KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
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Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG KÜNSTLERHÄUSER IN NRW NR. 1 | 2019 Bonner Republik: Südwestfalen: Gleichberechtigung: Ahrenbachtal: Rückkehr des Blühender 100 Jahre Die Vielfalt Bundesbüdchens Artenreichtum Frauenwahlrecht der Falter
Liebe Leserinnen, liebe Leser, von der vielfältigen Kultur in Zur Kultur gehört aber nicht nur das Schaffen, sondern auch das Nordrhein-Westfalen kann Bewahren. Tatkräftige Freundeskreise und Museumsvereine man sich auf ganz unterschied- sorgen dafür, dass die in diesem Heft vorgestellten Künstlerhäuser liche Weise ein Bild machen. heute öffentlich zugänglich sind oder sogar um Museumsbauten Schauen Sie doch einmal da erweitert werden konnten. Oft helfen Ehrenamtliche überdies im vorbei, wo Bilder buchstäblich laufenden Betrieb der Häuser. Das sind großartige Erfolge, wenn zu Hause sind – in den man bedenkt, dass das Macke-Haus in Bonn fast einmal eine bedeutenden Künstlerhäusern, Gaststätte und das Koekkoek-Haus in Kleve beinahe eine Bank MKW/Bettina Engel-Albustin die es im Rheinland und in filiale geworden wären. Mit der NRW-Stiftung hat das Ehrenamt Westfalen gibt. Rheinisch- in Nordrhein-Westfalen eine starke Partnerin, die in all diesen westfälische Themen und Landschaften erlebt man hier in ein- Häusern helfen konnte. Die NRW-Künstlerhäuser bieten lebendige drucksvollen Perspektiven, streng komponiert oder kühn Kultur an authentischen Schauplätzen. Ich wünsche Ihnen expressionistisch, in glühenden Farben oder in klarem Schwarz- malerische Momente und viel Freude bei den Entdeckungen! Weiß, romantisch oder modern. Zugleich können Sie in das alltägliche Leben von Künstlern und ihren Familien eintauchen. Ihre Besuche bei August Macke, Peter August Böckstiegel, Otto Pankok, Karl Junker oder Barend Cornelis Koekkoek führen an Orte, Isabelle Pfeiffer-Poensgen an denen Künstler gewirkt haben, und in Regionen, die Inspiration NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaften, für große Werke waren. stv. Vorsitzende im Stiftungsrat der NRW-Stiftung GEMEINSAM FÜR EIN LEBENDIGES LAND Ü berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände, die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön- heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten Kräften und hat bereits über 3.100 Projekte fördern können. Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben Alexander Heyd eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und Mittelalterlicher Gemeinschaftsgarten auf der Bastionsfläche sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und der Burg Blankenberg in Hennef. Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und die Geschichte unseres Landes. Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele Mitglied werden und Gutes tun! gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung. Zum Geburtstag, zu Weihnachten oder einfach so: Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus gut an – bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung. landesweit für Natur und Kultur einsetzen. Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin. Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für Sie selbst oder als Geschenk. Einfach online beantragen oder per Postkarte einen Gutschein bestellen. Alle Informationen finden Sie am Ende des Heftes. Förderverein NRW-Stiftung Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de 2 Die NRW-Stiftung 1|2019
INHALT Heinrich Heine in der Bronx 32 – 33 Kaiserin Sisi unterstützte ein Heine-Denkmal für Düsseldorf - doch es steht in New York. Schaufenster 4–5 Gleiches Recht für alle 34 – 37 Zu entdecken in NRW: Ein Käsemuseum für Kleve, 1919 bekamen Frauen in Deutschland das Wahlrecht, Jüdisches Museum „MiQua“ vor dem Kölner Rathaus, und es gab erstmals weibliche Abgeordnete – auch aus Artenschutz auf Gelsenkirchener Kokereigelände. Rheinland und Westfalen. / Interview mit der ehemaligen Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth. Titelthema: Künstlerhäuser in NRW 6 – 12 Ein Besuch in den Wohnhäusern von Böckstiegel, Junker, Koekkoek, Macke und Pankok. picture alliance/akg images Nina Maria Oetker „L´Chaim – Auf das Leben!“ 38 – 39 Im Anschluss an sein 25-jähriges Bestehen Blick über die Grenze 13 – 14 präsentiert das Jüdische Museum Westfalen seine So arbeitet die niederländische Stiftung neue Dauerausstellung. „Geldersch Landschap & Kasteelen“. Blühende Vielfalt 15 – 17 Die Wiederbelebung historischer Obstwiesen in Südwestfalen. Werner Stapelfeldt Erfolgreiche Pflegearbeiten 40 – 42 Aktiver Naturschutz am Bielenberg. Naturschutzzentrum Märkischer Kreis Heimat-Touren NRW 43 Schüler auf Entdeckungstour im eigenen Land. Monarch auf dem Sockel 18 – 20 Ein modernes Besucherzentrum in Porta Westfalica Meldungen 44 – 47 macht Geschichte zum Erlebnis. Engagementpreis NRW / NRW-Traditionen im Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes / Schloss Burgau in Düren / Neue App Zu Ehren von Georg Sennert 21 zur Geschichte der Zeche Sachsen/ Fotowettbewerb Kalender Ein Platz im Brachter Wald erinnert an den 2020 / Bethaus der Bergleute in Witten verstorbenen Naturschützer. Förderverein 48 – 49 Schauplatz Drachenburg 22 – 24 Duisburg und Wuppertal schließen die letzten weißen „Bares für Rares“ und „Babylon Berlin“ nutzen die Flecken auf der Landkarte der Mitgliedschaften / Neue rheinische Schlosskulisse für Dreharbeiten. Regionalbotschafter für die Kreise Steinfurt und Soest Naturschutzgebiet Ahrenbachtal 25 – 27 Spenden/Zustiften 50 – 51 Lebensraum für Landkärtchen, Schillerfalter Neue Buntglasfenster für Schloss Drachenburg / Kuratoren- und Kaisermantel. Treffen in Münster / Hilfe für den Kindergarten Altenberge! Die Rückkehr des Bundesbüdchens 28 – 29 Nicki Nuss 52 – 53 Historischer Verkaufspavillon kehrt in Nicki entdeckt die Malerei ehemaliges Bonner Regierungsviertel zurück. Ausflugstipps 54 – 58 Naturranger im Sauerland 30 – 31 Am Wochenende noch nichts vor? NRW hat einiges zu bieten… Engagement und Integrationsarbeit werden mit Sonderpreis der NRW-Stiftung ausgezeichnet. Impressum 59 3
p KÄSEMUSEUM KLEVE KÄSE AUS RINDERN Gut Hogefeld präsentiert sich seit 1868 mit einem repräsentativen Wohnhaus im neugotischen Stil inklusive Turm. I m Jahr 1862 wurde über den Handel in Kleve die denkwürdige 1824 hatte sich Maria Reymer bei Feststellung getroffen, die Stadt habe nur „wenig Waren Verwandten in Utrecht heimlich die bezogen, desto mehr aber Käse versandt“. Verspottete hier Kunst abgeschaut, Schnittkäse nach etwa ein verkappter Satiriker die Qualität der städtischen Exporte? Holländer Art herzustellen – ein Nein, Käsereien spielten für die Wirtschaft des Raums Kleve Verfahren, das in der niederrheinischen tatsächlich eine herausragende Rolle. Dahinter verbarg sich aber Heimat der jungen Frau damals niemand keine uralte Tradition, angefangen hatte alles iStock/Nieuwenhuisen mehr beherrschte. Ein Jahr später kaum vierzig Jahre zuvor. Die Initiative war begann Maria zusammen mit ihrem Vater Theodor auf Gut Hogefeld damals von einer jungen Frau namens Maria in Rindern selbst mit der Käseherstellung. Einem Bericht von 1829 Reymer aus dem Ort Rindern ausgegangen, zufolge sei dadurch nicht nur die Zubereitung nach holländischer der heute ein Stadtteil von Kleve ist. Art „ins Vaterland“ verpflanzt worden, Theodor Reymer erlaube es auch jedermann, „diese Zubereitung in seinem Hause zu erlernen.“ In den Originalräumen soll ein Museum an die Dadurch sei der Gegend eine ganz neue Erwerbsquelle erwachsen. Pioniertat von Maria Reymer (oben) für die Nahrungs Die „Verfertigung der Käse nach holländischer Art“ sei „nunmehr mittelerzeugung erinnern. als heimisch zu betrachten“. Käse museal Gut Hogefeld gibt es immer noch, und auch die ehemaligen Käserei-Räume sind noch erhalten. Der heutige Eigentümer stellt sie auf einer Fläche von rund 140 Quadratmetern jetzt für ein Museum zur Verfügung. Der Verein „Arenacum“ – so hieß Rindern in römischer Zeit – baut darin zusammen mit dem Verein „Milch & Kultur Rheinland und Westfalen“ eine Ausstellung zur nieder rheinischen Käseproduktion im Gefolge Maria Reymers auf. „Milch & Kultur“ sorgt für die Exponate, der Verein Arenacum sichert den Betrieb, die NRW-Stiftung hilft bei der Sanierung und der Einrichtung der Räume. Maria und Theodor Reymer erhielten übrigens 1830 das preußische „Allgemeine Ehrenzeichen 2. Klasse“, an Maria erinnert seit 1925 auch ein Gedenkstein. 4 Fotos: Kurt Michelis Die NRW-Stiftung 1|2019
SCHAUFENSTER p ARCHÄOLOGIE IM MIQUA F rüher sprach man von der „Archäologischen Zone“ am Kölner Die NRW-Stiftung unterstützt die Fördergesellschaft des geplanten Rathaus, neuerdings sagt man MiQua. Der Ausdruck ist eine Jüdischen Museums, um eine Ausstellung für alle zu ermöglichen Zusammenziehung aus Mikwe und (archäologischem) Quartier. – barrierearm, mit Tastmodellen und Tafeln auch in Blindenschrift Eine Mikwe – also ein jüdisches Ritualbad – war Teil des mittel sowie mit Audioguides in verschiedenen Sprachen und für unter- alterlichen Kölner Judenviertels, über das sich das Ausgrabungs schiedliche Ansprüche. Im Außenbereich soll die „MiQuaBox“ areal erstreckt. Spuren aus der Römerzeit und weitere Überreste das Interesse von Kindern und Jugendlichen wecken. Per App des Mittelalters haben sich hier ebenfalls erhalten. Auf dem lassen sich künftig zudem Orte der jüdischen Geschichte in Köln Gelände entsteht in Kooperation von Stadt Köln und Landschafts- bei einem interaktiven Stadtrundgang erkunden. verband Rheinland (LVR) ein großes ober- und unterirdisches Visualisierung des neuen Jüdischen Museumsangebot. Museums unmittelbar vor dem historischen Kölner Rathaus, wo sich im Mittelalter das Judenviertel der Stadt erstreckte. Stefan Arendt/LVR Wandel Lorch Architekten LETZTE WEICHENSTELLUNG: ARTENSCHUTZ! Bernd Hegert Bernd Hegert E Artenschutz statt igentlich sollte das nicht mehr gebrauchte Stellwerk einer Abriss: Das alte Kokerei-Betriebsbahn in Gelsenkirchen abgerissen werden. Stellwerk der Kokerei Der NABU befand, dass es sich sehr gut als Brutplatz und Hassel in Gelsen- Versteck für diverse Kulturfolger aus der heimischen Tierwelt kirchen hat ausgedient. eignen würde. In Halbhöhlen außen am Gebäude können Haus Für „Nachmieter“ wie Zwergfledermäuse und rotschwanz und Mehlschwalben nisten und im Inneren würden Mauerbienen wird es blickwinkel/AGAMI/T. Douma Fledermäuse ein sicheres Sommerquartier finden. Dafür wird jetzt aber erst richtig der schmucklose Ziegelbau mit finanzieller Förderung der attraktiv, denn mensch- NRW-Stiftung entkernt, bis auf Einflugöffnungen vermauert und liche Besucher sind neu gedeckt, das Dach wird anschließend mit genügsamen hier nur als Beobachter zugelassen. Pflanzen begrünt. Auch für Wildbienen und andere Insekten werden geeignete Niststrukturen geschaffen. Da die ehemalige Bahntrasse zu einem Radweg umgebaut wird, soll zukünftig eine Informationstafel über die tierischen Bewohner informieren. Dann heißt es „Nächster Halt: Stellwerk Kokerei Hassel!“ blickwinkel/G. Fischer 5
p KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN Dorothea Bornemann WOHNWERKE Oben: Blick auf das Böckstiegel haus in Werther-Arrode bei Bielefeld. Der Maler wurde hier 1889 geboren, als Erwachsener UND KUNSTRÄUME gestaltete er den westfälischen Kotten nach seinen künst lerischen Vorstellungen um. Künstlerhäuser sind oft so etwas wie bewohnbare Kunstwerke. In NRW gibt es dafür ganz unterschiedliche Beispiele – vom versteckten Kunstrefugium bis zur stattlichen Malerresidenz. Besuche bei Peter August Böckstiegel, Barend Cornelis Koekkoek, August Macke und anderen führen aber nicht nur in die historischen vier Wände großer Meister, man lernt auch landschaftliche und städtische Umgebungen kennen, von denen sie sich oft inspirieren ließen. Zusätzliche Ausstellungs- gebäude ermöglichen vielen Künstlerhäusern vertiefte Präsentationen von Lebensläufen und Lebenswerken. 2018 eröffnete das neue „Museum Peter August Böckstiegel” in direkter Nach- barschaft zum Böckstiegel-Haus. 66 Die NRW-Stiftung 1|2019 Olaf Mahlstedt
KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN p D er Ausdruck Künstlerhaus wird uneinheitlich verwendet. Bekannt ist zum Beispiel das Düsseldorfer Künstlerhaus „Malkasten“, das im 19. Jahrhundert als Gesellschaftshaus einer gleichnamigen Künstlervereinigung eingeweiht wurde. In Dortmund bezeichnet man hingegen ein Ausstellungs- und Ateliergebäude zur Förderung des kreativen Nachwuchses als Künstlerhaus. Im Folgenden geht es aber um Lebensmittelpunkte bedeutender rheinisch-westfälischer Maler und Bildhauer – um vormalige Privatadressen also, die inzwischen für die Öffentlich- keit zugänglich sind. Im Böckstiegel-Land Peter August Böckstiegel Stiftung Ein Paradebeispiel findet man in der Stadt Werther bei Bielefeld, im Ortsteil Arrode. Es ist die Heimat des Expressionisten Peter August Böckstiegel. 1889 wurde er als fünftes von sechs Kindern einer Kleinbauern- und Leineweberfamilie geboren, in deren winzigem Häuschen sich die Geschwister ein Bett teilen mussten. Später verwandelte Böckstiegel den westfälischen Kotten durch Anbauten, Schnitzereien, Mosaiken, Malerei und farbiges Glas zu einer ungewöhnlichen Verbindung von Tradition und Moderne. Heutige Besucherinnen und Besucher können hier den Kindertagen des Künstlers ebenso nachspüren wie den Jahren seiner kreativen Entfaltung. Ungewöhnliches Talent führte den jungen Böckstiegel auf einen ebenso ungewöhnlichen Lebensweg. Er besuchte die Bielefelder Handwerker- und Kunstgewerbeschule und studierte ab 1913 an Dorothea Bornemann der Akademie in Dresden. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb er im Elbflorenz, wo die Künstlergruppe „Brücke“ 1905 dem Oben: Der Künstler um 1950 vor dem Eingang zu seinem Atelier. Expressionismus Bahn gebrochen hatte. Er heiratete, wurde Vater Böckstiegel war auch Bildhauer und arbeitete seit 1929 gerne mit Ton. und erlangte berufliche Anerkennung. 1921 erhielt er sogar den Eine Ziegelei lag in der Nähe seines Hauses, vor dem er mehrere Großen Sächsischen Staatspreis, obwohl der eigentlich für Skulpturen aufstellte (heute Kopien). sächsische Landeskinder bestimmt war, nicht für Abkömmlinge der preußischen Provinz Westfalen. Nach Westfalen zog es Böckstiegel von Sohn Vincent 2007 in Privathand. Heute kümmert sich eine im Übrigen Sommer für Sommer zurück, denn er suchte seine vom Kreis Gütersloh gegründete Stiftung darum, unterstützt Motive am liebsten in der vertrauten bäuerlichen Heimat. vom Böckstiegel-Freundeskreis. Seit 2018 erlaubt ein moderner Museumsbau Wechselausstellungen, im Sommer jeweils mit Böckstiegel war wie die Maler der „Brücke“ stark von Vincent van Werken aus dem Nachlass des Künstlers. Das Gebäude steht da, Gogh beeinflusst und nannte seinen Sohn sogar Vincent. Seine wo Böckstiegel früher die Staffelei platzierte, um sein Eltern- Bilder entsprachen keiner volkstümlichen Tradition, fanden aber haus zu malen. Da sein Schaffen so tief mit dem Land verbunden auch bei der Landbevölkerung durchaus Anklang. Das Dritte Reich war, wird das umliegende Areal mithilfe der NRW-Stiftung erklärte die Werke hingegen zur „entarteten Kunst“. Ein zusätz wie früher durch Obstpflanzungen, Wiesen, Gehölze und Fußpfade liches Unglück trat ein, als das Atelier des Künstlers mitsamt einem gestaltet. Ein besonderer Weg sorgt für Barrierefreiheit, Lern- Großteil seiner Arbeiten bei der Bombardierung Dresdens 1945 stationen sind geplant. Längere Spaziergänge lohnen sich zerstört wurde. Jetzt kehrte Böckstiegel endgültig nach Arrode ebenfalls: Der „Böckstiegel-Pfad“ verrät an siebzehn Stationen zurück, wo er noch sechs Jahre lebte. Sein Haus blieb bis zum Tod mehr über die Gegend, die den Künstler lebenslang inspirierte. Das westfälische Land war ein Hauptthema von Das „Erntefeld“ von 1927 kam 2016 als Dauerleihgabe des Böckstiegels Malerei. Die Staffelei baute er – wie hier Bielefelder Polizeipräsidiums an das Böckstiegel-Museum. 1935 – gerne im Freien auf. Das Bild gehört dem Präsidium seit 1962. Peter August Böckstiegel Stiftung Peter August Böckstiegel Stiftung 7
p KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN Museum August Macke Haus/Axel Hartmann Kunstmuseum Bonn Links: Ein Teil des Macke-Gartens Rechts: Der blühende Garten wie ihn ist noch erhalten, im Hintergrund August Macke selbst sah und im Bild festhielt. das Wohnhaus. Das Ölgemälde stammt von 1911. Blauer Reiter in Bonn Die Begegnung mit Böckstiegel lädt zu Vergleichen mit zwei einbezieht, mithilfe der NRW-Stiftung ganz neu gestaltet. Zeitgenossen ein, deren ehemalige Wohnstätten ebenfalls in NRW Man erhält jetzt noch genauere Einblicke in den Alltag und das liegen: August Macke und Otto Pankok. Der 1887 geborene Umfeld der Familie. Eine wichtige Quelle dazu sind die Erinne Macke, der Vater des „Rheinischen Expressionismus“, war der rungen, die Mackes Frau Elisabeth 1962 veröffentlichte. Älteste von ihnen, fiel aber mit nur 27 Jahren als Soldat im Ersten Sie beschrieb darin unter anderem die vom Verkehr und von Weltkrieg. Er war als Kind mit seinen Eltern aus der westfälischen großen Gartenflächen geprägte Umgebung des Hauses: „Im Stadt Meschede ins Rheinland gekommen, wo Bonn seine wich- Frühjahr war alles in ein Meer von Blüten getaucht. Hinter dem tigste Lebensstation wurde. Allerdings war er als Erwachsener sehr Haus unser großer Garten, Hof, Scheune und Gemüsegarten.“ viel im In- und Ausland unterwegs und oft lange abwesend. Legendär wurde seine Tunisreise mit Paul Klee und Louis Moilliet Macke hat die Szenerie mehrfach gemalt. Ein noch vorhandenes im April 1914. Auch mit Franz Marc, Wassili Kandinsky und Gabriele Teilstück seines Gartens ist heute durch eine Glasfassade vom Münter pflegte Macke Kontakte. Das heute ebenfalls für das Großstadtlärm abgeschirmt. Diese Fassade stellt gleichzeitig eine Publikum geöffnete Münter-Haus im bayerischen Murnau am ungewöhnliche Verbindung zu dem modernen Erweiterungsbau Staffelsee war einer der Orte, wo unter Mackes Beteiligung der her, der dem Mackehaus neuerdings den dringend erforderlichen berühmte Almanach „Der Blaue Reiter“ konzipiert wurde, durch Platz für Wechselausstellungen, Magazine und Museumsdidaktik den die klassische Moderne 1912 wichtige Impulse erhielt. verschafft. Auch ein Café gehört zum Angebot für das Publikum. Der verstorbene ehemalige Bundesaußenminister Guido Wester- Macke ist als Maler weltbekannt geworden. Er entwarf aber auch welle war ein prominenter Unterstützer des Neustarts für das Stoffe, Möbel und Keramik. Beispiele dafür findet man in dem Macke-Haus. spätklassizistischen Bonner Haus, in dem er von 1911 bis 1914 mit seiner Familie lebte. Seit fast dreißig Jahren kann man es besichti- gen, doch jüngst wurde die Ausstellung, die auch Mackes Atelier Der moderne Anbau gibt dem Mackehaus Platz für Ausstellungen. Links der Maler mit Frau und Kindern im Jahr 1913. 8 August Macke Haus Bonn Die NRW-Stiftung 1|2019 Museum August Macke Haus/Axel Hartmann
KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN p Der Kohlewüterich zusammengepfercht, um später das jüdische Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen“. Kennen Sie Professor Kuchen? In der Pankok hatte im Dritten Reich Arbeitsverbot und „Blechtrommel“ hat Günter Grass mit dieser lebte mit seiner Frau Hulda in kleinen Orten des Figur dem Künstler Otto Pankok ein lite- Emslandes und der Eifel. In Pesch bei Nettersheim rarisches Denkmal gesetzt. Kuchen? Nun, versteckte das Ehepaar 1944 zwei Monate Pankok bedeutet hochdeutsch Pfannkuchen, lang den verfolgten Maler Mathias Barz und das Alias ist also nicht zufällig gewählt dessen jüdische Frau Brunhilde. Die israelische – ebenso wenig wie der Professorentitel, Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte Otto denn im wirklichen Leben lehrte Pankok von und Hulda Pankok deswegen siebzig Jahre später 1947 bis 1958 an der Düsseldorfer Kunstaka- als Gerechte unter den Völkern. 1958 erwarben die demie. Grass, der bekanntlich auch grafische beiden das im 17. Jahrhundert erbaute Haus Esselt Werke schuf, gehörte selbst zu den Studen- am Niederrhein bei Hünxe, wo sie mit ihrer Tochter ten des „expressiven Kohlewüterichs“ mit Eva inmitten von Feldern, Wiesen und Wäldern dem Motto: „Kunst, das ist schwarze lebten. Eva Pankok starb 2016, genau fünfzig Jahre Zeichenkohle, die sich auf weißem Papier nach ihrem Vater. zermürbt.“ Tatsächlich vermied Pankok Otto Pankok Stiftung anders als seine farbverliebten Kollegen Heute gehört Haus Esselt der Otto Pankok-Stiftung. Macke und Böckstiegel meist jegliche Buntheit. Seine eigene Im Herrenhaus ist fast alles so geblieben wie zu Lebzeiten des Hochschulausbildung hatte er in jungen Jahren übrigens Künstlers, in der Werkstatt verwendet ein Drucker, der als Fünf- DIE ZEHN GEBOTE VON OTTO PANKOK 1. Du sollst den Kitsch riskieren 2. Du sollst nicht für Ausstel- lungen malen 3. Du sollst einen Baum für Otto Pankok Stiftung wichtiger halten als eine Erfindung von Picasso 8. Du sollst vor jedem Bild, 4. Du sollst dich vor dem das du beginnst, das Gefühl persönlichen Stil hüten haben, es wäre dein erstes 5. Du sollst nur deinen 9. Du sollst krass ablehnen, Träumen trauen was dir nicht passt, und wäre es Rembrandt 6. Du sollst deine schlechten oder Chagall Bilder schnell vergessen 10. Du sollst das Publikum 7. Du sollst deine guten nicht für dümmer halten als Bilder nicht anbeten dich selbst Otto Pankok Stiftung Otto Pankok, Insel mit Ilex (Stechpalme) 1936.Typisch für In der ehemaligen Scheune von Haus den Künstler waren Bilder mit Verzicht auf Farbigkeit. Esselt ist das Museum untergebracht. mit dem Stoßseufzer „Nie wieder Akademie!“ nach zwei kurzen Anläufen in Düsseldorf und Weimar abgebrochen. Er brachte es stattdessen als Autodidakt zur Meisterschaft. Otto Pankok, den man nicht mit dem älteren Künstler Bernhard Pankok verwechseln darf, wurde 1893 in Saarn bei Mülheim an der Ruhr geboren. Nach traumatischen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg trat er in Düsseldorf der rebellischen Künstlergruppe „Junges Rheinland“ bei, zu der auch Otto Dix gehörte. Noch prägender wurde aber die Begegnung mit den Menschen einer „wilden“ Armensiedlung auf dem Düsseldorfer Heinefeld. Hier schloss Pankok Anfang der 30er Jahre Freundschaft mit Kindern und Erwachsenen einer Sinti-Gruppe, die er häufig malte – bis die Nazis die Verbindung grausam zerstörten. Der Künstler schrieb dazu: „Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren die Zigeunerfamilien hinter den Gittern des Stacheldrahtes Ulrich Hermanns 9
p KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN zehnjähriger beim Meister lernte, sogar noch dessen Holzstöcke. Trotzdem wurden umfangreiche Sanierungen und inhaltliche Ergänzungen zuletzt unaufschiebbar. Im Rahmen der Regionale 2016 konnten sie in Angriff genommen werden, 2019 kommen sie zum Abschluss. Im Wohnhaus widmet sich nun ein Raum dem schriftstellerischen beziehungsweise künstlerischen Werk von Hulda und Eva Pankok. Die benachbarte Scheune, die Otto Pankok als Atelier genutzt hatte und die jetzt als Museum dient, erlebt ebenfalls eine Neugestal- tung. Die NRW-Stiftung unterstützt – wie erstmals 1992 – eine Erweiterung und fördert die Neukonzeption der Dauerausstellung. Das von vielen ehrenamtlichen Kräften getragene Haus Esselt kann seiner Tradition als gastfreundlicher Treffpunkt im Sinne der Familie Pankok so weiterhin nachkommen. Kinder sind LWL-Medienzentrum, Greta Schüttemeyer ebenfalls willkommen, etwa bei Malaktionen. Bei Führungen können im Erdgeschoss des Wohnhauses auch weitgehend erhaltene Wohnräume von Otto Pankok besichtigt werden. Die Räume des Karl Junker südlich von Rom stellte er sich damals vor. In der ersten Hälfte Das Prädikat einzigartig darf wohl jeder große Künstler für sich der 1880er-Jahre kehrte er nach Lemgo zurück, wo er nun bis zu beanspruchen, ganz sicher aber der 1850 in Lemgo geborene seinem Tod im Jahr 1912 blieb. Auf bezahlte Arbeit war er durch Maler, Bildhauer und Hausbauer Karl Junker. Ausgerechnet in den Nachlass seines Großvaters offenbar nicht angewiesen. seinem Fall gibt es zwar einen exakt gleichnamigen Architekten, Er widmete sich daher bald nur noch der Ausgestaltung seines der Mitte des 19. Jahrhunderts das berühmte Schloss Miramare Hauses sowie seinen Gemälden und Skulpturen. bei Triest in Italien entwarf. Die Lebensgeschichten der beiden Dass er etwas Ungewöhnliches schuf, war Junker bewusst. Namensvettern könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein: Da ein Er war auch der einzige der hier vorgestellten Künstler, der sein weltläufiger Baumeister und Ingenieur, der sogar am Suezkanal Haus schon zu Lebzeiten gegen eine Gebühr besichtigen ließ. mitplante – hier ein extrem zurückgezogener Individualist, der sich Seit über hundert Jahren bestaunt das Publikum bereits dieses in mysteriöser Unbeirrbarkeit seine eigene Welt erschuf. Diese singuläre Gesamtkunstwerk aus Malerei, Architektur und Plastik. Welt war das Lemgoer Haus, das Junker entwarf und bewohnte. Junkers übriger Nachlass – Zeichnungen, Entwürfe, Gemälde, Oder sollte man besser sagen, zum Leben erweckte? Denn die Skulpturen und Reliefs – blieb hingegen lange verborgen, fehlte es Räume sind von einer nicht einzudämmenden Fülle geschnitzter doch an Präsentationsmöglichkeiten. Erst 2004 wurde hinter dem Formen überzogen, die selbst die Möbel überwuchern. Haus ein ergänzender Museumsbau für Wechselausstellungen eröffnet, zu dem ein gläserner Gang führt. Weil viele Menschen Manche Autoren haben den Schöpfer dieser verwirrenden Unruhe sich Junkers Raumfantasien nach dem Besuch außerdem noch für geisteskrank erklärt. Doch solche Spekulationen blühen vor einmal ins Gedächtnis rufen möchten, förderte die NRW-Stiftung allem, weil über ihn nur Grunddaten bekannt sind: Karl Junker außer der Konservierung des eigenartigsten Künstlerhauses im wuchs bei seinem Großvater auf. Er machte eine Tischlerlehre und Land auch einen opulenten Bildband dazu. ging auf Wanderschaft nach Hamburg, Berlin und München. In der Isarstadt besuchte er die Kunstgewerbeschule und die Akademie. Eine Italienreise führte ihn 1877/78 bis nach Neapel, auch der Links: Der Salon im Obergeschoss des Junkerhauses deutschen Künstlerkolonie im Bergstädtchen Olevano Romano mit geschnitzten Sesseln und Sofa sowie einem Ofen. Rechts: Karl Junker als Maler an der Staffelei. Werner Stapelfeldt Museum Junkerhaus 10 Die NRW-Stiftung 1|2019
KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN p Werner Stapelfeldt Werner Stapelfeldt Selbst die Treppenstufen im Junkerhaus sind Ein Glasgang führt zum modernen Anbau auf der Garten- aufwendig mit dem Schnitzmesser gestaltet worden seite des Junkerhauses, der seit 2004 Platz für Wechsel und Teil des architektonischen Gesamtkunstwerks. ausstellungen und Besucherinformationen bietet. Die Beletage des Malerprinzen In Kleve kaufte sich Koekkoek 1843 ein Grundstück vor der ehemaligen Stadtbefestigung und ließ dort zunächst einen So unterschiedlich die bisher behandelten Künstler auch sind, sie Atelierturm mit weitem Blick über die Rheinebene errichten. Einige alle gehören der Moderne an, oft stark geprägt von Vincent van Jahre später kam ein Palazzo im Stil der italienischen Renaissance Gogh, im Falle Karl Junkers besonders schwer einzuordnen. Unser hinzu, wo der „Malerprinz“ im Goldenen Salon der Beletage gerne letzter Hausbesuch gilt hingegen dem wichtigsten niederländischen hochrangige Gäste empfing. Das Gebäude, für das Koekkoek den Maler des 19. Jahrhunderts vor van Gogh. Sein Name: Barend Klever Architekten Anton Weinhagen hinzuzog, gehört zu den Cornelis Koekkoek. Geboren wurde er 1803 als Spross einer herausragenden Künstlerhäusern des 19. Jahrhunderts. Künstlerfamilie im niederländischen Middelburg. Doch mit dreißig Jahren zog er ins niederrheinische Kleve, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1862 lebte. Als Porträt- und Landschaftsspezialist knüpfte er an Vorbilder des 17. Jahrhunderts an und wurde vor allem durch seine in klares Licht getauchten Winterszenen berühmt. Heutzu- tage erzielen seine Bilder bei Auktionen teilweise Millionenbeträge, aber der Begründer der „Klever Romantik“ konnte sich auch selbst schon über hohe Einnahmen freuen. Kein Wunder – die Monarchen von Russland, Preußen und den Niederlanden gehörten zu seinen Kunden. 1847/48 wurde das Koekkoek-Haus im damaligen „Bad Cleve“ im Stil eines italienischen Palazzo erbaut. Im Hintergrund erhebt sich die Klever Schwanenburg. Anne Gossens 11
p KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN Glücklicherweise überstand es B LICK PU N KT den Zweiten Weltkrieg nahezu unver- sehrt. Danach diente es eine Zeitlang als Rathaus und ab 1960 als städtisches Die NRW-Stiftung hat die Künstlerhäuser auf Museum. Als letzteres 1996 ins Initiative von Fördervereinen vielfach unterstützt, historische Klever Kurhaus umzog, wäre so das Böckstiegelhaus bei Dachreparaturen, das Koekkoekhaus fast zum Geschäfts- beim Außengelände und bei Werk- sitz einer Bank geworden. Zum Glück verzeichnissen. Im Mackehaus trat der Freundeskreis „Museum wurden ein barrierefreier Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve“ dem Lift und die Einrichtung Vorhaben entgegen. Unterstützung kam vom niederländischen der Wohn- und Arbeits- „Rijksdienst Beeldende Kunst“, entscheidende Hilfe leistete die räume ermöglicht. NRW-Stiftung, die das Gebäude 1997 erwarb und es der „Stiftung Das Pankok-Museum B. C. Koekkoek-Haus“ zur Verfügung stellte. konnte jüngst erneut erweitert werden, Seitdem findet man in dem Museum Meisterwerke romantischer auch eine DVD über Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, eingebettet in zeit Pankok wurde gefördert. genössische Wohnkultur mit kostbaren Möbeln, von denen Die Restaurierung des Koekkoek einige noch selbst benutzt hat. Sein Haus ist zudem ein Junkerhauses wurde 2001 – 2004 deutsch-niederländischer Begegnungsort, denn unsere Nachbarn unterstützt, 2014 dazu ein Bildband. machen ihrem bedeutenden Landsmann gerne die Aufwartung. Das Koekkoek-Haus ist seit 1997 Eigentum der Wegen der nahen Grenze haben viele nur eine kurze Anfahrt, doch NRW-Stiftung, die hier viele Maßnahmen das Koekkoekhaus lohnt auch weite Wege. Man muss es gesehen finanziert hat. haben – ebenso wie das Böckstiegel-, Macke-, Pankok- und Junkerhaus. Nur die Reihenfolge unterliegt der Kunstfreiheit. Text: Ralf J. Günther Fotos: Pauline Miko Im Salon der Beletage stellte Barend „Beletage“ bedeutet „das schöne Geschoss“. Diese bevorzugte Etage Cornelis Koekkoek seine Bilder aus. war meist – so auch im Koekkoek-Haus – das erste Obergeschoss. ANDENKEN AN KLEVE Mit dem Gemälde „Souvenir des Clèves“ schuf B. C. Koekkoek ein meisterhaftes Andenken an Kleve, wie er es 1847 sah. Nach der Fertigstellung gelangte das Gemälde zunächst nach Österreich, bevor es später in deutschen und danach in englischen Privatbesitz kam. Als es 2012 beim Londoner Auktionshaus Christie´s auftauchte, konnte das Bild vom Freundeskreis des Koekkoek-Hauses zusammen mit der NRW-Stiftung und weiteren Finanzierungspartnern ersteigert werden. Es zeigt neben der Schwanenburg auch Koekkoeks dreigeschossiges „Belvedere“, das heißt seinen Atelierturm. Sein etwas später errichtetes B. C. Koekkoek-Haus Kleve Palais fehlt hingegen noch. 12 Die NRW-Stiftung 1|2019
GELDERSCH LANDSCHAP EN KASTEELEN p Das Besondere der NRW-Stiftung ist ihre Verantwortung für Natur, ENGAGIERT FÜR DAS Heimat und Kultur. Ein Blick über die Grenze zu unseren nieder- SCHÖNE GELDERLAND Rob Schouten ländischen Nachbarn zeigt, dass es auch dort die Verbindung dieser Aufgaben gibt. Die Stiftung Geldersch Landschap & Kasteelen, kurz GLK, kümmert sich seit 90 Jahren um Landschaften und Baudenkmäler in der Provinz Gelderland. Direktor Peter van den Tweel schildert die Arbeit von GLK, den Wert freiwilligen Engagements und lohnende Ausflugsziele. Seit einigen Jahren treffen sich Vertreter der NRW-Stiftung und der Natur und Kultur in Gelderland GLK regelmäßig zum Erfahrungsaustausch, und die Mitglieder des Fördervereins NRW-Stiftung besuchen auf Exkursionen Schlösser GLK blickt auf eine lange Tradition zurück. Im Jahr 1929 gründe- und Burgen in Gelderland. Es gibt viele Berührungspunkte, weil die ten der damalige Kommissar der Königin, Baron Schelto van Geschichte am Niederrhein grenzübergreifend ist. Bestes Beispiel Heemstra, und der Mitbegründer der Organisation „Natuur ist der Landschaftsmaler Barend Cornelis Koekkoek, der 1803 in monumenten“, Pieter van Tienhoven, die Stiftung „Het Geldersch Middelburg geboren wurde und seit 1834 in Kleve lebte. Sein Landschap“, als einige Landgüter in der Provinz Gelderland Stadtpalais ist eines der wichtigsten Baudenkmäler Kleves. Seit gefährdet waren. Peter van den Tweel unterstreicht die Bedeu- 1997 gehört das Haus der NRW-Stiftung und ist heute als Museum tung dieser Initiative: „Durch ihre Bemühungen, das Gut Warns- B. C. Koekkoek-Haus auch ein Publikumsmagnet für niederländi- born zu erhalten, wurde auch der angrenzende Grüngürtel von sche Gäste. Arnheim gesichert. Zum ersten Mal wurde eine Art ‚Sicherheits- netz‘ für den Natur- und Landschaftsschutz geschaffen.“ Peter van den Tweel ist seit 2009 Direktor von GLK. Zuvor war er beim niederländischen Staatsforst, dem „Staatsbosbeheer“, tätig. Im Jahr 1940 wurde dann die Stiftung „Vrienden der Geldersche Der Wechsel damals fiel ihm nicht schwer: „An der Organisation Kasteelen“ gegründet. Die Eigentümerin des Landgutes Hernen reizte mich, dass sich GLK um das Kulturerbe ebenso kümmert wollte das Schloss in eine Stiftung überführen, die eine gründ- wie um Landschaft und Artenschutz. Ich setze mich sehr gerne liche und umfassende Restaurierung gewährleisten sollte. Damit für eine Organisation ein, die selbstbewusst und auf konstruktive wurde auch für die Burgen und Schlösser in Gelderland ein und kreative Weise für ein schönes Gelderland wirkt.“ „Sicherheitsnetz“, wie Peter van den Tweel es nennt, geschaffen. Die Stiftungen haben immer unter einem Dach gearbeitet und Oben: haben seit längerer Zeit einen gemeinsamen Direktor. Als Peter van den Tweel ist seit 2009 Direktor logische Konsequenz wurden sie 2004 in einer Organisation zu- von „Geldersch Landschap & Kasteelen“, sammengefasst, die heute den Namen „Geldersch Landschap & einer Organisation zum Schutz des gelder- Kasteelen“ trägt. Zusammen bilden sie den größten privaten A ländischen Natur- und Kulturerbes. 13
p GELDERSCH LANDSCHAP EN KASTEELEN Fotos: Stefan Ast Schloss und Park Rosendael liegen Schloss- und Landbesitzer in den Niederlanden und einen der südlich der Veluwe bei Arnheim. größten in Europa. Rund 12.000 Hektar Land – darunter viele Naturschutzflächen – gehören der Stiftung. Die Verantwortung für einen so großen Besitz ist aufwendig. Der Jahresumsatz von GLK beträgt 18,6 Mio. Euro. Peter van den Schlosserlebnisse Tweel erläutert, woher die Einnahmen kommen: „80 bis 85 Prozent GLK besitzt über 650 Bauwerke, darunter 36 Burgen, Landhäuser der benötigten Mittel ergeben sich aus Vermietungen, Veranstal- und Burgruinen. Die meisten Gebäude, ob alte Bauernhöfe oder tungen, Holzverkauf aus dem Forstbesitz, Eintrittsgeldern und dem Schlösser, sind vermietet und bewohnt. Sieben Burgen sind für die Beitrag unserer 46.000 Spender. 15 bis 20 Prozent der jährlichen Öffentlichkeit zugänglich. Hier taucht man tief in frühere Lebens- Kosten, insbesondere zur Verbesserung der Qualität der Immo- welten ein, begeistert sich Peter van den Tweel: „Wenn Sie bilien, werden unter anderem durch Fördermittel der Provinz- mittelalterliche Burgen mögen, sind Ammersoyen, Doorwerth regierung, der niederländischen Postcode Lotterie und anderer und Hernen die spannendsten Ziele. Elegante Häuser sind die Förderprogramme gedeckt.“ Schlösser Verwolde, Cannenburch oder Rosendael. Wie es sich für ein echtes Landgut gehört, genießt man in Zypendaal die Ruhe Botschafter des Kulturerbes gleich vor den Toren Arnheims!“ Neben den Einnahmen ist aber vor allem das freiwillige Engage- ment vieler Unterstützer eine große Hilfe für GLK. „Wir freuen uns Schloss Doorwerth in den Rheinauen bei Renkum über die Besucher unserer Schlösser, die mit dem Kauf ihrer geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Eintrittskarte zum Erhalt der Denkmäler beitragen. Unsere 46.000 Spender sind für uns durch ihre Teilnahme an Versammlungen und Exkursionen sehr wichtig, aber natürlich auch wegen ihres finanziellen Beitrags. Sie unterstützen GLK und stärken unsere Arbeit mit ihren besonderen Fähigkeiten oder Kenntnissen. Sie sind Gästeführer in unseren Schlössern und Naturschutz- gebieten.“ Es wird auch handfest angepackt: „Die Gemüsegärten und Parks würden ohne enthusiastische freiwillige Gärtner nicht so gut aussehen. In Wäldern und Heiden bekommen wir tatkräftige Unterstützung für unser Flächenmanagement. In den Schlössern sind Freiwillige bei der Sammlungspflege und im Museumsbetrieb aktiv.“ Peter van den Tweel möchte die freiwilligen Helfer nicht missen: „Sie sind unsere Botschafter des Kulturerbes! Ich bin ein bisschen neidisch auf den deutschen Begriff Ehrenamtliche, der auch die Ehre ausdrückt, die ihnen gebührt!“ Mehr Informationen unter www.glk.nl 14 Die NRW-Stiftung 1|2019
S Ü D W E S T FA L E N S B LÜ H E N D E V I E L FA LT p LOKALES OBST FÜR Höfe und Dörfer im südwest- fälischen Bergland sind EIN BLÜHENDES LAND vielerorts von hochstämmigen Obstbäumen umgeben. Nicht nur zur Blütezeit sind sie ein Blickfang. Neben dem Obst für den Eigenbedarf und für lokale Märkte bieten die Obstwiesen Lebensraum für Insekten und Singvögel, in den Höhlun- gen alter Stämme finden Steinkauz und Fledermäuse ideale Verstecke. Streuobstwiesen gelten aber mancherorts als Auslaufmodell und abgestorbene Bäume werden oft nicht ersetzt. Obendrein drohen das Wissen um die Identität lokaler Obstsorten und ihre Kulinarik in Vergessenheit zu geraten. Das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis wirkt dieser Erosion entgegen. Gemeinsam mit Vereinen, lokalen Initiativen und Biostationen kümmert sich das Projekt „Südwestfalens blühende Vielfalt erhalten“ gezielt um die regionalen Obstwiesen und trägt zur Vermehrung selten gewordener Sorten bei. W er die südwestfälische Obstvielfalt bewahren will, muss Inventarisieren, veredeln, nachpflanzen erst einmal wissen, was denn da auf den alten Streuobst- Manche Sorten, deren Namen in der alten Fachliteratur stehen, wiesen bei Letmathe, Finnentrop oder Halver wächst. gelten als verschollen. Umgekehrt gibt es zahlreiche Apfel-, Birnen- Denn dauerhaft sichern lassen sich das Rheinische Seidenhemd- oder Kirschbäume, die sich einer Identifizierung zu verweigern chen, die Winterköttelbirne und die vielen Dutzend weiterer Sorten scheinen. In solchen Fällen ist geduldige Recherche gefragt. Volker nur, wenn man sicher identifizierte Bäume lokalisiert hat und junge Knipp aus Schalksmühle, der das Streuobstprojekt bei der Natur- Zweige für die vegetative Weitervermehrung von ihnen nehmen schutzstation Märkischer Kreis koordiniert, hat schon viele Bauern konnte. und Gartenbesitzer nach ihren Erfahrungen und Lokalnamen befragt. In einem großen Gebiet wie dem westfälischen Süderberg- land hat man für eine solche Aufgabe nie genug Verbündete. Der Hof Schulte-Horst bei Balve-Eisborn hält die Tradition des Obstanbaus im Sauerland hoch. 15
p SÜDWESTFALENS B LÜ H E N D E V I E L FA LT Obstbau braucht einen langen Atem: Bis aus diesen jungen Bäumchen eine ökologisch vollwertige Streuobstwiese geworden ist, werden noch einige Jahre vergehen. Andre Matull Angepasst ans Sauerland-Klima So wirbt Knipp bei örtlichen Initiativen wie Obst-, Gartenbau- und Heimatvereinen, bei landwirtschaftlichen Kreisverbänden, Natur- Die Streuobstwieseninitiative startet nicht bei Null. Volker Knipp schutzgruppen, Baumschulen und Biostationen für das Projekt. war bis Anfang 2016 an einer dreijährigen Inventur wenig bekannter Ziel ist es, dass in der fünfjährigen Laufzeit mindestens 2.500 neue Obstsorten in Westfalen beteiligt. Die in dieser Zeit gefundenen Bäume gepflanzt werden, davon sollen 1.000 seltene regionale besonders interessanten Sorten wurden bereits dokumentiert und Sorten repräsentieren. Und die sollen möglichst dort wachsen, durch Veredelung im Sortengarten Hemer und an anderen Stand- wo sie historisch entstanden sind. Um Interessenten Anschauungs- orten vermehrt. Damit stehen sie bereits jetzt für die Abgabe an material und Vorbilder zu bieten, werden zunächst Musterobst- Interessierte zur Verfügung. Mit 08/15-Neuzüchtungen würden sich wiesen gepflanzt. Parallel dazu werden ein Standortkataster und Obstliebhaber der Region keinen Gefallen tun, denn die gängigen, eine digitale Bibliothek zur Obstbaukultur und zu den alten Sorten auf gefällige Optik und hohe Erträge getrimmten Sorten eigenen der Region aufgebaut. Begleitet wird das Projekt durch intensive sich kaum fürs raue Sauerland-Klima. Zudem erfordern sie einen Öffentlichkeitsarbeit. Über Veredelungskurse, die ab Frühjahr 2019 hohen Einsatz an Pflanzenschutzmitteln. Statt der Giftspritze in allen LEADER-Regionen regelmäßig stattfinden, werden alte gelten hier Meisen, Marienkäfer und Ohrwürmer als die besseren regionale Obstsorten gezielt in der Bevölkerung verbreitet. Schädlingsbekämpfer. Sie vertilgen Raupen und halten die Blatt- Wenn es im Jahr 2023 endet, wollen die Biostationen die weitere lauspopulationen klein. Betreuung der Musterbestände übernehmen, während der Pomologenverein – so die Bezeichnung der Obstkundler – Pflege und Ausbau der Datenbank fortsetzen werden. Obstbäume richtig zu schneiden will gelernt sein, andernfalls tragen sie weniger und kleinere Früchte. Rechts: Auf einen geeigneten Stamm („Unterlage“) können mehrere Zweige gepfropft werden. 16 Die NRW-Stiftung 1|2019
S Ü D W E S T FA L E N S B LÜ H E N D E V I E L FA LT p EMPFEHLUNG FÜR APFEL- ALLERGIKER: ALTE SORTEN MIT BRÄUNENDEM ANSCHNITT Apfelallergiker reagieren fast ausnahmslos auch empfindlich auf Pollen. Besonders der Blütenstaub von Birken und vielen Gräsern scheint ähnliche Allergene zu besitzen wie das Fruchtfleisch mancher Äpfel. Alte Sorten wie Alkmene, Berlepsch, Boskoop, Gravensteiner oder Ontario haben allerdings deutlich schwächere allergene Wirkung und werden deshalb von Allergikern besser vertragen als Neuzüchtungen wie Braeburn, Golden Delicious, Granny Smith oder Pink Lady. Der Wirkmechanismus ist erst teilweise verstanden. Eine Rolle spielen Enzyme (Polyphenol- oxidasen), welche die Allergene deaktivieren. Die höhere Enzym- Die Früchte der westfälischen Birnensorte ‚Winterkippe‘ aktivität der alten Sorten ist daran erkennbar, dass ihr Fruchtfleisch sind nur so groß wie Golfbälle – und ähnlich hart. im Anschnitt schneller braun wird. In dem Maße, in dem man das Als Kochbirnen sind sie bei Kennern aber begehrt. Bräunen und die Säure wegzüchtete, erhöhte man unbeabsichtigt das allergene Potenzial. www.bund-lemgo.de/apfelallergie Wo man für guten Geschmack brennt Zum Sortenerhalt können übrigens nicht nur Landwirte und Grund- stücksbesitzer beitragen. Jeder Käufer von Obstsaft, Obstbrand oder Frischobst von Streuobstwiesen stützt die Nachfrage und damit den Fortbestand. Die Qualität mancher Früchte wird aller- dings erst erkennbar, wenn sie als Kochbirnen oder Dörrobst verarbeitet werden. Ein Beispiel ist die „Winterkippe“, eine Birnen- sorte, von der bisher nur drei alte Bäume um Iserlohn-Letmathe gefunden wurden. Als Tafelobst taugen die herben Früchte nicht. Alte Sorten: Roter Boskoop und Winterglockenapfel. Gekocht oder zu Obstbrand destilliert entfalten sie jedoch ein marzipanartiges Aroma. Für eine Zukunft solcher Seltenheiten braucht es deshalb experimentierfreudige Köche und Brenner. B LICK PU N KT Text: Günter Matzke-Hajek Fotos: Naturschutzzentrum Märkischer Kreis Mit einem hohen fünfstelligen Betrag fördert die NRW-Stiftung ein bis zum Jahr 2023 angelegtes Die Kinder der Grundschule Wadersloh sehen Gemeinschaftsprojekt der Naturschutzstation gespannt zu, wie mit Hilfe einer Handkelter aus den Äpfeln frischer Saft gepresst wird. Märkischer Kreis e.V. und sechs LEADER-Regionen in Südwestfalen zwischen Biggesee und Lipp- stadt. Ziel des Projektes ist es, das Landschaftsbild und die historische Obstvielfalt durch das Nachpflanzen alter und neuer Streuobstwiesen zu bewahren, zugleich stützt das Projekt die heimische Biodiversität. www.naturschutzzentrum-mk.de Herbert Fortmann 17
p DAS K A I S E R - W I L H E L M - D E N K M A L A N D E R P O R TA W E S T FA L I C A Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica mit der erneuerten Sockelzone. Hinter den Panorama- fenstern liegen Besucherzentrum und Gastronomie. PANORAMEN AN LWL/Hübbe DER PORTA Würde man Kaiser Wilhelm heute noch auf einen Sockel stellen? Nein, der Kult von einst ist Vergangenheit. Das ändert aber nichts an den vielen hohen Sockeln, auf denen der Monarch schon seit mehr als hundert Jahren steht – und zwar in Übergröße. So ragt seine Statue auf dem Wittekindsberg an der Porta Westfalica beachtliche sieben Meter empor, der gesamte Denkmalbau hoch über dem Weserdurchbruch erreicht sogar fast neunzig Meter. Das Monument ist als Landmarke und Aussichtspunkt gleichermaßen beein druckend, und es bietet nach umfassender Sanierung viele neue Attraktionen. Die historischen Hintergründe zum bronzenen Wilhelm werden jetzt in einem modernen Besucherzentrum erläutert. Nation und Provinz D as Jahr 1888 ist als Dreikaiserjahr in die deutsche Die Einigkeit blieb bei der Planung des Vorhabens allerdings rasch Geschichte eingegangen. Im März starb Wilhelm I., im Juni auf der Strecke. Fast alles war strittig, der Standort, die Größe sein Sohn und Nachfolger Friedrich, und noch im gleichen und die Inschriften des Denkmals, ja, sogar die Frage, in wessen Monat kam Wilhelm II. auf den Thron. Unter ihm entfaltete sich ein Namen es überhaupt errichtet werden sollte. Manche schlugen vor, gewaltiger Kult um den ersten Kaiser des Deutschen Reiches von sich auf das „westfälische Volk“ zu berufen, doch es setzten sich 1871, den man als weißbärtigen „Barbablanca“ gerne mit dem diejenigen durch, die lieber die konkrete Provinz Westfalen als mittelalterlichen Kaiser Rotbart alias Barbarossa verglich. Dass Initiatorin des Projekts in den Mittelpunkt rückten. Das erklärt Wilhelm die Rolle des Kaisers in Bismarcks Staatsgründung nur auch, warum das Monument oft in einem Atemzug als National- widerwillig übernommen und seine preußische Königskrone weit und als Provinzialdenkmal bezeichnet wird. Ersteres bezieht sich mehr geschätzt hatte, beeinträchtigte die nationale Euphorie nicht auf den Nationalgedanken, den es propagieren sollte. Letzteres weiter. Auch in der Provinz Westfalen diskutierte man daher entspricht der Widmungsinschrift, die es trägt: „Wilhelm dem schon bald über ein Denkmal zu seinem Ruhm – und zum Ruhme Großen – Die Provinz Westfalen“. Als Nachfolger des preußischen der geeinten Nation. Provinzialverbandes ist heute übrigens der Landschaftsverband Westfalen-Lippe Eigentümer des Denkmals. 18 Die NRW-Stiftung 1|2019
DA S K A I S E R - W I L H E L M - D E N K M A L A N D E R P O R TA W E S T FA L I C A p Elf verschiedene Standorte hatte man anfangs ins Auge gefasst. Der härteste Konkurrent der Porta Westfalica war dabei die Hohensyburg über der Ruhr gewesen, wo man sich über die abschlägige Entscheidung entsprechend enttäuscht zeigte, alsbald aber für Ersatz sorgte (siehe Kasten). Zur Einweihungsfeier auf dem Wittekindsberg kamen am 18. Oktober 1896 fast 20.000 Men- schen, auch Kaiser Wilhelm II. reiste an. Die Menge fand bequem Platz, denn der Architekt Bruno Schmitz – der auch das Leipziger Völkerschlachtdenkmal entwarf – hatte die Anlage mit einer großflächigen Ringterrasse umgeben. Sie bot grandiose Blicke ins Land, aber die fatale Entwicklung des deutschen Nationalismus sorgte für umso düstere Perspektiven. Von den Verbrechen des Dritten Reichs blieb auch der Wittekindsberg nicht verschont: Im Zweiten Weltkrieg mussten Zwangsarbeiter unterhalb des Denk- mals unter unmenschlichen Bedingungen einen Stollen zur verborgenen Produktion von Rüstungsgütern ausbauen. LWL/Medienzentrum LWL/Hübbe Oben: Mitglieder des Provinziallandtags bei der Einweihungs- feier am 18. Oktober1896. Unten: Kaiser Wilhelm II. unternahm Auf und unter der Terrasse zu diesem Anlass auch eine Kutschfahrt durch Minden. Gemäß alliiertem Beschluss sprengten die Briten den Stollen 1946, wobei die Denkmalsterrasse beschädigt wurde, die ohnehin schon kurz nach ihrer Errichtung erste Baumängel gezeigt hatte. Viele Jahrzehnte lang konnte sie nur noch teilweise genutzt werden. Der Sockel, auf dem sie ruhte, drohte überdies abzurutschen. Erst die aufwendigen Sanierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben die Situation denkmalgerecht gerettet. Und nicht nur das: Die Sockelzone der Terrasse wird nun auf spektakuläre Weise genutzt, denn hinter großen Panoramafenstern liegen hier jetzt Gastro- nomie und Besucherzentrum. Letzteres erläutert multimedial die Geschichte des Denkmals und seiner Umgebung. Dabei führt eine siebzehn Meter lange Bildwand eine vielfältige Geschichts- und Kulturlandschaft vor Augen, in der schon die Römer ihre LWL/Medienzentrum Spuren hinterlassen haben. A WILHELM AN WESER UND RUHR NRW-Kenner wissen: Auf der Hohensyburg Gegenstück – besonders durch die An- bei Dortmund gibt es ebenfalls ein Kaiser- wesenheit Bismarcks. Denn eigentlich waren Wilhelm-Denkmal. Anfangs war dieser Standort Wilhelm I. und der Reichskanzler in der auch von der Provinz Westfalen in Betracht deutschen Denkmalgeschichte eher Konkur gezogen worden. Nachdem sie aber der Porta renten, die selten nebeneinander auftraten. Westfalica den Vorzug gegeben hatte, finan Das lag vor allem an Wilhelm II., der Bismarck zierten Ruhrindustrielle für die Hohensyburg ein 1890 im Streit entlassen hatte und keinen eigenes Monument. Man hoffte so die Arbeiter- Wert darauf legte, ihn neben seinem Großvater schaft stärker für die Nationalidee begeistern verewigt zu sehen. Bismarckdenkmäler gingen zu können. Das Dortmunder Denkmal wurde daher im Kaiserreich oft auf Privatinitiativen im Dritten Reich stark verändert, aber es zurück, sehr oft zum Beispiel auf entspre- unterschied sich auch schon im Originalentwurf chende Aktivitäten der Studentenschaft. erheblich von seinem ostwestfälischen Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf der Hohensyburg bei Dortmund. Rainer Halama/wikimedia commons 19
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