SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung

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SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
Natur
                                       Heimat
                                       Kultur
DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG

                              SCHAUPLATZ
                              PETERSBERG
 NR. 2 | 2020 / 21

 Die Fleuthkuhlen:   Worte und Orte:   Drover Heide:   Glut und Feuerlanze:
 Naturjuwel am       Literarisches     Nationales      Kokerei
 Niederrhein         Westfalen         Naturerbe       Zollverein
SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
Liebe Leserinnen,                    ist die Bundesstadt Bonn heute ein wichtiges Zentrum
                                    liebe Leser,                         für den weltweiten Dialog und einziger deutscher Standort
                                                                         der Vereinten Nationen - und der Petersberg Schauplatz
                                       der Petersberg im Sieben-         richtungsweisender internationaler Konferenzen, wie etwa
                                       gebirge ist ein bedeutender Ort   der Afghanistan-Konferenz und des Petersberger Klimadialogs.
                                       deutscher Nachkriegs-
                                       geschichte. Er war einige Jahre   Doch der Petersberg ist mehr als nur ein Ort großer Politik,
                                       Sitz der Alliierten Hohen         er ist auch nationales Naturerbe. So, wie die Nordrhein-
                                       Kommissare und Jahrzehnte         Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege
                                       lang Gästehaus für Staats-        verbindet, so werden im Besucherzentrum neben historischen
                                       gäste der Bundesrepublik.         Exponaten auch die Verdienste der Stiftung um den Natur-
                                       Besondere Bedeutung erlangte      schutz gezeigt. Anschaulich wird dies nicht nur in der
                                       er, als Bundeskanzler Konrad      Ausstellung, sondern auch drumherum: Das frühere Wachhaus
          Land NRW / Laurence Chaperon Adenauer 1949 hier das Peters-    liegt umgeben von stiftungseigenen Wäldern mit wertvollen
                                       berger Abkommen mit den           Baumbeständen mitten im Naturschutzgebiet Siebengebirge.
westlichen Siegermächten schloss und die noch junge Bundes-
republik damit einen wichtigen Schritt aus der Besatzung heraus          Herzlich lade ich Sie dazu ein, sich hiervon bei einem Besuch
und zeitgleich in Richtung europäische Integration ging. Seit dem        auf dem Petersberg ein eigenes Bild zu machen.
2. September erzählt der „Schauplatz Petersberg“ von diesem
Kapitel deutscher Geschichte und vielem mehr.

Das neu entstandene Informationszentrum veranschaulicht
nicht nur die Vergangenheit, sondern auch den erfolg-                    Armin Laschet
reichen Wandel einer ganzen Region. Nach dem Umzug des                   Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
Deutschen Bundestages und von Teilen der Bundesregierung

GEMEINSAM FÜR
EIN LEBENDIGES LAND

Ü
      berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände,
      die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön-
      heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen
einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten
Kräften und hat bereits über 3.300 Projekte fördern können.
Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben
eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und
sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und
                                                                                                                        Tourismus NRW e. V. / NRW-Stiftung
Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und
die Geschichte unseres Landes.

Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele           Mitglied werden und Gutes tun!
gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung.                   Zum Geburtstag, zu Weihnachten oder einfach so:
Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen          Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer
und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus                  gut an — bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich
Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung.             landesweit für Natur und Kultur einsetzen.
Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin.
                                                                         Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für
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                                                                         Sie am Ende des Heftes.

                                                                         Förderverein NRW-Stiftung
                                                                         Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf
                                                                         Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de

2                                                                                                                 Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
INHALT                                                                     Weichenstellung für den Artenschutz
                                                                           Das ehemalige Stellwerk der Kokerei Hassel in
                                                                                                                                            32– 33

                                                                           Gelsenkirchen als Lebensraum für viele Tierarten.
Schaufenster                                                    4–5
Zu entdecken in NRW: Natur an der Lippe, X-perimente im
Röntgen-Museum Remscheid sowie das zurückgekehrte
Bundesbüdchen in Bonn.

Titelthema: Schauplatz Petersberg                              6 – 12
Auf dem Petersberg im Siebengebirge wurde die
Geschichte der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt.
Das neue Besucherinformationszentrum Petersberg
ist ein Haus der NRW-Stiftung.                                                                                                  Landschaftsagentur Plus

                                                                           Die Wand als Kunstwerk                                          34 – 35
                                                                           Klassizistische Wandmalereien in Haus Korff
                                                                           im münsterländischen Sassenberg.

                                                                           Renaturierung an der Alme                                       36 – 37
                                                                           Der Karstfluss Alme bildet mit Pader und Lippe
                                                                           ein ungewöhnliches Flusstrio.
                                                       Werner Stapelfedt

                                                                           Natur wird „WEGBAR“                                             38 – 39
Umweltbildung als Erfolgsgeschichte                          13 – 15       Projektpartner um die NABU-Naturschutzstation
30 Jahre Biologisches Zentrum im Kreis Coesfeld.                           Münsterland leisten preisgekrönte Inklusionsarbeit.

Weltkulturerbe Zollverein                                    16 – 17
Startschuss für den Denkmalpfad Kokerei.

Zuckerrohr und Drachenbäume                                  18 – 19
Blühende Oasen im Tropenhaus und im Botanischen
Garten Solingen.

Natur statt Raketen                                         20 – 22
Die Drover Heide ist eine der Flächen des Nationalen
Naturerbes im Besitz der NRW-Stiftung.                                                                                                    Bernd Hegert

                                                                           Kunst auf Besuchsreise                                                 40
                                                                           Das Klever Koekkoek-Haus zeigt seine Sammlung
                                                                           in den Niederlanden.

                                                                           Meldungen                                                       41 – 43
                                                                           25 Jahre Förderverein Haus Am Quall / Haus Ingenray
                                                                           in Geldern Pont / Dorfgemeinschaftshaus Oberfischbach /
                                                       Werner Stapelfedt   Neuer Abteilungsleiter für den Naturschutz.

                                                                           Förderverein                                                    44 – 45
Aussichten mit Geschichte                                           23     Digitale Mitgliederversammung / Neu im Vorstand:
Der Aussichtsturm auf der Karlshöhe in Halver                              Marianne Thomann-Stahl / Ehrenmitgliedschaft Heidelberg /
stammt von 1893.                                                           100. Firmenmitglied
Reihe: Künstlerhäuser in NRW                                24 – 27        Spenden / Zustiften                                             46 – 47
Burg Hülshoff, Rüschhaus und anderswo:                                     Traditionsreiche Glaskunst – die Mayer’sche Hofkunst-
Orte der Literatur in Westfalen.                                           anstalt München auf Schloss Drachenburg.
Der Biber hilft mit                                         28 – 29        Nicki Nuss                                                      48 – 49
Entwicklungen im Naturschutzgebiet                                         Das große winterliche Schlummern.
Fleuthkuhlen am Niederrhein.
                                                                           Ausflugstipps                                                   50 – 54
Geschichte und Zukunft des Papiers                           30– 31        Attraktive Ziele für Mitglieder des Fördervereins.
Das Papiermuseum Düren präsentiert sich
seit zwei Jahren in neuer Gestalt.                                         Impressum                                                               55

                                                                                                                                                      3
SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
p SCHAUFENSTER

    Die Landschaft am Lauf der Lippe ist Lebensraum
    für viele Tier- und Pflanzenarten.
                                                                                                                                              Bernd Hegert

LANDSCHATZ AN DER LIPPE
A
        m Lauf der Lippe ist es der Nordrhein-Westfalen-Stiftung               Lippstadt und Lippborg im Kreis Soest. Außerdem schützt sie
        gelungen, ihr Engagement auf weitere Flächen auszu-                    Naturräume in den Lippeauen bei Wesel.
        dehnen und damit ein bedeutendes Naturschutzprojekt
auf den Weg zu bringen. Die Stiftung hat in den Kreisen Coesfeld
und Recklinghausen rund 300 Hektar Land erworben. Bei den                      Neuland in der Eversumer Heide
überwiegend bewaldeten Flurstücken handelt es sich um Flächen                  Der jüngste Flächenerwerb liegt am Unterlauf der Lippe und schafft
bei Olfen und Datteln, die die NRW-Stiftung von der Ruhrkohle AG               damit einen ersten Schritt, um Naturschutzziele der NRW-Stiftung
gekauft hat. Die Chance, Gebiete in dieser Größenordnung zu                    am gesamten Flusslauf umzusetzen. Die bewaldeten Flächen
erwerben und damit den Lebensraum zahlreicher Tier- und                        südlich der Lippe im Kreis Recklinghausen sind überwiegend Teil
Pflanzenarten zu erhalten, ist selten.                                         des Naturschutzgebietes Lippeaue. Bei dem „Neuland“ im Kreis
                                                                               Coesfeld handelt es sich um große Teile der Eversumer Heide
Von ihrer Quelle bis zur Mündung fließt die Lippe 220 Kilometer                bei Olfen. Zwar finden sich dort noch überwiegend Kiefern- und
lang durch Nordrhein-Westfalen. Die NRW-Stiftung engagiert sich                Fichtenbestände, doch die nächste Waldgeneration ist mit jungen
seit vielen Jahren für den Natur- und Landschaftsschutz im Nah-                Buchen und Eichen schon fest im Erdreich verwurzelt. Auf diese
bereich der Lippe und ihrer Nebenflüsse, wie zum Beispiel der Alme             Weise entsteht ein neuer Laubmischwald. Damit ist die NRW-
im Kreis Paderborn. Sie besitzt ausgedehnte Flächen in den                     Stiftung künftig in einer Region präsent, in der sie zuvor noch keine
Naturschutzgebieten Hellinghauser Mersch und Disselmersch bei                  Flächen für den Naturschutz sichern konnte.
                                                                               Text: Hannah Blazejewski und Stefan Ast

    Dieses besondere Gebiet in den Kreisen Coesfeld und Reckling-               Rund 300 Hektar ist das Areal groß, das die NRW-Stiftung in den
    hausen zu schützen, ist ein Auftrag der Nordrhein-Westfalen-Stiftung.       Kreisen Coesfeld und Recklinghausen erworben hat.

4                                                        Archiv NRW-Stiftung                                             Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
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SCHAUFENSTER                p

HERR RÖNTGEN
                                                                               Was ist Strahlung, was sind Schwingungen und Wellen? Für die
                                                                               Suche nach Antworten stehen den forschenden Kleinen zum

UND DIE
                                                                               Beispiel Infrarotkameras und Fluoreszenzmikroskope zur Ver-
                                                                               fügung. Die „X-perimente Kits“ starteten 2020 in einem doppelten
                                                                               Jubiläumsjahr: W. C. Röntgen kam vor 175 Jahren in Lennep

KITS FÜR KIDS
                                                                               zur Welt, die Entdeckung der X-Strahlen gelang ihm vor 125 Jahren.
                                                                               Die NRW-Stiftung hat das Röntgen-Museum mehrfach unterstützt
                                                                               und auch die Ausstellung im nahen Geburtshaus des Nobelpreis-

                                 D
                                                                               trägers gefördert.
                                             as RöLab ist das
                                             Schülerlabor des
                                             Deutschen Röntgen-
                                     Museums in Remscheid-Lennep.
                                     Junge Leute können sich hier den
                                     X-Strahlen, die Wilhelm Conrad
                                     Röntgen 1895 entdeckte, auf
                                     „x-perimentelle“ Weise nähern.
                                     Das Angebot richtete sich bis-
                                     lang vor allem an etwas ältere
                                     Schülerinnen und Schüler. Doch
                  Werner Stapelfeldt nicht zuletzt durch neue „X-peri-
                                     mente Kits“ — mobile Experimen-
tierkoffer, deren Entwicklung und Betreuung die NRW-Stiftung
gefördert hat — können nun auch Kinder ab zehn Jahren
spannende natur-
wissenschaftliche             X-Strahlen und X-perimente: Das Röntgen-
Lernerfahrungen               Museum bietet dem Nachwuchs spannende
machen.                       Begegnungen mit Phänomenen der Physik.
                                                                                                                                 Deutsches Röntgen-Museum

                                                                                  DAS BUNDESBÜDCHEN
                                                                                  ES IST WIEDER DA!
                                                                                 D
                                                                                          er berühmteste Kiosk der Republik ist zurück im ehe-
                                                                                          maligen Bonner Regierungsviertel. Vierzehn Jahre lang
                                                                                          musste Inhaber Jürgen Rausch, dessen Familie den
                                                                                  Verkaufspavillon in den 1950er Jahren gründete, auf den großen
                                                                                  Moment warten. Am 21. August wurde der Kiosk dann nahe
                                                                                  seinem alten Standort wiedereröffnet – dank eines engagierten
                                                                                  Fördervereins, der das Büdchen aus einem tristen Bauhof
                                                                                  befreit hat. Dahin war es 2006 bei der Errichtung des Bonner
                                                                                  „World Conference Center“ verbannt worden.

                                                        Fotos: Jürgen Schulz

 Nun auch mit knallrotem Namensschriftzug:
 Das Bundesbüdchen in Bonn ist wieder in Betrieb.

Zur Eröffnung kam auch Bettina Adenauer-Bieberstein, Enkelin
des ersten Bundeskanzlers. Schließlich hatte sich das Büdchen
schon in der Adenauer-Ära zum informellen Treff für Parlaments-
und Regierungsmitglieder entwickelt, die hier Kaffee tranken,
Würstchen aßen oder Zeitungen kauften. Der unkonventionellste
Kommunikationsort der Bonner Republik machte übrigens auch
TV-Karriere, etwa im „Tatort“. Der neue Pächter Peter Mauel öffnet
das Büdchen — Ecke Heussallee/Platz der Vereinten Nationen
— montags bis freitags von 7:00 bis 18:00 Uhr.

 Peter Storsberg (links), Vorsitzender des Fördervereins
 Historischer Verkaufspavillon, und Professor
 Dr. Karl-Heinz Erdmann vom Vorstand der NRW-Stiftung.
                                                                                                                                                 5
SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
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DER BUNDES-
BERG AM RHEIN
    Der Petersberg im Siebengebirge bei Bonn zählt mit rund 336 Metern
    nicht zu Deutschlands höchsten Gipfeln, doch als Schauplatz der Geschichte
    ist er ein wahrer Riese. Im großen Hotel auf der Bergkuppe spielten sich
    entscheidende Ereignisse der Nachkriegszeit ab, später logierten hier
    Staatsoberhäupter aus aller Welt. Einblicke in die Rolle des Petersbergs
    bei der Geburt der Bundesrepublik und bei internationalen Begegnungen
    bietet jetzt ein multimediales und barrierefreies Besucherinformations-
    zentrum. Es ist im ehemaligen Wachgebäude der Polizei untergebracht,
    die früher das Bergareal sicherte. Das Zentrum informiert auch über die
    Natur rund um den Petersberg und dient als Ausgangspunkt für Erkundungen
    der Umgebung, zu der wertvolle Flächen des nationalen Naturerbes gehören.

6                                                               Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
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                                                                                                                                         Werner Stapelfedt

                                                                 S
                                                                         chon die Romantiker des 19. Jahrhunderts liebten den
                                                                         Petersberg. Sie malten sich gerne das Ordensleben aus,
                                                                         das es hier im 12. Jahrhundert gegeben hatte, als nachein-
                                                                 ander Augustiner und Zisterzienser den Berg besiedelten.
                                                                 Und noch mehr begeisterten sie sich für die malerische Ruine
                                                                 der Klosterkirche am Fuß des Berges, im Tal des Heisterbachs,
                                                                 wohin die Zisterzienser 1192 ihren Konvent verlegten.
                                                                 Berühmte Namen der romantischen Schule wie der
                                                                 Shakespeare-Übersetzer und Sanskrit-Experte August
                                                                 Wilhelm Schlegel hatten am Petersberg aber noch
                                                                 einen anderen Anlaufpunkt – den 1834 erbauten
                                                                 Sommersitz der „Rheingräfin“. So nannte man
                                                                 die wohlhabende und hochgebildete Sibylle Mertens-
                                                  Judith Büthe   Schaaffhausen, die im Mittelpunkt vieler kultureller
                                                                 Aktivitäten stand und sich auch um die 1764 erbaute
Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949                  Petrus-Kapelle auf dem Berg kümmerte. Lediglich verschiedene
hieß offiziell „Niederschrift der Abmachungen zwischen           „Bittwege“, also Wallfahrtswege führten dorthin, auf die sich
den Alliierten Hohen Kommissaren und dem Deutschen
Bundeskanzler auf dem Petersberg bei Bonn“.                      nur selten gewöhnliche Wanderer verirrten – die wachsende Zahl
Es brachte wichtige Weichenstellungen für die Zukunft            der Ausflügler bevorzugte im Siebengebirge Drachenfels, Ölberg
der Bundesrepublik Deutschland.                                  oder Wolkenburg. Der in Königswinter geborene Schriftsteller
                                                                 Wolfgang Müller konnte daher 1867 humorvoll beschreiben, wie er
                                                                 den Berg des heiligen Petrus im Alleingang erklomm, weil ihm
                                                                 seine Begleiter die Gefolgschaft verweigerten. Gut zwanzig Jahre
                                                                 später hätte er es bequemer gehabt: Durch ein Hotel und eine
                                                                 Zahnradbahn wurde der Petersberg nun touristisch erschlossen.

                                               Das erste Hotel entstand ab1889 auf dem Petersberg.
                                               Im 20. Jahrhundert wurde es zur Luxusherberge und
                                               zum weltweit bekannten Treffpunkt internationaler
                                               Politik. Heute wird es als Grandhotel geführt.
                                                                                                                     Werner Stapelfedt            7
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   Berg im Blickpunkt                                                                    Neville Chamberlain starb 1940, erlebte also weder das Ende
   Das Hotel hatte zunächst keinen dauerhaften Erfolg, doch nach-                        des Dritten Reichs noch die Gründung der Bundesrepublik 1949,
   dem es 1911 vom 4711-Fabrikanten Ferdinand Mülhens erworben                           die dem Petersberg eine neue Rolle bescherte. Sie hing mit
   worden war, entwickelte es sich sogar zur Luxusadresse. Ins Blick-                    dem Besatzungsstatut zusammen, das den Siegermächten USA,
   feld der internationalen Politik geriet es erstmals, als hier im                      Großbritannien und Frankreich weitreichende Kontrollrechte
   September 1938 der britische Premierminister Neville Chamberlain                      über die junge Republik gab. Man verweigerte ihr vor allem
   logierte. Er kam, um im nahen Bad Godesberg mit Hitler über                           die außenpolitische Selbständigkeit. Ausländische Diplomaten
   die deutschsprachigen Gebiete der damaligen Tschechoslowakei                          wurden daher nicht etwa in Bonn, sondern auf dem Petersberg
   zu verhandeln, das sogenannte Sudetenland. Hitler reklamierte                         akkreditiert, wo die drei „Hohen Kommissare“ der Alliierten
   es für das Deutsche Reich – so aggressiv, dass Chamberlain                            von 1949 bis 1952 ihren Amtssitz hatten. Das beschlagnahmte
   umgehend wieder abreiste. Wenn Briten und Franzosen wenige                            Hotel war damals Standort von rund 340 Büros und zwölf
   Tage später im Münchener Abkommen den deutschen Forderungen                           Sitzungssälen. Um den zahlreichen Beschäftigten eine tägliche
   dennoch nachgaben, so taten sie das in der Hoffnung auf                               Fußprozession bergauf und bergab zu ersparen, wurde für sie
   „appeasement“, also auf Beschwichtigung der Nazis. Vergeblich:                        eigens die alte Zahnradbahn reaktiviert.
   Hitler brach den Vertrag, besetzte im März 1939 Prag und befahl
   fast exakt ein Jahr nach Chamberlains Besuch den Überfall                               Oben: Das ehemalige Wachgebäude am Petersberg
   auf Polen – den Auftakt zum Zweiten Weltkrieg.                                          beherbergt als Haus der Nordrhein-Westfalen-Stiftung
                                                                                           jetzt ein multimediales Besucherinformationszentrum.
                                                                                           Rechts: Die Besatzungszonen im zerstörten Nachkriegs-
                                                                                           deutschland. Daneben: Staatsgäste-Geschirr der 1990er Jahre.

Bundeskanzler Adenauer auf dem Petersberg nach             Zeltlager-Protest für Garry Davis und dessen Welt-          Bundeskanzler Adenauer, Bundespräsident Heuss
Unterzeichnung des Besatzungsstatuts am 21.09.1949.        bürger-Bewegung, aufgenommen im Januar 1950.                und Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, 9.11.1954.

 1949                         Bundesarchiv, Bild P047241     1950          Bundesarchiv, Bild F090977_0013/G. Munker     1954                         Bundesregierung/Brodde

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Adenauer und der Teppich
Begegnungen auf dem Petersberg, dem „Monte Veto“, wie Spötter
ihn nannten, waren stark von Protokollfragen und politischen
Gesten geprägt. Daher glaubte der erste deutsche Bundeskanzler
Konrad Adenauer nicht an einen Zufall, als ihm die Hohen
Kommissare bei der Übergabe des Besatzungsstatuts am 21. Sep-
tember 1949 auf einem Teppich gegenübertraten, während er
selbst nur einen Platz davor einnahm. Kurzentschlossen betrat
er den Teppich, um symbolisch Augenhöhe anzumelden. Der
frühere Leiter des Siebengebirgsmuseums in Königswinter, Elmar
Scheuren, der das neue Besucherzentrum in Kooperation mit
dem Bonner Haus der Geschichte konzipiert hat, betont allerdings:
Unser Bild von dem legendären Geschehnis beruht allein auf                             NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Eckhard Uhlenberg,
Adenauers subjektiver Wahrnehmung. Es ist nicht zu belegen,                            Präsident der NRW-Stiftung (r.), bei der Eröffnung des „Schauplatz
dass andere Anwesende den Schritt auf den Teppich bewusst                              Petersberg“ im September 2020.
registrierten oder gar politisch werteten. Als gefühlter historischer
Moment ging die Szene gleichwohl in die bundesdeutsche                              in europäische Organisationen vor. Im Gegenzug akzeptierte
Geschichte ein.                                                                     Adenauer die internationale Kontrolle über das Ruhrgebiet.
                                                                                    Die SPD-Opposition kritisierte das Zugeständnis heftig und warf
Vorrangiges Ziel Adenauers war die Milderung der Besatzungs-                        dem Kanzler zudem die Zementierung der deutschen Teilung vor.
bedingungen. Einen ersten Meilenstein markierte dabei das mit                       Im Bundestag wurde Adenauer vom SPD-Vorsitzenden Kurt
den Alliierten ausgehandelte Petersberger Abkommen vom                              Schumacher sogar als „Bundeskanzler der Alliierten“ geschmäht
November 1949. Es beendete fast alle Demontagen deutscher                           – ein berühmter Eklat des deutschen Parlamentarismus.
Industrieanlagen und sah die Einbindung der Bundesrepublik

Mohammad Reza Pahlavi, Schah von Persien,                Leonid Breschnew, Generalsekretär der KPdSU,             Helmut Kohl und seine Frau Hannelore mit Michail
und seine Frau Prinzessin Soraya am 28.02.1955.          am 18.05.1973. Ganz links Bundeskanzler Brandt.          Gorbatschow und Raissa Gorbatschowa, 9.11.1990.

  1955                  Bundesregierung/Rolf Unterberg     1973                   Bundesregierung/Ulrich Wienke    1990                      Bundesregierung/Burkhard Jüttner

                                                                                                                                                                        9
SCHAUPLATZ PETERSBERG - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
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                                                                                                                                   Fotos: Barbara Bouillon

     Die mehr als 150 Jahre alten Buchenwälder des Petersbergs              Die „Mondscheinwiese“ ist Standort zahlreicher Pflanzen-
     sollen sich in den nächsten Jahrzehnten zu ursprünglichen              arten des Offenlandes wie der Berg-Flockenblume und
     Naturwäldern entwickeln dürfen.                                        der Herbstzeitlosen.

 NATIONALES NATURERBE PETERSBERG
  Alte Buchenwälder, aufgelassene Steinbrüche und artenreiche             der seltene Hirschkäfer sind nur einige Beispiele. Der besondere
  Wiesen: Das Nationale Naturerbe (NNE) Petersberg gehört zu              Stolz des Naturschutzes ist aber eine kleine Pflanze: die Wald-
  den ökologischen Juwelen der Region. Am westlichen Rand                 Bergminze. Die aromatisch-duftende Verwandte der Pfefferminze
  des Siebengebirges gelegen, ist das 92 Hektar große NNE-Gebiet          mit ihren zartvioletten Blüten wächst am Petersberg an ihrer
  Teil sowohl des größten zusammenhängenden Naturschutzgebietes           nördlichen Verbreitungsgrenze.
  Nordrhein-Westfalens als auch des gleichnamigen europäischen
  FFH-Schutzgebietes Siebengebirge.                                       Das Naturerbe Petersberg blickt im Wortsinn in eine blühende
                                                                          Zukunft. Denn die teilweise über 150 Jahre alten Buchenwälder
  Das Naturerbe Petersberg spiegelt auf vergleichsweise kleiner           sollen sich in den kommenden Jahrzehnten gemeinsam mit
  Fläche einen großen Teil der Naturvielfalt des Siebengebirges           benachbarten Beständen ungestört wieder zu ursprünglichen
  wider. Wie der Rest der insgesamt fast 50 Quadratkilometer großen       Naturwäldern entwickeln dürfen. Sie werden damit Heimat
  Siebengebirgs-Naturlandschaft besteht es vor allem aus Buchen-          für eine noch reichhaltigere Tier- und Pflanzenwelt. Insgesamt
  und zum kleineren Teil auch aus Eichenwäldern.                          entsteht auf über 600 Hektar wieder natürlicher Urwald. Konkret
                                                                          bedeutet dies, dass menschliche Eingriffe in die natürlichen
  Darüber hinaus beherbergt das NNE Petersberg ein abwechslungs-          Entwicklungsprozesse auf ein Minimum zurückgefahren werden.
  reiches Mosaik aus weiteren Lebensräumen, die typisch sind für          So bleiben etwa umgestürzte Bäume liegen und werden dem
  die wärmeverwöhnte Mittelgebirgslandschaft entlang des Rheins.          natürlichen Zersetzungsprozess überlassen. Denn gerade Totholz
  Hier können Besucher noch viele andernorts selten gewordene             ist für viele Pflanzen, Pilze, Insekten und Vögel ein wahres
  Tier- und Pflanzenarten beobachten. Schwarz- und Mittelspecht,          Lebenselixier!
  das Große Mausohr (die größte einheimische Fledermausart) und           Text: Thomas Krumenacker

Erlebnisraum Petersberg – künftig mit „Lauschtour“
Wo fuhr Breschnew seinen Mercedes in              Der herunterladbare Audio-Guide erläutert
den Graben? Wo lebten einst mittelalter-          eine Vielzahl von Stationen nicht nur zur
liche Mönche? Wo joggte Bill Clinton?             Historie des Bundesgästehauses und seiner
Der Petersberg, seine Geschichte und              Sicherheitsanlagen, sondern auch zu
seine Natur lassen sich hervorragend              anderen interessanten Punkten. Dazu
erkunden. Ausgangspunkt ist das neue              gehören Relikte eines über zweitausend
Besucherzentrum. Künftig wird außerdem            Jahre alten Ringwalls, ehemalige Steinbrü-
eine „Lausch-Tour“ das Gelände erschlie-          che, Bittweg-Stationen, Aussichtspunkte
ßen, eine Handy-App, wie es sie in acht           und mehr. „Natur-Lauschpunkte“ zum
Sprachen bereits für Schloss Drachenburg          Buchenwald des nationalen Naturerbes am
auf dem nahen Drachenfels gibt.                   Petersberg ergänzen das Programm.
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Demonstranten und Staatsgäste
Politik spielte sich zum Jahreswechsel 1949/50 auch am Fuße
des Petersbergs ab, wo damals zwei Männer aus Herne zelteten.
Sie taten es als Solidaritätsbekundung für den Amerikaner
Garry Davis, der seine US-Staatsbürgerschaft aufgegeben hatte,
um eine friedliche Bewegung staatenloser Weltbürger zu gründen.
Frankreichs Hoher Kommissar André François-Poncet ließ den
beiden „Zeltbürgern“, wie der „Spiegel“ sie respektlos nannte,
zu Silvester eine Flasche Sekt überreichen. Doch gerade in
den soeben anbrechenden 50er Jahren blieb Staatenlosigkeit
ein bloßer Traum. Aus guten Gründen strebte die Bundesrepublik
stattdessen nach Wiedererlangung staatlicher Souveränität
                                                                                                                                                           Fotos: Judith Büthe
innerhalb eines demokratischen Europas.
                                                                                           Legendär – Queen Elizabeth II. als Staatsgast.

                                                                                        Königin am Rhein
                                                                                        Als Königin einem Kaiser den Rang abzulaufen – das gelang Queen
                                                                                        Elizabeth elf Jahre nach Haile Selassie. Kein bundesdeutscher
                                                                                        Staatsgast war so umjubelt wie sie, kam hier doch nach über
                                                                                        fünfzig Jahren erstmals wieder ein Mitglied des britischen Königs-
                                                                                        hauses offiziell nach Deutschland. Es war eine wichtige Versöh-
                                                                                        nungsgeste, von manchem sogar als symbolische Wiederaufnahme
                                                                                        der Deutschen in die internationale Völkergemeinschaft gedeutet.
                                                                                        Die Queen lud 500 Gäste zu einem Empfang auf den Petersberg
                                                                                        ein, war elf Tage lang in der Republik unterwegs und bildete den
                                                                                        Mittelpunkt eines Großereignisses, das im neuen Besucherzentrum
                                                                                        ausführlich gewürdigt wird. Dabei greift die Ausstellung hier wie
  „Perspektive Europa“ – durch das Petersberger Abkommen                                auch bei anderen Themen auf die Möglichkeiten multimedialer
  eröffnete sich für die Bundesrepublik die Aussicht auf Mitglied-                      Darstellung zurück, um bei beschränktem Raum ein detailreiches
  schaft in Europäischen Organisationen.                                                Bild zu zeichnen.

Als das Ziel 1955 durch das Inkrafttreten des Deutschlandvertrags
erreicht war, hatten die Hohen Kommissare ihren Sitz schon
seit drei Jahren nach Schloss Deichmannsaue in Bad Godesberg
verlegt. Der Bund konnte das Petersberg-Hotel daher zur Unter-
bringung von Staatsgästen anmieten – hoch über dem Rhein,
nahe Bonn. Zuerst erlebte Kaiser Haile Selassie von Äthiopien
den neuen Petersberg. Er kam im Herbst 1954, als die Republik
noch kaum den sommerlichen Taumel um die gewonnene Fußball-
weltmeisterschaft hinter sich gelassen hatte. „Ras Tafari Makon-
nen“, wie er als Prinz hieß, auserkorener Messias der Rastafari-
Jünger und seit 1930 Kaiser von Äthiopien, mochte auf viele
Deutsche wie der Abgesandte einer sehr fernen Welt wirken.
Sein Besuch erinnerte aber auch an den Widerstand, den Äthiopien
1935-41 gegen die Aggression des italienischen Faschismus
geleistet hatte.                                                                          Eingangsbereich mit Medientisch und Informationsmaterial.

Palästinenserführer Jassir Arafat bei seinem ersten           Südafrikas Präsident Nelson Mandela tanzt bei einem         Delegierte aus 45 Nationen kamen im Mai 2010 zum
offiziellen Deutschlandbesuch, 8.12.1993.                     Empfang im Gästehaus Petersberg, 23.05.1996.                „Petersberger Klimadialog“ an den Rhein.

  1993                    Bundesregierung/Engelbert Reineke    1996               Bundesregierung/Christian Stutterheim    2010                          Bundesregierung/Jesco Denzel

                                                                                                                                                                        11
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Einen großen Einschnitt erlebte der Petersberg 1969: Der Bund
als bloßer Mieter musste es akzeptieren, dass die Erbengemein-
schaft der Familie Mülhens das Hotel schloss. Staatsgäste wie
Erich Honecker logierten bei Besuchen in den folgenden zwei
Jahrzehnten auf Schloss Gymnich an der Erft, von dem damals
niemand ahnen konnte, dass es einmal der Kelly-Family gehören
würde. Über den Petersberg breitete sich derweil ein politischer
Dornröschenschlaf aus, ein einziges Mal jäh unterbrochen vom
Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew. Er kam 1973 nach
Westdeutschland, drei Jahre nachdem sich UdSSR und Bundes-
republik im Moskauer Vertrag auf die Förderung von Frieden und
Entspannungspolitik geeinigt hatten. Sicherheitserfordernisse
führten zur kurzzeitigen Wiederbelebung des besonders gut
abschirmbaren Petersberg-Hotels. Der Gast bedankte sich unfrei-
willig, indem er dem Anekdotenschatz des Berges eine neue
                                                                                                                              Fotos: Judith Büthe
Episode hinzufügte: Den Mercedes, den man ihm verehrt hatte,
manövrierte er auf den Serpentinen der Zufahrtstraße in den          Blick in einen der wabenförmigen Räume des ehemaligen
Graben, fuhr ihn aber immerhin nicht zu Schrott, wie bisweilen       Wachgebäudes auf dem Petersberg, das als authentischer Ort
zu lesen.                                                            selbst ein Zeuge der Geschichte ist.

                                                                    etwa zweihundert Meter oberhalb des Wachgebäudes verbinden.
                                                                    Auch nach dem Berlin-Umzug der Bundesregierung 1999 blieb das
                                                                    Hotel Staatseigentum. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
                                                                    hat es in den letzten Jahren durchgreifend modernisiert. Gemanagt
                                                                    wird es — unter dem Markennamen Steigenberger — von der
                                                                    „Deutschen Hospitality“, die seit 2020 zur chinesischen „Huazhu
                                                                    Group“ gehört. Staatsgäste der Bundesrepublik Deutschland
                                                                    wohnen heutzutage zwar im brandenburgischen Schloss Meseberg,
                                                                    internationale Treffen gibt es auf dem Petersberg aber nach
                                                                    wie vor. Im 21. Jahrhundert haben hier zum Beispiel zwei weltweit
                                                                    beachtete Afghanistan-Konferenzen sowie der Petersberger
                                                                    Klimadialog stattgefunden, politische Begegnungen auf höchster
                                                                    Ebene — dreihundert Meter über dem Meeresspiegel.
                                                                    Text: Ralf J. Günther

     Die Sicherheit am Petersberg stützte sich unter anderem auf      B LICK PU N KT
     Kamerabilder, die auf Monitorwände in zwei Kontrollräumen im
     Nordflügel des Hotels übertragen wurden.

                                                                      Die NRW-Stiftung übernahm von der Bundesanstalt
Sicherheit mal zwei                                                   für Immobilienaufgaben das Eigentum am ehemaligen
                                                                      Wachhaus auf dem Petersberg. Die NRW-Stiftung
Erst 1979 wurde der Bund Eigentümer des Petersbergs. Er ließ
                                                                      sanierte das Gebäude und richtete dort
das Hotel ab 1986 in alten Formen weitgehend neu erbauen und
                                                                      eine barrierefreie Ausstellung ein.
nahm es 1990 als offizielles Bundesgästehaus des wiederver-
                                                                      Das Haus dient zugleich als Ausgangs-
einigten Deutschlands in Betrieb. Rund um das Bergplateau zog
                                                                      punkt für Erkundungen des „Erlebnis-
sich jetzt ein massiver, von Scheinwerfern erfasster und kamera-
                                                                      raums Petersberg“. Außerdem
überwachter Zaun. Den äußeren Objektschutz übernahm der
                                                                      wurden der NRW-Stiftung über
Bundesgrenzschutz, die heutige Bundespolizei. Die Sicherheit im
                                                                      neunzig Hektar naturnaher Buchen-
Gästehaus garantierte das Bundeskriminalamt. Beiden Behörden
                                                                      wald am Petersberg übertragen,
standen Kontrollräume mit Monitoren für die Überwachungsbilder
                                                                      die zum Nationalen Naturerbe
zur Verfügung. Beamte des Bundesgrenzschutzes besetzten zu-
                                                                      gehören. Der Schauplatz Peters-
dem rund um die Uhr das Wachgebäude, das heute Eigentum
                                                                      berg wurde gefördert mit Mitteln
der NRW-Stiftung ist und das neue Infozentrum beherbergt. Es bot
                                                                      der Beauftragten der Bundes-
die Möglichkeit, von einem detonationsgeschützten Raum aus
                                                                      regierung für Kultur und Medien und
verdächtige Objekte zu durchleuchten. Mit seinem wabenförmigen
                                                                      des Landschaftsverbandes Rheinland.
Grundriss, dem Panzerglas, der Dokumentenübergabe und anderen
                                                                      Mehr Infos:
Details vermittelt es immer noch authentische Eindrücke vom
                                                                      www.schauplatz-petersberg.de
streng abgeschirmten Petersberg früherer Tage. Der Ausstellungs-
besuch lässt sich zudem mit einer Führung durch das Hotel

12                                                                                                           Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD         p

                                                                                            Fotos: Bernd Hegert

EINE ERFOLGSGESCHICHTE
DER UMWELTBILDUNG quappen und bestimmen Käfer
                   Die Kleinen käschern Kaul-

und Spinnen. Die Jugendlichen diskutieren über den Klimawandel oder sind aktiv gegen
das Insektensterben. Und die Erwachsenen brauen Bier oder lernen die Teesorten der
Welt kennen. Alle gemeinsam erkunden sie nach Einbruch der Dunkelheit die Umgebung
auf der Suche nach den „Jägern der Nacht“, den einheimischen Fledermäusen: Das ist
nur ein kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen Kursprogramm des Biologischen
Zentrums im Kreis Coesfeld im 30. Jahr seines Bestehens.

       Das Dahlienbeet in voller Blüte mit dem Strohlehmhaus
       im Hintergrund. Das Gebäude dient in den Sommermonaten
       als Ausstellungsraum inmitten der Gartenlandschaft.
       Es wurde 2007 von einer Schülerprojektgruppe errichtet.
                                                                                                         13
p    30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD

D
            ort, wo einst die Söhne wohlhabender münsterländischer
            Bauern das landwirtschaftliche Handwerk erlernten,
            wird heute lebendige Umweltbildung vermittelt. Im Jubi-
            läumsjahr ist es auf dem 2,5 Hektar großen Gelände
 in Lüdinghausen coronabedingt zwar ruhiger als sonst. Doch der
 Leitgedanke des Zentrums scheint aktueller denn je: „Lernen mit
 der Natur in der Natur.“

 „Umweltbildung muss Freude machen und darf nicht mit dem
 erhobenen Zeigefinger daherkommen“, beschreibt der Vorstands-
 vorsitzende des Trägervereins, Rolf Brocksieper, die Philosophie
 des Zentrums. Und so dürfen Kinder sich schon mal in einer
 „Alles-was-man-nicht-darf-Party“ austoben: Trampeln, schreien,
 schmatzen, matschen, Feuer machen – und dabei spielerisch
 erleben, wie viel schöner es sein kann, sich in der Natur statt vor
 dem heimischen Bildschirm aufzuhalten.

 Seit den Anfängen als Einrichtung zur Umweltbildung 1990 hat
 sich auf dem ehemaligen Lehrfeld und späteren Schulgarten
 der landwirtschaftlichen Realschule Lüdinghausen viel getan.
 Im Hauptgebäude entstand neben verschiedenen Schulungsräumen
 eine moderne Veranstaltungshalle, die mehreren Dutzend
 Menschen Platz bietet; das auch mit Hilfe von Schülern errichtete
 Strohlehmhaus dient im Sommerhalbjahr als Ausstellungsraum
 und die offene Feldscheune bietet viel Platz zum Lernen in der
 Natur. All das inmitten einer großzügigen bunten Gartenlandschaft
 mit Beeten für Nutzpflanzen aus aller Welt.

                                                                                               Matthias Overkamp ist seit zehn Jahren
                                                                                               für den Bauerngarten zuständig.
                                                                                               Im Kräutergarten (links) finden sich Beete
                                                                                               mit Gewürz- und Heilkräutern. Hier ist
                                                                                               ein Kraut gegen so manches der gängigen
                                                                                               Wehwehchen gewachsen.

                                                                                               Rechts: 35 Apfelsorten können im Bio-
                                                                                               Zentrum verkostet werden. Chemiefreier
                                                                                               Anbau machen Obst- und Kräutergarten
                                                                                               zu einem Paradies für Insekten, die mit
                                                                                               Nisthilfen unterstützt werden

Dr. Rolf Brocksieper, langjähriger Vorstandsvorsitzender des                                   Das Biologische Zentrum hat eine 150 Jahre
Trägervereins Biologisches Zentrum im Kreis Coesfeld, erhielt                                  alte Keimzelle, die frühere Ackerbauschule
                                                                                               und spätere Landwirtschaftliche Realschule
stellvertretend für den Vorstand des Vereins den diesjährigen
                                                                                               in Lüdinghausen. Unser Anspruch eines
Weg-Weiser-Preis für vorbildliches ehrenamtliches Engagement.                                  lebendigen Biologieunterrichts, eines
Wir sprachen aus diesem Anlass mit ihm.                                                        Lernens mit der Natur in der Natur, einer
                                                                                               Wissensvermittlung für Jung und Alt steht
                                                 30 Jahre Biologisches Zentrum: Sie            da in einer guten Tradition. Die Begeiste-
                                                 blicken auf eine lange Wegstrecke in der      rung für die Natur entsteht nämlich in der
                                                 Umweltbildung zurück. Sowohl das              Natur und nicht am Schreibtisch. Daran hat
                                                 Verhältnis vieler Menschen zur Natur          sich wenig geändert.
                                                 wie auch das pädagogische Verständnis              Aber wir haben natürlich auch neue
                                                 ist heute ein anderes als zu Beginn der       Impulse aufgenommen. Zum Beispiel ist das
                                                 1990er Jahre. Was macht eine moderne          Motto ‚Global denken, aber lokal handeln‘
                                                 Umweltbildung aus?                            eine Säule unseres Wirkens. Nachhaltigkeit
                                                 Auch die sogenannte moderne Umweltbil-        ist keine Floskel oder sollte es jedenfalls
                                                 dung ist etwas, das gewachsen ist. Sie fußt   nicht sein, sondern sie ist eine dauerhafte
                                                 auf Traditionen, die für uns wichtig sind.    Verpflichtung für die Gesellschaft und jede
                                                                                               und jeden Einzelnen.
                                                  Nehmen den Preis stellvertretend
                                                  für das Team entgegen:
14                                                Dr. Rolf und Ilka Brocksieper.                                  Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
30 JAHRE BIOLOGISCHES ZENTRUM IM KREIS COESFELD                                p
Mittlerweile 1.000 Veranstaltungen pro Jahr, ein Teilnehmerrekord
                                                                         B LICK PU N KT
von mehr als 21.000 Menschen 2019 und eine Gesamtbilanz von
300.000 Kursteilnehmern seit der Gründung: Das Biologische
Zentrum ist eine Erfolgsgeschichte. Ohne das haupt- und ehren-
                                                                          Die NRW-Stiftung fördert das „Bio-Zentrum“ fast seit
amtliche Engagement Dutzender Menschen und die Unterstützung
                                                                          seiner Gründung. Mit der Finanzierung der Ausstattung
von vielfältiger Seite – natürlich auch der NRW-Stiftung – hätte sie
                                                                          des Schulungsraums begann 1992 das
nicht geschrieben werden können.
                                                                          Engagement zu einer Zeit, in der ein
                                                                          Erfolg des Projekts noch
Die Corona-Pandemie stellt auch das Biologische Zentrum vor
                                                                          ungewiss war. 2002 wurde
große Herausforderungen. Im Frühling musste es für mehrere
                                                                          durch die Stiftungsförderung
Wochen schließen und für das Gesamtjahr rechnen die Verantwort-
                                                                          der Innenausbau finanziert
lichen mit zwei Drittel weniger Kursteilnehmern als im Vorjahr.
                                                                          und 2006 übernahm die
                                                                          NRW-Stiftung die Material-
Dennoch blicken die Macherinnen und Macher hinter dem
                                                                          kosten für die Werkstatt.
„Bio-Zentrum“ optimistisch nach vorne, denn sie sind von der
                                                                          Erfolgreich ist auch die
Bedeutung ihrer Arbeit überzeugt: Umweltbildung, sagen sie, ist
                                                                          Förderung über die Heimat-
mehr als ein schöner Zeitvertreib wie viele andere. Sie sei das
                                                                          Touren. Nach dem Neanderthal-
Fundament dafür, dass sich Menschen für den Erhalt der natür­
                                                                          Museum ist das Zentrum die Einrichtung,
lichen Lebensgrundlagen engagieren. Und das ist in Zeiten von
                                                                          die davon am meisten profitiert.
Klimawandel und Artensterben wichtiger denn je. Auch Bewegun-
gen wie die ‚Fridays for Future’ hätte es ohne Umwelt-Informatio-
nen wohl nicht gegeben. Themen wie Klimaschutz, global gerechte
Verteilung von Ressourcen und nachhaltige Entwicklung werden             Freuen sich über die Auszeichnung (v.l.):
deshalb in Lüdinghausen ganz sicher eine Zukunft haben.                  Bürgermeister Richard Borgmann, Dr. Rolf Brocksieper,
                                                                         die Geschäftsführerin der NRW-Stiftung Martina Grote,
Nicht nur freitags.                                                      die Leiterin des Biologischen Zentrums Dr. Irmtraud Papke,
Text: Thomas Krumenacker,                                                der Vorsitzende des Fördervereins der NRW-Stiftung
                                                                         Michael Breuer und Stiftungspräsident Eckhard Uhlenberg.

Haben Sie ein Beispiel dafür?                   unseren Veranstaltungen, haben wir im           Und natürlich wäre das alles nicht denkbar
Jeder kann etwa mit einem klugen und            vergangenen Jahr weit über 20.000               ohne unsere vielen Förderer, Freunde und
sparsamen Umgang mit Ressourcen einen           Teilnehmer bei fast 1.000 Veranstaltungen       Unterstützer.
Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.         gezählt. Von 1.000 Teilnehmern zu 1.000
                                                                                                Worauf sind Sie besonders stolz?
Eines ist uns dabei aber auch ganz wichtig:     Veranstaltungen pro Jahr, das kann sich
Wir wollen Umweltbildung nicht mit dem          doch sehen lassen, ist aber auch eine große     Darauf, dass wir das Biologische Zentrum
erhobenen Zeigefinger betreiben, sondern        Verantwortung.                                  nach über 30 Jahren in ein sicheres
mit positiven Entwicklungen verbinden,                                                          Fahrwasser gesteuert haben, dass wir die
                                                Wie schafft man es, 1.000 Veranstal-            Anerkennung gleichermaßen aus der Politik,
in die man sich einbringen kann. Umwelt-
                                                tungen auf hohem fachlichen Niveau              der Wirtschaft und der Bevölkerung haben
bildung muss Freude machen!
                                                pro Jahr anzubieten?                            – und ganz besonders: dass wir immer noch
Der Erfolg scheint Ihnen Recht zu geben.        Das geht nur als Teamleistung. Von der          die Begeisterung der Kinder wecken
Die Entwicklung Ihrer Aktivitäten in den        fachlichen Leitung bis zum Absolventen          können, die zu uns kommen. Inzwischen
vergangenen 30 Jahren und die Zahl der          eines freiwilligen ökologischen Jahres, vom     kommen auch die als Eltern, die früher als
Menschen, die sich daran beteiligen,            Biologen über die Lehrerin bis zum Gärtner.     Schüler hier Kurse besucht haben. Und sie
kennt nur eine Richtung: stetig nach            Wir bauen auf ein hochengagiertes Team          erinnern sich alle noch ganz genau daran,
oben.                                           von einigen Haupt- und vielen Ehrenamt-         was sie vor Jahrzehnten hier gemacht
Kann man so sagen. Kamen in den Anfän-          lichen und freiberuflichen Mitarbeitern.        haben. Auch das ist für mich ein Nachweis
gen in den frühen 1990er Jahren noch etwa       Insgesamt sind das fast 40 Leute. Jeder         von Nachhaltigkeit.
1.000 bis 3.000 Teilnehmer pro Jahr zu          Einzelne davon ist Teil unseres Erfolgs.        Mit Rolf Brocksieper
                                                                                                sprach Thomas Krumenacker
                                                                                                                                        15
p DENKMALPFAD          KO K E R E I Z O L LV E R E I N I N E S S E N

DIE SCHWARZE UND                                                                                                    Fotos: Jochen Tack / Stiftung Zollverein

DIE WEISSE SEITE                                             Vor knapp hundert Jahren
                                                             wurde Schacht XII der Essener
 Zeche Zollverein errichtet — architektonisch stark beeinflusst von den Ideen der neuen
 Sachlichkeit und des Bauhauses. Damals sprach man selbstbewusst von der „schönsten
 Zeche der Welt“, heute ist ihr 55 Meter hohes Doppelbock-Fördergerüst nicht nur ein
 weithin bekanntes Wahrzeichen Nordrhein-Westfalens, der Gesamtkomplex Zollverein
 zählt überdies sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe. Er umfasst außer dem ehemaligen Berg-
 werk auch die 1993 stillgelegte Kokerei, eine gigantische Anlage, die künftig durch einen
 außergewöhnlichen Erlebnisrundgang erschlossen wird. Station 1 ist bereits eröffnet.

E
        Ebenso wie die Zeche wurde auch die Kokerei Zollverein         Feuerlanze und Löschturm
        nach Plänen des Architekten Fritz Schupp errichtet,            Die Kokerei ist bereits als bloßes Bauwerk eine beeindruckende
        anders als erstere aber erst von 1957 bis 1961. Damals         Sehenswürdigkeit. Doch wie erläutert man die Produktions-
        war Schupp bereits Träger des Großen NRW-Kunstpreises,         vorgänge, die hier jahrzehntelang stattfanden, den vielen Besuche-
den man ihm in der Kategorie Baukunst verliehen hatte. Kurz vor        rinnen und Besuchern, die nur wenige oder gar keine Vorkennt-
seinem Tod im Jahr 1974 erlebte der Architekt außerdem noch            nisse mitbringen? Im Zechenteil von Zollverein hat man dafür ein
die Kapazitätserweiterung der Kokerei von 192 auf 304 Öfen.            Konzept entwickelt, das unter der bescheidenen Bezeichnung
Die dadurch mögliche Koksproduktion von über achttausend               „Denkmalpfad“ opulente mediale Effekte bietet: Mithilfe aufwen-
Tonnen pro Tag bildete in der Fachsprache die „schwarze Seite“         diger Projektionen werden dabei stillgelegte Maschinen virtuell
der Anlage. Auf der „weißen Seite“ wurden hingegen die bei der         wieder in Gang gesetzt. In ähnlicher Weise sollen nun auch
Verkokung frei werdenden Gase weiterverarbeitet, um Ammoniak,          die glühenden und zischenden Arbeitsabläufe der Kokerei wieder
Benzol und Teer zu gewinnen.                                           sichtbar werden, und nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar
                                                                       und sogar riechbar, so dass Blinde und Sehbehinderte ebenfalls
                                                                       teilhaben können. Die „Gesellschaft der Freunde und Förderer
                                                                       der Stiftung Zollverein“ hat sich für das insgesamt neun Stationen
                                                                       umfassende Vorhaben engagiert.

                                                                        Durch multimediale Installationen wird die Funktionsweise
                                                                        der Kokerei veranschaulicht. Die lange Reihe der Schornsteine
                                                                        ist im Modell wiederzuerkennen.

16                                                                                                                Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
D E N K M A L P FA D KO K E R E I Z O L LV E R E I N I N E S S E N            p

                                               Zlatan Alihodzic/Stiftung Zollverein                                                 Zlatan Alihodzic/Stiftung Zollverein

Im Herbst 2020 feierte am sogenannten Löschturm Ost die erste                         Innen und Außen
Station des neuen Kokerei-Pfades ihre Eröffnung. Zu sehen sind                        Für den Erlebnisrundgang entstehen in den nächsten Jahren
hier unter anderem die Feuerlanze zum Anzünden der Öfen und                           mehrere kubusförmige Gebäude entlang der Koksofenbatterie.
ein sieben Meter langes Modell der schwarzen Seite. Zusätzlich                        Allerdings sollen nur etwa ein Drittel der zu ihrer Zeit modernsten
werden Medien auf eine Wand projiziert. Insgesamt dient der Raum                      Kokerei Europas museal erschlossen und ihr ehemals tosendes
dazu, den Besucherinnen und Besuchern der Kokerei grundlegende                        Innenleben enthüllt werden. Das Industriedenkmal selbst bleibt
Abläufe zu veranschaulichen, Basiswissen über die gesamte                             in seiner beeindruckenden Größe und Authentizität auch weiter-
Anlage. In den weiteren acht Stationen geht es dann zum Beispiel                      hin das wichtigste „Exponat“. Tipp: Wer den Gesamtkomplex
um Umweltaspekte, das Leben von Arbeitern und Anwohnern, das                          Zollverein einmal umrunden will, kann sich dabei an der von
prasselnde, knackende und dampfende Ablöschen des rotglühen-                          der NRW-Stiftung geförderten Ringpromenade orientieren — ein
den Kokses und natürlich um die Geheimnisse der weißen Seite.                         LED-beleuchtetes Angebot für Fußgänger, Radfahrer, Jogger und
                                                                                      Inlineskater, das das Welterbe auf insgesamt dreieinhalb Kilometer
                                                                                      umzieht. Anders als für die Erlebnisrundgänge, bei denen die
 Oben: Mit dem modernen Kubus am Löschturm Ost wurde die
 erste von insgesamt neun Stationen des Rundgangs eröffnet.                           Animationen von einem Führer gestartet werden, braucht man
 Rechts daneben: Detail aus dem Kubus-Inneren.                                        für die Ringpromenade weder Termin noch Ticket.
                                                                                      Text: Ralf J. Günther
 Unten: Blick auf die Zeche Zollverein, die in direkter Nachbar-
 schaft zur Kokerei liegt. Der Komplex lässt sich zu Fuß oder per
 Rad auf der Ringpromenade umrunden.

                                                                                        B LICK PU N KT
WELTKULTURERBE IN NRW
                                                                                        Die NRW-Stiftung unterstützte die „Gesellschaft der
Fünf Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes lassen sich nach
                                                                                        Freunde und Förderer der Stiftung Zollverein e.V.“
heutigem Stand in NRW besuchen. Zollverein ist als Industrie-
                                                                                        bei der Medientechnik und beim Ausstellungsbau
denkmal des 20. Jahrhunderts die jüngste dieser Stätten.
                                                                                        für den Infokubus am Löschturm Ost der Kokerei
Aus dem 18. Jahrhundert stammen hingegen die barocken
                                                                                        Zollverein. Bereits in früheren Jahren hat die
Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl bei Köln.
                                                                                        NRW-Stiftung den Bau der über drei
Die drei übrigen Denkmäler sind mittelalterlich: Der 1248
                                                                                        Kilometer langen Ringpromenade
begonnene Kölner Dom gilt als Idealtypus einer gotischen
                                                                                        im Zollverein-Park gefördert,
Kathedrale, er ist seit 1996 Welterbe. Der Klosterbezirk Corvey
                                                                                        die das Welterbe und damit auch
bei Höxter an der Weser wurde 2014 anerkannt, das Westwerk
                                                                                        Anziehungspunkte wie das Ruhr
der dortigen Klosterkirche ist ein bedeutendes karolingisches
                                                                                        Museum oder den Skulpturen-
Bauwerk aus dem 9. Jahrhundert. Schon 1978 wurde
                                                                                        wald auf dem Gelände besser
der Aachener Dom mit der Pfalzkapelle Karls des Großen
                                                                                        erschließt. Weitere Infos unter:
(gest. 814) in die UNESCO-Liste aufgenommen — als erstes
                                                                                        www.zollverein.de und
deutsches Kulturdenkmal überhaupt.
                                                                                        www.freunde-zollverein.de
                                                                                                                                                                   17
p    B OTA N I S C H E R G A R T E N S O L I N G E N

EIN TROPISCHES
DENKMAL
                                          Das Bergische Land ist nicht unbedingt
                                          für sein tropisches Klima bekannt.
                                          In Solingen jedoch gedeihen Drachen-
bäume, Flamingoblumen und Zuckerrohr prächtig — trotz des bergischen Wetters.
Zu verdanken ist das dem ehrenamtlichen Einsatz der Stiftung Botanischer Garten
Solingen. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich der Verein tatkräftig für das
grüne Herz der Klingenstadt.

                                                                     Fotos: Stiftung Botanischer Garten Solingen e. V.

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B OTA N I S C H E R G A R T E N S O L I N G E N   p
                                                                       arbeiten beginnen. Die Maßnahmen dienen dem dauerhaften Erhalt
                                                                       des Baudenkmals und seiner energetischen Ertüchtigung. Im Zuge
                                                                       der Bauarbeiten wurde ein Klimacomputer installiert, der Heizung,
                                                                       Belüftung, Beleuchtung, Beschattung und Bewässerung steuert.
                                                                       „So können wir nun bis zu 30 Prozent an Heiz- und Energiekosten
                                                                       einsparen“, sagt Matthias Nitsche. Dem Solinger und seinen
                                                                       Vereinskollegen liegt die 1963 eröffnete Grünanlage besonders
                                                                       am Herzen. Die Stiftung zählt rund 500 Mitglieder, von denen sich
                                                                       130 aktiv engagieren. Denn im Garten und auch hinter den Kulissen
                                                                       gibt es das ganze Jahr über viel zu tun. „Wir freuen uns über jede
                                                                       helfende Hand“, sagt er. Zum Beispiel im Bauerngarten direkt
                                                                       vor dem historischen Tropenhaus. Dort wachsen Stockrosen,
                                                                       Schafgarbe und Kapuzinerkresse in hübsch angelegten Beeten.
                                                                       Unterstützung ist auch im ehrenamtlich geführten Kiosk gefragt.
                                                                       Von Ostersonntag bis Ende Oktober betreibt der Verein das Café
                                                                       an Sonn- und Feiertagen.

                                                                       Für viele Solinger ist der Botanische Garten mit seinen blühenden
                                                                       Oasen und Schauhäusern nicht nur ein Ort der Ruhe und Entspan-
                                                                       nung, sondern auch ein besonderer Teil ihrer Heimat. Die Anlage
                                                                       aus den 1950er und 60er Jahren stellt in der Region eine Seltenheit
                                                                       dar. Deshalb wurde das Areal inklusive historischem Tropenhaus
                                                                       im Jahr 2010 unter Denkmalschutz gestellt. Aus gartenarchitektoni-
                                                                       schen und kulturgeschichtlichen Gründen ist der Erhalt der Anlage
                                                                       besonders wichtig. Dank des unermüdlichen Einsatzes vieler
 Das unter Denkmalschutz stehende Tropenhaus                           Vereinsmitglieder ist der Botanische Garten ein außergewöhnlich
 ist das Wahrzeichen des Botanischen Gartens Solingen.                 schönes Stück Solingen. Für die gleichnamige Stiftung ist er auch
                                                                       ein schönes Stück Arbeit — und eine echte Herzensangelegenheit.

N
                                                                       Durch den überaus großen ehrenamtliche Einsatz des Vereins
        achhaltigkeit ist etwas, das Matthias Nitsche sehr wichtig     ist das Projekt, über den Denkmalwert des Tropenhauses hinaus,
        ist. Auch deshalb gibt es für ihn und seine Mitstreiter von    ein Paradebeispiel bürgerschaftlichen Engagements in NRW.
        der Stiftung Botanischer Garten Solingen viel zu tun.          Text: Hannah Blazejewski
Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins verbringt nahezu
jede freie Minute in der mehr als 61.000 Quadratmeter großen
                                                                         Stiftungsvorstand Franz-Josef Lersch-Mense (3.v.r.)
Grünanlage mit verschiedenen Schauhäusern. Darum weiß er auch
                                                                         zu Besuch bei den engagierten Projektpartnern
genau, wo der Schuh gerade drückt und wie der Garten besser              in Solingen.
wirtschaften kann, um Ressourcen zu schonen. Lange war deshalb
das Wahrzeichen des Botanischen Gartens das Sorgenkind
der Stiftung: das unter Denkmalschutz stehende Tropenhaus.
Der Glasbau war nicht mehr ganz dicht. „Der Betrieb eines
Tropenhauses verursacht grundsätzlich hohe Kosten. Je schlechter
es energetisch aufgestellt ist, desto höher sind sie“, sagt Matthias
Nitsche. 1965 erbaut, war das Tropenhaus wahrlich in die Jahre
gekommen. „Seinerzeit wurde das Gebäude von einer Stahl-
baufirma errichtet. Die Träger sind so massiv, es könnte auch
problemlos auf der Zugspitze stehen“, sagt er. Jede einzelne
Scheibe zwischen den Stahlträgern ist maßangefertigt.

Die einst zwischen den Trägern verbauten, einfachen Glasscheiben
wurden vor vielen Jahren zur Wärmeisolation durch Doppelsteg-
platten aus transparentem Kunststoff ersetzt. Der teils asbest­
haltige Kitt zwischen den Platten war jedoch über die Zeit spröde
und rissig geworden. An manchen Stellen fehlte er ganz. So konnte        B LICK PU N KT
über die Jahrzehnte Wasser in das Bauwerk eindringen und im
Winter Frostschäden verursachen. „Auch wenn wir innen gewässert          Mit Hilfe der NRW-Stiftung konnte das unter
haben, lief es außen an der Fassade herunter“, sagt Matthias             Denkmalschutz stehende Tropenhaus
Nitsche. Höchste Zeit zu handeln. Seit dem 50. Geburtstag des            saniert, mit modernen Doppel-
Glasbaus im Jahr 2015 sammelte die Stiftung Botanischer Garten           glasscheiben und einem
daher fleißig Spenden.                                                   Klimacomputer zur Steue-
                                                                         rung von Heizung und
Der Verein hat seither viel Unterstützung von heimischen Unter-          Belüftung ausgerüstet
nehmen, Initiativen und Privatleuten erhalten. Dank der großen           werden.
Spendenbereitschaft und der Förderung der NRW-Stiftung konnte            www.botanischer-
der Verein im August 2020 mit den aufwendigen Sanierungs-                garten-solingen.de
p DROVER          HEIDE

     Die Beweidung mit Rindern oder Schafen gehört zu             Über zahlreiche Wege und Aussichtspunkte lässt
     den wichtigsten Pflegemaßnahmen. Nur so kann                 sich der ehemalige Truppenübungsplatz zu Fuß
     eine Verbuschung der Heide verhindert werden.                oder mit dem Fahrrad erkunden.

VON DER LUFTABWEHR
ZUR HEIMAT
                                                                 DIE NATUR EROBERT DAS GELÄNDE
                                                                 DER EHEMALIGEN RAKETENSTELLUNG
                                                                 IN DER DROVER HEIDE ZURÜCK

FÜR FLUGKÜNSTLER
                                                        Vor allem im Spätsommer präsentiert sich die Drover Heide
                                                        Besuchern als violett leuchtendes Heideparadies. Die einstigen
                                                        Panzerpisten sind heute vielfach Wanderwege.

20                                                                                                    Die NRW-Stiftung Nr. 2 | 2020/21
DROVER HEIDE             p

W
           ohin man sieht und hört: sattes Grün, Bäume, Sträucher               Abreißen oder erhalten?
           und Vogelgezwitscher. Nur die vielen erst schütter                   Die Frage war rasch geklärt
           bewachsenen und mit Sand bedeckten Flächen zeugen                    Danach begann erst einmal das große Aufräumen auf dem Gelände
noch davon, dass hier einmal Gebäude standen oder asphaltierte                  der Raketenstellung. Unmengen giftiger Überreste aus den
Pisten entlangführten. Sie sind die letzten Spuren einer militäri-              verfallenen Baracken, Werkstätten, Abschussrampen und Lagern
schen Vergangenheit in der Drover Heide südlich von Düren,                      mussten entsorgt werden. Der bei der NRW-Stiftung für die
die es in sich hatte. Denn die ehemalige Nike-Flugabwehrstellung                Betreuung der Naturerbeflächen zuständige Projektkoordinator
war einer der Orte, an denen der Kalte Krieg jederzeit hätte heiß               Thomas Härtel erinnert sich: „Asbest, giftige FCKWs, Schmieröl
werden können. Versteckt hinter einem Waldgürtel gelegen, war                   und uns völlig unbekannte Chemikalien aus der militärischen
die Basis bis in die 1960er Jahre hinein Teil der NATO-Luftabwehr.              Wartung in den 1960er Jahren“, nennt er als Beispiele für hoch-
Von hier aus hätten im Ernstfall jederzeit auch atomare Spreng-                 gradig gesundheitsschädliche Stoffe, die teils in großer Menge
köpfe auf feindliche Flugzeuge im Anflug auf das Rheinland oder                 auf dem Gelände überdauerten. Damit aber nicht genug: Über die
das Ruhrgebiet abgefeuert werden können. Angriffe der sowjeti-                  Jahre des Leerstands hatte sich die Raketenstellung auch zu einer
schen Atombomberflotte galten den USA und ihren NATO-Partnern                   veritablen Mischung aus Mülldeponie und nächtlichem Party-Ort
über viele Jahrzehnte hinweg als wahrscheinliches Szenario für                  entwickelt. „Überall Müll, angezündete Sofas, Vandalismus und
den Beginn eines Krieges.                                                       massive illegale Entsorgung von allem möglichen Zeug, auch

 Nach vielen Jahren des Leerstands zeugten nur noch die vor sich                  Der Abriss des Wachturms der ehemaligen Nike-Raketen-
 hin rottenden Ruinen und Zäune von der einstigen militärischen                   stellung markierte auch symbolisch das endgültige Ende
 Bedeutung des Areals als Teil der Nato-Luftverteidigung.                         der militärischen Nutzung in der Drover Heide.

                                                    Fotos: Werner Stapelfeldt

Heute sind die über das Land verstreuten ehemaligen Raketen-                    gefährlicher Stoffe“, erinnert sich Härtel. Für die Stiftung stellte
stellungen ebenso wie die Reste der Berliner Mauer und die                      sich auch die Frage, was aus den Gebäuden selbst und der
Überbleibsel des innerdeutschen Todesstreifens die letzten                      sonstigen militärischen Infrastruktur aus Zäunen, betonierten
sichtbaren Relikte der Blockkonfrontation. Zugewucherte Bunker,                 Flächen und Straßen werden sollte. Schön waren sie nicht, aber
vor sich hin rottende Wachtürme und verrostete Stacheldraht-                    in gewisser Weise auch historisch. Für die NRW-Stiftung war
zäune verströmen in manchen von ihnen noch einen Hauch von                      aber rasch klar, dass die Erhaltung der Gebäude keine sinnvolle
Kalter-Krieg-Atmosphäre.                                                        Option war.

Nicht so in der Drover Heide. Denn als 2014 mit dem Abzug der
belgischen Streitkräfte das Kapitel der militärischen Nutzung
auch auf dem angrenzenden Truppenübungsplatz endgültig
geschlossen wurde, stellte die Bundesregierung die Weichen
hier in eine andere Richtung: Das gesamte Areal aus Übungsplatz
und Raketenstellung ging in das Nationale Naturerbe über, in dem
die Regierung die ökologisch besonders wertvollen ehemaligen
militärischen Liegenschaften bündelte und dauerhaft unter
Schutz stellte. Zwei Jahre später übernahm die NRW-Stiftung
den 637 Hektar großen Komplex.

 Mehr als ein Hektar Betonflächen, Straßen und Gebäude-
 standorte wurden entsiegelt, um der Natur wieder
 Raum zur Entfaltung zu geben. Spärlicher Bewuchs und
 Sandaufschüttungen zeugen davon.

                                                                                                                                                       21
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