Alles im Überblick 2012 ... über Horizonte und Wesen hinaus - 8 Wuhrsträssler der Jetztzeit Dritttzyklus 5. Okt - 10. Nov 2012 - Sammlung ...

Die Seite wird erstellt Kristina Berger
 
WEITER LESEN
... über Horizonte und Wesen hinaus ...
Alles im Überblick 2012
mit Wuhrsträsslern und Wahnweltlern

8   Wuhrsträssler     der    Jetztzeit
Dritttzyklus 5. Okt – 10. Nov 2012
9          Wuhrsträssler       der           Jetztzeit

                           Remo Roth                     William Lutz

Andreas Dobler             Pietro Mattioli               Edi Hebeisen

Urs Frei                   Andrea Gohl                   Stefan Burger & Andrea Thal
Remo Roth

Maler, Zeichner, Grafiker und Plastiker
*     1934 Wangen an der Aare (BE)
Atelier an der Wuhrstrasse seit 1974

Remo Roth wuchs in Zürich auf und besuchte hier die           Interpretationen:
Schulen.                                                      Fritz Billeter schrieb: „Remo Roth schafft, entwirft, ermög-
                                                              licht in seinen Bildern Räume, auch wenn er sie uns vor-
Er bezog 1974 ein Atelier in der Baugenossenschaft Maler,     erst verriegelt, entzieht oder entrückt. Er suggeriert solche
Bildhauer & Architekten an der Wuhrstrasse in Zürich (In      Räume – Räume der Freiheit? –, gerade weil das Auge sie
der Nachfolge von Otto Morach), wo er bis heute arbeitet.     nicht betasten, nicht betreten, zuweilen aber noch durch
                                                              Ritzen, Spalten, wie durch beschlagene Scheiben erahnen
Seit 1959 ist er in der Zürcher Kunstszene als Maler tätig    kann.“ (Remo Roth Bilder 1983–1988)
und stellte in verschiedenen Kunsthäusern und Galerien
in der Schweiz und im Ausland aus. Er bereist seit 1965       Zitat:
– bis heute – Italien und verbringt dort regelmässig län-     «Ich frage mich, ob man mir nicht radikale Mitarbeit abver-
gere Arbeitsaufenthalte. Auch Paris (1981) und Barcelona      lange, wenn ich beschliesse, aus den dunklen, Leben-si-
(1964/67) waren Aufenthaltsorte von längerer Zeitdauer.       mulierenden Vorstellungen Genuss zu ziehen. Ich gehöre
                                                              dazu und bin sicher, dass ich bin wie andere auch, doch
Roth ist auch literarisch tätig. Seine ersten literarischen   ich weiss nicht, wie bedeutend ich den anderen erschei-
Schritte tat er 1978. Im Eigenverlag entstanden zwei Bü-      nen mag. Also beschliesse ich, auf meine irreführenden
cher mit Texten, Gedichten und Zeichnungen und ein Bild-      Darstellungen zu verzichten, um endgültig im eigenen in-
Katalog.                                                      neren Labyrinth Platz zu nehmen, wo ich weder Beengnis
                                                              noch Spuren davon sehen kann, sondern nur die Stille
                                                              eines vollkommen rätselhaften kurzen Protokolls über das
                                                              Wesen des Bildes: Das Bedeutende am Bild sind die
                                                              wunden Stellen.»
                                                              (Remo Roth)

                                                              Quellentext:
                                                              – Hantieren mit Höhlengrau / Eigenverlag Remo Roth 1993
                                                              – Nachtasyl / Remo Roth Zeichnungen – Gedichte /
                                                                Eigenverlag Remo Roth 2011
                                                              – Remo Roth Bilder 1983-1988 / Eigenverlag Remo Roth
William Lutz

Maler
* 25.11.1949         Thal (SG)
Atelier an der Wuhrstrasse

William Lutz, geboren 1949 in Thal (St. Gallen), ist von      „William Lutz (...) unternimmt geradezu eine introspektive
1961-65 Schüler des Kunstmalers Otto Rausch (1923-            Vivisektion. Seine menschlichen Figuren tragen keine in-
2000) in Thal. Von 1970-73 studiert er an der Akademie der    dividuellen Züge, haben keine persönlichen Charakteris-
Bildenden Künste in München und verbringt anschliessend       tika, sie sind die Idee der menschlichen Gestalt. Sie sind
sechs Monate in Florenz. Ab 1973 lebt er im Tessin und ist    wie auseinandergenommene Fragmente, reduziert auf das
dort während fast sieben Jahren Mitarbeiter des Architek-     Einfachste, Wesenhafte. Die Figur birgt Raum in sich und
ten Luigi Snozzi in Locarno.                                  definiert so, quasi als räumliches Gebilde, ihren Umraum.
                                                              Bewegung dringt nicht nach aussen, sondern bewirkt eine
1980 kehrt er nach Thal zurück und widmet sich nun völlig     innere Dynamisierung, die der Figur Plastizität und sinnli-
der Malerei. Ein letzter in dieser Zeit entstehender Archi-   che Erfahrbarkeit verleiht.“
tektur-Entwurf (A House for Karl Friedrich Schinkel) wird     (Margit Zuckriegl, Museum der Moderne Salzburg)
anlässlich eines Wettbewerbs von James Stirling ausge-
zeichnet. Den Winter 1981/82 und 1982/83 verbringt Lutz
in Paris, wo er Diego Giacometti begegnet. 1986 zieht er
nach Zürich. Einem Atelier an der Magnusstrasse 5 folgt
1993 eines in der Ateliersiedlung an der Wuhrstrasse.

Radierungen entstehen mit dem Kupferdrucker Kurt Zein
aus Wien. 1987 werden sie an der 17. Biennale für Druck-
grafik in Ljubljana gezeigt. 1989 folgt Lutz der Einladung
zum 4. Malersymposium in Werfen / Österreich. In den
1990er Jahren entstehen Lithografien mit dem Steindru-
cker Urban Stoob in dessen Werkstatt in St. Gallen. Neben
der Malerei wird das literarische Schreiben seit 2007 für
William Lutz zunehmend wichtiger. Auch hier, wie schon im
Bildnerischen Werk, beschäftigt er sich mit jenem Unab-
geschlossenen, Bruchstückhaften, das im Untertitel einer
Gruppenausstellung, an der er 2008 teilnimmt, so formu-
liert ist: „Eine Expedition ins Universum der Notizen und
Skizzen.“

                                                              Quellentext:
                                                              – Katalog Malersymposium Werfen 1989 /
                                                                Museumsverein in Zusammenarbeit mit dem Amt der
                                                                Salzburger Landesregierung, Kulturabteilung, 1989
                                                              – A House for Karl Friedrich Schinkel. The Japan
                                                                Architect, NO. 274, February 1980
                                                              – www.sikart.ch / Schweiz. Institut für Kunstwissenschaft
Andreas Dobler

Maler, Musiker und Dozent
* 1963         Biel
Atelier an der Wuhrstrasse

Seine Kindheit verbrachte Andreas Dobler im Aargau. Eine       für Kunst. Unter dem Pseudonym Andy Canyon tritt er als
kaufmännische Berufslehre bei Ringier AG in Zofingen gab       Gitarrist und Sänger auf, unter anderem mit der Kultband
ihm die Gelegenheit, sich ausgiebig mit den hauseigenen        Demolition Blues. Ab 2009 gemeinsame Installationen und
Boulevardmedien zu beschäftigen. In seiner Freizeit schuf      malerische Projekte mit seiner Lebenspartnerin Anna Kanai.
er Illustrationen für deutsche Science-Fiction-Fanzines und    2012 initiieren sie das Projekt Fool for April im Perla-Mode
erste surrealistische Gemälde im Elternhaus in Rothrist        Zürich. In ihrer jüngsten gemeinsamen Arbeit verzierten sie
AG. 1983 - 1985 absolvierte er die Malfachklasse an der        die Fensterscheiben des Fäkalienpalasts in der Kläranlage
Schule für Gestaltung in Basel. Ab 1986 freie künstleri-       Uster.
sche Tätigkeit. 1987 Atelier im Luwa-Areal in Zürich, wo er
überproportionierte Stilleben malte. In diesen kombinierte     Dobler ist ein Bilderjunkie, der sich von der Flut des all-
er Gegenstände mit gegensätzlichen Funktionen, welche          täglichen, kollektiven Bildmaterials berauschen lässt und
die Polaritäten Schmerz/Lust oder Schmutz/Reinigung            damit seinen persönlichen Kosmos schafft, in dem alles in
evozierten. Diese Bildserie wurde in einer ersten wichtigen    lustvoller Auflösung begriffen ist. In einem obsessiven Mix
Ausstellung 1987 in der Kunsthalle Basel gezeigt.              der Aesthetismen lebt er seinen Hang zu post-apokalyp-
                                                               tischen und krypto-geometrischen Erzählungen aus. Zu
1990 – 91 Aufenthalt im P.S.1 in New York im Rahmen            seinen beliebtesten Motiven zählen: Bancomaten in Rui-
eines Werkjahres des Bundesamt für Kultur. Nach einigen        nen, Landschaften mit Turnschuhen und Schrumpfköpfen,
Eskapaden in den szenischen Künsten als Autor und Perfor-      Teppichausverkaufskubismus, Lingeriebiotope im Shop-
mer in den Jahren 1992 -1994 kehrte er reumütig wieder zu      ping-Center, Dessertträume, Unterwassersex, an Ketten
Malerei zurück. Sein Interesse an spirituellen Phänomenen      hängende Wohnwände und im All schwebende Styropor-
wird erkennbar. Vom Wunsch nach Flucht in einen geistig        verpackungen.
erweiterten Zustand zeugen psychedelische Experimente
mit Stoffbatik, oder Mandalas aus dem Eurocard-Logo. Es
entstehen menschenleere Persiflagen von Hotelresorts, die
er aus Ferienprospekten abmalt.
Aehnlich menschenleere Projektionsflächen bieten Doblers
grossformatige Tuschmalereien unwirtlicher Planetenland-
schaften, die Ende der 90er entstehen. Sie beschwören
Parallel- und Gegenwelten herauf und vermitteln im Com-
puterzeitalter eine Zukunftsnostalgie, die an die Erfahrun-
gen der eigenen, von Science-Fiction und Fantasy gepräg-
ten Teenagerzeit anknüpft.

1996 hält er Einzug im Sommeratelier in der Badi Letzigra-
ben. Die Arbeitsumgebung in einer ehemaligen Damengar-
derobe fördert eher erotische Motive zutage: Plastisch ge-
malte Skulpturen, die auf abstrahierte organische Formen
der klassischen Moderne anspielen.

Im Atelier der Stiftung Binz 39 entstehen kerkerhafte Innen-
räume, die auf trashige Horrorästhetik verweisen. Dobler
inszeniert darin mit dem ironischen Unterton der Uebertrei-
bung seine eigene Ambivalenz zum Medium Malerei, das
für ihn Fluch und Segen zugleich ist.
                                                               Quellentext:
Ab 2001 Tätigkeit als Dozent für Malerei an der F+F Schule     – Andreas Dobler
Pietro Mattioli

Künstler, Kurator und Publizist
* 03.10.1957
Atelier und Wohnung an der Wuhrstrasse

Pietro Mattioli wurde in der Künstlergenossenschaft an der     von Publikationen und Dozent an der F+F Schule für Kunst
Wuhrstrasse geboren und verbrachte dort die frühe Ju-          und Mediendesign Zürich.
gend zusammen mit seinem Bruder. Nach dem Besuch der
Kunstgewerbeschule Zürich Mitte der 70er Jahre machte er       Interpretationen + Zitate:
eine Ausbildung zum Fotografen bei Hansjörg Henn in Zü-        Mit einer konzeptuellen Haltung erarbeitet Pietro Mattioli
rich. Seitdem ist die Fotografie das konstanteste Medium       Serien und Werkgruppen, die analog zur Idee im adäqua-
in seiner künstlerischen Arbeit. Seit Abschluss der Ausbil-    ten Medium umgesetzt werden wie z.B. Fotografie, Holz-
dung 1978 ist er freischaffend als Künstler und Kurator tä-    oder Tonskulpturen, bis Untersuchungen zu Malerei. Laut
tig. In dieser Zeit entsteht auch seine grosse fotografische   Martin Jaeggi sind es „Werke, die einen Dialog zwischen
Serie „66 Portraits Club Hey Zürich, 1977/78.“                 Fotografie und Skulptur, Raum und Bild, umreißen“ oder
                                                               wo „Fotografie als Mittel zur skulpturalen Verknappung
Seit den frühen 80er Jahren organisierte Pietro Mattioli als   der Wirklichkeit eingesetzt wird“ wie zum Beispiel bei der
Selbsthilfeprojekte mehrere Ausstellungen mit Künstler-        Serie der schwarzweißen „Antennen“. Oder wie es And-
freunden in Zürcher Privatwohnungen und Fabrikarealen.         reas Vogel zu der gleichen Arbeit formuliert; „Eine fotogra-
Neben fotografischen Arbeiten entstehen auch Serien in         fische Reihung, die kalligrafische Zeichen vor bleiernem
Druckgrafik und Material Assemblagen. Nach mehreren            Himmel festhält, welche sich ebenso als eine Ikonografie
Jahren mit Wohnsitz in London bezog er nach seiner Rück-       des Äthers lesen lässt. Diese Serie und die bekannten
kehr nach Zürich1993 Wohnung und Atelier an der Wuhr-          „Nacht“ Bilder der Serie „2000 Light Years from Home“
strasse, wo er heute mit Familie lebt.                         eint, dass sie nicht als Rechercheresultat, sondern als
                                                               Festhalten von Aufscheinendem angelegt sind. Hier nicht
Über seine Bekanntschaft mit Urs Stahel stiess er früh zum     nur ein, sondern ein letztes Aufscheinen. Als bald schon
damals kleinen Team des neuen Fotomuseum Winterthur.           demontierte Relikte des vordigitalen Zeitalters gilt für sie,
Von 1994 bis 2008 leitete er dort Aufbau und Gestaltung        was für so viele Arbeiten von Mattiolis Bildmomenten gilt:
der Ausstellungen, betreute die Sammlung und war Co-           Eben noch nicht da, jetzt schon fort.“
Kurator von Ausstellungen. In den 90er Jahren entstehen
neben Tonskulpturen u.a. die Werkgruppen: „Malerei“ Se-
rie No.1 bis No.4. Es sind Versuche, in denen sich Pietro
Mattioli der Materialhaftigkeit der Farbe selbst zuwendet.
„Pietro Mattioli malt ohne zu malen“ (Zitat Martin Jaeggi).
Ab Mitte der 90er Jahre entstehen auch wieder grössere
fotografische Serien wie „Soldaten“, „Architektur“, “Bü-
cher“, „Spinnennetze“ u.a. Neben freien kuratorischen Pro-
jekten im Inn- und Ausland leitete er u.a von 2003 - 2006
den „Raum für zeitgenössische Schweizer Fotografie“ der
CoalMine Fotogalerie in Winterthur.

Sein kulturpolitisches Engagement ist auch heute noch
präsent als Mitglied von Kommissionen wie die Kunstkom-
mission der Stadt Zürich (seit 2003) oder die Arbeitsgrup-
pe Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich (2003
– 2009) und ebenso als Präsident der Künstlergenossen-
schaft Maler und Bildhauer an der Wuhrstrasse.

Als Künstler erhielt er mehrere Stipendien des Kanton und
der Stadt Zürich und hatte zahlreiche Einzel- und Gruppen-
                                                               Quellentexte:
ausstellungen im In- und Ausland. Er ist auch Herausgeber      – Pietro Mattioli
Edi Hebeisen

Bildhauer, Maler und Kämpfer
*     30.03.1958 Zürich
+     26.03.2012 Zürich
Atelier und Wohnung an der Wuhrstrasse
1994-2013

Edi ist am 30.03.1958 geboren. Er wuchs mit seiner              Zeichnungen mit stelenartigen Ensembles. Oder das Revo-
Schwester bei seinen Eltern in Kollbrunn auf. Schon als         lutionsemblem des roten fünfstrahligen Sternes mutiert zur
Kind interessierte er sich für Kunst, damals war es die         ausdrucksstarken plastischen Figur aus Stein (Force tran-
Schauspielkunst. Nach seiner Lehre als Detailhandelsfach-       quille). „Bushes“ etwa erscheint mit den übereinander ge-
mann nahm er verschiedene Arbeit an und ging unabwend-          staffelten, schwammigen Grünflächen, die in Gelbformen
bar seinen persönlichen Interessen in der Musik und der         träufeln, als ironisch gefärbte Auseinandersetzung mit dem
Kunst nach.                                                     „abstrakten Expressionismus“.

Seit 1980 lebte Edi zusammen mit Freunden in der Stadt          Zu den frühen plastischen Arbeiten, die noch am Letzigra-
Zürich. Anfangs der 90er Jahre traf er seine frühere Liebe      ben entstanden sind, zählt die hochinteressante Sequenz
Lena Schliep. 1991 kam ihr erster Sohn Bas Hebeisen,            der 26 Handfragmente. Es handelt sich um kleinere, kuben-
1993 ihr zweiter gemeinsamer Sohn Neel Hebeisen auf die         artigen Stücke aus Porphyr, einem roten Granit, wie er im
Welt.                                                           Strassenbau verwendet wird, aus denen Fingergesten und
                                                                Handformen reliefartig herausgearbeitet sind. Der Künstler
1994 zog die 4-köpfige Familie an der Wuhrstrasse ein. 14       hat sie im Atelier auf einem Brett direkt unter der Decke
Jahre lebten und arbeiteten sie dort. Die Zeit in der Maler -   aufgereiht. Den schweigenden, rohen Stein zum Sprechen
und Bildhauerbaugenossenschaft waren für Edi die bedeu-         zu bringen, ist wohl die metaphorische Grundintention aller
tendsten Jahre in seinem Leben. Die Möglichkeit an einem        Bildhauerei.
Ort zu arbeiten und zu wohnen, war für ihn unersetzbar. In
dieser Zeit entstanden viele Arbeiten sowohl im Atelier als     Charakteristisch für seine Arbeitsweise und den Umgang
auch auf dem Werkplatz. Edi bearbeitete den Stein immer         mit Werkstoffen ist der fast durchgängige Gebrauch von
ohne Einsatz jeglicher Maschinen und brauchte bewusst           Abfallmaterialien wie Steinresten, gebrauchten Bretter und
Material, das ihm zur Verfügung stand.                          dergleichen. Diese Verwendung von Abfallstücken ist auf
                                                                den ersten Blick primär arbeitsökonomisch und ökologisch
2007 erkrankte Edi an Amyotropher Lateralsklerose. Die          begründet und richtet sich gegen die Wegwerfmentalität
Krankheit ALS, eine rasch voranschreitende, degenerative        der Konsumgesellschaft. Darüber hinaus hat sie weiterrei-
Erkrankung des Zentralen Nervensystems, verunmöglichte          chende künstlerische und ästhetische Aspekte: die Faszi-
ihm seine Tätigkeit als Steinbildhauer weiterzuführen. Es       nation für das Fragment und das Fragmentarische, die weit
entstanden noch einige letzte Bilder. Am 26.03.2012 ver-        zurückreicht bis in die Vormoderne, verbindet sich mit der
starb Edi ruhig zuhause in Anwesenheit seiner Familie. Edi      surrealistischen Idee des „objet trouvé“.
bleibt uns als kämpferischen, feinfühligen und extrem lieben     Zudem gibt die „anti-perfektionistische“ Haltung dem Im-
Menschen in Erinnerung.                                         provisativen, dem Prekären, dem Existentiellen und Künst-
                                                                lerischen Raum in Abgrenzung zur technoiden Ideologie
Noch während seiner Ausbildung (1986-88) an der Bild-           des Perfektionismus.
hauerfachklasse der Schule für Gestaltung in Basel konnte
er in Zürich zwei alte Garagen am Letzigraben ausfindig         „Steine mit Fehlern sind interessanter als die perfekten“,
machen, die ihm bis 1994 als Werkplatz dienten. Neben           sagt Hebeisen.
Arbeiten auf Papier entstanden hier erste Steinskulpturen.

Sein stilistisches Repertoire erstreckt sich von studienar-
tigen Strichzeichnungen über flächenbetonte Blätter mit
deckendem Farbauftrag bis hin zu Collagen und mixed-
media Techniken. Textelemente, ob Zitate oder eigene
                                                                Quellentext:
Formulierungen, erweitern häufig die visuellen Ausdrucks-
                                                                – aus Buch: EDI Hebeisen
formen. Nicht unerwartet ergeben sich Querverbindungen
                                                                  „bad intentions can yield good results“
zum plastischen Werk, wie etwa Studien von Händen oder            Volker Schunck, Dr. phil., Kunstwissenschaftler
Urs Frei

Objektkünstler, Skulptur, Malerei, Installation
* 01.09.1958         Zürich
Atelier an der Wuhrstrasse

Nach einer kaufmännischen Lehre in Zürich Beginn der              die Eigenschaften des Raums untersuchen. Die Balance,
künstlerischen Tätigkeit. Ende 1981 erfolgt die erste halböf-     die auf der formalen Ebene über Techniken des Anlehnens
fentliche Ausstellung im eigenen Atelier. 1982–84 dann das        oder Aufeinanderstapelns der Einzelteile hergestellt wird,
Studium an der Kunstakademie in Frankfurt a. M., 1984–87          kommt auf der Ebene der Gattungsüberschreitung erneut
folgte ein Arbeitsaufenthalt in Wien. Urs Frei erhielt Zahlrei-   ins Spiel: Die lose zusammengesetzten, bemalten Plasti-
che Stipendien und Auszeichnungen: 1985 Kanton Zürich,            ken mutieren zu aussergewöhnlichen Bildträgern. Die Far-
1987 Stadt Zürich und Kunstpreis der Schweizerischen              be, satt aufgetragen und meist von ausgeprägter Buntheit,
Bankgesellschaft, 1989 Atelierstipendium der Stadt Zürich         gewinnt die Qualität des Taktilen und tendiert selbst zur
in New York, 1993 Paul-Valéry-Anerkennungspreis. Neben            Objekthaftigkeit. Die auf allen Ebenen zu beobachtende
zahlreichen Gruppenausstellungen im In- und Ausland hat-          Ambivalenz fordert dazu auf, Fragen nach der Rolle und
te er seit 1990 mehrere Einzelausstellungen in der Galerie        Definition der Kunst zu stellen: Gattungszuweisung, Kon-
Walcheturm Zürich, 1991 Kunsthalle Luzern, 1994 Kunst-            textualisierung und Partizipation des Empfängers sind zen-
halle Zürich, 1997 Biennaledi Venezia.                            trale Themen, wobei die Begegnung mit den spielerischen
                                                                  Bricolagen immer auch die Dimension des Poetischen be-
Die in Serien angelegten Werke von Urs Frei deuten auf            inhaltet.
eine künstlerische Strategie hin, die bei den Tendenzen der
Postminimalisten Ende der 60er Jahre ansetzt. Ein Form-
zusammenhang ergibt den nächsten; spielerisch geht das
eine Werk in das andere über. Ihre gegenseitige Verket-
tung erschliesst sich in der Gesamtschau, wenn sich der
Empfänger zwischen den scheinbar ungleichartig im Raum
verteilten Materialanhäufungen bewegt. Die offene Struktur
zeigt sich sowohl in den konglomeratartigen Werken selbst
als auch in ihrer Eigenschaft, grenzüberschreitend zwischen
den Gattungen Plastik, Malerei, Installation zu schweben.

Die frühen Wand- und Bodenarbeiten sind zunächst vor-
nehmlich aus Holz: Bretter, Klötze und Rahmen sind zu Ob-
jekten verarbeitet, die Spuren von Zement oder Spachtel-
masse aufweisen. An architektonische Formen erinnernd,
sind sie meist programmatisch dort platziert, wo Wand und
Boden aufeinandertreffen. In den 80er Jahren entstehen
vermehrt Werkelemente aus der urbanen Dingwelt, sowohl
neuwertige als auch gebrauchte: Papprollen, Plastikeimer,
Tücher werden zu heterogenen Objekten gestapelt, ge-
bündelt oder aneinandergereiht und mit Farbe bearbeitet.
Ihr ambivalenter Charakter entfaltet sich zusätzlich in der
Bezugnahme zum Raum. Offen für assoziative Annäherung,
verweisen die Werke oft auf organische Formen. Ab 1990
einheitlicher wirkende Wandobjekte aus Stoffsäcken. Die
prall gestopften, kissenartigen Volumen sind bemalt und
nehmen durch umgebundene Schnüre vielfältige Formen
an. 1994 neue Werkserie: Konglomerate aus Brettern und
Stangen muten wie übergrosse, gemalte Demonstrations-
tafeln und gleichzeitig wie Bilder auf Staffeleien an. Seit
                                                                  Quellentext:
1996 entstehen auch Zeichnungen und Werkskizzen, die              – www.sikart.ch / Schweiz. Institut für Kunstwissenschaft
Andrea Gohl

Objektkünstler, Skulptur, Malerei, Installation
* 1970        Thalwil
Atelier und Wohnung an der Wuhrstrasse

Andrea Gohl wuchs in Thalwil auf und besuchte das Gym-           In ihrer neuesten Arbeit werden Oberflächenveränderungen
nasium in Zürich. Erste fotografische Versuche beginnen          einer Stadt im Wandel, die konkrete Sichtbarkeit urbanen
als Jugendliche. Fasziniert vom Arbeiten in der Dunkelkam-       Aufwertungsdrucks, untersucht. Unterschiedliche Räume
mer und Experimenten mit fotografischen Inszenierungen,          und Materialien treffen dabei aufeinander im öffentlichen
Prozessen und Materialen, entstehen erste Arbeiten.              Raum. In ihrem Kontrast und ihrer Reibung verdinglichen
                                                                 und verräumlichen sich die Spannungen, die die Stadt
Mit 19 verbringt Andrea Gohl ein Jahr in Barcelona und           durchziehen.
studiert dort an der Uni. Im darauffolgenden Jahr schliesst
sie sich einer GAF Gruppe in Zürich an, wo sich die Ausei-       Fragen zur Natur von Bildern treten in der Arbeit gleichbe-
nandersetzung über die Fotogafie intensiviert und zum Ent-       rechtigt neben die fotografische Wirklichkeitsbeobachtung.
schluss führt, Fotografie zu studieren. Mit 21 beginnt sie ihr   Die Bilder erkunden das Verhältnis von Raum und Bild-
Studium an der School of Visual Arts in New York, wo sie         raum, von materieller Wirklichkeit und zweidimensionaler
während 10 Jahren lebte und arbeitete. Die beruflichen Er-       Scheinwirklichkeit des Bildes, die Grauzone zwischen Fi-
fahrungen in New York führen über verschiedene Stationen         guration und Abstraktion. Die konkrete Substanz – Material
als Master Printerin, Künstler- und Galerieassistentin. Wäh-     und Raum – geben Umrisse und Farbskalen vor, die in der
renddessen setzt sie ihre eigene künstlerische Arbeit fort.      Begrenzung des Bildraumes in neue Bezüge treten.
Diese ist geprägt von Beobachtungen und Erfahrungen
in der Stadt, stets suchend nach Bildern und Räumen, die
diesen Erfahrungen Ausdruck verleihen können.

Nach ihrer Rückkehr nach Zürich 2001 fokussiert sie vor-
allem auf ihr künstlerisches Arbeiten und lebt seit 2005 an
der Wuhrstrasse. Andrea Gohl unterrichtet seit 2003 Foto-
grafie und leitet seit 2008 den Studiengang Fotografie an
der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich.

Andrea Gohl beschäftigt sich in ihrer fotografischen Arbeit
mit Fragen über Raum, räumliche und skulpturale Aspekte
in vorgefundenen Situationen, in Architektur und Stadt und
der Frage nach der fotografischen Darstellbarkeit.

Die kontinuierliche künstlerische Auseinandersetzung mit
verschiedenen Orten und Umfeldern bildet die Basis ihrer
Arbeiten. Es entstanden Bilder an Orten öffentlichen Ge-
schehens, aber auch in Innenräumen, in Wohnzimmern,
Schlaf- und Arbeitsräumen: Serien über Korridore in New
York, ein einfaches Zimmer mit Bett, über Vorhänge, Fens-
ter und Ausblicke, über städtische Telefonkabinen in Zürich
etc.

In ihrem Langzeitprojekt Urban Walks wurden verschiede-
nen Städte bewandert und nach möglichen Bildern unter-
sucht. Der Stadtraum ist dabei gleichsam Atelier, Kulisse
und Bühne, ein letztlich undurchschaubares Labyrinth von
Vergangenheit und Gegenwart, von Planung und Zufall.
                                                                 Quellentext:
                                                                 – Andrea Gohl
Stefan Burger
* 1977           Müllheim / Baden, Deutschland

Andrea Thal
* 1975           Bern

Stefan Burger und Andrea Thal studierten nacheinander
Fotografie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst
Zürich und gaben sich Epoche-übergreifend („Die Klasse“ -
„Die Klasse Magazin“) die fotografische Klinke in die Hand.

Nach einigen Jahren verschiedentlicher und getrennter Ak-
tivität fanden sie ab 2005 in gemeinsamen Ausstellungs-,
Editions- und Publikationsprojekten als Künstler und Kura-
torin zusammen. z.B. „Portrait of Stefan Burger as a Pencil
of Nature“ (2005), „Kleinere Unsicherheitsgesellschaften“
(2006), beide bei Les Complices*, Zürich, Publikation
„Block 2008“, Edition Fink, Zürich.

In ihrer ersten gemeinsamen künstlerischen Arbeit wählen
sie für das Vorhaben die Örtlichkeit Wuhrstrasse als sozi-
ales Gefäss und architektonisches Monument zu porträtie-
ren das Medium Film. Der Film versucht unterschiedliche
und ineinander verschränkte Bedeutungsschichten des
Gebäudes freizulegen und zu benennen: Das Abstrahlen
der schweizerischen Hochmoderne (Kratzer, Dellen, Beu-
len), Quietschender Funktionalismus, Paranormale Vor-
gänge in der Frankfurter Küche. ... im geerbten Aufbruch
gestrandet um voller Zuversicht den Balast der Geschichte
und dinglicher Kunst hinter sich zu lassen.

                                                              Quellentext:
                                                              – Stefan Burger
Sie können auch lesen