220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG

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220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
Natur
                                     Heimat
                                     Kultur
DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG

                       220 KILOMETER
                     WELTERBE IN NRW

NR. 2 | 2021/22

Natürliche Heimat:   Soforthilfe:    Öko-Oase:          Neandertal:
Arche Noah           Engagement      Naturerbe Büecke   Eiszeitliche
im Sauerland         nach der Flut   bei Soest          Erinnerungen
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
Liebe Leserinnen,                  Das Aushängeschild des 1972 verabschiedeten Übereinkommens
                                   liebe Leser,                       zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist die Welter-
                                                                      beliste; sie genießt hohe globale Aufmerksamkeit. Es geht aber
                                    die Evaluierung der für die       um viel mehr als um das Who's who der Weltkultur. Die Welterbe-
                                    Welterbeliste der UNESCO          konvention fördert die internationale Zusammenarbeit und den
                                    nominierten Stätten des Nieder-   Erhalt des Natur- und Kulturerbes der Welt für uns und künftige
                                    germanischen Limes entlang        Generationen. Sowohl das Welterbe als auch die „nur“ national
                                    des Rheins in Nordrhein-West-     oder regional bedeutenden Denkmäler haben wir nicht von
                                    falen im September 2020 war       unseren Vorfahren zur freien Verfügung erhalten, sondern zur
                                    für mich eine Zeitreise nicht     Weitergabe an die künftigen Generationen geliehen bekommen!
                                    nur in die römische Vergangen-
                                    heit, sondern auch in die         Die Arbeit der NRW-Stiftung und der UNESCO liegen deshalb
                                    Geschichte der NRW-Stiftung.      gar nicht so weit auseinander, lediglich im Wirkungskreis unter-
                       Foto: Privat Als junge Referentin für den      scheiden sie sich. Beide verfolgen mit ihrem ganzheitlichen Ansatz
                                    Bereich Heimat- und Kultur-       für den Denkmal- und Naturschutz das Ziel, das politische und
pflege war ich in den 1990er Jahren dabei, als die Stiftungsgremien   zivilgesellschaftliche Engagement für den Schutz und Erhalt der
Mittel für den Ankauf und die Restaurierung von Haus Bürgel           kulturellen und natürlichen Ressourcen als unverzichtbare Bestand-
beschlossen. Keiner ahnte seinerzeit, dass damit nicht nur für        teile für die Verortung und für das Wohlbefinden der Menschen
Nordrhein-Westfalen wichtige Bau- und Bodendenkmäler, sondern         zu stärken. So schließt sich der Kreis, auch für mich.
auch Stätten nachhaltig gesichert wurden, die das Welterbe-
komitee der UNESCO am 27. Juli 2021 als Erbe der Menschheit           Dr. Birgitta Ringbeck
anerkannt hat.                                                        Welterbe-Koordinatorin im Auswärtigen Amt

GEMEINSAM FÜR
EIN LEBENDIGES LAND

Ü
        berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände,
        die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön-
        heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen
einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten
Kräften und hat bereits über 3.300 Projekte fördern können.
Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben
eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und
sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und
                                                                                                                     Tourismus NRW e. V. / NRW-Stiftung
Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und
die Geschichte unseres Landes.

Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele        Mitglied werden und Gutes tun!
gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung.                Unser Geschenktipp zum Geburtstag oder anderen Anlässen:
Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen       Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer
und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus               gut an – bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich
Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung.          landesweit für Natur und Kultur einsetzen.
Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin.
                                                                      Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für
                                                                      Sie selbst oder als Geschenk. Einfach online beantragen oder per
                                                                      Postkarte einen Gutschein bestellen. Alle Informationen finden
                                                                      Sie am Ende des Heftes.

                                                                      Förderverein NRW-Stiftung
                                                                      Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf
                                                                      Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de

2                                                                                                              Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
INHALT                                                                                     25 Jahre Neanderthal Museum                                  29 – 31
                                                                                           Tastende Erlebnisse, belauschte Erinnerungen –
Schaufenster                                                                    4–5        zum Jubiläum gibt es viel Neues in einem der
Zu entdecken in NRW: Clara und Robert Schumann in                                          erfolgreichsten Museen NRWs.
Düsseldorf, ein Haus für Kultur, Land und Bildung in
Brakel und ein Trafoturm für den Naturschutz in Haan.

Titelthema: Weltkulturerbe Niederrheinischer Limes                            6 – 11
Zum neuen Welterbe gehören wichtige Projekte
der NRW-Stiftung / Nicki Nuss erkundet den Limes
für Kinder / Fragen an Ministerin Ina Scharrenbach
und Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg.

                                                                                                                                                Neanderthal Museum

                                                                                           Glühendes Engagement                                          32 – 33
                                                                                           Mithilfe der NRW-Stiftung wurde eine alte Hofanlage
                                                                                           als Standort des Feuerwehrmuseums Kirchlengern
                                                                                           dauerhaft gesichert.
                               Faber Courtial GbR für LVR-Archäologischer Park Xanten
                                                                                           Überlebensräume für die Natur                                34 – 37
                                                                                           Das Projekt LEPUS bringt mehr Leben
Naturschutz im Freibad                                                      12 – 14        in die Landschaft.
Der Heimatpreis des Landes NRW ging an
die „Arche Noah“ in Menden.                                                                Denkmal der Zooarchitektur                                   38 – 39
                                                                                           Das heutige Südamerikahaus der Kölner Zoos
Es war einmal in Wuppertal                                                         15      wurde 1899 im „russischen“ Stil errichtet.
Ein Brunnen erzählt von Rotkäppchen und Co.
                                                                                           Vogel der Superlative                                        40 – 41
Spenden und Soforthilfe                                                     16 – 19        NRW ist eine Hochburg des Brachvogels
Die Flutkatastrophe traf auch Förderprojekte                                               in Deutschland. Die NRW-Stiftung unterstützt
der NRW-Stiftung.                                                                          das Engagement gegen sinkende Bestände.

                                                                                           Stammsitz der Ruhrpioniere                                   42 – 43
                                                                                           In Hagen-Haspen kommt Rettung für das vom Verfall
                                                                                           bedrohte Haus Harkorten aus dem 18. Jahrhundert.

                                                                                           Meldungen                                                    44 – 47
                                                                                           Digitaler Architekturguide Krefeld / Schwebende Objekte
                                                                                           in Gut Rödinghausen Menden / Tastmodell zum
                                                                                           Schauplatz Petersberg / Kulturgut Schrabben bei
                                                                                           Kirchhundem / Naturerlebnishof Stilleking-Oelken /
                                         Historischer Verein Stadt und Stift Essen e. V.
                                                                                           Fotowettbewerb Kalender 2022.

Mission Radiosternwarte                                                     20 – 21        Förderverein                                                 48 – 49
Der Verein „Astropeiler Stockert e. V.“ erhielt                                            Mitgliederversammlung in Königswinter / Bernd Hebbering
den WegWeiser-Preis 2021.                                                                  als Ehrenmitglied geehrt / Neue kommunale Mitglieder.
Wildnis für kleine Wildfänge                                                22 – 23        Spenden / Zustiften                                          50 – 51
Naturerfahrungsräume für Kinder entwickeln sich                                            Die Rückkehr der gekrönten Häupter: Kaiserinnen und
in NRW zum Erfolgsmodell.                                                                  Königinnen zieren die Kunsthalle auf Schloss Drachenburg.
Tonangebendes Barock                                                        24 – 25        Nicki Nuss                                                   52 – 53
Die Orgel von Kloster Corvey klingt wieder                                                 Entdeckungen im Römerreich.
wie vor 350 Jahren.
                                                                                           Ausflugstipps                                                54 – 58
Insel der Vielfalt                                                         26 – 28         Attraktive Ziele für Mitglieder des Fördervereins.
Zwischen Soest und Möhnesee gehören der NRW-
Stiftung 250 Hektar Fläche des nationalen Naturerbes.                                      Impressum                                                          59

                                                                                                                                                                 3
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
p SCHAUFENSTER

DAS RHEINISCHE
HAUS VON
CLARA UND ROBERT
SCHUMANN

U
        nter den Großen der Musik haben einige für NRW beson-                    im Schumann-Haus bilden, das zuvor aber saniert werden muss.
        dere Bedeutung, allen voran der gebürtige Bonner Ludwig                  Die NRW-Stiftung hilft auf Antrag des „Fördervereins Schumann-
        van Beethoven. Auch Robert Schumann ist zu nennen, der                   Haus Düsseldorf“ bei der denkmalgerechten Restaurierung.
zwar kein Rheinländer, sondern Sachse war, dessen „Rheinische                    Sie unterstützt zudem Maßnahmen zur Barrierefreiheit, zu denen
Symphonie“ aber zur musikalischen Erkennungsmarke geworden                       ein gläserner Anbau mit geeignetem Aufzug gehört.
ist. Schumann schrieb sie angeblich unter dem Eindruck, den
der Kölner Dom auf ihn gemacht hatte. Vielen Menschen ist das
schwungvolle Hauptthema als jahrzehntelange Titelmelodie der
WDR-Sendung „Hier und Heute“ vertraut.

Robert Schumann kam 1850 mit seiner nicht minder berühmten
Frau, der Pianistin und Komponistin Clara Schumann nach
Düsseldorf, um hier als Städtischer Musikdirektor zu arbeiten.
Der Komponist benötigte damals Wohnraum „für mich, meine Frau,
fünf Kinder und zwei bis drei Dienstboten – keine musikalische
Nachbarschaft (ein Hauptpunkt)“, wie er an den Arzt und Schrift-
steller Wolfgang Müller schrieb. Der Wunsch war schwer zu                                                                                         Christine Steiner

erfüllen, die Familie Schumann zog mehrfach um, bis sie 1852
                                                                                  Restaurierungsbefund: Die weiße Farbe verbirgt Fenster-
in der Bilker Straße ein passendes Domizil fand.                                  rahmungen aus vulkanischem „Andesit“.
Einzigartige Adresse                                                             Robert Schumann endete tragisch. Er erlebte in Düsseldorf heftige
Das um 1800 errichtete Haus ist heute die einzige Schumann-                      Querelen mit seinem Orchester und zeigte überdies immer stärkere
Adresse mit historischer Bausubstanz. In der Nähe liegt das                      Anzeichen geistiger Verwirrung. Im Februar 1854 stürzte er sich
Heinrich-Heine-Institut, dessen Archiv eine große Schumann-                      von der Oberkasseler Pontonbrücke aus in den Rhein. Er wurde
Sammlung beherbergt. Dazu zählen Originalbriefe und -noten,                      gerettet und in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn gebracht,
von denen einige mithilfe der NRW-Stiftung erworben wurden.                      wo er zwei Jahre später starb. Clara Schumann zog 1857 nach
Diese Sammlung soll den Grundstock eines künftigen Museums                       Berlin. Sie starb 1896.

    Kurios: Unter dem Innenhof des Hauses liegt der „Fischkeller“,                An den historischen Türen ließen sich übereinanderliegende
    den die Fischhändlerfamilie Maassen 1908 anlegen ließ.                        Farbschichten aus über zwei Jahrhunderten freilegen.

4                                                        Michael Gstettenbauer                               Christine Steiner   Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
SCHAUFENSTER            p

BILDUNGSHAUS
MODEXEN
Für ein Miteinander von Naturschutz,
Land- und Forstwirtschaft und Jagd

D
         er Neubau des Bildungshauses Modexen in Brakel ist
         weitgehend fertiggestellt. Das barrierefrei und einladend                                                                  Christiane Sasse
         mit viel Holz und Glas gestaltete Seminargebäude, das auch
                                                                       Einladend und transparent präsentiert sich der Neubau
mit Leader-Mitteln gefördert wurde, soll noch in diesem Jahr
                                                                       des Bildungshauses Modexen. Hier sollen Konzepte für ein
bezogen werden. Parallel zu den letzten Arbeiten am Gebäude geht       Miteinander von Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz
es nun an die Erarbeitung eines nachhaltigen Bildungskonzepts.         erarbeitet werden.
Die NRW-Stiftung hat das Bildungshaus Modexen von der Idee bis
zur baulichen Umsetzung maßgeblich unterstützt und setzt diese        den wertschätzenden Dialog zwischen Naturschutz, Land-
Arbeit nun auch bei der Entwicklung eines Bildungskonzepts fort.      und Forstwirtschaft sowie der Jagd. Diese drei Säulen sind im
Inhaltlicher Schwerpunkt des Hauses ist unter dem Motto               Trägerverein „Bildungshaus Modexen e. V.“ in Drittelparität
„KulturLandBildung“ die Erarbeitung ganzheit­licher Ansätze für ein   vertreten. Die hier als Pilotprojekt erarbeiteten Konzepte für eine
harmonisches und praktikables Miteinander der verschiedenen           konstruktive Partnerschaft sollen auch als Modell für andere
Interessengruppen bei der Landnutzung. Konkret geht es um             Regionen dienen.

EIN TRAFOTURM FÜR DEN ARTENSCHUTZ
                                                                      D
                                                                              ie Menschen machen dicht. Moderne Gebäude bieten
                                                                              vielen Arten immer weniger Ruhe- und Nistplätze.
                                                                              Die Arbeitsgemeinschaft Natur und Umwelt (AGNU)
                                                                      in Haan schafft deshalb neuen Lebensraum im ehemaligen
                                                                      Trafoturm Elp. Und zeigt mit einem Leuchtturm-Projekt, wie
                                                                      sich Naturschutz, Denkmal- und Heimatpflege auf besondere
                                                                      Weise verbinden lassen.

                                                                      Eulen, Fledermäuse, Mauersegler, Schmetterlinge und andere
                                                                      Tiere sollen in und am Gemäuer zwischen Haan und dem Ortsteil
                                                                      Gruiten optimale Lebensbedingungen vorfinden. Tierarten, die
                                                                      vornehmlich Gebäude bewohnen, unterstützt die AGNU mit der
                                                                      Schaffung von Nisthilfen, Tages- und Nachtverstecken sowie
                                                                      Sommer- und Winterquartieren. Dazu gehören zum Beispiel ein
                                                                      Wildbienenhotel an der Sonnenseite der Fassade, Amphibien-
                                                                      verstecke im Kellerschacht, verschiedene Nistkästen und
                                                                      Fledermausbretter.

                                                                      Die stillgelegte Transformatorenstation wurde 1912 von den Rheini-
                                                                      schen Elektrizitätswerken erbaut und war Teil der Stromversorgung
                                                                      der Stadt. Die AGNU erwarb den inzwischen denkmalgeschützten
                                                                      Turm 2017 von den Stadtwerken für den symbolischen Betrag von
                                                                      einem Euro und setzt sich seither für seine Umnutzung ein. Nach
                                                                      einer mehrjährigen Planungsphase konnte die Initiative im Sommer
                                                                      2021 schließlich mit dem Umbau des Gebäudes zum Artenschutz-
                                                                      turm und mit denkmalpflegerischen Arbeiten an Fassade und
                                                                      Sockel beginnen. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von ehren-
                                                                      amtlichen Helferinnen und Helfern, zahlreichen lokalen Sponsoren
                                                                      und der NRW-Stiftung.

                                                                        Der einstige Trafoturm Elp bei Haan bietet seit
                                                                        dem Umbau vielen Tierarten Unterschlupf.

                                                           Uwe Rabe                                                                         5
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
p   W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H Ä O L O G I S C H E L A N D E S A U S S T E L L U N G N R W

                                                                                                 Haus Bürgel in Monheim am Rhein ist eine Gutsanlage
                                                                                                 auf den Überresten eines Limes-Kastells aus dem 4. Jahr-
                                                                                                 hundert. Römisches Mauerwerk ist teilweise noch erhalten.
                                                                                                                                             Werner Stapelfeldt

220 KILOMETER
WELTERBE IN NRW
                                         Niedergermanischer Limes – das ist die Bezeichnung für die
                                         einstige Grenze des Römischen Reichs am Rhein. Im Juli 2021
                                         wurde der Grenzverlauf mit seinen archäologischen Stätten
                                         in Deutschland und den Niederlanden von der UNESCO als
                                         Weltkulturerbe anerkannt. Die Liste des Welterbes in NRW
                                         hat sich dadurch erfreulich verlängert, gewissermaßen um
                              Stefan Ast
                                         220 Kilometer, denn so lang ist die Rheinstrecke mit den
 Porträtbüsten in der Römischen          nordrhein-westfälischen Schauplätzen der Limesgeschichte.
 Grabkammer in Köln-Weiden erinnern
 an Verstorbene aus römischer Zeit.      Mehrere Förderprojekte der NRW-Stiftung gehören dazu, ein
ehemaliges römisches Kastell ist heute sogar ein stiftungseigenes Haus. Unterstützung
gab es außerdem für die aktuelle Archäologische Landesausstellung. Sie wirft an fünf
verschiedenen Standorten neues Licht auf den Limes und bietet mithilfe der NRW-Stiftung
auch Kindern spannende Erlebnisse.

6                                                                                                                           Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H ÄO LO G I S C H E L A N D E S AU S S T E L LU N G N R W         p

A
           uf insgesamt rund vierhundert Kilometern bildete der
                                                                              Der teilrekonstruierte Hafentempel
           Rhein einst die Grenze der römischen Provinz Nieder-
                                                                              im LVR-Archäologischen Park Xanten.
           germanien, von der Nordsee bis ins heutige Rheinland-
           Pfalz. Der südlich anschließende Obergermanisch-
Raetische Limes, schon seit 2005 Weltkulturerbe, hielt es hingegen
nicht mit dem Flussgott Rhenus, sondern lief östlich des Stroms
durchs Land. Dass sich der Niedergermanische Limes nun eben-
falls zum Welterbe zählen darf, würde vermutlich sogar Kaiser
Augustus erfreuen, obwohl die Rheingrenze zu seiner Zeit keines-
wegs Roms Ziel war. Ganz im Gegenteil: Das Reich wollte seine
Herrschaft eigentlich viel weiter ausdehnen – Drusus, der Stiefsohn
des Kaisers, drang mit seinen Truppen zeitweilig bis zur Elbe vor.
Doch im Jahr 9 n. Chr. erlitt der Feldherr Varus gegen germanische
Verbände unter dem Cherusker Arminius eine verheerende
Niederlage. Die rechtsrheinischen Pläne Roms wurden dadurch
aussichtslos.

Auf Römerpfaden
Zuvor hatten sich die Römer bei Vorstößen Richtung Osten gern
von der Lippe den Weg weisen lassen. An ihr reihen sich die Über-
reste mehrerer antiker Militärlager auf, eins davon in Haltern,
wo heute das LWL-Römermuseum seinen Standort hat. Spannend
ist auch der Fall Bergkamen-Oberaden: Im Jahr 11 v. Chr. ließ
Drusus hier – mitten im damaligen Siedlungsgebiet der Sugambrer
– ein Lager errichten, das zwar nur wenige Jahre existierte, aber
zu den größten nördlich der Alpen gehörte. Auf 56 Hektar Fläche
bot es Platz für zwei Legionen plus Hilfstruppen, also für bis
zu 15.000 Menschen. Zum Vergleich: Das 2008 entdeckte Lager
in Olfen an der Lippe war nur fünf Hektar groß. Heute lädt der
„Römerpfad“ in Bergkamen zu einem Spaziergang durch die histo-
rischen Zusammenhänge ein, Infotafeln in Form römischer Feld-
zeichen sorgen für Orientierung. Bei Anreppen nahe Paderborn
gibt es einen ähnlichen archäologischen Pfad. Er führt durch
das Areal eines Lippe-Lagers, das wahrscheinlich von Tiberius
                                                                                                                                     Axel Thünker DGPh
gegründet wurde, dem Bruder des Drusus.

 Der Römerweg in Bergkamen erschließt das Gelände eines                     Das Museum in Haus Bürgel informiert über die Grenzsituation
 Legionslagers, das zu den größten nördlich der Alpen gehörte.              und das Leben am Niedergermanischen Limes in der Spätantike.

                                                            Bernd Hegert                                                           Werner Stapelfeldt

Drusus war im Jahr 9 v. Chr. an den Folgen eines Reitunfalls               massive Gefährdung, blieb danach aber für rund zweihundert
gestorben, und Tiberius hatte danach das Kommando in Germanien             Jahre weitgehend stabil und ermöglichte so das Aufblühen der
übernommen. Später wurde er selbst Kaiser und entschied um                 römischen Zivilisation im linksrheinischen Raum. Herausragende
das Jahr 16 nach Christus: Die Völkerschaften rechts des Rheins            archäologische Stätten zeugen davon, etwa die von der NRW-
sollten ihre Konkurrenzkämpfe fortan für sich ausfechten. Der              Stiftung geförderten Zülpicher Badethermen oder das Römergrab
Strom wurde dadurch fast ein halbes Jahrtausend lang zur Grenze            in Köln-Weiden. Das römische Xanten ist sogar in Form eines
der Provinz Niedergermanien. Diese Grenze erlebte in den Jahren            archäologischen Parks wiedererstanden.
69/70 n. Chr. durch einen Aufstand der Bataver noch einmal eine

                                                                                                                                                 7
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
Valkenburg (1–2)
                                  Leiden (5)
              Corbulo-Kanal (4)                            Utrecht (7–10)
               Voorburg (3)        Woerden (6)                    Bunnik (11)
                                                                                                  Arnhem (12)

                                                                                     Elst (13)
                                                                                                             Herwen (19)
                                                                     Nijmegen (14–16)                      Kleve (21–22)
                                                                                                                  Till (22)
                                                                                                                                Wesel (26)
                                                                                                 Kalkar (23–24)
                                                                                                       Uedem (25)             Xanten (27–28)

                                                                                   Germania                     Alpen (29)

                                                                                   inferior                          Moers (30)         Duisburg (31)

                                                                                                                    Krefeld (32)

   UNESCO-Welterbestätte
Grenzen des Römischen Reiches                                                                                          Neuss (33)
           –                                                                                                                       Neuss-Reckberg (34)
                                                                                                                                  Neuss-Reckberg (34)
  Niedergermanischer Limes                                                                                                            Monheim (35)
          (Fundplatznummer)                                                                                            Dormagen (36)

                       Gallia
      Stadt

      Legionslager     Belgic                                                                                                 Köln (37–39)

      Hilfstruppenkastell
      Sonstige militärische Anlagen                                                                                                      Bonn (41)

      Antike Grenzen
                                                                                                                              Kottenforst (40; 42)
      Moderne Grenzen
                                                                                                                                                                Remagen (44)
                                                   0             25 km            50 km                      Bad Münstereifel (43)

                                                 Grafik: St. Bödecker, E. Rung/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege; M. Pütz/LVR-LandesMuseum Bonn; Kartengrundlage: GLOBE Task Team and others.

                                                                                                 Insgesamt 44 Fundplätze am Rhein gehörenGermania
                                                                                                                                               zum UNESCO-Welterbe
                                                                                                                                         supferior Limes“.
                                                                                                 „Grenzen des Römischen Reiches – Niedergermanischer

FÜNF AUSSTELLUNGEN,                                                                              Darüber hinaus gibt es in NRW viele weitere bedeutende römische
                                                                                                 Stätten, auf die in diesem Beitrag teilweise eingegangen wird, darunter

SECHS MUSEEN
                                                                                                 das Römerlager Haltern, das auch Schauplatz der Archäologischen
                                                                                                 Landesausstellung ist.

Alle fünf Jahre findet in NRW die Archäologische Landesaus-                                  Und der Rhein selbst? Er war nicht nur Grenzlinie, sondern auch
stellung statt. Dieses Mal widmet sie sich „Roms fließenden                                  Transportweg, ohne den die Häuser, Tempel und Kastelle an seinem
Grenzen“, und zwar an gleich fünf Standorten: Im Archäologi-                                 Ufer gar nicht hätten gebaut werden können. Die benötigten Steine
schen Park des LVR in Xanten stößt man dabei unter anderem                                   wurden großenteils vom Drachenfels und aus der Eifel flussabwärts
auf einen neuen Pavillon zum Thema Limes. In Köln, wo das Römisch-                           verschifft, Branntkalk kam aus Iversheim an der Erft. Das Haupt-
Germanische Museum und das MiQua (das Museum im Archäo-                                      quartier der römischen Rheinflotte befand sich im heutigen Kölner
logischen Quartier) kooperieren, wird die Hauptstadt Nieder-                                 Stadtteil Marienburg. Wie dieser Stützpunkt bei den Römern hieß,
germaniens als „Rom am Rhein“ in digitaler Rekonstruktion                                    ist unbekannt, man nennt ihn daher nach einer späteren Gelände-
gezeigt. Das Bonner LVR-Landesmuseum nutzt ein interaktives                                  bezeichnung „Flottenkastell Alteburg“. Häfen gab es teilweise an
Limesmodell, um zu erklären, wie das Leben an der Grenze                                     Orten, an denen man sie heute nicht mehr vermuten würde, so
funktionierte. Auf rechtsrheinischer Seite erzählt das LWL-                                  im kleinen Rindern, einem Stadtteil von Kleve. Dort befasst sich
Römermuseum Haltern von den gescheiterten Versuchen, das                                     das Museum „Forum Arenacum“, dessen Name an ein Militärlager
Imperium nach Osten zu erweitern, und bietet dabei neu die                                   erinnert, mit der römischen Vergangenheit.
originalgetreue Rekonstruktion eines Wachhauses. Das Lippische
Landesmuseum Detmold schildert die Begegnung Roms mit der
                                                                                             Kontakte, Krisen und Kastelle
germanischen Welt aus der germanischen Perspektive.
                                                                                             Die römische Grenzpolitik hatte nicht das Ziel, Begegnungen mit
                                                                                             den „Barbaren“ vollständig zu vermeiden. Rom versuchte viel-
                                                                                             mehr immer wieder, benachbarte Völker in die Reichsinteressen
                                                                                             einzubinden, durch Verträge zum Beispiel, durch die Möglichkeit
                                                                                             zum Dienst in römischen Hilfstruppen und durch den Handel.
                                                                                             Nicht immer gelang das so gut wie im Falle der ursprünglich
                                                                                             rechtsrheinisch lebenden Ubier, denen schon vor Christi Geburt
                                                                                             Siedlungsgebiete im Raum Köln/Bonn überlassen wurden –
                                                                                             daher die Bezeichnung „Ubierstadt“ für das frühe Köln. Der Aus-
                                                                                             tausch von Kenntnissen und Waren trug aber insgesamt dazu bei,
                                                                                             dass sich die germanische Welt im Laufe der Jahrhunderte neu
                                                                                             formierte und Namen auftauchten, die Augustus noch nicht kannte.
                                                                                             So waren die „Franken“ ein Zusammenschluss verschiedener
                                                                                             germanischer Völkerschaften.
                                                                                                 Das römische Xanten – die Colonia Ulpia Traiana (CUT)
                                                                                                 in einer grafischen Rekonstruktion.
  8                               Faber Courtial GbR für LVR-Archäologischer Park Xanten                                                               Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S       –   ARCHÄOLOGISCHE L ANDESAUSSTELLUNG NRW                                          p

                                                         Axel Thünker DGPh                                                                            Axel Thünker DGPh

 Das Römergrab in Köln-Weiden ist eine herausragende archäo-                     Ein Hypocaustum – der Heißluftraum unter dem Fußboden mancher
 logische Stätte in NRW. Es ist kein Limesschauplatz, die Welt-                  römischer Gebäude. Derartige „Fußbodenheizungen“ finden sich etwa
 erbe-Kommission war hier aber zu Gast.                                          in Badeanlagen wie hier in Zülpich, bisweilen auch in Wohnbauten.

In eine schwere Krise geriet das Imperium im dritten Jahrhundert,
als es sich einer wachsenden Bedrohung durch das persische
Sassanidenreich ausgesetzt sah und zudem heftige Thronwirren                      NICKI NUSS UND
erlebte. Es kam jetzt sogar zur Bildung von Sonderreichen wie
dem des Usurpators Postumus, der Köln zur Hauptstadt eines
                                                                                  DAS WELTERBE
Herrschaftsgebietes machte, das sich einige Jahre lang bis nach                   Hier Römer, da Germanen, beide säuberlich geschieden – ganz so
Spanien und Britannien erstreckte. Nachdem Postumus im Jahr                       einfach war es in der Antike nicht. Selbst der legendäre Arminius
269 von seinen eigenen Soldaten getötet worden war, hielt sich                    hatte für Rom schon Militärdienst geleistet und sogar das römische
sein „Gallisches Sonderreich“ zwar nur noch wenige Jahre. Doch                    Bürgerrecht erworben, bevor er sich gegen das Imperium wandte.
kaum hatte Kaiser Aurelian es endgültig zurückerobert, da sorgten                 Viele andere Germanen blieben Rom dauerhaft verbunden. Damit
275/76 die Franken für Unsicherheit. Bei ihren Angriffen zerstörten               auch Kinder die spannenden Grenzgeschichten verstehen können,
sie unter anderem das Kastell Gelduba im heutigen Krefeld-Gellep.                 hat sich Nicki Nuss, das neugierigste Eichhörnchen Nordrhein-
                                                                                  Westfalens, im Auftrag der NRW-Stiftung den Legionärshelm über-
Erst unter Kaiser Diokletian, der ab 284 regierte, wurde die Krise                gestülpt. Es begleitet die Kleinen bei fünf Entdeckertouren an den
überwunden. Bei der Limesverteidigung setzte man jetzt ver-                       fünf Standorten der Archäologischen Landesausstellung.
mehrt auf flexible, meist berittene Truppen, die den kleineren                         Einem Eichhörnchen muss man zwar nicht auf die Sprünge
Wacheinheiten in den Grenzfestungen rasch Hilfe leisten konnten.                  helfen, fachlich beraten ließ sich Nicki aber trotzdem: Der Archäo-
Außerdem begann am Rhein eine bemerkenswerte Bautätigkeit,                        loge und Pädagoge Dr. Christian Peitz arbeitete die Touren aus.
besonders spektakulär in Köln, wo Konstantin der Große um 310                     Mit einem Entdeckerheft, das sie zusammenfasst, sind Kinder der
die erste Rheinbrücke der Stadt errichten ließ, auf der rechten                   Klassen 3 bis 6 für römisch-germanische Erkundungen
Flussseite gedeckt vom Kastell Divitia (Deutz). Ein Bronzemodell                  bestens gerüstet – und ebenso für den Wettbewerb,
des Kastells wurde vor einigen Jahren am Rheinufer aufgestellt,                   den die Museen zusammen mit der NRW-
die Initiative dazu ging vom Verein „Historischer Park Deutz“ aus.                Stiftung entwickelt haben. Nähere
Dass die Maßnahmen Konstantins die Franken für immer daran                        Informationen (auch für Erwach-
hindern würden, den Rhein siegreich zu überschreiten, war aller-                  sene) gibt es unter www.nrw-ent-
dings nur der fromme Wunsch eines zeitgenössischen Lobredners.                    decken.de. Für Schulklassen kann die
Köln wurde sogar schon im Jahr 355 erobert, wenn auch vorläufig                                 NRW-Stiftung die Fahrt-
nur für kurze Zeit, denn unter den Kaisern Julian und Valentinian                               kosten zu den Ausstellungs-
(gest. 375) konnte die Rheingrenze ein letztes Mal aufwendig                                    orten übernehmen.
gesichert werden.

 Julia Agrippina (15 – 59 n. Chr.), Frau Kaiser                                  Die „Römerbaustelle Aliso“ im LWL-Römermuseum Haltern
 Claudius’, Mutter Neros. Sie verschaffte ihrem                                  zeigt die maßstabsgetreue Umwehrung eines Römerlagers
 Geburtsort Köln die Stadtrechte.                                                in der bislang längsten derartigen Rekonstruktion.

              picture alliance / dpa | Oliver Berg                                                             Loeni Buscher / Stadtagentur Haltern              9
220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
p      W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H Ä O L O G I S C H E L A N D E S A U S S T E L L U N G N R W

                                                                                    DIE WASSERLEITUNG
                                                                                    ZUM RHEIN
                                                                                    Transportweg, Grenze, Fischlieferant, der Rhein leistete viel, doch
                                                                                    reines Wasser gehörte bereits in der Römerzeit nicht zu seinen
                                                                                    Stärken. Zumindest stellte die römische Zivilisation gern höhere
                                                                                    Ansprüche an die Wasserqualität – und unternahm erstaunliche
                                                                                    Anstrengungen, um sie zu erfüllen. Knapp hundert Kilometer lang
                                                                                    war die Wasserleitung, die frisches Nass aus der Eifel nach Köln,
                                                                                    in die Hauptstadt der Provinz Niedergermanien, strömen ließ.
                                                                                    Heute kam man die Strecke auf dem „Römerkanalwanderweg“
                                                                                    erleben, der ebenso wie das „Römerkanal-Informationszentrum“
                                                                                    in Rheinbach von der NRW-Stiftung gefördert wurde.

                                                                                      Der Römerkanal, die Wasserleitung zur
                                                                                      Versorgung Kölns, war ein antikes Großprojekt.
                                                                  Natalie Glatter

Söldner und Münzen
Wer sich ein Bild davon machen möchte, was im 4. Jahrhundert am
Niedergermanischen Limes geschah, der darf Haus Bürgel nicht
verpassen, eine malerische Gutsanlage inmitten des Naturschutz-
gebietes Urdenbacher Kämpe auf dem Gebiet der Stadt Monheim.
Das Gut, das ein Museum, eine Biologische Station und eine
Pferdezucht beherbergt, gehört seit 1989 der NRW-Stiftung.
Beim ersten Blick nicht zu erkennen: Haus Bürgel steht auf den
Überresten eines kleinen römischen Kastells aus dem 4. Jahrhun-
dert, einige antike Mauerteile sind direkt in die späteren Bauten
miteinbezogen. Die Archäologie konnte zudem zahlreiche faszinie-
rende Funde machen, die in den Museumsräumen präsentiert
werden. Verschiedene Münzschätze gehören dazu, die einst
                                                                                                                                               Werner Stapelfeldt
vergraben wurden, um sie vor Angreifern zu verbergen.

Zuletzt waren die germanischen Söldner in Bürgel, dessen antiker                    rechten Rheinseite? Diente es etwa als Brückenkopf für eine
Name unbekannt ist, nicht mehr in eine funktionierende militäri-                    Flussquerung wie in Köln-Deutz? Keineswegs – die Römer erbauten
sche Organisation eingebunden. Rom konnte den Franken im Laufe                      das Kastell gar nicht rechtsrheinisch, sondern auf der sicheren,
des fünften Jahrhunderts nichts mehr entgegensetzen, der Limes                      der linken Seite des Stroms. Erst bei einem großen Flutereignis
wurde bedeutungslos. Doch bevor der Vorhang fällt, bleibt für uns                   im Jahr 1374 schuf sich letzterer ein neues Bett westlich der
noch eine Frage: Warum liegt Haus Bürgel eigentlich auf der                         ehemaligen Festung. Was zugleich erklärt, warum es bei der
                                                                                    Erforschung des Niedergermanischen Limes auch um die Frage
     Rechts: Wo sich heute Haus Bürgel erhebt,                                      geht, wo der Rhein und seine einstmals vielen Nebenarme in
     waren einmal römische Hilfstruppen stationiert.                                römischer Zeit genau verliefen.
     Unten: Die römische Rhein-Schifffahrt wird im Museum                           Text: Ralf J. Günther
     von Haus Bürgel auch anhand eines Modells erläutert.

                                                                                        B LICK PU N KT

                                                                                        Die NRW-Stiftung hat zahlreiche Projekte zur
                                                                                        römischen Geschichte gefördert, auch
                                                                                        über die jetzigen Welterbestätten
                                                                                        hinaus, darunter das Badether-
                                                                                        men Museum Zülpich, das Römer-
                                                                                        grab Weiden, die Römerwege
                                                                                        Bergkamen und Anreppen oder
                                                                                        das Römerkanal-Infozentrum
                                                                                        Rheinbach. Welterbestätten wie
                                                                                        die Kalkbrennerei Iversheim wur-
                                                                                        den ebenfalls unterstützt, Haus
                                                                                        Bürgel ist sogar ein Haus der NRW-
                                                                                        Stiftung. Für die Archäologische Landesausstellung hat die
                                                                                        Stiftung das Kinder-Erlebnisprogramm mitentwickelt und
                                                                                        gefördert.
10                                                            Werner Stapelfeldt                                             Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H ÄO LO G I S C H E L A N D E S AU S S T E L LU N G N R W    p

POSITIVE „GRENZ-ERFAHRUNGEN“
Die meisten der archäologischen
Stätten am Niederrheinischen Limes,
die nun zum UNESCO Weltkultur-
erbe gehören, liegen in Nordrhein-
Westfalen. Was bedeutet das für das
Land und die Menschen in NRW?
Fragen an Ina Scharrenbach, die
Ministerin für Heimat, Kommunales,
Bau und Gleichstellung des Landes
Nordrhein-Westfalen, und an Eckhard
Uhlenberg, den Präsidenten der
NRW-Stiftung.

Der Limes war eine Grenze – der Limes
                                                                                                                               Werner Stapelfeldt
als Welterbe verbindet Länder. Was
bedeutet das für Nordrhein-Westfalen?           Ministerin Ina Scharrenbach und NRW-Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg
Scharrenbach: Der Niedergermanische             stellten auf Haus Bürgel das Entdeckerangebot für Kinder zur Archäologischen
                                                Landesausstellung vor.
Limes war eine durchlässige Grenze. Er
ermöglichte einen steten Austausch von        Gerade nach den Monaten der Pandemie              Das Entdeckerbuch vertieft die Themen der
Waren und Ideen über den Rhein hinweg,        und der Starkregen- und Hochwasser-               Ausstellungen und bietet zudem Spiel- und
also „Grenz-Erfahrungen“ im positiven         katastrophe im Juli 2021 war die Ernennung        Bastelanregungen für Zuhause. Die Kinder
Sinne. Auch heute ermöglicht uns der          ein Lichtblick für unser Land.                    können ein Rätsel lösen und an einem
Niedergermanische Limes positiven Aus-                                                          Gewinnspiel teilnehmen.
                                              Der Limes ist Weltkulturerbe Nr. 6
tausch, denn als Teil der internationalen
                                              in NRW. Welchen Schub bedeutet das                Von den 44 neuen Limes-Welterbestätten
Welterbestätte ‚Grenzen des Römischen
                                              für die Arbeit der NRW-Stiftung?                  liegen 24 in 19 NRW-Kommunen.
Reiches‘ bieten die Limes-Fundplätze
                                                                                                Wohin sollte man einen Ausflug planen?
Besucherinnen und Besuchern besondere         Uhlenberg: Wir haben bereits an den
historische Eindrücke. Die Fundplätze         anderen Welterbestätten in NRW gefördert:         Uhlenberg: Manches ist verborgen im
verbinden uns außerdem mit allen Limes-       Die Restaurierung des Marienschreins im           Boden, anderes – wie die Kalkbrennerei
Akteurinnen und -akteuren weltweit. So        Aachener Dom, die Ringpromenade und               Iversheim - ist Welterbe zum Anschauen.
bringt uns heute eine frühere Grenze näher    den digitalen Denkmalpfad an der Kokerei          Haus Bürgel lege ich jedem ans Herz.
zusammen.                                     auf Zeche Zollverein in Essen und jüngst          Das römische Museum ist sehr sehenswert,
                                              die bedeutende Barockorgel in der Kloster­        außerdem ist die umgebende Landschaft
Kommt das Thema Frauen am Limes               kirche Corvey. Mit einigen römischen Welt-        am Rhein sehr schön. Das Römergrab in
zu kurz? Es gab ja nicht nur Agrippina,       erbestätten in NRW sind wir eng verbunden.        Weiden gehört zwar nicht unmittelbar
durch die Köln zur Stadt wurde.               Haus Bürgel ist im Eigentum der NRW-              zum Limes, ist aber dennoch einzigartig.
Scharrenbach: Frauen kommen leider in         Stiftung. Das macht uns natürlich sehr            Um etwas Vergleichbares zu sehen, müsste
der Geschichtsforschung insgesamt noch        stolz. Die Auszeichnung als Welterbe              man sonst nach Rom reisen und die Kata-
zu kurz. Bedingt durch den militärischen      wird sicherlich neue Besucherinnen und            komben besuchen. Es gibt erstaunlich viele
„Hintergrund“ des Limes sehen wir auch        Besucher anziehen.                                Spuren der römischen Geschichte in NRW –
bei „Roms fließende Grenzen“ überwie-                                                           und zwar im Rheinland und in Westfalen.
                                              Die NRW-Stiftung hat die Archäologische           Für alle Familien empfehle ich den Besuch
gend die männliche Perspektive. Doch
                                              Landesausstellung mit Blick auf die               der Landesausstellung an den fünf Stand-
verschiedene Vermittlungsangebote der
                                              Kinder gefördert. Was ist die Idee dabei?         orten. Die Kinder können viel entdecken
Landesausstellung zeigen, dass auch
Frauen einflussreiche Positionen erreichen    Uhlenberg: Die anschauliche Vermittlung           und lernen.
konnten und dass ihr Beitrag insgesamt        von Themen der Landesgeschichte ist uns
für die Gesellschaften beidseits des Rheins   schon immer wichtig gewesen. Deshalb              Ina Scharrenbach ist seit 2017
bedeutend war.                                haben wir auch schon vor einigen Jahren           Ministerin für Heimat, Kommunales,
                                              die Heimat-Touren für Klassenausflüge zu          Bauen und Gleichstellung des Landes
Sie bezeichnen die UNESCO-                                                                      Nordrhein-Westfalen.
                                              außerschulischen Lernorten ins Leben
Entscheidung als Mutmacher für
                                              gerufen. Zusätzlich haben wir für die
Nordrhein-Westfalen. Warum?                                                                     Eckhard Uhlenberg ist Präsident der
                                              Archäologische Landesausstellung das
Scharrenbach: Mit der Entscheidung            Entdeckerbuch mit Nicki Nuss entwickelt,          NRW-Stiftung. 2005–2010 war er Minister
wurden die Fundplätze des Nieder-             um das Geschichtserlebnis für Kinder mit          für Umwelt und Naturschutz, Landwirt-
germanischen Limes in Nordrhein-West-         ihren Familien oder Schulklassen noch             schaft und Verbraucherschutz des Landes
falen zu unserer sechsten Welterbestätte.     lebhafter zu machen. Die römische                 NRW; 2010–2012 war er Präsident des
Das zeigt, über welchen historisch-           Spurensuche soll Spaß machen – dann               Landtags NRW, 2012–2017 dessen erster
kulturellen Schatz unser Land verfügt.        ist der Lernerfolg bestimmt nachhaltiger.         Vizepräsident.

                                                                                                                                           11
p N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M   ARCHE NOAH IN MENDEN

VOM FREIBAD
ZUM GRÜNEN LERNORT                                                                       Fotos: Werner Stapelfeldt

 Wo einst gebadet wurde, gehen heute kleine und große
 Forscherinnen und Forscher auf Entdeckungsreise in
 die heimische Natur. Das Naturschutzzentrum Arche Noah
 im sauerländischen Menden setzt seit fast zwei Jahr-
 zehnten auf innovative Umweltbildung und hat damit           Im Schulungsraum der Aquaponic-Anlage
                                                              lernen Jung und Alt, wie der Wasserkreislauf
 großen Erfolg. Jetzt erhielt „die Arche“ den Heimatpreis     mit Hilfe von Fischen, Pflanzen und Kies
                                                              sauber gehalten wird und obendrein gesunde
 des Landes NRW in der Kategorie „Natürliche Heimat“.         Lebensmittel erzeugt werden können.

12                                                                          Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M A R C H E N OA H I N M E N D E N            p

A
        m Anfang stand eine Beobachtung. „Wenn man am Wochen-            Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in das Naturschutz-
        ende im Wald spazieren geht, sieht man dort oft mehr             zentrum Arche Noah kommen aber keineswegs. Denn im ehe-
        Menschen mit Hunden als mit Kindern“, sagt Ulrich Hering.        maligen Freibad wird nicht auf trockenes Pauken gesetzt, sondern
„Ohne Begegnungen mit der Natur bleibt sie vielen Kindern aber           auf erlebnisorientiertes Lernen – und auch das Thema Wasser
fremd, und damit auch der Umweltgedanke – das wollten wir                spielt weiter eine wichtige Rolle.
ändern.“ Umweltbildung durch Erlebnispädagogik – aus dieser
Philosophie heraus entstand vor 20 Jahren der Förderverein               Mit praktischen Naturerfahrungen einen nachhaltigen Umgang mit
Wasser und Naturschutz Arche Noah e. V., dessen langjähriger             der Umwelt zu fördern, für Ressourcen-, Klima- und Naturschutz
Vorsitzender Hering ist.                                                 zu sensibilisieren und damit gleichzeitig einen eigenen Beitrag zum
                                                                         Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu
2003 erhielt der Verein von der Stadt Menden im Märkischen               leisten: So beschreibt das Arche-Team das Konzept des außerschu-
Kreis das Gelände des stillgelegten Freibades inmitten der Natur.        lischen Lernorts, der Teil des Netzwerks „Bildung für nachhaltige
Und so wird dort, wo einst die Mutigen vom 10-Meter-Turm ins             Entwicklung“ (BNE) ist.
Wasser sprangen, heute gelernt. Weniger Spaß macht das den

Der langjährige Vorsitzende des Fördervereins Wasser und Naturschutz Arche Noah e. V.,
Ulrich Hering, äußert sich zur Entwicklung des über 20 Jahre laufenden Projekts:
Umweltbewusstsein in Zeiten des Klimawandels und die Zukunftspläne für die Arche.

Ihr Verein betreibt seit zwei Jahr-
zehnten Umweltbildung und ist dafür
vielfach ausgezeichnet worden,
zuletzt in diesem Sommer mit dem
Heimatpreis des Landes NRW.
Was zeichnet Ihr Konzept aus?
Bei uns gibt es keinen Frontalunterricht.
Egal, ob mit Kita-Kindern, Schülerinnen und
Schülern oder in der Lehrerfortbildung:
Alle erarbeiten die Inhalte ihrer Kurse                                                                                                  Arche Noah Menden

selber. Wir leiten an, aber alle Erkenntnisse
                                                 Freuen sich über den Landesheimatpreis 2021 in der Kategorie „Natürliche Heimat“:
werden in den Gruppen durch konkretes
                                                 Der Vorsitzende Ulrich Hering (3. v. l.) mit weiteren Aktiven des Vereins Arche Noah.
eigenes Tun und Erfahren gewonnen. Nur
so können Aha-Erlebnisse entstehen,             uns allerdings vor Arbeit kaum retten.            Hochwasserschutz – das sind auch für
die über die Dauer der Kurse hinausreichen      Unser neues Angebot wird bombig                   uns jetzt mit die wichtigsten Themen.
und zu einem umweltbewussteren Ver-             angenommen und wir freuen uns sehr                Auch die Schulen sind hier sehr aktiv und
halten im normalen Leben führen. Bei uns        darüber.                                          benötigen Angebote. Das Wichtigste ist
findet man keinen erhobenen Zeigefinger,                                                          aber: Vor allem Kinder und Jugendliche
verbunden mit der Botschaft: So musst du        Sie überblicken zwei Jahrzehnte der               sind sehr interessiert und wissbegierig bei
das machen. Diese Erkenntnisse entwickelt       Umweltbildung. Hat sich in Sachen                 diesem Thema. Viele Erwachsene sind
bei uns jede und jeder für sich selbst.         Umweltbewusstsein und Naturschutz                 dagegen noch spürbar zurückhaltender
                                                etwas gewandelt?                                  als die Jüngeren.
Ihr Konzept setzt stark auf die direkte         Eindeutig ja. Wir spüren einen deutlichen
Begegnung miteinander und mit der               Rückenwind für unsere Arbeit. Das                 Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Natur. Das war in den vergangenen               Bewusstsein für die Bedeutung von                 Jede Menge natürlich. So arbeiten wir
Monaten oft nicht möglich. Wie sind Sie         Umwelt- und Naturschutz ist viel größer           gerade daran einen 2,5 Kilometer langen
durch die Corona-Krise gekommen?                geworden. Nachhaltige Entwicklung,                „Eichhörnchen- und Klimapfad“ mit 12
Das ist natürlich eine schwere Zeit auch für    die Bewahrung der natürlichen Vielfalt,           Stationen im gleich an unser Gelände
uns. Finanziell ist es ein Desaster, denn       ein nachhaltiger Umgang mit Wasser:               angrenzenden Wald zu verwirklichen.
über einen langen Zeitraum hinweg hatten        das sind die Themen, die wir weitergeben          Da setzen wir auf moderne Mittel wie
wir bis auf wenige Ausnahmen keine Ein-         wollen und diese Inhalte kommen an.               QR-Codes, aber auch ein Begleitheft und
nahmen. Wir haben diese Zeit aber auch                                                            ein Quiz soll es leicht machen, Spaß zu
dazu genutzt, um aus Teilen unseres Pro-        Hat das auch etwas mit den immer                  haben und dabei zu lernen. Persönlich
gramms Online-Angebote für Schulen              spürbarer werdenden Folgen des                    arbeiten meine Frau und ich daran, lang-
zu entwickeln. Viele Inhalte haben wir so       Klimawandels zu tun?                              sam in die zweite Reihe zu rücken. Wir
umgearbeitet, dass man sie auch zuhause         Ja, der Klimawandel und die damit zu-             bleiben dem Förderverein im Ehrenamt
oder in der Schulklasse nutzen kann. Jetzt,     sammenhängenden Themen – seine Aus-               erhalten, aber wir wollen in unserem Alter
wo auch in NRW viele Schulen endlich            wirkungen auf Lebensräume, Pflanzen und           langsam sehen, dass wir anderen den
wieder nach draußen drängen, können wir         Tiere oder Aspekte wie der ökologische            Vortritt lassen.

                                                                                                                                                 13
p N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M     ARCHE NOAH IN MENDEN

                                                                                 Vielfältiges Kursprogramm
                                                                                 Das Kursangebot ist äußerst vielfältig und richtet sich an fast alle:
                                                                                 Es reicht vom Nistkastenbau für Insekten und Vögel bis zu Informa-
                                                                                 tionen über die Klimanot der arktischen Eisbären. Kurse wie „Bino
                                                                                 die Wildbiene“, „Richard der Regenwurm“ oder „Wassermonster,
                                                                                 jede Pfütze zählt“ führen Kita-Kinder in die lebendige Vielfalt vor
                                                                                 ihrer Haustür ein. Jugendliche können ihren ökologischen Fuß-
                                                                                 abdruck ermitteln oder etwas über erneuerbare Energien und nach-
                                                                                 haltige Forstwirtschaft lernen, Erzieher und Lehrer finden in
                                                                                 den Arche-Kursen das Rüstzeug für den Unterricht zu Nachhaltig-
                                                                                 keits-Themen, etwa zu gesunder Ernährung oder ökologischem
                                                                                 Hochwasserschutz.

                                                                                 Über die fast zwei Jahrzehnte als Naturschutzzentrum hat sich das
                                                                                 Gelände des stillgelegten Freibades auch mit finanzieller Unter-
                                                                                 stützung der NRW-Stiftung zu einem ansehnlichen Natur-Erlebnis-
                                                                                 und „Forschungszentrum“ entwickelt. In dreijährigen Umbau-
                                                                                 arbeiten wurden bis 2006 aus Umkleidekabinen Schulungsräume,
                                                                                 aus Kiosken Büros und eine Küche, und im einstigen Technikraum
                                                     Fotos: Werner Stapelfeldt
                                                                                 findet sich heute eine gut ausgestattete Werkstatt.
                                                                                 Text: Thomas Krumenacker
 Erleben, Selbermachen und Mitmachen
 Das Freibadgelände an einem ehemaligen Stausee erweist sich
                                                                                   B LICK PU N KT
 dazu als idealer Standort. Ein 4.500 Quadratmeter großer Teich mit
 eigener Unterwasser-Beobachtungsstation, Misch- und Auwald,
 in dem sich sogar manchmal der seltene Schwarzstorch blicken                      Für seine innovative Arbeit erhielt
 lässt, ein Bach, Blumenwiese, Bauerngarten und Sinnespfad:                        die Arche zahlreiche Preise. Gerade
 Auf 3,5 Hektar findet sich lebendige Natur, die zu erleben andern-                wurde sie mit dem Heimatpreis
 orts lange Wege erfordert. Um mehr über die Besonderheiten                        des Landes NRW in der Kate-
 jedes einzelnen dieser Lebensräume zu lernen, gibt es spezielle                   gorie „Natürliche Heimat“ aus-
 Kursangebote. Alle nach dem Dreiklang aus „Erleben, Selber-                       gezeichnet. Im vergangenen
 machen und Mitmachen“ konzipiert. Die Macherinnen und Macher                      Jahr erhielt die Arche den
 haben sich dazu passend einen Leitspruch für ihre Arbeit beim                     #beebetter-Award für ihr Wild-
 chinesischen Philosophen Konfuzius geborgt: „Sagst du es mir,                     bienen Programm. Auch eine
 so vergesse ich es. Zeigst du es mir, so merke ich es mir vielleicht.             Auszeichnung als vorbildliche
 Lässt du mich teilhaben, so verstehe ich es“, lautet der Leitspruch               Initiative durch die UN-Dekade zur
 des Vereins.                                                                      Biologischen Vielfalt fehlt nicht in
                                                                                   der Sammlung.
     Oben: Obst, frisches Gemüse und Kräuter stammen in
                                                                                   www.arche-menden.de
     der Arche natürlich aus eigener Produktion.
     Unten: Der Auwald lädt junge Forschende zur Naturerkundung
     ein und lockt sogar den seltenen Schwarzstorch an.

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M Ä R C H E N B R U N N E N W U P P E R TA L       p

EIN BRUNNEN
VOLLER
MÄRCHEN
Der gestiefelte Kater ist wieder da. Er hat
auch gleich Reineke Fuchs, König Nuss-
knacker und den schlauen Igel „Swinegel“
mitgebracht. Und dieses Mal wollen sie
bleiben. Die vier Figuren machen den
Märchenbrunnen im Herzen des Wupper-
taler Zooviertels wieder komplett.

D
        er Märchenbrunnen erzählt seit 1897 acht Geschichten.
        Vier von ihnen sind vermutlich während des Ersten Welt-
        krieges verloren gegangen. Aschenputtel, Dornröschen,
Rotkäppchen und Schneewittchen hingegen sind der Stadt an
der Wupper treu geblieben. „Der Brunnen hat für die Menschen
im Viertel eine große Bedeutung. Er ist Ruhe- und Zufluchtsort
zugleich", sagt Reinald Schneider vom Bürgerverein Sonnborn-
Zoo-Varresbeck 1888. Das Denkmal an der Kreuzung Jaeger-,
Wotan-, Donar- und Baldurstraße ist das Markenzeichen des
                                                                                                                            Dirk Schwachulla-Feuser
Zooviertels. Seit vielen Jahren macht sich der Bürgerverein für
den Brunnen stark. Die Mitglieder haben das trocken gelegte         Der Märchenbrunnen im Wuppertaler Zooviertel hat für
Denkmal mit Hilfe vieler Spenden 2011 nicht nur zum Sprudeln        viele Kinder und Erwachsene eine besondere Bedeutung.
gebracht. Der Verein hat auch dafür gesorgt, dass die verschwun-
denen Märchenfiguren ihren Weg zurück nach Wuppertal finden.

3D-Drucker und Gussverfahren
Auch wenn die Initiative die verschollenen Originale aus Kupfer
und Bronze nicht mehr auftreiben konnte, so ist sie mit dem
Ergebnis doch sehr zufrieden. Denn die Motive wurden den echten
Figuren nachempfunden. Mit Hilfe alter Fotografien hat ein Unter-
nehmen aus Mülheim an der Ruhr den gestiefelten Kater und
seine Freunde per Computer so originalgetreu wie möglich rekon-
struiert. Die Gussvorlagen für die Figuren entstanden im 3D-
Drucker. Mit ihnen konnten Kater, Fuchs, Igel und Nussknacker
schließlich aus Aluminium gefertigt werden. Seit Ende August
                                                                                                                                            EGO 3D
zieren sie den Märchenbrunnen. „Schon als der gestiefelte Kater
im Mai zum ersten Probesitzen vorbei kam, waren wir richtig
begeistert“, sagt Reinald Schneider.                                B LICK PU N KT

Initiative vereint märchenhafte Figuren                              Mit finanzieller Hilfe der
                                                                     NRW-Stiftung konnte der
Der märchenhafte Brunnen wurde einst von den Zooviertel-             Bürgerverein Sonnborn-Zoo-
Architekten Rudolf Hermanns und Kuno Riemann entworfen und           Varresbeck den Märchen-
mit den Märchenszenen des Kölner Bildhauers Wilhelm Albermann        brunnen im Wuppertaler
gestaltet. Am 13. November 1897 wurde er schließlich mit einem       Zooviertel wieder sprudeln
feierlichen Akt als Geschenk an die Stadt Elberfeld übergeben.       und die fehlenden Figuren
Mehr als 120 Jahre später haben engagierte Wuppertaler und           rekonstruieren lassen.
Wuppertalerinnen alle Figuren wieder vereint.                        www.buergerverein.net
Text: Hannah Blazejewski
                                                                                                                                        15
p DIE   H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W

                                                                        Die von der Erft verwüstete Innenstadt
                                                                        von Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen.
                                                                        Betroffen war hier auch das von der NRW-
                                                                        Stiftung geförderte Apothekenmuseum
                                                                        (im Hintergrund des Bildes, rechts neben
                                                                        dem roten Eckhaus).

HILFE FÜR
PROJEKTE IN NOT
                                                                                                   picture alliance/dpa/B&S/-

Im Juli 2021 führten extreme Regenmengen zu verheerenden Überflutungen in Teilen von Nordrhein-
Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Nachrichten über Todesopfer, eingestürzte Häuser und verwüstete
Straßen wurden auch bei der Nordrhein-Westfalen-Stiftung mit Betroffenheit aufgenommen. Besondere
Sorge galt hier den ehrenamtlichen Initiativen, deren Förderprojekte empfindliche Schäden oder
sogar schwere Zerstörungen zu verzeichnen hatten. Für solche Fälle legte die NRW-Stiftung ein Sofort-
hilfeprogramm im Umfang von einer Million Euro auf, weitere 160.000 Euro erbrachte ein Spenden-
aufruf des Fördervereins. Bei Ortsbesuchen ließen sich der Stiftungspräsident sowie Mitglieder von
Vorstand und Geschäftsführung die Situation überfluteter Projekte erläutern. Sie begegneten dabei
Menschen, die sich auch weiterhin engagieren statt zu resignieren.

16                                                                                    Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
D I E H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W   p

                                       Historischer Verein Stadt und Stift Essen e. V.                                                                Radio Essen

 Der überschwemmte Deilbachhammer in Essen-Kupferdreh –                                   Drei tonnenschwere Hammersäulen wurden in
 die Fertigstellung des Projekts wurde verzögert, scheint aber                            der Flutnacht vom Deilbachhammer fortgeschwemmt.
 zum Glück weiter möglich.                                                                Eine davon fand sich in Duisburg wieder.

D
         as Rote Haus in Monschau, die historische Apotheke in Bad                       Es hätte einen Verlust von 45.000 Euro bedeutet, wären die
         Münstereifel, der Wipperkotten in Solingen, die Muttenthal-                     hölzernen Kolosse nicht wiedergefunden worden. So aber kann
         bahn in Witten: Diese und viele andere vom Hochwasser in                        man die berechtigte Hoffnung hegen, dass sich künftig wie geplant
NRW betroffene Stiftungsprojekte verteilen sich über einen Raum,                         die Hammerstiele zwischen ihnen bewegen werden, denn die
der vom belgischen Grenzgebiet bis nach Westfalen reicht – von                           Wasserschäden haben den Deilbachhammer zwar zurückgeworfen,
der Rur (ohne h) über Ahr, Erft und Wupper bis hin zur Ruhr (mit h).                     aber nicht vernichtet.
Aus all diesen Gegenden trafen Anträge auf Soforthilfe bei der
NRW-Stiftung ein, die im ersten Schritt jeweils 5.000 Euro bereit-
                                                                                         Schleifkotten unter Wasser
stellte, um zum Beispiel Reinigungsarbeiten, elektrische Installatio-
nen oder die Anschaffung von Trocknungsgeräten zu finanzieren.                           Heftig verwüsteten die Wassermassen der Wupper zwei Partner-
Selbst bei Projekten, die mit dem sprichwörtlichen blauen Auge                           projekte der NRW-Stiftung in der Klingenstadt Solingen. Für eines
davongekommen sind, ist aber meist mehr zu tun. So blieb im                              davon – das Schleifermuseum im Balkhauser Kotten – war es
„Roten Haus“, einem Museum für bürgerliche Wohnkultur in Mon-                            nicht die erste Katastrophe: Das 1962 eröffnete Museum fiel 1969
schau an der Rur, zwar die einzigartige Innenausstattung unbe-                           einer Brandstiftung zum Opfer, wurde danach aber originalgetreu
einträchtigt, der Fabrikantensitz aus dem 18. Jahrhundert erlitt aber                    neu errichtet. Eigentümerin des Gebäudes ist die Stadt Solingen,
dennoch Schäden bis hin zu Ausspülungen an einer Außenmauer.                             hingegen werden Museum, Kottenlädchen und Außenanlagen vom
Schon die Begutachtung solcher Befunde kann einen erheblichen                            „Kuratorium Balkhauser Kotten“ betreut. Die Vorsitzende Nicole
Kostenfaktor bedeuten.                                                                   Molinari: „Die Flut hat uns auf den Stand Null zurückgeworfen.
                                                                                         Mit massiven baulichen Schäden, einem verschlammten Trink-
                                                                                         wasserbrunnen, ohne Heizung, ohne Strom wird es bis weit ins
Verschüttete Loks, verschwundene Säulen
                                                                                         Jahr 2022 dauern, bis wir wieder öffnen können. Es müssen die
Ein Bild des Chaos bot das „Gruben- und Feldbahnmuseum“ in                               Gefache erneuert werden, Teile des Gebälks. Das Wasserrad, die
Witten an der Ruhr. Das Museum, das auch unter der Bezeichnung                           Welle und sogar die gemauerten Grabenwände haben große
„Muttenthalbahn“ bekannt ist, hat seinen Standort auf dem                                Schäden erlitten. Im Museum wirkte es, als habe ein Riese den
Gelände der ehemaligen Zeche Theresia, wo ein Erdrutsch mehrere                          Kotten gepackt, durch den Schlamm gezogen, kräftig durchge-
Lokomotiven verschüttete und die denkmalgeschützte Lokhalle                              schüttelt und fallen gelassen. Ich musste mit den Tränen kämpfen!“
teilweise zum Einsturz brachte. Die Spendenbereitschaft vieler
Menschen, die das Muttental als Wiege des Ruhrbergbaus kennen,                            Auf dem Gelände der Zeche Theresia in Witten an der Ruhr
war angesichts des Unglücksfalls ermutigend. Dennoch bleibt es                            gab es einen Erdrutsch. Besonders betroffen war das hier
eine „Riesenaufgabe“, so Hannsjörg Frank vom Museumsverein,                               beheimatete „Gruben- und Feldbahnmuseum“.
die beschädigten Fahrzeuge zu bergen, zu säubern und zu
reparieren.

Noch im Aufbau befindet sich der Deilbachhammer in Essen-
Kupferdreh. Der Deilbach ist ein Zufluss der Ruhr, der über viele
Jahrhunderte hinweg ein Hammerwerk antrieb, das 1985 unter
Denkmalschutz gestellt wurde, zu diesem Zeitpunkt allerdings in
einem eher beklagenswerten Zustand war. Inzwischen wird seit
einigen Jahren daran gearbeitet, es als Teil der „Museumsland-
schaft Deilbachtal“ zu reaktivieren. Drei Hammersäulen aus
Eichenholz, jede anderthalb Tonnen schwer, lagen schon für den
Einbau bereit, als die Juli-Flut sie einfach fortschwemmte.

                                                                                                Robert Schermann                                         17
p DIE       H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W

                                                               Michael Schütz                                                                  Reinhard Schrage

     Unmittelbar nach der Flut stand der historische                             Der Wipperkotten: Nach Ablauf des Wassers
     Balkhauser Kotten in Solingen unter Wasser.                                 begannen die Aufräum- und Reinigungsarbeiten.

Die Wupper ist seit der Flut acht Meter näher an den Kotten                     Es wird sehr hohe Summen erfordern, die beiden Schleifkotten
herangerückt, der Uferbereich hat sich verändert. Doch Molinari                 wiederherzustellen, die übrigens beide bewohnt sind und auf diese
sagt: „Wir lassen uns nicht entmutigen, nutzen die Zeit, um im                  Weise daran erinnern, dass es bei der Beseitigung der Hochwasser-
kommenden Jahr das zerstörte Museum mit einem neuen                             schäden zuallererst darum gehen muss, Menschen in Notlagen
Museumskonzept wachzuküssen.“                                                   zu helfen. Das steht nicht im Widerspruch zu dem Anliegen, Kultur-
                                                                                und Naturschätze zu retten, ohne die es kaum möglich wäre, sich
Nicht weniger hart traf es den im frühen 17. Jahrhundert erstmals               einer Region verbunden zu fühlen oder in ihr heimisch zu werden.
erwähnten Wipperkotten. In seiner Eigenschaft als Doppelkotten                  Die NRW-Stiftung und ihr Förderverein betrachten die Wiederauf-
ist er an der unteren Wupper der letzte seiner Art. Der sogenannte              bauhilfe für geschädigte Projekte aus den Bereichen Kultur, Natur
Innenkotten, der sich in privater Hand befindet, wird heute als                 und Heimat daher als eine Aufgabe von grundlegender Bedeutung.
Wohnung, Atelier und Galerie genutzt. Im Außenkotten kann man
hingegen zu bestimmten Terminen noch immer Klingen schleifen
                                                                                Ahr und Erft
lassen. Von der Flut wurde die Gesamtanlage stark zerstört, die
historische Ausstellung im Erdgeschoss des Außenkottens weit-                   Mit außerordentlicher Wucht wütete die Flut in der Eifel, insbeson-
gehend vernichtet. Aufgeweichte Wände, verzogene Fenster und                    dere an der Ahr, die im nordrhein-westfälischen Blankenheim
Türen sowie weggerissene Abdeckungen gehören mit zur ver-                       entspringt, später lange durch Rheinland-Pfalz fließt, um schließlich
heerenden Bilanz. Das nahegelegene Wehr in der Wupper wurde                     im Stadtgebiet Sinzig in den Rhein zu münden. Nicht weit entfernt
offenbar ebenfalls beschädigt.                                                  von der Ahrquelle beginnt außerdem die knapp 107 Kilometer lange
                                                                                Erft ihren Lauf, die sich am 14. Juli ebenfalls in einen tobenden

RENATURIERUNG ALS HOCHWASSERSCHUTZ
 Sintflutartige Regenfälle sind das eine – die         schwemmungen umgehen können. Wo                    Stiftung ist hier Eigentümerin von 165
 Wasserläufe, in denen sie sich sammeln,               solche artenreichen Auen noch existieren,          Hektar Land sowie von Haus Bürgel
 das andere. Kanalisierte Flüsse, die mit              tragen sie zur Zurückhaltung (Retention)           (vgl. S. 9 in diesem Heft), das auch die
 hoher Geschwindigkeit durch betonierte                von Wassermassen bei und vermögen                  zuständige Biologische Station beherbergt.
 Flächen strömen, sind bei steigenden                  deren Fließgeschwindigkeiten erheblich zu
 Pegeln nur schwer daran zu hindern,                   bremsen. Ein Paradebeispiel dafür bietet           Auen und Retentionsflächen werden von
 Häuser oder sogar ganze Orte zu über-                 das Naturschutzgebiet Urdenbacher Kämpe            der NRW-Stiftung auch in anderen Landes-
 fluten. Natürliche Flusslandschaften bieten           zwischen Düsseldorf und Monheim, das zu            teilen unterstützt, in Westfalen etwa an
 hingegen Lebensräume für Pflanzen und                 den letzten regelmäßig überfluteten Auen           der Berkel, die bei Billerbeck im Münster-
 Tiere, die mit regelmäßigen Über-                     des oberen Niederrheins gehört. Die NRW-           land entspringt und nach 114 Kilometern

18                                                                                                Werner Stapelfeldt      Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
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