220 KILOMETER WELTERBE IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG
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Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG 220 KILOMETER WELTERBE IN NRW NR. 2 | 2021/22 Natürliche Heimat: Soforthilfe: Öko-Oase: Neandertal: Arche Noah Engagement Naturerbe Büecke Eiszeitliche im Sauerland nach der Flut bei Soest Erinnerungen
Liebe Leserinnen, Das Aushängeschild des 1972 verabschiedeten Übereinkommens liebe Leser, zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist die Welter- beliste; sie genießt hohe globale Aufmerksamkeit. Es geht aber die Evaluierung der für die um viel mehr als um das Who's who der Weltkultur. Die Welterbe- Welterbeliste der UNESCO konvention fördert die internationale Zusammenarbeit und den nominierten Stätten des Nieder- Erhalt des Natur- und Kulturerbes der Welt für uns und künftige germanischen Limes entlang Generationen. Sowohl das Welterbe als auch die „nur“ national des Rheins in Nordrhein-West- oder regional bedeutenden Denkmäler haben wir nicht von falen im September 2020 war unseren Vorfahren zur freien Verfügung erhalten, sondern zur für mich eine Zeitreise nicht Weitergabe an die künftigen Generationen geliehen bekommen! nur in die römische Vergangen- heit, sondern auch in die Die Arbeit der NRW-Stiftung und der UNESCO liegen deshalb Geschichte der NRW-Stiftung. gar nicht so weit auseinander, lediglich im Wirkungskreis unter- Foto: Privat Als junge Referentin für den scheiden sie sich. Beide verfolgen mit ihrem ganzheitlichen Ansatz Bereich Heimat- und Kultur- für den Denkmal- und Naturschutz das Ziel, das politische und pflege war ich in den 1990er Jahren dabei, als die Stiftungsgremien zivilgesellschaftliche Engagement für den Schutz und Erhalt der Mittel für den Ankauf und die Restaurierung von Haus Bürgel kulturellen und natürlichen Ressourcen als unverzichtbare Bestand- beschlossen. Keiner ahnte seinerzeit, dass damit nicht nur für teile für die Verortung und für das Wohlbefinden der Menschen Nordrhein-Westfalen wichtige Bau- und Bodendenkmäler, sondern zu stärken. So schließt sich der Kreis, auch für mich. auch Stätten nachhaltig gesichert wurden, die das Welterbe- komitee der UNESCO am 27. Juli 2021 als Erbe der Menschheit Dr. Birgitta Ringbeck anerkannt hat. Welterbe-Koordinatorin im Auswärtigen Amt GEMEINSAM FÜR EIN LEBENDIGES LAND Ü berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände, die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön- heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten Kräften und hat bereits über 3.300 Projekte fördern können. Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und Tourismus NRW e. V. / NRW-Stiftung Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und die Geschichte unseres Landes. Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele Mitglied werden und Gutes tun! gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung. Unser Geschenktipp zum Geburtstag oder anderen Anlässen: Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus gut an – bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung. landesweit für Natur und Kultur einsetzen. Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin. Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für Sie selbst oder als Geschenk. Einfach online beantragen oder per Postkarte einen Gutschein bestellen. Alle Informationen finden Sie am Ende des Heftes. Förderverein NRW-Stiftung Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de 2 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
INHALT 25 Jahre Neanderthal Museum 29 – 31 Tastende Erlebnisse, belauschte Erinnerungen – Schaufenster 4–5 zum Jubiläum gibt es viel Neues in einem der Zu entdecken in NRW: Clara und Robert Schumann in erfolgreichsten Museen NRWs. Düsseldorf, ein Haus für Kultur, Land und Bildung in Brakel und ein Trafoturm für den Naturschutz in Haan. Titelthema: Weltkulturerbe Niederrheinischer Limes 6 – 11 Zum neuen Welterbe gehören wichtige Projekte der NRW-Stiftung / Nicki Nuss erkundet den Limes für Kinder / Fragen an Ministerin Ina Scharrenbach und Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg. Neanderthal Museum Glühendes Engagement 32 – 33 Mithilfe der NRW-Stiftung wurde eine alte Hofanlage als Standort des Feuerwehrmuseums Kirchlengern dauerhaft gesichert. Faber Courtial GbR für LVR-Archäologischer Park Xanten Überlebensräume für die Natur 34 – 37 Das Projekt LEPUS bringt mehr Leben Naturschutz im Freibad 12 – 14 in die Landschaft. Der Heimatpreis des Landes NRW ging an die „Arche Noah“ in Menden. Denkmal der Zooarchitektur 38 – 39 Das heutige Südamerikahaus der Kölner Zoos Es war einmal in Wuppertal 15 wurde 1899 im „russischen“ Stil errichtet. Ein Brunnen erzählt von Rotkäppchen und Co. Vogel der Superlative 40 – 41 Spenden und Soforthilfe 16 – 19 NRW ist eine Hochburg des Brachvogels Die Flutkatastrophe traf auch Förderprojekte in Deutschland. Die NRW-Stiftung unterstützt der NRW-Stiftung. das Engagement gegen sinkende Bestände. Stammsitz der Ruhrpioniere 42 – 43 In Hagen-Haspen kommt Rettung für das vom Verfall bedrohte Haus Harkorten aus dem 18. Jahrhundert. Meldungen 44 – 47 Digitaler Architekturguide Krefeld / Schwebende Objekte in Gut Rödinghausen Menden / Tastmodell zum Schauplatz Petersberg / Kulturgut Schrabben bei Kirchhundem / Naturerlebnishof Stilleking-Oelken / Historischer Verein Stadt und Stift Essen e. V. Fotowettbewerb Kalender 2022. Mission Radiosternwarte 20 – 21 Förderverein 48 – 49 Der Verein „Astropeiler Stockert e. V.“ erhielt Mitgliederversammlung in Königswinter / Bernd Hebbering den WegWeiser-Preis 2021. als Ehrenmitglied geehrt / Neue kommunale Mitglieder. Wildnis für kleine Wildfänge 22 – 23 Spenden / Zustiften 50 – 51 Naturerfahrungsräume für Kinder entwickeln sich Die Rückkehr der gekrönten Häupter: Kaiserinnen und in NRW zum Erfolgsmodell. Königinnen zieren die Kunsthalle auf Schloss Drachenburg. Tonangebendes Barock 24 – 25 Nicki Nuss 52 – 53 Die Orgel von Kloster Corvey klingt wieder Entdeckungen im Römerreich. wie vor 350 Jahren. Ausflugstipps 54 – 58 Insel der Vielfalt 26 – 28 Attraktive Ziele für Mitglieder des Fördervereins. Zwischen Soest und Möhnesee gehören der NRW- Stiftung 250 Hektar Fläche des nationalen Naturerbes. Impressum 59 3
p SCHAUFENSTER DAS RHEINISCHE HAUS VON CLARA UND ROBERT SCHUMANN U nter den Großen der Musik haben einige für NRW beson- im Schumann-Haus bilden, das zuvor aber saniert werden muss. dere Bedeutung, allen voran der gebürtige Bonner Ludwig Die NRW-Stiftung hilft auf Antrag des „Fördervereins Schumann- van Beethoven. Auch Robert Schumann ist zu nennen, der Haus Düsseldorf“ bei der denkmalgerechten Restaurierung. zwar kein Rheinländer, sondern Sachse war, dessen „Rheinische Sie unterstützt zudem Maßnahmen zur Barrierefreiheit, zu denen Symphonie“ aber zur musikalischen Erkennungsmarke geworden ein gläserner Anbau mit geeignetem Aufzug gehört. ist. Schumann schrieb sie angeblich unter dem Eindruck, den der Kölner Dom auf ihn gemacht hatte. Vielen Menschen ist das schwungvolle Hauptthema als jahrzehntelange Titelmelodie der WDR-Sendung „Hier und Heute“ vertraut. Robert Schumann kam 1850 mit seiner nicht minder berühmten Frau, der Pianistin und Komponistin Clara Schumann nach Düsseldorf, um hier als Städtischer Musikdirektor zu arbeiten. Der Komponist benötigte damals Wohnraum „für mich, meine Frau, fünf Kinder und zwei bis drei Dienstboten – keine musikalische Nachbarschaft (ein Hauptpunkt)“, wie er an den Arzt und Schrift- steller Wolfgang Müller schrieb. Der Wunsch war schwer zu Christine Steiner erfüllen, die Familie Schumann zog mehrfach um, bis sie 1852 Restaurierungsbefund: Die weiße Farbe verbirgt Fenster- in der Bilker Straße ein passendes Domizil fand. rahmungen aus vulkanischem „Andesit“. Einzigartige Adresse Robert Schumann endete tragisch. Er erlebte in Düsseldorf heftige Das um 1800 errichtete Haus ist heute die einzige Schumann- Querelen mit seinem Orchester und zeigte überdies immer stärkere Adresse mit historischer Bausubstanz. In der Nähe liegt das Anzeichen geistiger Verwirrung. Im Februar 1854 stürzte er sich Heinrich-Heine-Institut, dessen Archiv eine große Schumann- von der Oberkasseler Pontonbrücke aus in den Rhein. Er wurde Sammlung beherbergt. Dazu zählen Originalbriefe und -noten, gerettet und in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn gebracht, von denen einige mithilfe der NRW-Stiftung erworben wurden. wo er zwei Jahre später starb. Clara Schumann zog 1857 nach Diese Sammlung soll den Grundstock eines künftigen Museums Berlin. Sie starb 1896. Kurios: Unter dem Innenhof des Hauses liegt der „Fischkeller“, An den historischen Türen ließen sich übereinanderliegende den die Fischhändlerfamilie Maassen 1908 anlegen ließ. Farbschichten aus über zwei Jahrhunderten freilegen. 4 Michael Gstettenbauer Christine Steiner Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
SCHAUFENSTER p BILDUNGSHAUS MODEXEN Für ein Miteinander von Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft und Jagd D er Neubau des Bildungshauses Modexen in Brakel ist weitgehend fertiggestellt. Das barrierefrei und einladend Christiane Sasse mit viel Holz und Glas gestaltete Seminargebäude, das auch Einladend und transparent präsentiert sich der Neubau mit Leader-Mitteln gefördert wurde, soll noch in diesem Jahr des Bildungshauses Modexen. Hier sollen Konzepte für ein bezogen werden. Parallel zu den letzten Arbeiten am Gebäude geht Miteinander von Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz es nun an die Erarbeitung eines nachhaltigen Bildungskonzepts. erarbeitet werden. Die NRW-Stiftung hat das Bildungshaus Modexen von der Idee bis zur baulichen Umsetzung maßgeblich unterstützt und setzt diese den wertschätzenden Dialog zwischen Naturschutz, Land- Arbeit nun auch bei der Entwicklung eines Bildungskonzepts fort. und Forstwirtschaft sowie der Jagd. Diese drei Säulen sind im Inhaltlicher Schwerpunkt des Hauses ist unter dem Motto Trägerverein „Bildungshaus Modexen e. V.“ in Drittelparität „KulturLandBildung“ die Erarbeitung ganzheitlicher Ansätze für ein vertreten. Die hier als Pilotprojekt erarbeiteten Konzepte für eine harmonisches und praktikables Miteinander der verschiedenen konstruktive Partnerschaft sollen auch als Modell für andere Interessengruppen bei der Landnutzung. Konkret geht es um Regionen dienen. EIN TRAFOTURM FÜR DEN ARTENSCHUTZ D ie Menschen machen dicht. Moderne Gebäude bieten vielen Arten immer weniger Ruhe- und Nistplätze. Die Arbeitsgemeinschaft Natur und Umwelt (AGNU) in Haan schafft deshalb neuen Lebensraum im ehemaligen Trafoturm Elp. Und zeigt mit einem Leuchtturm-Projekt, wie sich Naturschutz, Denkmal- und Heimatpflege auf besondere Weise verbinden lassen. Eulen, Fledermäuse, Mauersegler, Schmetterlinge und andere Tiere sollen in und am Gemäuer zwischen Haan und dem Ortsteil Gruiten optimale Lebensbedingungen vorfinden. Tierarten, die vornehmlich Gebäude bewohnen, unterstützt die AGNU mit der Schaffung von Nisthilfen, Tages- und Nachtverstecken sowie Sommer- und Winterquartieren. Dazu gehören zum Beispiel ein Wildbienenhotel an der Sonnenseite der Fassade, Amphibien- verstecke im Kellerschacht, verschiedene Nistkästen und Fledermausbretter. Die stillgelegte Transformatorenstation wurde 1912 von den Rheini- schen Elektrizitätswerken erbaut und war Teil der Stromversorgung der Stadt. Die AGNU erwarb den inzwischen denkmalgeschützten Turm 2017 von den Stadtwerken für den symbolischen Betrag von einem Euro und setzt sich seither für seine Umnutzung ein. Nach einer mehrjährigen Planungsphase konnte die Initiative im Sommer 2021 schließlich mit dem Umbau des Gebäudes zum Artenschutz- turm und mit denkmalpflegerischen Arbeiten an Fassade und Sockel beginnen. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von ehren- amtlichen Helferinnen und Helfern, zahlreichen lokalen Sponsoren und der NRW-Stiftung. Der einstige Trafoturm Elp bei Haan bietet seit dem Umbau vielen Tierarten Unterschlupf. Uwe Rabe 5
p W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H Ä O L O G I S C H E L A N D E S A U S S T E L L U N G N R W Haus Bürgel in Monheim am Rhein ist eine Gutsanlage auf den Überresten eines Limes-Kastells aus dem 4. Jahr- hundert. Römisches Mauerwerk ist teilweise noch erhalten. Werner Stapelfeldt 220 KILOMETER WELTERBE IN NRW Niedergermanischer Limes – das ist die Bezeichnung für die einstige Grenze des Römischen Reichs am Rhein. Im Juli 2021 wurde der Grenzverlauf mit seinen archäologischen Stätten in Deutschland und den Niederlanden von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Die Liste des Welterbes in NRW hat sich dadurch erfreulich verlängert, gewissermaßen um Stefan Ast 220 Kilometer, denn so lang ist die Rheinstrecke mit den Porträtbüsten in der Römischen nordrhein-westfälischen Schauplätzen der Limesgeschichte. Grabkammer in Köln-Weiden erinnern an Verstorbene aus römischer Zeit. Mehrere Förderprojekte der NRW-Stiftung gehören dazu, ein ehemaliges römisches Kastell ist heute sogar ein stiftungseigenes Haus. Unterstützung gab es außerdem für die aktuelle Archäologische Landesausstellung. Sie wirft an fünf verschiedenen Standorten neues Licht auf den Limes und bietet mithilfe der NRW-Stiftung auch Kindern spannende Erlebnisse. 6 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H ÄO LO G I S C H E L A N D E S AU S S T E L LU N G N R W p A uf insgesamt rund vierhundert Kilometern bildete der Der teilrekonstruierte Hafentempel Rhein einst die Grenze der römischen Provinz Nieder- im LVR-Archäologischen Park Xanten. germanien, von der Nordsee bis ins heutige Rheinland- Pfalz. Der südlich anschließende Obergermanisch- Raetische Limes, schon seit 2005 Weltkulturerbe, hielt es hingegen nicht mit dem Flussgott Rhenus, sondern lief östlich des Stroms durchs Land. Dass sich der Niedergermanische Limes nun eben- falls zum Welterbe zählen darf, würde vermutlich sogar Kaiser Augustus erfreuen, obwohl die Rheingrenze zu seiner Zeit keines- wegs Roms Ziel war. Ganz im Gegenteil: Das Reich wollte seine Herrschaft eigentlich viel weiter ausdehnen – Drusus, der Stiefsohn des Kaisers, drang mit seinen Truppen zeitweilig bis zur Elbe vor. Doch im Jahr 9 n. Chr. erlitt der Feldherr Varus gegen germanische Verbände unter dem Cherusker Arminius eine verheerende Niederlage. Die rechtsrheinischen Pläne Roms wurden dadurch aussichtslos. Auf Römerpfaden Zuvor hatten sich die Römer bei Vorstößen Richtung Osten gern von der Lippe den Weg weisen lassen. An ihr reihen sich die Über- reste mehrerer antiker Militärlager auf, eins davon in Haltern, wo heute das LWL-Römermuseum seinen Standort hat. Spannend ist auch der Fall Bergkamen-Oberaden: Im Jahr 11 v. Chr. ließ Drusus hier – mitten im damaligen Siedlungsgebiet der Sugambrer – ein Lager errichten, das zwar nur wenige Jahre existierte, aber zu den größten nördlich der Alpen gehörte. Auf 56 Hektar Fläche bot es Platz für zwei Legionen plus Hilfstruppen, also für bis zu 15.000 Menschen. Zum Vergleich: Das 2008 entdeckte Lager in Olfen an der Lippe war nur fünf Hektar groß. Heute lädt der „Römerpfad“ in Bergkamen zu einem Spaziergang durch die histo- rischen Zusammenhänge ein, Infotafeln in Form römischer Feld- zeichen sorgen für Orientierung. Bei Anreppen nahe Paderborn gibt es einen ähnlichen archäologischen Pfad. Er führt durch das Areal eines Lippe-Lagers, das wahrscheinlich von Tiberius Axel Thünker DGPh gegründet wurde, dem Bruder des Drusus. Der Römerweg in Bergkamen erschließt das Gelände eines Das Museum in Haus Bürgel informiert über die Grenzsituation Legionslagers, das zu den größten nördlich der Alpen gehörte. und das Leben am Niedergermanischen Limes in der Spätantike. Bernd Hegert Werner Stapelfeldt Drusus war im Jahr 9 v. Chr. an den Folgen eines Reitunfalls massive Gefährdung, blieb danach aber für rund zweihundert gestorben, und Tiberius hatte danach das Kommando in Germanien Jahre weitgehend stabil und ermöglichte so das Aufblühen der übernommen. Später wurde er selbst Kaiser und entschied um römischen Zivilisation im linksrheinischen Raum. Herausragende das Jahr 16 nach Christus: Die Völkerschaften rechts des Rheins archäologische Stätten zeugen davon, etwa die von der NRW- sollten ihre Konkurrenzkämpfe fortan für sich ausfechten. Der Stiftung geförderten Zülpicher Badethermen oder das Römergrab Strom wurde dadurch fast ein halbes Jahrtausend lang zur Grenze in Köln-Weiden. Das römische Xanten ist sogar in Form eines der Provinz Niedergermanien. Diese Grenze erlebte in den Jahren archäologischen Parks wiedererstanden. 69/70 n. Chr. durch einen Aufstand der Bataver noch einmal eine 7
Valkenburg (1–2) Leiden (5) Corbulo-Kanal (4) Utrecht (7–10) Voorburg (3) Woerden (6) Bunnik (11) Arnhem (12) Elst (13) Herwen (19) Nijmegen (14–16) Kleve (21–22) Till (22) Wesel (26) Kalkar (23–24) Uedem (25) Xanten (27–28) Germania Alpen (29) inferior Moers (30) Duisburg (31) Krefeld (32) UNESCO-Welterbestätte Grenzen des Römischen Reiches Neuss (33) – Neuss-Reckberg (34) Neuss-Reckberg (34) Niedergermanischer Limes Monheim (35) (Fundplatznummer) Dormagen (36) Gallia Stadt Legionslager Belgic Köln (37–39) Hilfstruppenkastell Sonstige militärische Anlagen Bonn (41) Antike Grenzen Kottenforst (40; 42) Moderne Grenzen Remagen (44) 0 25 km 50 km Bad Münstereifel (43) Grafik: St. Bödecker, E. Rung/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege; M. Pütz/LVR-LandesMuseum Bonn; Kartengrundlage: GLOBE Task Team and others. Insgesamt 44 Fundplätze am Rhein gehörenGermania zum UNESCO-Welterbe supferior Limes“. „Grenzen des Römischen Reiches – Niedergermanischer FÜNF AUSSTELLUNGEN, Darüber hinaus gibt es in NRW viele weitere bedeutende römische Stätten, auf die in diesem Beitrag teilweise eingegangen wird, darunter SECHS MUSEEN das Römerlager Haltern, das auch Schauplatz der Archäologischen Landesausstellung ist. Alle fünf Jahre findet in NRW die Archäologische Landesaus- Und der Rhein selbst? Er war nicht nur Grenzlinie, sondern auch stellung statt. Dieses Mal widmet sie sich „Roms fließenden Transportweg, ohne den die Häuser, Tempel und Kastelle an seinem Grenzen“, und zwar an gleich fünf Standorten: Im Archäologi- Ufer gar nicht hätten gebaut werden können. Die benötigten Steine schen Park des LVR in Xanten stößt man dabei unter anderem wurden großenteils vom Drachenfels und aus der Eifel flussabwärts auf einen neuen Pavillon zum Thema Limes. In Köln, wo das Römisch- verschifft, Branntkalk kam aus Iversheim an der Erft. Das Haupt- Germanische Museum und das MiQua (das Museum im Archäo- quartier der römischen Rheinflotte befand sich im heutigen Kölner logischen Quartier) kooperieren, wird die Hauptstadt Nieder- Stadtteil Marienburg. Wie dieser Stützpunkt bei den Römern hieß, germaniens als „Rom am Rhein“ in digitaler Rekonstruktion ist unbekannt, man nennt ihn daher nach einer späteren Gelände- gezeigt. Das Bonner LVR-Landesmuseum nutzt ein interaktives bezeichnung „Flottenkastell Alteburg“. Häfen gab es teilweise an Limesmodell, um zu erklären, wie das Leben an der Grenze Orten, an denen man sie heute nicht mehr vermuten würde, so funktionierte. Auf rechtsrheinischer Seite erzählt das LWL- im kleinen Rindern, einem Stadtteil von Kleve. Dort befasst sich Römermuseum Haltern von den gescheiterten Versuchen, das das Museum „Forum Arenacum“, dessen Name an ein Militärlager Imperium nach Osten zu erweitern, und bietet dabei neu die erinnert, mit der römischen Vergangenheit. originalgetreue Rekonstruktion eines Wachhauses. Das Lippische Landesmuseum Detmold schildert die Begegnung Roms mit der Kontakte, Krisen und Kastelle germanischen Welt aus der germanischen Perspektive. Die römische Grenzpolitik hatte nicht das Ziel, Begegnungen mit den „Barbaren“ vollständig zu vermeiden. Rom versuchte viel- mehr immer wieder, benachbarte Völker in die Reichsinteressen einzubinden, durch Verträge zum Beispiel, durch die Möglichkeit zum Dienst in römischen Hilfstruppen und durch den Handel. Nicht immer gelang das so gut wie im Falle der ursprünglich rechtsrheinisch lebenden Ubier, denen schon vor Christi Geburt Siedlungsgebiete im Raum Köln/Bonn überlassen wurden – daher die Bezeichnung „Ubierstadt“ für das frühe Köln. Der Aus- tausch von Kenntnissen und Waren trug aber insgesamt dazu bei, dass sich die germanische Welt im Laufe der Jahrhunderte neu formierte und Namen auftauchten, die Augustus noch nicht kannte. So waren die „Franken“ ein Zusammenschluss verschiedener germanischer Völkerschaften. Das römische Xanten – die Colonia Ulpia Traiana (CUT) in einer grafischen Rekonstruktion. 8 Faber Courtial GbR für LVR-Archäologischer Park Xanten Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – ARCHÄOLOGISCHE L ANDESAUSSTELLUNG NRW p Axel Thünker DGPh Axel Thünker DGPh Das Römergrab in Köln-Weiden ist eine herausragende archäo- Ein Hypocaustum – der Heißluftraum unter dem Fußboden mancher logische Stätte in NRW. Es ist kein Limesschauplatz, die Welt- römischer Gebäude. Derartige „Fußbodenheizungen“ finden sich etwa erbe-Kommission war hier aber zu Gast. in Badeanlagen wie hier in Zülpich, bisweilen auch in Wohnbauten. In eine schwere Krise geriet das Imperium im dritten Jahrhundert, als es sich einer wachsenden Bedrohung durch das persische Sassanidenreich ausgesetzt sah und zudem heftige Thronwirren NICKI NUSS UND erlebte. Es kam jetzt sogar zur Bildung von Sonderreichen wie dem des Usurpators Postumus, der Köln zur Hauptstadt eines DAS WELTERBE Herrschaftsgebietes machte, das sich einige Jahre lang bis nach Hier Römer, da Germanen, beide säuberlich geschieden – ganz so Spanien und Britannien erstreckte. Nachdem Postumus im Jahr einfach war es in der Antike nicht. Selbst der legendäre Arminius 269 von seinen eigenen Soldaten getötet worden war, hielt sich hatte für Rom schon Militärdienst geleistet und sogar das römische sein „Gallisches Sonderreich“ zwar nur noch wenige Jahre. Doch Bürgerrecht erworben, bevor er sich gegen das Imperium wandte. kaum hatte Kaiser Aurelian es endgültig zurückerobert, da sorgten Viele andere Germanen blieben Rom dauerhaft verbunden. Damit 275/76 die Franken für Unsicherheit. Bei ihren Angriffen zerstörten auch Kinder die spannenden Grenzgeschichten verstehen können, sie unter anderem das Kastell Gelduba im heutigen Krefeld-Gellep. hat sich Nicki Nuss, das neugierigste Eichhörnchen Nordrhein- Westfalens, im Auftrag der NRW-Stiftung den Legionärshelm über- Erst unter Kaiser Diokletian, der ab 284 regierte, wurde die Krise gestülpt. Es begleitet die Kleinen bei fünf Entdeckertouren an den überwunden. Bei der Limesverteidigung setzte man jetzt ver- fünf Standorten der Archäologischen Landesausstellung. mehrt auf flexible, meist berittene Truppen, die den kleineren Einem Eichhörnchen muss man zwar nicht auf die Sprünge Wacheinheiten in den Grenzfestungen rasch Hilfe leisten konnten. helfen, fachlich beraten ließ sich Nicki aber trotzdem: Der Archäo- Außerdem begann am Rhein eine bemerkenswerte Bautätigkeit, loge und Pädagoge Dr. Christian Peitz arbeitete die Touren aus. besonders spektakulär in Köln, wo Konstantin der Große um 310 Mit einem Entdeckerheft, das sie zusammenfasst, sind Kinder der die erste Rheinbrücke der Stadt errichten ließ, auf der rechten Klassen 3 bis 6 für römisch-germanische Erkundungen Flussseite gedeckt vom Kastell Divitia (Deutz). Ein Bronzemodell bestens gerüstet – und ebenso für den Wettbewerb, des Kastells wurde vor einigen Jahren am Rheinufer aufgestellt, den die Museen zusammen mit der NRW- die Initiative dazu ging vom Verein „Historischer Park Deutz“ aus. Stiftung entwickelt haben. Nähere Dass die Maßnahmen Konstantins die Franken für immer daran Informationen (auch für Erwach- hindern würden, den Rhein siegreich zu überschreiten, war aller- sene) gibt es unter www.nrw-ent- dings nur der fromme Wunsch eines zeitgenössischen Lobredners. decken.de. Für Schulklassen kann die Köln wurde sogar schon im Jahr 355 erobert, wenn auch vorläufig NRW-Stiftung die Fahrt- nur für kurze Zeit, denn unter den Kaisern Julian und Valentinian kosten zu den Ausstellungs- (gest. 375) konnte die Rheingrenze ein letztes Mal aufwendig orten übernehmen. gesichert werden. Julia Agrippina (15 – 59 n. Chr.), Frau Kaiser Die „Römerbaustelle Aliso“ im LWL-Römermuseum Haltern Claudius’, Mutter Neros. Sie verschaffte ihrem zeigt die maßstabsgetreue Umwehrung eines Römerlagers Geburtsort Köln die Stadtrechte. in der bislang längsten derartigen Rekonstruktion. picture alliance / dpa | Oliver Berg Loeni Buscher / Stadtagentur Haltern 9
p W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H Ä O L O G I S C H E L A N D E S A U S S T E L L U N G N R W DIE WASSERLEITUNG ZUM RHEIN Transportweg, Grenze, Fischlieferant, der Rhein leistete viel, doch reines Wasser gehörte bereits in der Römerzeit nicht zu seinen Stärken. Zumindest stellte die römische Zivilisation gern höhere Ansprüche an die Wasserqualität – und unternahm erstaunliche Anstrengungen, um sie zu erfüllen. Knapp hundert Kilometer lang war die Wasserleitung, die frisches Nass aus der Eifel nach Köln, in die Hauptstadt der Provinz Niedergermanien, strömen ließ. Heute kam man die Strecke auf dem „Römerkanalwanderweg“ erleben, der ebenso wie das „Römerkanal-Informationszentrum“ in Rheinbach von der NRW-Stiftung gefördert wurde. Der Römerkanal, die Wasserleitung zur Versorgung Kölns, war ein antikes Großprojekt. Natalie Glatter Söldner und Münzen Wer sich ein Bild davon machen möchte, was im 4. Jahrhundert am Niedergermanischen Limes geschah, der darf Haus Bürgel nicht verpassen, eine malerische Gutsanlage inmitten des Naturschutz- gebietes Urdenbacher Kämpe auf dem Gebiet der Stadt Monheim. Das Gut, das ein Museum, eine Biologische Station und eine Pferdezucht beherbergt, gehört seit 1989 der NRW-Stiftung. Beim ersten Blick nicht zu erkennen: Haus Bürgel steht auf den Überresten eines kleinen römischen Kastells aus dem 4. Jahrhun- dert, einige antike Mauerteile sind direkt in die späteren Bauten miteinbezogen. Die Archäologie konnte zudem zahlreiche faszinie- rende Funde machen, die in den Museumsräumen präsentiert werden. Verschiedene Münzschätze gehören dazu, die einst Werner Stapelfeldt vergraben wurden, um sie vor Angreifern zu verbergen. Zuletzt waren die germanischen Söldner in Bürgel, dessen antiker rechten Rheinseite? Diente es etwa als Brückenkopf für eine Name unbekannt ist, nicht mehr in eine funktionierende militäri- Flussquerung wie in Köln-Deutz? Keineswegs – die Römer erbauten sche Organisation eingebunden. Rom konnte den Franken im Laufe das Kastell gar nicht rechtsrheinisch, sondern auf der sicheren, des fünften Jahrhunderts nichts mehr entgegensetzen, der Limes der linken Seite des Stroms. Erst bei einem großen Flutereignis wurde bedeutungslos. Doch bevor der Vorhang fällt, bleibt für uns im Jahr 1374 schuf sich letzterer ein neues Bett westlich der noch eine Frage: Warum liegt Haus Bürgel eigentlich auf der ehemaligen Festung. Was zugleich erklärt, warum es bei der Erforschung des Niedergermanischen Limes auch um die Frage Rechts: Wo sich heute Haus Bürgel erhebt, geht, wo der Rhein und seine einstmals vielen Nebenarme in waren einmal römische Hilfstruppen stationiert. römischer Zeit genau verliefen. Unten: Die römische Rhein-Schifffahrt wird im Museum Text: Ralf J. Günther von Haus Bürgel auch anhand eines Modells erläutert. B LICK PU N KT Die NRW-Stiftung hat zahlreiche Projekte zur römischen Geschichte gefördert, auch über die jetzigen Welterbestätten hinaus, darunter das Badether- men Museum Zülpich, das Römer- grab Weiden, die Römerwege Bergkamen und Anreppen oder das Römerkanal-Infozentrum Rheinbach. Welterbestätten wie die Kalkbrennerei Iversheim wur- den ebenfalls unterstützt, Haus Bürgel ist sogar ein Haus der NRW- Stiftung. Für die Archäologische Landesausstellung hat die Stiftung das Kinder-Erlebnisprogramm mitentwickelt und gefördert. 10 Werner Stapelfeldt Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
W E LT E R B E N I E D E R G E R M A N I S C H E R L I M E S – A R C H ÄO LO G I S C H E L A N D E S AU S S T E L LU N G N R W p POSITIVE „GRENZ-ERFAHRUNGEN“ Die meisten der archäologischen Stätten am Niederrheinischen Limes, die nun zum UNESCO Weltkultur- erbe gehören, liegen in Nordrhein- Westfalen. Was bedeutet das für das Land und die Menschen in NRW? Fragen an Ina Scharrenbach, die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, und an Eckhard Uhlenberg, den Präsidenten der NRW-Stiftung. Der Limes war eine Grenze – der Limes Werner Stapelfeldt als Welterbe verbindet Länder. Was bedeutet das für Nordrhein-Westfalen? Ministerin Ina Scharrenbach und NRW-Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg Scharrenbach: Der Niedergermanische stellten auf Haus Bürgel das Entdeckerangebot für Kinder zur Archäologischen Landesausstellung vor. Limes war eine durchlässige Grenze. Er ermöglichte einen steten Austausch von Gerade nach den Monaten der Pandemie Das Entdeckerbuch vertieft die Themen der Waren und Ideen über den Rhein hinweg, und der Starkregen- und Hochwasser- Ausstellungen und bietet zudem Spiel- und also „Grenz-Erfahrungen“ im positiven katastrophe im Juli 2021 war die Ernennung Bastelanregungen für Zuhause. Die Kinder Sinne. Auch heute ermöglicht uns der ein Lichtblick für unser Land. können ein Rätsel lösen und an einem Niedergermanische Limes positiven Aus- Gewinnspiel teilnehmen. Der Limes ist Weltkulturerbe Nr. 6 tausch, denn als Teil der internationalen in NRW. Welchen Schub bedeutet das Von den 44 neuen Limes-Welterbestätten Welterbestätte ‚Grenzen des Römischen für die Arbeit der NRW-Stiftung? liegen 24 in 19 NRW-Kommunen. Reiches‘ bieten die Limes-Fundplätze Wohin sollte man einen Ausflug planen? Besucherinnen und Besuchern besondere Uhlenberg: Wir haben bereits an den historische Eindrücke. Die Fundplätze anderen Welterbestätten in NRW gefördert: Uhlenberg: Manches ist verborgen im verbinden uns außerdem mit allen Limes- Die Restaurierung des Marienschreins im Boden, anderes – wie die Kalkbrennerei Akteurinnen und -akteuren weltweit. So Aachener Dom, die Ringpromenade und Iversheim - ist Welterbe zum Anschauen. bringt uns heute eine frühere Grenze näher den digitalen Denkmalpfad an der Kokerei Haus Bürgel lege ich jedem ans Herz. zusammen. auf Zeche Zollverein in Essen und jüngst Das römische Museum ist sehr sehenswert, die bedeutende Barockorgel in der Kloster außerdem ist die umgebende Landschaft Kommt das Thema Frauen am Limes kirche Corvey. Mit einigen römischen Welt- am Rhein sehr schön. Das Römergrab in zu kurz? Es gab ja nicht nur Agrippina, erbestätten in NRW sind wir eng verbunden. Weiden gehört zwar nicht unmittelbar durch die Köln zur Stadt wurde. Haus Bürgel ist im Eigentum der NRW- zum Limes, ist aber dennoch einzigartig. Scharrenbach: Frauen kommen leider in Stiftung. Das macht uns natürlich sehr Um etwas Vergleichbares zu sehen, müsste der Geschichtsforschung insgesamt noch stolz. Die Auszeichnung als Welterbe man sonst nach Rom reisen und die Kata- zu kurz. Bedingt durch den militärischen wird sicherlich neue Besucherinnen und komben besuchen. Es gibt erstaunlich viele „Hintergrund“ des Limes sehen wir auch Besucher anziehen. Spuren der römischen Geschichte in NRW – bei „Roms fließende Grenzen“ überwie- und zwar im Rheinland und in Westfalen. Die NRW-Stiftung hat die Archäologische Für alle Familien empfehle ich den Besuch gend die männliche Perspektive. Doch Landesausstellung mit Blick auf die der Landesausstellung an den fünf Stand- verschiedene Vermittlungsangebote der Kinder gefördert. Was ist die Idee dabei? orten. Die Kinder können viel entdecken Landesausstellung zeigen, dass auch Frauen einflussreiche Positionen erreichen Uhlenberg: Die anschauliche Vermittlung und lernen. konnten und dass ihr Beitrag insgesamt von Themen der Landesgeschichte ist uns für die Gesellschaften beidseits des Rheins schon immer wichtig gewesen. Deshalb Ina Scharrenbach ist seit 2017 bedeutend war. haben wir auch schon vor einigen Jahren Ministerin für Heimat, Kommunales, die Heimat-Touren für Klassenausflüge zu Bauen und Gleichstellung des Landes Sie bezeichnen die UNESCO- Nordrhein-Westfalen. außerschulischen Lernorten ins Leben Entscheidung als Mutmacher für gerufen. Zusätzlich haben wir für die Nordrhein-Westfalen. Warum? Eckhard Uhlenberg ist Präsident der Archäologische Landesausstellung das Scharrenbach: Mit der Entscheidung Entdeckerbuch mit Nicki Nuss entwickelt, NRW-Stiftung. 2005–2010 war er Minister wurden die Fundplätze des Nieder- um das Geschichtserlebnis für Kinder mit für Umwelt und Naturschutz, Landwirt- germanischen Limes in Nordrhein-West- ihren Familien oder Schulklassen noch schaft und Verbraucherschutz des Landes falen zu unserer sechsten Welterbestätte. lebhafter zu machen. Die römische NRW; 2010–2012 war er Präsident des Das zeigt, über welchen historisch- Spurensuche soll Spaß machen – dann Landtags NRW, 2012–2017 dessen erster kulturellen Schatz unser Land verfügt. ist der Lernerfolg bestimmt nachhaltiger. Vizepräsident. 11
p N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M ARCHE NOAH IN MENDEN VOM FREIBAD ZUM GRÜNEN LERNORT Fotos: Werner Stapelfeldt Wo einst gebadet wurde, gehen heute kleine und große Forscherinnen und Forscher auf Entdeckungsreise in die heimische Natur. Das Naturschutzzentrum Arche Noah im sauerländischen Menden setzt seit fast zwei Jahr- zehnten auf innovative Umweltbildung und hat damit Im Schulungsraum der Aquaponic-Anlage lernen Jung und Alt, wie der Wasserkreislauf großen Erfolg. Jetzt erhielt „die Arche“ den Heimatpreis mit Hilfe von Fischen, Pflanzen und Kies sauber gehalten wird und obendrein gesunde des Landes NRW in der Kategorie „Natürliche Heimat“. Lebensmittel erzeugt werden können. 12 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M A R C H E N OA H I N M E N D E N p A m Anfang stand eine Beobachtung. „Wenn man am Wochen- Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in das Naturschutz- ende im Wald spazieren geht, sieht man dort oft mehr zentrum Arche Noah kommen aber keineswegs. Denn im ehe- Menschen mit Hunden als mit Kindern“, sagt Ulrich Hering. maligen Freibad wird nicht auf trockenes Pauken gesetzt, sondern „Ohne Begegnungen mit der Natur bleibt sie vielen Kindern aber auf erlebnisorientiertes Lernen – und auch das Thema Wasser fremd, und damit auch der Umweltgedanke – das wollten wir spielt weiter eine wichtige Rolle. ändern.“ Umweltbildung durch Erlebnispädagogik – aus dieser Philosophie heraus entstand vor 20 Jahren der Förderverein Mit praktischen Naturerfahrungen einen nachhaltigen Umgang mit Wasser und Naturschutz Arche Noah e. V., dessen langjähriger der Umwelt zu fördern, für Ressourcen-, Klima- und Naturschutz Vorsitzender Hering ist. zu sensibilisieren und damit gleichzeitig einen eigenen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu 2003 erhielt der Verein von der Stadt Menden im Märkischen leisten: So beschreibt das Arche-Team das Konzept des außerschu- Kreis das Gelände des stillgelegten Freibades inmitten der Natur. lischen Lernorts, der Teil des Netzwerks „Bildung für nachhaltige Und so wird dort, wo einst die Mutigen vom 10-Meter-Turm ins Entwicklung“ (BNE) ist. Wasser sprangen, heute gelernt. Weniger Spaß macht das den Der langjährige Vorsitzende des Fördervereins Wasser und Naturschutz Arche Noah e. V., Ulrich Hering, äußert sich zur Entwicklung des über 20 Jahre laufenden Projekts: Umweltbewusstsein in Zeiten des Klimawandels und die Zukunftspläne für die Arche. Ihr Verein betreibt seit zwei Jahr- zehnten Umweltbildung und ist dafür vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt in diesem Sommer mit dem Heimatpreis des Landes NRW. Was zeichnet Ihr Konzept aus? Bei uns gibt es keinen Frontalunterricht. Egal, ob mit Kita-Kindern, Schülerinnen und Schülern oder in der Lehrerfortbildung: Alle erarbeiten die Inhalte ihrer Kurse Arche Noah Menden selber. Wir leiten an, aber alle Erkenntnisse Freuen sich über den Landesheimatpreis 2021 in der Kategorie „Natürliche Heimat“: werden in den Gruppen durch konkretes Der Vorsitzende Ulrich Hering (3. v. l.) mit weiteren Aktiven des Vereins Arche Noah. eigenes Tun und Erfahren gewonnen. Nur so können Aha-Erlebnisse entstehen, uns allerdings vor Arbeit kaum retten. Hochwasserschutz – das sind auch für die über die Dauer der Kurse hinausreichen Unser neues Angebot wird bombig uns jetzt mit die wichtigsten Themen. und zu einem umweltbewussteren Ver- angenommen und wir freuen uns sehr Auch die Schulen sind hier sehr aktiv und halten im normalen Leben führen. Bei uns darüber. benötigen Angebote. Das Wichtigste ist findet man keinen erhobenen Zeigefinger, aber: Vor allem Kinder und Jugendliche verbunden mit der Botschaft: So musst du Sie überblicken zwei Jahrzehnte der sind sehr interessiert und wissbegierig bei das machen. Diese Erkenntnisse entwickelt Umweltbildung. Hat sich in Sachen diesem Thema. Viele Erwachsene sind bei uns jede und jeder für sich selbst. Umweltbewusstsein und Naturschutz dagegen noch spürbar zurückhaltender etwas gewandelt? als die Jüngeren. Ihr Konzept setzt stark auf die direkte Eindeutig ja. Wir spüren einen deutlichen Begegnung miteinander und mit der Rückenwind für unsere Arbeit. Das Haben Sie Pläne für die Zukunft? Natur. Das war in den vergangenen Bewusstsein für die Bedeutung von Jede Menge natürlich. So arbeiten wir Monaten oft nicht möglich. Wie sind Sie Umwelt- und Naturschutz ist viel größer gerade daran einen 2,5 Kilometer langen durch die Corona-Krise gekommen? geworden. Nachhaltige Entwicklung, „Eichhörnchen- und Klimapfad“ mit 12 Das ist natürlich eine schwere Zeit auch für die Bewahrung der natürlichen Vielfalt, Stationen im gleich an unser Gelände uns. Finanziell ist es ein Desaster, denn ein nachhaltiger Umgang mit Wasser: angrenzenden Wald zu verwirklichen. über einen langen Zeitraum hinweg hatten das sind die Themen, die wir weitergeben Da setzen wir auf moderne Mittel wie wir bis auf wenige Ausnahmen keine Ein- wollen und diese Inhalte kommen an. QR-Codes, aber auch ein Begleitheft und nahmen. Wir haben diese Zeit aber auch ein Quiz soll es leicht machen, Spaß zu dazu genutzt, um aus Teilen unseres Pro- Hat das auch etwas mit den immer haben und dabei zu lernen. Persönlich gramms Online-Angebote für Schulen spürbarer werdenden Folgen des arbeiten meine Frau und ich daran, lang- zu entwickeln. Viele Inhalte haben wir so Klimawandels zu tun? sam in die zweite Reihe zu rücken. Wir umgearbeitet, dass man sie auch zuhause Ja, der Klimawandel und die damit zu- bleiben dem Förderverein im Ehrenamt oder in der Schulklasse nutzen kann. Jetzt, sammenhängenden Themen – seine Aus- erhalten, aber wir wollen in unserem Alter wo auch in NRW viele Schulen endlich wirkungen auf Lebensräume, Pflanzen und langsam sehen, dass wir anderen den wieder nach draußen drängen, können wir Tiere oder Aspekte wie der ökologische Vortritt lassen. 13
p N AT U R S C H U T Z Z E N T R U M ARCHE NOAH IN MENDEN Vielfältiges Kursprogramm Das Kursangebot ist äußerst vielfältig und richtet sich an fast alle: Es reicht vom Nistkastenbau für Insekten und Vögel bis zu Informa- tionen über die Klimanot der arktischen Eisbären. Kurse wie „Bino die Wildbiene“, „Richard der Regenwurm“ oder „Wassermonster, jede Pfütze zählt“ führen Kita-Kinder in die lebendige Vielfalt vor ihrer Haustür ein. Jugendliche können ihren ökologischen Fuß- abdruck ermitteln oder etwas über erneuerbare Energien und nach- haltige Forstwirtschaft lernen, Erzieher und Lehrer finden in den Arche-Kursen das Rüstzeug für den Unterricht zu Nachhaltig- keits-Themen, etwa zu gesunder Ernährung oder ökologischem Hochwasserschutz. Über die fast zwei Jahrzehnte als Naturschutzzentrum hat sich das Gelände des stillgelegten Freibades auch mit finanzieller Unter- stützung der NRW-Stiftung zu einem ansehnlichen Natur-Erlebnis- und „Forschungszentrum“ entwickelt. In dreijährigen Umbau- arbeiten wurden bis 2006 aus Umkleidekabinen Schulungsräume, aus Kiosken Büros und eine Küche, und im einstigen Technikraum Fotos: Werner Stapelfeldt findet sich heute eine gut ausgestattete Werkstatt. Text: Thomas Krumenacker Erleben, Selbermachen und Mitmachen Das Freibadgelände an einem ehemaligen Stausee erweist sich B LICK PU N KT dazu als idealer Standort. Ein 4.500 Quadratmeter großer Teich mit eigener Unterwasser-Beobachtungsstation, Misch- und Auwald, in dem sich sogar manchmal der seltene Schwarzstorch blicken Für seine innovative Arbeit erhielt lässt, ein Bach, Blumenwiese, Bauerngarten und Sinnespfad: die Arche zahlreiche Preise. Gerade Auf 3,5 Hektar findet sich lebendige Natur, die zu erleben andern- wurde sie mit dem Heimatpreis orts lange Wege erfordert. Um mehr über die Besonderheiten des Landes NRW in der Kate- jedes einzelnen dieser Lebensräume zu lernen, gibt es spezielle gorie „Natürliche Heimat“ aus- Kursangebote. Alle nach dem Dreiklang aus „Erleben, Selber- gezeichnet. Im vergangenen machen und Mitmachen“ konzipiert. Die Macherinnen und Macher Jahr erhielt die Arche den haben sich dazu passend einen Leitspruch für ihre Arbeit beim #beebetter-Award für ihr Wild- chinesischen Philosophen Konfuzius geborgt: „Sagst du es mir, bienen Programm. Auch eine so vergesse ich es. Zeigst du es mir, so merke ich es mir vielleicht. Auszeichnung als vorbildliche Lässt du mich teilhaben, so verstehe ich es“, lautet der Leitspruch Initiative durch die UN-Dekade zur des Vereins. Biologischen Vielfalt fehlt nicht in der Sammlung. Oben: Obst, frisches Gemüse und Kräuter stammen in www.arche-menden.de der Arche natürlich aus eigener Produktion. Unten: Der Auwald lädt junge Forschende zur Naturerkundung ein und lockt sogar den seltenen Schwarzstorch an. 14 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
M Ä R C H E N B R U N N E N W U P P E R TA L p EIN BRUNNEN VOLLER MÄRCHEN Der gestiefelte Kater ist wieder da. Er hat auch gleich Reineke Fuchs, König Nuss- knacker und den schlauen Igel „Swinegel“ mitgebracht. Und dieses Mal wollen sie bleiben. Die vier Figuren machen den Märchenbrunnen im Herzen des Wupper- taler Zooviertels wieder komplett. D er Märchenbrunnen erzählt seit 1897 acht Geschichten. Vier von ihnen sind vermutlich während des Ersten Welt- krieges verloren gegangen. Aschenputtel, Dornröschen, Rotkäppchen und Schneewittchen hingegen sind der Stadt an der Wupper treu geblieben. „Der Brunnen hat für die Menschen im Viertel eine große Bedeutung. Er ist Ruhe- und Zufluchtsort zugleich", sagt Reinald Schneider vom Bürgerverein Sonnborn- Zoo-Varresbeck 1888. Das Denkmal an der Kreuzung Jaeger-, Wotan-, Donar- und Baldurstraße ist das Markenzeichen des Dirk Schwachulla-Feuser Zooviertels. Seit vielen Jahren macht sich der Bürgerverein für den Brunnen stark. Die Mitglieder haben das trocken gelegte Der Märchenbrunnen im Wuppertaler Zooviertel hat für Denkmal mit Hilfe vieler Spenden 2011 nicht nur zum Sprudeln viele Kinder und Erwachsene eine besondere Bedeutung. gebracht. Der Verein hat auch dafür gesorgt, dass die verschwun- denen Märchenfiguren ihren Weg zurück nach Wuppertal finden. 3D-Drucker und Gussverfahren Auch wenn die Initiative die verschollenen Originale aus Kupfer und Bronze nicht mehr auftreiben konnte, so ist sie mit dem Ergebnis doch sehr zufrieden. Denn die Motive wurden den echten Figuren nachempfunden. Mit Hilfe alter Fotografien hat ein Unter- nehmen aus Mülheim an der Ruhr den gestiefelten Kater und seine Freunde per Computer so originalgetreu wie möglich rekon- struiert. Die Gussvorlagen für die Figuren entstanden im 3D- Drucker. Mit ihnen konnten Kater, Fuchs, Igel und Nussknacker schließlich aus Aluminium gefertigt werden. Seit Ende August EGO 3D zieren sie den Märchenbrunnen. „Schon als der gestiefelte Kater im Mai zum ersten Probesitzen vorbei kam, waren wir richtig begeistert“, sagt Reinald Schneider. B LICK PU N KT Initiative vereint märchenhafte Figuren Mit finanzieller Hilfe der NRW-Stiftung konnte der Der märchenhafte Brunnen wurde einst von den Zooviertel- Bürgerverein Sonnborn-Zoo- Architekten Rudolf Hermanns und Kuno Riemann entworfen und Varresbeck den Märchen- mit den Märchenszenen des Kölner Bildhauers Wilhelm Albermann brunnen im Wuppertaler gestaltet. Am 13. November 1897 wurde er schließlich mit einem Zooviertel wieder sprudeln feierlichen Akt als Geschenk an die Stadt Elberfeld übergeben. und die fehlenden Figuren Mehr als 120 Jahre später haben engagierte Wuppertaler und rekonstruieren lassen. Wuppertalerinnen alle Figuren wieder vereint. www.buergerverein.net Text: Hannah Blazejewski 15
p DIE H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W Die von der Erft verwüstete Innenstadt von Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen. Betroffen war hier auch das von der NRW- Stiftung geförderte Apothekenmuseum (im Hintergrund des Bildes, rechts neben dem roten Eckhaus). HILFE FÜR PROJEKTE IN NOT picture alliance/dpa/B&S/- Im Juli 2021 führten extreme Regenmengen zu verheerenden Überflutungen in Teilen von Nordrhein- Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Nachrichten über Todesopfer, eingestürzte Häuser und verwüstete Straßen wurden auch bei der Nordrhein-Westfalen-Stiftung mit Betroffenheit aufgenommen. Besondere Sorge galt hier den ehrenamtlichen Initiativen, deren Förderprojekte empfindliche Schäden oder sogar schwere Zerstörungen zu verzeichnen hatten. Für solche Fälle legte die NRW-Stiftung ein Sofort- hilfeprogramm im Umfang von einer Million Euro auf, weitere 160.000 Euro erbrachte ein Spenden- aufruf des Fördervereins. Bei Ortsbesuchen ließen sich der Stiftungspräsident sowie Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung die Situation überfluteter Projekte erläutern. Sie begegneten dabei Menschen, die sich auch weiterhin engagieren statt zu resignieren. 16 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
D I E H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W p Historischer Verein Stadt und Stift Essen e. V. Radio Essen Der überschwemmte Deilbachhammer in Essen-Kupferdreh – Drei tonnenschwere Hammersäulen wurden in die Fertigstellung des Projekts wurde verzögert, scheint aber der Flutnacht vom Deilbachhammer fortgeschwemmt. zum Glück weiter möglich. Eine davon fand sich in Duisburg wieder. D as Rote Haus in Monschau, die historische Apotheke in Bad Es hätte einen Verlust von 45.000 Euro bedeutet, wären die Münstereifel, der Wipperkotten in Solingen, die Muttenthal- hölzernen Kolosse nicht wiedergefunden worden. So aber kann bahn in Witten: Diese und viele andere vom Hochwasser in man die berechtigte Hoffnung hegen, dass sich künftig wie geplant NRW betroffene Stiftungsprojekte verteilen sich über einen Raum, die Hammerstiele zwischen ihnen bewegen werden, denn die der vom belgischen Grenzgebiet bis nach Westfalen reicht – von Wasserschäden haben den Deilbachhammer zwar zurückgeworfen, der Rur (ohne h) über Ahr, Erft und Wupper bis hin zur Ruhr (mit h). aber nicht vernichtet. Aus all diesen Gegenden trafen Anträge auf Soforthilfe bei der NRW-Stiftung ein, die im ersten Schritt jeweils 5.000 Euro bereit- Schleifkotten unter Wasser stellte, um zum Beispiel Reinigungsarbeiten, elektrische Installatio- nen oder die Anschaffung von Trocknungsgeräten zu finanzieren. Heftig verwüsteten die Wassermassen der Wupper zwei Partner- Selbst bei Projekten, die mit dem sprichwörtlichen blauen Auge projekte der NRW-Stiftung in der Klingenstadt Solingen. Für eines davongekommen sind, ist aber meist mehr zu tun. So blieb im davon – das Schleifermuseum im Balkhauser Kotten – war es „Roten Haus“, einem Museum für bürgerliche Wohnkultur in Mon- nicht die erste Katastrophe: Das 1962 eröffnete Museum fiel 1969 schau an der Rur, zwar die einzigartige Innenausstattung unbe- einer Brandstiftung zum Opfer, wurde danach aber originalgetreu einträchtigt, der Fabrikantensitz aus dem 18. Jahrhundert erlitt aber neu errichtet. Eigentümerin des Gebäudes ist die Stadt Solingen, dennoch Schäden bis hin zu Ausspülungen an einer Außenmauer. hingegen werden Museum, Kottenlädchen und Außenanlagen vom Schon die Begutachtung solcher Befunde kann einen erheblichen „Kuratorium Balkhauser Kotten“ betreut. Die Vorsitzende Nicole Kostenfaktor bedeuten. Molinari: „Die Flut hat uns auf den Stand Null zurückgeworfen. Mit massiven baulichen Schäden, einem verschlammten Trink- wasserbrunnen, ohne Heizung, ohne Strom wird es bis weit ins Verschüttete Loks, verschwundene Säulen Jahr 2022 dauern, bis wir wieder öffnen können. Es müssen die Ein Bild des Chaos bot das „Gruben- und Feldbahnmuseum“ in Gefache erneuert werden, Teile des Gebälks. Das Wasserrad, die Witten an der Ruhr. Das Museum, das auch unter der Bezeichnung Welle und sogar die gemauerten Grabenwände haben große „Muttenthalbahn“ bekannt ist, hat seinen Standort auf dem Schäden erlitten. Im Museum wirkte es, als habe ein Riese den Gelände der ehemaligen Zeche Theresia, wo ein Erdrutsch mehrere Kotten gepackt, durch den Schlamm gezogen, kräftig durchge- Lokomotiven verschüttete und die denkmalgeschützte Lokhalle schüttelt und fallen gelassen. Ich musste mit den Tränen kämpfen!“ teilweise zum Einsturz brachte. Die Spendenbereitschaft vieler Menschen, die das Muttental als Wiege des Ruhrbergbaus kennen, Auf dem Gelände der Zeche Theresia in Witten an der Ruhr war angesichts des Unglücksfalls ermutigend. Dennoch bleibt es gab es einen Erdrutsch. Besonders betroffen war das hier eine „Riesenaufgabe“, so Hannsjörg Frank vom Museumsverein, beheimatete „Gruben- und Feldbahnmuseum“. die beschädigten Fahrzeuge zu bergen, zu säubern und zu reparieren. Noch im Aufbau befindet sich der Deilbachhammer in Essen- Kupferdreh. Der Deilbach ist ein Zufluss der Ruhr, der über viele Jahrhunderte hinweg ein Hammerwerk antrieb, das 1985 unter Denkmalschutz gestellt wurde, zu diesem Zeitpunkt allerdings in einem eher beklagenswerten Zustand war. Inzwischen wird seit einigen Jahren daran gearbeitet, es als Teil der „Museumsland- schaft Deilbachtal“ zu reaktivieren. Drei Hammersäulen aus Eichenholz, jede anderthalb Tonnen schwer, lagen schon für den Einbau bereit, als die Juli-Flut sie einfach fortschwemmte. Robert Schermann 17
p DIE H O C H WA S S E R K ATA S T R O P H E I N N R W Michael Schütz Reinhard Schrage Unmittelbar nach der Flut stand der historische Der Wipperkotten: Nach Ablauf des Wassers Balkhauser Kotten in Solingen unter Wasser. begannen die Aufräum- und Reinigungsarbeiten. Die Wupper ist seit der Flut acht Meter näher an den Kotten Es wird sehr hohe Summen erfordern, die beiden Schleifkotten herangerückt, der Uferbereich hat sich verändert. Doch Molinari wiederherzustellen, die übrigens beide bewohnt sind und auf diese sagt: „Wir lassen uns nicht entmutigen, nutzen die Zeit, um im Weise daran erinnern, dass es bei der Beseitigung der Hochwasser- kommenden Jahr das zerstörte Museum mit einem neuen schäden zuallererst darum gehen muss, Menschen in Notlagen Museumskonzept wachzuküssen.“ zu helfen. Das steht nicht im Widerspruch zu dem Anliegen, Kultur- und Naturschätze zu retten, ohne die es kaum möglich wäre, sich Nicht weniger hart traf es den im frühen 17. Jahrhundert erstmals einer Region verbunden zu fühlen oder in ihr heimisch zu werden. erwähnten Wipperkotten. In seiner Eigenschaft als Doppelkotten Die NRW-Stiftung und ihr Förderverein betrachten die Wiederauf- ist er an der unteren Wupper der letzte seiner Art. Der sogenannte bauhilfe für geschädigte Projekte aus den Bereichen Kultur, Natur Innenkotten, der sich in privater Hand befindet, wird heute als und Heimat daher als eine Aufgabe von grundlegender Bedeutung. Wohnung, Atelier und Galerie genutzt. Im Außenkotten kann man hingegen zu bestimmten Terminen noch immer Klingen schleifen Ahr und Erft lassen. Von der Flut wurde die Gesamtanlage stark zerstört, die historische Ausstellung im Erdgeschoss des Außenkottens weit- Mit außerordentlicher Wucht wütete die Flut in der Eifel, insbeson- gehend vernichtet. Aufgeweichte Wände, verzogene Fenster und dere an der Ahr, die im nordrhein-westfälischen Blankenheim Türen sowie weggerissene Abdeckungen gehören mit zur ver- entspringt, später lange durch Rheinland-Pfalz fließt, um schließlich heerenden Bilanz. Das nahegelegene Wehr in der Wupper wurde im Stadtgebiet Sinzig in den Rhein zu münden. Nicht weit entfernt offenbar ebenfalls beschädigt. von der Ahrquelle beginnt außerdem die knapp 107 Kilometer lange Erft ihren Lauf, die sich am 14. Juli ebenfalls in einen tobenden RENATURIERUNG ALS HOCHWASSERSCHUTZ Sintflutartige Regenfälle sind das eine – die schwemmungen umgehen können. Wo Stiftung ist hier Eigentümerin von 165 Wasserläufe, in denen sie sich sammeln, solche artenreichen Auen noch existieren, Hektar Land sowie von Haus Bürgel das andere. Kanalisierte Flüsse, die mit tragen sie zur Zurückhaltung (Retention) (vgl. S. 9 in diesem Heft), das auch die hoher Geschwindigkeit durch betonierte von Wassermassen bei und vermögen zuständige Biologische Station beherbergt. Flächen strömen, sind bei steigenden deren Fließgeschwindigkeiten erheblich zu Pegeln nur schwer daran zu hindern, bremsen. Ein Paradebeispiel dafür bietet Auen und Retentionsflächen werden von Häuser oder sogar ganze Orte zu über- das Naturschutzgebiet Urdenbacher Kämpe der NRW-Stiftung auch in anderen Landes- fluten. Natürliche Flusslandschaften bieten zwischen Düsseldorf und Monheim, das zu teilen unterstützt, in Westfalen etwa an hingegen Lebensräume für Pflanzen und den letzten regelmäßig überfluteten Auen der Berkel, die bei Billerbeck im Münster- Tiere, die mit regelmäßigen Über- des oberen Niederrheins gehört. Die NRW- land entspringt und nach 114 Kilometern 18 Werner Stapelfeldt Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2021/22
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