AMTLICHES BULLETIN - BULLETIN OFFICIEL - Parlament CH

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AMTLICHES BULLETIN – BULLETIN OFFICIEL
                   Ständerat • Frühjahrssession 2002 • Elfte Sitzung • 20.03.02 • 08h20 • 02.3017
           Conseil des Etats • Session de printemps 2002 • Onzième séance • 20.03.02 • 08h20 • 02.3017

02.3017

Dringliche Interpellation Schmid Carlo.
Gotthard. Aufhebung
der Dosierungsmassnahmen

Interpellation urgente Schmid Carlo.
Tunnel du Gothard. Suppression
des mesures de régulation du trafic

CHRONOLOGIE

STÄNDERAT/CONSEIL DES ETATS 20.03.02

Cottier Anton (C, FR): M. Schmid Carlo demande la discussion. – Ainsi décidé.

Schmid Carlo (C, AI): Sie werden verstehen, dass ich als Präsident der Astag mit dieser Antwort des Bundes-
rates nicht zufrieden bin. Ich danke daher für die Diskussion.
In seiner Antwort auf meine dringliche Interpellation erklärt der Bundesrat, dass ihm eine dauerhafte Be-
wirtschaftung des Schwerverkehrs im Gotthard-Strassentunnel als unumgänglich erscheine. Das heisst mit
anderen Worten, dass er das Dosierungssystem am Gotthard auf Dauer aufrechtzuerhalten gedenkt. Zur Be-
gründung führt er zwei Argumente an, ein sicherheitstechnisches und ein verkehrspolitisches. Ich möchte
darauf eingehen.
Das sicherheitstechnische Argument besteht darin – der Bundesrat führt das ausführlich aus –, dass jeder
Fahrzeugbrand in einem Tunnel zu einer lebensbedrohlichen Gas- und Rauchentwicklung führe. Mit modernen
Absaugelüftungen könne dieser Effekt deutlich verringert werden. Der Bundesrat verweist auf verschiedene
Studien, in denen man sich unter Tunnelexperten weltweit geeinigt habe, Brandlüftungen auf eine Leistungs-
grenze von 30 Megawatt auszulegen, was in etwa der Brandleistung eines normalen Lastwagens entspreche.
Ich will diese Zahlen nicht anzweifeln, obwohl es sich hier nicht um Zahlen handelt, die von verschiedenen
Instanzen erhärtet, sondern um Zahlen, die in verschiedenen Studien immer wieder von der gleichen Quel-
le übernommen worden sind. Immerhin scheint mir dieses Sicherheitsargument, so, wie es dasteht, nicht
schlüssig. Wenn man annimmt, dass die Brandleistung eines einzigen Lastwagens 30 Megawatt beträgt, und
wenn man bedenkt, dass sich die Brandleistung bei der Frontal- oder Auffahrkollision kumuliert, dann mutet
es eigenartig an, dass die Uno-Studie von 2001 wie zuvor der Astra-Schlussbericht vom Jahre 2000 über die
Tunnelsicherheit feststellen, dass man nach Absprache auf europäischer Ebene vorschlage, bei der Dimen-
sionierung der Tunnellüftungen eine Brandleistung von 30 Megawatt einzusetzen. Mit anderen Worten: Man
legt die Absaugekapazität der Brandlüftungen genau auf die untere Brandleistung eines Lastwagens aus. Was
sind die Gründe, dass man die Entlüftungskapazität nicht auf die kumulierte Brandleistung eines Auffahrunfalls
oder einer Frontalkollision auslegt?
Die Studien geben darauf keine Antwort. Würde man die Entlüftungskapazität verdoppeln, wäre das sicher-
heitstechnische Argument der Überschreitung der Brandlüftungskapazität beim Brand zweier Lastwagen schlag-
artig weg. Das sicherheitstechnische Argument ist daher keineswegs so zwingend, wie der Bundesrat dies
darstellt. Es enthält einen "gewillkürten", einen politischen Aspekt. Man könnte die Entlüftungsleistung so er-
höhen, dass auch die Effekte von Frontalkollisionen beherrscht werden können – genau so, wie sie jetzt beim
Brand eines Lastwagens beherrscht werden können –, aber man tut es nicht. Ich frage mich warum.
Es kommt dazu, dass der Bundesrat auch in einer anderen Hinsicht seine sicherheitstechnischen Überle-
gungen nicht sauber und konsequent durchführt. Der Bundesrat hat nämlich auch keine Bedenken, andere
Tunnels im Gegenverkehr befahren zu lassen, z. B. den Belchentunnel, obwohl dieser mit 37 700 täglichen
Tunneldurchfahrten im Jahr 1999 – und zwar über alle Kategorien – das Doppelte an Verkehrsleistung des
Gotthardtunnels zu tragen hat. Hier hilft dem Bundesrat die Statistik weiter. Er operiert mit der so genann-
ten Ereigniswahrscheinlichkeit. Das ist eine Kumulation oder eine Multiplikation der täglichen Verkehrslast mal
eine bestimmte Fahrbahnbreite. Hier muss ganz klar darauf hingewiesen werden, dass erstens einmal die Si-
tuation am Belchen nicht mehr jene ist, wie sie vor zwei Jahren war. Der Belchentunnel ist heute nicht mehr

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zweispurig, er ist einspurig. Dadurch verringert sich der Strassenquerschnitt, und die Ereigniswahrscheinlich-
keit erhöht sich. Man kann also heute nicht mehr davon ausgehen, dass die Ereigniswahrscheinlichkeit am
Gotthard dreimal grösser ist als im Belchentunnel. Vor allem aber sollten Sie überlegen, ob diese statistische
Operation tatsächlich stimmt. Denn die Ereigniswahrscheinlichkeit ist ein – nicht im mathematischen Sinn ver-
standen – imaginärer Wert. Denn er berücksichtigt eine ganze Reihe von anderen Ereignisparametern nicht.
Es zeigt sich auch daran, dass diese Ereigniswahrscheinlichkeit in dieser Hinsicht nicht ganz hieb- und stich-
fest ist, dass z. B. die Einfahrten in den relativ kurzen Rongellentunnels weit über diesem statistisch denkbaren
Ereigniswahrscheinlichkeitsniveau liegen. Es kommt eben nicht nur auf den durchschnittlichen täglichen Ver-
kehr, die durchschnittliche Tunnellänge und Tunnelbreite an, sondern auch auf spezifische Besonderheiten der
einzelnen Tunnels.
Ich muss feststellen, dass mich die sicherheitstechnischen Argumente bis jetzt nicht überzeugt haben. Die Ar-
gumentation bezüglich der Entlüftungsleistung bei einem Brand beruht auf einem "gewillkürten" Akt. Man könn-
te sie verdoppeln, und damit wäre die Gegenfahrbahn wieder zu öffnen. Die Durchführung der Dosierungs-
massnahmen ist, soweit sie sicherheitstechnisch begründet sind, nicht konsequent in der ganzen Schweiz
durchgeführt, was mich an der Tauglichkeit der sicherheitstechnischen Argumentation zweifeln lässt.
Ich bin weit davon entfernt, die Sicherheitsrisiken nicht ernst zu nehmen; ich bin kein Zyniker. Wenn ich die
Öffnung des Gotthardtunnels für den Gegenverkehr fordere, dann will ich Ihnen ganz klar sagen: Ich bin in
dieser Hinsicht nicht anders als Sie oder als der Bundesrat. Auch ich befasse mich mit dem Gedanken, was
passiert, wenn wir morgen den Tunnel öffnen und übermorgen wieder ein Unfall passiert. Solche Überlegungen
mache ich mir natürlich auch.
Aber trotzdem: Es gibt keine absolute Sicherheit. Auch die Alternativen zum Dosierungssystem bieten keine
absolute Sicherheit. Der tragische Unfall, bei dem südlich von Wien ein Huckepackzug von einem anderen
Zug gerammt wurde, wobei sechs Lastwagenchauffeure ums Leben kamen und Dutzende verletzt worden
sind, zeigt deutlich – das wissen wir eigentlich –, dass auch die Bahn nicht absolut sicher ist; vom Unfall ei-
nes ICE-Zuges in Deutschland mit Dutzenden von Toten gar nicht zu sprechen. Vor allem auch der Unfall im
Gotthardtunnel hat nichts an der Tatsache geändert, dass er nach wie vor wenn nicht der sicherste, so doch
einer der sichersten Strassentunnels in Europa ist. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil er einen Rettungs-
stollen hat und weil er z. B. in der Grössenordnung etwa einen Meter breiter ist als der Montblanctunnel. Die
technische Ausführung des Gotthardtunnels ist einwandfrei; man könnte die Sicherheit verdoppeln, wenn man
wollte. Was aber ins Gewicht fällt, ist, dass in technischer Hinsicht der Verkehr im Tunnel während zwanzig
Jahren hervorragend klappte und er aufgerüstet werden könnte.
Im Bereich der Fahrer und der Fahrzeugtüchtigkeit, der zweiten Komponente der Sicherheit in einem Tunnel,
sind natürlich rigorose Massstäbe anzulegen. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Hier sind für "Camper" mit
9 Tonnen, gefahren von Personen, die einmal pro Jahr einen Anhänger anhängen und dann wieder abhän-
gen, die Sicherheitsstandards genau gleich durchzuhalten. Die Risiken kumulieren sich also nicht nur bei den
Lastwagenfahrern. Aber ich will Ihnen gerne zugeben: Wenn es Chauffeure gibt wie jenen osteuropäischen
Chauffeur, der vor kurzem mit 3,43
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Gewichtspromillen Alkohol gestoppt werden konnte, dann ist das ein Krimineller, und wenn Leute während
zwanzig Stunden oder mehr ununterbrochen am Steuer sitzen, so ist das ein Übelstand. Diesen decken wir
nicht, und hier muss rigoros durchgegriffen werden.
Ich bin davon überzeugt, dass man mit den genannten Massnahmen den Gegenverkehr im Gotthard-Stras-
sentunnel nicht auf Dauer aufhalten darf. Sicherheitstechnische Argumente können das nicht untermauern.
Man kann es auch deswegen nicht tun, weil das Dosierungssystem am Gotthard auf Dauer nicht tragbar ist,
weder für die Anwohner der A2 – auch für jene der A13 nicht – noch für die Chauffeure, die stundenlang im
Stau stehen müssen, noch für die Wirtschaft, die unter diesem System leidet.
Ich könnte Ihnen aus diesem Bereich x-Dutzend Beispiele anbringen. Ich will Ihnen nur fünf Beispiele kurz
darlegen: Ein Chauffeur berichtet, am 13. März habe er für einen Transport vom Tessin in den Raum Basel von
14.15 Uhr bis 19.15 Uhr während fünf Stunden bei Ambri im Stau stehen müssen. Er brauchte insgesamt neun
Stunden vom Tessin nach Basel. Am gleichen Tag, berichtet ein anderer Chauffeur, sei er, ebenfalls auf der
Route Tessin-Basel, um 17.15 Uhr im Tessin in den Stau geraten und habe bis 21.30 Uhr im Schritttempo in
Richtung Gotthard fahren müssen; dann habe er auf der Autobahn ohne Toilette und ohne Verpflegungsmög-
lichkeit übernachten müssen und habe am anderen Tag um 05.20 Uhr weiterfahren können; an Informationen
habe er nichts erhalten. Am 14. März berichtet ein Unternehmer aus der Urschweiz, er sei am Ende: Seit
Jahren fahre er die Route Tessin und zurück und habe früher täglich zwei Fuhren machen können. Heute

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sei maximal eine Fuhre möglich, er stehe am Rande des Ruins. Am 6. März, so berichtet ein Ostschweizer
Unternehmer, stand ein Lastwagen, der um 10.15 Uhr Stabio verlassen hatte und um etwa 15.00 Uhr in St.
Gallen hätte ankommen müssen, seit 11.00 Uhr im Stau bei Soazza; er konnte dann um 14.15 Uhr losfahren
und kam erst gegen 17.30 Uhr in St. Gallen an. Die Konsequenzen sind Verzögerungen bei der Weitervertei-
lung der Güter. Es gibt eine Firma namens Orior Food Logistic AG, welche eine Verteilzentrale in Langenthal
führt. Weil die Lieferungen aus dem Tessin stets verspätet sind und mit den ordentlichen Dispositionen nicht
mehr in Übereinstimmung gebracht werden können, müssen die verspätet eintreffenden Fuhren aus dem Tes-
sin mit zusätzlichen Fremdtransporten weitergeleitet werden. Es entstehen zusätzliche Kosten zwischen 2000
und 2500 Franken pro Tag und rund 10 000 Franken pro Woche wegen der Verspätungen und wegen der
zusätzlichen Fremdfuhren. Das sind unhaltbare Zustände!
Nun weiss ich natürlich, dass das Dosierungssystem – das ist ja das zweite Argument des Bundesrates – auch
einen verkehrslenkenden Effekt hat. Ich sage es hier auch wieder einmal deutlich: Wir sind für die Verlage-
rungspolitik, aber wie soll man verlagern, wenn es nichts gibt, worauf man verlagern kann? Mir kommt hierzu
das Nachtgebet des hungernden Mönchs in den Sinn – es stammt, wie ich glaube, von Chaucer: "Give me a
good digestion, Lord, and also something to digest." Geben Sie mir endlich eine Bahn, Herr Bundesrat, auf die
ich verlagern kann! Die Bahn ist weder baulich noch betrieblich, noch finanziell in der Lage, ein vernünftiges
Verlagerungsangebot zu machen. Die Neat haben wir noch nicht, der Gotthard-Eisenbahntunnel ist für die
heute gängigen Lastwagen zu wenig hoch. Das haben nicht die Transporteure zu verantworten, sondern es ist
die Folge einer asynchronen Verkehrspolitik.
Als wir das Landverkehrsabkommen abgeschlossen haben, wussten wir, dass damit eine Rückverlagerung in
die Schweiz geschehen würde. In der Botschaft des Bundesrates vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der
sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG schreibt der Bundesrat unter Ziffer 261.43 auf Seite
157 der deutschen Fassung: "Auf der anderen Seite verursacht die Schweiz Umwegverkehr schwer beladener
LKW über Frankreich und Österreich. Eine der wichtigsten Zielsetzungen des Abkommens ist deshalb die
Verwirklichung des Prinzips des kürzesten Wegs im Güterverkehr. Auf den gesamten Alpenraum betrachtet
führt dies zu einer geringeren Umweltbelastung. Davon profitiert auch die Schweiz, denn Umweltbelastungen
sind aufgrund der Schadstoffverfrachtungen nicht nur ein lokales Problem." Auf gut Deutsch: Wir mussten
damit rechnen, dass mit diesem Landverkehrsabkommen mehr Verkehr in die Schweiz hereinkommt.
Auf der anderen Seite haben wir es verpasst, Auffanggefässe bereitzustellen, welche diesen Verkehr hätten
übernehmen können. Die Konsequenz ist heute der tägliche Kollaps dieses alpenquerenden kontinentalen
Transitgüterverkehrs. Leider ist die Bahn auch betrieblich nicht in der Lage, das Angebot zu verbessern. Es
fehlen Niederflurwagen in hinreichender Anzahl, um die mangelnde Tunnelhöhe für eine wirksame Verlagerung
überbrückend sicherzustellen. Die verfügbaren Zeitfenster für einen raschen Transit durch die Alpen auf der
Schiene sind zu dünn gesät und lagen bei der rollenden Landstrasse Rola am Gotthard zeitlich ungünstig.
Finanziell gesehen ist die Bahn immer noch viel zu teuer. Ein Transit Freiburg-Novara kostet bei Tag 570, in
der Nacht 757 Franken. Die LSVA Basel-Chiasso kostet rund 150, für Leerfahrten 60 Franken. Wenn Sie eine
Vollkostenrechnung machen, dann sehen Sie, dass die Strassenkosten ohne Stau etwa bei einem Drittel der
Bahnkosten liegen, bei einem Stau von vier Stunden etwa bei zwei Dritteln.
Die Vorwürfe an die Transporteure, sie benützten die Bahn nicht, sind unbegründet. Sie können sie nicht
benützen. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür geben, was im Moment kontinental abläuft.
Eine grosse Luzerner Transportfirma, die international tätig ist, führt für ein Stahlwerk im Raume Lüttich Spe-
zialstähle nach Italien – auf der Bahn! Diese Firma hat diesen Auftrag im letzten Februar verloren, weil der
Auftraggeber mit der Qualität des Bahntransports nicht mehr einverstanden war. Strassenseitig ist das im letz-
ten Jahr praktizierte System – so schlecht es auch war – dem heutigen vorzuziehen, sofern endlich Stauräume
ausserhalb der Autobahnen erstellt werden und auch zollseitig mit neuen Technologien die Abfertigung im Tran-
sit automatisiert werden kann. Dem Binnenverkehr ist der Vorzug zu geben. Es kann nicht sein, dass unser
Binnenverkehr wegen unserer Belastung mit internationalen Verpflichtungen zusammenbricht.
Ich glaube, der Bundesrat hätte Möglichkeiten, in dieser Frage auch mit Europa nochmals über die Bücher
zu gehen. Artikel 47 des Landverkehrsabkommens gibt ihm die Möglichkeit zu so genannten konsensuellen
Schutzmassnahmen, und in Artikel 48 ist eine Zusammenfassung der Massnahmen im Fall einer Krise sti-
puliert. Es geht so weit, dass der Bundesrat bei bestimmten empfindlichen Beförderungsarten wie z. B. dem
Transport leicht verderblicher Lebensmittel dem Binnenverkehr den Vorrang geben könnte. Es geht aber nicht
nur um die leicht verderblichen Lebensmittel, er kann das auch bei anderen Gütern machen.
Wir stehen unter dem Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit, auch im Bereich der Verwaltung und des Bundes-
rates. Aber wir stehen auch unter dem Eindruck, dass die offizielle Verkehrspolitik sich eigentlich wenig um
das Schicksal der Transporteure kümmert. Das Schicksal der Transporteure steht zweifellos nicht im Zentrum

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der Interessenlage des Bundesrates. Aber es vermittelt den Transporteuren ein Gefühl der Perspektivlosigkeit,
der Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, es sei vollendet egal, wie es ihnen geht – Hauptsache, es wird eine Politik
durchgezogen. Das war auch bei den verschiedenen verkehrspolitischen Abstimmungen in diesem Land nicht
die Meinung des Volkes! So politisieren die Schweizer nicht!
Ich wäre sehr dankbar, wenn der Bundesrat auch ein offenes Ohr für diese Anliegen hätte, für Kreise, die durch-
aus hinter der Verkehrsverlagerungspolitik des Bundes stehen, sie aber im Moment nicht vollziehen können
und daher auch auf die Zusammenarbeit und die Begleitung durch die Bundesinstanzen und die kantonalen
Instanzen angewiesen sind.
Unsererseits haben wir von einem "runden Tisch" gesprochen. Ich wäre dankbar, wenn der Bundesrat diese
Signale
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ernst nähme. Insgesamt bin ich der Auffassung, dass auch die Öffnung für den Gegenverkehr am Gotthard mit
den entsprechenden Massnahmen zu diesen vernünftigen Lösungen gehören muss.

Leuenberger Ernst (S, SO): Auch wenn Herr Carlo Schmid für seine Verhältnisse jetzt sehr "cool" gesprochen
hat, ist sein Ziel schriftlich festgehalten, liegt auf dem Tisch des Hauses und heisst "Aufhebung der Dosie-
rungsmassnahmen".
Der Zufall will es, dass genau vor vier Wochen die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen dieses Rates
Anhörungen zu diesem Thema durchgeführt hat und insbesondere – neben dem Bundesrat und dem Bundes-
amt für Strassen –, namentlich die politisch verantwortlichen Regierungsräte aus den drei hauptbetroffenen
Kantonen des Alpendurchgangs angehört hat: den Tessiner, den Bündner und den Urner Verantwortlichen.
Ich nehme vorweg, dass man sich zuletzt in der Kommission mehr oder weniger auf die Formel geeinigt hat:
Das Dosierungskonzept ist die am wenigsten schlechte Massnahme. Die Optimisten haben gesagt, es sei im
Moment die bestmögliche Massnahme, auch wenn sie selbstverständlich immer verbesserungsfähig sei. Die
ausdrückliche Frage, ob denn jemand die Verantwortung für die Rückkehr zum Zustand vor dem schrecklichen
Unfall im Oktober 2001 übernehmen möchte, ist von keinem Mitglied der Kommission dergestalt beantwortet
worden, dass jemand diese Verantwortung hätte übernehmen mögen.
Man darf schlussendlich die Frage auch hier stellen: Ist jemand, der sich zu den seriösen Stützen auch der
Verkehrspolitik in diesem Lande zählt, heute bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass das System
wieder eingeführt wird, wie es vor dem Unfall vom Oktober 2001 bestanden hat? Ich muss Ihnen sagen: Alles,
was ich bisher zu dieser Frage gehört habe, hat mir eigentlich Anlass zur Annahme gegeben, dass sich dieser
Verantwortliche nicht finden lässt.
Es sind mir bei diesen Anhörungen der Kantonsvertreter einige Dinge aufgefallen, die mich inzwischen sehr
beschäftigen, auch wenn ich die damals gemachten Äusserungen in Relation zu dem setze, was uns teil-
weise die Tagespolitik oder die Tagespresse serviert. So sagte beispielsweise der politisch Verantwortliche,
der zuständige Staatsrat aus dem Tessin, er finde, dass der Bundesrat mit seinem Konzept von täglich etwa
3500 bis 3700 LKW sehr hoch liege. Er selbst würde aus Tessiner Sicht eine Menge von 3000 bis 3200 LKW
am Gotthard eigentlich als die optimale obere Grenze anschauen. Das korrespondiert eigenartig mit der jetzt
erhobenen Forderung: Subito Aufhebung der Dosierungsmassnahmen!
Ich denke, der Bundesrat sollte und kann diesem Wunsch nicht nachgeben, auch wenn er heute – ich sage
es noch einmal – sehr sachlich vorgetragen wurde; im Nationalrat wird er morgen vermutlich etwas lauter
vorgetragen werden. Ich möchte Herrn Carlo Schmid aber bei Folgendem hundertprozentig unterstützen. Er
hat fast gebetsartig zum Bundesrat gesprochen: Gib mir nicht das tägliche Brot, aber eine Eisenbahn, die in
die Bresche springen und die ihren Beitrag an das von uns politisch definierte Ziel der Verkehrsverlagerung
leisten kann.
Zwar haben wir den ersten Verlagerungsbericht des Bundesrates noch nicht erhalten. Wir warten mit Interes-
se darauf und werden dann sicher in den Kommissionen und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch im
Plenum dieses Rates wieder darüber diskutieren. Aber eines wissen wir, das muss man der Ehrlichkeit halber
sagen: In der Sichtweise der Leute, vor allem auch der Anwohnenden, findet die Verlagerung nicht in genügen-
dem Masse statt. Die Bahnen selber sagen ja, sie hätten noch freie Kapazitäten. In diesem Zusammenhang
gibt es eine Reihe von sehr ernsthaften Fragen zu erörtern, mit dem Bundesrat, zwischen dem Bundesrat und
den Bahnen und vermutlich im Zusammenhang mit der Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SBB und
vielleicht auch bei der Bahnreform zwischen dem Parlament, dem Bundesrat und den Bahnen.
Eine Geschichte, die mir auffällt, ist folgende: Das letzte publizierte Finanzergebnis der SBB ist jenes des
Jahres 2000; jenes von 2001 ist noch nicht publiziert, ich kenne es auch noch nicht. Dieses Finanzergebnis

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des Jahres 2000 hat uns etwas gezeigt, was uns im Zusammenhang mit der Verlagerungspolitik grosse Sorge
bereiten muss: Es hat damals ergeben – die Infrastruktur muss ja nach den entsprechenden Weisungen der
Politik null auf null aufgehen –, dass der Personenverkehr einen gewissen Gewinn in der Grössenordnung
von 60 Millionen Franken gemacht hat. Der Güterverkehr hat trotz einer extremen Auslastung, trotz enormen
Zunahmezahlen bei der Tonnage und auch bei den Tonnenkilometern einen Verlust von rund 60 Millionen
Franken produziert. Auf Nachfrage hin hat man gesagt: Das ist eben die Folge davon, dass wir unseren Bei-
trag zur Verlagerung haben leisten wollen und geleistet haben. Wir haben uns damit erhebliche Mehrkosten
aufgehalst.
Das wirft natürlich Fragen auf. Wenn uns der Bundesrat bei unseren zwei- oder dreimonatlichen Streitereien
über die Eisenbahn immer sagt, er wolle, dass die Schweizer Bahnen Unternehmungen sind, die nach un-
ternehmerischen, betriebswirtschaftlichen Grundsätzen funktionieren, dann müssen die Bahnen angesichts
dieser Rechnungslegungstatsachen im Prinzip sagen: Es reicht uns, mehr können wir gar nicht übernehmen.
Denn jede Tonne, die wir zusätzlich transportieren, erhöht nur unsere Verluste. Das wäre eine fatale Ent-
wicklung. Der Bundesrat muss mit den Bahnen auch über diese Geschichte sprechen und dabei weniger in
den Vordergrund stellen – das füge ich als persönlichen Wunsch bei –, dass man erneut harte und härteste
Sparmassnahmen im Personalbereich einleitet. Er sollte vielleicht halt auch darüber sprechen, dass die Ver-
kehrsverlagerung Geld kostet. Im Übrigen hat sich dieses Parlament in dieser Hinsicht ja recht grosszügig
gezeigt.
Ein dritter Punkt, den ich gerne ansprechen möchte – und da habe ich vermutlich wieder eine Differenz zu
Herrn Schmid; ich bin zwar gar nicht so sicher –, ist diese ganze Geschichte der Kontrollen. Wenn die Medien
etwas genüsslich, das gebe ich zu, solche Einzelfälle ans Tageslicht zerren, wo irgendjemand fehlbar gewor-
den ist, dann will ich es hier als 150-prozentiger Eisenbahner bekennen: Das Gros der lastwagenfahrenden
Chauffeure sind sehr seriöse, sehr ernsthafte, sehr hart arbeitende Menschen, die mit Berufsstolz und auch
mit einem Berufsethos an ihre Arbeit herangehen. Das ändert nichts daran, dass gerade im Interesse dieser
grossen Zahl der seriösen, der ernsthaft arbeitenden Lastwagenchauffeure die Kontrollen verstärkt werden
müssen, damit die schwarzen Schafe wirklich im Sinne von Herrn Escher den Wölfen vorgeworfen werden
können. Wir können es uns nicht leisten, dass da Sicherheitsrisiken zirkulieren, und ich bin überzeugt davon,
dass es sich der Bundesrat durchaus auch im Einvernehmen mit dieser übergrossen Mehrheit der seriösen
Chauffeure leisten kann, den Kantonen noch etwas Dampf zu machen, damit diese Kontrollen auch verstärkt
werden.
Es geht nicht nur um den Konsum von irgendwelchen Betäubungsmitteln wie Alkohol, es geht auch um die
ganze Frage der Ruhezeiten. Selbst wir sind nach zwölfstündigem Arbeitstag gelegentlich nicht mehr voll ein-
satzfähig. Falls je ein "runder Tisch", wie ihn Herr Schmid anregt, zustande kommen sollte, wäre es in dieser
Hinsicht sehr wichtig, dass dann durchaus auch die Arbeitnehmenden an diesem "runden Tisch" Platz fänden,
weil es bisher der von Herrn Schmid geleiteten Vereinigung Astag – das will ich hier öffentlich beklagen – noch
nicht gelungen ist, flächendeckend, schweizweit, geordnete und vertraglich geregelte Arbeitsbeziehungen zu
schaffen. Wir haben vor kurzem, vor dem 3. März, in jeder Wirtsstube gehört, wie wichtig die Sozialpartnerbe-
ziehungen seien. Damals hat man über die gesetzliche Regelung von Arbeitszeiten gestritten, und Sie haben
mit einem gewissen Recht gesagt, das sei nicht Sache des Gesetzes, sondern solche Dinge seien in den
Verträgen zu regeln. Wohlan, Herr Kollega Schmid, ich würde
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mich darüber freuen – ich wäre dann nicht Ihr Partner, denn meine Leute fahren auf Schienen –, eines Tages
in der einschlägigen Presse zu lesen, dass die Astag mit den schweizerischen Personalverbänden der Chauf-
feure am Tisch sitzt und vertragliche Regelungen vereinbart, durchaus im Sinne des Schutzes der seriösen,
der ernsthaft arbeitenden Lastwagenfahrer.
Ich schliesse damit, dass ich den Bundesrat bitte, sich nach allem, was wir aus den betroffenen Kantonen
hören, heute nicht dazu drängen zu lassen, das Dosierungskonzept vorzeitig aufzuheben.

Inderkum Hansheiri (C, UR): Es sei erlaubt, den unmittelbaren Gegenstand der Interpellation Schmid Car-
lo in etwas grösserem Zusammenhang zu sehen, wie das ja übrigens der Interpellant selber und soeben
Kollege Leuenberger auch getan haben. Da möchte ich mit der Feststellung beginnen, dass uns bei jeder
Beantwortung eines Vorstosses, der direkt oder indirekt den Transitverkehr zum Gegenstand hat, seitens des
Bundesrates in Erinnerung gerufen wird, das Ziel der schweizerischen Verkehrspolitik bestehe darin, den tran-
sitierenden Schwerverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern, mit dem infrastrukturseitigen Mittel
Neat und dem massnahmenseitigen Mittel Fiskalität, also in erster Linie mit der LSVA und mit flankierenden

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Massnahmen, sprich: mit dem Verkehrsverlagerungsgesetz.
Mit diesem Ziel sind wir gewiss alle einverstanden. Es darf, ja muss aber auch erlaubt sein, die Erreichbarkeit
dieses Zieles einmal kritisch zu hinterfragen. Offensichtlich dürfte sein, dass das Verlagerungsziel nur dann
erreicht werden kann, wenn die Infrastrukturanlagen und die betrieblichen Abläufe der Bahn sowie die finan-
ziellen Bedingungen bahn- und strassenseitig so konzipiert sind, dass die Schweiz auf der Schiene, bezogen
insbesondere auf die Faktoren Zeit und Preis, im Verhältnis zur Strasse zumindest – ich möchte sagen –
gleichwertig durchfahren werden kann.
Ich gestehe es offen: Ich habe hier ganz erhebliche Zweifel, ob wir dieses Ziel mit den beschlossenen Massnah-
men erreichen können, und zwar im Wesentlichen aus den folgenden zwei Gründen:
1. Die Neat, so wie sie jetzt beschlossen wurde, wird nicht die Eigenschaft eines durchgehenden Transportsy-
stems mit gleichwertigen Leistungen hinsichtlich Kapazitäten und Geschwindigkeiten haben. Engpässe beste-
hen einerseits, zumindest teilweise, an der Grenze und anderseits und vor allem im Vorlauf zu den Basistunnels
und hier insbesondere im Vorlauf zum Gotthard-Basistunnel, weil aus Kostengründen – wir wissen es – auf die
Neat-Zufahrtsstrecken verzichtet werden musste, zumindest einstweilen.
2. Die ausgehandelte Fiskalität ist, selbst unter Berücksichtigung der Eigenleistungen aufgrund des Verlage-
rungsgesetzes, eindeutig zu tief bemessen. Die Probleme im Zusammenhang mit dem Transitverkehr können
letztlich nur dann gelöst werden, wenn zwei Grundsätze beachtet werden: einerseits die Zusammenarbeit mit
der Wirtschaft, insbesondere mit dem Transportgewerbe, und anderseits und insbesondere die Zusammenar-
beit im internationalen Kontext, sprich: im Rahmen von Nachverhandlungen mit der EU.
Zum ersten Grundsatz: Eine Haltung – ich sage es bewusst ein wenig überspitzt – "hier die böse Wirtschaft",
insbesondere die Transportwirtschaft, "dort die gute Verkehrspolitik", weil schwergewichtig umweltschutzori-
entiert, kann nicht zum Ziele führen. Die Lösung der Probleme kann nur partnerschaftlich zwischen Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft erreicht werden.
Zum zweiten Grundsatz: Ich bin überzeugt, dass die Lösung der Schwerverkehrsproblematik letztlich nur im
internationalen Kontext erfolgen kann. Weil die bestehenden Instrumentarien nach meiner Überzeugung nicht
genügen, bedarf es entsprechender Nachverhandlungen mit der EU im Verkehrsbereich. Da stellen sich vor
allem drei Fragen: 1. Worin bestünde das Ziel solcher Nachverhandlungen? 2. Wo gibt es allenfalls Ansätze
für solche Nachverhandlungen? 3. Welches wären mögliche Eckwerte für solche Nachverhandlungen?
1. Mit den in der ersten Frage genannten Nachverhandlungen mit der EU im Verkehrsbereich sollten etwa die
folgenden Ziele zu erreichen sein:
– Die Transitfunktion der Schweiz muss in ein vernünftiges Gleichgewicht von Kosten und Nutzen zu stehen
kommen.
– Das bedingt, dass von der EU zuzugestehen und anzuerkennen ist, dass der Grundsatz der völlig freien
Fahrt im Transitverkehr durch die Schweiz dieses Gleichgewicht keinesfalls herzustellen vermag.
– Es ist deshalb anzustreben, dass die Verlagerung mit den von der Schweiz beschlossenen Investitionen und
Massnahmen verwirklicht werden kann, mit anderen Worten: Für die zusätzlich erforderlichen Massnahmen
hätte die EU halt entsprechende Leistungen, insbesondere verkehrspolitischer, aber auch finanzieller Art, zu
erbringen.
2. Wo bestehen allfällige Ansatzpunkte für solche Nachverhandlungen? Ich habe bereits im Rahmen einer
Interpellation im letzten Herbst (01.3721) darauf hingewiesen, dass möglicherweise in Anhang II des immer
noch geltenden Transitabkommens von 1992 ein Ansatzpunkt bestünde. Dort wird nämlich für die Schweiz ver-
bindlich festgestellt, dass mit der Fertigstellung der Nord-Süd-Verkehrsachse der Ausbau des Strassennetzes
abgeschlossen sei. Strassen, insbesondere Autobahnen, sind doch dazu da, dass man sie flüssig befahren
kann. Wenn dies aber, wie dies jetzt der Fall ist, nicht mehr zutrifft, erscheinen zusätzliche Leistungen schon
alleine deswegen gerechtfertigt. Ein weiterer Ansatzpunkt könnte im Grundsatz der Nichtdiskriminierung beste-
hen, den bekanntlich die EU für sich auch im Verhältnis zur Schweiz beansprucht. Es gilt nämlich zu bedenken,
dass im EU-Raum zurzeit etwa 350 Millionen Menschen leben – in einigen Jahren werden es bedeutend mehr
sein –, wogegen es in der Schweiz etwa sieben Millionen Menschen sind. Die Schweiz ist somit von diesem
Diskriminierungsverbot ungleich mehr betroffen als die EU, sodass die Frage durchaus gerechtfertigt erscheint,
ob es richtig sei, das Diskriminierungsverbot einfach auf die Kehrseite eines Rechtsgleichheitsgebotes zu re-
duzieren.
3. Schliesslich könnte ein Ansatzpunkt darin erblickt werden, dass mit dem tragischen Unfall im Gotthardtunnel
die bisher blosse Möglichkeit, dass eine der wichtigsten internationalen Transitachsen für längere Zeit nicht
mehr benutzbar ist, nun zur harten Gewissheit geworden ist.
Was wären mögliche Eckwerte von Nachverhandlungen? Weil, wie ich erwähnt habe, die Transitachsen des
Strassensystems in der Schweiz die enorme Nachfrage gar nicht zu befriedigen vermögen, müsste zunächst

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– und nicht zuletzt mit Blick auf die Thematik dieser Interpellation – mit der EU eine Kontingents- oder Do-
sierungslösung, oder wie immer man dem sagen will, vereinbart werden. Es müsste aber sicher auch eine
Erhöhung der Fiskalität angestrebt werden. Schliesslich wären gewichtige Beitragsleistungen der EU zu ver-
langen: im Rahmen der noch nicht beschlossenen Eisenbahnanlagen – ich denke da insbesondere an die
Zufahrtsstrecken zu den Neat-Basistunnels – und allenfalls später auch bei weiteren Strasseninfrastrukturan-
lagen.
Was bedeutet das nun für das Dosierungssystem? Kurzfristig – ich möchte das klar betonen – sehe ich kei-
ne Alternative zu diesem Dosierungssystem. Denn ohne diese Massnahme – im Kontext mit technischen
Massnahmen – würde das Gesamtrisiko völlig ausser Kontrolle geraten, denn der Verkehr nimmt ja laufend
zu. Ich glaube auch, dass wir im jetzigen Zeitpunkt ein falsches Signal aussenden würden – ich gebrauche
sonst diesen Ausdruck nicht unbedingt gerne –, aber wir wissen, dass ja auch beim Montblanctunnel die-
ses Dosierungssystem eingeführt werden soll und dass auch für den Brenner die Einführung eines solchen
Systems geprüft wird.
Andererseits glaube ich nicht, dass man das jetzige System auf unbestimmte Zeit, sprich bis mindestens
zur Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels oder allenfalls bis zur Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels,
aufrechterhalten wird. Vielmehr muss es so schnell wie möglich, eben aufgrund von entsprechenden Nach-
verhandlungen mit der EU, durch ein Konzept abgelöst werden, das den Verkehr an der Grenze entsprechend
dosiert.

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Maissen Theo (C, GR): Der Gotthard ist bekanntlich nicht die einzige Alpentransversale der Schweiz. Durch
Graubünden führt die San-Bernardino-Route, die vom heutigen Schwerverkehr stark betroffen ist, und wir
haben den Lukmanierpass als niedrigsten Alpenübergang.
Es ist sicher unbestritten, dass das Dosierungssystem die einschneidendste Massnahme ist, die zur Regelung
des Schwerverkehrs getroffen werden konnte. Allerdings musste die Einbahnregelung für den Schwerverkehr
am San Bernardino nach dem Tunnelunglück am Gotthard zwingend eingeführt werden. Damals fuhren neu
täglich rund 4000 Lastwagen über die San-Bernardino-Route, also achtmal mehr, als dies bis anhin der Fall
war. Man hat mit dieser Massnahme eindeutig erreicht, dass die Sicherheit auf der San-Bernardino-Route
erhöht worden ist. Die Vermeidung von Frontalkollisionen im Tunnel stand dabei im Vordergrund. Nicht erhöht
werden konnte aber die Sicherheit auf den restlichen Strecken.
Mit der Weiterführung des Dosierungssystems bei heute rund 1000 Fahrzeugen pro Tag wird weiterhin das
Ziel erreicht, die Sicherheit im Tunnel zu erhöhen. Allerdings sind unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit
auch Nachteile festzustellen. Das paketweise Durchlassen des Schwerverkehrs im Zweistundentakt mit 100
und mehr Fahrzeugen in einer Richtung führt auch dazu, dass Personenwagenlenker zu riskanten Manövern
verführt werden. Dazu ist festzustellen, dass die San-Bernardino-Route für den Transitschwerverkehr an sich
ungeeignet ist, denn sie wurde seinerzeit ausdrücklich als Touristenstrasse gebaut.
Dazu nur einige Stichworte: Mehrheitlich ist die San-Bernardino-Strecke eine nur zweispurige und nicht rich-
tungsgetrennte Autostrasse. Auf beinahe 60 Kilometern hat man fast keine Überholmöglichkeiten. Die Route
ist ausgezeichnet durch Steigungen bis zu 8 Prozent mit engen Wendekehren. Ungeeignet ist zudem der tech-
nische Ausbau der Strasse, vor allem auch bezüglich der Traglast der Brücken, für Fahrzeuge mit mehr als 34
Tonnen. Wir haben zudem ein sehr hohes Risikopotenzial im San-Bernardino-Tunnel mit einer Länge von 6,6
Kilometern, weil hier die heute verlangten Sicherheitseinrichtungen und Fluchtmöglichkeiten nicht vorhanden
sind. Wir haben zudem weitere Risikostrecken in Form von über 20 weiteren Tunnels und Galerien mit einer
Gesamtlänge von über 15 Kilometern.
Wenn wir aufgrund dieser Ausgangslage die aktuelle Situation beurteilen, stellen wir fest, dass wir mit der
Verdoppelung des Schwerverkehrs, die heute gegeben ist, ein beträchtlich höheres Risiko für alle Verkehrs-
teilnehmer haben. Wir haben massive Störungen des Verkehrsflusses – das ist für unseren Tourismuskanton
besonders nachteilig, weil wir auf den Privatverkehr angewiesen sind –, und wir haben auch eine Einschrän-
kung der Lebensqualität der Anwohner.
Trotz der Ungeeignetheit dieser Strecke für den Schwerverkehr hat sich der Kanton Graubünden grundsätzlich
solidarisch und einverstanden erklärt, täglich maximal 1000 Fahrzeuge über diese Strecke fahren zu lassen.
Das ist also das Zweifache von dem, was bisher der Fall war. Mehr ist nicht vertretbar. Deshalb ist es aus Sicht
des Kantons Graubünden notwendig, dass das Dosierungssystem auf den Hauptachsen der Alpentransversa-
len weiterhin konsequent durchgesetzt wird. Diese Massnahmen sind allerdings von der Kostenseite her sehr

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aufwendig. Wir gehen davon aus, dass hier eine Kostenübernahme durch den Bund erfolgt.
Wir haben mit diesem Dosierungssystem jedoch auch ein innerbündnerisches Problem. Soweit ich das über-
blicke, sind die Alpentransversalen in Graubünden die einzigen, die innerhalb des gleichen Kantons liegen.
Wir haben mit dem Dosierungssystem deshalb ein innerbündnerisches Versorgungsproblem und ein Problem
beim Binnenverkehr. Diesbezüglich ist eine Anpassung des Systems notwendig, um die innerbündnerische
Versorgungssicherheit und den notwendigen Binnenverkehr ohne zusätzliche Kosten und rationell zu ermög-
lichen. Es geht doch nicht an, dass zum Beispiel ein Chauffeur, der von Untervaz nach Lostallo fährt, vor der
Rückfahrt letztlich noch in Lostallo übernachten muss.
Die mit der Interpellation Schmid Carlo verlangte sofortige Aufhebung des Dosierungssystems könnte kurzfri-
stig wieder zu einer Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Gotthardroute führen. Es ist aber nicht anzuneh-
men, dass sich der Verkehr auf der San-Bernardino-Route auf den Stand vor dem Gotthardereignis reduzieren
wird. Eine Anzahl von Camionneuren und Logistikunternehmen haben die Umwegvariante über den San Ber-
nardino entdeckt. Weil anzunehmen ist, dass sich auf der Gotthardroute noch öfter als bisher Staus einstellen
werden, wird der San Bernardino verstärkt als valable Umwegroute gesucht werden.
Bei allen Nachteilen, die nicht zu verschweigen sind, ist das Dosierungssystem deshalb gegenwärtig die einzig
wirksame Massnahme, um gegenüber dem Ausland kundzutun, dass der Transitschwerverkehr durch unser
Land in Zahlen eine Grösse erreicht hat, die vor allem aus Sicherheitsüberlegungen nicht überschritten wer-
den darf. Das Dosierungssystem – und mit ihm, als härteste Massnahme, die so genannte "fase rossa", das
temporäre Transitfahrverbot – ist gegenüber dem Ausland ein hartes Signal. Dieses ersatzlos aufzugeben
würde bedeuten, sich in den nächsten Jahren mehr oder weniger wehrlos mit der erwarteten Zunahme des
Schwerverkehrs abzufinden. Eine Alternative zum Dosierungssystem, welches vergleichbare verkehrspoliti-
sche Wirkungen hätte, gibt es im Moment einfach nicht.
Eine Aufgabe des Dosierungssystems müsste zwingend mit der Auflage verbunden werden, den Transit-
schwerverkehr auf dem heutigen Stand – noch besser: auf einem niedrigeren Stand – einzufrieren. Dafür
notwendig wären, wie bereits von anderen Votanten angeführt wurde, Verhandlungen mit dem Ausland über
eine gesamteuropäische Opfersymmetrie im Schwerverkehr. Die entsprechenden Schutzklauseln in den inter-
nationalen Verträgen müssten deshalb angerufen und durchgesetzt werden.
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch, zur anderen Alpentransversale in Graubünden kurz einige Gedan-
ken zu äussern: Es geht um die Bedeutung des eingangs von mir erwähnten Lukmanierpasses. Der gestörte
Verkehrsfluss über den San Bernardino hatte zur Folge, dass negative Auswirkungen auf angrenzende Tal-
schaften festzustellen waren. Das sind Talschaften, die vor allem vom Wirtschaftszweig Tourismus leben, in
erster Linie vom Wintertourismus. Von der betroffenen Region wurde deshalb seit einiger Zeit in einer Ver-
suchsphase die Offenhaltung des Lukmaniers im Winter umgesetzt, sodass die Zufahrt aus dem Süden über
den Lukmanier für PW-Fahrer und Touristen als Alternative zur Zufahrt über den San Bernardino für diesen
Tourismusraum möglich ist. Wenn wir nun diese ganzen Fragen der Alpentransversalen – des Schwerverkehrs
und des übrigen Verkehrs – prüfen, denke ich, dass wir eine Gesamtbetrachtung brauchen, und zwar unter
Einbezug des Lukmanierpasses. Für mich bedeutet das, dass Bund und Kanton prüfen müssen, mit welchen
Massnahmen eine ganzjährige Benützung des Lukmanierpasses vor allem für den Tourismusverkehr auf Dau-
er sichergestellt werden kann. Ich erwarte deshalb, dass der Bundesrat auch aufgrund eines Postulates, das
im Nationalrat hinterlegt worden ist und in diese Richtung zielt, tätig wird, und möchte ihm bereits jetzt dafür
danken.

Stadler Hansruedi (C, UR): Ich teile die Beurteilung des Bundesrates, die er in seiner Antwort vornimmt.
Positiv finde ich heute, dass auch die Diskussion in diesem Rat im Tonfall dosiert erfolgt. Ich liess mich in
letzter Zeit immer wieder über das Dosierungskonzept und vor allem über die Umsetzung vor Ort orientieren.
Zur Lastwagendosierung gibt es meines Erachtens heute keine vernünftige Alternative, wenn wir das Risiko
markant senken wollen.
Bei den Dosierungsmassnahmen für Lastwagen sprechen wir ja vom Einbahnverkehr und vom Mindestabstand
von 150 Metern im Tunnel. Bei den technischen Massnahmen geht es primär um den Einbau von Lüftungs-
klappen. Mit der
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Kombination von Dosierung einerseits und technischen Massnahmen andererseits kann das Gesamtrisiko im
Tunnel markant gesenkt werden. Wer heute einfach die Dosierung aufheben möchte und meint, es sei dann
alles so, wie es einmal vor dem 24. Oktober 2001 war, der täuscht sich. Wer in diesem Saal will diese Verant-
wortung für eine Aufhebung tragen? Man würde den Verlauf der Risikokurve verkennen, denn mit der massiven

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Zunahme des Schwerverkehrs steigt ja auch das Sicherheitsrisiko. Die Gefahr einer Kollision von zwei Last-
wagen ist somit im Jahre 2002 schon rein statistisch gesehen grösser als beispielsweise 1996, 1997 oder
1998.
Es entspricht auch einer Selbsttäuschung, wenn man glaubt, dass mit dem Einbau von Lüftungsklappen das
Allheilmittel gefunden sei, das es erlaubt, das Dosierungssystem aufzuheben. Die Lüftungsklappen haben
nämlich einen Abstand von 96 Metern und können nur den Rauch eines brennenden Lastwagens absaugen.
Gerade deshalb ist auch in Zukunft ein Sicherheitsabstand von 150 Metern weiterhin notwendig. Damit ist
meines Erachtens klar, dass es auch in Zukunft einer Dosierung bedarf.
Eine andere Frage ist: Welches Dosierungssystem ist gefragt? Gestartet wurde mit dem Zweistundentakt, dann
wechselte man zum Vierstundentakt; beide Varianten hatten Vor- und Nachteile. Heute praktiziert man den
Dreistundentakt. So kann die geforderte Kapazität von 3500 Fahrzeugen erreicht werden. Aber gerade auch
hier ist man auf eine gute Zusammenarbeit mit den Nachbarkantonen und auf entsprechende Warteräume
in diesen Kantonen angewiesen. Es darf nicht mehr vorkommen, dass der Warteraum z. B. im Kanton Uri
mehrfach überlastet ist; eine solche Überlastung hat zu einem eigentlichen Hupkonzert im Raum Erstfeld
geführt.
Die Polizei bemüht sich ständig, das Dosierungssystem zu optimieren. An dieser Stelle möchte ich einmal
diesen Polizeiorganen und den entsprechenden Mitarbeitenden auf den Baudirektionen und allen Amtsstellen
danken, die unter schwierigen Verhältnissen gute Arbeit leisten. Ich danke auch allen Chauffeuren, die sich in
den Warteräumen korrekt verhalten.
Es wurden unter anderem die vom Lastwagengewerbe mit Recht geforderten Infrastrukturen wie WC-Häus-
chen und Abfallcontainer erstellt. Aber die Infrastrukturen werden von vielen, ja zu vielen Chauffeuren aus
Unzufriedenheit bewusst nicht genutzt. Das Resultat sind eine Abfallhalde und andere Widerwärtigkeiten.
Es gibt natürlich auch bei diesem Dosierungssystem ungelöste Probleme. Ich denke beispielsweise an die
Probleme des Binnenverkehrs, ich denke an die Warteräume auf der Strasse. Hier ist die Frage der Sicherheit
aller Beteiligten angesprochen. Es gibt weitere Faktoren, die auch von der Polizei nicht beeinflusst werden
können, wie die verschiedene Motorisierung der Fahrzeuge, das individuelle Fahrverhalten der Chauffeure
usw. Warteräume ausserhalb der Strassen sind ebenfalls vordringlich. Ich hoffe dabei auf das Verständnis der
Nachbarkantone. Wir wissen in Uri wirklich langsam nicht mehr, wo wir noch solche Warteräume erstellen
können. Mir leuchtet es beispielsweise schlichtweg nicht ein, warum zum Beispiel beim Flugplatz Buochs
nicht ein solcher Warteraum mit den entsprechenden Infrastrukturen eingerichtet werden kann. Es geht doch
auch hier um ein übergeordnetes Landesinteresse. Dort könnte allenfalls auch eine Triage des Binnenverkehrs
erfolgen. Die Anfahrtsstrecke zum Tunnel wäre auch nicht lange. Zu prüfen sind meines Erachtens nach wie
vor Warteräume im Grenzbereich. Hier sind Verhandlungen mit Nachbarländern angezeigt; dies wurde hier
auch bereits mehrmals vorgetragen.
Zu erwähnen ist noch die Fahrzeug- und Fahrzeugführersicherheit. Ich danke Kollege Schmid, dass er auch
diesen Problemkreis angesprochen hat. Die Kontrollen sind nochmals zu verstärken. Krimineller Personen,
die noch mit x Alkoholpromille einen LKW lenken, müssen wir habhaft werden. Kollege Schmid hat in einer
Empfehlung die Einberufung eines "runden Tisches" über die Verkehrssituation im alpenquerenden Verkehr
gefordert. Ich unterstütze dieses Anliegen ausdrücklich. Auch auf diesem Weg sind tragfähige Lösungen zu
suchen. Mit der Einsetzung eines "runden Tisches" könnte sehr schnell auch ein Zeichen gesetzt werden.
Vielleicht könnte man heute in diesem Sinne die Antwort des Bundesrates auf die Empfehlung vorwegnehmen.
Schliesslich muss es uns doch zu denken geben, dass die Gotthardroute bei den Lastwagenchauffeuren trotz
Wartezeiten von bis zu fünf Stunden immer noch so beliebt ist. Aber auch das System Strasse stösst an
Grenzen, und wir müssen beim Verkehr lernen, mit Knappheiten umzugehen.

Büttiker Rolf (R, SO): Die Wirtschaft macht sich Sorgen, die Wirtschaft hat Sorgen. Wenn ich als Präsident
des Swiss Shippers' Council der verladenden Wirtschaft spreche, kann ich die Kurzformel anwenden: Die ver-
ladende Wirtschaft fühlt sich etwas verladen, Herr Bundesrat. Import, Export und der Binnenverkehr haben mit
dieser Dosierung am Gotthard und an den Grenzen grosse Probleme. Herr Stadler hat von vier, fünf Stunden
Wartezeit gesprochen. In der vergangenen Nacht gab es wieder gewaltige Probleme, einen Rückstau bis nach
Zofingen/Wikon, doppelspurig auf der Strecke Wikon-Sursee. Die Wartezeit betrug 14 Stunden! Ich meine, wir
müssen jetzt nicht nur die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen – wobei ich sagen muss, dass vor
dem Unfall auch jemand die Verantwortung getragen hat –, sondern es gibt eben eine Gesamtverantwortung.
Für die vielen KMU-Betriebe, für die Schweizer Wirtschaft, für die Betriebe, die Güter transportieren müssen,
ist die jetzige Situation so nicht akzeptabel.
Nicht die Reduktion des Camiontransites muss uns Sorgen bereiten und sollte unser Ziel sein. Die Problematik

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liegt in der Hemmung der Ein- und Ausfuhren von Gütern, die in der Schweiz nachgefragt oder produziert
werden. Ich bin gegen eine Dosierungspolitik am Gotthard, und ich bin begründeterweise auch gegen eine
solche an den Grenzen, wie wir sie faktisch jetzt haben.
Nach Auffassung des UVEK, dokumentiert im Grundlagenpapier Dosierung des Schwerverkehrs vom 20. De-
zember 2001, ist eine Dosierung an den Grenzen unerwünscht bzw. undurchführbar. Das steht dort wort-
wörtlich. Eine Dosierung, ist dort nachzulesen, treffe den nicht alpenquerenden Import- und Exportverkehr
in gleicher Weise wie den Transitverkehr. Das ist eben das Problem. Dem ist nichts beizufügen; das sind
in der Tat die Fakten. Die Dosierung hat also offenbar Auswirkungen auf sämtliche einfahrenden Fahrzeu-
ge, mehr noch: Aussagen von Fachleuten der Oberzolldirektion untermauern, dass ein Dosierungsregime an
den Grenzen höchst problematisch ist. Damit wird von Expertenseite des Bundes klar ausgedrückt, dass ein
Dosierungssystem, wie wir es jetzt am Gotthard und an den Grenzen handhaben, nicht funktionieren kann.
Ein weiteres Thema: Herr Bundesrat, ich möchte Sie auffordern, für gewisse Transporte, z. B. solche von Tieren
und verderblichen Gütern, eine Vorzugsbehandlung einzuführen, und zwar für Inländer wie für Ausländer, damit
keine Diskriminierung stattfindet. Verderbliche Lebensmittel wie frische Früchte, Gemüse, Frischfleisch, Fisch
und Schnittblumen sind äusserst beschränkt haltbar; es sind ja jetzt Klagen angedroht worden. Verzögerungen
beim Transport und bei den Zollformalitäten verursachen erhebliche wirtschaftliche Schäden: Verderben von
Waren, stark reduzierte Haltbarkeit, Entsorgungskosten oder verspätete Ankunft in den Verkaufsläden. Für
den Transport von lebenden Tieren gelten diese Kriterien mindestens in ebenso gravierendem Ausmass. Da
kommt der Tierschutz hinzu.
Bereits 1999 bestätigten die SBB in einer schriftlichen Stellungnahme, dass sie für den Transport dieser ver-
derblichen Güter bzw. von lebenden Tieren keine logistische und wirtschaftliche Alternative auf dem Bahnnetz
anbieten können. Diese Alternative ist eben auch nicht da. Beim Transport durch den Gotthard haben wir vor
allem bei den Kühlwagen die Probleme mit der Eckhöhe, weshalb die Verlagerung auf die Bahn eben nicht
stattfinden kann. In Bezug auf die
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Nachtbewilligung ist man bei diesen Transporten erfreulicherweise etwas grosszügiger, aber man kann hier lo-
gistisch nicht alle Probleme lösen.
Dann komme ich zur Verlagerungspolitik. Herr Kollega Schmid hat davon gesprochen. Machen wir jetzt ein-
mal eine Verhältnismässigkeitsrechnung: Die Bahn transportiert 34 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr. Auf der
Strasse werden 328 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr transportiert. Wenn wir jetzt also ein bescheidenes Ziel
setzen, 5 Prozent von der Strasse auf die Schiene zu verlagern, dann können Sie die Rechnung machen. Das
ist mit dem jetzigen Bahnangebot wirklich nicht zu machen! Das ist vielleicht dann mit der Neat zu machen,
aber Sie wissen alle, darauf müssen wir noch ein paar Jahre warten. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir am
Gotthard und an unseren Grenzen eine bessere Lösung haben.
Das Dilemma ist hinlänglich bekannt. Immer mehr Nachfrage nach dezentral dosierten Gütern generiert Gü-
terverkehrsströme, an deren negativen Auswirkungen niemand partizipieren will. Bei allen möglichen und
unmöglichen Massnahmen, welche eine Linderung dieses Problems bringen könnten, muss das Primat der
Sicherstellung der Versorgung der Schweizer Bevölkerung und damit der Wahrung eines intakten Wirtschafts-
standortes und Handelsplatzes Schweiz unumstösslich gelten. Deshalb bin ich zum jetzigen Zeitpunkt gegen
dieses Dosierungssystem am Gotthard, aber dazu auch noch für die Aufhebung der aufgepfropften Dosierung
an der Nord- und Südgrenze.
Neben der Forderung nach Aufhebung der Dosierungsmassnahmen und der Aufhebung der "Phase Rot"
möchte ich Herrn Bundesrat Leuenberger auch heute wieder fragen – ich mache das nicht zum ersten Mal,
und es ist auch von Herrn Schmid Carlo angesprochen worden –, ob man nicht die Schutzklauseln mit der EU
anrufen kann, sei es über den Transitvertrag oder über das Landverkehrsabkommen. Es ist mir klar, dass dies
konsensual geschehen muss, das ist in der jetzigen Situation gar nicht anders möglich, aber ich frage: Wann
sollen denn die Schutzklauseln angerufen werden, wenn nicht jetzt? Angesichts der Nachrichten, die von 14
Stunden Wartezeit am Gotthard berichten, müssten wir doch, Herr Bundesrat, auch der EU klar machen, dass
wir mit den Schutzklauseln operieren könnten; damit könnten wir einer Strategie Vorschub leisten, mit der sich
für den schweizerischen Wirtschaftsbinnenverkehr eine bessere Situation erzwingen lassen könnte.
Das wäre eigentlich meine Strategie: Aufhebung der Dosierungsmassnahmen; Aufhebung der "Phase Rot";
Befahrbarkeit des Gotthardtunnels für den Gegenverkehr. Zudem wären die Schutzklauseln mit der EU über
den Transitvertrag sowie über das Landverkehrsabkommen anzurufen, und man müsste versuchen, sie konkret
umzusetzen.

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