AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Der Zoo - Bundeszentrale für politische Bildung

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AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Der Zoo - Bundeszentrale für politische Bildung
71. Jahrgang, 9/2021, 1. März 2021

    AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
      Der Zoo
         Mieke Roscher                              Bernd Ladwig
 EINE POLITISCHE GESCHICHTE                        ZOOETHIK
   ZOOLOGISCHER GÄRTEN                           UND TIERRECHTE
    Clemens Maier-Wolthausen                      Manfred Niekisch ·
          EIN ZOO                                  Volker Sommer
     FÜR DIE HAUPTSTADT                          ARTENSCHUTZ
                                                 DURCH ZOOS.
     Christina Katharina May                   ZWEI PERSPEKTIVEN
 DIE INSZENIERTEN TIERRÄUME
     DER ZOOARCHITEKTUR

                   ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE
                        FÜR POLITISCHE BILDUNG
               Beilage zur Wochenzeitung
Der Zoo
                                       APuZ 9/2021
MIEKE ROSCHER                                      BERND LADWIG
ZOOPOLIS.                                          ZOOETHIK UND TIERRECHTE
EINE POLITISCHE GESCHICHTE                         Die Haltung von Tieren in Zoos und die
ZOOLOGISCHER GÄRTEN                                Unterstützung durch Zoobesuche bedürfen der
An Zoos lassen sich gesellschaftliche Trans-       Rechtfertigung. Dabei sollten wir einer Frage
formationsprozesse ebenso ablesen wie die          nicht ausweichen: Wiegt die Verantwortung, die
Evolution moderner Nationalstaaten und ihrer       wir tragen, indem wir in Zoos Naturzustände
imperialistischen Prägungen. Die Tiere fungieren   nachstellen, nicht zu schwer für uns?
dabei als Ausstellungsstücke wie auch als          Seite 25–30
historische Akteure, die Diskurse beleben.
Seite 04–10
                                                   MANFRED NIEKISCH · VOLKER SOMMER
                                                   ARTENSCHUTZ DURCH ZOOS.
CLEMENS MAIER-WOLTHAUSEN                           ZWEI PERSPEKTIVEN
EIN ZOO FÜR DIE HAUPTSTADT                         Zoos haben den Anspruch, neben der Erholung,
Der Zoologische Garten in Berlin ist nicht nur     Bildung und Forschung auch dem Artenschutz
eine Bildungs- oder Freizeiteinrichtung mit        zu dienen. Welche Rolle sie dabei angesichts des
wissenschaftlichem Anspruch, sondern auch ein      weltweit voranschreitenden Biodiversitätsverlus-
Spiegel der Geschichte der ihn beherbergenden      tes spielen, diskutieren Manfred Niekisch und
Stadt und mit den wechselnden Regimen Berlins      Volker Sommer aus zwei Perspektiven.
und Deutschlands verflochten.                      Seite 31–38
Seite 11–17

CHRISTINA KATHARINA MAY
BLICKE INS TERRITORIUM.
DIE INSZENIERTEN TIERRÄUME
DER ZOOARCHITEKTUR
Zooarchitektur spiegelt die Beziehung der
Gesellschaft zum Tier und zur Natur wider. Die
Ansprüche an die Gestaltung schwanken dabei
zwischen den Haltungsfaktoren der Zootiere
und der Inszenierung von Biodiversität und
Artenschutz für das menschliche Publikum.
Seite 18–24
EDITORIAL
Zoos sind laut Bundesnaturschutzgesetz „dauerhafte Einrichtungen, in denen
lebende Tiere wild lebender Arten zwecks Zurschaustellung während eines
Zeitraumes von mindestens sieben Tagen im Jahr gehalten werden“. Die Fas-
zination vieler für den Besuch der teils Jahrhunderte alten Einrichtungen liest
man aus dieser durchaus trocken anmutenden Definition nicht zwingend heraus.
Allein die im Verband der Zoologischen Gärten organisierten professionell
geführten Zoos verzeichneten 2019 in Deutschland über 36 Millionen Besuche.
Publikumsmagneten wie der Berliner Eisbär Knut oder das Leipziger Opossum
Heidi haben in der Vergangenheit wiederholt für ein internationales Medienecho
und vermarktungsstrategischen Jubel gesorgt.
   Der Zoo ist für viele Menschen nicht nur fester Bestandteil ihrer Freizeit. Die
Institution und ihre Inszenierungsformen von Natur spiegeln die Geschichten
der jeweiligen Umgebung ebenso wider wie gesellschaftliche Transformations-
prozesse und weltpolitische Entwicklungen, bei denen Weißkopfseeadlern oder
Pandabären mehr als die Rolle gefiederter oder pelziger Attraktionen zukommt.
Neben Überlegungen, wie Tiere in Zoos gehalten werden (können), lässt sich
daher auch über die Frage, warum dies geschieht und ob beziehungsweise wie
die Haltung „wilder“ Tiere legitimiert werden kann, trefflich diskutieren.
   In den vergangenen Jahrzehnten ist angesichts des weltweit dramatischen
Verlustes an Biodiversität der Anspruch, Arten zu schützen, verstärkt auf die
Tagesordnung gerückt. Auch die Debatten darüber, welche Argumente und
welche rechtlichen und ethischen Güter es dabei abzuwägen gilt, zeigen: Der
Zoo ist und bleibt mitsamt sämtlichen in ihm vertretenen Akteuren auch ein
politischer Ort. Die gesellschaftlichen Fragen, die an ihm verhandelt werden,
reichen weit über seine Zäune hinaus.

                                                     Frederik Schetter

                                                                                03
APuZ 9/2021

                                       ZOOPOLIS
              Eine politische Geschichte zoologischer Gärten
                                           Mieke Roscher

Seitdem ihre Geschichte mit dem Bau des post-         geradezu richtungsweisend für den oder die Epo-
revolutionären Jardin des Plantes (Botanischer        chenwechsel im langen 19. Jahrhundert zu stehen.
Garten) in Paris Ende des 18. Jahrhunderts be-            Mit dem Bau von zoologischen Gärten und
ziehungsweise mit der Gründung des Londoner           der Ausstellung von Tieren wurde politischen
Zoos 1828 eingeleitet wurde, dienten zoologische      Programmen und Ideologien physische Form ge-
Gärten als temporale wie auch politische Marker.      geben. Dies blieb nicht auf das 19. Jahrhundert
An ihnen lassen sich historische Verschiebungen       beschränkt. Als Topos nationalistischer Formge-
und Transformationsprozesse im Übergang von           bung und neoimperialistischer Heilsvorstellun-
einer feudalen zu einer bürgerlichen Gesellschafts-   gen einer kleinen Welt der Artenvielfalt sind Zoos
ordnung ebenso ablesen wie die Evolution der          bis heute wichtige Ausdrucksformen politischer
modernen Nationalstaaten und ihrer imperialis-        Symbolizität geblieben. Die in ihnen eingesperr-
tischen Prägungen. Als spektakuläre Schaustätten      ten Tiere fungierten dabei sowohl als Ausstel-
spiegelten sie den Beginn des Zeitalters des Kon-     lungsstücke, auf die verschiedene politische Ideen
sums und der Unterhaltungsindustrie um die Jahr-      appliziert wurden, aber eben auch als historische
hundertwende zum 20. Jahrhundert wider. Auf ei-       Akteure, die Diskurse belebten.
ner übergeordneten Ebene können Zoos daher
als Symbolträger für Urbanität gelten. Seit ihrer           FRÜHIMPERIALE SCHAUSTÄTTEN
Einrichtung standen sie für den locus primus, für
den Schauplatz der zivilisierten Stadt, in dem die    Die Zurschaustellung von Tieren in zoologi-
„Wildnis“ und mit ihr die „Barbarei“ sicher unter     schen Gärten folgte institutionshistorisch den
Verschluss gehalten wurden.                           fürstlichen Menagerien, die mit der Präsenta-
    Zoos illustrierten zugleich gesellschaftliche     tion des „exotischen Anderen“ die persönliche
Ein- und Ausschlussmechanismen. Einerseits            Strahlkraft der Regent:innen unterstreichen hel-
zeigte sich, dass mit der Öffnung der Zoos für        fen sollten. Dies zeigte sich etwa bei der diplo-
die Gesamtbevölkerung – in der ersten Hälfte des      matischen Netzwerkbildung mit anderen Herr-
19. Jahrhunderts war deren Besuch meist noch der      scherhäusern und wurde über die Fähigkeit,
gebildeten Oberschicht vorbehalten – Demokrati-       die eigene Position gegenüber Mensch und Tier
sierungstendenzen verbunden waren, andererseits       durchzusetzen, dokumentiert.01 Tiere spielten
wurden Zoos zu Schaustätten der angewandten           eine entscheidende Rolle in der Kultur der gegen-
„Rassenkunde“, in der Tiere – und über Tiere auch     seitigen Verpflichtungen zwischen den Höfen,
Menschen – typologisiert wurden. Der Versuch,         sie bildeten als Geschenke wichtiges diplomati-
imperialistisches Handeln zu legitimieren, fand in    sches Kapital.02 Fanden sich Formen der Mena-
Zoos einen vortrefflichen Resonanzboden.              gerien bereits an antiken und mittelalterlichen
    Ferner illustrierten sie eindrucksvoll den sich   Höfen, bildete die Sammelwut frühneuzeitlicher
verändernden Stellenwert der Naturwissenschaf-        Herrscher:innen, die neben zumeist ausgestopf-
ten als akademische Leitdisziplin(en). Sie machten    ten Tieren auch andere naturale und geologische
die Evolutionstheorien greifbar und präsentierten     Gegenstände sowie religiöse Artefakte und prä-
gleichzeitig bürgerliche beziehungsweise zivili-      moderne Maschinen umfasste, eine deutliche Zä-
satorische Werte als vermeintliche Überwindung        sur. In den sogenannten Wunderkammern und
der äußeren wie der inneren Natur. Unter dem          Kuriositätenkabinetten wurde der Versuch einer
Eindruck dieses Wandels sind Zoos somit Indika-       Systematisierung des Wissens unternommen. Pa-
toren für politische Veränderungen, sie scheinen      rallel dazu wurde das Verlangen, mehr und exo-

04
Der Zoo APuZ

tischere Tiere lebend auszustellen, auch politisch                liebter Aufenthaltsort des Kaisers war der Pavil-
befeuert, denn die „Sammlung lebender Raritäten                   lon“, von dem aus er sich „im Mittelpunkt der
aus allen Regionen der Welt diente der absolutis-                 belebten Welt stehend fühlen“ konnte.07 Die auf
tischen Selbstdarstellung und der Visualisierung                  Geheiß des preußischen Königs Friedrich Wil-
des Herrschaftsstatus“.03 Rare Tiere wie etwa Lö-                 helm III. auf der Pfaueninsel bei Potsdam gegrün-
wen, Tiger oder gar Elefanten zu bekommen und                     dete Menagerie war gestalterisch das Projekt des
sie dann noch am Leben zu erhalten, galt als Be-                  Garten- und Landschaftsarchitekten Peter Joseph
weis des Reichtums, aber eben auch der uneinge-                   Lenné, der ebenfalls die Sichtachsen als elementa-
schränkten, absolutistischen Macht.                               re Bestandteile der Herrschaftsinszenierung um-
    Europäische Herrscherhäuser konkurrier-                       setzte. Die Pfaueninsel war somit eine späte Er-
ten auch mit Blick auf die Imposanz der bauli-                    scheinung in der genealogischen Entwicklung
chen Präsentation ihrer tierlichen Schätze. Der                   der Menagerien, auch weil sie bereits Elemen-
Tower in London hatte bereits seit 1235 unter                     te des modernen Zoos aufgriff. Der 1844 in Ber-
der Herrschaft Heinrichs III. ein Gehege, in dem                  lin eröffnete Zoologische Garten trug ebenfalls
Tiere als exotische Geschenke an den König aus-                   die Handschrift Lennés. Allerdings dienten diese
gestellt wurden.04 Zur bekanntesten Menagerie                     Tierausstellungen nicht im selben Maße als Mi-
wurde die im 17. Jahrhundert unter Ludwig XIV.                    krokosmos der absolutistischen Herrschaft, son-
gegründete Menagiere am Schloss von Versailles,                   dern repräsentierten den Einzug in das Zeitalter
die auch durch ihre sternförmige Anordnung                        der Wissenschaften, in der Herrschaft weniger
der Tiergehege den universellen Herrschaftsan-                    expressiv zur Schau gestellt wurde.
spruch des Sonnenkönigs hervorheben und damit                         Der Enthusiasmus für exotische Tiere wurde
Frankreichs politische und kulturelle Hegemo-                     jedoch nicht nur von europäischen Herrschern
nie unterstreichen helfen sollte.05 Als eine Samm-                geteilt. Die Ming-Dynastie verfügte bereits im
lung von Tieren war sie aber gleichzeitig auch                    14. Jahrhundert über ausgewiesene Jagdgärten
„erlebbares und komprimiertes Abbild des Tier-                    und Menagerien.08 Für das 15. Jahrhundert sind
reiches als Teil der Welt“.06 Eine Welt, die wohl-                erste Reisen über den indischen Ozean zur Be-
gemerkt den Anschein erwecken sollte, gänzlich                    schaffung afrikanischer Tiere wie Löwen, Le-
unter französischer Herrschaft zu stehen. Auch                    oparden, Zebras und Giraffen nachgewiesen.09
die Habsburger Monarchie hatte sich Mitte des                     Auch im japanischen Shogun-Reich wurden zwi-
18. Jahrhunderts ein mit Tieren belebtes Denkmal                  schen dem 17. und dem 19. Jahrhundert zahlrei-
gesetzt. Bei der Menagerie der Habsburger Som-                    che Tiere importiert, häufig mithilfe der chine-
merresidenz, dem Wiener Schloss Schönbrunn,                       sischen Handelsverbindungen, die tief bis nach
orientierte man sich stark an der absolutistischen                Europa und Afrika reichten.10 Dennoch können
Architektur Versailles: „Zentraler Punkt und be-                  die zoologischen Gärten eher als eine logische
                                                                  Weiterentwicklung der europäischen Menagieren
01 Vgl. Nadir Weber, Diplomatic History, in: Mieke Roscher/       gedeutet werden, wo absolutistische Herrschaft
André Krebber/Brett Mizelle (Hrsg.), Handbook of Historical       mit einem aus der Aufklärung übernommenen
Animal Studies, Berlin 2021 (i. E.).                              Wissens(schafts)verständnis gepaart wurde, das
02 Vgl. Elena Taddei, Animals as Agents of Networking and
                                                                  gleichzeitig erste Züge eines bürgerlichen Zivili-
Cultural Transfer. The Dukes of Ferrara and Their Relations to
German Courts in the Sixteenth Century, in: Nadir Weber/Mark
                                                                  sationstopos aufwies.
Hengerer (Hrsg.), Animals and Courts, Berlin 2020, S. 79–92,
hier S. 86.
03 Petra Werner, Die Menagerie des Landgrafen Karl, Disser-       07 Annelore Rieke-Müller/Lothar Dittrich, Der Löwe brüllt
tation, Universität Kassel 2014, Abstract.                        nebenan. Die Gründung zoologischer Gärten im deutschspra-
04 Vgl. Christopher Plumb, The Georgian Menagerie. Exotic         chigen Raum 1833–1869, Köln 1998, S. 11. Vgl. auch Mitchell
Animals in Eighteenth-Century London, London 2015.                Ash/Lothar Dittrich, Menagerie des Kaisers. Zoo der Wiener,
05 Vgl. Peter Sahlins, 1668. The Year of the Animal in France,    Wien 2002.
Cambridge MA 2017; Louise E. Robbins, Elephant Slaves and         08 Vgl. David M. Robinson Martial Spectacles of the Ming
Pampered Parrots. Exotic Animals in Eighteenth-Century Paris,     Court, Leiden 2020.
Baltimore 2002.                                                   09 Vgl. Erik Ringmar. Audience for a Giraffe. European
06 Bettina Paust, Die Schaulust am lebenden Tier: Der Blick auf   Expansionism and the Quest for the Exotic, in: Journal of World
ausgestellte Tiere von den barocken Menagerien bis zur zeit-      History 4/2006, S. 375–397, hier S. 389–393.
genössischen Kunst, in: Jessica Ullrich/Alexandra Böhm (Hrsg.),   10 Vgl. Takashi Ito, History of the Zoo, in: Roscher/Krebber/
Animal Encounters, Stuttgart 2019, S. 277–293, hier S. 278.       Mizelle (Anm. 1).

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APuZ 9/2021

                EXOTISMUS UND                                     des Jahrhunderts wurden Zoos urbane Fluchtor-
              NATURBEHERRSCHUNG                                   te, die für Familienausflüge genutzt wurden, um
                                                                  etwa den ökologischen und sozialen Nachwir-
Der Anspruch, die Natur wissenschaftlich zu er-                   kungen der Industrialisierung zu entfliehen. Die
kunden, zu erforschen und zu taxonomieren cha-                    ländlichen Konnotationen, die in den Städten des
rakterisierte die Entwicklungsphase der Zoos in                   ausgehenden 19. Jahrhunderts trotz der zuneh-
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.11 Beglei-                 menden Industrialisierung durchaus noch spür-
tet wurde diese Entwicklung durch die Grün-                       bar waren, führten innerhalb der urbanen Gesell-
dung naturkundlicher Gesellschaften, in denen                     schaft geradezu zur Verherrlichung von Natur als
eine Kultur wissenschaftlichen Faktenschaffens                    Bildnis idealisierten Lebens. Neuere Forschun-
sich mit der ästhetischen Darstellung und Ver-                    gen zeigen aber auch, dass die Institution Zoo
mittlung von „Natur“ überlagerte. Wie schon                       mit einer städtischen Vergnügungskultur eng ver-
bei Menagerien verband sich auch hier eine po-                    zahnt war und somit als „konstitutives Element
litische Ordnungsfunktion, die Tiere prak-                        der modernen Stadtgeschichte“ aufgefasst wer-
tisch wie symbolisch als Modelle, Instrumente                     den muss.14
oder als Regulatoren und Transformatoren ge-                          Während der Zugang zunächst meist begrenzt
sellschaftlichen Wandels zur Aushandlung und                      war, in London etwa auf die Mitglieder der Lon-
Festschreibung von gesellschaftlichen Ordnun-                     don Zoological Society, in Antwerpen auf die
gen heranzog, mit der Verbreitung wissenschaft-                   der Königlichen Gesellschaft für Zoologie und
lichen Wissens. Ordnungen und Klassifizierun-                     in Berlin auf diejenigen, die Aktien am Zoo be-
gen schienen sich in der spezifischen ästhetischen                saßen, gab es bald Bemühungen, sie für die brei-
Präsentation von Tieren spontan zu offenbaren,                    te Öffentlichkeit und vor allem die Arbeiterklasse
gelenkt höchstens von einer höheren Natur, ei-                    zu öffnen. Andere Zoos waren von Beginn an für
nem höheren Wesen.                                                alle Schichten zugänglich. Dies traf vor allem auf
     Des Weiteren bedienten die zoologischen                      den Pariser Jardin des Plantes zu, der bereits nach
Gärten bürgerliche Bedürfnisse mit einer ange-                    der Auflösung der Versailler Menagerie 1793 zum
messenen Mischung aus Bildung und Unterhal-                       Dreh- und Angelpunkt sowohl der Volksbelusti-
tung und brachten erhebliches Prestige für die                    gung, aber eben auch der wissenschaftlichen For-
Städte.12 Als Magneten städtischen Lebens wur-                    schung wurde. Die Größen der französischen
den ihnen städteplanerisch attraktive Räume zu-                   Naturforschung gaben sich hier ein Stelldichein,
geteilt, in der sich Ideen über die räumliche Aus-                unter ihnen Georges Cuvier und Jean-Baptiste de
stellung von Tieren sehr gut umsetzen ließen. Der                 Lamarck. Auf Grundlage der jeweils etablierten
Londoner Zoo wurde beispielsweise am Rand des                     wissenschaftlichen Lehrmeinungen boten Zoolo-
an die Stadt angrenzenden Regents Park angesie-                   gische Gärten sowie die teils zeitgleich gegründe-
delt, der Berliner Zoologische Garten am Rand                     ten Naturkundemuseen im 19. Jahrhundert Klas-
des Tiergartens, der Zoo von Antwerpen zentral                    sifikationen und Ordnungsschemata an, um die
in der Stadt. Zoos wurden damit auch zum kenn-                    großen Mengen neuentdeckter und altbekannter
zeichnenden Element städtischen Infrastruktur-                    Spezies möglichst vollständig zu sortieren.
wandels. Zoos bezeugten, so fasst es die Histo-                       Zoos wie Museen wurden überdies als Orte zi-
rikerin Dorothee Brantz zusammen, „dass der                       vilisatorischen Fortschritts gedeutet, in denen die
städtische Raum nicht unbedingt die Abkehr von                    Natur sowohl gezähmt als auch geschätzt wurde.
der Natur darstellte, sondern vielmehr auch zur                   Die Darstellung des „wilden“ Tieres in der künst-
Schaffung eines neuartigen Naturverständnis-                      lichen beziehungsweise pseudo-natürlichen Um-
ses beitrug“.13 Dieses Naturverständnis wurde in                  gebung des Zoos wirkte sich so erfolgreich aus,
städtischen Institutionen kondensiert. Zum Ende                   dass man sich von der Öffnung weitere zivilisato-
                                                                  rische Erfolge und Einsichten in die naturwissen-
11 Vgl. Eric Baratay/Elisabeth Hardouin-Fugier, Zoo. A History    schaftlichen Erkenntnisse der Zeit versprach, die
of Zoological Gardens in the West, London 2004.                   immer schon mit gesellschaftspolitischen Konse-
12 Vgl. Nigel Rothfels, Savages and Beasts. The Birth of the
                                                                  quenzen einhergingen. Dies traf insbesondere für
Modern Zoo, Baltimore 2002, S. 34.
13 Dorothee Brantz, Die „animalische Stadt“. Die Mensch-Tier-
Beziehung in der Urbanisierungsforschung, in: Informationen zur   14 Wiebke Reinert, Applaus der Robbe. Arbeit und Vergnügen
modernen Stadtgeschichte 1/2008, S. 86–100, hier S. 96.           im Zoo, 1850–1970, Bielefeld 2020, S. 14.

06
Der Zoo APuZ

die Evolutionstheorie zu.15 Charles Darwin und                  werden.18 Zoos bildeten hier „Schaufenster in die
Alfred Russel Wallace frequentierten den Londo-                 real existierenden Imperien“.19 Der von der kolo-
ner Zoo regelmäßig für Tierbeobachtungen „im                    nialen Aufteilung der Welt und vor allem Afrikas
Feld“.16 Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahr-                  durch europäische Staaten profitierende Tierhan-
hundert griffen zahlreiche europäische Staaten das              del machte zudem den Zugriff auf immer mehr
Evolutionsprinzip als Teil ihrer Fortschrittserzäh-             und immer exotischere Tiere möglich.
lung auf. In den Zoos wurden fortan auch Experi-                    Den Zoo als Sinnbild und Repräsentant ko-
mente an den Schädeln von Affen vorgenommen,                    lonialer und imperialer Stärke zu nutzen, wurde
um auf die langsame Progression der Evolution                   vor allem in London offensiv gefordert und ge-
hinzuweisen, den Menschen aber durchaus in die                  fördert.20 Kolonialbeamte waren dazu angehal-
zoologische Hierarchisierung mit einzubeziehen.                 ten, immer mehr Tiere als „Geschenke“ in die
Der Berliner Zoodirektor Ludwig Heck etwa ar-                   Metropole des Empires zu schicken.21 Immerhin,
beitete an einer zoologischen Rassenlehre. In-                  so wurde auch von der London Zoological So-
wieweit die Vermittlung „naturkundlicher“ und                   ciety hervorgehoben, befand sich ein Siebtel der
„rassen-“politischer Gedankengebilde auch beim                  Erde unter britischer Herrschaft – und so sollte
Publikum ankam, ist noch nicht ausreichend er-                  auch deren Fauna unter der „bedächtigen Hand“
forscht beziehungsweise wird durchaus infra-                    britischer For­scher:innen erkundet und in den
ge gestellt.17 Die Intention der Zooleitungen war               Wissenshorizont der Metropole zurückgeholt
indes eindeutig: Der Zoo sollte unterhalten und                 werden, wo sie im Zoo gewürdigt werden könn-
gleichsam in einer Art und Weise belehren, die so-              te. Zoologische Gärten bezeugten somit nicht
wohl den wissenschaftlichen wie politischen Dis-                nur die Weitläufigkeit des Gebietes unter briti-
kursen der bürgerlichen Gesellschaft folgte.                    scher Herrschaft, der Besitz von exotischen Tie-
                                                                ren zementierte auch die kraftvolle Symbolik der
            EIN PLATZ AN DER SONNE                              Dominanz über „kolonisierte Völker“. Die Ver-
                   MIT TIEREN                                   suche, diese exotischen Tiere zu akklimatisieren
                                                                und an britische Verhältnisse zu gewöhnen, wur-
Die Frage nach der natürlichen Selektion, die                   de demnach als patriotischer Akt gewertet und
im Gewand des Sozialdarwinismus auch gesell-                    die Zähmung des Tieres als etwas betrachtet, das
schaftlich angewendet wurde, mag sich also viel-                auch mit der indigenen kolonialen Bevölkerung
leicht nicht für jede:n in der Betrachtung von                  zu geschehen hätte.22 Über den 1838 in Amster-
Zoo­tieren gezeigt haben, durch die Verkuppelung                dam gegründeten Artis Zoo wurde ebenfalls und
mit kolonialistischen Diskursen, die in den euro-               wirkmächtig der „Erfolg“ niederländischer Ko-
päischen Zoos vor allem architektonisch Einzug                  lonialbestrebungen artikuliert.23 Auch in Berlin,
fanden, wurde die vermeintliche Überlegenheit                   der Hauptstadt des 1871 gegründeten Deutschen
„des“ europäischen Menschen dennoch ein viel                    Reiches, sollten die Bestrebungen des „Nachzüg-
zitierter Topos. Während also die Betrachtung                   lers“ im Kolonialgeschehen gewürdigt werden.
des Absolutismus und der Aufklärung dabei hilft,                Dieser Anspruch wurde vor allem durch neue
die Gründungen von Zoos historisch einzuord-                    Bauten erfüllt, mit denen exotisierende Weltsich-
nen, kann die weltweite Ausbreitung des Kon-
zepts „Zoo“ am besten durch imperialistische                    18 Vgl. Ito (Anm. 10).
Bestrebungen vor allem in der Phase des Hoch-                   19 Brantz (Anm. 13), S. 97.
imperialismus bis zum Ersten Weltkrieg erklärt                  20 Vgl. Robert W. Jones, „The Sight of Creatures Strange to
                                                                Our Clime“. London Zoo and the Consumption of the Exotic, in:
                                                                Journal of Victorian Culture 1/1997, S. 1–26.
15 Vgl. Oliver Hochadel, Darwin im Affenkäfig. Der Tiergar-     21 Vgl. Harriet Ritvo, The Animal Estate. The English and Other
ten als Medium der Evolutionstheorie, in: Dorothee Brantz/      Creatures in the Victorian Age, Cambridge MA 1987, S. 231.
Christof Mauch (Hrsg.), Tierische Geschichte, Paderborn 2010,   22 Vgl. Dorothee Brantz, The Domestication of Empire. Human-
S. 245–267.                                                     Animal Relations at the Intersection of Civilization, Evolution,
16 Vgl. Takashi Ito, London Zoo and the Victorians, 1828–       and Acclimatization in the Nineteenth Century, in: Kathleen
1859, London 2014.                                              Kete (Hrsg.), A Cultural History of Animals in the Age of Empire,
17 Vgl. Oliver Hochadel, Im Angesicht des Affen. Die Besu-      Oxford 2007, S. 73–94.
cher des Tiergartens im 19. Jahrhundert, in: Sabine Nessel/     23 Vgl. Donna Christine Mehos, Science Displayed. Nation and
Heide Schlüpmann (Hrsg.), Zoo und Kino, Frank­furt/M. 2002,     Nature at the Amsterdam Zoo, „Artis“, Dissertation, University of
S. 29–48.                                                       Pennsylvania 1997.

                                                                                                                              07
APuZ 9/2021

ten reproduziert wurden. Es war das „Reich des                    die Idee eines immer schon zum Teil imaginären
Fremdländischen“, das hier gezeigt werden sollte,                 Kolonialreiches, ein Modell, das gleichzeitig für
indem man „ethnographisch-architektonische“                       eine Vergangenheit und eine wieder angestrebte
Bedeutungszumessungen forcierte,24 beispiels-                     Zukunft stand. Der Zoo fungierte hier als „Erin-
weise, indem man das Straußenhaus in Form ei-                     nerungsort“ deutscher Kolonisationsunterneh-
ner ägyptischen Tempelanlage inszenierte. Der                     mungen, als Teil einer „zeitgeistabhängige[n] Er-
Versuch, auf der großen politischen Weltbühne                     innerungskonstruktion“.28
mitzuspielen, wurde vom Zoo begleitet. Er galt                        Diese Performanz des Authentischen war
als Schaustätte, auf der „Deutschlands neue Rol-                  auch dadurch möglich, dass Carl Hagenbeck eine
le in der Welt“ gezeigt werden sollte.25 Dies zeig-               neue Art der Zurschaustellung der Tierwelt vor-
te sich auch in der Architektur und der Anord-                    schlug. Die sogenannte Panoramaausstellung ver-
nung der Tiere. Noch mehr als in Berlin war es                    zichtete weitgehend auf Käfige und Gitter und
jedoch der Hagenbeck’sche Tierpark in Stellingen                  suggerierte durch ein mehr oder weniger ge-
bei Hamburg, der den Traum von den Kolonien                       schicktes Verstecken von Gräben, die beispiels-
performativ umsetzte. Durch sogenannte Völker-                    weise Raub- von Beutetieren trennte, die Immer-
schauen, in denen zunächst Nordeuropäer:innen,                    sion in den Raum der Tiere.29
dann aber vor allem Polynesier:innen und                              Allerdings zeigt ein globalhistorischer Blick,
Afrikaner:innen mitsamt der ihnen vertrauten                      dass in europäischen Zoos zwar die Verbindung
Tierwelten und angeblich typischen Artefakten                     zwischen kolonialer Peripherie und Metropole
in Panoramalandschaften platziert wurden, soll-                   ganz besonders deutlich zutage trat, dass sie aber
te einerseits „Authentizität“ erzeugt werden. An-                 in ein größeres geopolitisches Setting eingebun-
dererseits wurde der politische Anspruch for-                     den waren, in denen es einen florierenden Tier-
muliert, diese Menschen zu beherrschen. Die                       handel zwischen unterschiedlichen, auch nicht-
„Dar­ stel­
          ler:innen“ wurden vor Ort meist von                     europäischen Imperien gab, die sich gegenseitig
den Tierhändlern oder deren Agenten rekrutiert,                   in ihrer Suche nach den exotischen Tieren aussta-
wobei besonders darauf geachtet wurde solche                      chen und bekämpften, aber eben auch unterstüt-
Menschen auszuwählen, die das exotisierte Ide-                    zen und austauschten.30 Das Resultat waren ei-
al am ehesten trafen. Bis zum Ersten Weltkrieg                    nerseits Zoogründungen in den Kolonien selbst,
„boomte das Geschäft mit ‚exotischen‘ Menschen                    so beispielsweise 1862 in Melbourne, 1876 in
in ­Europa“.26                                                    Kalkutta, 1883 in Adelaide, wobei Letzterer das
     Über 400 solcher Ausstellungen tourten                       vermeintlich Heimische zum Fremden mach-
durch die zoologischen Gärten oder andere öf-                     te und sich um die Akklimatisierung europäi-
fentlich zugängliche Orte, 100 von ihnen organi-                  scher Tiere in Australien bemühte. Andererseits
siert von Carl Hagenbeck, einem Tierhändler und                   versuchten asiatische und amerikanische Zoos,
Gründer des Hamburger Tierparks. Durch die                        sich über die Zurschaustellung von Tieren eige-
Darstellung von exotisierten Menschen in Inter-                   ne Profile zu geben und damit explizit den eu-
aktion mit ihrer Umwelt und vor allem mit Tie-                    ropäischen imperialen Bemühungen ihre eigenen
ren, die dabei keinesfalls nur Staffage waren, son-               Interessen entgegenzustellen. Der Ueno Zoo in
dern zentral für die performative Umsetzung der                   Tokyo, 1882 gegründet, kann als Versuch gelesen
Idee von Kolonie standen, wurde in Europa et-                     werden, bestimmte Elemente der „westlichen“
was präsentiert, was schon längst Teil der euro-                  Tierdarstellung zu imitieren und zugleich die
päischen Kolonialpolitik war.27 Präsentiert wurde                 imperialen Interessen Japans zu unterstreichen.31
                                                                  Amerikanische Zoos standen ihrerseits proto-
24 Ludwig Heck, Heiter-ernste Lebensbeichte. Erinnerungen
eines alten Tiergärtners, Berlin 1938, S. 60.                     28 Hilke Thode-Arora, Hagenbeck. Tierpark und Völkerschau,
25 Rieke-Müller/Dittrich (Anm. 7), S. 264.                        in: Jürgen Zimmerer (Hrsg.), Kein Platz an der Sonne. Erinne-
26 Anne Dreesbach, Kolonialausstellungen, Völkerschauen und       rungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frank­furt/M. 2013,
die Zurschaustellung des „Fremden“, 17. 2. 2012, www.ieg-​ego.    S. 244–256, hier S. 255.
eu/dreesbacha-​2012-​de.                                          29 Siehe hierzu auch den Beitrag von Christina Katharina May
27 Zum Performativitätskonzept in der Tiergeschichte vgl. z. B.   in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).
Mieke Roscher, New Political History and the Writing of Animal    30 Vgl. Ito (Anm. 10).
Lives, in: Hilda Kean/Philipp Howell (Hrsg.), The Routledge       31 Vgl. Ian Jared Miller, The Nature of the Beasts. Empire and
Handbook of Human-Animal History, London 2018, S. 53–75.          Exhibition at the Tokyo Imperial Zoo, Cambridge MA 2013.

08
Der Zoo APuZ

typisch für die zunehmende Kapitalisierung                      vital gedeutet und bebilderten den Illusionsraum
des Tierhandels. Viele von ihnen profitierten                   großgermanischer ­Mythologie.35
von Firmen wie der Carl Hagenbecks. Präsen-
tiert wurde zudem die Idee der amerikanischen                                     KALTER KRIEG
Frontier, an der zur Zeit der Zoogründungen um                                UND PANDADIPLOMATIE
die Jahrhundertwende ein beispielloses Massa-
ker an der endemischen Fauna ablief, vor allem                  Dass einzelne Spezies in den Fokus eines poli-
an Bisons und Wölfen. Zoos konservierten da-                    tischen Narratives von Zoo und Nation rücken
her auch die Vorstellung der eigenen naturalen                  konnten, zeigt, wie wichtig es ist, sie auch als
Endlichkeit.32                                                  wirkmächtige Akteure einer Geschichte des Zoos
                                                                zu berücksichtigen.36 Waren dies im 19. und frü-
                 ZOO UND NATION                                 hen 20. Jahrhundert vor allem Elefanten, Giraf-
                                                                fen, Löwen, Primaten und Seelöwen,37 die vor
Indem sich amerikanische Zoos, allen voran der                  allem von der zooeigenen Historiografie berück-
1891 gegründete National Zoological Park in Wa-                 sichtigt wurden, steht eine andere Tierart für die
shington D. C. und der 1899 gegründete Bronx                    Zeit des Kalten Krieges und für die Zeit der Sys-
Zoo, auf die Nation bezogen, um im globalen                     temannäherung nach 1989: der Panda.
Handelskarussell der exotischen Tierarten feder-                    Dass Tiere als diplomatische Währung ge-
führend und kapitalstark mitzumischen, zeigten                  nutzt wurden, war dabei keineswegs neu. Als bei-
sie auch ihre wirtschaftlichen und militärischen                spielsweise der US-Justizminister Robert Ken-
Ambitionen auf.33 Nach dem Spanisch-Ameri-                      nedy 1962 den Berliner Zoo besuchte und als
kanischen Krieg 1898 kamen die Streitkräfte dem                 Geschenk einen Weißkopfseeadler als politische
Wunsch der Zoos nach immer neuen Tieren ger-                    Ikone der USA mitbrachte, wollte er damit auch
ne nach. Auch die sich vom britischen Weltreich                 die politische Verbundenheit der USA mit West-
loslösenden Dominions von Kanada bis Neusee-                    deutschland symbolisch untermauern. Der Adler
land drückten ihre Unabhängigkeit durch zahl-                   fungierte hier durchaus schon als Element einer
reiche neue Zoogründungen beziehungsweise der                   Kultur des Kalten Krieges, die eine universa-
Konsolidierung und Neuorientierung bereits be-                  le Werteordnung in die Alltagspraktiken einzu-
stehender, kolonialer Zoos aus.                                 flechten versuchte und Antikommunismus mit
    Insbesondere die zwei Weltkriege und die                    einer Zelebrierung des westlichen, eher noch der
mit ihnen aufkommenden Systemfragen mach-                       amerikanischen Lebensweise verband.38 Nicht
ten Zoos zu Orten, an denen über den Status der                 der Weißkopfseeadler, sondern der Panda wur-
Nation neu verhandelt wurde. Tiere wurden hier-                 de jedoch zum Goldstandard des diplomatischen
bei nicht selten als „patriotische Bürger“ angese-              Geschenkes. Waren die ersten Pandas in den
hen, die für die jeweils eigene Sache standen.34 So             1930er Jahren noch über international agierende
auch in Berlin: Hier wurde unter dem Eindruck                   Tierhändler nach Europa gelangt, verstand es die
nationalsozialistischer Herrschaft ein „Deutscher               Volksrepublik China nach ihrer Gründung 1949
Zoo“ erschaffen, der – abweichend vom zoolo-                    sehr bald, sich mit einer sehr kontrollierten Ab-
gisch-systematischen Konzept der restlichen An-                 beziehungsweise Leihgabe der Tiere als formida-
lage – eine „deutsche“ Landschaft konzipieren                   bler Handelspartner zu zeigen und eine Öffnung
sollte. Die neuen Tieranlagen ordneten sich ei-
ner nationalen geografischen Systematik unter.                  35 Vgl. Wiebke Reinert/Mieke Roscher, Der Zoo als Ande-
Mittelpunkt des „Deutschen Zoos“ waren die im                   rer Raum. Hamburger und Berliner Heterotopien, in: Thomas
                                                                E. Hauck et al. (Hrsg.), Urbane Tier-Räume, Berlin 2017,
August 1937 eröffneten Felsengehege für Bären
                                                                S. 103–114, hier S. 109 f.
und Wölfe. Diese Spezies wurden als besonders                   36 Vgl. Mieke Roscher, Geschichtswissenschaft. Von einer
                                                                Geschichte mit Tieren zu einer Tiergeschichte, in: Reingard
32 Vgl. Daniel E. Bender, The Animal Game. Searching for        Spannring et al. (Hrsg.), Disziplinierte Tiere? Perspektiven der
Wildness at the American Zoo, Cambridge MA 2016.                Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen,
33 Vgl. Ito (Anm. 10).                                          Bielefeld 2015, S. 75–100.
34 John M. Kinder, Zoo Animals and Modern War. Captive          37 Vgl. Reinert (Anm. 14).
Casualties, Patriotic Citizens, and Good Soldiers, in: Ryan     38 Vgl. Mieke Roscher/Anna-Katharina Wöbse, Zoos im Wie-
Hediger (Hrsg.), Animals and War. Studies of Europe and North   deraufbau und Kalten Krieg, Berlin 1955–1961, in: Tierstudien
America, Leiden 2013, S. 45–75, hier S. 47.                     7/2015, S. 67–77.

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APuZ 9/2021

Richtung Westen zu signalisieren. Als es dem                         de gezielt auch mit der Verpaarung von seltenen
deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt 1980                          Arten begonnen, zum Teil begleitet von kruden
gelang, zwei Pandas – Bao Bao and Tjen Tjen –                        Rückzüchtungsprogrammen bereits ausgestor-
für den Berliner Zoo zu sichern, war damit der                       bener Spezies, etwa dem Auerochsen. Im Nach-
Weg frei, auch andere diplomatische Wege zwi-                        klang des Zweiten Weltkrieges kam es zu einem
schen Ost und West zu ­beschreiten.39                                klaren Paradigmenwechsel in der Politik der
     Bereits am Scheitelpunkt des Kalten Krieges                     Zoos. Während es in vielen Teilen der Welt zu
waren zuvor politische Marker gesetzt worden.                        Dekolonialisierungsbestrebungen kam, verschob
So hatte das Pandaweibchen Chi Chi 1958 auf ih-                      sich der Status der „wilden“ Tiere vom Samm-
rem Weg nach London mehrere Wochen im Ost-                           lungs- zum Schutzobjekt. Das 1975 in Kraft ge-
Berliner Tierpark verbracht, der damit einen po-                     tretene Washingtoner Artenschutzabkommen
litisch bedeutsamen Prestigeerfolg gegenüber der                     verbot den Handel mit bedrohten Tierspezies,
Konkurrenz im Westen verbuchen konnte. In den                        insbesondere westliche Zoos reagierten einer-
1950er und 1960er Jahren beschenkte China vor                        seits mit der Ausweitung von ausgefeilten Nach-
allem Zoos des Ostblocks, insbesondere in der                        zuchtversuchen und andererseits mit der Einmi-
So­ wjet­
        union und in Nordkorea. Die Überlas-                         schung in lokale Schutzinitiativen, insbesondere
sung von zwei Pandas an den Washingtoner Na-                         in Afrika.41 Bereits in den 1950er Jahren hatte
tional Zoo 1972 wird daher gerne als erstes Zei-                     der bekannte Frankfurter Zoodirektor Bernhard
chen des politischen Tauwetters gelesen. Pandas                      Grzimek dort eine Reihe von Filmen gedreht,
waren aber auch Devisenbringer erster Wahl. Ab                       in denen er über eine „geschickte Verknüpfung
den 1980er Jahren wurden die Tiere nur noch ver-                     kolonialer Bilder und Traditionen mit aktuel-
liehen, zu stattlichen Preisen.40                                    ler Zeitkritik und mit dem Anliegen eines wis-
                                                                     senschaftlich begründeten Naturschutzes“42 der
           ARTENERHALTUNG ALS                                        lokalen Bevölkerung im Grunde die Fähigkeit
       NEOIMPERIALISTISCHES PROJEKT?                                 absprach, effektiven Schutz der Tiere betreiben
                                                                     zu können. Dieser Topos, der sich in den 1950er
Zootiere in ihrer Rolle als politische Diplomaten                    Jahren vor allem auf den Schutz von Elefanten
waren nicht austauschbar, sondern prägten ein                        konzentrierte, hat heute im Rhinozeros eine neue
kompliziertes System von Angebot und Nach-                           flagship species gefunden.43 Elaborierte Nach-
frage, Symbolkraft und Seltenheit. „Die Letzten                      zuchtprogramme mit direktem Eingriff in die
ihrer Art“ sehen zu können, wurde zu einem at-                       endemische Fauna gibt es beispielsweise in aus-
traktiven Slogan des Zooerlebnisses. Tatsächlich                     tralischen Zoos. Inwieweit hier Ideen von globa-
wurde bereits ab der Wende zum 20. Jahrhundert                       len öffentlichen Gütern, bei denen (bestimmte)
die Erhaltung von Spezies als eine neue Aufga-                       Tiere als eine Art gemeinsames Menschheitser-
be der zoologischen Gärten formuliert. Es wur-                       be gehandelt werden – ein Argument, das auch
                                                                     schon Grzimek vorgebracht hatte – letztend-
39 Vgl. Falk Hartig, Panda Diplomacy. The Cutest Part of             lich dazu dienen, den politischen Einfluss in den
China’s Public Diplomacy, in: The Hague Journal of Diplomacy         (ehemaligen) Kolonien aufrechtzuerhalten bezie-
1/2013, S. 49–78.
                                                                     hungsweise deren neokoloniale Imprägnierung
40 Vgl. Brynn Holland, Panda Diplomacy. The World’s Cutest
Ambassadors, 16. 3. 2017, www.history.com/news/panda-​diplo-
                                                                     zu verschleiern, ist Bestandteil eines politischen
macy-​the-​worlds-​cutest-​ambassadors.                              Diskurses, der bis heute währt. Zoos und ihre
41 Vgl. Thaddeus McBride, The Dangers of Liberal Neo-                zukünftige (politische) Rolle sind zentral für die-
Colonialism. Elephants, Ivory and the Cites Treaty, in: Boston       se ­Diskussion.
College Third World Law Journal 2/1999, S. 733–757; Elizabeth
Garland, The Elephant in the Room. Confronting the Colonial
Character of Wildlife Conservation in Africa, in: African Studies
Review 3/2008, S. 51–74.
42 Johannes Paulmann, Jenseits von Eden. Kolonialismus, Zeit-
kritik und wissenschaftlicher Naturschutz in Bernhard Grzimeks       MIEKE ROSCHER
Tierfilmen der 1950er-Jahre, in: Zeitschrift für Geschichtswissen-
                                                                     ist Professorin für Sozial- und Kulturgeschichte mit
schaft 6/2008, S. 541–560, hier S. 541.
43 Vgl. Matt W. Hayward et al., Neocolonial Conservation. Is
                                                                     dem Schwerpunkt der Human-Animal-Studies an
Moving Rhinos to Australia Conservation or Intellectual Property     der Universität Kassel.
Loss?, in: Conservation Letters 1/2018, S. e12354.                   roscher@uni-​kassel.de

10
Der Zoo APuZ

             EIN ZOO FÜR DIE HAUPTSTADT
                                 Clemens Maier-Wolthausen

Alle brandenburgischen Fürsten haben Wildtiere       Monarchen war es eine Möglichkeit, seine Resi-
als Zeichen ihres Reichtums, ihrer Macht, zur Be-    denzstadt zu verschönern. Die Idee, in Berlin ei-
lustigung oder zur Aufwertung des Speiseplans        nen Ort zu schaffen, an dem viele Menschen Tiere
gehalten. Friedrich II. schuf 1742 eine Fasanerie    anschauen und studieren konnten, entsprach dem
im heutigen Großen Tiergarten. Friedrich Wil-        Zeitgeist.
helm III. hielt ab 1820 auf der Pfaueninsel in der       Der Zoologische Garten bei Berlin war bei
Havel exotische Tiere.01 Fasanerie und Menage-       seiner Eröffnung am 1. August 1844 noch nicht
rie bilden den Grundstock des ältesten existieren-   fertiggestellt und zeigte nur etwa 100 Tiere. Zu-
den deutschen Zoos – des Zoologischen Gartens        dem lag er noch weit vom Stadtzentrum und
in Berlin.02                                         noch weiter von den Wohnquartieren der meis-
     Dieser Beitrag beleuchtet dessen politische     ten Berliner in den östlichen Vororten entfernt
Geschichte. Dabei wird deutlich, dass die Ge-        am südwestlichen Rand des Tiergartens. Im Er-
schichte eines Zoos – zumal des Zoos der Kö-         öffnungsjahr kam an manchen Tagen niemand.04
nigsresidenz, der Reichshauptstadt, der westli-      Der Mangel an Einnahmen hatte auch einen Man-
chen Halbstadt während des Kalten Krieges und        gel an größeren Attraktionen wie exotischen Tie-
der Hauptstadt des geeinten Deutschlands – nie       re und schmückenden Tierhäuser zur Folge. Der
nur Institutionengeschichte sein kann. Sie ist im-   Zoovorstand war in dieser Zeit auf Geschenke
mer auch eine Stadtgeschichte, eine Kulturge-        preußischer Konsuln oder Gönner im Ausland
schichte der Tiernutzung und sogar ein Beispiel      angewiesen.
für die „asymmetrisch verflochtene Parallelge-           Der Gründungsdirektor Lichtenstein war da-
schichte“ der beiden deutschen Staaten.03 Denn       von ausgegangen, dass der Zoo sich bald mittels
Zoos sind nicht einfach Bildungs- oder Freizeit-     einer Aktiengesellschaft selbst tragen würde. De-
einrichtungen mit wissenschaftlichem Anspruch,       ren Gründung war ein deutliches Zeichen, dass
sie waren und sind oft eben auch Bühnen der po-      es sich beim Berliner Zoo trotz staatlicher Kon-
litischen Darstellung. Sie benötigen auch nicht      trolle und Unterstützung auch um ein bürgerli-
nur ein zahlendes Publikum. Sie benötigen poli-      ches Projekt handelte. Insgesamt 54 Berliner und
tische Unterstützung – und das unabhängig von        eine Berlinerin gründeten am 28. Februar 1845
dem Regime, in dem sie existieren.                   den „Actien-Verein des zoologischen Gartens
                                                     bei Berlin“. Es zeigte sich gleichwohl, dass Ber-
         ZUR ZIERDE DER RESIDENZ                     lin noch nicht mit den großen Bürgerstädten in
                                                     Westeuropa gleichziehen konnte. Ausreichend
Der erste Professor für Zoologie der neu gegrün-     Bürger im Sinne einer selbstbewussten Bourgeoi-
deten Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin,      sie wie in Amsterdam, Antwerpen, London oder
Martin Hinrich Lichtenstein, war im 19. Jahrhun-     Dublin fehlten in Berlin noch. Nur 200 der ersten
dert überzeugt, dass die Residenzstadt des Preu-     500 Anteilsscheine wurden bis 1868 verkauft.05
ßenkönigs eine wissenschaftliche Tiersammlung        Die Stadt und ihr Bürgertum waren zu diesem
für Forschung und Bildung zum Nutzen von             Zeitpunkt noch zu wenig entwickelt, um dem
Staat und Gesellschaft benötigte. Dank der Un-       Zoo zu seiner Blüte zu verhelfen.
terstützung Alexander von Humboldts konnte er
das Interesse des Königs Friedrich Wilhelm IV.               GRÜNDERBOOM UND KRISE
wecken. Dieser überließ 1841 dem Zoologischen
Garten das Gelände seiner Fasanerie zur unent-       1869 beschloss die Generalversammlung der Ak-
geltlichen Nutzung, ein Darlehen sowie Tiere         tionäre nach königlicher Erlaubnis ein neues Sta-
aus der Menagerie auf der Pfaueninsel. Für den       tut, was einen Aktienbesitz attraktiver machte,

                                                                                                    11
APuZ 9/2021

und eine Erhöhung des Aktienkapitals um 1000                       ten Direktion und Aufsichtsrat den Zoologischen
Aktien.06 Die Ausgabe dieser Wertpapiere war ein                   Garten den neuen Verhältnissen an. Im Mai 1933
Erfolg und verhalf dem Zoo zu dringend benö-                       wurden die Eintrittspreise für Mitglieder natio-
tigten Mitteln für den Ausbau. Um 1870 und im                      nalsozialistischer Organisationen, anders als in
anschließenden Boom der Gründerjahre wuchs                         vielen deutschen Zoos, stark ermäßigt. Der Zoo
auch in Berlin eine bildungsbürgerliche Schicht                    der Reichshauptstadt stand unter besonderer Be-
von Philanthropen heran, die ihren Zoo erhalten                    obachtung, Beispiele anderer Zoodirektoren zei-
und ausbauen konnte. Maßgeblichen Anteil da-                       gen aber, dass es Spielräume gab, einen Zoo nicht
ran hatte das rapide Wachstum der Stadt und die                    zum Instrument nationalsozialistischer Weltan-
neue Bedeutung Berlins und Preußens im Deut-                       schauung zu machen.
schen Reich.                                                           Der Berliner Zoodirektor Lutz Heck nutzte
    Seit 1891 wurden in den Geschäftsberichten                     seine Handlungsspielräume aber nicht, sondern
des Zoologischen Gartens regelmäßig Geschenke                      stellte aus Opportunismus und Überzeugung den
aus den Kolonialgebieten erwähnt. Mitglieder des                   Zoo in den Dienst des Nationalsozialismus. Am
kaiserlichen Haushaltes, Gouverneure und Ko-                       1. Juni 1933 wurde er förderndes Mitglied der
lonialgesellschaften sandten seltene Tiere. 1907                   „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP. Ab 1933 pfleg-
hatte der Zoo elf Löwen, und nur ein Tier war                      te Heck auch mit dem preußischen Ministerprä-
kein Geschenk aus den Kolonien. Mit dem Ers-                       sidenten, Reichsluftfahrtminister und späteren
ten Weltkrieg brach dieser stetige Zufluss kosten-                 Reichsforstmeister Hermann Göring Umgang.08
loser Attraktionen ein, und nach seinem Ende be-                       Auch die judenfeindliche, rassistische Poli-
lastete die Hyperinflation den durch das Erliegen                  tik der NSDAP fand Eingang in den Zoo. Bereits
des internationalen Tierhandels stark belasteten                   1933 schieden die langjährigen Aufsichtsratsmit-
Zoo. Unabhängige Gemeinden wie Charlotten-                         glieder Georg Siegmann und Walter Simon aus
burg und Spandau spendeten noch vor der Grün-                      ihren Ämtern aus. Sie waren aufgrund ihrer jü-
dung Groß-Berlins 1920 solidarisch Geldbeträge,                    dischen Identität im Aufsichtsrat erniedrigen-
um den Zoologischen Garten zu retten, zudem                        den Diskussionen ausgesetzt gewesen. Schon in
wurden Sammlungen veranstaltet. Nach zeitwei-                      der ersten Aufsichtsratssitzung nach der Macht-
liger Schließung konnte der Zoo durch Kredite                      übernahme wurde ihnen klargemacht, dass für sie
des Landes und Staates erhalten ­werden.07                         als Juden kein Platz mehr sei. Nationalsozialisten
                                                                   wie der letzte Gouverneur der deutschen Kolonie
                 INDIENSTSTELLUNG                                  Togo, Adolf Friedrich zu Mecklenburg, SS-Bri-
                                                                   gadeführer Ewald von Massow oder der „Rassen-
Bereits innerhalb weniger Wochen nach der Er-                      hygieniker“ Eugen Fischer rückten in den nach-
nennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler pass-                      folgenden Jahren auf.09
                                                                       Dem Zoo aber ging es unter den neuen Macht-
01 Vgl. Caesar von der Ahé, Die Menagerie auf der „König-          habern blendend. 1935 konnte er, auch dank einer
lichen Pfaueninsel“. Der Ursprung des Berliner Zoologischen        Vereinbarung mit der NS-Organisation „Kraft
Gartens, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins   durch Freude“, einen Besucheransturm verbu-
1/1930, S. 1–24, hier S. 5.
                                                                   chen. Die vielen Touristen, die zu den Olympi-
02 Für weiterführende Quellenhinweise vgl. Clemens Maier-
Wolthausen, Hauptstadt der Tiere. Die Geschichte des ältesten
                                                                   schen Spielen nach Berlin kamen, bescherten dem
deutschen Zoos, Berlin 2019.                                       Zoo 1936 einen Besucherrekord von mehr als
03 Christoph Kleßmann/Hans-Jürgen Misselwitz/Günter                zwei Millionen zahlenden Gästen. Und größer
Wichert, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten –    war der Zoo auch noch geworden.
eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit
                                                                       Im August 1935 wurde dem Zoo auf Initia-
der doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999, S. 9–13, hier
S. 12.
                                                                   tive Hermann Görings ein Grundstück am Tier-
04 Vgl. Carl Rißle, Der zoologische Garten der deutschen           gartenrand zugewiesen. Hier siedelte Heck in
Hauptstadt, in: Illustrierter Volkskalender der Berliner Bürger-   großen Gehegen „einheimische Tierarten“ an.
Zeitung, Berlin 1875.                                              Das Kronjuwel des Propagandaareals des soge-
05 Vgl. Ludwig Heck, Fünfundsiebzig Jahre Zoologischer Gar-
ten, in: Leipziger Illustrierte Zeitung, 31. 7. 1919, S. 129.
06 Vgl. Adolf Heilborn, Zoo Berlin 1841–1929. Zur Geschichte       08 Vgl. ebd., S. 99 ff.; Lutz Heck, Waidwerk mit bunter Strecke,
des Zoologischen Gartens zu Berlin, Berlin 1929, S. 24.            Berlin–Hamburg 1968, S. 67.
07 Vgl. Maier-Wolthausen (Anm. 2), S. 85–89.                       09 Heck (Anm. 8).

12
Der Zoo APuZ

nannten Deutschen Zoos war das Gehege für                           jahr 1938 plante der Aufsichtsrat daher, dem
Auerochsen. Der Stammvater aller europäischen                       Zoo durch eine Statutenänderung ein Zustim-
Hausrinderrassen war bereits im 17. Jahrhun-                        mungsrecht für Verkäufe zu übertragen. Die
dert ausgestorben. Lutz Heck und sein Bruder                        Maßnahme zielte eindeutig auf jüdische Aktien­
Heinz, Direktor des Münchner Tierparks Hel-                         käufer ab, denen die Möglichkeit, Aktien zu er-
labrunn, versuchten, den Auerochsen aus Kreu-                       werben, genommen werden sollte. Aus recht-
zungen verschiedener Rinderrassen wiedererste-                      lichen Gründen sah der Aufsichtsrat letzten
hen zu lassen.10 Lutz Heck ging es dabei darum,                     Endes davon ab, beschloss im Juli 1938 aber, die
ein „deutsches Urtier“ zu erschaffen.11 Er ver-                     gesetzlich erlaubten zehn Prozent der eigenen
wies immer wieder auf das Nibelungenlied, in                        Aktien von jüdischen Aktionären zu erwerben.
dem auch Siegfrieds Jagd auf Auerochsen besun-                      Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchten
gen wird.12 Den Auerochsen aber konnten die                         die letzten verbliebenen jüdischen Aktionäre,
Brüder nicht wieder zum Leben erwecken. Der                         ihre Wertpapiere zu verkaufen. Etwa 100 Akti-
Versuch galt und gilt weithin als unwissenschaft-                   en von jüdischen Besitzern erwarb der Zoo und
lich, seinem Einfluss bei den Nationalsozialis-                     gab sie an „arische Besitzer“ weiter. Die weni-
ten hat es nicht geschadet. Am 1. Mai 1937 – also                   gen dokumentierten Zwischenverkäufe zeigen,
gleich nachdem der Aufnahmestopp der NSDAP                          dass der Zoo versuchte, an diesen Transaktionen
von 1933 gelockert worden war – wurde Lutz                          zu verdienen, indem er zu einem Niedrigpreis
Heck Mitglied der Partei.13 Im Sommer 1938 er-                      kaufte und die Aktie zu einem höheren Preis
nannte Reichsforstmeister Göring ihn zum Lei-                      ­verkaufte.14
ter der Obersten Naturschutzbehörde.
    Am 8. November 1938 beschloss der Auf-                                             ZERSTÖRUNG
sichtsrat, zunächst an der Weihnachtskrippe und
später an den Eingängen Hinweise anzubrin-                         Kurz nach dem deutschen Angriff auf Polen ver-
gen, dass Juden unerwünscht seien. In der fol-                     fügte Hermann Göring am 14. September 1939,
genden Nacht ermordeten Nationalsozialisten in                     dass Zoologische Gärten auch im Krieg zur Er-
ganz Deutschland in einem organisierten Pogrom                     füllung ihrer volksbildnerischen Aufgaben offen
Hunderte jüdische Deutsche und zerstörten Sy-                      zu bleiben hätten. Überall im Zoo wurden Luft-
nagogen. Der Berliner Polizeipräsident verbot                      schutzräume eingerichtet und Vorkehrungen ge-
Juden den Besuch von Vergnügungsstätten. Die                       gen ausbrechende Tiere getroffen.15 Um den durch
von der Zooleitung geplanten Maßnahmen nah-                        die Einberufungen von Mitarbeitern bedingten
men die offizielle Politik also vorweg.                            Personalmangel abzufedern, beutete der Zoo zu-
    Die zunehmende Entrechtung zwang Juden                         nächst polnische, dann französische Kriegsgefan-
von 1933 an, ihre persönliche Habe und auch                        gene und ab Spätsommer 1941 sogenannte Ost-
ihre Zooaktien zu verkaufen. Gewinnausschüt-                       arbeiter aus der So­wjet­union als Zwangsarbeiter
tungen waren mit diesen zwar nie verbunden                         aus. Im letzten Kriegsjahr kamen dann dauerhaft
gewesen, allerdings schwankte der Preis einer                      40 sogenannte Italienische Militärinternierte hin-
Aktie über die Jahre. Manche fanden bei frühen                     zu. Auch für andere deutsche Zoos ist der Einsatz
Verkäufen noch Interessenten zu einem markt-                       von Zwangsarbeitern belegt, der Zoo der Reichs-
gerechten Preis. Laut den Statuten des Aktien-                     hauptstadt genoss aber einen so hohen Stellen-
vereins existierte keine rechtliche Kontrolle des                  wert, dass ihm eine große Anzahl zugewiesen
Zoos darüber, wer die Aktien kaufte. Im Früh-                      wurde. Nachdem in der Nacht auf den 23. No-
                                                                   vember 1943 der Zoo durch einen alliierten Bom-
                                                                   benangriff in ein Flammenmeer verwandelt und
10 Vgl. u. a. Lutz Heck, Über die Neuzüchtung des Ur oder
Auerochs; in: Berichte der Internationalen Gesellschaft zur
                                                                   30 Prozent des noch vorhandenen Bestands an
Erhaltung des Wisents 4/1936, S. 224–294, hier S. 235.             Tieren getötet wurde, wurden beispielsweise 750
11 Vgl. ders., Auf Tiersuche in aller Welt, Berlin 1941, S. 195.   Zwangsarbeiter für die Räumungsarbeiten einge-
12 Vgl. ebd.; ders., Letzte Urwaldtiere aus deutscher Vorzeit;
in: Atlantis. Länder, Völker, Reisen 10/1932, S. 577–583; ders.,
Die Neuzüchtung des Auerochsen, in: Wild und Hund 37/1939,         14 Vgl. Zessionspapiere im Archiv der Zoologischen Gärten
S. 535 ff.                                                         Berlin.
13 Siehe Mitgliedskarte im Berlin Document Center des Bun-         15 Siehe auch Lutz Heck, Tiere – mein Abenteuer, Wien 1954,
desarchivs Berlin.                                                 S. 97–102.

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APuZ 9/2021

Abbildung 1: Löwengehege des Zoologischen Gartens in Berlin mit Blick auf die Ruinen des Zooaquariums, 1947.
© Archiv der Zoologischen Gärten Berlin

setzt.16 Am 25. Juli 1944 öffnete der Zoo wieder.             rer Entwicklung mit den politischen Entwick-
Ende April 1945 wurden die verbleibenden Zoo-                 lungen des Kalten Kriegs verbunden. Zwischen
männer aber zum Volkssturm eingezogen und                     1945 und 1990 wurden auch die Tiergärten des
mussten durch ihren Zoo Schützengräben ziehen.                geteilten Landes zu dessen Spielfeld. Nach der
Die Geschäftsleitung des Zoologischen Gartens                 Befreiung der Stadt war es zunächst der Wit-
floh vor der herannahenden Roten Armee. Am                    we des Berliner Aquariumsdirektors, der Zoo-
2. Mai war die Schlacht um die Stadtmitte und den             login Katharina Heinroth, überlassen, aus den
Zoo zu Ende. Überall lagen Leichen und Tierka-                Trümmern eines der ehemals wichtigsten zoo-
daver; etwa 90 Tiere von ehemals über 3300 Tie-               logischen Gärten der Welt wieder einen Anzie-
ren in mehr als 1000 Arten hatten überlebt. Lutz              hungspunkt und eine Bildungseinrichtung zu
Heck fand in der Nachkriegszeit keine Anstellung              formen. Dabei hatte sie mit Kommandeuren der
bei einem Zoo mehr. Er galt zu Recht als politisch            Alliierten, der Berliner Blockade und der gro-
belastet. Auch der Versuch, Mitte der 1950er Jahre            ßen Not im Nachkriegsdeutschland zu kämp-
mit Hilfe von verbündeten Aufsichtsratsmitglie-               fen, musste Trümmer und Vorurteile beiseite
dern wieder Direktor des Zoologischen Gartens                 räumen. Die Männer im Aufsichtsrat trauten ei-
Berlin zu werden, ­scheiterte.                                ner Frau die Bewältigung dieser Aufgabe nicht
                                                              zu. Katharina Heinroth bewies allen das Gegen-
              EINE STADT, ZWEI ZOOS                           teil. Mit Sachkenntnis leitete sie die Aufräumar-
                                                              beiten im Zoo, beschaffte mit wenig Etat durch
Auf ganz besondere Art und Weise sind in den                  ihre Netzwerke neue Tiere, die Besucher anzo-
folgenden Jahrzehnten Stadt und Zoo in ih-                    gen und die Grundlage für wertvolle Zuchtpro-
                                                              gramme bildeten, und handelte schließlich mit
16 Vgl. Maier-Wolthausen (Anm. 2), S. 125–130.                dem West-Berliner Senat einen Gebietstausch

14
Der Zoo APuZ

am Hardenbergplatz aus, der dem Zoo langfris-                 getreten war, mit dem Verweis auf die Bedeutung
tig durch Kompensationszahlungen die Zukunft                  des Zoos für die westliche „Frontstadt“ immer
sicherte.17                                                   wieder Gelder durch die staatliche Lotteriege-
    1954, also 110 Jahre nach der Eröffnung des               sellschaft und politische Förderung provozieren.
Zoologischen Gartens, geschah das, was schon                  Bei internationalen zoologischen Kongressen in
seit der Jahrhundertwende wiederholt diskutiert               der einen oder anderen Stadthälfte präsentierten
worden war: Es entstand in der eigenen Stadt ein              die Politiker in beiden Teilstädten ihre Stadthälf-
zweiter Tiergarten. Entgegen dem Rat aller Zoo-               te dem internationalen Publikum als besonders
direktoren in Ost- und Westdeutschland, die                   glänzend.19
Nachteile für die bestehenden und unter den Fol-                  Die Insellage West-Berlins war für den Zoo
gen des Krieges leidenden Tiergärten in der DDR               einerseits ein Problem, da sie viele potenzielle
befürchteten, entschied sich das Regime dazu, der             Besucher auf der anderen Seite der Grenze aus-
Hauptstadt der DDR einen eigenen Zoo zu bau-                  schloss. Andererseits aber sorgte die bundesdeut-
en. Genauer gesagt, die Bevölkerung sollte ihn                sche und die West-Berliner Politik mit bezahlten
sich selbst bauen, denn Ressourcen waren keine                Reisen in die „Frontstadt“ und Fördermitteln da-
vorhanden. So wurde mit sozialistischer Freiwil-              für, dass der West-Berliner Zoo in den 1960er Jah-
ligenarbeit ein zweiter Tiergarten – der Tierpark             ren wieder zum am häufigsten besuchten und ar-
Berlin – auf dem Gelände des enteigneten Schlos-              tenreichsten Zoo der Welt wurde. Dies war auch
ses Friedrichsfelde gebaut.18 Unter seinem Grün-              die Grundlage dafür, dass die beiden Pandabären,
dungsdirektor Heinrich Dathe erarbeitete sich                 die die chinesische Regierung 1980 Bundeskanz-
diese neue Einrichtung in nur wenigen Jahren                  ler Helmut Schmidt schenkte, in den West-Berli-
internationale Anerkennung. Das war vor allem                 ner Zoo kamen (Abbildung 2).20
trotz großen Mangels an frei handelbaren Wäh-
rungsmitteln und Baumaterialien der außerge-                                EINHEITSBESCHWERDEN
wöhnlichen Förderung der Verantwortlichen im
Magistrat und auf der Ebene der Ministerien zu                Mit dem Fall der Berliner Mauer ergaben sich für
verdanken.                                                    den Zoologischen Garten gleichzeitig Chancen
    Die Konkurrenz in der eigenen Stadt führte                und Herausforderungen. Zum einen gewann er
in gewissem Sinne zu einer Art Wettrüsten. Hier               ein Umland mit potenziellen Besuchern. Auf der
der neue Tierpark, der eine Überlegenheit des so-             anderen Seite aber war der mit durchschnittlich
zialistischen Bildungssystems verkörpern sollte,              fast zwei Millionen Besuchern pro Jahr sehr be-
dort der traditionsreiche Zoologische Garten am               liebte Tierpark auf einmal ein direkter Konkur-
Kurfürstendamm, der ein Schaufenster der west-                rent in der eigenen Stadt. Beide Direktoren hat-
lichen Welt war. Beide Direktoren verstanden es               ten 30 Jahre lang wissenschaftlich konkurriert
glänzend, aus dieser Konkurrenzsituation Vortei-              und persönlich gestritten. Wie sollte es nun wei-
le für ihren Garten zu schaffen. Der Ost-Berliner             tergehen? In den Transformationsprozessen der
Dathe verwies gegenüber den Behörden auf neue                 deutschen Einheit traten insbesondere bei ost-
Bauten und exotische Tiere im westlichen Teil                 deutschen Kulturinstitutionen Abbauverluste
der Stadt. Zudem betonte er, dass viele interna-              auf. Überall in der untergegangenen DDR wur-
tionale Kollegen seinen Tierpark lobten. Die Mi-              den westdeutsche Spezialisten zurate gezogen,
schung aus beidem sorgte dafür, dass so manches               die ostdeutsche Firmen und Kultureinrichtungen
möglich gemacht und beispielsweise Devisen                    als ineffizient charakterisierten und abbauten. In
oder behördliche Hilfe für den Kauf und Tausch                Berlin stellte sich die Frage in hohem Maße, exis-
von Tieren mit anderen Tiergärten in aller Welt               tierten viele Institutionen doch zwei- oder mehr-
zur Verfügung gestellt wurden. In der westlichen              fach. Genau das galt auch für die Zoos. Die Lei-
Stadthälfte konnte Direktor Heinz-Georg Klös,
der 1956 die Nachfolge Katharina Heinroths an-
                                                              19 Zur Geschichte der Zoos im Kalten Krieg vgl. Maier-
                                                              Wolthausen (Anm. 2), S. 151–211; Jan Mohnhaupt, Der Zoo
17 Vgl. ebd., S. 170–173; Katharina Heinroth, Mit Faltern     der anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte &
begann’s, München 1979, S. 265–274.                           Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete, München 2017.
18 Vgl. u. a. Heinrich Dathe, Aus den Kindertagen des Tier-   20 Vgl. Heinz-Georg Klös, Jahresbericht für 1980, in: Bongo
parks Berlin. 4. Fortsetzung, in: Milu 1/1976, S. 45–50.      5/1981, S. 97–168.

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