AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Der Zoo - Bundeszentrale für politische Bildung
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71. Jahrgang, 9/2021, 1. März 2021 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Der Zoo Mieke Roscher Bernd Ladwig EINE POLITISCHE GESCHICHTE ZOOETHIK ZOOLOGISCHER GÄRTEN UND TIERRECHTE Clemens Maier-Wolthausen Manfred Niekisch · EIN ZOO Volker Sommer FÜR DIE HAUPTSTADT ARTENSCHUTZ DURCH ZOOS. Christina Katharina May ZWEI PERSPEKTIVEN DIE INSZENIERTEN TIERRÄUME DER ZOOARCHITEKTUR ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung
Der Zoo APuZ 9/2021 MIEKE ROSCHER BERND LADWIG ZOOPOLIS. ZOOETHIK UND TIERRECHTE EINE POLITISCHE GESCHICHTE Die Haltung von Tieren in Zoos und die ZOOLOGISCHER GÄRTEN Unterstützung durch Zoobesuche bedürfen der An Zoos lassen sich gesellschaftliche Trans- Rechtfertigung. Dabei sollten wir einer Frage formationsprozesse ebenso ablesen wie die nicht ausweichen: Wiegt die Verantwortung, die Evolution moderner Nationalstaaten und ihrer wir tragen, indem wir in Zoos Naturzustände imperialistischen Prägungen. Die Tiere fungieren nachstellen, nicht zu schwer für uns? dabei als Ausstellungsstücke wie auch als Seite 25–30 historische Akteure, die Diskurse beleben. Seite 04–10 MANFRED NIEKISCH · VOLKER SOMMER ARTENSCHUTZ DURCH ZOOS. CLEMENS MAIER-WOLTHAUSEN ZWEI PERSPEKTIVEN EIN ZOO FÜR DIE HAUPTSTADT Zoos haben den Anspruch, neben der Erholung, Der Zoologische Garten in Berlin ist nicht nur Bildung und Forschung auch dem Artenschutz eine Bildungs- oder Freizeiteinrichtung mit zu dienen. Welche Rolle sie dabei angesichts des wissenschaftlichem Anspruch, sondern auch ein weltweit voranschreitenden Biodiversitätsverlus- Spiegel der Geschichte der ihn beherbergenden tes spielen, diskutieren Manfred Niekisch und Stadt und mit den wechselnden Regimen Berlins Volker Sommer aus zwei Perspektiven. und Deutschlands verflochten. Seite 31–38 Seite 11–17 CHRISTINA KATHARINA MAY BLICKE INS TERRITORIUM. DIE INSZENIERTEN TIERRÄUME DER ZOOARCHITEKTUR Zooarchitektur spiegelt die Beziehung der Gesellschaft zum Tier und zur Natur wider. Die Ansprüche an die Gestaltung schwanken dabei zwischen den Haltungsfaktoren der Zootiere und der Inszenierung von Biodiversität und Artenschutz für das menschliche Publikum. Seite 18–24
EDITORIAL Zoos sind laut Bundesnaturschutzgesetz „dauerhafte Einrichtungen, in denen lebende Tiere wild lebender Arten zwecks Zurschaustellung während eines Zeitraumes von mindestens sieben Tagen im Jahr gehalten werden“. Die Fas- zination vieler für den Besuch der teils Jahrhunderte alten Einrichtungen liest man aus dieser durchaus trocken anmutenden Definition nicht zwingend heraus. Allein die im Verband der Zoologischen Gärten organisierten professionell geführten Zoos verzeichneten 2019 in Deutschland über 36 Millionen Besuche. Publikumsmagneten wie der Berliner Eisbär Knut oder das Leipziger Opossum Heidi haben in der Vergangenheit wiederholt für ein internationales Medienecho und vermarktungsstrategischen Jubel gesorgt. Der Zoo ist für viele Menschen nicht nur fester Bestandteil ihrer Freizeit. Die Institution und ihre Inszenierungsformen von Natur spiegeln die Geschichten der jeweiligen Umgebung ebenso wider wie gesellschaftliche Transformations- prozesse und weltpolitische Entwicklungen, bei denen Weißkopfseeadlern oder Pandabären mehr als die Rolle gefiederter oder pelziger Attraktionen zukommt. Neben Überlegungen, wie Tiere in Zoos gehalten werden (können), lässt sich daher auch über die Frage, warum dies geschieht und ob beziehungsweise wie die Haltung „wilder“ Tiere legitimiert werden kann, trefflich diskutieren. In den vergangenen Jahrzehnten ist angesichts des weltweit dramatischen Verlustes an Biodiversität der Anspruch, Arten zu schützen, verstärkt auf die Tagesordnung gerückt. Auch die Debatten darüber, welche Argumente und welche rechtlichen und ethischen Güter es dabei abzuwägen gilt, zeigen: Der Zoo ist und bleibt mitsamt sämtlichen in ihm vertretenen Akteuren auch ein politischer Ort. Die gesellschaftlichen Fragen, die an ihm verhandelt werden, reichen weit über seine Zäune hinaus. Frederik Schetter 03
APuZ 9/2021 ZOOPOLIS Eine politische Geschichte zoologischer Gärten Mieke Roscher Seitdem ihre Geschichte mit dem Bau des post- geradezu richtungsweisend für den oder die Epo- revolutionären Jardin des Plantes (Botanischer chenwechsel im langen 19. Jahrhundert zu stehen. Garten) in Paris Ende des 18. Jahrhunderts be- Mit dem Bau von zoologischen Gärten und ziehungsweise mit der Gründung des Londoner der Ausstellung von Tieren wurde politischen Zoos 1828 eingeleitet wurde, dienten zoologische Programmen und Ideologien physische Form ge- Gärten als temporale wie auch politische Marker. geben. Dies blieb nicht auf das 19. Jahrhundert An ihnen lassen sich historische Verschiebungen beschränkt. Als Topos nationalistischer Formge- und Transformationsprozesse im Übergang von bung und neoimperialistischer Heilsvorstellun- einer feudalen zu einer bürgerlichen Gesellschafts- gen einer kleinen Welt der Artenvielfalt sind Zoos ordnung ebenso ablesen wie die Evolution der bis heute wichtige Ausdrucksformen politischer modernen Nationalstaaten und ihrer imperialis- Symbolizität geblieben. Die in ihnen eingesperr- tischen Prägungen. Als spektakuläre Schaustätten ten Tiere fungierten dabei sowohl als Ausstel- spiegelten sie den Beginn des Zeitalters des Kon- lungsstücke, auf die verschiedene politische Ideen sums und der Unterhaltungsindustrie um die Jahr- appliziert wurden, aber eben auch als historische hundertwende zum 20. Jahrhundert wider. Auf ei- Akteure, die Diskurse belebten. ner übergeordneten Ebene können Zoos daher als Symbolträger für Urbanität gelten. Seit ihrer FRÜHIMPERIALE SCHAUSTÄTTEN Einrichtung standen sie für den locus primus, für den Schauplatz der zivilisierten Stadt, in dem die Die Zurschaustellung von Tieren in zoologi- „Wildnis“ und mit ihr die „Barbarei“ sicher unter schen Gärten folgte institutionshistorisch den Verschluss gehalten wurden. fürstlichen Menagerien, die mit der Präsenta- Zoos illustrierten zugleich gesellschaftliche tion des „exotischen Anderen“ die persönliche Ein- und Ausschlussmechanismen. Einerseits Strahlkraft der Regent:innen unterstreichen hel- zeigte sich, dass mit der Öffnung der Zoos für fen sollten. Dies zeigte sich etwa bei der diplo- die Gesamtbevölkerung – in der ersten Hälfte des matischen Netzwerkbildung mit anderen Herr- 19. Jahrhunderts war deren Besuch meist noch der scherhäusern und wurde über die Fähigkeit, gebildeten Oberschicht vorbehalten – Demokrati- die eigene Position gegenüber Mensch und Tier sierungstendenzen verbunden waren, andererseits durchzusetzen, dokumentiert.01 Tiere spielten wurden Zoos zu Schaustätten der angewandten eine entscheidende Rolle in der Kultur der gegen- „Rassenkunde“, in der Tiere – und über Tiere auch seitigen Verpflichtungen zwischen den Höfen, Menschen – typologisiert wurden. Der Versuch, sie bildeten als Geschenke wichtiges diplomati- imperialistisches Handeln zu legitimieren, fand in sches Kapital.02 Fanden sich Formen der Mena- Zoos einen vortrefflichen Resonanzboden. gerien bereits an antiken und mittelalterlichen Ferner illustrierten sie eindrucksvoll den sich Höfen, bildete die Sammelwut frühneuzeitlicher verändernden Stellenwert der Naturwissenschaf- Herrscher:innen, die neben zumeist ausgestopf- ten als akademische Leitdisziplin(en). Sie machten ten Tieren auch andere naturale und geologische die Evolutionstheorien greifbar und präsentierten Gegenstände sowie religiöse Artefakte und prä- gleichzeitig bürgerliche beziehungsweise zivili- moderne Maschinen umfasste, eine deutliche Zä- satorische Werte als vermeintliche Überwindung sur. In den sogenannten Wunderkammern und der äußeren wie der inneren Natur. Unter dem Kuriositätenkabinetten wurde der Versuch einer Eindruck dieses Wandels sind Zoos somit Indika- Systematisierung des Wissens unternommen. Pa- toren für politische Veränderungen, sie scheinen rallel dazu wurde das Verlangen, mehr und exo- 04
Der Zoo APuZ tischere Tiere lebend auszustellen, auch politisch liebter Aufenthaltsort des Kaisers war der Pavil- befeuert, denn die „Sammlung lebender Raritäten lon“, von dem aus er sich „im Mittelpunkt der aus allen Regionen der Welt diente der absolutis- belebten Welt stehend fühlen“ konnte.07 Die auf tischen Selbstdarstellung und der Visualisierung Geheiß des preußischen Königs Friedrich Wil- des Herrschaftsstatus“.03 Rare Tiere wie etwa Lö- helm III. auf der Pfaueninsel bei Potsdam gegrün- wen, Tiger oder gar Elefanten zu bekommen und dete Menagerie war gestalterisch das Projekt des sie dann noch am Leben zu erhalten, galt als Be- Garten- und Landschaftsarchitekten Peter Joseph weis des Reichtums, aber eben auch der uneinge- Lenné, der ebenfalls die Sichtachsen als elementa- schränkten, absolutistischen Macht. re Bestandteile der Herrschaftsinszenierung um- Europäische Herrscherhäuser konkurrier- setzte. Die Pfaueninsel war somit eine späte Er- ten auch mit Blick auf die Imposanz der bauli- scheinung in der genealogischen Entwicklung chen Präsentation ihrer tierlichen Schätze. Der der Menagerien, auch weil sie bereits Elemen- Tower in London hatte bereits seit 1235 unter te des modernen Zoos aufgriff. Der 1844 in Ber- der Herrschaft Heinrichs III. ein Gehege, in dem lin eröffnete Zoologische Garten trug ebenfalls Tiere als exotische Geschenke an den König aus- die Handschrift Lennés. Allerdings dienten diese gestellt wurden.04 Zur bekanntesten Menagerie Tierausstellungen nicht im selben Maße als Mi- wurde die im 17. Jahrhundert unter Ludwig XIV. krokosmos der absolutistischen Herrschaft, son- gegründete Menagiere am Schloss von Versailles, dern repräsentierten den Einzug in das Zeitalter die auch durch ihre sternförmige Anordnung der Wissenschaften, in der Herrschaft weniger der Tiergehege den universellen Herrschaftsan- expressiv zur Schau gestellt wurde. spruch des Sonnenkönigs hervorheben und damit Der Enthusiasmus für exotische Tiere wurde Frankreichs politische und kulturelle Hegemo- jedoch nicht nur von europäischen Herrschern nie unterstreichen helfen sollte.05 Als eine Samm- geteilt. Die Ming-Dynastie verfügte bereits im lung von Tieren war sie aber gleichzeitig auch 14. Jahrhundert über ausgewiesene Jagdgärten „erlebbares und komprimiertes Abbild des Tier- und Menagerien.08 Für das 15. Jahrhundert sind reiches als Teil der Welt“.06 Eine Welt, die wohl- erste Reisen über den indischen Ozean zur Be- gemerkt den Anschein erwecken sollte, gänzlich schaffung afrikanischer Tiere wie Löwen, Le- unter französischer Herrschaft zu stehen. Auch oparden, Zebras und Giraffen nachgewiesen.09 die Habsburger Monarchie hatte sich Mitte des Auch im japanischen Shogun-Reich wurden zwi- 18. Jahrhunderts ein mit Tieren belebtes Denkmal schen dem 17. und dem 19. Jahrhundert zahlrei- gesetzt. Bei der Menagerie der Habsburger Som- che Tiere importiert, häufig mithilfe der chine- merresidenz, dem Wiener Schloss Schönbrunn, sischen Handelsverbindungen, die tief bis nach orientierte man sich stark an der absolutistischen Europa und Afrika reichten.10 Dennoch können Architektur Versailles: „Zentraler Punkt und be- die zoologischen Gärten eher als eine logische Weiterentwicklung der europäischen Menagieren 01 Vgl. Nadir Weber, Diplomatic History, in: Mieke Roscher/ gedeutet werden, wo absolutistische Herrschaft André Krebber/Brett Mizelle (Hrsg.), Handbook of Historical mit einem aus der Aufklärung übernommenen Animal Studies, Berlin 2021 (i. E.). Wissens(schafts)verständnis gepaart wurde, das 02 Vgl. Elena Taddei, Animals as Agents of Networking and gleichzeitig erste Züge eines bürgerlichen Zivili- Cultural Transfer. The Dukes of Ferrara and Their Relations to German Courts in the Sixteenth Century, in: Nadir Weber/Mark sationstopos aufwies. Hengerer (Hrsg.), Animals and Courts, Berlin 2020, S. 79–92, hier S. 86. 03 Petra Werner, Die Menagerie des Landgrafen Karl, Disser- 07 Annelore Rieke-Müller/Lothar Dittrich, Der Löwe brüllt tation, Universität Kassel 2014, Abstract. nebenan. Die Gründung zoologischer Gärten im deutschspra- 04 Vgl. Christopher Plumb, The Georgian Menagerie. Exotic chigen Raum 1833–1869, Köln 1998, S. 11. Vgl. auch Mitchell Animals in Eighteenth-Century London, London 2015. Ash/Lothar Dittrich, Menagerie des Kaisers. Zoo der Wiener, 05 Vgl. Peter Sahlins, 1668. The Year of the Animal in France, Wien 2002. Cambridge MA 2017; Louise E. Robbins, Elephant Slaves and 08 Vgl. David M. Robinson Martial Spectacles of the Ming Pampered Parrots. Exotic Animals in Eighteenth-Century Paris, Court, Leiden 2020. Baltimore 2002. 09 Vgl. Erik Ringmar. Audience for a Giraffe. European 06 Bettina Paust, Die Schaulust am lebenden Tier: Der Blick auf Expansionism and the Quest for the Exotic, in: Journal of World ausgestellte Tiere von den barocken Menagerien bis zur zeit- History 4/2006, S. 375–397, hier S. 389–393. genössischen Kunst, in: Jessica Ullrich/Alexandra Böhm (Hrsg.), 10 Vgl. Takashi Ito, History of the Zoo, in: Roscher/Krebber/ Animal Encounters, Stuttgart 2019, S. 277–293, hier S. 278. Mizelle (Anm. 1). 05
APuZ 9/2021 EXOTISMUS UND des Jahrhunderts wurden Zoos urbane Fluchtor- NATURBEHERRSCHUNG te, die für Familienausflüge genutzt wurden, um etwa den ökologischen und sozialen Nachwir- Der Anspruch, die Natur wissenschaftlich zu er- kungen der Industrialisierung zu entfliehen. Die kunden, zu erforschen und zu taxonomieren cha- ländlichen Konnotationen, die in den Städten des rakterisierte die Entwicklungsphase der Zoos in ausgehenden 19. Jahrhunderts trotz der zuneh- der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.11 Beglei- menden Industrialisierung durchaus noch spür- tet wurde diese Entwicklung durch die Grün- bar waren, führten innerhalb der urbanen Gesell- dung naturkundlicher Gesellschaften, in denen schaft geradezu zur Verherrlichung von Natur als eine Kultur wissenschaftlichen Faktenschaffens Bildnis idealisierten Lebens. Neuere Forschun- sich mit der ästhetischen Darstellung und Ver- gen zeigen aber auch, dass die Institution Zoo mittlung von „Natur“ überlagerte. Wie schon mit einer städtischen Vergnügungskultur eng ver- bei Menagerien verband sich auch hier eine po- zahnt war und somit als „konstitutives Element litische Ordnungsfunktion, die Tiere prak- der modernen Stadtgeschichte“ aufgefasst wer- tisch wie symbolisch als Modelle, Instrumente den muss.14 oder als Regulatoren und Transformatoren ge- Während der Zugang zunächst meist begrenzt sellschaftlichen Wandels zur Aushandlung und war, in London etwa auf die Mitglieder der Lon- Festschreibung von gesellschaftlichen Ordnun- don Zoological Society, in Antwerpen auf die gen heranzog, mit der Verbreitung wissenschaft- der Königlichen Gesellschaft für Zoologie und lichen Wissens. Ordnungen und Klassifizierun- in Berlin auf diejenigen, die Aktien am Zoo be- gen schienen sich in der spezifischen ästhetischen saßen, gab es bald Bemühungen, sie für die brei- Präsentation von Tieren spontan zu offenbaren, te Öffentlichkeit und vor allem die Arbeiterklasse gelenkt höchstens von einer höheren Natur, ei- zu öffnen. Andere Zoos waren von Beginn an für nem höheren Wesen. alle Schichten zugänglich. Dies traf vor allem auf Des Weiteren bedienten die zoologischen den Pariser Jardin des Plantes zu, der bereits nach Gärten bürgerliche Bedürfnisse mit einer ange- der Auflösung der Versailler Menagerie 1793 zum messenen Mischung aus Bildung und Unterhal- Dreh- und Angelpunkt sowohl der Volksbelusti- tung und brachten erhebliches Prestige für die gung, aber eben auch der wissenschaftlichen For- Städte.12 Als Magneten städtischen Lebens wur- schung wurde. Die Größen der französischen den ihnen städteplanerisch attraktive Räume zu- Naturforschung gaben sich hier ein Stelldichein, geteilt, in der sich Ideen über die räumliche Aus- unter ihnen Georges Cuvier und Jean-Baptiste de stellung von Tieren sehr gut umsetzen ließen. Der Lamarck. Auf Grundlage der jeweils etablierten Londoner Zoo wurde beispielsweise am Rand des wissenschaftlichen Lehrmeinungen boten Zoolo- an die Stadt angrenzenden Regents Park angesie- gische Gärten sowie die teils zeitgleich gegründe- delt, der Berliner Zoologische Garten am Rand ten Naturkundemuseen im 19. Jahrhundert Klas- des Tiergartens, der Zoo von Antwerpen zentral sifikationen und Ordnungsschemata an, um die in der Stadt. Zoos wurden damit auch zum kenn- großen Mengen neuentdeckter und altbekannter zeichnenden Element städtischen Infrastruktur- Spezies möglichst vollständig zu sortieren. wandels. Zoos bezeugten, so fasst es die Histo- Zoos wie Museen wurden überdies als Orte zi- rikerin Dorothee Brantz zusammen, „dass der vilisatorischen Fortschritts gedeutet, in denen die städtische Raum nicht unbedingt die Abkehr von Natur sowohl gezähmt als auch geschätzt wurde. der Natur darstellte, sondern vielmehr auch zur Die Darstellung des „wilden“ Tieres in der künst- Schaffung eines neuartigen Naturverständnis- lichen beziehungsweise pseudo-natürlichen Um- ses beitrug“.13 Dieses Naturverständnis wurde in gebung des Zoos wirkte sich so erfolgreich aus, städtischen Institutionen kondensiert. Zum Ende dass man sich von der Öffnung weitere zivilisato- rische Erfolge und Einsichten in die naturwissen- 11 Vgl. Eric Baratay/Elisabeth Hardouin-Fugier, Zoo. A History schaftlichen Erkenntnisse der Zeit versprach, die of Zoological Gardens in the West, London 2004. immer schon mit gesellschaftspolitischen Konse- 12 Vgl. Nigel Rothfels, Savages and Beasts. The Birth of the quenzen einhergingen. Dies traf insbesondere für Modern Zoo, Baltimore 2002, S. 34. 13 Dorothee Brantz, Die „animalische Stadt“. Die Mensch-Tier- Beziehung in der Urbanisierungsforschung, in: Informationen zur 14 Wiebke Reinert, Applaus der Robbe. Arbeit und Vergnügen modernen Stadtgeschichte 1/2008, S. 86–100, hier S. 96. im Zoo, 1850–1970, Bielefeld 2020, S. 14. 06
Der Zoo APuZ die Evolutionstheorie zu.15 Charles Darwin und werden.18 Zoos bildeten hier „Schaufenster in die Alfred Russel Wallace frequentierten den Londo- real existierenden Imperien“.19 Der von der kolo- ner Zoo regelmäßig für Tierbeobachtungen „im nialen Aufteilung der Welt und vor allem Afrikas Feld“.16 Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahr- durch europäische Staaten profitierende Tierhan- hundert griffen zahlreiche europäische Staaten das del machte zudem den Zugriff auf immer mehr Evolutionsprinzip als Teil ihrer Fortschrittserzäh- und immer exotischere Tiere möglich. lung auf. In den Zoos wurden fortan auch Experi- Den Zoo als Sinnbild und Repräsentant ko- mente an den Schädeln von Affen vorgenommen, lonialer und imperialer Stärke zu nutzen, wurde um auf die langsame Progression der Evolution vor allem in London offensiv gefordert und ge- hinzuweisen, den Menschen aber durchaus in die fördert.20 Kolonialbeamte waren dazu angehal- zoologische Hierarchisierung mit einzubeziehen. ten, immer mehr Tiere als „Geschenke“ in die Der Berliner Zoodirektor Ludwig Heck etwa ar- Metropole des Empires zu schicken.21 Immerhin, beitete an einer zoologischen Rassenlehre. In- so wurde auch von der London Zoological So- wieweit die Vermittlung „naturkundlicher“ und ciety hervorgehoben, befand sich ein Siebtel der „rassen-“politischer Gedankengebilde auch beim Erde unter britischer Herrschaft – und so sollte Publikum ankam, ist noch nicht ausreichend er- auch deren Fauna unter der „bedächtigen Hand“ forscht beziehungsweise wird durchaus infra- britischer Forscher:innen erkundet und in den ge gestellt.17 Die Intention der Zooleitungen war Wissenshorizont der Metropole zurückgeholt indes eindeutig: Der Zoo sollte unterhalten und werden, wo sie im Zoo gewürdigt werden könn- gleichsam in einer Art und Weise belehren, die so- te. Zoologische Gärten bezeugten somit nicht wohl den wissenschaftlichen wie politischen Dis- nur die Weitläufigkeit des Gebietes unter briti- kursen der bürgerlichen Gesellschaft folgte. scher Herrschaft, der Besitz von exotischen Tie- ren zementierte auch die kraftvolle Symbolik der EIN PLATZ AN DER SONNE Dominanz über „kolonisierte Völker“. Die Ver- MIT TIEREN suche, diese exotischen Tiere zu akklimatisieren und an britische Verhältnisse zu gewöhnen, wur- Die Frage nach der natürlichen Selektion, die de demnach als patriotischer Akt gewertet und im Gewand des Sozialdarwinismus auch gesell- die Zähmung des Tieres als etwas betrachtet, das schaftlich angewendet wurde, mag sich also viel- auch mit der indigenen kolonialen Bevölkerung leicht nicht für jede:n in der Betrachtung von zu geschehen hätte.22 Über den 1838 in Amster- Zootieren gezeigt haben, durch die Verkuppelung dam gegründeten Artis Zoo wurde ebenfalls und mit kolonialistischen Diskursen, die in den euro- wirkmächtig der „Erfolg“ niederländischer Ko- päischen Zoos vor allem architektonisch Einzug lonialbestrebungen artikuliert.23 Auch in Berlin, fanden, wurde die vermeintliche Überlegenheit der Hauptstadt des 1871 gegründeten Deutschen „des“ europäischen Menschen dennoch ein viel Reiches, sollten die Bestrebungen des „Nachzüg- zitierter Topos. Während also die Betrachtung lers“ im Kolonialgeschehen gewürdigt werden. des Absolutismus und der Aufklärung dabei hilft, Dieser Anspruch wurde vor allem durch neue die Gründungen von Zoos historisch einzuord- Bauten erfüllt, mit denen exotisierende Weltsich- nen, kann die weltweite Ausbreitung des Kon- zepts „Zoo“ am besten durch imperialistische 18 Vgl. Ito (Anm. 10). Bestrebungen vor allem in der Phase des Hoch- 19 Brantz (Anm. 13), S. 97. imperialismus bis zum Ersten Weltkrieg erklärt 20 Vgl. Robert W. Jones, „The Sight of Creatures Strange to Our Clime“. London Zoo and the Consumption of the Exotic, in: Journal of Victorian Culture 1/1997, S. 1–26. 15 Vgl. Oliver Hochadel, Darwin im Affenkäfig. Der Tiergar- 21 Vgl. Harriet Ritvo, The Animal Estate. The English and Other ten als Medium der Evolutionstheorie, in: Dorothee Brantz/ Creatures in the Victorian Age, Cambridge MA 1987, S. 231. Christof Mauch (Hrsg.), Tierische Geschichte, Paderborn 2010, 22 Vgl. Dorothee Brantz, The Domestication of Empire. Human- S. 245–267. Animal Relations at the Intersection of Civilization, Evolution, 16 Vgl. Takashi Ito, London Zoo and the Victorians, 1828– and Acclimatization in the Nineteenth Century, in: Kathleen 1859, London 2014. Kete (Hrsg.), A Cultural History of Animals in the Age of Empire, 17 Vgl. Oliver Hochadel, Im Angesicht des Affen. Die Besu- Oxford 2007, S. 73–94. cher des Tiergartens im 19. Jahrhundert, in: Sabine Nessel/ 23 Vgl. Donna Christine Mehos, Science Displayed. Nation and Heide Schlüpmann (Hrsg.), Zoo und Kino, Frankfurt/M. 2002, Nature at the Amsterdam Zoo, „Artis“, Dissertation, University of S. 29–48. Pennsylvania 1997. 07
APuZ 9/2021 ten reproduziert wurden. Es war das „Reich des die Idee eines immer schon zum Teil imaginären Fremdländischen“, das hier gezeigt werden sollte, Kolonialreiches, ein Modell, das gleichzeitig für indem man „ethnographisch-architektonische“ eine Vergangenheit und eine wieder angestrebte Bedeutungszumessungen forcierte,24 beispiels- Zukunft stand. Der Zoo fungierte hier als „Erin- weise, indem man das Straußenhaus in Form ei- nerungsort“ deutscher Kolonisationsunterneh- ner ägyptischen Tempelanlage inszenierte. Der mungen, als Teil einer „zeitgeistabhängige[n] Er- Versuch, auf der großen politischen Weltbühne innerungskonstruktion“.28 mitzuspielen, wurde vom Zoo begleitet. Er galt Diese Performanz des Authentischen war als Schaustätte, auf der „Deutschlands neue Rol- auch dadurch möglich, dass Carl Hagenbeck eine le in der Welt“ gezeigt werden sollte.25 Dies zeig- neue Art der Zurschaustellung der Tierwelt vor- te sich auch in der Architektur und der Anord- schlug. Die sogenannte Panoramaausstellung ver- nung der Tiere. Noch mehr als in Berlin war es zichtete weitgehend auf Käfige und Gitter und jedoch der Hagenbeck’sche Tierpark in Stellingen suggerierte durch ein mehr oder weniger ge- bei Hamburg, der den Traum von den Kolonien schicktes Verstecken von Gräben, die beispiels- performativ umsetzte. Durch sogenannte Völker- weise Raub- von Beutetieren trennte, die Immer- schauen, in denen zunächst Nordeuropäer:innen, sion in den Raum der Tiere.29 dann aber vor allem Polynesier:innen und Allerdings zeigt ein globalhistorischer Blick, Afrikaner:innen mitsamt der ihnen vertrauten dass in europäischen Zoos zwar die Verbindung Tierwelten und angeblich typischen Artefakten zwischen kolonialer Peripherie und Metropole in Panoramalandschaften platziert wurden, soll- ganz besonders deutlich zutage trat, dass sie aber te einerseits „Authentizität“ erzeugt werden. An- in ein größeres geopolitisches Setting eingebun- dererseits wurde der politische Anspruch for- den waren, in denen es einen florierenden Tier- muliert, diese Menschen zu beherrschen. Die handel zwischen unterschiedlichen, auch nicht- „Dar stel ler:innen“ wurden vor Ort meist von europäischen Imperien gab, die sich gegenseitig den Tierhändlern oder deren Agenten rekrutiert, in ihrer Suche nach den exotischen Tieren aussta- wobei besonders darauf geachtet wurde solche chen und bekämpften, aber eben auch unterstüt- Menschen auszuwählen, die das exotisierte Ide- zen und austauschten.30 Das Resultat waren ei- al am ehesten trafen. Bis zum Ersten Weltkrieg nerseits Zoogründungen in den Kolonien selbst, „boomte das Geschäft mit ‚exotischen‘ Menschen so beispielsweise 1862 in Melbourne, 1876 in in Europa“.26 Kalkutta, 1883 in Adelaide, wobei Letzterer das Über 400 solcher Ausstellungen tourten vermeintlich Heimische zum Fremden mach- durch die zoologischen Gärten oder andere öf- te und sich um die Akklimatisierung europäi- fentlich zugängliche Orte, 100 von ihnen organi- scher Tiere in Australien bemühte. Andererseits siert von Carl Hagenbeck, einem Tierhändler und versuchten asiatische und amerikanische Zoos, Gründer des Hamburger Tierparks. Durch die sich über die Zurschaustellung von Tieren eige- Darstellung von exotisierten Menschen in Inter- ne Profile zu geben und damit explizit den eu- aktion mit ihrer Umwelt und vor allem mit Tie- ropäischen imperialen Bemühungen ihre eigenen ren, die dabei keinesfalls nur Staffage waren, son- Interessen entgegenzustellen. Der Ueno Zoo in dern zentral für die performative Umsetzung der Tokyo, 1882 gegründet, kann als Versuch gelesen Idee von Kolonie standen, wurde in Europa et- werden, bestimmte Elemente der „westlichen“ was präsentiert, was schon längst Teil der euro- Tierdarstellung zu imitieren und zugleich die päischen Kolonialpolitik war.27 Präsentiert wurde imperialen Interessen Japans zu unterstreichen.31 Amerikanische Zoos standen ihrerseits proto- 24 Ludwig Heck, Heiter-ernste Lebensbeichte. Erinnerungen eines alten Tiergärtners, Berlin 1938, S. 60. 28 Hilke Thode-Arora, Hagenbeck. Tierpark und Völkerschau, 25 Rieke-Müller/Dittrich (Anm. 7), S. 264. in: Jürgen Zimmerer (Hrsg.), Kein Platz an der Sonne. Erinne- 26 Anne Dreesbach, Kolonialausstellungen, Völkerschauen und rungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt/M. 2013, die Zurschaustellung des „Fremden“, 17. 2. 2012, www.ieg-ego. S. 244–256, hier S. 255. eu/dreesbacha-2012-de. 29 Siehe hierzu auch den Beitrag von Christina Katharina May 27 Zum Performativitätskonzept in der Tiergeschichte vgl. z. B. in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Mieke Roscher, New Political History and the Writing of Animal 30 Vgl. Ito (Anm. 10). Lives, in: Hilda Kean/Philipp Howell (Hrsg.), The Routledge 31 Vgl. Ian Jared Miller, The Nature of the Beasts. Empire and Handbook of Human-Animal History, London 2018, S. 53–75. Exhibition at the Tokyo Imperial Zoo, Cambridge MA 2013. 08
Der Zoo APuZ typisch für die zunehmende Kapitalisierung vital gedeutet und bebilderten den Illusionsraum des Tierhandels. Viele von ihnen profitierten großgermanischer Mythologie.35 von Firmen wie der Carl Hagenbecks. Präsen- tiert wurde zudem die Idee der amerikanischen KALTER KRIEG Frontier, an der zur Zeit der Zoogründungen um UND PANDADIPLOMATIE die Jahrhundertwende ein beispielloses Massa- ker an der endemischen Fauna ablief, vor allem Dass einzelne Spezies in den Fokus eines poli- an Bisons und Wölfen. Zoos konservierten da- tischen Narratives von Zoo und Nation rücken her auch die Vorstellung der eigenen naturalen konnten, zeigt, wie wichtig es ist, sie auch als Endlichkeit.32 wirkmächtige Akteure einer Geschichte des Zoos zu berücksichtigen.36 Waren dies im 19. und frü- ZOO UND NATION hen 20. Jahrhundert vor allem Elefanten, Giraf- fen, Löwen, Primaten und Seelöwen,37 die vor Indem sich amerikanische Zoos, allen voran der allem von der zooeigenen Historiografie berück- 1891 gegründete National Zoological Park in Wa- sichtigt wurden, steht eine andere Tierart für die shington D. C. und der 1899 gegründete Bronx Zeit des Kalten Krieges und für die Zeit der Sys- Zoo, auf die Nation bezogen, um im globalen temannäherung nach 1989: der Panda. Handelskarussell der exotischen Tierarten feder- Dass Tiere als diplomatische Währung ge- führend und kapitalstark mitzumischen, zeigten nutzt wurden, war dabei keineswegs neu. Als bei- sie auch ihre wirtschaftlichen und militärischen spielsweise der US-Justizminister Robert Ken- Ambitionen auf.33 Nach dem Spanisch-Ameri- nedy 1962 den Berliner Zoo besuchte und als kanischen Krieg 1898 kamen die Streitkräfte dem Geschenk einen Weißkopfseeadler als politische Wunsch der Zoos nach immer neuen Tieren ger- Ikone der USA mitbrachte, wollte er damit auch ne nach. Auch die sich vom britischen Weltreich die politische Verbundenheit der USA mit West- loslösenden Dominions von Kanada bis Neusee- deutschland symbolisch untermauern. Der Adler land drückten ihre Unabhängigkeit durch zahl- fungierte hier durchaus schon als Element einer reiche neue Zoogründungen beziehungsweise der Kultur des Kalten Krieges, die eine universa- Konsolidierung und Neuorientierung bereits be- le Werteordnung in die Alltagspraktiken einzu- stehender, kolonialer Zoos aus. flechten versuchte und Antikommunismus mit Insbesondere die zwei Weltkriege und die einer Zelebrierung des westlichen, eher noch der mit ihnen aufkommenden Systemfragen mach- amerikanischen Lebensweise verband.38 Nicht ten Zoos zu Orten, an denen über den Status der der Weißkopfseeadler, sondern der Panda wur- Nation neu verhandelt wurde. Tiere wurden hier- de jedoch zum Goldstandard des diplomatischen bei nicht selten als „patriotische Bürger“ angese- Geschenkes. Waren die ersten Pandas in den hen, die für die jeweils eigene Sache standen.34 So 1930er Jahren noch über international agierende auch in Berlin: Hier wurde unter dem Eindruck Tierhändler nach Europa gelangt, verstand es die nationalsozialistischer Herrschaft ein „Deutscher Volksrepublik China nach ihrer Gründung 1949 Zoo“ erschaffen, der – abweichend vom zoolo- sehr bald, sich mit einer sehr kontrollierten Ab- gisch-systematischen Konzept der restlichen An- beziehungsweise Leihgabe der Tiere als formida- lage – eine „deutsche“ Landschaft konzipieren bler Handelspartner zu zeigen und eine Öffnung sollte. Die neuen Tieranlagen ordneten sich ei- ner nationalen geografischen Systematik unter. 35 Vgl. Wiebke Reinert/Mieke Roscher, Der Zoo als Ande- Mittelpunkt des „Deutschen Zoos“ waren die im rer Raum. Hamburger und Berliner Heterotopien, in: Thomas E. Hauck et al. (Hrsg.), Urbane Tier-Räume, Berlin 2017, August 1937 eröffneten Felsengehege für Bären S. 103–114, hier S. 109 f. und Wölfe. Diese Spezies wurden als besonders 36 Vgl. Mieke Roscher, Geschichtswissenschaft. Von einer Geschichte mit Tieren zu einer Tiergeschichte, in: Reingard 32 Vgl. Daniel E. Bender, The Animal Game. Searching for Spannring et al. (Hrsg.), Disziplinierte Tiere? Perspektiven der Wildness at the American Zoo, Cambridge MA 2016. Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen, 33 Vgl. Ito (Anm. 10). Bielefeld 2015, S. 75–100. 34 John M. Kinder, Zoo Animals and Modern War. Captive 37 Vgl. Reinert (Anm. 14). Casualties, Patriotic Citizens, and Good Soldiers, in: Ryan 38 Vgl. Mieke Roscher/Anna-Katharina Wöbse, Zoos im Wie- Hediger (Hrsg.), Animals and War. Studies of Europe and North deraufbau und Kalten Krieg, Berlin 1955–1961, in: Tierstudien America, Leiden 2013, S. 45–75, hier S. 47. 7/2015, S. 67–77. 09
APuZ 9/2021 Richtung Westen zu signalisieren. Als es dem de gezielt auch mit der Verpaarung von seltenen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt 1980 Arten begonnen, zum Teil begleitet von kruden gelang, zwei Pandas – Bao Bao and Tjen Tjen – Rückzüchtungsprogrammen bereits ausgestor- für den Berliner Zoo zu sichern, war damit der bener Spezies, etwa dem Auerochsen. Im Nach- Weg frei, auch andere diplomatische Wege zwi- klang des Zweiten Weltkrieges kam es zu einem schen Ost und West zu beschreiten.39 klaren Paradigmenwechsel in der Politik der Bereits am Scheitelpunkt des Kalten Krieges Zoos. Während es in vielen Teilen der Welt zu waren zuvor politische Marker gesetzt worden. Dekolonialisierungsbestrebungen kam, verschob So hatte das Pandaweibchen Chi Chi 1958 auf ih- sich der Status der „wilden“ Tiere vom Samm- rem Weg nach London mehrere Wochen im Ost- lungs- zum Schutzobjekt. Das 1975 in Kraft ge- Berliner Tierpark verbracht, der damit einen po- tretene Washingtoner Artenschutzabkommen litisch bedeutsamen Prestigeerfolg gegenüber der verbot den Handel mit bedrohten Tierspezies, Konkurrenz im Westen verbuchen konnte. In den insbesondere westliche Zoos reagierten einer- 1950er und 1960er Jahren beschenkte China vor seits mit der Ausweitung von ausgefeilten Nach- allem Zoos des Ostblocks, insbesondere in der zuchtversuchen und andererseits mit der Einmi- So wjet union und in Nordkorea. Die Überlas- schung in lokale Schutzinitiativen, insbesondere sung von zwei Pandas an den Washingtoner Na- in Afrika.41 Bereits in den 1950er Jahren hatte tional Zoo 1972 wird daher gerne als erstes Zei- der bekannte Frankfurter Zoodirektor Bernhard chen des politischen Tauwetters gelesen. Pandas Grzimek dort eine Reihe von Filmen gedreht, waren aber auch Devisenbringer erster Wahl. Ab in denen er über eine „geschickte Verknüpfung den 1980er Jahren wurden die Tiere nur noch ver- kolonialer Bilder und Traditionen mit aktuel- liehen, zu stattlichen Preisen.40 ler Zeitkritik und mit dem Anliegen eines wis- senschaftlich begründeten Naturschutzes“42 der ARTENERHALTUNG ALS lokalen Bevölkerung im Grunde die Fähigkeit NEOIMPERIALISTISCHES PROJEKT? absprach, effektiven Schutz der Tiere betreiben zu können. Dieser Topos, der sich in den 1950er Zootiere in ihrer Rolle als politische Diplomaten Jahren vor allem auf den Schutz von Elefanten waren nicht austauschbar, sondern prägten ein konzentrierte, hat heute im Rhinozeros eine neue kompliziertes System von Angebot und Nach- flagship species gefunden.43 Elaborierte Nach- frage, Symbolkraft und Seltenheit. „Die Letzten zuchtprogramme mit direktem Eingriff in die ihrer Art“ sehen zu können, wurde zu einem at- endemische Fauna gibt es beispielsweise in aus- traktiven Slogan des Zooerlebnisses. Tatsächlich tralischen Zoos. Inwieweit hier Ideen von globa- wurde bereits ab der Wende zum 20. Jahrhundert len öffentlichen Gütern, bei denen (bestimmte) die Erhaltung von Spezies als eine neue Aufga- Tiere als eine Art gemeinsames Menschheitser- be der zoologischen Gärten formuliert. Es wur- be gehandelt werden – ein Argument, das auch schon Grzimek vorgebracht hatte – letztend- 39 Vgl. Falk Hartig, Panda Diplomacy. The Cutest Part of lich dazu dienen, den politischen Einfluss in den China’s Public Diplomacy, in: The Hague Journal of Diplomacy (ehemaligen) Kolonien aufrechtzuerhalten bezie- 1/2013, S. 49–78. hungsweise deren neokoloniale Imprägnierung 40 Vgl. Brynn Holland, Panda Diplomacy. The World’s Cutest Ambassadors, 16. 3. 2017, www.history.com/news/panda-diplo- zu verschleiern, ist Bestandteil eines politischen macy-the-worlds-cutest-ambassadors. Diskurses, der bis heute währt. Zoos und ihre 41 Vgl. Thaddeus McBride, The Dangers of Liberal Neo- zukünftige (politische) Rolle sind zentral für die- Colonialism. Elephants, Ivory and the Cites Treaty, in: Boston se Diskussion. College Third World Law Journal 2/1999, S. 733–757; Elizabeth Garland, The Elephant in the Room. Confronting the Colonial Character of Wildlife Conservation in Africa, in: African Studies Review 3/2008, S. 51–74. 42 Johannes Paulmann, Jenseits von Eden. Kolonialismus, Zeit- kritik und wissenschaftlicher Naturschutz in Bernhard Grzimeks MIEKE ROSCHER Tierfilmen der 1950er-Jahre, in: Zeitschrift für Geschichtswissen- ist Professorin für Sozial- und Kulturgeschichte mit schaft 6/2008, S. 541–560, hier S. 541. 43 Vgl. Matt W. Hayward et al., Neocolonial Conservation. Is dem Schwerpunkt der Human-Animal-Studies an Moving Rhinos to Australia Conservation or Intellectual Property der Universität Kassel. Loss?, in: Conservation Letters 1/2018, S. e12354. roscher@uni-kassel.de 10
Der Zoo APuZ EIN ZOO FÜR DIE HAUPTSTADT Clemens Maier-Wolthausen Alle brandenburgischen Fürsten haben Wildtiere Monarchen war es eine Möglichkeit, seine Resi- als Zeichen ihres Reichtums, ihrer Macht, zur Be- denzstadt zu verschönern. Die Idee, in Berlin ei- lustigung oder zur Aufwertung des Speiseplans nen Ort zu schaffen, an dem viele Menschen Tiere gehalten. Friedrich II. schuf 1742 eine Fasanerie anschauen und studieren konnten, entsprach dem im heutigen Großen Tiergarten. Friedrich Wil- Zeitgeist. helm III. hielt ab 1820 auf der Pfaueninsel in der Der Zoologische Garten bei Berlin war bei Havel exotische Tiere.01 Fasanerie und Menage- seiner Eröffnung am 1. August 1844 noch nicht rie bilden den Grundstock des ältesten existieren- fertiggestellt und zeigte nur etwa 100 Tiere. Zu- den deutschen Zoos – des Zoologischen Gartens dem lag er noch weit vom Stadtzentrum und in Berlin.02 noch weiter von den Wohnquartieren der meis- Dieser Beitrag beleuchtet dessen politische ten Berliner in den östlichen Vororten entfernt Geschichte. Dabei wird deutlich, dass die Ge- am südwestlichen Rand des Tiergartens. Im Er- schichte eines Zoos – zumal des Zoos der Kö- öffnungsjahr kam an manchen Tagen niemand.04 nigsresidenz, der Reichshauptstadt, der westli- Der Mangel an Einnahmen hatte auch einen Man- chen Halbstadt während des Kalten Krieges und gel an größeren Attraktionen wie exotischen Tie- der Hauptstadt des geeinten Deutschlands – nie re und schmückenden Tierhäuser zur Folge. Der nur Institutionengeschichte sein kann. Sie ist im- Zoovorstand war in dieser Zeit auf Geschenke mer auch eine Stadtgeschichte, eine Kulturge- preußischer Konsuln oder Gönner im Ausland schichte der Tiernutzung und sogar ein Beispiel angewiesen. für die „asymmetrisch verflochtene Parallelge- Der Gründungsdirektor Lichtenstein war da- schichte“ der beiden deutschen Staaten.03 Denn von ausgegangen, dass der Zoo sich bald mittels Zoos sind nicht einfach Bildungs- oder Freizeit- einer Aktiengesellschaft selbst tragen würde. De- einrichtungen mit wissenschaftlichem Anspruch, ren Gründung war ein deutliches Zeichen, dass sie waren und sind oft eben auch Bühnen der po- es sich beim Berliner Zoo trotz staatlicher Kon- litischen Darstellung. Sie benötigen auch nicht trolle und Unterstützung auch um ein bürgerli- nur ein zahlendes Publikum. Sie benötigen poli- ches Projekt handelte. Insgesamt 54 Berliner und tische Unterstützung – und das unabhängig von eine Berlinerin gründeten am 28. Februar 1845 dem Regime, in dem sie existieren. den „Actien-Verein des zoologischen Gartens bei Berlin“. Es zeigte sich gleichwohl, dass Ber- ZUR ZIERDE DER RESIDENZ lin noch nicht mit den großen Bürgerstädten in Westeuropa gleichziehen konnte. Ausreichend Der erste Professor für Zoologie der neu gegrün- Bürger im Sinne einer selbstbewussten Bourgeoi- deten Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, sie wie in Amsterdam, Antwerpen, London oder Martin Hinrich Lichtenstein, war im 19. Jahrhun- Dublin fehlten in Berlin noch. Nur 200 der ersten dert überzeugt, dass die Residenzstadt des Preu- 500 Anteilsscheine wurden bis 1868 verkauft.05 ßenkönigs eine wissenschaftliche Tiersammlung Die Stadt und ihr Bürgertum waren zu diesem für Forschung und Bildung zum Nutzen von Zeitpunkt noch zu wenig entwickelt, um dem Staat und Gesellschaft benötigte. Dank der Un- Zoo zu seiner Blüte zu verhelfen. terstützung Alexander von Humboldts konnte er das Interesse des Königs Friedrich Wilhelm IV. GRÜNDERBOOM UND KRISE wecken. Dieser überließ 1841 dem Zoologischen Garten das Gelände seiner Fasanerie zur unent- 1869 beschloss die Generalversammlung der Ak- geltlichen Nutzung, ein Darlehen sowie Tiere tionäre nach königlicher Erlaubnis ein neues Sta- aus der Menagerie auf der Pfaueninsel. Für den tut, was einen Aktienbesitz attraktiver machte, 11
APuZ 9/2021 und eine Erhöhung des Aktienkapitals um 1000 ten Direktion und Aufsichtsrat den Zoologischen Aktien.06 Die Ausgabe dieser Wertpapiere war ein Garten den neuen Verhältnissen an. Im Mai 1933 Erfolg und verhalf dem Zoo zu dringend benö- wurden die Eintrittspreise für Mitglieder natio- tigten Mitteln für den Ausbau. Um 1870 und im nalsozialistischer Organisationen, anders als in anschließenden Boom der Gründerjahre wuchs vielen deutschen Zoos, stark ermäßigt. Der Zoo auch in Berlin eine bildungsbürgerliche Schicht der Reichshauptstadt stand unter besonderer Be- von Philanthropen heran, die ihren Zoo erhalten obachtung, Beispiele anderer Zoodirektoren zei- und ausbauen konnte. Maßgeblichen Anteil da- gen aber, dass es Spielräume gab, einen Zoo nicht ran hatte das rapide Wachstum der Stadt und die zum Instrument nationalsozialistischer Weltan- neue Bedeutung Berlins und Preußens im Deut- schauung zu machen. schen Reich. Der Berliner Zoodirektor Lutz Heck nutzte Seit 1891 wurden in den Geschäftsberichten seine Handlungsspielräume aber nicht, sondern des Zoologischen Gartens regelmäßig Geschenke stellte aus Opportunismus und Überzeugung den aus den Kolonialgebieten erwähnt. Mitglieder des Zoo in den Dienst des Nationalsozialismus. Am kaiserlichen Haushaltes, Gouverneure und Ko- 1. Juni 1933 wurde er förderndes Mitglied der lonialgesellschaften sandten seltene Tiere. 1907 „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP. Ab 1933 pfleg- hatte der Zoo elf Löwen, und nur ein Tier war te Heck auch mit dem preußischen Ministerprä- kein Geschenk aus den Kolonien. Mit dem Ers- sidenten, Reichsluftfahrtminister und späteren ten Weltkrieg brach dieser stetige Zufluss kosten- Reichsforstmeister Hermann Göring Umgang.08 loser Attraktionen ein, und nach seinem Ende be- Auch die judenfeindliche, rassistische Poli- lastete die Hyperinflation den durch das Erliegen tik der NSDAP fand Eingang in den Zoo. Bereits des internationalen Tierhandels stark belasteten 1933 schieden die langjährigen Aufsichtsratsmit- Zoo. Unabhängige Gemeinden wie Charlotten- glieder Georg Siegmann und Walter Simon aus burg und Spandau spendeten noch vor der Grün- ihren Ämtern aus. Sie waren aufgrund ihrer jü- dung Groß-Berlins 1920 solidarisch Geldbeträge, dischen Identität im Aufsichtsrat erniedrigen- um den Zoologischen Garten zu retten, zudem den Diskussionen ausgesetzt gewesen. Schon in wurden Sammlungen veranstaltet. Nach zeitwei- der ersten Aufsichtsratssitzung nach der Macht- liger Schließung konnte der Zoo durch Kredite übernahme wurde ihnen klargemacht, dass für sie des Landes und Staates erhalten werden.07 als Juden kein Platz mehr sei. Nationalsozialisten wie der letzte Gouverneur der deutschen Kolonie INDIENSTSTELLUNG Togo, Adolf Friedrich zu Mecklenburg, SS-Bri- gadeführer Ewald von Massow oder der „Rassen- Bereits innerhalb weniger Wochen nach der Er- hygieniker“ Eugen Fischer rückten in den nach- nennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler pass- folgenden Jahren auf.09 Dem Zoo aber ging es unter den neuen Macht- 01 Vgl. Caesar von der Ahé, Die Menagerie auf der „König- habern blendend. 1935 konnte er, auch dank einer lichen Pfaueninsel“. Der Ursprung des Berliner Zoologischen Vereinbarung mit der NS-Organisation „Kraft Gartens, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins durch Freude“, einen Besucheransturm verbu- 1/1930, S. 1–24, hier S. 5. chen. Die vielen Touristen, die zu den Olympi- 02 Für weiterführende Quellenhinweise vgl. Clemens Maier- Wolthausen, Hauptstadt der Tiere. Die Geschichte des ältesten schen Spielen nach Berlin kamen, bescherten dem deutschen Zoos, Berlin 2019. Zoo 1936 einen Besucherrekord von mehr als 03 Christoph Kleßmann/Hans-Jürgen Misselwitz/Günter zwei Millionen zahlenden Gästen. Und größer Wichert, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten – war der Zoo auch noch geworden. eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit Im August 1935 wurde dem Zoo auf Initia- der doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999, S. 9–13, hier S. 12. tive Hermann Görings ein Grundstück am Tier- 04 Vgl. Carl Rißle, Der zoologische Garten der deutschen gartenrand zugewiesen. Hier siedelte Heck in Hauptstadt, in: Illustrierter Volkskalender der Berliner Bürger- großen Gehegen „einheimische Tierarten“ an. Zeitung, Berlin 1875. Das Kronjuwel des Propagandaareals des soge- 05 Vgl. Ludwig Heck, Fünfundsiebzig Jahre Zoologischer Gar- ten, in: Leipziger Illustrierte Zeitung, 31. 7. 1919, S. 129. 06 Vgl. Adolf Heilborn, Zoo Berlin 1841–1929. Zur Geschichte 08 Vgl. ebd., S. 99 ff.; Lutz Heck, Waidwerk mit bunter Strecke, des Zoologischen Gartens zu Berlin, Berlin 1929, S. 24. Berlin–Hamburg 1968, S. 67. 07 Vgl. Maier-Wolthausen (Anm. 2), S. 85–89. 09 Heck (Anm. 8). 12
Der Zoo APuZ nannten Deutschen Zoos war das Gehege für jahr 1938 plante der Aufsichtsrat daher, dem Auerochsen. Der Stammvater aller europäischen Zoo durch eine Statutenänderung ein Zustim- Hausrinderrassen war bereits im 17. Jahrhun- mungsrecht für Verkäufe zu übertragen. Die dert ausgestorben. Lutz Heck und sein Bruder Maßnahme zielte eindeutig auf jüdische Aktien Heinz, Direktor des Münchner Tierparks Hel- käufer ab, denen die Möglichkeit, Aktien zu er- labrunn, versuchten, den Auerochsen aus Kreu- werben, genommen werden sollte. Aus recht- zungen verschiedener Rinderrassen wiedererste- lichen Gründen sah der Aufsichtsrat letzten hen zu lassen.10 Lutz Heck ging es dabei darum, Endes davon ab, beschloss im Juli 1938 aber, die ein „deutsches Urtier“ zu erschaffen.11 Er ver- gesetzlich erlaubten zehn Prozent der eigenen wies immer wieder auf das Nibelungenlied, in Aktien von jüdischen Aktionären zu erwerben. dem auch Siegfrieds Jagd auf Auerochsen besun- Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchten gen wird.12 Den Auerochsen aber konnten die die letzten verbliebenen jüdischen Aktionäre, Brüder nicht wieder zum Leben erwecken. Der ihre Wertpapiere zu verkaufen. Etwa 100 Akti- Versuch galt und gilt weithin als unwissenschaft- en von jüdischen Besitzern erwarb der Zoo und lich, seinem Einfluss bei den Nationalsozialis- gab sie an „arische Besitzer“ weiter. Die weni- ten hat es nicht geschadet. Am 1. Mai 1937 – also gen dokumentierten Zwischenverkäufe zeigen, gleich nachdem der Aufnahmestopp der NSDAP dass der Zoo versuchte, an diesen Transaktionen von 1933 gelockert worden war – wurde Lutz zu verdienen, indem er zu einem Niedrigpreis Heck Mitglied der Partei.13 Im Sommer 1938 er- kaufte und die Aktie zu einem höheren Preis nannte Reichsforstmeister Göring ihn zum Lei- verkaufte.14 ter der Obersten Naturschutzbehörde. Am 8. November 1938 beschloss der Auf- ZERSTÖRUNG sichtsrat, zunächst an der Weihnachtskrippe und später an den Eingängen Hinweise anzubrin- Kurz nach dem deutschen Angriff auf Polen ver- gen, dass Juden unerwünscht seien. In der fol- fügte Hermann Göring am 14. September 1939, genden Nacht ermordeten Nationalsozialisten in dass Zoologische Gärten auch im Krieg zur Er- ganz Deutschland in einem organisierten Pogrom füllung ihrer volksbildnerischen Aufgaben offen Hunderte jüdische Deutsche und zerstörten Sy- zu bleiben hätten. Überall im Zoo wurden Luft- nagogen. Der Berliner Polizeipräsident verbot schutzräume eingerichtet und Vorkehrungen ge- Juden den Besuch von Vergnügungsstätten. Die gen ausbrechende Tiere getroffen.15 Um den durch von der Zooleitung geplanten Maßnahmen nah- die Einberufungen von Mitarbeitern bedingten men die offizielle Politik also vorweg. Personalmangel abzufedern, beutete der Zoo zu- Die zunehmende Entrechtung zwang Juden nächst polnische, dann französische Kriegsgefan- von 1933 an, ihre persönliche Habe und auch gene und ab Spätsommer 1941 sogenannte Ost- ihre Zooaktien zu verkaufen. Gewinnausschüt- arbeiter aus der Sowjetunion als Zwangsarbeiter tungen waren mit diesen zwar nie verbunden aus. Im letzten Kriegsjahr kamen dann dauerhaft gewesen, allerdings schwankte der Preis einer 40 sogenannte Italienische Militärinternierte hin- Aktie über die Jahre. Manche fanden bei frühen zu. Auch für andere deutsche Zoos ist der Einsatz Verkäufen noch Interessenten zu einem markt- von Zwangsarbeitern belegt, der Zoo der Reichs- gerechten Preis. Laut den Statuten des Aktien- hauptstadt genoss aber einen so hohen Stellen- vereins existierte keine rechtliche Kontrolle des wert, dass ihm eine große Anzahl zugewiesen Zoos darüber, wer die Aktien kaufte. Im Früh- wurde. Nachdem in der Nacht auf den 23. No- vember 1943 der Zoo durch einen alliierten Bom- benangriff in ein Flammenmeer verwandelt und 10 Vgl. u. a. Lutz Heck, Über die Neuzüchtung des Ur oder Auerochs; in: Berichte der Internationalen Gesellschaft zur 30 Prozent des noch vorhandenen Bestands an Erhaltung des Wisents 4/1936, S. 224–294, hier S. 235. Tieren getötet wurde, wurden beispielsweise 750 11 Vgl. ders., Auf Tiersuche in aller Welt, Berlin 1941, S. 195. Zwangsarbeiter für die Räumungsarbeiten einge- 12 Vgl. ebd.; ders., Letzte Urwaldtiere aus deutscher Vorzeit; in: Atlantis. Länder, Völker, Reisen 10/1932, S. 577–583; ders., Die Neuzüchtung des Auerochsen, in: Wild und Hund 37/1939, 14 Vgl. Zessionspapiere im Archiv der Zoologischen Gärten S. 535 ff. Berlin. 13 Siehe Mitgliedskarte im Berlin Document Center des Bun- 15 Siehe auch Lutz Heck, Tiere – mein Abenteuer, Wien 1954, desarchivs Berlin. S. 97–102. 13
APuZ 9/2021 Abbildung 1: Löwengehege des Zoologischen Gartens in Berlin mit Blick auf die Ruinen des Zooaquariums, 1947. © Archiv der Zoologischen Gärten Berlin setzt.16 Am 25. Juli 1944 öffnete der Zoo wieder. rer Entwicklung mit den politischen Entwick- Ende April 1945 wurden die verbleibenden Zoo- lungen des Kalten Kriegs verbunden. Zwischen männer aber zum Volkssturm eingezogen und 1945 und 1990 wurden auch die Tiergärten des mussten durch ihren Zoo Schützengräben ziehen. geteilten Landes zu dessen Spielfeld. Nach der Die Geschäftsleitung des Zoologischen Gartens Befreiung der Stadt war es zunächst der Wit- floh vor der herannahenden Roten Armee. Am we des Berliner Aquariumsdirektors, der Zoo- 2. Mai war die Schlacht um die Stadtmitte und den login Katharina Heinroth, überlassen, aus den Zoo zu Ende. Überall lagen Leichen und Tierka- Trümmern eines der ehemals wichtigsten zoo- daver; etwa 90 Tiere von ehemals über 3300 Tie- logischen Gärten der Welt wieder einen Anzie- ren in mehr als 1000 Arten hatten überlebt. Lutz hungspunkt und eine Bildungseinrichtung zu Heck fand in der Nachkriegszeit keine Anstellung formen. Dabei hatte sie mit Kommandeuren der bei einem Zoo mehr. Er galt zu Recht als politisch Alliierten, der Berliner Blockade und der gro- belastet. Auch der Versuch, Mitte der 1950er Jahre ßen Not im Nachkriegsdeutschland zu kämp- mit Hilfe von verbündeten Aufsichtsratsmitglie- fen, musste Trümmer und Vorurteile beiseite dern wieder Direktor des Zoologischen Gartens räumen. Die Männer im Aufsichtsrat trauten ei- Berlin zu werden, scheiterte. ner Frau die Bewältigung dieser Aufgabe nicht zu. Katharina Heinroth bewies allen das Gegen- EINE STADT, ZWEI ZOOS teil. Mit Sachkenntnis leitete sie die Aufräumar- beiten im Zoo, beschaffte mit wenig Etat durch Auf ganz besondere Art und Weise sind in den ihre Netzwerke neue Tiere, die Besucher anzo- folgenden Jahrzehnten Stadt und Zoo in ih- gen und die Grundlage für wertvolle Zuchtpro- gramme bildeten, und handelte schließlich mit 16 Vgl. Maier-Wolthausen (Anm. 2), S. 125–130. dem West-Berliner Senat einen Gebietstausch 14
Der Zoo APuZ am Hardenbergplatz aus, der dem Zoo langfris- getreten war, mit dem Verweis auf die Bedeutung tig durch Kompensationszahlungen die Zukunft des Zoos für die westliche „Frontstadt“ immer sicherte.17 wieder Gelder durch die staatliche Lotteriege- 1954, also 110 Jahre nach der Eröffnung des sellschaft und politische Förderung provozieren. Zoologischen Gartens, geschah das, was schon Bei internationalen zoologischen Kongressen in seit der Jahrhundertwende wiederholt diskutiert der einen oder anderen Stadthälfte präsentierten worden war: Es entstand in der eigenen Stadt ein die Politiker in beiden Teilstädten ihre Stadthälf- zweiter Tiergarten. Entgegen dem Rat aller Zoo- te dem internationalen Publikum als besonders direktoren in Ost- und Westdeutschland, die glänzend.19 Nachteile für die bestehenden und unter den Fol- Die Insellage West-Berlins war für den Zoo gen des Krieges leidenden Tiergärten in der DDR einerseits ein Problem, da sie viele potenzielle befürchteten, entschied sich das Regime dazu, der Besucher auf der anderen Seite der Grenze aus- Hauptstadt der DDR einen eigenen Zoo zu bau- schloss. Andererseits aber sorgte die bundesdeut- en. Genauer gesagt, die Bevölkerung sollte ihn sche und die West-Berliner Politik mit bezahlten sich selbst bauen, denn Ressourcen waren keine Reisen in die „Frontstadt“ und Fördermitteln da- vorhanden. So wurde mit sozialistischer Freiwil- für, dass der West-Berliner Zoo in den 1960er Jah- ligenarbeit ein zweiter Tiergarten – der Tierpark ren wieder zum am häufigsten besuchten und ar- Berlin – auf dem Gelände des enteigneten Schlos- tenreichsten Zoo der Welt wurde. Dies war auch ses Friedrichsfelde gebaut.18 Unter seinem Grün- die Grundlage dafür, dass die beiden Pandabären, dungsdirektor Heinrich Dathe erarbeitete sich die die chinesische Regierung 1980 Bundeskanz- diese neue Einrichtung in nur wenigen Jahren ler Helmut Schmidt schenkte, in den West-Berli- internationale Anerkennung. Das war vor allem ner Zoo kamen (Abbildung 2).20 trotz großen Mangels an frei handelbaren Wäh- rungsmitteln und Baumaterialien der außerge- EINHEITSBESCHWERDEN wöhnlichen Förderung der Verantwortlichen im Magistrat und auf der Ebene der Ministerien zu Mit dem Fall der Berliner Mauer ergaben sich für verdanken. den Zoologischen Garten gleichzeitig Chancen Die Konkurrenz in der eigenen Stadt führte und Herausforderungen. Zum einen gewann er in gewissem Sinne zu einer Art Wettrüsten. Hier ein Umland mit potenziellen Besuchern. Auf der der neue Tierpark, der eine Überlegenheit des so- anderen Seite aber war der mit durchschnittlich zialistischen Bildungssystems verkörpern sollte, fast zwei Millionen Besuchern pro Jahr sehr be- dort der traditionsreiche Zoologische Garten am liebte Tierpark auf einmal ein direkter Konkur- Kurfürstendamm, der ein Schaufenster der west- rent in der eigenen Stadt. Beide Direktoren hat- lichen Welt war. Beide Direktoren verstanden es ten 30 Jahre lang wissenschaftlich konkurriert glänzend, aus dieser Konkurrenzsituation Vortei- und persönlich gestritten. Wie sollte es nun wei- le für ihren Garten zu schaffen. Der Ost-Berliner tergehen? In den Transformationsprozessen der Dathe verwies gegenüber den Behörden auf neue deutschen Einheit traten insbesondere bei ost- Bauten und exotische Tiere im westlichen Teil deutschen Kulturinstitutionen Abbauverluste der Stadt. Zudem betonte er, dass viele interna- auf. Überall in der untergegangenen DDR wur- tionale Kollegen seinen Tierpark lobten. Die Mi- den westdeutsche Spezialisten zurate gezogen, schung aus beidem sorgte dafür, dass so manches die ostdeutsche Firmen und Kultureinrichtungen möglich gemacht und beispielsweise Devisen als ineffizient charakterisierten und abbauten. In oder behördliche Hilfe für den Kauf und Tausch Berlin stellte sich die Frage in hohem Maße, exis- von Tieren mit anderen Tiergärten in aller Welt tierten viele Institutionen doch zwei- oder mehr- zur Verfügung gestellt wurden. In der westlichen fach. Genau das galt auch für die Zoos. Die Lei- Stadthälfte konnte Direktor Heinz-Georg Klös, der 1956 die Nachfolge Katharina Heinroths an- 19 Zur Geschichte der Zoos im Kalten Krieg vgl. Maier- Wolthausen (Anm. 2), S. 151–211; Jan Mohnhaupt, Der Zoo 17 Vgl. ebd., S. 170–173; Katharina Heinroth, Mit Faltern der anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & begann’s, München 1979, S. 265–274. Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete, München 2017. 18 Vgl. u. a. Heinrich Dathe, Aus den Kindertagen des Tier- 20 Vgl. Heinz-Georg Klös, Jahresbericht für 1980, in: Bongo parks Berlin. 4. Fortsetzung, in: Milu 1/1976, S. 45–50. 5/1981, S. 97–168. 15
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