SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
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Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG SCHAUPLATZ PETERSBERG NR. 2 | 2020 / 21 Die Fleuthkuhlen: Worte und Orte: Drover Heide: Glut und Feuerlanze: Naturjuwel am Literarisches Nationales Kokerei Niederrhein Westfalen Naturerbe Zollverein
Liebe Leserinnen, ist die Bundesstadt Bonn heute ein wichtiges Zentrum liebe Leser, für den weltweiten Dialog und einziger deutscher Standort der Vereinten Nationen - und der Petersberg Schauplatz der Petersberg im Sieben- richtungsweisender internationaler Konferenzen, wie etwa gebirge ist ein bedeutender Ort der Afghanistan-Konferenz und des Petersberger Klimadialogs. deutscher Nachkriegs- geschichte. Er war einige Jahre Doch der Petersberg ist mehr als nur ein Ort großer Politik, Sitz der Alliierten Hohen er ist auch nationales Naturerbe. So, wie die Nordrhein- Kommissare und Jahrzehnte Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege lang Gästehaus für Staats- verbindet, so werden im Besucherzentrum neben historischen gäste der Bundesrepublik. Exponaten auch die Verdienste der Stiftung um den Natur- Besondere Bedeutung erlangte schutz gezeigt. Anschaulich wird dies nicht nur in der er, als Bundeskanzler Konrad Ausstellung, sondern auch drumherum: Das frühere Wachhaus Land NRW / Laurence Chaperon Adenauer 1949 hier das Peters- liegt umgeben von stiftungseigenen Wäldern mit wertvollen berger Abkommen mit den Baumbeständen mitten im Naturschutzgebiet Siebengebirge. westlichen Siegermächten schloss und die noch junge Bundes- republik damit einen wichtigen Schritt aus der Besatzung heraus Herzlich lade ich Sie dazu ein, sich hiervon bei einem Besuch und zeitgleich in Richtung europäische Integration ging. Seit dem auf dem Petersberg ein eigenes Bild zu machen. 2. September erzählt der „Schauplatz Petersberg“ von diesem Kapitel deutscher Geschichte und vielem mehr. Das neu entstandene Informationszentrum veranschaulicht nicht nur die Vergangenheit, sondern auch den erfolg- Armin Laschet reichen Wandel einer ganzen Region. Nach dem Umzug des Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Deutschen Bundestages und von Teilen der Bundesregierung GEMEINSAM FÜR EIN LEBENDIGES LAND Ü berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände, die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön- heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten Kräften und hat bereits über 3.300 Projekte fördern können. Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und Tourismus NRW e. V. / NRW-Stiftung Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und die Geschichte unseres Landes. Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele Mitglied werden und Gutes tun! gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung. Zum Geburtstag, zu Weihnachten oder einfach so: Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus gut an — bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung. landesweit für Natur und Kultur einsetzen. Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin. Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für Sie selbst oder als Geschenk. Einfach online beantragen oder per Postkarte einen Gutschein bestellen. Alle Informationen finden Sie am Ende des Heftes. Förderverein NRW-Stiftung Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de 2 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
INHALT Weichenstellung für den Artenschutz Das ehemalige Stellwerk der Kokerei Hassel in 32– 33 Gelsenkirchen als Lebensraum für viele Tierarten. Schaufenster 4–5 Zu entdecken in NRW: Natur an der Lippe, X-perimente im Röntgen-Museum Remscheid sowie das zurückgekehrte Bundesbüdchen in Bonn. Titelthema: Schauplatz Petersberg 6 – 12 Auf dem Petersberg im Siebengebirge wurde die Geschichte der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt. Das neue Besucherinformationszentrum Petersberg ist ein Haus der NRW-Stiftung. Landschaftsagentur Plus Die Wand als Kunstwerk 34 – 35 Klassizistische Wandmalereien in Haus Korff im münsterländischen Sassenberg. Renaturierung an der Alme 36 – 37 Der Karstfluss Alme bildet mit Pader und Lippe ein ungewöhnliches Flusstrio. Werner Stapelfedt Natur wird „WEGBAR“ 38 – 39 Umweltbildung als Erfolgsgeschichte 13 – 15 Projektpartner um die NABU-Naturschutzstation 30 Jahre Biologisches Zentrum im Kreis Coesfeld. Münsterland leisten preisgekrönte Inklusionsarbeit. Weltkulturerbe Zollverein 16 – 17 Startschuss für den Denkmalpfad Kokerei. Zuckerrohr und Drachenbäume 18 – 19 Blühende Oasen im Tropenhaus und im Botanischen Garten Solingen. Natur statt Raketen 20 – 22 Die Drover Heide ist eine der Flächen des Nationalen Naturerbes im Besitz der NRW-Stiftung. Bernd Hegert Kunst auf Besuchsreise 40 Das Klever Koekkoek-Haus zeigt seine Sammlung in den Niederlanden. Meldungen 41 – 43 25 Jahre Förderverein Haus Am Quall / Haus Ingenray in Geldern Pont / Dorfgemeinschaftshaus Oberfischbach / Werner Stapelfedt Neuer Abteilungsleiter für den Naturschutz. Förderverein 44 – 45 Aussichten mit Geschichte 23 Digitale Mitgliederversammung / Neu im Vorstand: Der Aussichtsturm auf der Karlshöhe in Halver Marianne Thomann-Stahl / Ehrenmitgliedschaft Heidelberg / stammt von 1893. 100. Firmenmitglied Reihe: Künstlerhäuser in NRW 24 – 27 Spenden / Zustiften 46 – 47 Burg Hülshoff, Rüschhaus und anderswo: Traditionsreiche Glaskunst – die Mayer’sche Hofkunst- Orte der Literatur in Westfalen. anstalt München auf Schloss Drachenburg. Der Biber hilft mit 28 – 29 Nicki Nuss 48 – 49 Entwicklungen im Naturschutzgebiet Das große winterliche Schlummern. Fleuthkuhlen am Niederrhein. Ausflugstipps 50 – 54 Geschichte und Zukunft des Papiers 30– 31 Attraktive Ziele für Mitglieder des Fördervereins. Das Papiermuseum Düren präsentiert sich seit zwei Jahren in neuer Gestalt. Impressum 55 3
p SCHAUFENSTER Die Landschaft am Lauf der Lippe ist Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Bernd Hegert LANDSCHATZ AN DER LIPPE A m Lauf der Lippe ist es der Nordrhein-Westfalen-Stiftung Lippstadt und Lippborg im Kreis Soest. Außerdem schützt sie gelungen, ihr Engagement auf weitere Flächen auszu- Naturräume in den Lippeauen bei Wesel. dehnen und damit ein bedeutendes Naturschutzprojekt auf den Weg zu bringen. Die Stiftung hat in den Kreisen Coesfeld und Recklinghausen rund 300 Hektar Land erworben. Bei den Neuland in der Eversumer Heide überwiegend bewaldeten Flurstücken handelt es sich um Flächen Der jüngste Flächenerwerb liegt am Unterlauf der Lippe und schafft bei Olfen und Datteln, die die NRW-Stiftung von der Ruhrkohle AG damit einen ersten Schritt, um Naturschutzziele der NRW-Stiftung gekauft hat. Die Chance, Gebiete in dieser Größenordnung zu am gesamten Flusslauf umzusetzen. Die bewaldeten Flächen erwerben und damit den Lebensraum zahlreicher Tier- und südlich der Lippe im Kreis Recklinghausen sind überwiegend Teil Pflanzenarten zu erhalten, ist selten. des Naturschutzgebietes Lippeaue. Bei dem „Neuland“ im Kreis Coesfeld handelt es sich um große Teile der Eversumer Heide Von ihrer Quelle bis zur Mündung fließt die Lippe 220 Kilometer bei Olfen. Zwar finden sich dort noch überwiegend Kiefern- und lang durch Nordrhein-Westfalen. Die NRW-Stiftung engagiert sich Fichtenbestände, doch die nächste Waldgeneration ist mit jungen seit vielen Jahren für den Natur- und Landschaftsschutz im Nah- Buchen und Eichen schon fest im Erdreich verwurzelt. Auf diese bereich der Lippe und ihrer Nebenflüsse, wie zum Beispiel der Alme Weise entsteht ein neuer Laubmischwald. Damit ist die NRW- im Kreis Paderborn. Sie besitzt ausgedehnte Flächen in den Stiftung künftig in einer Region präsent, in der sie zuvor noch keine Naturschutzgebieten Hellinghauser Mersch und Disselmersch bei Flächen für den Naturschutz sichern konnte. Text: Hannah Blazejewski und Stefan Ast Dieses besondere Gebiet in den Kreisen Coesfeld und Reckling- Rund 300 Hektar ist das Areal groß, das die NRW-Stiftung in den hausen zu schützen, ist ein Auftrag der Nordrhein-Westfalen-Stiftung. Kreisen Coesfeld und Recklinghausen erworben hat. 4 Archiv NRW-Stiftung Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
SCHAUFENSTER p HERR RÖNTGEN Was ist Strahlung, was sind Schwingungen und Wellen? Für die Suche nach Antworten stehen den forschenden Kleinen zum UND DIE Beispiel Infrarotkameras und Fluoreszenzmikroskope zur Ver- fügung. Die „X-perimente Kits“ starteten 2020 in einem doppelten Jubiläumsjahr: W. C. Röntgen kam vor 175 Jahren in Lennep KITS FÜR KIDS zur Welt, die Entdeckung der X-Strahlen gelang ihm vor 125 Jahren. Die NRW-Stiftung hat das Röntgen-Museum mehrfach unterstützt und auch die Ausstellung im nahen Geburtshaus des Nobelpreis- D trägers gefördert. as RöLab ist das Schülerlabor des Deutschen Röntgen- Museums in Remscheid-Lennep. Junge Leute können sich hier den X-Strahlen, die Wilhelm Conrad Röntgen 1895 entdeckte, auf „x-perimentelle“ Weise nähern. Das Angebot richtete sich bis- lang vor allem an etwas ältere Schülerinnen und Schüler. Doch Werner Stapelfeldt nicht zuletzt durch neue „X-peri- mente Kits“ — mobile Experimen- tierkoffer, deren Entwicklung und Betreuung die NRW-Stiftung gefördert hat — können nun auch Kinder ab zehn Jahren spannende natur- wissenschaftliche X-Strahlen und X-perimente: Das Röntgen- Lernerfahrungen Museum bietet dem Nachwuchs spannende machen. Begegnungen mit Phänomenen der Physik. Deutsches Röntgen-Museum DAS BUNDESBÜDCHEN ES IST WIEDER DA! D er berühmteste Kiosk der Republik ist zurück im ehe- maligen Bonner Regierungsviertel. Vierzehn Jahre lang musste Inhaber Jürgen Rausch, dessen Familie den Verkaufspavillon in den 1950er Jahren gründete, auf den großen Moment warten. Am 21. August wurde der Kiosk dann nahe seinem alten Standort wiedereröffnet – dank eines engagierten Fördervereins, der das Büdchen aus einem tristen Bauhof befreit hat. Dahin war es 2006 bei der Errichtung des Bonner „World Conference Center“ verbannt worden. Fotos: Jürgen Schulz Nun auch mit knallrotem Namensschriftzug: Das Bundesbüdchen in Bonn ist wieder in Betrieb. Zur Eröffnung kam auch Bettina Adenauer-Bieberstein, Enkelin des ersten Bundeskanzlers. Schließlich hatte sich das Büdchen schon in der Adenauer-Ära zum informellen Treff für Parlaments- und Regierungsmitglieder entwickelt, die hier Kaffee tranken, Würstchen aßen oder Zeitungen kauften. Der unkonventionellste Kommunikationsort der Bonner Republik machte übrigens auch TV-Karriere, etwa im „Tatort“. Der neue Pächter Peter Mauel öffnet das Büdchen — Ecke Heussallee/Platz der Vereinten Nationen — montags bis freitags von 7:00 bis 18:00 Uhr. Peter Storsberg (links), Vorsitzender des Fördervereins Historischer Verkaufspavillon, und Professor Dr. Karl-Heinz Erdmann vom Vorstand der NRW-Stiftung. 5
p S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G DER BUNDES- BERG AM RHEIN Der Petersberg im Siebengebirge bei Bonn zählt mit rund 336 Metern nicht zu Deutschlands höchsten Gipfeln, doch als Schauplatz der Geschichte ist er ein wahrer Riese. Im großen Hotel auf der Bergkuppe spielten sich entscheidende Ereignisse der Nachkriegszeit ab, später logierten hier Staatsoberhäupter aus aller Welt. Einblicke in die Rolle des Petersbergs bei der Geburt der Bundesrepublik und bei internationalen Begegnungen bietet jetzt ein multimediales und barrierefreies Besucherinformations- zentrum. Es ist im ehemaligen Wachgebäude der Polizei untergebracht, die früher das Bergareal sicherte. Das Zentrum informiert auch über die Natur rund um den Petersberg und dient als Ausgangspunkt für Erkundungen der Umgebung, zu der wertvolle Flächen des nationalen Naturerbes gehören. 6 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G p Werner Stapelfedt S chon die Romantiker des 19. Jahrhunderts liebten den Petersberg. Sie malten sich gerne das Ordensleben aus, das es hier im 12. Jahrhundert gegeben hatte, als nachein- ander Augustiner und Zisterzienser den Berg besiedelten. Und noch mehr begeisterten sie sich für die malerische Ruine der Klosterkirche am Fuß des Berges, im Tal des Heisterbachs, wohin die Zisterzienser 1192 ihren Konvent verlegten. Berühmte Namen der romantischen Schule wie der Shakespeare-Übersetzer und Sanskrit-Experte August Wilhelm Schlegel hatten am Petersberg aber noch einen anderen Anlaufpunkt – den 1834 erbauten Sommersitz der „Rheingräfin“. So nannte man die wohlhabende und hochgebildete Sibylle Mertens- Judith Büthe Schaaffhausen, die im Mittelpunkt vieler kultureller Aktivitäten stand und sich auch um die 1764 erbaute Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 Petrus-Kapelle auf dem Berg kümmerte. Lediglich verschiedene hieß offiziell „Niederschrift der Abmachungen zwischen „Bittwege“, also Wallfahrtswege führten dorthin, auf die sich den Alliierten Hohen Kommissaren und dem Deutschen Bundeskanzler auf dem Petersberg bei Bonn“. nur selten gewöhnliche Wanderer verirrten – die wachsende Zahl Es brachte wichtige Weichenstellungen für die Zukunft der Ausflügler bevorzugte im Siebengebirge Drachenfels, Ölberg der Bundesrepublik Deutschland. oder Wolkenburg. Der in Königswinter geborene Schriftsteller Wolfgang Müller konnte daher 1867 humorvoll beschreiben, wie er den Berg des heiligen Petrus im Alleingang erklomm, weil ihm seine Begleiter die Gefolgschaft verweigerten. Gut zwanzig Jahre später hätte er es bequemer gehabt: Durch ein Hotel und eine Zahnradbahn wurde der Petersberg nun touristisch erschlossen. Das erste Hotel entstand ab1889 auf dem Petersberg. Im 20. Jahrhundert wurde es zur Luxusherberge und zum weltweit bekannten Treffpunkt internationaler Politik. Heute wird es als Grandhotel geführt. Werner Stapelfedt 7
p S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G Fotos: Judith Büthe Berg im Blickpunkt Neville Chamberlain starb 1940, erlebte also weder das Ende Das Hotel hatte zunächst keinen dauerhaften Erfolg, doch nach- des Dritten Reichs noch die Gründung der Bundesrepublik 1949, dem es 1911 vom 4711-Fabrikanten Ferdinand Mülhens erworben die dem Petersberg eine neue Rolle bescherte. Sie hing mit worden war, entwickelte es sich sogar zur Luxusadresse. Ins Blick- dem Besatzungsstatut zusammen, das den Siegermächten USA, feld der internationalen Politik geriet es erstmals, als hier im Großbritannien und Frankreich weitreichende Kontrollrechte September 1938 der britische Premierminister Neville Chamberlain über die junge Republik gab. Man verweigerte ihr vor allem logierte. Er kam, um im nahen Bad Godesberg mit Hitler über die außenpolitische Selbständigkeit. Ausländische Diplomaten die deutschsprachigen Gebiete der damaligen Tschechoslowakei wurden daher nicht etwa in Bonn, sondern auf dem Petersberg zu verhandeln, das sogenannte Sudetenland. Hitler reklamierte akkreditiert, wo die drei „Hohen Kommissare“ der Alliierten es für das Deutsche Reich – so aggressiv, dass Chamberlain von 1949 bis 1952 ihren Amtssitz hatten. Das beschlagnahmte umgehend wieder abreiste. Wenn Briten und Franzosen wenige Hotel war damals Standort von rund 340 Büros und zwölf Tage später im Münchener Abkommen den deutschen Forderungen Sitzungssälen. Um den zahlreichen Beschäftigten eine tägliche dennoch nachgaben, so taten sie das in der Hoffnung auf Fußprozession bergauf und bergab zu ersparen, wurde für sie „appeasement“, also auf Beschwichtigung der Nazis. Vergeblich: eigens die alte Zahnradbahn reaktiviert. Hitler brach den Vertrag, besetzte im März 1939 Prag und befahl fast exakt ein Jahr nach Chamberlains Besuch den Überfall Oben: Das ehemalige Wachgebäude am Petersberg auf Polen – den Auftakt zum Zweiten Weltkrieg. beherbergt als Haus der Nordrhein-Westfalen-Stiftung jetzt ein multimediales Besucherinformationszentrum. Rechts: Die Besatzungszonen im zerstörten Nachkriegs- deutschland. Daneben: Staatsgäste-Geschirr der 1990er Jahre. Bundeskanzler Adenauer auf dem Petersberg nach Zeltlager-Protest für Garry Davis und dessen Welt- Bundeskanzler Adenauer, Bundespräsident Heuss Unterzeichnung des Besatzungsstatuts am 21.09.1949. bürger-Bewegung, aufgenommen im Januar 1950. und Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, 9.11.1954. 1949 Bundesarchiv, Bild P047241 1950 Bundesarchiv, Bild F090977_0013/G. Munker 1954 Bundesregierung/Brodde 8 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G p Adenauer und der Teppich Begegnungen auf dem Petersberg, dem „Monte Veto“, wie Spötter ihn nannten, waren stark von Protokollfragen und politischen Gesten geprägt. Daher glaubte der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht an einen Zufall, als ihm die Hohen Kommissare bei der Übergabe des Besatzungsstatuts am 21. Sep- tember 1949 auf einem Teppich gegenübertraten, während er selbst nur einen Platz davor einnahm. Kurzentschlossen betrat er den Teppich, um symbolisch Augenhöhe anzumelden. Der frühere Leiter des Siebengebirgsmuseums in Königswinter, Elmar Scheuren, der das neue Besucherzentrum in Kooperation mit dem Bonner Haus der Geschichte konzipiert hat, betont allerdings: Unser Bild von dem legendären Geschehnis beruht allein auf NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Eckhard Uhlenberg, Adenauers subjektiver Wahrnehmung. Es ist nicht zu belegen, Präsident der NRW-Stiftung (r.), bei der Eröffnung des „Schauplatz dass andere Anwesende den Schritt auf den Teppich bewusst Petersberg“ im September 2020. registrierten oder gar politisch werteten. Als gefühlter historischer Moment ging die Szene gleichwohl in die bundesdeutsche in europäische Organisationen vor. Im Gegenzug akzeptierte Geschichte ein. Adenauer die internationale Kontrolle über das Ruhrgebiet. Die SPD-Opposition kritisierte das Zugeständnis heftig und warf Vorrangiges Ziel Adenauers war die Milderung der Besatzungs- dem Kanzler zudem die Zementierung der deutschen Teilung vor. bedingungen. Einen ersten Meilenstein markierte dabei das mit Im Bundestag wurde Adenauer vom SPD-Vorsitzenden Kurt den Alliierten ausgehandelte Petersberger Abkommen vom Schumacher sogar als „Bundeskanzler der Alliierten“ geschmäht November 1949. Es beendete fast alle Demontagen deutscher – ein berühmter Eklat des deutschen Parlamentarismus. Industrieanlagen und sah die Einbindung der Bundesrepublik Mohammad Reza Pahlavi, Schah von Persien, Leonid Breschnew, Generalsekretär der KPdSU, Helmut Kohl und seine Frau Hannelore mit Michail und seine Frau Prinzessin Soraya am 28.02.1955. am 18.05.1973. Ganz links Bundeskanzler Brandt. Gorbatschow und Raissa Gorbatschowa, 9.11.1990. 1955 Bundesregierung/Rolf Unterberg 1973 Bundesregierung/Ulrich Wienke 1990 Bundesregierung/Burkhard Jüttner 9
p S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G Fotos: Barbara Bouillon Die mehr als 150 Jahre alten Buchenwälder des Petersbergs Die „Mondscheinwiese“ ist Standort zahlreicher Pflanzen- sollen sich in den nächsten Jahrzehnten zu ursprünglichen arten des Offenlandes wie der Berg-Flockenblume und Naturwäldern entwickeln dürfen. der Herbstzeitlosen. NATIONALES NATURERBE PETERSBERG Alte Buchenwälder, aufgelassene Steinbrüche und artenreiche der seltene Hirschkäfer sind nur einige Beispiele. Der besondere Wiesen: Das Nationale Naturerbe (NNE) Petersberg gehört zu Stolz des Naturschutzes ist aber eine kleine Pflanze: die Wald- den ökologischen Juwelen der Region. Am westlichen Rand Bergminze. Die aromatisch-duftende Verwandte der Pfefferminze des Siebengebirges gelegen, ist das 92 Hektar große NNE-Gebiet mit ihren zartvioletten Blüten wächst am Petersberg an ihrer Teil sowohl des größten zusammenhängenden Naturschutzgebietes nördlichen Verbreitungsgrenze. Nordrhein-Westfalens als auch des gleichnamigen europäischen FFH-Schutzgebietes Siebengebirge. Das Naturerbe Petersberg blickt im Wortsinn in eine blühende Zukunft. Denn die teilweise über 150 Jahre alten Buchenwälder Das Naturerbe Petersberg spiegelt auf vergleichsweise kleiner sollen sich in den kommenden Jahrzehnten gemeinsam mit Fläche einen großen Teil der Naturvielfalt des Siebengebirges benachbarten Beständen ungestört wieder zu ursprünglichen wider. Wie der Rest der insgesamt fast 50 Quadratkilometer großen Naturwäldern entwickeln dürfen. Sie werden damit Heimat Siebengebirgs-Naturlandschaft besteht es vor allem aus Buchen- für eine noch reichhaltigere Tier- und Pflanzenwelt. Insgesamt und zum kleineren Teil auch aus Eichenwäldern. entsteht auf über 600 Hektar wieder natürlicher Urwald. Konkret bedeutet dies, dass menschliche Eingriffe in die natürlichen Darüber hinaus beherbergt das NNE Petersberg ein abwechslungs- Entwicklungsprozesse auf ein Minimum zurückgefahren werden. reiches Mosaik aus weiteren Lebensräumen, die typisch sind für So bleiben etwa umgestürzte Bäume liegen und werden dem die wärmeverwöhnte Mittelgebirgslandschaft entlang des Rheins. natürlichen Zersetzungsprozess überlassen. Denn gerade Totholz Hier können Besucher noch viele andernorts selten gewordene ist für viele Pflanzen, Pilze, Insekten und Vögel ein wahres Tier- und Pflanzenarten beobachten. Schwarz- und Mittelspecht, Lebenselixier! das Große Mausohr (die größte einheimische Fledermausart) und Text: Thomas Krumenacker Erlebnisraum Petersberg – künftig mit „Lauschtour“ Wo fuhr Breschnew seinen Mercedes in Der herunterladbare Audio-Guide erläutert den Graben? Wo lebten einst mittelalter- eine Vielzahl von Stationen nicht nur zur liche Mönche? Wo joggte Bill Clinton? Historie des Bundesgästehauses und seiner Der Petersberg, seine Geschichte und Sicherheitsanlagen, sondern auch zu seine Natur lassen sich hervorragend anderen interessanten Punkten. Dazu erkunden. Ausgangspunkt ist das neue gehören Relikte eines über zweitausend Besucherzentrum. Künftig wird außerdem Jahre alten Ringwalls, ehemalige Steinbrü- eine „Lausch-Tour“ das Gelände erschlie- che, Bittweg-Stationen, Aussichtspunkte ßen, eine Handy-App, wie es sie in acht und mehr. „Natur-Lauschpunkte“ zum Sprachen bereits für Schloss Drachenburg Buchenwald des nationalen Naturerbes am auf dem nahen Drachenfels gibt. Petersberg ergänzen das Programm. 10 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
S C H AU P L AT Z P E T E R S B E R G p Demonstranten und Staatsgäste Politik spielte sich zum Jahreswechsel 1949/50 auch am Fuße des Petersbergs ab, wo damals zwei Männer aus Herne zelteten. Sie taten es als Solidaritätsbekundung für den Amerikaner Garry Davis, der seine US-Staatsbürgerschaft aufgegeben hatte, um eine friedliche Bewegung staatenloser Weltbürger zu gründen. Frankreichs Hoher Kommissar André François-Poncet ließ den beiden „Zeltbürgern“, wie der „Spiegel“ sie respektlos nannte, zu Silvester eine Flasche Sekt überreichen. Doch gerade in den soeben anbrechenden 50er Jahren blieb Staatenlosigkeit ein bloßer Traum. Aus guten Gründen strebte die Bundesrepublik stattdessen nach Wiedererlangung staatlicher Souveränität Fotos: Judith Büthe innerhalb eines demokratischen Europas. Legendär – Queen Elizabeth II. als Staatsgast. Königin am Rhein Als Königin einem Kaiser den Rang abzulaufen – das gelang Queen Elizabeth elf Jahre nach Haile Selassie. Kein bundesdeutscher Staatsgast war so umjubelt wie sie, kam hier doch nach über fünfzig Jahren erstmals wieder ein Mitglied des britischen Königs- hauses offiziell nach Deutschland. Es war eine wichtige Versöh- nungsgeste, von manchem sogar als symbolische Wiederaufnahme der Deutschen in die internationale Völkergemeinschaft gedeutet. Die Queen lud 500 Gäste zu einem Empfang auf den Petersberg ein, war elf Tage lang in der Republik unterwegs und bildete den Mittelpunkt eines Großereignisses, das im neuen Besucherzentrum ausführlich gewürdigt wird. Dabei greift die Ausstellung hier wie „Perspektive Europa“ – durch das Petersberger Abkommen auch bei anderen Themen auf die Möglichkeiten multimedialer eröffnete sich für die Bundesrepublik die Aussicht auf Mitglied- Darstellung zurück, um bei beschränktem Raum ein detailreiches schaft in Europäischen Organisationen. Bild zu zeichnen. Als das Ziel 1955 durch das Inkrafttreten des Deutschlandvertrags erreicht war, hatten die Hohen Kommissare ihren Sitz schon seit drei Jahren nach Schloss Deichmannsaue in Bad Godesberg verlegt. Der Bund konnte das Petersberg-Hotel daher zur Unter- bringung von Staatsgästen anmieten – hoch über dem Rhein, nahe Bonn. Zuerst erlebte Kaiser Haile Selassie von Äthiopien den neuen Petersberg. Er kam im Herbst 1954, als die Republik noch kaum den sommerlichen Taumel um die gewonnene Fußball- weltmeisterschaft hinter sich gelassen hatte. „Ras Tafari Makon- nen“, wie er als Prinz hieß, auserkorener Messias der Rastafari- Jünger und seit 1930 Kaiser von Äthiopien, mochte auf viele Deutsche wie der Abgesandte einer sehr fernen Welt wirken. Sein Besuch erinnerte aber auch an den Widerstand, den Äthiopien 1935-41 gegen die Aggression des italienischen Faschismus geleistet hatte. Eingangsbereich mit Medientisch und Informationsmaterial. Palästinenserführer Jassir Arafat bei seinem ersten Südafrikas Präsident Nelson Mandela tanzt bei einem Delegierte aus 45 Nationen kamen im Mai 2010 zum offiziellen Deutschlandbesuch, 8.12.1993. Empfang im Gästehaus Petersberg, 23.05.1996. „Petersberger Klimadialog“ an den Rhein. 1993 Bundesregierung/Engelbert Reineke 1996 Bundesregierung/Christian Stutterheim 2010 Bundesregierung/Jesco Denzel 11
p S C H AU P L AT Z PETERSBERG Einen großen Einschnitt erlebte der Petersberg 1969: Der Bund als bloßer Mieter musste es akzeptieren, dass die Erbengemein- schaft der Familie Mülhens das Hotel schloss. Staatsgäste wie Erich Honecker logierten bei Besuchen in den folgenden zwei Jahrzehnten auf Schloss Gymnich an der Erft, von dem damals niemand ahnen konnte, dass es einmal der Kelly-Family gehören würde. Über den Petersberg breitete sich derweil ein politischer Dornröschenschlaf aus, ein einziges Mal jäh unterbrochen vom Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew. Er kam 1973 nach Westdeutschland, drei Jahre nachdem sich UdSSR und Bundes- republik im Moskauer Vertrag auf die Förderung von Frieden und Entspannungspolitik geeinigt hatten. Sicherheitserfordernisse führten zur kurzzeitigen Wiederbelebung des besonders gut abschirmbaren Petersberg-Hotels. Der Gast bedankte sich unfrei- willig, indem er dem Anekdotenschatz des Berges eine neue Fotos: Judith Büthe Episode hinzufügte: Den Mercedes, den man ihm verehrt hatte, manövrierte er auf den Serpentinen der Zufahrtstraße in den Blick in einen der wabenförmigen Räume des ehemaligen Graben, fuhr ihn aber immerhin nicht zu Schrott, wie bisweilen Wachgebäudes auf dem Petersberg, das als authentischer Ort zu lesen. selbst ein Zeuge der Geschichte ist. etwa zweihundert Meter oberhalb des Wachgebäudes verbinden. Auch nach dem Berlin-Umzug der Bundesregierung 1999 blieb das Hotel Staatseigentum. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat es in den letzten Jahren durchgreifend modernisiert. Gemanagt wird es — unter dem Markennamen Steigenberger — von der „Deutschen Hospitality“, die seit 2020 zur chinesischen „Huazhu Group“ gehört. Staatsgäste der Bundesrepublik Deutschland wohnen heutzutage zwar im brandenburgischen Schloss Meseberg, internationale Treffen gibt es auf dem Petersberg aber nach wie vor. Im 21. Jahrhundert haben hier zum Beispiel zwei weltweit beachtete Afghanistan-Konferenzen sowie der Petersberger Klimadialog stattgefunden, politische Begegnungen auf höchster Ebene — dreihundert Meter über dem Meeresspiegel. Text: Ralf J. Günther Die Sicherheit am Petersberg stützte sich unter anderem auf B LICK PU N KT Kamerabilder, die auf Monitorwände in zwei Kontrollräumen im Nordflügel des Hotels übertragen wurden. Die NRW-Stiftung übernahm von der Bundesanstalt Sicherheit mal zwei für Immobilienaufgaben das Eigentum am ehemaligen Wachhaus auf dem Petersberg. Die NRW-Stiftung Erst 1979 wurde der Bund Eigentümer des Petersbergs. Er ließ sanierte das Gebäude und richtete dort das Hotel ab 1986 in alten Formen weitgehend neu erbauen und eine barrierefreie Ausstellung ein. nahm es 1990 als offizielles Bundesgästehaus des wiederver- Das Haus dient zugleich als Ausgangs- einigten Deutschlands in Betrieb. Rund um das Bergplateau zog punkt für Erkundungen des „Erlebnis- sich jetzt ein massiver, von Scheinwerfern erfasster und kamera- raums Petersberg“. Außerdem überwachter Zaun. Den äußeren Objektschutz übernahm der wurden der NRW-Stiftung über Bundesgrenzschutz, die heutige Bundespolizei. Die Sicherheit im neunzig Hektar naturnaher Buchen- Gästehaus garantierte das Bundeskriminalamt. Beiden Behörden wald am Petersberg übertragen, standen Kontrollräume mit Monitoren für die Überwachungsbilder die zum Nationalen Naturerbe zur Verfügung. Beamte des Bundesgrenzschutzes besetzten zu- gehören. Der Schauplatz Peters- dem rund um die Uhr das Wachgebäude, das heute Eigentum berg wurde gefördert mit Mitteln der NRW-Stiftung ist und das neue Infozentrum beherbergt. Es bot der Beauftragten der Bundes- die Möglichkeit, von einem detonationsgeschützten Raum aus regierung für Kultur und Medien und verdächtige Objekte zu durchleuchten. Mit seinem wabenförmigen des Landschaftsverbandes Rheinland. Grundriss, dem Panzerglas, der Dokumentenübergabe und anderen Mehr Infos: Details vermittelt es immer noch authentische Eindrücke vom www.schauplatz-petersberg.de streng abgeschirmten Petersberg früherer Tage. Der Ausstellungs- besuch lässt sich zudem mit einer Führung durch das Hotel 12 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD p Fotos: Bernd Hegert EINE ERFOLGSGESCHICHTE DER UMWELTBILDUNG quappen und bestimmen Käfer Die Kleinen käschern Kaul- und Spinnen. Die Jugendlichen diskutieren über den Klimawandel oder sind aktiv gegen das Insektensterben. Und die Erwachsenen brauen Bier oder lernen die Teesorten der Welt kennen. Alle gemeinsam erkunden sie nach Einbruch der Dunkelheit die Umgebung auf der Suche nach den „Jägern der Nacht“, den einheimischen Fledermäusen: Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen Kursprogramm des Biologischen Zentrums im Kreis Coesfeld im 30. Jahr seines Bestehens. Das Dahlienbeet in voller Blüte mit dem Strohlehmhaus im Hintergrund. Das Gebäude dient in den Sommermonaten als Ausstellungsraum inmitten der Gartenlandschaft. Es wurde 2007 von einer Schülerprojektgruppe errichtet. 13
p 30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD D ort, wo einst die Söhne wohlhabender münsterländischer Bauern das landwirtschaftliche Handwerk erlernten, wird heute lebendige Umweltbildung vermittelt. Im Jubi- läumsjahr ist es auf dem 2,5 Hektar großen Gelände in Lüdinghausen coronabedingt zwar ruhiger als sonst. Doch der Leitgedanke des Zentrums scheint aktueller denn je: „Lernen mit der Natur in der Natur.“ „Umweltbildung muss Freude machen und darf nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen“, beschreibt der Vorstands- vorsitzende des Trägervereins, Rolf Brocksieper, die Philosophie des Zentrums. Und so dürfen Kinder sich schon mal in einer „Alles-was-man-nicht-darf-Party“ austoben: Trampeln, schreien, schmatzen, matschen, Feuer machen – und dabei spielerisch erleben, wie viel schöner es sein kann, sich in der Natur statt vor dem heimischen Bildschirm aufzuhalten. Seit den Anfängen als Einrichtung zur Umweltbildung 1990 hat sich auf dem ehemaligen Lehrfeld und späteren Schulgarten der landwirtschaftlichen Realschule Lüdinghausen viel getan. Im Hauptgebäude entstand neben verschiedenen Schulungsräumen eine moderne Veranstaltungshalle, die mehreren Dutzend Menschen Platz bietet; das auch mit Hilfe von Schülern errichtete Strohlehmhaus dient im Sommerhalbjahr als Ausstellungsraum und die offene Feldscheune bietet viel Platz zum Lernen in der Natur. All das inmitten einer großzügigen bunten Gartenlandschaft mit Beeten für Nutzpflanzen aus aller Welt. Matthias Overkamp ist seit zehn Jahren für den Bauerngarten zuständig. Im Kräutergarten (links) finden sich Beete mit Gewürz- und Heilkräutern. Hier ist ein Kraut gegen so manches der gängigen Wehwehchen gewachsen. Rechts: 35 Apfelsorten können im Bio- Zentrum verkostet werden. Chemiefreier Anbau machen Obst- und Kräutergarten zu einem Paradies für Insekten, die mit Nisthilfen unterstützt werden Dr. Rolf Brocksieper, langjähriger Vorstandsvorsitzender des Das Biologische Zentrum hat eine 150 Jahre Trägervereins Biologisches Zentrum im Kreis Coesfeld, erhielt alte Keimzelle, die frühere Ackerbauschule und spätere Landwirtschaftliche Realschule stellvertretend für den Vorstand des Vereins den diesjährigen in Lüdinghausen. Unser Anspruch eines Weg-Weiser-Preis für vorbildliches ehrenamtliches Engagement. lebendigen Biologieunterrichts, eines Wir sprachen aus diesem Anlass mit ihm. Lernens mit der Natur in der Natur, einer Wissensvermittlung für Jung und Alt steht 30 Jahre Biologisches Zentrum: Sie da in einer guten Tradition. Die Begeiste- blicken auf eine lange Wegstrecke in der rung für die Natur entsteht nämlich in der Umweltbildung zurück. Sowohl das Natur und nicht am Schreibtisch. Daran hat Verhältnis vieler Menschen zur Natur sich wenig geändert. wie auch das pädagogische Verständnis Aber wir haben natürlich auch neue ist heute ein anderes als zu Beginn der Impulse aufgenommen. Zum Beispiel ist das 1990er Jahre. Was macht eine moderne Motto ‚Global denken, aber lokal handeln‘ Umweltbildung aus? eine Säule unseres Wirkens. Nachhaltigkeit Auch die sogenannte moderne Umweltbil- ist keine Floskel oder sollte es jedenfalls dung ist etwas, das gewachsen ist. Sie fußt nicht sein, sondern sie ist eine dauerhafte auf Traditionen, die für uns wichtig sind. Verpflichtung für die Gesellschaft und jede und jeden Einzelnen. Nehmen den Preis stellvertretend für das Team entgegen: 14 Dr. Rolf und Ilka Brocksieper. Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD p Mittlerweile 1.000 Veranstaltungen pro Jahr, ein Teilnehmerrekord B LICK PU N KT von mehr als 21.000 Menschen 2019 und eine Gesamtbilanz von 300.000 Kursteilnehmern seit der Gründung: Das Biologische Zentrum ist eine Erfolgsgeschichte. Ohne das haupt- und ehren- Die NRW-Stiftung fördert das „Bio-Zentrum“ fast seit amtliche Engagement Dutzender Menschen und die Unterstützung seiner Gründung. Mit der Finanzierung der Ausstattung von vielfältiger Seite – natürlich auch der NRW-Stiftung – hätte sie des Schulungsraums begann 1992 das nicht geschrieben werden können. Engagement zu einer Zeit, in der ein Erfolg des Projekts noch Die Corona-Pandemie stellt auch das Biologische Zentrum vor ungewiss war. 2002 wurde große Herausforderungen. Im Frühling musste es für mehrere durch die Stiftungsförderung Wochen schließen und für das Gesamtjahr rechnen die Verantwort- der Innenausbau finanziert lichen mit zwei Drittel weniger Kursteilnehmern als im Vorjahr. und 2006 übernahm die NRW-Stiftung die Material- Dennoch blicken die Macherinnen und Macher hinter dem kosten für die Werkstatt. „Bio-Zentrum“ optimistisch nach vorne, denn sie sind von der Erfolgreich ist auch die Bedeutung ihrer Arbeit überzeugt: Umweltbildung, sagen sie, ist Förderung über die Heimat- mehr als ein schöner Zeitvertreib wie viele andere. Sie sei das Touren. Nach dem Neanderthal- Fundament dafür, dass sich Menschen für den Erhalt der natür Museum ist das Zentrum die Einrichtung, lichen Lebensgrundlagen engagieren. Und das ist in Zeiten von die davon am meisten profitiert. Klimawandel und Artensterben wichtiger denn je. Auch Bewegun- gen wie die ‚Fridays for Future’ hätte es ohne Umwelt-Informatio- nen wohl nicht gegeben. Themen wie Klimaschutz, global gerechte Verteilung von Ressourcen und nachhaltige Entwicklung werden Freuen sich über die Auszeichnung (v.l.): deshalb in Lüdinghausen ganz sicher eine Zukunft haben. Bürgermeister Richard Borgmann, Dr. Rolf Brocksieper, die Geschäftsführerin der NRW-Stiftung Martina Grote, Nicht nur freitags. die Leiterin des Biologischen Zentrums Dr. Irmtraud Papke, Text: Thomas Krumenacker, der Vorsitzende des Fördervereins der NRW-Stiftung Michael Breuer und Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg. Haben Sie ein Beispiel dafür? unseren Veranstaltungen, haben wir im Und natürlich wäre das alles nicht denkbar Jeder kann etwa mit einem klugen und vergangenen Jahr weit über 20.000 ohne unsere vielen Förderer, Freunde und sparsamen Umgang mit Ressourcen einen Teilnehmer bei fast 1.000 Veranstaltungen Unterstützer. Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. gezählt. Von 1.000 Teilnehmern zu 1.000 Worauf sind Sie besonders stolz? Eines ist uns dabei aber auch ganz wichtig: Veranstaltungen pro Jahr, das kann sich Wir wollen Umweltbildung nicht mit dem doch sehen lassen, ist aber auch eine große Darauf, dass wir das Biologische Zentrum erhobenen Zeigefinger betreiben, sondern Verantwortung. nach über 30 Jahren in ein sicheres mit positiven Entwicklungen verbinden, Fahrwasser gesteuert haben, dass wir die Wie schafft man es, 1.000 Veranstal- Anerkennung gleichermaßen aus der Politik, in die man sich einbringen kann. Umwelt- tungen auf hohem fachlichen Niveau der Wirtschaft und der Bevölkerung haben bildung muss Freude machen! pro Jahr anzubieten? – und ganz besonders: dass wir immer noch Der Erfolg scheint Ihnen Recht zu geben. Das geht nur als Teamleistung. Von der die Begeisterung der Kinder wecken Die Entwicklung Ihrer Aktivitäten in den fachlichen Leitung bis zum Absolventen können, die zu uns kommen. Inzwischen vergangenen 30 Jahren und die Zahl der eines freiwilligen ökologischen Jahres, vom kommen auch die als Eltern, die früher als Menschen, die sich daran beteiligen, Biologen über die Lehrerin bis zum Gärtner. Schüler hier Kurse besucht haben. Und sie kennt nur eine Richtung: stetig nach Wir bauen auf ein hochengagiertes Team erinnern sich alle noch ganz genau daran, oben. von einigen Haupt- und vielen Ehrenamt- was sie vor Jahrzehnten hier gemacht Kann man so sagen. Kamen in den Anfän- lichen und freiberuflichen Mitarbeitern. haben. Auch das ist für mich ein Nachweis gen in den frühen 1990er Jahren noch etwa Insgesamt sind das fast 40 Leute. Jeder von Nachhaltigkeit. 1.000 bis 3.000 Teilnehmer pro Jahr zu Einzelne davon ist Teil unseres Erfolgs. Mit Rolf Brocksieper sprach Thomas Krumenacker 15
p DENKMALPFAD KO K E R E I Z O L LV E R E I N I N E S S E N DIE SCHWARZE UND Fotos: Jochen Tack / Stiftung Zollverein DIE WEISSE SEITE Vor knapp hundert Jahren wurde Schacht XII der Essener Zeche Zollverein errichtet — architektonisch stark beeinflusst von den Ideen der neuen Sachlichkeit und des Bauhauses. Damals sprach man selbstbewusst von der „schönsten Zeche der Welt“, heute ist ihr 55 Meter hohes Doppelbock-Fördergerüst nicht nur ein weithin bekanntes Wahrzeichen Nordrhein-Westfalens, der Gesamtkomplex Zollverein zählt überdies sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe. Er umfasst außer dem ehemaligen Berg- werk auch die 1993 stillgelegte Kokerei, eine gigantische Anlage, die künftig durch einen außergewöhnlichen Erlebnisrundgang erschlossen wird. Station 1 ist bereits eröffnet. E Ebenso wie die Zeche wurde auch die Kokerei Zollverein Feuerlanze und Löschturm nach Plänen des Architekten Fritz Schupp errichtet, Die Kokerei ist bereits als bloßes Bauwerk eine beeindruckende anders als erstere aber erst von 1957 bis 1961. Damals Sehenswürdigkeit. Doch wie erläutert man die Produktions- war Schupp bereits Träger des Großen NRW-Kunstpreises, vorgänge, die hier jahrzehntelang stattfanden, den vielen Besuche- den man ihm in der Kategorie Baukunst verliehen hatte. Kurz vor rinnen und Besuchern, die nur wenige oder gar keine Vorkennt- seinem Tod im Jahr 1974 erlebte der Architekt außerdem noch nisse mitbringen? Im Zechenteil von Zollverein hat man dafür ein die Kapazitätserweiterung der Kokerei von 192 auf 304 Öfen. Konzept entwickelt, das unter der bescheidenen Bezeichnung Die dadurch mögliche Koksproduktion von über achttausend „Denkmalpfad“ opulente mediale Effekte bietet: Mithilfe aufwen- Tonnen pro Tag bildete in der Fachsprache die „schwarze Seite“ diger Projektionen werden dabei stillgelegte Maschinen virtuell der Anlage. Auf der „weißen Seite“ wurden hingegen die bei der wieder in Gang gesetzt. In ähnlicher Weise sollen nun auch Verkokung frei werdenden Gase weiterverarbeitet, um Ammoniak, die glühenden und zischenden Arbeitsabläufe der Kokerei wieder Benzol und Teer zu gewinnen. sichtbar werden, und nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar und sogar riechbar, so dass Blinde und Sehbehinderte ebenfalls teilhaben können. Die „Gesellschaft der Freunde und Förderer der Stiftung Zollverein“ hat sich für das insgesamt neun Stationen umfassende Vorhaben engagiert. Durch multimediale Installationen wird die Funktionsweise der Kokerei veranschaulicht. Die lange Reihe der Schornsteine ist im Modell wiederzuerkennen. 16 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
D E N K M A L P FA D KO K E R E I Z O L LV E R E I N I N E S S E N p Zlatan Alihodzic/Stiftung Zollverein Zlatan Alihodzic/Stiftung Zollverein Im Herbst 2020 feierte am sogenannten Löschturm Ost die erste Innen und Außen Station des neuen Kokerei-Pfades ihre Eröffnung. Zu sehen sind Für den Erlebnisrundgang entstehen in den nächsten Jahren hier unter anderem die Feuerlanze zum Anzünden der Öfen und mehrere kubusförmige Gebäude entlang der Koksofenbatterie. ein sieben Meter langes Modell der schwarzen Seite. Zusätzlich Allerdings sollen nur etwa ein Drittel der zu ihrer Zeit modernsten werden Medien auf eine Wand projiziert. Insgesamt dient der Raum Kokerei Europas museal erschlossen und ihr ehemals tosendes dazu, den Besucherinnen und Besuchern der Kokerei grundlegende Innenleben enthüllt werden. Das Industriedenkmal selbst bleibt Abläufe zu veranschaulichen, Basiswissen über die gesamte in seiner beeindruckenden Größe und Authentizität auch weiter- Anlage. In den weiteren acht Stationen geht es dann zum Beispiel hin das wichtigste „Exponat“. Tipp: Wer den Gesamtkomplex um Umweltaspekte, das Leben von Arbeitern und Anwohnern, das Zollverein einmal umrunden will, kann sich dabei an der von prasselnde, knackende und dampfende Ablöschen des rotglühen- der NRW-Stiftung geförderten Ringpromenade orientieren — ein den Kokses und natürlich um die Geheimnisse der weißen Seite. LED-beleuchtetes Angebot für Fußgänger, Radfahrer, Jogger und Inlineskater, das das Welterbe auf insgesamt dreieinhalb Kilometer umzieht. Anders als für die Erlebnisrundgänge, bei denen die Oben: Mit dem modernen Kubus am Löschturm Ost wurde die erste von insgesamt neun Stationen des Rundgangs eröffnet. Animationen von einem Führer gestartet werden, braucht man Rechts daneben: Detail aus dem Kubus-Inneren. für die Ringpromenade weder Termin noch Ticket. Text: Ralf J. Günther Unten: Blick auf die Zeche Zollverein, die in direkter Nachbar- schaft zur Kokerei liegt. Der Komplex lässt sich zu Fuß oder per Rad auf der Ringpromenade umrunden. B LICK PU N KT WELTKULTURERBE IN NRW Die NRW-Stiftung unterstützte die „Gesellschaft der Fünf Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes lassen sich nach Freunde und Förderer der Stiftung Zollverein e.V.“ heutigem Stand in NRW besuchen. Zollverein ist als Industrie- bei der Medientechnik und beim Ausstellungsbau denkmal des 20. Jahrhunderts die jüngste dieser Stätten. für den Infokubus am Löschturm Ost der Kokerei Aus dem 18. Jahrhundert stammen hingegen die barocken Zollverein. Bereits in früheren Jahren hat die Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl bei Köln. NRW-Stiftung den Bau der über drei Die drei übrigen Denkmäler sind mittelalterlich: Der 1248 Kilometer langen Ringpromenade begonnene Kölner Dom gilt als Idealtypus einer gotischen im Zollverein-Park gefördert, Kathedrale, er ist seit 1996 Welterbe. Der Klosterbezirk Corvey die das Welterbe und damit auch bei Höxter an der Weser wurde 2014 anerkannt, das Westwerk Anziehungspunkte wie das Ruhr der dortigen Klosterkirche ist ein bedeutendes karolingisches Museum oder den Skulpturen- Bauwerk aus dem 9. Jahrhundert. Schon 1978 wurde wald auf dem Gelände besser der Aachener Dom mit der Pfalzkapelle Karls des Großen erschließt. Weitere Infos unter: (gest. 814) in die UNESCO-Liste aufgenommen — als erstes www.zollverein.de und deutsches Kulturdenkmal überhaupt. www.freunde-zollverein.de 17
p B OTA N I S C H E R G A R T E N S O L I N G E N EIN TROPISCHES DENKMAL Das Bergische Land ist nicht unbedingt für sein tropisches Klima bekannt. In Solingen jedoch gedeihen Drachen- bäume, Flamingoblumen und Zuckerrohr prächtig — trotz des bergischen Wetters. Zu verdanken ist das dem ehrenamtlichen Einsatz der Stiftung Botanischer Garten Solingen. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich der Verein tatkräftig für das grüne Herz der Klingenstadt. Fotos: Stiftung Botanischer Garten Solingen e. V. 18 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
B OTA N I S C H E R G A R T E N S O L I N G E N p arbeiten beginnen. Die Maßnahmen dienen dem dauerhaften Erhalt des Baudenkmals und seiner energetischen Ertüchtigung. Im Zuge der Bauarbeiten wurde ein Klimacomputer installiert, der Heizung, Belüftung, Beleuchtung, Beschattung und Bewässerung steuert. „So können wir nun bis zu 30 Prozent an Heiz- und Energiekosten einsparen“, sagt Matthias Nitsche. Dem Solinger und seinen Vereinskollegen liegt die 1963 eröffnete Grünanlage besonders am Herzen. Die Stiftung zählt rund 500 Mitglieder, von denen sich 130 aktiv engagieren. Denn im Garten und auch hinter den Kulissen gibt es das ganze Jahr über viel zu tun. „Wir freuen uns über jede helfende Hand“, sagt er. Zum Beispiel im Bauerngarten direkt vor dem historischen Tropenhaus. Dort wachsen Stockrosen, Schafgarbe und Kapuzinerkresse in hübsch angelegten Beeten. Unterstützung ist auch im ehrenamtlich geführten Kiosk gefragt. Von Ostersonntag bis Ende Oktober betreibt der Verein das Café an Sonn- und Feiertagen. Für viele Solinger ist der Botanische Garten mit seinen blühenden Oasen und Schauhäusern nicht nur ein Ort der Ruhe und Entspan- nung, sondern auch ein besonderer Teil ihrer Heimat. Die Anlage aus den 1950er und 60er Jahren stellt in der Region eine Seltenheit dar. Deshalb wurde das Areal inklusive historischem Tropenhaus im Jahr 2010 unter Denkmalschutz gestellt. Aus gartenarchitektoni- schen und kulturgeschichtlichen Gründen ist der Erhalt der Anlage besonders wichtig. Dank des unermüdlichen Einsatzes vieler Das unter Denkmalschutz stehende Tropenhaus Vereinsmitglieder ist der Botanische Garten ein außergewöhnlich ist das Wahrzeichen des Botanischen Gartens Solingen. schönes Stück Solingen. Für die gleichnamige Stiftung ist er auch ein schönes Stück Arbeit — und eine echte Herzensangelegenheit. N Durch den überaus großen ehrenamtliche Einsatz des Vereins achhaltigkeit ist etwas, das Matthias Nitsche sehr wichtig ist das Projekt, über den Denkmalwert des Tropenhauses hinaus, ist. Auch deshalb gibt es für ihn und seine Mitstreiter von ein Paradebeispiel bürgerschaftlichen Engagements in NRW. der Stiftung Botanischer Garten Solingen viel zu tun. Text: Hannah Blazejewski Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins verbringt nahezu jede freie Minute in der mehr als 61.000 Quadratmeter großen Stiftungsvorstand Franz-Josef Lersch-Mense (3.v.r.) Grünanlage mit verschiedenen Schauhäusern. Darum weiß er auch zu Besuch bei den engagierten Projektpartnern genau, wo der Schuh gerade drückt und wie der Garten besser in Solingen. wirtschaften kann, um Ressourcen zu schonen. Lange war deshalb das Wahrzeichen des Botanischen Gartens das Sorgenkind der Stiftung: das unter Denkmalschutz stehende Tropenhaus. Der Glasbau war nicht mehr ganz dicht. „Der Betrieb eines Tropenhauses verursacht grundsätzlich hohe Kosten. Je schlechter es energetisch aufgestellt ist, desto höher sind sie“, sagt Matthias Nitsche. 1965 erbaut, war das Tropenhaus wahrlich in die Jahre gekommen. „Seinerzeit wurde das Gebäude von einer Stahl- baufirma errichtet. Die Träger sind so massiv, es könnte auch problemlos auf der Zugspitze stehen“, sagt er. Jede einzelne Scheibe zwischen den Stahlträgern ist maßangefertigt. Die einst zwischen den Trägern verbauten, einfachen Glasscheiben wurden vor vielen Jahren zur Wärmeisolation durch Doppelsteg- platten aus transparentem Kunststoff ersetzt. Der teils asbest haltige Kitt zwischen den Platten war jedoch über die Zeit spröde und rissig geworden. An manchen Stellen fehlte er ganz. So konnte B LICK PU N KT über die Jahrzehnte Wasser in das Bauwerk eindringen und im Winter Frostschäden verursachen. „Auch wenn wir innen gewässert Mit Hilfe der NRW-Stiftung konnte das unter haben, lief es außen an der Fassade herunter“, sagt Matthias Denkmalschutz stehende Tropenhaus Nitsche. Höchste Zeit zu handeln. Seit dem 50. Geburtstag des saniert, mit modernen Doppel- Glasbaus im Jahr 2015 sammelte die Stiftung Botanischer Garten glasscheiben und einem daher fleißig Spenden. Klimacomputer zur Steue- rung von Heizung und Der Verein hat seither viel Unterstützung von heimischen Unter- Belüftung ausgerüstet nehmen, Initiativen und Privatleuten erhalten. Dank der großen werden. Spendenbereitschaft und der Förderung der NRW-Stiftung konnte www.botanischer- der Verein im August 2020 mit den aufwendigen Sanierungs- garten-solingen.de
p DROVER HEIDE Die Beweidung mit Rindern oder Schafen gehört zu Über zahlreiche Wege und Aussichtspunkte lässt den wichtigsten Pflegemaßnahmen. Nur so kann sich der ehemalige Truppenübungsplatz zu Fuß eine Verbuschung der Heide verhindert werden. oder mit dem Fahrrad erkunden. VON DER LUFTABWEHR ZUR HEIMAT DIE NATUR EROBERT DAS GELÄNDE DER EHEMALIGEN RAKETENSTELLUNG IN DER DROVER HEIDE ZURÜCK FÜR FLUGKÜNSTLER Vor allem im Spätsommer präsentiert sich die Drover Heide Besuchern als violett leuchtendes Heideparadies. Die einstigen Panzerpisten sind heute vielfach Wanderwege. 20 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
DROVER HEIDE p W ohin man sieht und hört: sattes Grün, Bäume, Sträucher Abreißen oder erhalten? und Vogelgezwitscher. Nur die vielen erst schütter Die Frage war rasch geklärt bewachsenen und mit Sand bedeckten Flächen zeugen Danach begann erst einmal das große Aufräumen auf dem Gelände noch davon, dass hier einmal Gebäude standen oder asphaltierte der Raketenstellung. Unmengen giftiger Überreste aus den Pisten entlangführten. Sie sind die letzten Spuren einer militäri- verfallenen Baracken, Werkstätten, Abschussrampen und Lagern schen Vergangenheit in der Drover Heide südlich von Düren, mussten entsorgt werden. Der bei der NRW-Stiftung für die die es in sich hatte. Denn die ehemalige Nike-Flugabwehrstellung Betreuung der Naturerbeflächen zuständige Projektkoordinator war einer der Orte, an denen der Kalte Krieg jederzeit hätte heiß Thomas Härtel erinnert sich: „Asbest, giftige FCKWs, Schmieröl werden können. Versteckt hinter einem Waldgürtel gelegen, war und uns völlig unbekannte Chemikalien aus der militärischen die Basis bis in die 1960er Jahre hinein Teil der NATO-Luftabwehr. Wartung in den 1960er Jahren“, nennt er als Beispiele für hoch- Von hier aus hätten im Ernstfall jederzeit auch atomare Spreng- gradig gesundheitsschädliche Stoffe, die teils in großer Menge köpfe auf feindliche Flugzeuge im Anflug auf das Rheinland oder auf dem Gelände überdauerten. Damit aber nicht genug: Über die das Ruhrgebiet abgefeuert werden können. Angriffe der sowjeti- Jahre des Leerstands hatte sich die Raketenstellung auch zu einer schen Atombomberflotte galten den USA und ihren NATO-Partnern veritablen Mischung aus Mülldeponie und nächtlichem Party-Ort über viele Jahrzehnte hinweg als wahrscheinliches Szenario für entwickelt. „Überall Müll, angezündete Sofas, Vandalismus und den Beginn eines Krieges. massive illegale Entsorgung von allem möglichen Zeug, auch Nach vielen Jahren des Leerstands zeugten nur noch die vor sich Der Abriss des Wachturms der ehemaligen Nike-Raketen- hin rottenden Ruinen und Zäune von der einstigen militärischen stellung markierte auch symbolisch das endgültige Ende Bedeutung des Areals als Teil der Nato-Luftverteidigung. der militärischen Nutzung in der Drover Heide. Fotos: Werner Stapelfeldt Heute sind die über das Land verstreuten ehemaligen Raketen- gefährlicher Stoffe“, erinnert sich Härtel. Für die Stiftung stellte stellungen ebenso wie die Reste der Berliner Mauer und die sich auch die Frage, was aus den Gebäuden selbst und der Überbleibsel des innerdeutschen Todesstreifens die letzten sonstigen militärischen Infrastruktur aus Zäunen, betonierten sichtbaren Relikte der Blockkonfrontation. Zugewucherte Bunker, Flächen und Straßen werden sollte. Schön waren sie nicht, aber vor sich hin rottende Wachtürme und verrostete Stacheldraht- in gewisser Weise auch historisch. Für die NRW-Stiftung war zäune verströmen in manchen von ihnen noch einen Hauch von aber rasch klar, dass die Erhaltung der Gebäude keine sinnvolle Kalter-Krieg-Atmosphäre. Option war. Nicht so in der Drover Heide. Denn als 2014 mit dem Abzug der belgischen Streitkräfte das Kapitel der militärischen Nutzung auch auf dem angrenzenden Truppenübungsplatz endgültig geschlossen wurde, stellte die Bundesregierung die Weichen hier in eine andere Richtung: Das gesamte Areal aus Übungsplatz und Raketenstellung ging in das Nationale Naturerbe über, in dem die Regierung die ökologisch besonders wertvollen ehemaligen militärischen Liegenschaften bündelte und dauerhaft unter Schutz stellte. Zwei Jahre später übernahm die NRW-Stiftung den 637 Hektar großen Komplex. Mehr als ein Hektar Betonflächen, Straßen und Gebäude- standorte wurden entsiegelt, um der Natur wieder Raum zur Entfaltung zu geben. Spärlicher Bewuchs und Sandaufschüttungen zeugen davon. 21
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