KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung

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KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
Natur
                                    Heimat
                                    Kultur
DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG

   KÜNSTLERHÄUSER
       IN NRW

 NR. 1 | 2019

 Bonner Republik:   Südwestfalen:   Gleichberechtigung:   Ahrenbachtal:
 Rückkehr des       Blühender       100 Jahre             Die Vielfalt
 Bundesbüdchens     Artenreichtum   Frauenwahlrecht       der Falter
KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
Liebe Leserinnen,
                                      liebe Leser,
                                         von der vielfältigen Kultur in   Zur Kultur gehört aber nicht nur das Schaffen, sondern auch das
                                         Nordrhein-Westfalen kann         Bewahren. Tatkräftige Freundeskreise und Museumsvereine
                                         man sich auf ganz unterschied-   sorgen dafür, dass die in diesem Heft vorgestellten Künstlerhäuser
                                         liche Weise ein Bild machen.     heute öffentlich zugänglich sind oder sogar um Museumsbauten
                                         Schauen Sie doch einmal da       erweitert werden konnten. Oft helfen Ehrenamtliche überdies im
                                         vorbei, wo Bilder buchstäblich   laufenden Betrieb der Häuser. Das sind großartige Erfolge, wenn
                                         zu Hause sind – in den           man bedenkt, dass das Macke-Haus in Bonn fast einmal eine
                                         bedeutenden Künstlerhäusern,     Gaststätte und das Koekkoek-Haus in Kleve beinahe eine Bank­
              MKW/Bettina Engel-Albustin die es im Rheinland und in       filiale geworden wären. Mit der NRW-Stiftung hat das Ehrenamt
                                         Westfalen gibt. Rheinisch-       in Nordrhein-Westfalen eine starke Partnerin, die in all diesen
westfälische Themen und Landschaften erlebt man hier in ein-              Häusern helfen konnte. Die NRW-Künstlerhäuser bieten lebendige
drucksvollen Perspektiven, streng komponiert oder kühn                    Kultur an authentischen Schauplätzen. Ich wünsche Ihnen
expressionistisch, in glühenden Farben oder in klarem Schwarz-            malerische Momente und viel Freude bei den Entdeckungen!
Weiß, romantisch oder modern. Zugleich können Sie in das
alltägliche Leben von Künstlern und ihren Familien eintauchen.
                                                                          Ihre
Besuche bei August Macke, Peter August Böckstiegel, Otto Pankok,
Karl Junker oder Barend Cornelis Koekkoek führen an Orte,                 Isabelle Pfeiffer-Poensgen
an denen Künstler gewirkt haben, und in Regionen, die Inspiration         NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaften,
für große Werke waren.                                                    stv. Vorsitzende im Stiftungsrat der NRW-Stiftung

GEMEINSAM FÜR
EIN LEBENDIGES LAND

Ü
      berall im Lande gibt es Initiativen, Vereine und Verbände,
      die sich mit viel Herz und Sachverstand für die Naturschön-
      heiten und die kulturellen Schätze in Nordrhein-Westfalen
einsetzen. Seit 1986 hilft ihnen die NRW-Stiftung nach besten
Kräften und hat bereits über 3.100 Projekte fördern können.
Alle Naturschutz- und Kulturprojekte der NRW-Stiftung haben                                                                           Alexander Heyd

eines gemeinsam: Menschen setzen sich für ihr Land ein und                 Mittelalterlicher Gemeinschaftsgarten auf der Bastionsfläche
sichern und erhalten Natur und Landschaft, Denkmäler und                   der Burg Blankenberg in Hennef.
Kulturgüter. Sie bereichern damit die Schönheit, die Vielfalt und
die Geschichte unseres Landes.

Die NRW-Stiftung will möglichst viele Menschen für diese Ziele            Mitglied werden und Gutes tun!
gewinnen. Dafür gibt es den Förderverein NRW-Stiftung.                    Zum Geburtstag, zu Weihnachten oder einfach so:
Als fördernde Mitglieder unterstützen bereits viele Bürgerinnen           Eine Mitgliedschaft im Förderverein NRW-Stiftung kommt immer
und Bürger, darunter auch bekannte Persönlichkeiten aus                   gut an – bei Ihnen, bei uns und all unseren Partnern, die sich
Kultur, Politik und Wirtschaft, die Arbeit der NRW-Stiftung.              landesweit für Natur und Kultur einsetzen.
Über Neues berichtet regelmäßig dieses Magazin.
                                                                          Unterstützen Sie uns mit einer Mitgliedschaft, egal ob für
                                                                          Sie selbst oder als Geschenk. Einfach online beantragen oder per
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                                                                          Sie am Ende des Heftes.

                                                                          Förderverein NRW-Stiftung
                                                                          Roßstraße 133 · 40476 Düsseldorf
                                                                          Tel. (02 11) 4 54 85-0 · www.nrw-stiftung.de

2                                                                                                                           Die NRW-Stiftung 1|2019
KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
INHALT
                                                                                   Heinrich Heine in der Bronx                                    32 – 33
                                                                                   Kaiserin Sisi unterstützte ein Heine-Denkmal
                                                                                   für Düsseldorf - doch es steht in New York.

Schaufenster                                                             4–5       Gleiches Recht für alle                                        34 – 37
Zu entdecken in NRW: Ein Käsemuseum für Kleve,                                     1919 bekamen Frauen in Deutschland das Wahlrecht,
Jüdisches Museum „MiQua“ vor dem Kölner Rathaus,                                   und es gab erstmals weibliche Abgeordnete – auch aus
Artenschutz auf Gelsenkirchener Kokereigelände.                                    Rheinland und Westfalen. / Interview mit der ehemaligen
                                                                                   Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth.
Titelthema: Künstlerhäuser in NRW                                      6 – 12
Ein Besuch in den Wohnhäusern von Böckstiegel, Junker,
Koekkoek, Macke und Pankok.

                                                                                                                                   picture alliance/akg images

                                                             Nina Maria Oetker
                                                                                   „L´Chaim – Auf das Leben!“                                     38 – 39
                                                                                   Im Anschluss an sein 25-jähriges Bestehen
Blick über die Grenze                                                13 – 14       präsentiert das Jüdische Museum Westfalen seine
So arbeitet die niederländische Stiftung                                           neue Dauerausstellung.
„Geldersch Landschap & Kasteelen“.

Blühende Vielfalt                                                    15 – 17
Die Wiederbelebung historischer Obstwiesen in
Südwestfalen.

                                                                                                                                          Werner Stapelfeldt

                                                                                   Erfolgreiche Pflegearbeiten                                   40 – 42
                                                                                   Aktiver Naturschutz am Bielenberg.
                                             Naturschutzzentrum Märkischer Kreis
                                                                                   Heimat-Touren NRW                                                      43
                                                                                   Schüler auf Entdeckungstour im eigenen Land.
Monarch auf dem Sockel                                              18 – 20
Ein modernes Besucherzentrum in Porta Westfalica                                   Meldungen                                                      44 – 47
macht Geschichte zum Erlebnis.                                                     Engagementpreis NRW / NRW-Traditionen im Verzeichnis des
                                                                                   immateriellen Kulturerbes / Schloss Burgau in Düren / Neue App
Zu Ehren von Georg Sennert                                                  21     zur Geschichte der Zeche Sachsen/ Fotowettbewerb Kalender
Ein Platz im Brachter Wald erinnert an den                                         2020 / Bethaus der Bergleute in Witten
verstorbenen Naturschützer.
                                                                                   Förderverein                                                  48 – 49
Schauplatz Drachenburg                                              22 – 24
                                                                                   Duisburg und Wuppertal schließen die letzten weißen
„Bares für Rares“ und „Babylon Berlin“ nutzen die
                                                                                   Flecken auf der Landkarte der Mitgliedschaften / Neue
rheinische Schlosskulisse für Dreharbeiten.
                                                                                   Regionalbotschafter für die Kreise Steinfurt und Soest
Naturschutzgebiet Ahrenbachtal                                       25 – 27
                                                                                   Spenden/Zustiften                                              50 – 51
Lebensraum für Landkärtchen, Schillerfalter
                                                                                   Neue Buntglasfenster für Schloss Drachenburg / Kuratoren-
und Kaisermantel.
                                                                                   Treffen in Münster / Hilfe für den Kindergarten Altenberge!
Die Rückkehr des Bundesbüdchens                                     28 – 29
                                                                                   Nicki Nuss                                                     52 – 53
Historischer Verkaufspavillon kehrt in
                                                                                   Nicki entdeckt die Malerei
ehemaliges Bonner Regierungsviertel zurück.
                                                                                   Ausflugstipps                                                  54 – 58
Naturranger im Sauerland                                             30 – 31
                                                                                   Am Wochenende noch nichts vor? NRW hat einiges zu bieten…
Engagement und Integrationsarbeit werden
mit Sonderpreis der NRW-Stiftung ausgezeichnet.                                    Impressum                                                              59

                                                                                                                                                            3
KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
p KÄSEMUSEUM               KLEVE

KÄSE AUS RINDERN
                                                                                                              Gut Hogefeld präsentiert sich seit 1868
                                                                                                              mit einem repräsentativen Wohnhaus im
                                                                                                              neugotischen Stil inklusive Turm.

I
     m Jahr 1862 wurde über den Handel in Kleve die denkwürdige                                                 1824 hatte sich Maria Reymer bei
     Feststellung getroffen, die Stadt habe nur „wenig Waren                                                    Verwandten in Utrecht heimlich die
     bezogen, desto mehr aber Käse versandt“. Verspottete hier                                                  Kunst abgeschaut, Schnittkäse nach
etwa ein verkappter Satiriker die Qualität der städtischen Exporte?                                             Holländer Art herzustellen – ein
Nein, Käsereien spielten für die Wirtschaft des Raums Kleve                                                     Verfahren, das in der niederrheinischen
tatsächlich eine herausragende Rolle. Dahinter verbarg sich aber                                                Heimat der jungen Frau damals niemand
                    keine uralte Tradition, angefangen hatte alles                         iStock/Nieuwenhuisen mehr beherrschte. Ein Jahr später
                    kaum vierzig Jahre zuvor. Die Initiative war                  begann Maria zusammen mit ihrem Vater Theodor auf Gut Hogefeld
                    damals von einer jungen Frau namens Maria                     in Rindern selbst mit der Käseherstellung. Einem Bericht von 1829
                    Reymer aus dem Ort Rindern ausgegangen,                       zufolge sei dadurch nicht nur die Zubereitung nach holländischer
                    der heute ein Stadtteil von Kleve ist.                        Art „ins Vaterland“ verpflanzt worden, Theodor Reymer erlaube es
                                                                                  auch jedermann, „diese Zubereitung in seinem Hause zu erlernen.“
    In den Originalräumen soll ein Museum an die
                                                                                  Dadurch sei der Gegend eine ganz neue Erwerbsquelle erwachsen.
    Pioniertat von Maria Reymer (oben) für die Nahrungs­                          Die „Verfertigung der Käse nach holländischer Art“ sei „nunmehr
    mittelerzeugung erinnern.                                                     als heimisch zu betrachten“.

                                                                                  Käse museal
                                                                                  Gut Hogefeld gibt es immer noch, und auch die ehemaligen
                                                                                  Käserei-Räume sind noch erhalten. Der heutige Eigentümer stellt
                                                                                  sie auf einer Fläche von rund 140 Quadratmetern jetzt für ein
                                                                                  Museum zur Verfügung. Der Verein „Arenacum“ – so hieß Rindern
                                                                                  in römischer Zeit – baut darin zusammen mit dem Verein „Milch
                                                                                  & Kultur Rheinland und Westfalen“ eine Ausstellung zur nieder­
                                                                                  rheinischen Käseproduktion im Gefolge Maria Reymers auf.
                                                                                  „Milch & Kultur“ sorgt für die Exponate, der Verein Arenacum
                                                                                  sichert den Betrieb, die NRW-Stiftung hilft bei der Sanierung
                                                                                  und der Einrichtung der Räume. Maria und Theodor Reymer
                                                                                  erhielten übrigens 1830 das preußische „Allgemeine Ehrenzeichen
                                                                                  2. Klasse“, an Maria erinnert seit 1925 auch ein Gedenkstein.

4                                                          Fotos: Kurt Michelis                                                   Die NRW-Stiftung 1|2019
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SCHAUFENSTER              p

ARCHÄOLOGIE IM MIQUA
F
     rüher sprach man von der „Archäologischen Zone“ am Kölner          Die NRW-Stiftung unterstützt die Fördergesellschaft des geplanten
     Rathaus, neuerdings sagt man MiQua. Der Ausdruck ist eine          Jüdischen Museums, um eine Ausstellung für alle zu ermöglichen
     Zusammenziehung aus Mikwe und (archäologischem) Quartier.          – barrierearm, mit Tastmodellen und Tafeln auch in Blindenschrift
Eine Mikwe – also ein jüdisches Ritualbad – war Teil des mittel­        sowie mit Audioguides in verschiedenen Sprachen und für unter-
alterlichen Kölner Judenviertels, über das sich das Ausgrabungs­        schiedliche Ansprüche. Im Außenbereich soll die „MiQuaBox“
areal erstreckt. Spuren aus der Römerzeit und weitere Überreste         das Interesse von Kindern und Jugendlichen wecken. Per App
des Mittelalters haben sich hier ebenfalls erhalten. Auf dem            lassen sich künftig zudem Orte der jüdischen Geschichte in Köln
Gelände entsteht in Kooperation von Stadt Köln und Landschafts-         bei einem interaktiven Stadtrundgang erkunden.
verband Rheinland (LVR) ein großes ober- und unterirdisches
                                                                         Visualisierung des neuen Jüdischen
Museumsangebot.                                                          Museums unmittelbar vor dem historischen
                                                                         Kölner Rathaus, wo sich im Mittelalter das
                                                                         Judenviertel der Stadt erstreckte.

                                                    Stefan Arendt/LVR                                                           Wandel Lorch Architekten

LETZTE WEICHENSTELLUNG: ARTENSCHUTZ!

                                                        Bernd Hegert                                                                             Bernd Hegert

E
                                                                                                                              Artenschutz statt
     igentlich sollte das nicht mehr gebrauchte Stellwerk einer                                                               Abriss: Das alte
     Kokerei-Betriebsbahn in Gelsenkirchen abgerissen werden.                                                                 Stellwerk der Kokerei
     Der NABU befand, dass es sich sehr gut als Brutplatz und                                                                 Hassel in Gelsen-
Versteck für diverse Kulturfolger aus der heimischen Tierwelt                                                                 kirchen hat ausgedient.
eignen würde. In Halbhöhlen außen am Gebäude können Haus­                                                                     Für „Nachmieter“ wie
                                                                                                                              Zwergfledermäuse und
rotschwanz und Mehlschwalben nisten und im Inneren würden                                                                     Mauerbienen wird es
                                                                                               blickwinkel/AGAMI/T. Douma
Fledermäuse ein sicheres Sommerquartier finden. Dafür wird                                                                    jetzt aber erst richtig
der schmucklose Ziegelbau mit finanzieller Förderung der                                                                      attraktiv, denn mensch-
NRW-Stiftung entkernt, bis auf Einflugöffnungen vermauert und                                                                 liche Besucher sind
neu gedeckt, das Dach wird anschließend mit genügsamen                                                                        hier nur als Beobachter
                                                                                                                              zugelassen.
Pflanzen begrünt. Auch für Wildbienen und andere Insekten
werden geeignete Niststrukturen geschaffen. Da die ehemalige
Bahntrasse zu einem Radweg umgebaut wird, soll zukünftig eine
Informationstafel über die tierischen Bewohner informieren.
Dann heißt es „Nächster Halt: Stellwerk Kokerei Hassel!“
                                                                                                     blickwinkel/G. Fischer

                                                                                                                                                      5
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p KÜNSTLERHÄUSER       IN NORDRHEIN- WESTFALEN

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WOHNWERKE
                                                                                         Oben: Blick auf das Böckstiegel­
                                                                                         haus in Werther-Arrode bei
                                                                                         Bielefeld. Der Maler wurde hier
                                                                                         1889 geboren, als Erwachsener

UND KUNSTRÄUME
                                                                                         gestaltete er den westfälischen
                                                                                         Kotten nach seinen künst­
                                                                                         lerischen Vorstellungen um.

Künstlerhäuser sind oft so etwas wie bewohnbare Kunstwerke. In NRW gibt es dafür
ganz unterschiedliche Beispiele – vom versteckten Kunstrefugium bis zur statt­lichen
Malerresidenz. Besuche bei Peter August Böckstiegel, Barend Cornelis Koekkoek,
August Macke und anderen führen aber nicht nur in die historischen vier Wände
großer Meister, man lernt auch landschaftliche und städtische Umgebungen kennen,
von denen sie sich oft inspirieren ließen. Zusätzliche Ausstellungs-
gebäude ermöglichen vielen Künstlerhäusern vertiefte
Präsentationen von Lebensläufen und Lebenswerken.              2018 eröffnete das neue „Museum
                                                               Peter August Böckstiegel” in direkter Nach-
                                                                          barschaft zum Böckstiegel-Haus.

66                                                                                Die NRW-Stiftung 1|2019        Olaf Mahlstedt
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KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN                                        p

D
       er Ausdruck Künstlerhaus wird uneinheitlich verwendet.
       Bekannt ist zum Beispiel das Düsseldorfer Künstlerhaus
       „Malkasten“, das im 19. Jahrhundert als Gesellschaftshaus
einer gleichnamigen Künstlervereinigung eingeweiht wurde.
In Dortmund bezeichnet man hingegen ein Ausstellungs- und
Ateliergebäude zur Förderung des kreativen Nachwuchses als
Künstlerhaus. Im Folgenden geht es aber um Lebensmittelpunkte
bedeutender rheinisch-west­fälischer Maler und Bildhauer – um
vormalige Privatadressen also, die inzwischen für die Öffent­­lich­-
keit zugänglich sind.

Im Böckstiegel-Land
                                                                                                                                Peter August Böckstiegel Stiftung
Ein Paradebeispiel findet man in der Stadt Werther bei Bielefeld,
im Ortsteil Arrode. Es ist die Heimat des Expressionisten
Peter August Böckstiegel. 1889 wurde er als fünftes von sechs
Kindern einer Kleinbauern- und Leineweberfamilie geboren, in
deren winzigem Häuschen sich die Geschwister ein Bett teilen
mussten. Später verwandelte Böckstiegel den westfälischen Kotten
durch Anbauten, Schnitzereien, Mosaiken, Malerei und farbiges
Glas zu einer ungewöhnlichen Verbindung von Tradition und
Moderne. Heutige Besucherinnen und Besucher können hier den
Kindertagen des Künstlers ebenso nachspüren wie den Jahren
seiner kreativen Entfaltung.

Ungewöhnliches Talent führte den jungen Böckstiegel auf einen
ebenso ungewöhnlichen Lebensweg. Er besuchte die Bielefelder
Handwerker- und Kunstgewerbeschule und studierte ab 1913 an
                                                                                                                                            Dorothea Bornemann
der Akademie in Dresden. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb
er im Elbflorenz, wo die Künstlergruppe „Brücke“ 1905 dem                       Oben: Der Künstler um 1950 vor dem Eingang zu seinem Atelier.
Expressionismus Bahn gebrochen hatte. Er heiratete, wurde Vater                 Böckstiegel war auch Bildhauer und arbeitete seit 1929 gerne mit Ton.
und erlangte berufliche Anerkennung. 1921 erhielt er sogar den                  Eine Ziegelei lag in der Nähe seines Hauses, vor dem er mehrere
Großen Sächsischen Staatspreis, obwohl der eigentlich für                       Skulpturen aufstellte (heute Kopien).
sächsische Landeskinder bestimmt war, nicht für Abkömmlinge der
preußischen Provinz Westfalen. Nach Westfalen zog es Böckstiegel               von Sohn Vincent 2007 in Privathand. Heute kümmert sich eine
im Übrigen Sommer für Sommer zurück, denn er suchte seine                      vom Kreis Gütersloh gegründete Stiftung darum, unterstützt
Motive am liebsten in der vertrauten bäuerlichen Heimat.                       vom Böckstiegel-Freundeskreis. Seit 2018 erlaubt ein moderner
                                                                               Museumsbau Wechselausstellungen, im Sommer jeweils mit
Böckstiegel war wie die Maler der „Brücke“ stark von Vincent van               Werken aus dem Nachlass des Künstlers. Das Gebäude steht da,
Gogh beeinflusst und nannte seinen Sohn sogar Vincent. Seine                   wo Böckstiegel früher die Staffelei platzierte, um sein Eltern-
Bilder entsprachen keiner volkstümlichen Tradition, fanden aber                haus zu malen. Da sein Schaffen so tief mit dem Land verbunden
auch bei der Landbevölkerung durchaus Anklang. Das Dritte Reich                war, wird das umliegende Areal mithilfe der NRW-Stiftung
erklärte die Werke hingegen zur „entarteten Kunst“. Ein zusätz­                wie früher durch Obstpflanzungen, Wiesen, Gehölze und Fußpfade
liches Unglück trat ein, als das Atelier des Künstlers mitsamt einem           gestaltet. Ein besonderer Weg sorgt für Barrierefreiheit, Lern-
Großteil seiner Arbeiten bei der Bombardierung Dresdens 1945                   stationen sind geplant. Längere Spaziergänge lohnen sich
zerstört wurde. Jetzt kehrte Böckstiegel endgültig nach Arrode                 ebenfalls: Der „Böckstiegel-Pfad“ verrät an siebzehn Stationen
zurück, wo er noch sechs Jahre lebte. Sein Haus blieb bis zum Tod              mehr über die Gegend, die den Künstler lebenslang inspirierte.

 Das westfälische Land war ein Hauptthema von                                   Das „Erntefeld“ von 1927 kam 2016 als Dauerleihgabe des
 Böckstiegels Malerei. Die Staffelei baute er – wie hier                        Bielefelder Polizeipräsidiums an das Böckstiegel-Museum.
 1935 – gerne im Freien auf.                                                    Das Bild gehört dem Präsidium seit 1962.

                                           Peter August Böckstiegel Stiftung                                          Peter August Böckstiegel Stiftung       7
KÜNSTLERHÄUSER IN NRW - Natur Heimat Kultur DAS MAGAZIN DER NORDRHEIN-WESTFALEN-STIFTUNG - NRW-Stiftung
p KÜNSTLERHÄUSER                 IN NORDRHEIN- WESTFALEN

            Museum August Macke Haus/Axel Hartmann                                                                                     Kunstmuseum Bonn

                                                     Links: Ein Teil des Macke-Gartens        Rechts: Der blühende Garten wie ihn
                                                     ist noch erhalten, im Hintergrund        August Macke selbst sah und im Bild festhielt.
                                                     das Wohnhaus.                            Das Ölgemälde stammt von 1911.

Blauer Reiter in Bonn
Die Begegnung mit Böckstiegel lädt zu Vergleichen mit zwei                  einbezieht, mithilfe der NRW-Stiftung ganz neu gestaltet.
Zeitgenossen ein, deren ehemalige Wohnstätten ebenfalls in NRW              Man erhält jetzt noch genauere Einblicke in den Alltag und das
liegen: August Macke und Otto Pankok. Der 1887 geborene                     Umfeld der Familie. Eine wichtige Quelle dazu sind die Erinne­
Macke, der Vater des „Rheinischen Expressionismus“, war der                 rungen, die Mackes Frau Elisabeth 1962 veröffentlichte.
Älteste von ihnen, fiel aber mit nur 27 Jahren als Soldat im Ersten         Sie beschrieb darin unter anderem die vom Verkehr und von
Weltkrieg. Er war als Kind mit seinen Eltern aus der westfälischen          großen Gartenflächen geprägte Umgebung des Hauses: „Im
Stadt Meschede ins Rheinland gekommen, wo Bonn seine wich-                  Frühjahr war alles in ein Meer von Blüten getaucht. Hinter dem
tigste Lebensstation wurde. Allerdings war er als Erwachsener sehr          Haus unser großer Garten, Hof, Scheune und Gemüsegarten.“
viel im In- und Ausland unterwegs und oft lange abwesend.
Legendär wurde seine Tunisreise mit Paul Klee und Louis Moilliet            Macke hat die Szenerie mehrfach gemalt. Ein noch vorhandenes
im April 1914. Auch mit Franz Marc, Wassili Kandinsky und Gabriele          Teilstück seines Gartens ist heute durch eine Glasfassade vom
Münter pflegte Macke Kontakte. Das heute ebenfalls für das                  Großstadtlärm abgeschirmt. Diese Fassade stellt gleichzeitig eine
Publikum geöffnete Münter-Haus im bayerischen Murnau am                     ungewöhnliche Verbindung zu dem modernen Erweiterungsbau
Staffelsee war einer der Orte, wo unter Mackes Beteiligung der              her, der dem Mackehaus neuerdings den dringend erforderlichen
berühmte Almanach „Der Blaue Reiter“ konzipiert wurde, durch                Platz für Wechselausstellungen, Magazine und Museumsdidaktik
den die klassische Moderne 1912 wichtige Impulse erhielt.                   verschafft. Auch ein Café gehört zum Angebot für das Publikum.
                                                                            Der verstorbene ehemalige Bundesaußenminister Guido Wester-
Macke ist als Maler weltbekannt geworden. Er entwarf aber auch              welle war ein prominenter Unterstützer des Neustarts für das
Stoffe, Möbel und Keramik. Beispiele dafür findet man in dem                Macke-Haus.
spätklassizistischen Bonner Haus, in dem er von 1911 bis 1914 mit
seiner Familie lebte. Seit fast dreißig Jahren kann man es besichti-
gen, doch jüngst wurde die Ausstellung, die auch Mackes Atelier
                                                                              Der moderne Anbau gibt dem Mackehaus Platz
                                                                              für Ausstellungen. Links der Maler mit Frau und
                                                                              Kindern im Jahr 1913.

8              August Macke Haus Bonn                                                     Die NRW-Stiftung 1|2019   Museum August Macke Haus/Axel Hartmann
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KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN                                      p
Der Kohlewüterich                                                                                     zusammengepfercht, um später das jüdische
                                                                                                     Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen“.
Kennen Sie Professor Kuchen? In der                                                                  Pankok hatte im Dritten Reich Arbeitsverbot und
„Blechtrommel“ hat Günter Grass mit dieser                                                           lebte mit seiner Frau Hulda in kleinen Orten des
Figur dem Künstler Otto Pankok ein lite-                                                             Emslandes und der Eifel. In Pesch bei Nettersheim
rarisches Denkmal gesetzt. Kuchen? Nun,                                                              versteckte das Ehepaar 1944 zwei Monate
Pankok bedeutet hochdeutsch Pfannkuchen,                                                             lang den verfolgten Maler Mathias Barz und
das Alias ist also nicht zufällig gewählt                                                            dessen jüdische Frau Brunhilde. Die israelische
– ebenso wenig wie der Professorentitel,                                                             Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte Otto
denn im wirklichen Leben lehrte Pankok von                                                           und Hulda Pankok deswegen siebzig Jahre später
1947 bis 1958 an der Düsseldorfer Kunstaka-                                                          als Gerechte unter den Völkern. 1958 erwarben die
demie. Grass, der bekanntlich auch grafische                                                         beiden das im 17. Jahrhundert erbaute Haus Esselt
Werke schuf, gehörte selbst zu den Studen-                                                           am Niederrhein bei Hünxe, wo sie mit ihrer Tochter
ten des „expressiven Kohlewüterichs“ mit                                                             Eva inmitten von Feldern, Wiesen und Wäldern
dem Motto: „Kunst, das ist schwarze                                                                  lebten. Eva Pankok starb 2016, genau fünfzig Jahre
Zeichenkohle, die sich auf weißem Papier                                                             nach ihrem Vater.
zermürbt.“ Tatsächlich vermied Pankok                                         Otto Pankok Stiftung
anders als seine farbverliebten Kollegen                                                          Heute gehört Haus Esselt der Otto Pankok-Stiftung.
Macke und Böckstiegel meist jegliche Buntheit. Seine eigene                       Im Herrenhaus ist fast alles so geblieben wie zu Lebzeiten des
Hochschulausbildung hatte er in jungen Jahren übrigens                            Künstlers, in der Werkstatt verwendet ein Drucker, der als Fünf-

                                                                                      DIE ZEHN GEBOTE
                                                                                      VON OTTO PANKOK
                                                                                      1.	Du sollst den Kitsch
                                                                                          riskieren
                                                                                      2.	Du sollst nicht für Ausstel-
                                                                                          lungen malen
                                                                                      3.	Du sollst einen Baum für                         Otto Pankok Stiftung
                                                                                          wichtiger halten als eine
                                                                                          Erfindung von Picasso           8.	Du sollst vor jedem Bild,
                                                                                      4.	Du sollst dich vor dem              das du beginnst, das Gefühl
                                                                                          persönlichen Stil hüten             haben, es wäre dein erstes

                                                                                      5.	Du sollst nur deinen            9.	Du sollst krass ablehnen,
                                                                                          Träumen trauen                      was dir nicht passt,
                                                                                                                              und wäre es Rembrandt
                                                                                      6.	Du sollst deine schlechten          oder Chagall
                                                                                          Bilder schnell vergessen
                                                                                                                         10.		Du sollst das Publikum
                                                                                      7.	Du sollst deine guten                nicht für dümmer halten als
                                                                                          Bilder nicht anbeten                 dich selbst
                                                       Otto Pankok Stiftung

 Otto Pankok, Insel mit Ilex (Stechpalme) 1936.Typisch für                               In der ehemaligen Scheune von Haus
 den Künstler waren Bilder mit Verzicht auf Farbigkeit.                                  Esselt ist das Museum untergebracht.

mit dem Stoßseufzer „Nie wieder Akademie!“ nach zwei kurzen
Anläufen in Düsseldorf und Weimar abgebrochen. Er brachte es
stattdessen als Autodidakt zur Meisterschaft.

Otto Pankok, den man nicht mit dem älteren Künstler Bernhard
Pankok verwechseln darf, wurde 1893 in Saarn bei Mülheim an
der Ruhr geboren. Nach traumatischen Erlebnissen im Ersten
Weltkrieg trat er in Düsseldorf der rebellischen Künstlergruppe
„Junges Rheinland“ bei, zu der auch Otto Dix gehörte. Noch
prägender wurde aber die Begegnung mit den Menschen einer
„wilden“ Armensiedlung auf dem Düsseldorfer Heinefeld. Hier
schloss Pankok Anfang der 30er Jahre Freundschaft mit Kindern
und Erwachsenen einer Sinti-Gruppe, die er häufig malte –
bis die Nazis die Verbindung grausam zerstörten. Der Künstler
schrieb dazu: „Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren
die Zigeuner­familien hinter den Gittern des Stacheldrahtes

                                                                                                                                       Ulrich Hermanns        9
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 zehnjähriger beim Meister lernte, sogar noch dessen Holzstöcke.
 Trotzdem wurden umfang­reiche Sanierungen und inhaltliche
 Ergänzungen zuletzt unaufschiebbar. Im Rahmen der Regionale
 2016 konnten sie in Angriff genommen werden, 2019 kommen
 sie zum Abschluss.

 Im Wohnhaus widmet sich nun ein Raum dem schriftstellerischen
 beziehungsweise künstlerischen Werk von Hulda und Eva Pankok.
 Die benachbarte Scheune, die Otto Pankok als Atelier genutzt hatte
 und die jetzt als Museum dient, erlebt ebenfalls eine Neugestal-
 tung. Die NRW-Stiftung unterstützt – wie erstmals 1992 – eine
 Erweiterung und fördert die Neukonzeption der Dauerausstellung.
 Das von vielen ehrenamtlichen Kräften getragene Haus Esselt
 kann seiner Tradition als gastfreundlicher Treffpunkt im Sinne
 der Familie Pankok so weiterhin nachkommen. Kinder sind
                                                                                                                   LWL-Medienzentrum, Greta Schüttemeyer
 ebenfalls willkommen, etwa bei Malaktionen.
                                                                            Bei Führungen können im Erdgeschoss des Wohnhauses
                                                                            auch weitgehend erhaltene Wohnräume von Otto Pankok
                                                                            besichtigt werden.

 Die Räume des Karl Junker
                                                                           südlich von Rom stellte er sich damals vor. In der ersten Hälfte
 Das Prädikat einzigartig darf wohl jeder große Künstler für sich          der 1880er-Jahre kehrte er nach Lemgo zurück, wo er nun bis zu
 beanspruchen, ganz sicher aber der 1850 in Lemgo geborene                 seinem Tod im Jahr 1912 blieb. Auf bezahlte Arbeit war er durch
 Maler, Bildhauer und Hausbauer Karl Junker. Ausgerechnet in               den Nachlass seines Großvaters offenbar nicht angewiesen.
 seinem Fall gibt es zwar einen exakt gleichnamigen Architekten,           Er widmete sich daher bald nur noch der Ausgestaltung seines
 der Mitte des 19. Jahrhunderts das berühmte Schloss Miramare              Hauses sowie seinen Gemälden und Skulpturen.
 bei Triest in Italien entwarf. Die Lebensgeschichten der beiden           Dass er etwas Ungewöhnliches schuf, war Junker bewusst.
 Namensvettern könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein: Da ein         Er war auch der einzige der hier vorgestellten Künstler, der sein
 weltläufiger Baumeister und Ingenieur, der sogar am Suezkanal             Haus schon zu Lebzeiten gegen eine Gebühr besichtigen ließ.
 mitplante – hier ein extrem zurückgezogener Individualist, der sich       Seit über hundert Jahren bestaunt das Publikum bereits dieses
 in mysteriöser Unbeirrbarkeit seine eigene Welt erschuf. Diese            singuläre Gesamtkunstwerk aus Malerei, Architektur und Plastik.
 Welt war das Lemgoer Haus, das Junker entwarf und bewohnte.               Junkers übriger Nachlass – Zeichnungen, Entwürfe, Gemälde,
 Oder sollte man besser sagen, zum Leben erweckte? Denn die                Skulpturen und Reliefs – blieb hingegen lange verborgen, fehlte es
 Räume sind von einer nicht einzudämmenden Fülle geschnitzter              doch an Präsentationsmöglichkeiten. Erst 2004 wurde hinter dem
 Formen überzogen, die selbst die Möbel überwuchern.                       Haus ein ergänzender Museumsbau für Wechselausstellungen
                                                                           eröffnet, zu dem ein gläserner Gang führt. Weil viele Menschen
 Manche Autoren haben den Schöpfer dieser verwirrenden Unruhe              sich Junkers Raumfantasien nach dem Besuch außerdem noch
 für geisteskrank erklärt. Doch solche Spekulationen blühen vor            einmal ins Gedächtnis rufen möchten, förderte die NRW-Stiftung
 allem, weil über ihn nur Grunddaten bekannt sind: Karl Junker             außer der Konservierung des eigenartigsten Künstlerhauses im
 wuchs bei seinem Großvater auf. Er machte eine Tischlerlehre und          Land auch einen opulenten Bildband dazu.
 ging auf Wanderschaft nach Hamburg, Berlin und München. In der
 Isarstadt besuchte er die Kunstgewerbeschule und die Akademie.
 Eine Italienreise führte ihn 1877/78 bis nach Neapel, auch der
                                                                            Links: Der Salon im Obergeschoss des Junkerhauses
 deutschen Künstlerkolonie im Bergstädtchen Olevano Romano
                                                                            mit geschnitzten Sesseln und Sofa sowie einem Ofen.
                                                                            Rechts: Karl Junker als Maler an der Staffelei.

                                                      Werner Stapelfeldt                                                            Museum Junkerhaus

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KÜNSTLERHÄUSER IN NORDRHEIN- WESTFALEN                                   p

                                                                    Werner Stapelfeldt                                                Werner Stapelfeldt

  Selbst die Treppenstufen im Junkerhaus sind                                            Ein Glasgang führt zum modernen Anbau auf der Garten-
  aufwendig mit dem Schnitzmesser gestaltet worden                                       seite des Junkerhauses, der seit 2004 Platz für Wechsel­
  und Teil des architektonischen Gesamtkunstwerks.                                       ausstellungen und Besucherinformationen bietet.

Die Beletage des Malerprinzen                                              In Kleve kaufte sich Koekkoek 1843 ein Grundstück vor der
                                                                           ehemaligen Stadtbefestigung und ließ dort zunächst einen
So unterschiedlich die bisher behandelten Künstler auch sind, sie          Atelierturm mit weitem Blick über die Rheinebene errichten. Einige
alle gehören der Moderne an, oft stark geprägt von Vincent van             Jahre später kam ein Palazzo im Stil der italienischen Renaissance
Gogh, im Falle Karl Junkers besonders schwer einzuordnen. Unser            hinzu, wo der „Malerprinz“ im Goldenen Salon der Beletage gerne
letzter Hausbesuch gilt hingegen dem wichtigsten nieder­ländischen         hochrangige Gäste empfing. Das Gebäude, für das Koekkoek den
Maler des 19. Jahrhunderts vor van Gogh. Sein Name: Barend                 Klever Architekten Anton Weinhagen hinzuzog, gehört zu den
Cornelis Koekkoek. Geboren wurde er 1803 als Spross einer                  herausragenden Künstlerhäusern des 19. Jahrhunderts.
Künstlerfamilie im niederländischen Middelburg. Doch mit dreißig
Jahren zog er ins niederrheinische Kleve, wo er bis zu seinem Tod
im Jahr 1862 lebte. Als Porträt- und Landschafts­spezialist knüpfte
er an Vorbilder des 17. Jahrhunderts an und wurde vor allem durch
seine in klares Licht getauchten Winter­szenen berühmt. Heutzu-
tage erzielen seine Bilder bei Auktionen teilweise Millionenbeträge,
aber der Begründer der „Klever Romantik“ konnte sich auch selbst
schon über hohe Einnahmen freuen. Kein Wunder – die Monarchen
von Russland, Preußen und den Niederlanden gehörten zu seinen
Kunden.

                         1847/48 wurde das Koekkoek-Haus
                         im damaligen „Bad Cleve“ im Stil eines
                         italienischen Palazzo erbaut. Im Hintergrund
                         erhebt sich die Klever Schwanenburg.                                                                            Anne Gossens

                                                                                                                                                    11
p KÜNSTLERHÄUSER                   IN NORDRHEIN- WESTFALEN

                          Glücklicherweise überstand es
                                                                                  B LICK PU N KT
                          den Zweiten Weltkrieg nahezu unver-
                          sehrt. Danach diente es eine Zeitlang
                          als Rathaus und ab 1960 als städtisches
                                                                                  Die NRW-Stiftung hat die Künstlerhäuser auf
                          Museum. Als letzteres 1996 ins
                                                                                  Initiative von Fördervereinen vielfach unterstützt,
                          historische Klever Kurhaus umzog, wäre
                                                                                  so das Böckstiegelhaus bei Dachreparaturen,
                          das Koekkoekhaus fast zum Geschäfts-
                                                                                  beim Außengelände und bei Werk-
                          sitz einer Bank geworden. Zum Glück
                                                                                  verzeichnissen. Im Mackehaus
                          trat der Freundeskreis „Museum
                                                                                  wurden ein barrierefreier
                          Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve“ dem
                                                                                  Lift und die Einrichtung
 Vorhaben entgegen. Unterstützung kam vom niederländischen
                                                                                  der Wohn- und Arbeits-
 „Rijksdienst Beeldende Kunst“, entscheidende Hilfe leistete die
                                                                                  räume ermöglicht.
 NRW-Stiftung, die das Gebäude 1997 erwarb und es der „Stiftung
                                                                                  Das Pankok-Museum
 B. C. Koekkoek-Haus“ zur Verfügung stellte.
                                                                                  konnte jüngst
                                                                                  erneut erweitert werden,
 Seitdem findet man in dem Museum Meisterwerke romantischer
                                                                                  auch eine DVD über
 Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, eingebettet in zeit­
                                                                                  Pankok wurde gefördert.
 genössische Wohnkultur mit kostbaren Möbeln, von denen
                                                                                  Die Restaurierung des
 Koekkoek einige noch selbst benutzt hat. Sein Haus ist zudem ein
                                                                                  Junkerhauses wurde 2001 – 2004
 deutsch-niederländischer Begegnungsort, denn unsere Nachbarn
                                                                                  unterstützt, 2014 dazu ein Bildband.
 machen ihrem bedeutenden Landsmann gerne die Aufwartung.
                                                                                  Das Koekkoek-Haus ist seit 1997 Eigentum der
 Wegen der nahen Grenze haben viele nur eine kurze Anfahrt, doch
                                                                                  NRW-Stiftung, die hier viele Maßnahmen
 das Koekkoekhaus lohnt auch weite Wege. Man muss es gesehen
                                                                                  finanziert hat.
 haben – ebenso wie das Böckstiegel-, Macke-, Pankok- und
 Junkerhaus. Nur die Reihenfolge unterliegt der Kunstfreiheit.
 Text: Ralf J. Günther

                                   Fotos: Pauline Miko

     Im Salon der Beletage stellte Barend                „Beletage“ bedeutet „das schöne Geschoss“. Diese bevorzugte Etage
     Cornelis Koekkoek seine Bilder aus.                 war meist – so auch im Koekkoek-Haus – das erste Obergeschoss.

 ANDENKEN AN KLEVE
Mit dem Gemälde „Souvenir des Clèves“ schuf B. C. Koekkoek
ein meisterhaftes Andenken an Kleve, wie er es 1847 sah.
Nach der Fertigstellung gelangte das Gemälde zunächst nach
Österreich, bevor es später in deutschen und danach in englischen
Privatbesitz kam. Als es 2012 beim Londoner Auktionshaus
Christie´s auftauchte, konnte das Bild vom Freundeskreis des
Koekkoek-Hauses zusammen mit der NRW-Stiftung und weiteren
Finanzierungspartnern ersteigert werden. Es zeigt neben der
Schwanenburg auch Koekkoeks dreigeschossiges „Belvedere“,
das heißt seinen Atelierturm. Sein etwas später errichtetes
                                                                                                                                B. C. Koekkoek-Haus Kleve
Palais fehlt hingegen noch.

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GELDERSCH LANDSCHAP EN KASTEELEN                           p

Das Besondere der NRW-Stiftung
ist ihre Verantwortung für Natur,                         ENGAGIERT FÜR DAS
Heimat und Kultur. Ein Blick über
die Grenze zu unseren nieder-
                                                          SCHÖNE GELDERLAND
                                                                                   Rob Schouten

ländischen Nachbarn zeigt, dass
es auch dort die Verbindung dieser Aufgaben gibt. Die Stiftung Geldersch Landschap &
Kasteelen, kurz GLK, kümmert sich seit 90 Jahren um Landschaften und Baudenkmäler
in der Provinz Gelderland. Direktor Peter van den Tweel schildert die Arbeit von GLK,
den Wert freiwilligen Engagements und lohnende Ausflugsziele.

Seit einigen Jahren treffen sich Vertreter der NRW-Stiftung und der   Natur und Kultur in Gelderland
GLK regelmäßig zum Erfahrungsaustausch, und die Mitglieder des
Fördervereins NRW-Stiftung besuchen auf Exkursionen Schlösser         GLK blickt auf eine lange Tradition zurück. Im Jahr 1929 gründe-
und Burgen in Gelderland. Es gibt viele Berührungspunkte, weil die    ten der damalige Kommissar der Königin, Baron Schelto van
Geschichte am Niederrhein grenzübergreifend ist. Bestes Beispiel      Heemstra, und der Mitbegründer der Organisation „Natuur­
ist der Landschaftsmaler Barend Cornelis Koekkoek, der 1803 in        monumenten“, Pieter van Tienhoven, die Stiftung „Het Geldersch
Middelburg geboren wurde und seit 1834 in Kleve lebte. Sein           Landschap“, als einige Landgüter in der Provinz Gelderland
Stadtpalais ist eines der wichtigsten Baudenkmäler Kleves. Seit       gefährdet waren. Peter van den Tweel unterstreicht die Bedeu-
1997 gehört das Haus der NRW-Stiftung und ist heute als Museum        tung dieser Initiative: „Durch ihre Bemühungen, das Gut Warns-
B. C. Koekkoek-Haus auch ein Publikumsmagnet für niederländi-         born zu erhalten, wurde auch der angrenzende Grüngürtel von
sche Gäste.                                                           Arnheim gesichert. Zum ersten Mal wurde eine Art ‚Sicherheits-
                                                                      netz‘ für den Natur- und Landschaftsschutz geschaffen.“
Peter van den Tweel ist seit 2009 Direktor von GLK. Zuvor war er
beim niederländischen Staatsforst, dem „Staatsbosbeheer“, tätig.      Im Jahr 1940 wurde dann die Stiftung „Vrienden der Geldersche
Der Wechsel damals fiel ihm nicht schwer: „An der Organisation        Kasteelen“ gegründet. Die Eigentümerin des Landgutes Hernen
reizte mich, dass sich GLK um das Kulturerbe ebenso kümmert           wollte das Schloss in eine Stiftung überführen, die eine gründ-
wie um Landschaft und Artenschutz. Ich setze mich sehr gerne          liche und umfassende Restaurierung gewährleisten sollte. Damit
für eine Organisation ein, die selbstbewusst und auf konstruktive     wurde auch für die Burgen und Schlösser in Gelderland ein
und kreative Weise für ein schönes Gelderland wirkt.“                 „Sicherheitsnetz“, wie Peter van den Tweel es nennt, geschaffen.
                                                                      Die Stiftungen haben immer unter einem Dach gearbeitet und
 Oben:                                                                haben seit längerer Zeit einen gemeinsamen Direktor. Als
 Peter van den Tweel ist seit 2009 Direktor                           logische Konsequenz wurden sie 2004 in einer Organisation zu-
 von „Geldersch Landschap & Kasteelen“,                               sammengefasst, die heute den Namen „Geldersch Landschap &
 einer Organisation zum Schutz des gelder-                            Kasteelen“ trägt. Zusammen bilden sie den größten privaten A
 ländischen Natur- und Kulturerbes.

                                                                                                                                     13
p GELDERSCH            LANDSCHAP EN KASTEELEN

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                                                                      Schloss und Park Rosendael liegen
Schloss- und Landbesitzer in den Niederlanden und einen der           südlich der Veluwe bei Arnheim.
größten in Europa. Rund 12.000 Hektar Land – darunter viele
Naturschutzflächen – gehören der Stiftung.
                                                                     Die Verantwortung für einen so großen Besitz ist aufwendig.
                                                                     Der Jahresumsatz von GLK beträgt 18,6 Mio. Euro. Peter van den
Schlosserlebnisse
                                                                     Tweel erläutert, woher die Einnahmen kommen: „80 bis 85 Prozent
GLK besitzt über 650 Bauwerke, darunter 36 Burgen, Landhäuser        der benötigten Mittel ergeben sich aus Vermietungen, Veranstal-
und Burgruinen. Die meisten Gebäude, ob alte Bauernhöfe oder         tungen, Holzverkauf aus dem Forstbesitz, Eintrittsgeldern und dem
Schlösser, sind vermietet und bewohnt. Sieben Burgen sind für die    Beitrag unserer 46.000 Spender. 15 bis 20 Prozent der jährlichen
Öffentlichkeit zugänglich. Hier taucht man tief in frühere Lebens-   Kosten, insbesondere zur Verbesserung der Qualität der Immo-
welten ein, begeistert sich Peter van den Tweel: „Wenn Sie           bilien, werden unter anderem durch Fördermittel der Provinz-
mittelalterliche Burgen mögen, sind Ammersoyen, Doorwerth            regierung, der niederländischen Postcode Lotterie und anderer
und Hernen die spannendsten Ziele. Elegante Häuser sind die          Förderprogramme gedeckt.“
Schlösser Verwolde, Cannenburch oder Rosendael. Wie es sich
für ein echtes Landgut gehört, genießt man in Zypendaal die Ruhe
                                                                     Botschafter des Kulturerbes
gleich vor den Toren Arnheims!“
                                                                     Neben den Einnahmen ist aber vor allem das freiwillige Engage-
                                                                     ment vieler Unterstützer eine große Hilfe für GLK. „Wir freuen uns
     Schloss Doorwerth in den Rheinauen bei Renkum                   über die Besucher unserer Schlösser, die mit dem Kauf ihrer
     geht auf das 13. Jahrhundert zurück.                            Eintrittskarte zum Erhalt der Denkmäler beitragen. Unsere 46.000
                                                                     Spender sind für uns durch ihre Teilnahme an Versammlungen
                                                                     und Exkursionen sehr wichtig, aber natürlich auch wegen ihres
                                                                     finanziellen Beitrags. Sie unterstützen GLK und stärken unsere
                                                                     Arbeit mit ihren besonderen Fähigkeiten oder Kenntnissen.
                                                                     Sie sind Gästeführer in unseren Schlössern und Naturschutz-
                                                                     gebieten.“ Es wird auch handfest angepackt: „Die Gemüsegärten
                                                                     und Parks würden ohne enthusiastische freiwillige Gärtner
                                                                     nicht so gut aussehen. In Wäldern und Heiden bekommen wir
                                                                     tatkräftige Unterstützung für unser Fläche­nmanagement. In den
                                                                     Schlössern sind Freiwillige bei der Sammlungspflege und im
                                                                     Museumsbetrieb aktiv.“

                                                                     Peter van den Tweel möchte die freiwilligen Helfer nicht missen:
                                                                     „Sie sind unsere Botschafter des Kulturerbes! Ich bin ein bisschen
                                                                     neidisch auf den deutschen Begriff Ehrenamtliche, der auch die
                                                                     Ehre ausdrückt, die ihnen gebührt!“ Mehr Informationen unter
                                                                     www.glk.nl

14                                                                                                            Die NRW-Stiftung 1|2019
S Ü D W E S T FA L E N S B LÜ H E N D E V I E L FA LT   p

LOKALES OBST FÜR                                         Höfe und Dörfer im südwest-
                                                         fälischen Bergland sind

EIN BLÜHENDES LAND                                       vielerorts von hochstämmigen
                                                         Obstbäumen umgeben. Nicht nur
 zur Blütezeit sind sie ein Blickfang. Neben dem Obst für den Eigenbedarf und für lokale
 Märkte bieten die Obstwiesen Lebensraum für Insekten und Singvögel, in den Höhlun-
 gen alter Stämme finden Steinkauz und Fledermäuse ideale Verstecke. Streuobstwiesen
 gelten aber mancherorts als Auslaufmodell und abgestorbene Bäume werden oft nicht
 ersetzt. Obendrein drohen das Wissen um die Identität lokaler Obstsorten und ihre
 Kulinarik in Vergessenheit zu geraten. Das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis wirkt
 dieser Erosion entgegen. Gemeinsam mit Vereinen, lokalen Initiativen und Biostationen
 kümmert sich das Projekt „Südwestfalens blühende Vielfalt erhalten“ gezielt um die
 regionalen Obstwiesen und trägt zur Vermehrung selten gewordener Sorten bei.

W
         er die südwestfälische Obstvielfalt bewahren will, muss      Inventarisieren, veredeln, nachpflanzen
         erst einmal wissen, was denn da auf den alten Streuobst-     Manche Sorten, deren Namen in der alten Fachliteratur stehen,
         wiesen bei Letmathe, Finnentrop oder Halver wächst.          gelten als verschollen. Umgekehrt gibt es zahlreiche Apfel-, Birnen-
Denn dauerhaft sichern lassen sich das Rheinische Seidenhemd-         oder Kirschbäume, die sich einer Identifizierung zu verweigern
chen, die Winterköttelbirne und die vielen Dutzend weiterer Sorten    scheinen. In solchen Fällen ist geduldige Recherche gefragt. Volker
nur, wenn man sicher identifizierte Bäume lokalisiert hat und junge   Knipp aus Schalksmühle, der das Streuobstprojekt bei der Natur-
Zweige für die vegetative Weitervermehrung von ihnen nehmen           schutzstation Märkischer Kreis koordiniert, hat schon viele Bauern
konnte.                                                               und Gartenbesitzer nach ihren Erfahrungen und Lokalnamen
                                                                      befragt. In einem großen Gebiet wie dem westfälischen Süderberg-
                                                                      land hat man für eine solche Aufgabe nie genug Verbündete.
 Der Hof Schulte-Horst bei Balve-Eisborn hält
 die Tradition des Obstanbaus im Sauerland hoch.

                                                                                                                                        15
p SÜDWESTFALENS                  B LÜ H E N D E V I E L FA LT

                                                                                            Obstbau braucht einen langen Atem: Bis aus
                                                                                            diesen jungen Bäumchen eine ökologisch
                                                                                            vollwertige Streuobstwiese geworden ist,
                                                                                            werden noch einige Jahre vergehen.

                                                                                                                                         Andre Matull

Angepasst ans Sauerland-Klima                                               So wirbt Knipp bei örtlichen Initiativen wie Obst-, Gartenbau- und
                                                                            Heimatvereinen, bei landwirtschaftlichen Kreisverbänden, Natur-
Die Streuobstwieseninitiative startet nicht bei Null. Volker Knipp          schutzgruppen, Baumschulen und Biostationen für das Projekt.
war bis Anfang 2016 an einer dreijährigen Inventur wenig bekannter          Ziel ist es, dass in der fünfjährigen Laufzeit mindestens 2.500 neue
Obstsorten in Westfalen beteiligt. Die in dieser Zeit gefundenen            Bäume gepflanzt werden, davon sollen 1.000 seltene regionale
besonders interessanten Sorten wurden bereits dokumentiert und              Sorten repräsentieren. Und die sollen möglichst dort wachsen,
durch Veredelung im Sortengarten Hemer und an anderen Stand-                wo sie historisch entstanden sind. Um Interessenten Anschauungs-
orten vermehrt. Damit stehen sie bereits jetzt für die Abgabe an            material und Vorbilder zu bieten, werden zunächst Musterobst-
Interessierte zur Verfügung. Mit 08/15-Neuzüchtungen würden sich            wiesen gepflanzt. Parallel dazu werden ein Standortkataster und
Obstliebhaber der Region keinen Gefallen tun, denn die gängigen,            eine digitale Bibliothek zur Obstbaukultur und zu den alten Sorten
auf gefällige Optik und hohe Erträge getrimmten Sorten eigenen              der Region aufgebaut. Begleitet wird das Projekt durch intensive
sich kaum fürs raue Sauerland-Klima. Zudem erfordern sie einen              Öffentlichkeitsarbeit. Über Veredelungskurse, die ab Frühjahr 2019
hohen Einsatz an Pflanzenschutzmitteln. Statt der Giftspritze               in allen LEADER-Regionen regelmäßig stattfinden, werden alte
gelten hier Meisen, Marienkäfer und Ohrwürmer als die besseren              regionale Obstsorten gezielt in der Bevölkerung verbreitet.
Schädlingsbekämpfer. Sie vertilgen Raupen und halten die Blatt-             Wenn es im Jahr 2023 endet, wollen die Biostationen die weitere
lauspopulationen klein.                                                     Betreuung der Musterbestände übernehmen, während der
                                                                            Pomologen­verein – so die Bezeichnung der Obstkundler –
                                                                            Pflege und Ausbau der Datenbank fortsetzen werden.

     Obstbäume richtig zu schneiden will gelernt sein, andernfalls tragen
     sie weniger und kleinere Früchte. Rechts: Auf einen geeigneten
     Stamm („Unterlage“) können mehrere Zweige gepfropft werden.

16                                                                                                                    Die NRW-Stiftung 1|2019
S Ü D W E S T FA L E N S B LÜ H E N D E V I E L FA LT    p

                                                                       EMPFEHLUNG FÜR APFEL-
                                                                       ALLERGIKER: ALTE SORTEN
                                                                       MIT BRÄUNENDEM ANSCHNITT
                                                                       Apfelallergiker reagieren fast ausnahmslos auch empfindlich auf
                                                                       Pollen. Besonders der Blütenstaub von Birken und vielen Gräsern
                                                                       scheint ähnliche Allergene zu besitzen wie das Fruchtfleisch
                                                                       mancher Äpfel. Alte Sorten wie Alkmene, Berlepsch, Boskoop,
                                                                       Gravensteiner oder Ontario haben allerdings deutlich schwächere
                                                                       allergene Wirkung und werden deshalb von Allergikern besser
                                                                       vertragen als Neuzüchtungen wie Braeburn, Golden Delicious,
                                                                       Granny Smith oder Pink Lady. Der Wirkmechanismus ist erst
                                                                       teilweise verstanden. Eine Rolle spielen Enzyme (Polyphen­ol-
                                                                       oxidasen), welche die Allergene deaktivieren. Die höhere Enzym­-
  Die Früchte der westfälischen Birnensorte ‚Winterkippe‘              aktivität der alten Sorten ist daran erkennbar, dass ihr Fruchtfleisch
  sind nur so groß wie Golfbälle – und ähnlich hart.                   im Anschnitt schneller braun wird. In dem Maße, in dem man das
  Als Kochbirnen sind sie bei Kennern aber begehrt.                    Bräunen und die Säure wegzüchtete, erhöhte man unbeabsichtigt
                                                                       das allergene Potenzial. www.bund-lemgo.de/apfelallergie

Wo man für guten Geschmack brennt
Zum Sortenerhalt können übrigens nicht nur Landwirte und Grund-
stücksbesitzer beitragen. Jeder Käufer von Obstsaft, Obstbrand
oder Frischobst von Streuobstwiesen stützt die Nachfrage und
damit den Fortbestand. Die Qualität mancher Früchte wird aller-
dings erst erkennbar, wenn sie als Kochbirnen oder Dörrobst
verarbeitet werden. Ein Beispiel ist die „Winterkippe“, eine Birnen-
sorte, von der bisher nur drei alte Bäume um Iserlohn-Letmathe
gefunden wurden. Als Tafelobst taugen die herben Früchte nicht.         Alte Sorten: Roter Boskoop und Winterglockenapfel.
Gekocht oder zu Obstbrand destilliert entfalten sie jedoch
ein marzipanartiges Aroma. Für eine Zukunft solcher Seltenheiten
braucht es deshalb experimentierfreudige Köche und Brenner.            B LICK PU N KT
Text: Günter Matzke-Hajek
Fotos: Naturschutzzentrum Märkischer Kreis
                                                                       Mit einem hohen fünfstelligen Betrag fördert die
                                                                       NRW-Stiftung ein bis zum Jahr 2023 angelegtes
 Die Kinder der Grundschule Wadersloh sehen
                                                                       Gemeinschaftsprojekt der Naturschutzstation
 gespannt zu, wie mit Hilfe einer Handkelter
 aus den Äpfeln frischer Saft gepresst wird.                           Märkischer Kreis e.V. und sechs
                                                                       LEADER-Regionen in Südwestfalen
                                                                       zwischen Biggesee und Lipp-
                                                                       stadt. Ziel des Projektes ist es,
                                                                       das Landschaftsbild und die
                                                                       historische Obstvielfalt durch
                                                                       das Nachpflanzen alter und
                                                                       neuer Streuobstwiesen zu
                                                                       bewahren, zugleich stützt
                                                                       das Projekt die heimische
                                                                       Biodiversität.
                                                                       www.naturschutzzentrum-mk.de

                                                    Herbert Fortmann                                                                   17
p DAS        K A I S E R - W I L H E L M - D E N K M A L A N D E R P O R TA W E S T FA L I C A

     Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der
     Porta Westfalica mit der erneuerten
     Sockelzone. Hinter den Panorama-
     fenstern liegen Besucherzentrum
     und Gastro­nomie.

 PANORAMEN AN                                                                                                                           LWL/Hübbe

 DER PORTA                              Würde man Kaiser Wilhelm heute noch auf
                                        einen Sockel stellen? Nein, der Kult von einst
 ist Vergangenheit. Das ändert aber nichts an den vielen hohen Sockeln, auf denen der
 Monarch schon seit mehr als hundert Jahren steht – und zwar in Übergröße. So ragt seine
 Statue auf dem Wittekindsberg an der Porta Westfalica beachtliche sieben Meter empor,
 der gesamte Denkmalbau hoch über dem Weserdurchbruch erreicht sogar fast neunzig
 Meter. Das Monument ist als Landmarke und Aussichtspunkt gleichermaßen beein­
 druckend, und es bietet nach umfassender Sanierung viele neue Attraktionen.
 Die historischen Hintergründe zum bronzenen Wilhelm werden jetzt in einem modernen
 Besucherzentrum erläutert.
                                                                             Nation und Provinz

D
       as Jahr 1888 ist als Dreikaiserjahr in die deutsche                   Die Einigkeit blieb bei der Planung des Vorhabens allerdings rasch
       Geschichte eingegangen. Im März starb Wilhelm I., im Juni             auf der Strecke. Fast alles war strittig, der Standort, die Größe
       sein Sohn und Nachfolger Friedrich, und noch im gleichen              und die Inschriften des Denkmals, ja, sogar die Frage, in wessen
 Monat kam Wilhelm II. auf den Thron. Unter ihm entfaltete sich ein          Namen es überhaupt errichtet werden sollte. Manche schlugen vor,
 gewaltiger Kult um den ersten Kaiser des Deutschen Reiches von              sich auf das „westfälische Volk“ zu berufen, doch es setzten sich
 1871, den man als weißbärtigen „Barbablanca“ gerne mit dem                  diejenigen durch, die lieber die konkrete Provinz Westfalen als
 mittelalterlichen Kaiser Rotbart alias Barbarossa verglich. Dass            Initiatorin des Projekts in den Mittelpunkt rückten. Das erklärt
 Wilhelm die Rolle des Kaisers in Bismarcks Staatsgründung nur               auch, warum das Monument oft in einem Atemzug als National-
 widerwillig übernommen und seine preußische Königskrone weit                und als Provinzialdenkmal bezeichnet wird. Ersteres bezieht sich
 mehr geschätzt hatte, beeinträchtigte die nationale Euphorie nicht          auf den Nationalgedanken, den es propagieren sollte. Letzteres
 weiter. Auch in der Provinz Westfalen diskutierte man daher                 entspricht der Widmungsinschrift, die es trägt: „Wilhelm dem
 schon bald über ein Denkmal zu seinem Ruhm – und zum Ruhme                  Großen – Die Provinz Westfalen“. Als Nachfolger des preußischen
 der geeinten Nation.                                                        Provinzialverbandes ist heute übrigens der Landschaftsverband
                                                                             Westfalen-Lippe Eigentümer des Denkmals.

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DA S K A I S E R - W I L H E L M - D E N K M A L A N D E R P O R TA W E S T FA L I C A           p
Elf verschiedene Standorte hatte man anfangs ins Auge gefasst.
Der härteste Konkurrent der Porta Westfalica war dabei die
Hohensyburg über der Ruhr gewesen, wo man sich über die
abschlägige Entscheidung entsprechend enttäuscht zeigte, alsbald
aber für Ersatz sorgte (siehe Kasten). Zur Einweihungsfeier auf dem
Wittekindsberg kamen am 18. Oktober 1896 fast 20.000 Men-
schen, auch Kaiser Wilhelm II. reiste an. Die Menge fand bequem
Platz, denn der Architekt Bruno Schmitz – der auch das Leipziger
Völkerschlachtdenkmal entwarf – hatte die Anlage mit einer
großflächigen Ringterrasse umgeben. Sie bot grandiose Blicke ins
Land, aber die fatale Entwicklung des deutschen Nationalismus
sorgte für umso düstere Perspektiven. Von den Verbrechen des
Dritten Reichs blieb auch der Wittekindsberg nicht verschont: Im
Zweiten Weltkrieg mussten Zwangsarbeiter unterhalb des Denk-
mals unter unmenschlichen Bedingungen einen Stollen zur
verborgenen Produktion von Rüstungsgütern ausbauen.

                                                       LWL/Medienzentrum                                                                        LWL/Hübbe

  Oben: Mitglieder des Provinziallandtags bei der Einweihungs-
  feier am 18. Oktober1896. Unten: Kaiser Wilhelm II. unternahm            Auf und unter der Terrasse
  zu diesem Anlass auch eine Kutschfahrt durch Minden.
                                                                           Gemäß alliiertem Beschluss sprengten die Briten den Stollen
                                                                           1946, wobei die Denkmalsterrasse beschädigt wurde, die ohnehin
                                                                           schon kurz nach ihrer Errichtung erste Baumängel gezeigt hatte.
                                                                           Viele Jahrzehnte lang konnte sie nur noch teilweise genutzt werden.
                                                                           Der Sockel, auf dem sie ruhte, drohte überdies abzurutschen. Erst
                                                                           die aufwendigen Sanierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben
                                                                           die Situation denkmalgerecht gerettet. Und nicht nur das: Die
                                                                           Sockelzone der Terrasse wird nun auf spektakuläre Weise genutzt,
                                                                           denn hinter großen Panoramafenstern liegen hier jetzt Gastro-
                                                                           nomie und Besucherzentrum. Letzteres erläutert multimedial die
                                                                           Geschichte des Denkmals und seiner Umgebung. Dabei führt
                                                                           eine siebzehn Meter lange Bildwand eine vielfältige Geschichts-
                                                                           und Kulturlandschaft vor Augen, in der schon die Römer ihre
                                                       LWL/Medienzentrum
                                                                           Spuren hinterlassen haben. A

WILHELM AN WESER UND RUHR
NRW-Kenner wissen: Auf der Hohensyburg                Gegenstück – besonders durch die An-
bei Dortmund gibt es ebenfalls ein Kaiser-­           wesenheit Bismarcks. Denn eigentlich waren
Wilhelm-Denkmal. Anfangs war dieser Standort          Wilhelm I. und der Reichskanzler in der
auch von der Provinz Westfalen in Betracht            deutschen Denkmalgeschichte eher Konkur­
gezogen worden. Nachdem sie aber der Porta            renten, die selten nebeneinander auftraten.
Westfalica den Vorzug gegeben hatte, finan­           Das lag vor allem an Wilhelm II., der Bismarck
zierten Ruhrindustrielle für die Hohensyburg ein      1890 im Streit entlassen hatte und keinen
eigenes Monument. Man hoffte so die Arbeiter-         Wert darauf legte, ihn neben seinem Großvater
schaft stärker für die Nationalidee begeistern        verewigt zu sehen. Bismarckdenkmäler gingen
zu können. Das Dortmunder Denkmal wurde               daher im Kaiserreich oft auf Privatinitiativen
im Dritten Reich stark verändert, aber es             zurück, sehr oft zum Beispiel auf entspre-
unterschied sich auch schon im Originalentwurf        chende Aktivitäten der Studentenschaft.
erheblich von seinem ostwestfälischen                   Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf
                                                        der Hohensyburg bei Dortmund.
                                                                                                              Rainer Halama/wikimedia commons        19
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