ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern

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ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
SONDERNUMMER 2021

ALBERT GOBAT
UND ÉLIE DUCOMMUN
Baumeister des Friedens
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
VORWORT DES STAATSSCHREIBERS

          Zu Ehren von Albert Gobat
                       Der Grosse Rat des Kantons Bern hat 2018      Albert Gobats Credo während seiner
                     beschlossen, das Andenken an Charles-         langen Karriere im Dienste des Friedens –
                     Albert Gobat (1843–1914), der 30 Jahre        eines Ideals, das für den unaufhaltsamen
                     lang Berner Regierungsrat, Ständerat und      Fortschritt notwendig ist – war es, die
                     Nationalrat war und 1902 zusammen mit         Debatte zu fördern, um Ideen zu kon-
                     Élie Ducommun den Friedensnobelpreis          frontieren, wenn auch mit Nachdruck,
                     erhielt, mit einem Kunstwerk im Berner        Kontakte zu fördern, um Zwietracht zu
                     Rathaus zu ehren. Das Parlament hat die       vermeiden, und Streitigkeiten der Schlich-
                     Regierung beauftragt, das Wirken und die      tung zu unterwerfen, um sie friedlich
Foto:                Persönlichkeit von Albert Gobat sichtbar      beizulegen. Als Generalsekretär der Inter-
Pia Neuenschwander   zu machen, damit sein bemerkenswerter         parlamentarischen Union erhielt Albert
                     Werdegang und sein Engagement allen           Gobat den Nobelpreis zusammen mit seinem
                     in Erinnerung bleiben. Das Auftragswerk       langjährigen Freund Élie Ducommun,
                     der Künstlerin Esther van der Bie, die        dem Direktor des Internationalen Frie-
                     den von der Staatskanzlei und vom Amt         densbüros. Wie Albert Gobat lebte auch
                     für Kultur ausgeschriebenen Kunst-am-         Élie Ducommun in Bern, war Mitglied
                     Bau-Wettbewerb gewonnen hat, wurde            der freisinnig-demokratischen Partei und
                     2021 im Raum über der Treppe, die von         gehörte dem Berner Grossen Rat an. Beide
                     der Rathaushalle zum Grossratssaal führt,     trugen dazu bei, dass die Stadt an der Aare
                     installiert. Dieses ausdrucksstarke, aus-     für mehrere Jahrzehnte das Zentrum der
                     sagekräftige und filigrane Werk ist das       internationalen Friedensbewegung wurde.
                     Ergebnis der Reflexion der Künstlerin über    Als Élie Ducommun 1906 starb, übernahm
                     Frieden und friedensstiftende Prozesse.       Albert Gobat die Leitung des Internatio-
                     Es spiegelt die vielen Facetten der Persön-   nalen Friedensbüros, einer Organisation,
                     lichkeit Albert Gobats sowie sein reichhal-   die wiederum 1910 mit dem Friedens-
                     tiges Lebenswerk wider. Die Komplexität       nobelpreis ausgezeichnet wurde.
                     seiner Arbeit als Politiker wird auf eine       Albert Gobat war ein regelmässiger
                     sehr zeitgemässe Weise beleuchtet. Das        Besucher im Rathaus, er leitete die Sit-
                     Kunstwerk mit dem Titel «Der Friedens-        zungen des Regierungsrates und vertei-
                     prozess – Charles-Albert Gobat» besteht       digte seine Projekte mit Überzeugung und
                     aus vier dreischichtigen Glasplatten mit      Hartnäckigkeit im Grossen Rat, zunächst
                     aufgedruckten Handmotiven – eine Wür-         als Erziehungsdirektor und später als
                     digung der Hartnäckigkeit, sich für den       Direktor des Innern. Als fleissiger,
                     Frieden zu engagieren, versinnbildlicht       ehrgeiziger und initiativer Mann sprach er
                     in der mehrschichtigen Darstellung eines      im Parlament meist Deutsch – er, der in
                     Friedensprozesses, die das Ringen um          Tramelan geborene Welsche mit Heimatort
                     Aushandlung, Zusammenfügen, Brechen           Crémines, zwei bernjurassische Gemeinden,
                     und Erneuern physisch mit real zerbor-        denen er ein Leben lang eng verbunden
                     stenem Glas umsetzt, was der Arbeit eine      blieb. Durch seine Universitätsstudien hatte
                     berührende Tiefe gibt.                        er ein inniges Verhältnis zur französischen
                                                                   und deutschen Kultur, aber vor allem ging es
                                                                   ihm darum, seine Ideen zu verteidigen, die
                                                                   dem Gemeinwohl der Menschen in Bern,
                                                                   in der Schweiz und in der Welt dienten. •

                                                                                              Christoph Auer,
                                                                             Staatsschreiber des Kantons Bern

          ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS                               PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
EDITORIAL

Sachwalter des Friedens und der Schlichtung
               Die Zeitschrift Passé simple widmet Élie                    Albert Gobat betätigte sich nach seinen
              Ducommun und Albert Gobat, die 1902                         Studien an den Universitäten Basel und
              mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet                    Heidelberg sowie an der Sorbonne in Paris als
              wurden, eine Sondernummer. Die beiden                       Jurist. Seine Fähigkeiten kamen ihm als
              heute zu Unrecht etwas in Vergessenheit                     Regierungsrat des Kantons Bern sowie als
              geratenen Männer hatten mehrere Dinge                       bernischer Vertreter im National- und Stände-
              gemeinsam. Sie beherrschten die deutsche                    rat zugute. Er führte zahlreiche Reformen
              Sprache perfekt. Als Freisinnige standen sie                im Bildungswesen und an der Universität
              für individuelle Freiheit und Fortschritt. Sie              durch. 1892 übernahm er den Vorsitz der
              setzten sich für eine aktive Rolle der Schweiz              Interparlamentarischen Union, die er bis
              in der Welt ein. Die Bundesstadt Bern sollte                1909 leitete. Nach dem Tod seines Freundes
              den Multilateralismus, die Annäherung                       Ducommun 1906 übernahm er die Leitung
              zwischen den Völkern, den europäischen                      des Internationalen Friedensbüros, das 1910
              Föderalismus, den Einsatz friedlicher Mittel,               mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet
              die Vermittlung und gute Dienste fördern.                   wurde. Der Sache Elsass-Lothringens ver-
              Die Schweiz sollte auch Gastgeberin für                     bunden, arbeitete er im Mai 1913 an der
              internationale Kongresse und Konferenzen                    deutsch-französischen interparlamentarischen
              sein und die Ansiedlung von spezialisierten                 Konferenz in Bern mit. Gobat starb im März
              Agenturen und Büros auf ihrem Boden                         1914, kurz vor Ausbruch eines Krieges,
              fördern.                                                    gegen den er so hart angekämpft hatte.
               Élie Ducommun hatte sich vor allem                          Beide Persönlichkeiten wussten die Stärken
              auf wirtschaftliche und soziale Themen                      der Schweiz, insbesondere ihre Neutralität,
              spezialisiert. Er bekleidete verschiedene                   für den Pazifismus zu nutzen. Sie verstärkten
              Ämter in der Politik und arbeitete als                      so den Ruf ihres Landes als fruchtbarer Boden
              Journalist und Übersetzer. Er beendete                      für Gespräche und Verhandlungen. Ihre
              seine Karriere bei der Jura-Simplon-Bahn                    Aktionen trugen dazu bei, die Rolle der
              und widmete sich 1891 der Gründung                          Eidgenossenschaft in der Sache des Friedens
              des Internationalen Friedensbüros. Er war                   zu etablieren und sie zu einer internationalen
              in wirtschaftlichen Kreisen und Verbänden                   Referenz zu machen. Allein aus diesem Grund
              aktiv und beteiligte sich an der Gründung                   verdienen sie es, dass man sich an sie erinnert. •
              der Berner Volksbank, der welschen Zirkel,
              der Entwicklung der Freimaurerei und der                                                      Verdiana Grossi,
              Schaffung von Sozialwohnungen.                                                                    Historikerin

              Impressum
                                                                          DECKBLATT
              Herausgeber: Christine Mercier et Justin Favrod. Layout:
              Alessandra Marchetto, Tuttorosso Communication. Foto:
              Nicole Chuard. Deutsche Übersetzung: Renato Folli,
              Staatskanzlei des Kantons Bern.
              Danksagung: Mehrere Institutionen haben Passé simple
              Illustrationen zur Verfügung gestellt. Besten Dank an das
              Schweizerische Landesmuseum, die Universität Neuenburg,
              das Centre iconographique der Bibliothek Genf, das
              bernjurassische Forschungs- und Dokumentationszentrum
              Mémoires d’Ici in St. Immer, das Staatsarchiv des Kantons
              Bern, die Kongress-Bibliothek in Washington.
              Verlag, Abonnement und Werbung:
              Magazine Passé simple Sàrl,
              rue du Château 34, CH-1510 Moudon,
              abo@passesimple.ch, +41 (0)79 433 44 89.
              Einzelverkauf in den Payot-Buchhandlungen: CHF 10.–.        Helvetia mit Olivenzweig. Postkarte des Eidgenössischen
              Jahresabo (zehn Ausgaben): Schweiz: CHF 90.–,               Sängerfests 1899 in Bern. Privatsammlung. Konzept:
              Ausland: CHF 130.–.                                         Alessandra Marchetto. Tuttorosso communication.
              Druck: Courvoisier-Attinger Arts Graphiques, Biel/Bienne

PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021                                                                                             EDITORIAL •   1
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
Kunstwerk
                                                                                    Der Friedensprozess –
                                                                                    Charles-Albert Gobat
                                                                                    von Esther van
                                                                                    der Bie im Berner
                                                                                    Rathaus zu Ehren
                                                                                    des Friedensnobel-
                                                                                    preisträgers.
                                                                                    Fotomontage.

2   • ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS   PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS

PIONIERE DES MULTILATERALISMUS
              Albert Gobat und Élie Ducommun wurden 1902 mit dem Friedensnobelpreis
              ausgezeichnet. Die beiden langjährigen Freunde waren von den gleichen
              Idealen geleitet.

                 2009 gab
                 Guinea-Bissau
                 eine Brief-
                 markenserie
                 zu Ehren der
                 Friedens-
                 nobelpreisträger
                 heraus. Hier
                 Albert Gobat
                 und Élie
                 Ducommun.
                 Privatsammlung.

                Albert Gobat und Élie Ducommun waren        sorgte Élie Ducommun (1833–1906) ab seinem sieb-
              die treibenden Kräfte hinter den ersten       zehnten Lebensjahr selbst für seinen Lebensunterhalt.
              beiden ständigen internationalen Organisa-    Er wurde ein Tausendsassa unter den Journalisten.
              tionen – der Interparlamentarischen Union     Die Wege der beiden Persönlichkeiten kreuzten sich
              und dem Internationalen Friedensbüro –,       wohl Ende der 1860er-Jahre in Bern. Ihre Ambitionen
              die in Bern gegründet wurden. Ihre Arbeit     und Energien brachten sie zusammen, woraus eine
              trug 1899 zur Gründung des Internatio-        innige Freundschaft entstand.
              nalen Schiedsgerichtshofs in Den Haag bei.      Gobat und Ducommun hatten viele Gemeinsam-
              Dieses Engagement brachte ihnen 1902          keiten. Sie hatten beide in Deutschland gelebt,
              den Friedensnobelpreis ein.                   beherrschten die deutsche Sprache und gehörten der
                Albert Gobat (1843–1914) studierte          freisinnigen Bewegung an. Ihre ideologischen Grund-
              Jura und Geschichte. Er war Student beim      lagen waren die individuelle, politische und wirtschaft-
              Historiker Jacob Burckhardt. Als Autodidakt   liche Freiheit, aber auch der Vorrang des Gemeinwohls.

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ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
ZWEI ORGANISATIONEN

                                                                          Die 1889 gegründete Interparla-
                                                                          mentarische Union ist die Welt-
                                                                          organisation der nationalen
                                                                          Parlamente. Ihr Hauptsitz war
                                                                          bis 1911 in Bern. Danach zog
                                                                          sie kurz nach Brüssel und Oslo,
                                                                          bevor sie sich 1921 in Genf
                                                                          niederliess. Sie ist ein Forum für
                                                                          Dialog, Zusammenarbeit und
                                                                          parlamentarisches Handeln. Die
                                                                          Interparlamentarische Union ist
                                                                          die älteste internationale Insti-
                                                                          tution mit politischem Charakter.
                                                                          Albert Gobat war von 1892 bis
                                                                          1909 ihr erster Generalsekretär.

                                                                          Das Internationale Friedens-
                                                                          büro war der Dachverband
                                                                          aller Friedensorganisationen. Es
                                                                          wurde in Bern gegründet und
Das Haus der Parlamente
in Grand-Saconnex,
                                                                          verlegte 1924 seinen Sitz nach
Sitz der Interparlamen-                                                   Genf. Es existiert auch heute
tarischen Union.                                                          noch. Die Vielzahl der Friedens-
Foto: Jean-Daniel Meyer.                                                  organisationen hat ihm jedoch
                                                                          die universelle Bedeutung
                                                                          genommen. Es ist die älteste
                                                                          Nichtregierungsorganisation
                                                                          der Welt. Élie Ducommun war
                                                                          sein erster Generalsekretär von
                                                                          1891 bis zu seinem Tod im
                                                                          Jahr 1906. Albert Gobat wurde
                                                                          inoffiziell und ab 1911 dann
                                                                          auch offiziell sein Nachfolger.

                                                                          In der Überzeugung, dass die
                                                                          Gesellschaft verbessert werden
                                                                          kann, setzten sie sich für
                                                                          fortschrittliche Reformen ein.
                                                                          Sie waren ehrgeizig und fleissig.
                                                                          Sie sassen beide im bernischen
                                                                          Grossen Rat, Ducommun ab
Büste von Élie
Ducommun im Genfer                                                        1869, Gobat ab 1882. Beide
Park Saint-Jean.                                                          waren       französischsprachiger
Foto: Jean-Daniel Meyer.                                                  Kultur. Gobats Heimatort liegt
                                                                          im protestantischen Berner Jura.
                                                                          Ducommun seinerseits liebte
BERTHA VON SUTTNER                                                        die französische Sprache. Davon
                                                                          zeugen seine literarischen Texte
Bertha Freifrau von Suttner gilt als Begründerin des Friedens-            ebenso wie sein wesentlicher
nobelpreises. Die österreichische Aristokratin war eng mit Alfred         Beitrag zur Gründung welscher
Nobel, dem Erfinder des Dynamits, befreundet und soll ihn beim            Zirkel in Biel, dann in Bern.
Verfassen seines Testaments inspiriert haben. Ihr Einfluss soll bei der   Beide stellten sich in den Dienst
Schaffung dieser Auszeichnung entscheidend gewesen sein. Sie war          des Friedens und gingen ähn-
Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros und wurde 1905          liche Wege.
selbst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Verleihung             Das Norwegische Nobel-
dieses Preises stiess von Anfang an auf ein grosses Echo.                 komitee verlieh ihnen 1902
                                                                          den zweiten Friedensnobelpreis.

4   • ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS                                PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
DIE HAAGER FRIEDENS-
                                                                                   KONFERENZ

                                                                                   Dank der Arbeit der Inter-
                                                                                   parlamentarischen Union und
                                                                                   des Internationalen Friedens-
                                                                                   büros konnte 1899 die Haager
                                                                                   Friedenskonferenz stattfinden.
                                                                                   Sie führte zum ersten Abkom-
                                                                                   men für die friedliche Beilegung
                                                                                   internationaler Konflikte und
                                                                                   setzte einen Schiedsgerichtshof
                                                                                   ein, der noch immer besteht.
                                                                                   Die Schweiz ratifizierte das
                                                                                   Abkommen im Jahr darauf.

                                                                                   Postkarte von 1920
                                                                                   mit der Ankündigung
                                                                                   des bevorstehenden Beitritts
                                                                                   der Schweiz zum Völkerbund.
                                                                                   Privatsammlung.

              Der erste war 1901 an Henri Dunant            geboren wurden, haben ihnen erst sehr viel
              gegangen. Dank der Arbeit von Gobat           später Tribut gezollt. Genf, die Geburtsstadt
              und Ducommun blieben die Interparla-          von Élie Ducommun, errichtete ihm 2002
              mentarische Union und das Internationale      ein Denkmal. Tramelan, wo Albert Gobat
              Friedensbüro erhalten. Als der Erste          geboren wurde, hat in letzter Zeit verschiedene
              Weltkrieg ausbrach, war es offenkundig,       Veranstaltungen organisiert und im Jahr
              dass diese beiden internationalen Organi-     2020 die Gobat-Friedensstiftung gegründet.
              sationen in ihren Bemühungen gescheitert      2002 fanden anlässlich der Nobelpreis-
              waren. Aber nach dem Ersten Weltkrieg         verleihung vor hundert Jahren in Genf und
              inspirierten diese Institutionen die Regie-   Biel Symposien mit Fachleuten der Geschichte
              rungen zur Gründung des Völkerbunds im        und der internationalen Beziehungen statt.
              Jahr 1919. Das Ziel des Völkerbunds war       Und erst kürzlich wurde im Berner Rathaus,
              das gleiche wie das von Ducommun und          dem Sitz des Kantonsparlaments, ein, Kunst-
              Gobat: Konflikte verhindern.                  werk eingeweiht, das an Leben und Werk von
                Sowohl Ducommun als auch Gobat haben        Albert Gobat erinnert. •
              lange auf eine öffentliche Anerkennung
              gewartet. Die Gemeinden, in denen sie                                 Pierre-Yves Moeschler

PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021                 ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS •        5
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS

DIE SCHWEIZ, EIN NÄHRBODEN
FÜR DEN FRIEDEN
            Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Schweizerische Eidgenossenschaft
            viele Voraussetzungen, um ein internationales Zentrum für Friedens-
            förderung zu werden. Sie konnte dabei nur gewinnen.

            Demonstration der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit 1867 in Genf, an der die «Vereinigten Staaten von
            Europa» ausgerufen wurden. Élie Ducommun war einer der Organisatoren. Bleistiftzeichnung von A. Zimmermann.
            Schweizerisches Landesmuseum.

              Gegen Ende des 19. Jahrhunderts liessen                 matischen Parkett einen Platz zu sichern.
            sich in der Schweiz viele internationale Ins-             1888 erreichte der Neuenburger Bundesrat
            titutionen nieder. Das Land war beliebt.                  Numa Droz im Übrigen, dass das Politische
            Seit 1848 herrschte dort eine Demokratie                  Departement neu zum Eidgenössischen
            der Männer, die Neutralität wurde strikt                  Departement des Äusseren wurde. Bis dahin
            eingehalten, und das Land hatte eine reine                lagen aussenpolitische Fragen in den Händen
            Verteidigungsarmee. Das reichte aus, um in                des wechselnden Bundesratspräsidiums.
            einer Zeit, in der die europäischen Mächte                  Die Wurzeln des europäischen Pazifismus
            auf dem ganzen Planeten konkurrierten,                    liegen in der Philosophie der Aufklärung.
            Einigkeit zu erzielen. Hinzu kam, dass die                Der französische Denker Charles-Irénée
            Schweiz nach neuen Märkten suchte und                     Castel de Saint-Pierre, bekannt als Abbé
            Ambitionen hatte, sich auf dem diplo-                     de Saint-Pierre, veröffentlichte Anfang des

6   • ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS                                              PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021
ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
18. Jahrhunderts sein Projekt für den
              Ewigen Frieden in Europa. Dieser Text
              beeinflusste Rousseau und Kant. Reformierte
              Kreise aller Couleur trugen ebenfalls zur
              Verbreitung dieser Lehre bei, beginnend mit
              William Penn und der Quäkerbewegung.
              Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert
              der pazifistischen Strömungen, die auf den
              Trümmern eines halben Jahrhunderts von
              Revolutionen und napoleonischen Kriegen
              gediehen. In Schottland, den Niederlanden,
              den Vereinigten Staaten und anderswo
              blühten Initiativen zur Förderung des Welt-
              friedens auf. Die Schweiz war da keine Aus-
              nahme. In Genf gründete Graf Jean-Jacques
              de Sellon 1830 die Friedensgesellschaft.
              Solche Friedensgesellschaften bestanden seit
              1816 in London und seit 1826 in New York.
                Sellon brachte in seiner Gesellschaft Patri-
              zierkreise zusammen. Dunant und Moynier,
              die der liberal-konservativen Bewegung
              angehörten, engagierten sich nach der
              Schlacht von Solferino 1859 im humanitären
              Bereich. Sie gründeten das Rote Kreuz.
              Auf den Schlachtfeldern Europas floss
              reichlich Blut: 1855–1856 der Krimkrieg,
              1866 der italienische Unabhängigkeitskrieg
              und der österreichisch-preussische Krieg
              sowie 1870–1871 der deutsch-französische         Der Berner Regierungsrat Pierre Jolissaint (1830-1896), der Élie
              Krieg. 1864 sollte die erste Genfer Konven-      Ducommun nahestand, setzte sich für den Frieden ein. Federlithografie
              tion die Opfer von Konflikten schützen.          aus der Schweizerischen Portrait-Gallerie, Zürich, Orell Füssli, 1888–1907.
                                                               Schweizerische Nationalbibliothek.
              Dunant und Moynier hatten nicht das
              Ziel, bewaffnete Konflikte zu beenden,
              sondern wollten sie in Normen fassen.            Werkstatt hatte. Beide waren ideologisch
                Auf der anderen Seite wollte die pazi-         mit ihren radikalen Vorgängern verbunden.
              fistische Bewegung die Waffen zum                Doch die Herausforderungen, vor denen sie
              Schweigen bringen. Die wirtschaftlichen          standen, waren neu. Um sich in Richtung
              Entwicklungen in der zweiten Hälfte des          der von ihnen angestrebten Modernität
              19. Jahrhunderts verstärkten den Handel.         zu bewegen, mussten Finanzen, Transport
              Neue Strassen, Eisenbahnen und Dampf-            und Infrastruktur gefördert werden. Der
              schiffe erschlossen ferne Märkte. Der Handel     Bankensektor war noch schwach und für
              wurde global. Doch mit jedem Konflikt            die Mehrheit nicht zugänglich. Der Bau
              brach die Wirtschaft zusammen. Die Ost-          von Strassen und Eisenbahnen stand auf
              frage, die die europäischen Mächte im            der Traktandenliste, ebenso die Wasser-
              östlichen Mittelmeer und auf dem Balkan          versorgung. In unterschiedlichem Masse
              betraf, die italienische Unabhängigkeit und      waren Ducommun und Gobat in diesen
              der Anschluss Elsass-Lothringens an das          Bereichen tätig, vor allem bei den Eisen-
              Deutsche Reich bedrohten die Handels-            bahnen. Hintergrund waren der Durchstich
              beziehungen. In den Augen der Pazifisten         des Gotthards, das Simplon-Projekt und
              verlangte das Primat der Wirtschaft nach         der Aufkauf der schweizerischen Bahn-
              Frieden. Die Expansion der Uhren-                gesellschaften, der 1902 zur Gründung der
              industrie spielte bei diesem Bewusstsein         SBB führte. Bahnentwicklung und Europa-
              ebenfalls eine massgebende Rolle.                politik waren untrennbar miteinander
                Es ist bemerkenswert, dass die Friedens-       verbunden. Der Tunnelbau erforderte ein
              nobelpreisträger von 1902 aus dem Land der       Verständnis für die internationale Situation.
              Uhrmacher stammten. Albert Gobat wurde           Näher an der Heimat gelegen, wurde die
              in Tramelan geboren, einem typischen             Strecke Biel-Delsberg-Basel nach der An-
              Dorf im Jurabogen, in dem die Uhren-             nexion des Elsass zur Haupteisenbahnachse
              industrie vorherrschte. Ducommun war             zwischen Frankreich und der deutschen
              der Sohn eines Uhrmachers aus Le Locle,          Schweiz. Gobat und Ducommun trugen zu
              der im Genfer Stadtteil Saint-Gervais eine       ihrem Bau und ihrer Verwaltung bei und

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ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN - Baumeister des Friedens - Kanton Bern
Die Uhrenindustrie braucht Frieden, um exportieren zu können. Eine Werkstatt in La Chaux-de-Fonds um 1884.
            Gemälde von Gustave Jeanneret. Foto: Anne de Tribolet und Clément Quellet. Universität Neuenburg.

            spielten damit eine wichtige Rolle bei der               mehr oder weniger nahestanden. Die
            Entwicklung des jurassischen Landesteils.                sozialistische Strömung schlich sich in
              Studentenverbindungen und Freimaurer-                  die Debatte ein. Gobat und Ducommun
            logen waren Schmelztiegel, in denen Ideen                waren sich dessen wohl bewusst. Sie gaben
            zur Modernisierung von Staat und Gesell-                 unterschiedliche Antworten auf die Fragen,
            schaft sprudelten. Die Liberalen wurden zu               die sich aus ihrem jeweiligen Engagement
            Konservativen. Die Radikalen hatten ihnen                ergaben. Ducommun war in der Welt
            1848 die Macht entrissen. Aber jetzt ging                der Verbände und der Privatwirtschaft
            den Radikalen die Luft aus. Neue fortschritt-            aktiver als Regierungsrat Gobat, weshalb er
            liche Köpfe, wie Gobat und Ducommun,                     natürlich mehr innovative Perspektiven sah.
            überholten sie. Sie wollten auf die Heraus-               Aber beide Freunde waren davon
            forderungen der damaligen Zeit reagieren.                überzeugt, dass Frieden für das Gemeinwohl
            Der deutsch-französische Krieg mit der                   unerlässlich sei. Sie träumten manchmal von
            Annexion von Elsass-Lothringen wirkte auf                der Gründung der Vereinigten Staaten von
            Gobat wie ein elektrischer Schlag. Er hatte              Europa, um nationalistische Spannungen
            in Deutschland und in Paris studiert. Seine              im Interesse der Allgemeinheit abzubauen.
            beiden sprachlichen Heimatländer waren                   «Nicht für sich selbst zu leben, sondern
            miteinander verfeindet, obwohl sie in seinen             für andere, das ist das wahre Glück.» Diese
            Augen die Säulen des europäischen Friedens               Worte von Élie Ducommun erschienen in
            sein sollten.                                            seiner Gedichtsammlung Derniers sourires.
              Die soziale Frage wurde immer wichtiger.               Sie hätten auch von Gobat sein können. •
            Eine wichtige Rolle spielten dabei die Rütli-
            Gesellschaft und die Gruppen, die der                                                Pierre-Yves Moeschler
            Internationalen Arbeiterassoziation (IAA)

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ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS

UNTERSCHIEDLICHE WEGE
              Élie Ducommun und Albert Gobat teilten die gleichen Ideale, setzten sich
              aber in unterschiedlichen Bereichen ein. Der eine arbeitete in der Wirtschaft
              und in Verbänden, der andere in Institutionen.

              Élie Ducommun
                Élie Ducommun war Journalist, Staats-
              schreiber des Kantons Genf, Mitbegründer
              der Schweizerischen Volksbank, General-
              sekretär der Berner-Jura-Bahn (aus der die
              Jura-Bern-Luzern-Bahn und dann die Jura-
              Simplon-Bahn wurde), erster ständiger
              Sekretär des Internationalen Friedens-
              büros, Friedensnobelpreisträger usw. Als
              er im Dezember 1906 starb, waren die
              Ehrungen einhellig, alle erwähnten sein
              unermüdliches Engagement für den Pazi-
              fismus. Sie betonten sein aussergewöhn-
              liches Talent als Generalsekretär des
              Internationalen Friedensbüros. Ihm war es
              zu verdanken, dass die Friedensbewegung
              interne Differenzen überwunden hatte.
                Dieser Aktivismus begann in einem
              Genfer Friedenskomitee. Zusammen mit
              Regierungsrat Pierre Jolissaint und Professor
              Gustav Vogt organisierte Ducommun 1867
              den ersten Kongress der Internationalen
              Friedensliga in Genf. Er war Vizepräsident
              des Organisationskomitees und wurde zur
              Seele der pazifistischen Bewegung in der
              Schweiz. 1865 verliess er Genf, um die
              radikale Zeitung Le Progrès in Delsberg zu
              leiten, wo er vier Jahre lang blieb. Er zog
              nach Bern, als er Leiter des Übersetzungs-
              dienstes des Bundesparlaments wurde.            Élie Ducommun, Grossmeister 1890 bis 1895 der Freimaurerloge Alpina.
              Gleichzeitig wurde er als Vertreter des         Centre d’iconographie der Bibliothek Genf.
              Amtsbezirks Courtelary zum Mitglied des
              bernischen Grossen Rates gewählt. Danach        divergierten die Mittel, die zur Vermeidung von
              war er verantwortlich für die Zeitschrift       Kriegen eingesetzt werden sollten, stark. Nach Ansicht
              der Internationalen Friedensliga Die            der Sozialisten hing der Frieden von der sozialen Gleich-
              Vereinigten Staaten von Europa.                 heit ab. Als Vermittler zwischen den verschiedenen
                Entscheidend war seine Freundschaft mit       Strömungen gelang es Ducommun, das Gleichgewicht
              Pierre Jolissaint aus St. Immer, der Mitglied   zu halten und sich einen soliden Ruf zu erarbeiten.
              der Berner Kantonsregierung war. Sie            Er betrachtete sich selbst als Mann der Linken, unter-
              wurde in den Reihen der Studentenver-           schied jedoch seine persönlichen Überzeugungen von
              bindung Helvetia geboren. Ducommun              seiner Funktion in der Friedensliga. Diese Haltung gab
              war von 1890 bis 1895 Grossmeister der          er nie auf, besonders als er 1891 zum Generalsekretär
              schweizerischen Grossloge Alpina. Er stand      des Internationalen Friedensbüros ernannt wurde
              dem Waadtländer Louis Ruchonnet nahe,           – eine Position, die er bis zu seinem Tod innehatte.
              der 1881 in den Bundesrat gewählt wurde.         Er jonglierte zwischen den Strömungen der internatio-
                Uneinigkeit riss die Internationale Frie-     nalen pazifistischen Bewegung, zwischen den Staaten,
              densliga auseinander. Von links bis rechts      zwischen den Auffassungen des zu schaffenden Friedens.

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Stich von 1867 über den Kongress für Frieden und Freiheit in Genf und den zur gleichen Zeit in Lausanne abgehaltenen Arbeiterkongress.
Oben links streiten sich Napoleon III. und Bismarck auf einem Schlachtfeld, eine warnende Szene, die den Krieg von 1870 vorwegnimmt.
Centre d’iconographie der Bibliothek Genf.

An Sorgen mangelte es nicht: der Machtzuwachs Deutschlands                                bei der Gründung der Berner Volksbank,
nach dem Sieg Preussens über Österreich 1866, die deutsch-                                der späteren Schweizerischen Volksbank.
französischen Spannungen seit dem Krieg von 1870–1871 und                                 Bis 1892 war er Vizepräsident dieser Bank,
die Annexion des Elsass und Lothringens. Ducommun war                                     die auf Gegenseitigkeitsbasis arbeitete.
Antriebskraft und Organisator. Er musste praktisch allein die                               Dank seiner Mehrsprachigkeit konnte sich
Korrespondenz und die Umsetzung der Beschlüsse der Kongresse                              Ducommun in den kosmopolitischsten
übernehmen. Er sprach direkt mit den Staatsoberhäuptern, zum                              Kreisen bewegen. In Biel, wo er von 1872
Beispiel mit Königin Victoria und mit dem südafrikanischen                                bis 1877 fünf Jahre lang lebte, wurde er in
Präsidenten Paul Kruger. Wann immer ein Konflikt auszubrechen                             den Stadtrat (Legislative) gewählt, dessen
drohte, schlug er ein Schiedsverfahren vor. Er hatte viele Erfolge,                       erster Übersetzer er war. Er gründete
aber auch Misserfolge. Den Zweiten Burenkrieg 1899 konnte er                              den welschen Zirkel Cercle Démocratique
nicht verhindern. Aber die Gründung im selben Jahr des Ständigen                          Romand, mit dem er eine Debatte über die
Schiedshofs in Den Haag war eine Genugtuung.                                              wirtschaftliche Zukunft der Stadt führte.
                                                                                          Mit dem Präsidenten der Rütli-Gesellschaft
Verschiedenste Tätigkeiten                                                                initiierte er die Gründung einer Lebens-
  Élie Ducommun wurde 1833 in eine Familie aus Le Locle                                   mittelgesellschaft auf Gegenseitigkeit,
geboren, die sich in Genf niedergelassen hatte. Mit siebzehn                              der Vorläuferin der Genossenschaften.
Jahren ging er nach Sachsen, um dort als Hauslehrer zu arbeiten.                          Er schlug den Bau von Sozialwohnungen
Er kehrte zweisprachig zurück: Diese Eigenschaft bestimmte                                vor. Als Mitglied der Société jurassienne
den Verlauf seines weiteren Lebens. Er wurde erst Lehrer, dann                            d’émulation unterstützte er den Kauf des
Journalist. Er selbst bezeichnete sich als Schriftsteller. In Genf                        ehemaligen Klosters Bellelay zur Errichtung
stand er der radikalen Bewegung von James Fazy nahe. Während                              einer psychiatrischen Klinik. Das Projekt
seiner Amtszeit als Staatsschreiber kam Ducommun aufgrund                                 wurde ein paar Jahre später realisiert.
der heftigen Opposition zwischen Radikalen und Liberal-                                     Er lebte in Biel und dann wieder in Bern
Konservativen zum Entschluss, Genf zu verlassen.                                          wegen seiner Tätigkeit als Sekretär der
  Seiner Meinung nach musste sich die Schweiz industrialisieren,                          Berner-Jura-Bahn-Gesellschaft. Er beauf-
um die in den europäischen Ländern vorherrschende Massenarmut                             sichtigte den Bau der Strecke von Biel
zu vermeiden. Für ihn waren niedrigere Preise der beste Weg, dies                         nach Basel, die nach dem Anschluss des
zu erreichen. Die sich entwickelnden Eisenbahnen würden Waren                             Elsass an Deutschland internationale
von dort transportieren, wo sie im Überfluss vorhanden waren und                          Bedeutung erlangte. Züge von Frankreich
billiger verkauft wurden. Kredite müssten auch für die Arbeiter-                          nach Bern und Zürich fuhren nicht
und Mittelschicht zugänglich gemacht werden. 1869 half er in Bern                         mehr über Basel, sondern über Pruntrut.

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Ducommuns Einsatz für die Eisenbahn ist von zentraler
Bedeutung für das Verständnis seines Lebenswerks.
Nach der Gründung der SBB im Jahr 1903 und deren
Übernahme der Berner-Jura-Bahn widmete er sich ganz
der Sache des Friedens.

Albert Gobat
  Albert Gobat starb am 16. März 1914 mitten in einer
Sitzung des Ausschusses des Internationalen Friedens-
büros an einem Schlaganfall. Das internationale Klima
war angespannt. Die Bündnisse, der Dreibund und die
Triple Entente, waren eingefroren. Europa stand kurz
davor, in einen Krieg zu kippen. Gobat, der 1902 mit
dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war,
setzte seine Bemühungen fort, die Katastrophe zu
verhindern. Als Verfechter der Schiedsgerichtsbarkeit
war er einer der Hauptvertreter der juristischen und
politischen Strömung des internationalen Pazifismus.
Wie Élie Ducommun betrachtete er sich als Weltbürger.
  Nach Ducommuns Tod im Dezember 1906 küm-
merte sich Gobat um die Arbeit des Internationalen
Friedensbüros, das immer mehr an Einfluss verlor.
1911 wurde er dessen Direktor. Er hatte gerade das
Generalsekretariat der Interparlamentarischen Union
aufgegeben, das er seit 1892 ehrenamtlich innehatte.
Das internationale Klima war düster. Gobat spürte
stark den Niedergang Europas, dessen Regierungen die
Prinzipien des Völkerrechts mit Füssen traten. Er war
ein vehementer Gegner der Expansionspolitik Italiens,        Albert Gobat als Staatsmann. Bestand Jean-Philippe Gobat. Mémoires d’Ici.
das 1912 den Dodekanes eroberte und sich anschickte,
in Libyen einzumarschieren. Viele Pazifisten, vor allem
in Italien, wandten sich von ihm ab. Der Frage des Elsass
und Lothringens widmete er ein Buch mit dem Titel
«Le cauchemar de l’Europe» (Der Albtraum von
Europa). Er unterstützte die Organisation einer deutsch-
französischen interparlamentarischen Konferenz in Bern.
Und er desavouierte die Nationalisten auf beiden Seiten.
  Albert Gobat forderte die Schaffung einer zwischen-
staatlichen Organisation zur Konfliktprävention. Die
globale Explosion hat ihm Recht gegeben. Der Völker-
bund wurde 1919 gegründet. Sein Scheitern führte zur
Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945.
  Als Nationalrat nahm Albert Gobat 1891 an der dritten
interparlamentarischen Konferenz in Rom teil. Die vierte
fand im folgenden Jahr in Bern statt. Er bereitete sie vor
und leitete sie. Danach wurde er ehrenamtlich ständiger
Generalsekretär der Interparlamentarischen Union.
Seine Aufgabe war es, ein Bindeglied zwischen den Parla-
menten der Mitgliedsländer zu sein, Informationen zu
verbreiten, Konferenzen zu organisieren und Vorschläge
zu unterbreiten. 1897 forderte er die Schaffung eines
internationalen Schiedsgerichtshofs. Die Haager Konfe-
renz von 1899 folgte seinem Antrag. Vor allem für dieses
Engagement wurde Gobat 1902 mit dem Friedens-
nobelpreis ausgezeichnet. Diese Auszeichnung ermutigte
ihn, seine Arbeit fortzusetzen. 1904 traf er Präsident
Theodore Roosevelt im Weissen Haus. Er erzählte ihm
persönlich von den Ambitionen der Interparlamen-
tarischen Union, eine neue Konferenz in Den Haag
abzuhalten. Diese fand 1907 statt. Britische Manöver,
um mehr Kontrolle über die Interparlamentarische             Albert Gobat mit Familie. Bestand Jean-Philippe Gobat. Mémoires d’Ici.

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Albert Gobat hat über hundert Schachteln mit
Einladungen zu Banketten und Feiern, an denen
er teilgenommen hat, aufbewahrt. Bestand Albert
und Marguerite Gobat. Mémoires d’Ici.

  12   • ALBERT GOBAT UND ÉLIE DUCOMMUN, BAUMEISTER DES FRIEDENS   PASSÉ SIMPLE • SONDERNUMMER 2021
Union auszuüben, zwangen ihn zum
Rücktritt. Danach übernahm er das Inter-
nationale Friedensbüro, das unter seiner
Leitung 1910 mit dem Friedensnobel-
preis ausgezeichnet wurde. Dieser Preis
ermöglichte ihm den Erwerb des Gebäudes,
in dem die Institution in Bern untergebracht
war. Ironischerweise lag es am Kanonenweg.
  Zeitzeugen beschreiben Gobat als
wortgewaltige Persönlichkeit, sowohl in
französischer als auch in deutscher Sprache.
Von 1882 bis 1912 war er Regierungsrat,
von 1884 bis 1890 ebenfalls Ständerat. 1890
wählte ihn das Volk in den Nationalrat,         Universitätsgebäude Bern, das auf Anraten Albert Gobats gebaut wurde.
dem er bis zu seinem Tod angehörte.             Staatsarchiv Bern.
Seine Voten und Vorstösse waren geprägt
                                                Der junge
von seiner geistigen Unabhängigkeit und         Albert Gobat
hatten das Verdienst, klar zu sein. Er war      (Mitte)
für einen starken Staat, der die Probleme       in Crémines
der Gesellschaft frontal angeht. Er verliess    mit Lehrer
sich nicht auf die Vox populi. «Alles für       Mercerat (links)
                                                und seinem
das Volk», nun denn. Aber seiner Meinung        Schwager
nach musste der Staat am Ruder sein. Er         Aimé Gobat
hatte ein starkes soziales Gewissen, aber       (Gemeinde-
der Wohlfahrtsstaat war weit von seiner         präsident
Vorstellung entfernt. Ideell stand er den       und Grossrat
                                                1862–1874).
Bundesräten Louis Ruchonnet und Numa            Bestand Jean-
Droz nahe, die sich ebenfalls mit interna-      Philippe Gobat.
tionalen Beziehungen und dem Platz der          Mémoires d’Ici.
Schweiz in der Welt beschäftigten.
  Geboren in Tramelan und heimatberech-
tigt in Crémines – zwei Gemeinden, mit          EIN PROPHETISCHES AUGENZWINKERN
denen er stets verbunden blieb – hatte er ein
offenes Ohr für wirtschaftliche Fragen. Wie     1904 überquerte Albert Gobat an Bord der Savoie den Atlantik.
sein Freund Élie Ducommun interessierte         Er war froh, von Europa, «dieser Stiefmutter», abgeschnitten zu sein.
er sich für die Eisenbahngesellschaften. Er     Er beobachtete jedoch die Arbeit des Telegraphisten und begann,
gehörte den Führungsorganen dieser Privat-      sich die Zukunft einer Welt vorzustellen, in der die Kommunikation
unternehmen an. In den 1890er-Jahren,           so einfach sein würde: «Oh, die Unwissenheit der Dinge, was für
auf dem Höhepunkt seiner Karriere,              ein köstliches Gefühl! Vielleicht wird die drahtlose Telegraphie das
wollte die Schweiz neue Märkte erobern,         ändern. Bald werden die Schiffe mit Meldungen über alles, was in
insbesondere für die Uhrenindustrie. Das        der Welt passiert, überhäuft. Postboten mit Schiffermützen laufen
Land versuchte auch, sich im Konzert der        über die Decks nach Backbord und nach Steuerbord, um den
Nationen zu etablieren. Seit 1848 genoss        Passagieren Telegramme von ihren Familien und Freunden zu
das Land bei Demokraten und fortschritt-        überbringen. Keine Erkältung, kein Brand, kein Konkurs und
lichen Menschen ein hervorragendes Image.       keine Geburt werden ihnen entgehen. [...] Aber ein philosophischer
Diese Situation war für Gobats Ideen und        Kapitän wird dem ein Ende setzen. [...] Im Bestreben, seine gute
seinen Voluntarismus besonders günstig.         Kundschaft zu behalten, wird er in fetten Buchstaben auf den
  Das Amt eines bernischen Regierungs-          Prospekt seines Schiffes schreiben: Keine drahtlose Telegraphie!»
rates diente Albert Gobat als Sprungbrett
für seine Aktivitäten. 1882 wurde er zum
Erziehungsdirektor und 1906 zum Direktor
des Innern ernannt. In der Erziehungs-
direktion liess er das Volksschulgesetz über-
arbeiten, um das Schulwesen zu stärken. Er      Die «Savoie»,
interessierte sich für die Lehrerausbildung.    fotografiert
Berufsschulen wurden eröffnet. Er leitete       zwischen 1900
den Bau des Universitätsgebäudes und            und 1905.
förderte die Eröffnung neuer Institute, wie     Prints and
                                                Photographs.
z. B. das der Veterinärmedizin. Er leitete      Library of
das Historische Museum, als das imposante       Congress,
Gebäude am Helvetia-Platz errichtet wurde.      Washington.

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DIE GESCHICHTE DER SCHWEIZ DEM VOLK ERZÄHLT

Albert Gobat ist u. a. Autor des Werks Histoire de la Suisse racontée
au peuple.
   peuple. Dieses Buch erschien im Jahre 1900 in Neuenburg und
hat 660 Seiten. Es ist reich illustriert mit Stichen, Reproduktionen
von Dokumenten und Zeichnungen. Gobat erzählt darin das
nationale Epos. Er deckt das ganze Gebiet ab und nennt seine
Helden, darunter die Reformatoren und die Führer der radikalen
Bewegung. Es ist eine Gelegenheit für ihn, seine politische
Philosophie vorzutragen: «Demokratien sind unweigerlich den
Demagogen ausgesetzt. [...] Unsinnigerweise wird den Menschen
die fatale Idee untergeschoben, dass sich die Demokratie von der
Autorität emanzipieren muss. Genauso wenig wie ein Autokrat
kann das Volk sagen: L’État c’est moi – Der Staat bin ich!»

                                              Beginn des Briefs
                                              von Ferdinand Hodler
                                              an Albert Gobat.
                                              Bestand Albert und
                                              Marguerite Gobat.          Albert Gobat veröffentlicht nach seiner Rückkehr aus den USA
                                              Mémoires d’Ici.            1905 «Croquis et impression d’Amérique». Privatsammlung.

                                               «DIE ZEIT WIRD IHNEN RECHT GEBEN»

                                               1901, während seiner Zeit als Erziehungsdirektor im Kanton Bern,
                                               kaufte Albert Gobat vier Gemälde von Ferdinand Hodler. Der
                                               Erwerb dieser Werke durch eine offizielle Institution gab der Kar-
                                               riere des Malers, der damals in der Schweiz, vor allem in Genf, heftig
                                               kritisiert wurde, einen entscheidenden Anstoss. Fünf Jahre zuvor
                                               war dem Gemälde Die Nacht sogar die Aufnahme in den Genfer
                                               Stadtsalon verweigert worden, mit der Begründung, es sei unsittlich.
                                               In seinem Brief an Gobat drückte Hodler seine Dankbarkeit aus:
                                               «Die meisten Künstler, die diesen Namen verdienen, werden Ihnen
                                               dankbar sein, dass Sie diese Erwerbung für ein Schweizer Museum
                                               gemacht haben. Ich denke auch, dass die Zeit Ihnen Recht geben
                                               wird.» Die für 25 000 Franken erworbenen Gemälde Die Nacht,    Nacht,
                                               Die enttäuschten Seelen,
                                                                  Seelen, Eurythmie und Der Tag sind wichtige
                                               Werke von Ferdinand Hodler. Sie sind nun im Kunstmuseum
                                               in Bern zu sehen.
                                                                                                    Sylviane Messerli

Gobat war ein Weltbürger, der sich für den Respekt           Vogt war einer der Organisatoren des Kongresses für
gegenüber sprachlichen und religiösen Minderheiten           Frieden und Freiheit in Genf 1867. Der Herausgeber
einsetzte. Als Anhänger der freisinnigen Partei mochte       der Zeitschrift der Internationalen Friedensliga Die
er aber den katholischen Konservatismus nicht.               Vereinigten Staaten von Europa war kein Geringerer
Er begann seine Karriere zu einer Zeit, als der Papst        als Élie Ducommun, der Gobat in die Friedensliga
den Liberalismus verdammte, was den Zorn der                 holte und zu einem seiner treuen Gefährten wurde.
Progressiven auf die katholische Kirche zog.                  Der deutsch-französische Krieg von 1870–1871 war
  Gobat wurde als gläubiger Protestant erzogen und           der eigentliche Auslöser für seine pazifistische Berufung.
kam im Alter von zwölf Jahren auf eine pietistische          Die beiden Kulturen, in die er eingetaucht war, prallten
Schule in Deutschland. Er war nicht praktizierend,           aufeinander. Das Schicksal des Kontinents hing von
obwohl sein Vater, der Pfarrer war, einen starken Ein-       ihrer Versöhnung und von der friedlichen Lösung der
fluss auf ihn hatte. Nach seinen Studien der Geschichte      elsässisch-lothringischen Frage ab. •
und der Rechtswissenschaften in Basel und Heidelberg
vervollständigte er seine Ausbildung in Paris.                                                        Pierre-Yves Moeschler
  In Bern, wo er sein Anwaltspraktikum machte, lernte
er Gustav Vogt, den Rektor der Universität, kennen.

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MARGUERITE GOBAT

                                                                                                       Marguerite Gobat
                                                                                                       mit ihrem Neffen
                                                                                                       und Adoptivsohn
                                                                                                       Pierre Moilliet,
                                                                                                       um 1928.
                                                                                                       Bestand Albert und
                                                                                                       Marguerite Gobat.
                                                                                                       Mémoires d’Ici.

 Wie die ihres Vaters Albert Gobat ist auch die Lebens-      Erziehung von Kindern jeglicher nationalen und sozialen
geschichte von Marguerite Gobat (1870–1937) recht            Herkunft. Sie war eine Friedensaktivistin, die konkret
ungewöhnlich. Als ältestes von vier Kindern verlor sie       handeln wollte. Sie zog sich etwas von der Arbeit in den
ihre Mutter Sophie, als sie achtzehn Jahre alt war. Von      internationalen Kongressen auf dem ganzen Kontinent
da an sorgte sie für die Familie und wurde die Assistentin   und in den Vereinigten Staaten zurück. Sie wollte zeigen,
ihres Vaters. Dieses Familienschicksal zwang sie, ihr        wie wir durch Bildung die neuen Generationen darauf
Musikstudium aufzugeben. Als ihr Vater 1914 starb,           vorbereiten können, der Gewalt abzuschwören. Kinder
gestaltete sie ihr Leben nach ihren eigenen Ambitionen.      müssen lernen, über Barrieren von Sprache, Nationalität,
 Anlässlich des Todes von Marguerite Gobat im Jahr 1937      politischen und religiösen Überzeugungen hinweg Be-
würdigte die Presse von Genf über Bern bis Zürich eine       ziehungen zu schaffen. Zum Zeitpunkt ihres Todes lebten
engagierte, entschlossene, moderne und unermüdliche          im Kinderheim Champ-du-Plâne sieben französische
Frau. 1928 eröffnete sie in Magglingen ein Heim für die      und sieben deutsche Kinder, von denen drei jüdisch waren.

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Demonstration für die Friedenswoche des Frauenweltbunds zur Förderung internationaler Eintracht in Genf. Marguerite Gobat war dessen erste
Generalsekretärin. Centre d’iconographie der Bibliothek Genf.

  Marguerite Gobat wandte sich 1918 der Bildung zu.                   Frauenweltbunds zur Förderung internationaler
Sie begann, in Gland zu unterrichten, in einer                        Eintracht in Genf zu übernehmen, wo sie zur Haupt-
Privatschule, die nach der Lehre der Reformpädago-                    person wurde. Gleichzeitig war sie in der Internationalen
gik versuchte, die Prinzipien der Gleichberechtigung                  Frauenliga für Frieden und Freiheit aktiv. Sie stand auch
anzuwenden. Sie stand in häufigem Kontakt mit dem                     der Suffragettenbewegung nahe und war sogar Mitglied
Institut Rousseau und Édouard Claparède. Danach übte                  dieser Bewegung. Sie versäumte es nie, für das Frauen-
sie eine Lehrtätigkeit in Nizza aus, dann in Clamart,                 stimmrecht zu werben, vor allem in den Vorträgen,
einem Vorort von Paris. Sie wurde dorthin berufen,                    die sie hielt. Sie zog Norwegen als Beispiel heran und
um eine Kindertagesstätte für die Kinder alleiner-                    argumentierte, dass die Teilnahme von Frauen am
ziehender Mütter zu organisieren. 1927 besuchte sie ihre              öffentlichen Leben einen Unterschied machen würde,
Verwandten in Lattrigen am Bielersee und beschloss, ihre              besonders im Bildungs- und Sozialbereich.
Schule in Magglingen zu eröffnen. Marguerite Gobat                      Geprägt wurde sie durch ihre Freundschaft mit Romain
hörte nie auf, an nationalen und internationalen                      Rolland, der ihr die Möglichkeit gab, dreimal Mahatma
Frauenfriedensorganisationen teilzunehmen. Sie leistete               Gandhi zu treffen. Sie wurde zu einer Aktivistin für
als Vorstandsmitglied, Organisatorin und Übersetzerin                 Gewaltlosigkeit und erklärte 1924 während eines
einen wesentlichen Beitrag zu deren Existenz. Seit sie                Kongresses in Washington: «Wir müssen radikal sein,
14 Jahre alt war, hatte sie eine Leidenschaft für Sprachen.           und wir können nicht radikal genug sein!»
In diesem Alter zog ihre Familie von Delsberg nach                      Ihr Appetit auf Kultur war gross. Sie las gerne Rabin-
Bern. Ihr Vater war dort Regierungsrat und bald darauf                dranath Tagore und verbrachte die Abende mit Scarlatti
auch Stände- und Nationalrat. In der Bundesstadt setzte               auf ihrem Klavier, manchmal zusammen mit den
Marguerite Gobat ihre Schulbildung auf Deutsch fort.                  Kindern ihrer Schwester Louise: Madeleine, Jean und
  Für die Frauenpresse nahm sie an den Sitzungen der                  André Vannod. Pierre Moilliet, ihr Neffe und Adoptiv-
eidgenössischen Räte teil und berichtete, was für Frauen              sohn, den sie nach dem Tod ihrer jüngsten Schwester
wichtig war. Erziehungsfragen waren ihr Hauptthema in                 Hélène-Valentine 1916 zu sich genommen hatte,
der Genfer Zeitschrift Aujourd’hui
                         Aujourd’hui,, an der sie seit 1918           schreibt, dass er «das Privileg hatte, mit ihr vom Tag
mitarbeitete, und später in der Beilage der Frauenzeitung             meiner Geburt bis zum Alter von 21 Jahren, als sie
Berna mit dem Titel Der Erzieher.
                              Erzieher. Überall wiederholte           starb, zu leben». Ihm verdanken wir die Übergabe des
sie, dass das Kind für sich selbst und nicht als unvoll-              Privatarchivs von Marguerite Gobat an die Stiftung
ständiger Erwachsener betrachtet werden sollte.                       Mémoires d’Ici in St. Immer.
  Marguerite Gobat unterstützte ihren Vater bei seinen                  Ihre Mitstreiterinnen waren voll des Lobes für die Phi-
Aufgaben, vor allem im Internationalen Friedensbüro.                  lanthropin und waren der Ansicht, dass sie einen Beitrag
1915 wurde sie berufen, die Leitung des Büros des                     zu einer gerechteren und friedlicheren Welt geleistet hat.

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