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Denkmalpflege in Niederösterreich Musikgedenkstätten in Niederösterreich Wo Musik entsteht Band 63 – Wo Musik entsteht. Musikgedenkstätten in Niederösterreich Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 11 /2020 Österreichische Post AG MZ02Z032683M Amt der NÖ Landesregierung Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten Band 63 www.noe.gv.at
Vorwort Das Jahr 2020 steht musikalisch ganz im Zeichen des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens. Ein willkommener Anlass, den Fokus der vorliegenden Ausgabe der „Denkmalpflege in Niederösterreich“ auf die Orte der Erinnerung an diesen Jahresregenten sowie auf die zahlreichen Musikgedenkstätten in unserem Bundesland zu richten. Die Landschaften und Orte, deren Inspiration das Musikgenie Beethoven bereits vor über 200 Jahren zu schätzen wusste, bilden den idealen Rahmen, um Gedenkstätten näher zu betrachten. Beethoven verbrachte in Niederösterreich seine Sommerfrischen, andere bedeutende Komponisten wiederum stammen aus Niederösterreich oder sind eng mit Bauwerken in unserem Land verbunden. Die Geschichte dieser Häuser, ihr Bezug zu den Musikschaffenden sowie ihre denkmalpflegerischen Herausforderungen sind Thema dieser Broschüre. Erinnerungsstücke an Musikerinnen und Musiker sowie Zeugnisse ihres Schaffens sind aber auch in den Archiven der Stifte zu finden oder im noch jungen Archiv der Zeitgenossen in Krems. Und nicht zuletzt sind es die Aufführungsorte, wie das Schlossareal in Grafenegg, eine der bedeutendsten Konzertspielstätten des Landes Niederösterreich, wo die Musik als wichtigste Erinnerungsform zum Klingen gebracht wird. Wir Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher können uns glücklich schätzen, über ein so bedeutendes musikhistorisches Erbe zu verfügen. Ich lade Sie herzlich ein, unternehmen Sie mit dieser Broschüre eine Reise zu Stätten der Musik und gewinnen Sie dabei spannende Einblicke in das Leben und Wirken faszinierender Musikerinnen und Musiker in Niederösterreich. Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau von Niederösterreich
Editorial Musikgedenkstätten in Niederösterreich Wo Musik entsteht Von Zeit und Raum, von Musik und Baukunst Musik ist eine flüchtige, die Erdenschwere fliehende Kunst, die nur innerhalb jenes Phänomens existieren kann, das wir ZEIT nennen. Ganz im Gegenteil dazu die Baukunst, die den RAUM als Vorbedingung ihres erdgebundenen Seins braucht. Niederösterreich ist gesegnet mit historischen Bezugspunkten der großen europäischen Musikgeschichte. Wir finden sie in Form von Gedenkstätten, die nicht nur Orte der Erinnerung und des Gedächtnisses, sondern auch beeindruckende Werke der Baukunst sind. Das Schloss Atzenbrugg, in dem Franz Schubert und sein Freundeskreis sich aufhielten. Das Haydn Geburtshaus in Rohrau, das zum 280. Geburtstag von Michael Haydn renoviert und wiedereröffnet wurde und seit 2017 Zentrum der „Haydnregion Niederösterreich“ ist. Das Beethovenhaus Baden, Schloss Wasserhof in Gneixendorf bei Krems, wo Beethoven weilte, und Beethovens Aufenthaltsorte in Mödling. Beethovens elf „Mödlinger Tänze“ aus dem Jahr 1819 sind Ausdruck seiner Liebe zu Region, Landschaft und Kultur. Den „dringenden Bitten einer aus sieben Mitgliedern bestehenden Musikgesellschaft“ folgend, die im Gasthof „Zu den drei Raben“ in der „Vorderen Brühl“ bei Mödling „zum Tanz zu spielen pflegten“, schrieb er – obwohl bereits völlig taub – Tanzmusik für sieben Streich- und Blasinstrumente. Musikgedenkstätten bewahren nicht nur den historischen Kanon der Musik. Sie fördern ganz besonders auch eine lebendige, zeitgenössische Musik- und Konzertpraxis und werden so zu „Erinnerungsorten der Zukunft“: Zukunft wie etwa im Park um Schloss Grafenegg, wo mit zeitgenössischer Architektur in Form des „Wolkenturms“ ein klanglich hervorragender, von Musikern und Publikum gleichermaßen geschätzter, einzigartiger Veranstaltungsort entstanden ist. In diesem Sinne: Christian Knechtl
Wo Musik entsteht Musikgedenkstätten in Niederösterreich Eva Maria Stöckler Mella Waldstein „... warum den Augenblick nicht ergreifen, da er Hausgeschichten 43 so schnell verfliegt ...“ Musik an Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Niederösterreich 6 Gerd Pichler Über den Umgang mit Klangdenkmalen Ulrike Scholda in der Denkmalpflege 46 Begegnung mit Beethoven in Baden 11 Karoline Pilcz Restaurierbeispiel „Ein Kleines Haus allda …“ Beethoven und seine Mödlinger Wohnstätten 15 Gert Hecher Die Restaurierung des Hammerflügels von Andreas J. Hirsch Conrad Graf aus dem Beethovenhaus in Baden 48 Ludwig van Beethoven in Gneixendorf Der Auftakt zum Finale 19 Blick über die Grenzen Denkmalpflege International Michael Linsbauer „Zum Haydn“ – das Haydn Geburtshaus Rohrau Maria Rößner-Richarz Wo Beethovens Lehrer das Licht der Welt erblickte 22 Das Beethoven-Haus in Bonn 130 Jahre Denkmalpflege im Zeichen Eva Zeindl Ludwig van Beethovens 50 Schloss Atzenbrugg Franz Schubert und sein Freundeskreis 26 Aktuelles aus der Denkmalpflege in Niederösterreich 54 Anja Grebe und Ulrike Wagner Beethoven und das Musikerbe Niederösterreichs 29 Wir stellen vor: Dr. Christoph Bazil, Präsident des Bundesdenkmalamtes 58 Christian Heindl Das Bewahren der Gegenwart Buchempfehlungen 59 Das Archiv der Zeitgenossen und die Ernst Krenek Institut Privatstiftung 33 Ausstellungsempfehlung 60 Alfred Benesch Überblick Musikgedenkstätten in Niederösterreich 61 Gedenk-Kultur-Stätten der Musik und Gartenkunst am Beispiel Grafenegg 36 Literaturhinweise 62 Alfred Willander Mozart in Niederösterreich 40
„... warum den Augenblick nicht ergreifen, da er so schnell verfliegt ...“ Musik an Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Niederösterreich Eva Maria Stöckler Musik ist eine flüchtige Kunst. Sie entsteht im dem Vergessen zu bewahren und für die Zukunft Augenblick, bleibt für einen kurzen Moment im festzuhalten. Musik manifestiert sich mehr als Gedächtnis derer, die sie erfinden, spielen und jede andere Kunstform nicht in ihrem Medium hören, und entschwindet in die Erinnerung, in die selbst – sie erklingt und verklingt –, sondern im Vergangenheit, in das Vergessen. Manches lässt sie Gedächtnis, an Orten der Erinnerung und in die Zeit überdauern, geschriebene Noten gehö- Gedenkstätten, wie sie zahlreich im Bundesland ren ebenso dazu wie schriftliche Berichte über Niederösterreich zu finden sind. Komponistinnen und Komponisten sowie über Musik und ihre Aufführung. Instrumente, Auf- Gedenkstätten – Erinnerungsorte nahmen, Objekte des täglichen Gebrauchs, aber – Gedächtnisspeicher auch die Aufführungspraxis, mündlich weitergege- Gedenkstätten, verstanden als „Erinnerungsorte“, bene Musiziertraditionen und nicht zuletzt Denk- sind als historisch-soziale Bezugspunkte prägend mäler, Museen, Sammlungen und Gedenkstät- für die Kultur des Erinnerns. Sie sind nicht nur ten versuchen Teile dieser flüchtigen Kunst vor symbolisch gemeint, sie sind auch geographisch Randhartinger-Denk- mal in Ruprechtshofen 6
Vergangenheit, als Stätten der Produktion, Überlie- ferung und Bewahrung von Geschichte. Dabei ist nicht wichtig, welche Bedeutung ihnen zum Zeit- punkt der Schaffung zugeschrieben wurde, sondern welche Aneignungsprozesse, Adaptierungen und Neuzuschreibungen sie im Laufe der Zeit erfah- ren haben. Archive, Sammlungen, Museen, Jah- restage, Nachrufe werden – herausgelöst aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang – damit zur Rekonstruktion vergangener Lebenswelten und Identitäten. Daraus entsteht jedoch eine besondere Pro- blematik. Mit den Erinnerungsorten sind auch spezifische Erinnerungskulturen verbunden, die von nationalen Strategien des Wissens, von Poli- tik und Macht überformt sein können, wenn etwa Gedenkjahre kommerzialisiert und instrumenta- lisiert werden. Wenn wir uns heute darum bemü- hen, Gedenkstätten, Museen und Denkmäler zu errichten und zu erhalten, muss uns bewusst sein, dass dies nie die Vergangenheit als solche bewahrt, sondern die Vergangenheit, wie wir sie uns heute vorstellen. Dabei besteht die Gefahr, bestimmte gesellschaftliche Gruppen als Mitgestalter des kol- lektiven Gedächtnisses auszublenden oder nur einen kleinen Ausschnitt des kulturellen Lebens als kulturellen Kanon weiterzutragen. Daher ist es notwendig, im Umgang mit Gedächtnistraditionen inhaltlich und institutionell pluralistisch und vielschichtig zu agieren und die Medien der Erinnerung – Gedächtnisspeicher wie Bibliotheken, Archive, Museen oder auch digitale Medien – sowie damit zusammenhängende Kom- munikationsprozesse, Schnittstellen und Netzwerk- strukturen mit zu reflektieren. lokalisierbare Orte, die wie andere „Erinnerungs- Dieser Weg wird im Bundesland Nieder- orte“ über eine identitätsstiftende, symbolisch auf- österreich beschritten, indem Gedenkstätten geladene Bedeutung verfügen. nicht nur den etablierten musikalischen Kanon Mit dem Verlust historischer Traditionen bewahren, sondern auch das regionale historische in modernen Gesellschaften wird das sogenannte Musikleben. Gleichzeitig werden hier Strukturen „kollektive Gedächtnis“ zu einer kollektiven Vor- geschaffen, die auch zeitgenössisches Musikleben stellung von Vergangenheit. Dieses kollektive sowohl als lebendige Musik- und Konzertpraxis als Gedächtnis manifestiert sich in bewusst geschaf- auch in der Sammlung, Bewahrung und wissen- Pleyel Kulturzentrum fenen „Erinnerungsorten“ wie Gedenkstätten und schaftlichen Aufarbeitung fördern, sodass daraus Ruppersthal Denkmälern als symbolische Repräsentationen der „Erinnerungsorte der Zukunft“ werden können. 7
Wolkenturm und Das trägt zur Selbstentdeckung und Neuentde- auch in Niederösterreich zahlreiche Orte seines Schlosspark Grafenegg ckung von kulturellen Regionen bei – wie dies Wirkens oder schlicht seines Aufenthaltes. etwa mit der Etablierung der Haydnregion Nie- Dazu gehören das Beethovenhaus in Baden, derösterreich gelungen ist – und verhindert, dass in dem etwa die Missa solemnis sowie große Teile der Blick zu sehr in der Vergangenheit verhaf- der 9. Symphonie entstanden sind, der anläss- tet bleibt. Die fortwährende konstruktive Ausei- lich des 100. Todestages im Jahr 1927 errich- nandersetzung mit der Praxis der Erhaltung von tete Beethoven-Tempel in Baden, das Hafnerhaus Gedenkstätten, Denkmälern und Museen stellt in Mödling, das ihm Erholungsstätte war, sowie sicher, dass diese Gedächtnisorte verschiedene Schloss Wasserhof in Gneixendorf bei Krems, „Erinnerungsgeschichten“ erzählen können und jener Ort, an dem Teile der Streichquartette op. damit Menschen nicht aus-, sondern im Sinne 130 und op. 135 entstanden sind. Sein Werk ist eines gesellschaftlichen Zusammenhalts mit ein- in den transnationalen, humanistischen, europä- zuschließen vermögen. ischen Kanon der Musik eingegangen. Die sen- sible Erhaltung der Gebäude gibt heute Raum für Musik an Gedenkstätten und Erinnerungsorten Musik und zahlreiche Einblicke in das Leben und in Niederösterreich Komponieren Anfang des 19. Jahrhunderts. Es überrascht nicht, dass der Jahresregent Lud- Einen ganz anderen Erinnerungsort stellt wig van Beethoven (1770–1827), dessen 250. das Haydn Geburtshaus in Rohrau dar, das 2016 Geburtstag Anlass zu dieser Publikation ist, am bis 2017 sorgfältig renoviert wurde und als zentra- Beginn einer Wanderung durch das Musikland ler Veranstaltungs- und Gedächtnisort der Haydn- Niederösterreich steht. Er war ein Komponist, der region Niederösterreich eine wichtige Funktion schon zu Lebzeiten das eigene Andenken bewusst im kulturellen Leben einer ganzen Region ein- inszeniert hat und zu einem unausweichlichen nimmt. Hier werden bewusst beide Brüder, Joseph musikalischen Referenzpunkt für die nachfolgen- (1732–1809) und Michael Haydn (1737–1806), den Generationen geworden ist. Er blieb zeitle- in den Blick genommen, um auch der großen bens ein Unsteter, seine vielen Wohnungswechsel historischen Bedeutung des jüngeren der Haydn- und Umzüge sind Legende, und somit finden sich Brüder gerecht zu werden, der mehr als 40 Jahre 8
lang musikalischen Dienst unter Salzburger Fürs- Hofkapellmeister zu Wien. Wird Albrechtsbergers terzbischöfen versah. heute in und um Klosterneuburg gedacht, wid- Abschriften seiner Kompositionen (und vie- met Benedict Randhartinger ein von engagierten ler anderer Komponisten) werden in den zahlrei- Bürger*innen getragener Verein zahlreiche kultu- chen in Niederösterreich noch existenten Kloster- relle Aktivitäten. Beiden Komponisten gemein ist, musikarchiven aufbewahrt, die in ihren Beständen dass sie zu ihrer Zeit höchstes Ansehen genossen, zu den wichtigsten Überlieferungsorten der nie- ihre Werke häufig und gerne gespielt wurden, sie derösterreichischen Musikgeschichte zählen, zumal aber heute einem breiten Publikum nahezu unbe- sich über die Klöster ein reger internationaler, kannt wären, würden sich nicht Initiativen um ihre musikalischer Austausch – Noten, Instrumente, musikalische Überlieferung kümmern. Musiker – entwickelte. Ein ähnliches Schicksal – wenngleich mit Auch Wolfgang Amadé Mozart (1756– weitaus größerer internationaler Wirkung – ist 1791), neben Haydn und Beethoven der dritte der auch Ignaz Joseph Pleyel widerfahren, der bis „Wiener Klassiker“, hat bei mehreren Reisen bzw. heute als einer der bekanntesten Komponisten und Besuchen seine Spuren in Niederösterreich hin- erfolgreichsten Konzertveranstalter, Klavierbauer terlassen. Eine davon führt zu dem in Stein gebo- und Musikverleger Frankreichs gilt. Der in Rup- renen Ludwig Alois Friedrich Ritter von Köchel persthal geborene Pleyel (1757–1831) galt als einer (1800–1877), Mineraloge, Botaniker, Musikfreund der meistgespielten Komponisten seiner Zeit – und und Autor des nach ihm benannten Mozart’schen wäre wohl in seinem Heimatort vergessen, wür- Werkverzeichnisses. den nicht auch dort engagierte Bürger*innen das Dass die Residenz- und Hauptstadt Wien Gedenken an Person, Werk und Überlieferung auf- einen ungeheuren Sog für musikalische Talente rechterhalten und sich um Museum, Gedenkstätte entwickelte, zeigt sich an Komponisten wie dem und die Aufführung seines Werkes in einem 2016 in Klosterneuburg geborenen Johann Georg eröffneten, höchst bemerkenswerten Konzertsaal Tonstudio von Albrechtsberger (1736–1809), Domkapellmeister bemühen. Max Brand in zu St. Stephan und an dem in Ruprechtshofen Musik braucht Orte, an denen Konzerte ver- Langenzersdorf geborenen Benedict Randhartinger (1802–1893), anstaltet werden können, an denen Erinnern an die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft mög- lich ist, und diese Orte brauchen nicht nur bauli- che Erhaltung, sondern auch lebendige kulturelle, musikalische Inhalte. Für solche sorgen etwa die seit 1960 bestehenden Serenadenkonzerte des Lan- des Niederösterreich, die Musik und ihre Schöpfer an Originalschauplätzen lebendig und hörbar wer- den lassen. Neben Gebäuden spielt auch die Natur eine wichtige Rolle, als Ort der Erholung und Sommer- frische wie Mödling oder Gneixendof für Beethoven oder als Aufführungsort wie Schloss und Schlosspark Atzenbrugg, Ziel zahlreicher Ausflüge und Ort der sogenannten „Schubertiaden“, unternommen von Franz Schubert (1797–1828) und seinem Freundes- kreis. Dass ein Park zum Ausgangspunkt eines zeit- genössischen Gedenkens werden kann, zeigt der Park rund um Schloss Grafenegg, in dem jedes Jahr 9
Auch Hugo Wolf (1860–1903) in Perchtoldsdorf, Arnold Schönberg (1874–1951) in Mödling, Franz Schmidt (1874–1939) und Josef Matthias Hauer (1883–1959) in Wiener Neustadt und Max Brand (1896–1980) in Langenzersdorf haben sich in die niederösterreichische Musiklandschaft eingeschrie- ben. Auch hier gilt es, neben der Wahrung der Erinnerung an den musikgeschichtlich das 20. Jahrhundert hell ausleuchtenden Arnold Schönberg den Fokus auf jene Komponisten – und Komponistinnen – zu legen, denen wir bis heute nachwirkende, aber oft unbekannte Errungen- schaften zu verdanken haben, wie Max Brand, dem Pionier der elektronischen Musik und Entwick- ler des Synthesizers, oder die dem Stift Klosterneu- burg eng verbundene Komponistin und Schülerin Anton Bruckners, Mathilde Kralik (1857–1944). Ausstellungsraum im ein Composer in Residence sich mit einem neu Auch die Geschichte der Tanz-, Operetten- Carl Zeller-Museum gepflanzten Baum in die Landschaft einschreibt. Vor und Unterhaltungsmusik spiegelt sich in nieder- St. Peter in der Au allem ist dort mit der beeindruckenden Architektur österreichischen Gedenkstätten wider: Das Carl des „Wolkenturms“ ein einzigartiger Veranstaltungs- Zeller-Museum in St. Peter in der Au zeigt einen ort entstanden. Einblick in Leben und Werk des Operettenkompo- Als besondere Form von Gedenkstätten sind nisten Carl Zeller (1842–1898), seinem Zeitgenos- jene Einrichtungen zu sehen, die sich der jüngsten sen Franz von Suppè (1819–1895) ist ein Gedenk- Musikgeschichte und der zeitgenössischen Musik raum in Gars am Kamp gewidmet. Sammlungen widmen, zumal diese Institutionen in einer Zeit wie die Sammlung Mailer/Strauss-Archiv der eingerichtet wurden, zu der in Niederösterreich Donau-Universität Krems mit einer umfangreichen bereits ein planvolles Herangehen an die kulturelle Noten- und Dokumentensammlung zur Musik der Überlieferung zu zukunftsträchtigen Entscheidun- Walzerdynastie Johann Strauss (Vater und Söhne) gen führte: Das Archiv der Zeitgenossen ebenso halten diese Tradition bis heute in Musikpraxis, wie die Ernst Krenek Institut Privatstiftung, beide Musikvermittlung und Musikforschung lebendig. untergebracht an der Donau-Universität Krems, Dass diese „Erinnerungsorte“ auch weiter- widmen sich als Archiv, Sammlung, musikwissen- hin lebendig bleiben können, ist Verdienst und schaftliche und musikvermittlerische Einrichtung bleibt Auftrag von Kulturpolitik und Öffentlich- bzw. Museum (Ernst Krenek Forum in Krems/ keit, sei es in der planvollen Entwicklung, Errich- Stein) der österreichischen N achkriegsmusik- tung und Erhaltung von Institutionen der Musik- geschichte, zu der neben Ernst Krenek (1900– überlieferung, Musikpraxis und Musikforschung 1991), Friedrich Cerha (*1926) oder Kurt oder der Wertschätzung und Förderung von priva- Schwertsik (*1935) auch der Verleger Alfred Schlee ten Initiativen. (1901–1999) gehören. Der „Componist“ Gottfried von Einem (1918–1996) bleibt in einem Gedenk- Das Zitat in der Überschrift stammt aus einem raum an seinem ehemaligen Wohnort im Wein- Brief Ludwig van Beethovens an Marie Bigot de viertler Ort Oberdürnbach lebendig, der zum Aus- Morogues vom 4. März 1807. gangspunkt und Veranstaltungsort für Konzerte und Vorträge geworden ist. 10
Begegnung mit Beethoven in Baden Ulrike Scholda Beethovengasse, Beethovendenkmal, Beethoven- Wie in Wien sind es in Baden zahlreiche Adressen, steg, Beethovenstein, Beethoventempel, Beetho- an denen sein Aufenthalt nachweisbar ist. Nicht venkino, Beethovenweg, Beethovenhaus, Beet- alle Gebäude sind heute noch erhalten. Das Haus hovenpraline – viel erinnert noch heute an die allerdings, in dem er in den Jahren 1821, 1822, zahlreichen Aufenthalte des großen Komponisten 1823 abstieg, ist heute als Beethovenhaus Baden Ludwig van Beethoven in der Kurstadt Baden. auch zu besichtigen. Im Zentrum Badens gelegen, Es gibt wohl keinen Ort außer Bonn und ist das heutige Beethovenhaus an der Ecke Rat- Wien, wo der Komponist, der heuer seinen 250. hausgasse 10/Beethovengasse ein Haus mit einer Geburtstag feiert, so viel Zeit verbracht hat. langen Vergangenheit. Zumindest 15 Sommer hat er sich in der Kurstadt Im Rahmen einer grundlegenden Sanierung Baden aufgehalten. Die Gründe dafür sind viel- 2013/2014 kam dank umfassender Bauforschung fältig. Baden war als Sommerresidenz von Kai- die bewegte Geschichte des Hauses seit dem Mit- ser Franz II. zu einer noblen Kurstadt gewor- telalter zutage. Ursprünglich war das Gebäude ein den. Beethoven nutzte die Schwefelquellen, traf gemeinsamer Komplex mit dem Haus Rathaus- Freunde, Bekannte und Förderer und unter- gasse 8 und wurde Ende des 17. Jahrhunderts in nahm lange Spaziergänge in der Umgebung. Wäh- zwei Häuser geteilt. Ausgehend vom spätmittelal- rend seiner Aufenthalte arbeitete er auch an neuen terlichen Kern wurde es erweitert und wiederholt Kompositionen. umgebaut. Beethovenhaus Baden, 2019 11
Schon 1872 hatte der Badener Männergesangsver- ein eine Marmortafel am Gebäude anbringen las- sen, die an die Aufenthalte des Komponisten und die 9. Symphonie erinnern sollte. 1938 wurde im Haus ein Gedenkraum eingerichtet, der nach dem 2. Weltkrieg wieder einmal wöchentlich zugäng- lich war. Nach Erwerb des Hauses durch die Stadt- gemeinde Baden im Jahr 1962 wurde statt der bescheidenen Schauräume eine zeitgemäße Beetho- vengedenkstätte im 1. Stock eingerichtet, die 1965 eröffnet und 1989 erweitert wurde. Im Erdge- schoß befand sich ein Souvenir- und Antiquitäten- geschäft. Im Jahr 2012 wurde die letzte Wohnung im Haus frei und eine grundlegende Sanierung in Angriff genommen. Schadhafter Verputz wurde abgeschlagen und ursprüngliches Mauerwerk frei- gelegt, wodurch Bauphasen und Veränderungen dokumentiert werden konnten. Im Rahmen der damit einhergehenden Bauforschung kamen neue Details zum Vorschein. Im ehemaligen Wohnraum Beethovens wur- den Wandmalereien entdeckt, die auf die Adap- Hammerklavier, Neben der Bausubstanz sind es die Bewohner und tierung der Räume zwischen 1808 und 1810 Conrad Graf, 1818 die Nutzung, die ein Haus prägen. Belegt sind als zurückgehen. Diese strahlen nun wieder in der Besitzer ein kaiserlicher Capellsinger, ein Kürsch- ursprünglichen Farbigkeit. Im Zuge der Entfer- ner, ein Maurermeister, ein Schlosser, ein Kupfer- nung des Sperrputzes und der Neuverputzung an schmied und schließlich ein Bäcker. Der erwähnte der Außenseite wurde auch die Fassadenfarbe ent- Kupferschmied und Landkutscher Johann Bayer sprechend der Befundungen neu gewählt, was und dessen Frau Ursula waren es, die das Haus von der Bevölkerung sehr unterschiedlich aufge- nach Erwerb im Jahr 1808 adaptierten und zur nommen wurde. Bis die alten Feuchtigkeitsschä- Vermietung für Kurgäste nutzten und so auch den ganz verschwunden sind, wird es noch eine Beethoven dreimal beherbergten. Zu dieser Zeit Zeitlang dauern. Parallel zur Sanierung wurde nahm er die Arbeit an der 9. Symphonie wieder ein neues inhaltliches Museumskonzept für das auf. Seit 1985 ist der vierte Satz der 9. die offizielle gesamte Gebäude entwickelt. Das Beethovenhaus Europahymne. Baden mit Schauräumen in drei Etagen und einem Das Haus wurde von der Tochter des Kup- Shopbereich im Erdgeschoß wurde im November ferschmieds 1874 dem Badener Unterstützungs- 2014 eröffnet. Verein vermacht, dieser verkaufte es in den 1880er In diesem in vielen Teilen original erhalte- Jahren. Rund 80 Jahre wurde es als Bäckerei nen Gebäude kann man Beethoven jetzt nicht nur genützt, was auch am hohen Rauchfang im hinte- in seinen ehemaligen Wohnräumen auf besondere ren Teil des Gebäudes zu erkennen war, der heute Weise begegnen und nachvollziehen, wie er seine nicht mehr existiert. Die „Schwarz- und Weissbä- Aufenthalte in Baden verbracht hat. Auch seinen ckerei“ Leopold Zinober erweiterte Anfang des 20. Kompositionen ist Raum gegeben und speziell der Jahrhunderts ihr Sortiment sogar durch die Pro- vierte Satz der 9. kann auf besondere Weise erlebt duktion von Feigenkaffee. werden. Guckkästen, szenische Inszenierungen, 12
barrierefrei zugänglich macht. 2018 war auch eine Dacherneuerung nicht mehr aufschiebbar. So wur- den von Herbst 2018 bis Frühjahr 2019 die alten Dachschindeln aus dem 20. Jahrhundert durch neue Holzschindeln ersetzt. Die Arbeiten, in deren Rahmen auch erneut Fassadenausbesserungsarbei- ten erfolgten, wurden bei laufendem Museumsbe- trieb durchgeführt. Um die Einschränkungen sowie die Schmutz- und Lärmbelästigung möglichst gering zu halten, war eine intensive Zusammenarbeit der Firmen mit der Museumsleitung notwendig. Das Gerüst wurde mit einem Fassadenbild verkleidet, das das Gebäude abbildete und so für entsprechende Wahrnehmung trotz Baustelle sorgte. Einen eigenen Schwerpunkt stellt bei histori- Beethoventempel Hörstationen und interaktive Stationen ermögli- schen Gebäuden auch das Raumklima dar. Klima- Baden, 1928 chen eine Annäherung an den Komponisten auf technische Einbauten wie in neuen Gebäuden sind vielfältige Weise. Die historische Substanz ist trotz meist nicht möglich, nicht finanzierbar oder nicht der zeitgemäßen Präsentation und des Einsatzes sinnvoll. Im Fall des Beethovenhauses Baden sind moderner Medien zu spüren. Die Besucher und die historischen Doppelkastenfenster noch vorhan- Besucherinnen, vor allem internationale Gäste, den, nicht aber die Beschattungen der damaligen sind von den „originalen“ Räumen begeistert und Zeit für die heißen Sommermonate. Dafür gibt es haben nach der Besichtigung das Gefühl, Beetho- eine später eingebaute Zentralheizung, die zwar ven begegnet zu sein. im Winter komfortabler als die früheren Öfen ist, Ein historisches Gebäude als Museum zu nüt- es aber erschwert, das richtige Raumklima für die zen, stellt eine besondere Herausforderung dar. musealen Ausstellungsobjekte zu erzielen. Zu kalt, Enge Stiegenhäuser und mehrere Ebenen sind mit zu warm, zu trocken, zu feucht: Das sind die stän- Barrierefreiheit nicht immer vereinbar. Im Beet- digen Sorgen bei der Klimakontrolle. Nach anfäng- Beethovenhaus hovenhaus Baden konnte ein Lift eingebaut wer- lichen Schwierigkeiten gelingt es nun, ein relativ Baden, 1894 den, der zumindest einen Teil der Räumlichkeiten stabiles und ausreichend feuchtes Raumklima zu erzeugen. Das ist vor allem für das bedeutendste Aus- stellungsstück, ein historisches Hammerklavier, von besonderer Bedeutung. Das Klavier stammt aus dem Besitz einer Badener Familie. Beethoven war dort zu Besuch und spielte dabei auch auf dem Instrument. Das Hammerklavier des Wiener Kla- vierbauers Conrad Graf aus dem Jahr 1818 stellt damit eines der bedeutendsten erhaltenen histo- rischen Instrumente aus der Zeit Beethovens dar. Seit 1895 ist es im Besitz der Stadt Baden und war seit vielen Jahren bereits im Beethovenhaus ausge- stellt. Es konnte noch für Konzerte genutzt wor- den, war aber seit 2014 aufgrund zahlreicher Schä- den nicht mehr bespielbar. Daher wurde 2018 das 13
erfahren ist, hatte der Komponist mehrere Aufent- haltsorte in Baden, darunter den Magdalenenhof in der Frauengasse, Schloss Braiten, die nicht mehr bestehende Eremitage im Schloss Gutenbrunn, das Johannesbad oder den Vorgängerbau des heutigen Sauerhofes. Ein eigener Schaukasten im Beethovenhaus dokumentiert seine Spaziergänge und Wanderun- gen in und um Baden. In der Natur fand er wohl auch oft seine Inspirationen. Im Helenental ist des- halb schon seit dem 19. Jahrhundert am rechten Ufer der Schwechat eine Gedenktafel an einem Fel- sen nahe der Cholerakapelle angebracht worden. Monumental ist der Beethoventempel im Kurpark, der anlässlich des 100. Todestages im Jahr Innenraum im Projekt „Beethoven erhören“ von der Abteilung 1927 errichtet wurde. Die treppenförmige Anlage Beethovenhaus Baden Museen der Stadt Baden initiiert mit dem Ziel, wurde vom Architekten Luksch geplant. Die Kup- den Flügel unter Rücksichtnahme der noch origi- pel wurde vom Maler Hans Lukesch mit einem nalen Teile zu restaurieren und dabei eine Spielbar- allegorischen Gemälde, das auf den Text in Beetho- keit zu erzielen, die dem Originalklang möglichst vens 9. Symphonie Bezug nimmt, ausgestaltet. Das nahe kommt. Bei der Restaurierung, die vom Bun- Fresko zeigt, wie Prometheus den Menschen das desdenkmalamt begleitet wurde, kamen historische Feuer und Licht bringt, dafür aber Qualen erleiden und adäquate Materialien zum Einsatz (s. auch S. muss als Allegorie auf Beethovens Taubheit. Ein 48f.). Mädchenreigen im Frühling stellt den jubelnden Das Projekt wurde von der Stadt Baden, dem Chor „An die Freude“ in der 9. Symphonie dar. Land Niederösterreich, dem Bundesdenkmalamt Anlässlich des heurigen Jubiläumsjahres wurde der sowie Sponsoren und privaten Spendern finanziert Tempel von der Stadtgemeinde Baden restauriert. und konnte erfolgreich mit einem großen Konzert So findet sicherlich jeder Baden-Besucher im November 2019 im Congress Casino Baden seinen persönlichen Beethoven-Lieblingsplatz, abgeschlossen werden – für die Stadt Baden wohl um dem berühmten Besucher Badens und seiner das schönste Geschenk zum 250. Geburtstag des Musik nahe zu sein. Komponisten im Jahr 2020. Bis 2021 ist das Inst- rument in der Ausstellung MYTHOS LUDWIG Beethovenhaus Baden VAN im Kaiserhaus Baden zu sehen und wird dort Rathausgasse 10, 2500 Baden auch für Kammerkonzerte genützt. Nach Ende www.beethovenhaus-baden.at der Ausstellung wird das Klavier wieder zurück ins Öffnungszeiten: Di bis So und an Feiertagen: Beethovenhaus Baden übersiedeln. 10.00 bis 18.00 Uhr Die Jubiläen des Komponisten wurden schon seit 1870 zum Anlass genommen, in der Ausstellung MYTHOS LUDWIG VAN Stadt Baden Feierlichkeiten zu veranstalten und (bis 2.5.2021) Denkmäler zu errichten. Eine kleine Sonderschau Kaiserhaus Baden berichtet darüber im Rollettmuseum Baden. Beet- Hauptplatz 17, 2500 Baden hoven kann man in Baden auch außerhalb der www.kaiserhaus-baden.at Museen auf Schritt und Tritt begegnen. Wie in Öffnungszeiten: Di bis So und an Feiertagen: den Ausstellungsräumen des Beethovenhauses zu 10.00 bis 18.00 Uhr 14
„Ein Kleines Haus allda …“ Beethoven und seine Mödlinger Wohnstätten Karoline Pilcz Im Jahr der 250. Wiederkehr des Geburtsta- Besuchern zugängliche Gedenkstätte beherbergt, ges des „Titanen“ Ludwig van Beethoven besinnt zum anderen den in Familienbesitz befindlichen sich die Stadt Mödling in besonderer Weise wie- Christhof, ein wunderbares Anwesen unweit des der auf ihren Status einer „Beethoven-Stadt“: fei- Hafnerhauses. ert sie doch nicht nur den Geburtstag des Meis- In den Musikgeschichten und Beethoven- ters, sondern auch die 200-jährige Wiederkehr Biographien findet Mödling, wenn überhaupt, seiner Mödlinger Aufenthalte in den Jahren 1818 wenig Beachtung, trotzdem spielte der Ort im bis 1820. Die Stadt würdigt den Komponisten, Leben Beethovens eine nicht unwesentliche Rolle, der Mödling besonders liebte, mit dem breitange- schuf er doch hier während drei Sommern einige legten Festival „Moving Beethoven“, welches auch seiner bekanntesten Werke, wie die Missa solem- das Mödlinger „Beethovenhaus“, das sogenannte nis op. 123, die er für sein bedeutendstes Werk Hafnerhaus, wieder mehr in den Fokus rückt. überhaupt hielt, die Diabelli-Variationen op. 120, Zwei von den drei Aufenthaltsorten Beet- die „große“ Sonate in B-Dur für Klavier op.106, hovens in Mödling sind bekannt, zum einen bekannt als „Hammerklaviersonate“, die Klavier- das sogenannte Hafnerhaus, das, im Herzen der sonate in E-Dur op. 109 und natürlich die „Möd- Stadt an der Durchfahrtsstraße gelegen, eine linger Tänze“ WoO 17. In Beethovens Briefen, in Hafnerhaus Mödling, Innenhof 15
seinen Konversationsheften und auch auf Kompo- Das Hafnerhaus ist ein prächtiges, für damalige sitions-Skizzen finden sich zahlreiche Einträge aus Mödlinger Verhältnisse recht großes Bürgerhaus und über Mödling, die vor allem auch seine Ver- aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Seine bundenheit mit dem Ort bezeugen. herrschaftliche Fassade mit den zwei Erkern zeugt In welchem Mödlinger Haus Beethoven im vom Wohlstand und der wirtschaftlichen Blüte Jahr 1818 logierte, ist bis heute unbekannt. Als Mödlings, der stimmungsvolle Hof ist mit Pfei- Beethoven am 12. Mai des folgenden Jahres nach lerarkaden ausgestattet. Zu Beethovens Zeiten war Mödling kam, bezog er eine kleine Drei-Zim- der Hafnermeister Jakob Tuschek, auch Duschek mer-Wohnung im ersten Stock des rechten, süd- oder Duscheck, Besitzer des Anwesens. Aus Doku- westlich gelegenen Hoftraktes des sogenannten menten des Bauamtes der Stadtgemeinde Mödling Hafnerhauses, heute Hauptstraße 79. Von Süden geht hervor, dass das Haus in den 1870er Jahren kommend überragt das imposante Gebäude die immer noch in Beitz der „Duscheks“ war. ansteigende Badstraße, heute eine vielbefahrene Bevor das Gebäude im 2. Weltkrieg in Durchzugsstraße; über einen Parkplatz blickt man Gemeindeeigentum überging – damals an die direkt zu Beethovens Fenstern. Das Haus selbst Gemeinde Wien, deren 24. Bezirk Mödling dürfte, vor allem auf der Gartenseite, heute ähn- war –, besaßen es zwei verschiedene Familien, lich aussehen wie vor 200 Jahren, die Nachbar- und es wurde vom Denkmalamt bereits als „Beet- schaft aber hat sich völlig verändert. Das Hafner- hovenhaus“ bezeichnet. Während des Krieges haus war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherbergte es nicht nur sieben Wohnungen, son- umgeben von anderen Gebäuden, die, wie damals dern auch Diensträume mehrerer nationalsozia- üblich, meist einen langgestreckten Garten gen listischer Organisationen. Mit dem Wiederaufbau Süden bis zum Mödling-Bach hatten, in dem ver- nach dem Krieg kam es in den 1950er Jahren zu mutlich Weinstöcke standen. einem radikalen Umbau der Fassade durch zwei Arbeitszimmer von Ludwig van Beethoven, Hafnerhaus Mödling 16
Hafnerhaus Mödling, Fassadendetail Geschäftslokale. Im Wesentlichen bewahrte das Achsenaugasse 6 zu betreten, vermeint man Haus sein Gesicht bis Ende der 1990er Jahre, erst sogleich in einer anderen Welt abseits der Hektik danach begannen in immer kürzeren Abständen der modernen Bezirks- und Schulstadt Mödling Geschäftslokal-Umbauten. zu sein. Am rechten Torpfeiler kündigt seit 1904 Natürlich wurden seit Beethovens Zeiten und eine Tafel von Beethovens Aufenthalt im Jahr vor allem seit Ende des Krieges Sanitäranlagen ein- 1820, am linken zeugt eine zweite Tafel vom ehe- gebaut. Der große Badstraßen-Durchbruch in den maligen Stiftsbesitz. Man betritt einen weitläufi- 1950er Jahren veränderte die Gartenseite des Haf- gen, mit weißem Kies betreuten Hof, zur Rechten nerhauses maßgeblich. Das Grundstück wurde ver- erstreckt sich ein langgezogenes Wohngebäude, kleinert und nach Osten hin durch den Abbruch zur Linken ein zweites, kleineres Gebäude; wei- mehrerer Gebäude „geöffnet“. 1970 wurde im Haus, ters gibt es ein „Stöckl“, ein zweigeschoßiges Gar- das jetzt im Eigentum der Stadtgemeinde Möd- tenhaus, sowie ein ehemaliges Brunnenhaus; der ling steht, die Beethoven-Gedenkstätte eingerich- Garten gleicht einem Park. Alles ist wunderbar tet, 1997 neu adaptiert und mit zeitgenössischen restauriert, mit hellem Anstrich versehen, äußerst Möbeln und Requisiten ausgestattet, sodass man gepflegt. Richtung Garten hin, nach Süden gele- meint, Beethoven habe eben erst seine Wohnung für gen, am Ende des rechten Gebäudes liegen die einen seiner ausgedehnten Spaziergänge verlassen. Zimmer, die Beethoven einst bewohnte. Diese bil- Außerdem finden sich hier Kopien von in Mödling deten damals eine kleine Gartenwohnung, über entstandenen Kompositionen und Autographen. eine Außenstiege und einen „Balcon“ zu errei- Verwaltet vom Bezirksmuseum, können die Räum- chen. Dieser „Beethoven‘sche“ Hausteil ist heute lichkeiten besucht werden. Teil eines Anwesens, das sich aus damals nicht Hat man das Privileg, durch das weiße zusammengehörenden, einzeln um einen Hof Holztor das Areal des Christhofes in der gruppierten Gebäuden zusammensetzt. Beethoven 17
Beethovenwohnung im mietete sich bei Johann Speer ein, der das Haus, heute den Christhof, der im 19. Jahrhundert Christhof, Mödling, das ein Wirtschaftshof war, 1819 erworben hatte. erweitert und umgebaut wurde. Die später dazu- 2020 Es lag damals nicht im Ortszentrum, sondern gebauten Hausteile verschmelzen mit den älteren außerhalb in der Achsenau, die Grundstücke hier sowie dem ursprünglichen Kern zu einem stimmi- waren schmal und langgezogen. Der heute park- gen Ganzen. ähnliche Garten war damals ein Weingarten. Beethovens Liebe zu Mödling ging so Das erste Mal urkundlich erwähnt wurde weit, dass er den Wunsch hegte, hier ein Haus der Christhof 1445, er gehört somit zu den ältes- zu erwerben. Wie Briefe bezeugen, hätte er den ten Gebäuden Mödlings. Der damalige Besit- Christhof gerne gekauft und interessierte sich zer zeichnete, wie die Familienchronik der jetzi- auch für andere Häuser. Es kam allerdings zu kei- gen Bewohner verrät, für den Namen „Christhof“ nem der Käufe. Ob der nicht sehr beliebte Beet- verantwortlich. Grundherr war das Stift Melk, hoven überboten oder übervorteilt wurde, erzählt das mehrere Gebäude in Mödling besaß. Immer die Geschichte nicht. Vielleicht aber war eben- wieder wechselte das Haus den Besitzer, dar- diese Zerschlagung seiner Hauskauf-Pläne der unter auch das Augustinerkloster Wien/Land- Grund dafür, dass er nach 1820 nie wieder nach straße, bis im 18. Jahrhundert erneut das Stift Mödling kam? Melk als Grundherr auftrat; erst 1785 ging das Haus endgültig in weltliche Hände über, wech- selte aber weiterhin in rascher Folge die Besitzer. 1819 erwarb es besagter Fabrikbesitzer Johann Speer, der Beethoven beherbergte. 1832 gelangten der Christhof sowie das Nachbargrundstück mit dazugehörigem Hof in Besitz des Druckfabrikan- ten Ferdinand Wallner, auch Wahlner; verschiede Zweige seiner Nachkommenschaft besitzen bis 18
Ludwig van Beethoven in Gneixendorf Der Auftakt zum Finale Andreas J. Hirsch Denkt man an das Leben eines Komponisten in das Schloss Wasserhof erworben hatte, stand es im Begriffen der Musik, stellt man es sich etwa in Besitz von klösterlichen Eigentümern – wie dem Gestalt einer Sonate vor, dann wäre Ludwig van Kloster Baumgartenberg und der Kremser Jesuiten Beethovens Aufenthalt in Gneixendorf wohl bereits – sowie zahlreicher Adels- und Bürgerfamilien. Der Teil des Finalsatzes. In diesen zwei Monaten in aus dem schlossartigen Hauptbau, Wirtschafts- dem kleinen Ort bei Krems an der Donau klingen gebäuden und Schüttkasten bestehende Komplex noch einmal die prägenden Motive aus Beethovens stammt in seinem Kern aus dem 17. Jahrhundert. letzten Lebensjahren an: das schwierige Verhält- Das Repräsentationsbedürfnis einer Grundherr- nis zum Neffen Karl, die Konflikte mit dem Bru- schaft im Barockzeitalter zeigt die aufwändige Fas- der Johann und dessen Frau, Beethovens längst kri- sadendekoration mit Lisenen und Bandlwerkstuck, tischer Gesundheitszustand und – wie all dem zum ein Repräsentationsbedürfnis, das wohl auch dem Trotz – die Vollendung seines kompositorischen als Apotheker in Linz zu Vermögen gelangten Spätwerkes. Johann van Beethoven nicht fremd war. Nach fast zweitägiger Reise traf Ludwig van Den eigentlichen Anlass zu der Reise nach Beethoven gemeinsam mit Karl am 29. September Gneixendorf bot jener Paukenschlag, der das 1826 nachmittags in Schloss Wasserhof in Gnei- Finale im Leben Beethovens eingeleitet hatte und xendorf ein, wohin ihn sein Bruder Johann ein- den bereits schwer Kranken schlagartig um Jahre geladen hatte. Ehe Johann van Beethoven 1819 hatte altern lassen: Am 6. August hatte Beethovens Schloss Wasserhof vor der Renovierung, Gneixendorf 19
knapp 20-jähriger Neffe versucht, sich mit zwei Memento mori machen.“ Aus diesem Vergleich des Pistolen auf der Burgruine Rauhenstein im Hele Ortes mit dem so gefürchteten Achsbruch auf einer nental bei Baden das Leben zu nehmen, jedoch nur Kutschenfahrt spricht nicht nur Beethovens Vor- eine nicht allzu schwere Kopfverletzung davon- liebe für Wortwitz, sondern auch das Aufbrechen getragen. Mit seiner Verzweiflungstat wollte Karl alter Konflikte zwischen dem seit Langem tau- sich aus der Umklammerung durch seinen Onkel ben und entsprechend misstrauischen Beethoven befreien, der seit dem Tod von Beethovens Bruders und seinen Verwandten: Die Spannungen mit dem Kaspar Anton Karl im Jahr 1815 sein Vormund Neffen nahmen wieder zu, als beide den nahen- war. Der versuchte Suizid zog polizeiliche Ermitt- den Abschied spürten. Karl sollte nach der Rück- lungen nach sich, in deren Verlauf Karl aussagte: kehr nach Wien zum Militär gehen, ein Platz in „Ich bin schlechter geworden, weil mich mein der Garnison in Iglau wartete schon auf ihn. Für Onkel besser haben wollte.“ Um Karl aus Wien Beethoven war dies das endgültige Scheitern sei- fortzubringen, damit die Haare über die Spu- ner verzweifelten Versuche, den Neffen mit seinem ren der Verletzung und Gras über die Sache wach- ambitionierten Erziehungsprojekt zum Ersatz für sen konnten, entschloss sich Beethoven, die knapp eine Familie zu machen, die er nie selbst gegründet zuvor noch energisch abgelehnte Einladung des hatte. Seine Liebe für so manche adelige Dame war Bruders nach Gneixendorf doch anzunehmen. für den bürgerlichen Beethoven aufgrund der Stan- Der Herbst in Gneixendorf verlief allerdings desschranken letztlich stets aussichtslos geblieben. nicht so idyllisch, wie es die damals wohl noch Auch wenn Johann und seine Frau Therese intakte Natur rund um Schloss Wasserhof verspro- sichtlich um das Wohlergehen ihres berühmten chen hätte. Beethoven schrieb dazu im Oktober Verwandten bemüht waren, führte der Aufenthalt 1826 an den Verleger Tobias Haslinger: „Sie sehen zum neuerlichen Aufflammen alter Familien- schon, dass ich hier in Gneixendorf bin. Der Name streitigkeiten. Dabei mag auffallen, dass sich die hat einige Ähnlichkeit mit einer brechenden Axe. von Johann ausgesprochene Einladung auf zwei Die Luft ist gesund. Über sonstiges muss man das Wochen kostenlosen Wohnens beschränkt hatte Schloss Wasserhof nach der Renovierung, Gneixendorf 20
Sonnenuhr, lagen nun bereits etwas zurück. Eine 1822 vom Schloss Wasserhof Fürsten Galitzin erbetene Serie von Streichquar- tetten war eigentlich fertig, als er zu seiner letzten Reise nach Gneixendorf aufbrach. Neben einem neuen Finalsatz für das Streichquartett in B-Dur op. 130 führte Beethoven dort seine letzte voll- ständige zyklische Komposition aus: das Streich- quartett in F-Dur op. 135, dessen Finale zu man- cher Mythenbildung Anlass geboten hat, findet sich doch dort die Satzüberschrift „Der schwer gefasste Entschluss“ und das musikalisch notierte Motto „Muss es sein? Es muss sein! Es muss sein!“. Beethoven löst hier nicht nur eines der von ihm so geschätzten Wortspiele musikalisch auf, er erhebt sich in seinen letzten – der Weiterentwicklung der Gattung „Streichquartett“ gewidmeten – Komposi- tionen erneut über die Niederungen des Irdischen, getreu seinem Motto: „Mir ist das geistige Reich das liebste.“ Den Finalsatz seines Lebens jedoch konnte Beethoven nicht mehr zur Gänze auf ein versöhnli- und Beethoven danach zahlender Gast im Haus ches Ende hinwenden. Nach einem heftigen Streit des Bruders war. Aus einer Notiz Karls im Konver- mit dem Bruder brachen Beethoven und Karl über- sationsheft seines Onkels – „Vor deinen Fenstern stürzt am Morgen des 27. November von Gnei- ist eine Sonnenuhr.“ – lässt sich die Lage von Beet- xendorf Richtung Wien auf. Auf der Rückreise hovens durchaus komfortablem, sonnigem Zimmer mit einem offenen Wagen, da der Bruder seine an der Südwestecke des Schlosses im ersten Stock geschlossene Kutsche nicht zur Verfügung gestellt folgern. Die erwähnte, bis heute erhaltene Sonnen- hatte, zog sich Beethoven eine Lungenentzün- uhr, ein im Grunde astronomisches Instrument, dung zu und traf todkrank in seiner letzten Woh- mag uns Beethovens Interesse am Sternenhimmel nung im Schwarzspanierhaus in der Alservorstadt als Inbegriff des Erhabenen in Erinnerung rufen. in Wien ein. Er erhob sich von seinem Kranken- Zu seinen Spaziergängen in das Umland von Gnei- lager nicht mehr und starb am späten Nachmittag xendorf brach Beethoven dem Vernehmen nach des 26. März 1827 während eines Gewitters. Sein allein auf und knüpfte damit an frühere Gewohn- Neffe Karl, den er in einer versöhnlichen Geste heiten an. Entlang des Schreiberbaches im Wiener zuletzt erneut als seinen Universalerben bestä- Vorort Heiligenstadt oder im Helenental bei Baden tigt hatte, hielt sich bei seiner Garnison in Iglau hatte der eng mit der Natur verbundene Kompo- auf und fehlte beim Begräbnis des Onkels, an dem nist, ausgerüstet mit Notizheft und Bleistift, oft im geschätzte 20.000 Menschen teilnahmen. Gehen gearbeitet. Knapp ein Jahrzehnt später verkaufte Johann Trotz der Spannungen und seiner gesund- van Beethoven Gneixendorf wieder. Rund 180 heitlichen Probleme, die sich auch durch den Jahre nach Ludwig van Beethovens Besuch auf Landaufenthalt nicht mehr besserten, fand er in Schloss Wasserhof in Gneixendorf erwarb im Jahr Gneixendorf Gelegenheit, sein Spätwerk zu voll- 2007 ein Architekt die im Verfall begriffenen Bau- enden. Die großen Erfolge seines letzten Lebens- werke und führte eine Generalsanierung durch, die jahrzehnts, die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie, 2015 erfolgreich zum Abschluss kam. 21
„Zum Haydn“ – das Haydn Geburtshaus Rohrau Wo Beethovens Lehrer das Licht der Welt erblickte Michael Linsbauer Beethoven und Haydn trafen vermutlich das erste Der Unterricht Beethovens bei Haydn Mal aufeinander, als Haydn auf dem Weg nach wird in den historischen Erzählungen in unter- London 1790 in Bonn Station machte. Einen Tag schiedlichem Licht beleuchtet: Einerseits wird nach seiner Ankunft am 25. Dezember brachte von einer immensen Unzufriedenheit des Schülers die Hofkapelle in Anwesenheit Haydns eine seiner mit Haydns Unterrichtsmethoden und Lehrerfol- Mesen zur Aufführung. Später, als Haydn 1792 auf gen berichtet, andererseits dürfte auch Beethoven dem Rückweg von London war, machte er erneut schon in jungen Jahren aufgrund seines aufbrau- Halt in Bonn. Es wird berichtet, dass Beethoven senden Charakters nicht der einfachste Schüler dem berühmten Haydn bei einem Frühstück, das gewesen sein. Andere Quellen belegen jedoch eine ihm das kurfürstliche Orchester in Bad Godes- eindeutige gegenseitige Wertschätzung zwischen berg ausrichtete, eine Kantate vorlegte. Daraufhin Lehrer und Schüler. So erwähnt Haydn seinen ermutigte Haydn den jungen Beethoven, seine Stu- Schüler Beethoven etwa als seinen „lieben, mir gnä- dien unbedingt fortzusetzen, und bot ihm an, ihn dig anvertrauten Schüler“ und dass „Kenner und auf seine nächste Englandreise mitzunehmen. Zwar Nicht-Kenner aus gegenwärtigen Stücken unpar- wurde aus diesem Vorhaben nichts, doch war Beet- theyisch eingestehen müssen, dass Beethoven mit hoven nun fest entschlossen, nach Wien zu ziehen, der Zeit die Stelle eines der größten Tonkünstler in um bei seinem Vorbild Haydn Kompositionsunter- Europa vertreten werde, und ich werde stolz seyn, richt zu nehmen. mich seinen Meister nennen zu können“. Im Jahre Haydn Geburtshaus, Innenhof, Rohrau 22
kommentierte: „Sieh, lieber Hummel, das Geburts- haus von Haydn, eine schlichte Bauernhütte, in der ein so großer Mann geboren wurde.“ Diese Episode hat der Künstler Horst Stein in seiner Gra- fic Novel, die seit 2017 im Haydn Geburtshaus zu sehen ist, auf ironische Art und Weise aufgegriffen und zu Papier gebracht. Die Anekdote von der „schlichten Bauern- hütte“ prägt bis heute die Vorstellung der Besu- cherinnen und Besucher sowie der Haydnfans und vermittelt den Eindruck einer ärmlichen Kindheit der Geschwister Haydn, der so nicht bestätigt wer- den kann. Mathias Haydn, der Vater von Joseph (1732–1809) und Michael Haydn (1737–1806) ließ das Haus im Jahr 1728 erbauen. Er war zum einen ein angesehener Wagnermeister, zum ande- Haydn Geburtshaus, 1794 endete Beethovens Unterricht bei Haydn, als ren Marktrichter von Rohrau. Anna Maria, seine Außenansicht, Rohrau dieser seine zweite Englandreise antrat. Frau, war Köchin im Dienst der Familie Harrach Etwa 60 Jahre zuvor erblickte Joseph Haydn in Schloss Rohrau. Auch die überlieferte Musikali- und einige Jahre später sein Bruder Michael im tät der Eltern – Mathias Haydn spielte Harfe und niederösterreichischen Markt Rohrau das Licht seine Frau soll eine wunderschöne Singstimme der Welt. Damals ahnte wohl niemand, dass gehabt haben – spricht für einen Lebensstil, wie beide Brüder als Komponisten Weltruhm erlan- man ihn sich in einer „ärmlichen Bauernhütte“ gen sollten. Für die Wertschätzung Beethovens für nicht vorstellen würde. Joseph Haydn spricht unter anderem, dass er eine Schon ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- Lithografie eben jenes Geburtshauses in Rohrau derts, einige Jahre nach dem Ableben von Joseph Haydn Geburtshaus, besaß, die ihm 1827 überreicht wurde, und die und Michael Haydn, entwickelt sich das Gebäude Büste im Innenhof, er noch am Totenbett gegenüber seinem Kompo- zur musikhistorischen Pilgerstätte. Im Jahr 1899 Rohrau nistenkollegen Hummel mit folgenden Worten zerstörte ein verheerender Brand das Haus bis auf die Grundmauern, in der Folge wurde das ursprüngliche Schilfdach zunächst durch ein neues Ziegeldach ersetzt. Eine Musikergedenkstätte wurde bereits 1930 angedacht, zwei Jahre vor den Gedenkfei- ern zum 200. Geburtstag Joseph Haydns, als das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde. Im Jahr 1958 erwarb das Land Niederösterreich die Liegenschaft und eröffnete sie 1959 anlässlich des 150. Todestages Joseph Haydns als Museum. Damals wurde das ursprüngliche Schilfdach wie- derhergestellt und das Anwesen erhielt nicht nur eine historisierende „Rauchkuchl“, sondern auch den pittoresken Laubengang, der den Innen- hof nach Süden abschließt, und in Anlehnung an pannonische Bauformen ein Markenzeichen des 23
Haydn Geburtshaus, Ausstellungseinblick, Rohrau Museums und ein beliebtes Fotomotiv darstellt. zusätzliche Innenraum, dessen Fronten bei Schön- 2016 und 2017 wurde das Gebäude einer umfas- wetter geöffnet werden können, dient nun nicht senden Renovierung und Sanierung unterzogen. Es nur als notwendiges Pausenfoyer, sondern stellt war dabei ein besonderes Anliegen, unter Berück- auch einen modernen architektonischen Akzent am sichtigung des authentischen Wohnambientes ein historischen Gemäuer dar. Ein neuer Anbau an den Museum mit Dauerausstellung einzurichten, das Hintertrakt des Museums beherbergt eine zusätzli- den rustikalen Zauber des Ortes bewahrt, gleich- che Garderobe sowie Lager- und Büroflächen. zeitig aber den heutigen Anforderungen an einen Die neue permanente Ausstellung stellt die modernen Museumsbau entspricht. Kindheit und Jugend der Haydn-Kinder und die Schon in den letzten Jahrzehnten diente das frühe Karriere der beiden angehenden Komponis- Haydn Geburtshaus als beliebter Ort für Konzert- ten in ihren Mittelpunkt. Sie beginnt mit Geburt, und Themenveranstaltungen. Seit der Wiedereröff- Kindheit und der Musik, die die Kinder in die- nung im September 2017, exakt am 280. Geburts- ser Gegend gehört haben könnten, widmet sich tag von Michael Haydn, bildet das in neuem Glanz anschließend den Eltern und dem gesellschaftli- erstrahlende Anwesen das Herz der „Haydnregion chen Rahmen im Rohrau der 1730er Jahre und Niederösterreich“ mit einem ganzjährigen Veran- zeichnet den frühen musikalischen Ausbildungsweg staltungsprogramm zwischen Wien und Bratislava. der beiden Haydn-Söhne von Rohrau über Hain- Möglich geworden ist diese intensivere Nutzung burg nach Wien nach. als Veranstaltungsort durch den neu eingerichte- Dabei bemühte man sich, ein möglichst ten Konzertsaal mit einem Fassungsvermögen von authentisches Mobiliar entsprechend dem gesell- knapp 100 Sitzplätzen – eine ideale Größe für schaftlichen Stand und den finanziellen Möglich- Konzerte in Kammermusikbesetzung. Weitere inf- keiten der Familie Haydn auszuwählen, das im öst- rastrukturelle Neuerungen in Folge des Umbaus lichen Niederösterreich in der ersten Hälfte des 18. betreffen einen neuen Empfangsraum samt Shop Jahrhunderts weniger bunt bemalt war als das bis- (an der Stelle der in Abstimmung mit dem Bun- her ausgestellte. Der bisher als Geburtszimmer aus- desdenkmalamt abgetragenen Rauchkuchl), die gewiesene Raum wird in der Neugestaltung nicht Öffnung des bisher nicht zugänglichen Hinter- mehr als solcher präsentiert. Es ist davon auszu- hofes sowie dessen teilweise Überdachung durch gehen, dass ein Schlafzimmer – das zu dieser Zeit eine Glaskonstruktion. Der somit geschaffene nicht gesondert geheizt wurde – nicht auf der 24
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