamburg

Weltoffen und tolerant!
Kein bisschen unterkühlt!
                  Für mich ist es ein Glücksfall,   ge lang musste ich mit vier Stunden Schlaf          Was mich antreibt? Die Neugier und die
als Landeskorrespondent aus der Freien und          auskommen, wollte vor Ort sein, um mir ein      Lust, dazuzulernen. Mein Blick auf Hamburg?
Hansestadt Hamburg berichten zu dürfen.             eigenes Bild von den größtenteils gewalt-       Die Stadt ist eine der vielfältigsten, schöns-
Vor allem deshalb, weil ich die Stadt und ihre      freien Protesten machen zu können, von den      ten und reichsten der Bundesrepublik, in der
Menschen schon immer gemocht habe, viel-            Attacken gegen Einsatzkräfte und den Über-      die Armut aber wächst, in der von Jahr zu Jahr
leicht, weil Mutter und Großmutter aus Ham-         griffen übermüdeter, erschöpfter und viel-      mehr Menschen auf der Straße leben. In der
burg stammen. Und weil die Hamburgerin­             fach beschimpfter Polizeikräfte. Herausfor-     reiche Reeder und Mäzene sich zwar über-
nen und Hamburger, entgegen einem weit              dernd war das vor allem deshalb, weil alle      durchschnittlich für den sozialen Zusammen-
verbreiteten Vorurteil, so gar nicht unterkühlt     Seiten es bei ihren Presseerklärungen mit       halt, für die Kunstszene, die Musik oder die
oder abweisend sind. Das Gegenteil ist der          der Wahrheit nicht immer so genau nahmen:       Schulen einsetzen und damit trotzdem nichts
Fall: Ich erlebe sie als weltoffene Menschen,       weder die Protestler, noch der Senat, noch      an der wachsenden sozialen Ungleichheit än-
die vielleicht nicht viele Worte machen, aber       die Polizeipressestelle. Der Graben, den der    dern können. Mein Blick richtet sich deshalb
das, was sie sagen, ist dafür umso verbind-         G20-Gipfel in Hamburg hinterlassen hat,         vor allem auf die Politik des derzeitigen rot-
licher und getragen von Toleranz. Ein Bei-          existiert bis heute.                            grünen Senats, auf die im Februar 2020 an-
spiel: Als der umstrittene Innensenator Ro-             Ein Glück und eine Herausforderung zu-      stehenden Bürgerschaftswahlen, darauf, was
nald Schill seinem Chef, dem damals regie-          gleich ist die Vielfalt der Themen, über die    getan wird, um die Stadtgesellschaft, um
renden Bürgermeister Ole von Beust, drohte,         ich berichten kann: über Verkehrs-, Sozial-     Wirtschaft und Soziales zusammenzuhalten.
dessen Homosexualität öffentlich zu ma-             und Umweltpolitik, über alle Themen rund        Und gleichzeitig noch den Klimaschutz in der
chen, wurde Schill prompt entlassen. Bei            um Schule, Kultur- oder Wirtschaftspolitik.     Autostadt Hamburg voranzutreiben, die so
meiner Radioumfrage unter jungen und alten          Ich berichte über die Menschen in der Stadt,    gern – so steht es im Koalitionsvertag – eine
Passanten vor dem Rathaus hieß es unisono:          über ihre Ideen, Projekte und Probleme und      Fahrradstadt wäre. Als Korrespondent, der
Der Bürgermeister hat alles richtig gemacht.        natürlich über den Hafen im Herzen der Han-     90 Prozent seiner Wege bei Wind und Wetter
Dass Ole von Beust schwul war? Interessierte        sestadt: über die Waren, das Geld, die Ar-      auf zwei Rädern mit Pedalkraft zurücklegt,
hier niemanden.                                     beitsplätze, aber auch über die Schadstoffe,    weiß ich: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
    Eines der prägendsten Ereignisse meiner         die er in die Stadt bringt. Dazu gehören auch
bislang sechsjährigen Korrespondentenzeit           die immer noch ausstehende und umstrit-             Axel Schröder,
war sicher der G20-Gipfel vor zwei Jahren.          tene Elbvertiefung und die wirtschaftlichen,        Landeskorrespondent
Die Stadt im Ausnahmezustand, die Polizei           sozialen und umweltrechtlichen Aspekte              Hamburg
überfordert, der sonst so souveräne Bürger-         dieses größten deutschen Infrastrukturpro-
meister Olaf Scholz unter Schock. Sechs Ta-         jekts.

                                                                                                       deutschlandradio.de/
                                                                                                       landeskorrespondenten
12 Visitenkarte

                                                Die Sendung ‚Über Podcast‘
                                                im Deutschlandfunk Kultur

                                                                                                                                           Christine Watty,
                                                                                                                                           Jana Wuttke,
                                                                                                                                           Carina Fron,
                                                                                                                                           Hagen Terschüren,
                                                                                                                                           Sandro Schroeder
                                                                                                                                           (v. l. n. r.)

                                                                                                                     © Deutschlandradio/
                                                                                                                     Eva-Maria Tornette
Neue Formate entdecken
und Orientierung schaffen
                 In einer Folge des US-ameri-   Auch wenn sie beim Einkaufen, Joggen, in         Deutschland haben die beliebtesten Pod-
kanischen Podcasts ‚Heavyweight‘ bringt         der U-Bahn oder beim Wäsche zusammen­            casts immerhin schon bis zu fünf- und sechs-
der Host Jonathan Goldstein seinen Freund       legen nebenbei gehört werden: Podcasts           stellige Downloadzahlen pro Episode. Neben
Gregor dazu, wieder Kontakt mit dessen          sind weit mehr als nur ein Nebenbei-Medium.      solchen Charts-Spitzenreitern gibt es eine
verschollenem Freund Moby aufzunehmen.          Sie füllen Alltagsmomente mit Gesprächen,        unüberschaubare Zahl von Podcasts, die
Genau jenem Moby, dem international er-         Ideen, Informationen, Humor und Geschich-        jede erdenkliche Nische bedienen. Höchste
folgreichen Musiker, lieh Gregor einst seine    ten. Aber vor allem mit: Intimität. Stimmen      Zeit, sich mit dieser Vielfalt von Podcasts
Sammlung von Alan-Lomax-CDs, aus dem            offenbaren Eigenheiten und unausgespro-          journalistisch auseinanderzusetzen.
der Musiker das Album realisierte, das ihn zu   chene Emotionen, mit denen wir eine Bezie-
einem Megastar machte. Doch Gregor hat          hung eingehen, die wir sogar lieben können.         Jana Wuttke, Christine Watty,
nie wieder von Moby gehört, und er will nun,    Man nimmt den Humor und das Tempo an-               Sandro Schroeder
Jahre später, unbedingt seine CDs zurück.       ders wahr, als innerhalb eines linearen Radio-      Redaktionsteam ‚Über Podcast‘
Die Geschichte von Gregor und Moby wird         programms. Und schließt auf besondere,              Deutschlandfunk Kultur
zu einer Art Meditation über das Altern, per-   wenn auch einseitige Weise, Freundschaft.
sönliche Erwartungen und das Wesen von          So stellt sich gar nicht die Frage: „Wann soll
Inspiration und ist damit das beste Beispiel    ich das nur alles hören?“, sondern eher die
dafür, was das Medium Podcast leisten kann.     Fragen: „Wen?“ und „Was zuerst?”.                   ‚Über Podcast‘
                                                                                                    ab 8. November 2019
Mit Eifer, Einfühlungsvermögen und linki­           ‚Über Podcast‘ von Deutschlandfunk
                                                                                                    zweiwöchentlich
scher Unbeholfenheit wagt sich Goldstein –      Kultur richtet sich daher an Menschen mit
                                                                                                    als Podcast
ein langjähriger Produzent der US-Radio­        Leidenschaft für Podcasts, die neue Formate
                                                                                                    und in der Sendung
sendung ‚This American Life‘ – in die Leben     entdecken wollen oder verstehen möchten,
                                                                                                    ‚Das Podcastmagazin‘
verschiedener Protagonisten und versucht        warum manche Podcasts gut und andere
                                                                                                    montags, 0.05 Uhr
ih­nen dabei zu helfen, Probleme aus der Ver-   schlecht gelingen. Wohin sich die omniprä-
                                                                                                    im linearen Programm
gangenheit aufzuarbeiten.                       senten True-Crime-Formate entwickeln,               von Deutschlandfunk Kultur
    Einen Podcast kann heute nahezu jeder       wo gerade erzählerische Innovationen ent-
aufnehmen und bereitstellen, das Angebot        stehen oder sich das Medium durch die
wächst: von kleinen, privaten Amateur-Pro-      geschlossene Welt großer Streaming-Platt-
                                                                                                    deutschlandfunkkultur/
duktionen bis hin zu professionellen Produk-    formen und Podcast-Anbieter verändert.
                                                                                                    ueberpodcast.de
tionen von spezialisierten Podcast-Anbie-       Die erfolgreichsten Produktionen wie der
tern. Aber gute Podcasts beanspruchen Zeit,     von der ‚New York Times‘ produzierte News-          deutschlandfunkkultur.de/
sowohl beim Hören als auch beim Machen.         Podcast ‚The Daily‘ werden jeden Monat              podcasts
                                                mehrere Millionen Mal abgerufen. In                 deutschlandfunkkultur.de
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