Swiss Solvency Test Eine Herausforderung auf vielen Ebenen

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Swiss Solvency Test Eine Herausforderung auf vielen Ebenen
Swiss Solvency Test
Eine Herausforderung auf vielen Ebenen
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Editorial                                                               4

1. Ökonomische Szenarien in der Risikoanalyse von Versicherungen:       5
   die Bootstrapping-Methode

2. Interne Modelle                                                     10

3. Bewertung operationaler Risiken im Versicherungsbereich             17

4. SST als Ausgangspunkt für eine risikobasierte und wertorientierte   22
   Unternehmenssteuerung?

5. Finanzrisiken im Swiss Solvency Test – und in der Praxis            25

6. Vom Swiss Solvency Test zum Risikomanagement-Tool für               30
   Nichtlebensversicherungen
Swiss Solvency Test Eine Herausforderung auf vielen Ebenen
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

                                                                   Dr. Jörg Behrens
                                                                   Partner, Leiter Financial Risk Management
                                                                   Central Europe
                                                                   Leiter SST Services (bisher)
                                                                   joerg.behrens@ch.ey.com

                                                                   Dr. Bernhard Locher
                                                                   Partner, Leiter Actuarial Services Schweiz
                                                                   Leiter SST Services (neu)
                                                                   bernhard.locher@ch.ey.com

Editorial   Deregulierung, Expansion und Internationalisierung des Geschäfts, neue Produkte und
            schliesslich einbrechende Kapitalmarkterträge haben in den vergangenen Jahren ein
            neues Geschäftsumfeld für Versicherungsunternehmen geschaffen. Einerseits hat dies
            Versicherungsunternehmen mehr Freiheit und Eigenständigkeit und damit neue
            Chancen gebracht. Andererseits sind jedoch auch Herausforderungen und Eigenverant-
            wortung gewachsen. Auch hat nach dem Wegfallen der hohen Kapitalmarktrenditen
            eine neue Rückbesinnung auf das versicherungstechnische Ergebnis stattgefunden.
            Nicht nur Versicherer, sondern auch die Aufsichtsbehörden tragen dieser neuen Situa-
            tion Rechnung, um Schwierigkeiten wie nach der Jahrtausendwende in Zukunft zu
            vermeiden. Europaweit wird deshalb zurzeit an neuen, so genannten «risikobasierten
            Aufsichtssystemen» gearbeitet (Solvency II).

            Die Schweiz hat mit dem per 1.1.2006 in Kraft getretenen «Swiss Solvency Test»
            (SST) eine Vorreiterrolle übernommen. Wichtigste quantitative Kernelemente des neu-
            en Solvenztests sind neben der umfangreichen Berücksichtigung von Versicherungs-,
            Kredit- und Finanzmarktrisiken die marktnahe Bewertung von Aktiva und Passiva. Der
            SST beabsichtigt dadurch eine realistische, umfassende und ökonomische Sichtweise
            des Versicherungsgeschäfts zu etablieren. Wie vielschichtig der SST ist und welche
            nicht regulatorischen Aspekte dabei zum Tragen kommen, illustrieren die folgenden
            Artikel. Die Bandbreite reicht von den regulatorischen Anforderungen an interne
            Modelle bis zum SST als Basis für ein internes Risikomanagement-Tool.

            Ernst & Young hat die Entwicklung des SST von Anfang an aktiv begleitet: ob als Mit-
            glied im Standard Setting Board oder als Co-Autor des SST White Papers und offiziel-
            ler Berater der Field Tests 2004/05 – und nicht zuletzt mit der seit über zwei Jahren
            durchgeführten SST Breakfast Reihe mit Beiträgen zu aktuellen SST Themen. Das
            vorliegende Magazin soll Ihnen als weiterer Baustein auf dem Weg in das Solvency II
            Zeitalter dienen. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei meinem Mitarbeiter
            Dr. Andreas Kull für das Mitwirken an dieser Publikation bedanken. Ebenso heisse ich
            Dr. Bernhard Locher noch einmal offiziell willkommen. Er wird zukünftig seitens
            Ernst & Young Ihr offizieller Ansprechpartner in Sachen SST sein, und mir somit Gele-
            genheit geben, mich vermehrt auf meine europäischen Aufgaben zu konzentrieren.

            Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen.

            Dr. Jörg Behrens                                     Dr. Bernhard Locher

4           E R N S T & Y O U N G AG , N O V E M B E R 2 0 0 6
1. Ökonomische Szenarien in der
   Risikoanalyse von Versicherungen:
   die Bootstrapping-Methode
      Das Wohlergehen fast aller Firmen hängt vom ökonomi-         nen entwickelt und sind deshalb wenig geeignet, Risiken und
      schen Umfeld ab, in dem sie operieren. Dies gilt besonders   Korrelationen sowie Langzeitentwicklungen abzuschätzen.
für (Rück-) Versicherungen. Zwei Risikoarten sind wesentlich:
Risiken aus Verpflichtungen gegenüber den Versicherungsneh-        Viertens wurde bisher nicht berücksichtigt, dass nur für die Min-
mern undRisiken aus den Anlagen zur Deckung dieser Verpflich-      derheit der Unternehmer die Steigerung des finanziellen Wertes
tungen.                                                            der Unternehmensanteile das wichtigste Ziel ist. Und das nicht
                                                                   nur wegen der Bedeutung von nicht-finanziellen Zielen: Wenn
Beide Risikoarten werden von der Weltwirtschaft beeinflusst.       Unternehmer das oberste Ziel haben, das Unternehmen weiterzu-
Der Bedarf an ökonomischen Prognosen und Szenarien ist gross       geben – wenn möglich an Familienangehörige –, dann werden sie
für die Planung, Quotierung, Bewertung und Risikoanalyse.          kaum die Möglichkeit haben, von einer Steigerung des Unter-
Ökonomische Szenarien sind insbesondere dann wichtig, wenn         nehmenswertes zu profitieren. Im Gegenteil: Ein erhöhter
mehr als nur Erwartungswerte gefragt sind, nämlich Solvenz-        Unternehmenswert kann die Übergabe aus steuerlichen Grün-
analysen und Risikokapital (risikobasierte oder auch marktkon-     den noch verteuern. In vielen Fällen profitieren Unternehmer
sistente Bewertung). Dies sind Schlüsselbegriffe in den internen   finanziell nur von ihrem Unternehmerlohn, von Dividenden
Modellen, die von den Aufsichtsbehörden zunehmend gefordert        und der Möglichkeit, auch private Ausgaben über das Geschäft
werden. Hier kommen Asset Liability Management (ALM) und           abwickeln zu können.
Dynamic Financial Analysis (DFA) ins Spiel. Während die
Schadenverteilungen auf der Verpflichtungsseite meist verstan-     Die Bootstrapping-Methode: Begründung und Übersicht
den werden, werden die Anlagerisiken von Versicherungen oft        Die Verlässlichkeit ökonomischer Prognosen hängt von den ver-
vernachlässigt oder vereinfacht. Zur konsistenten Abschätzung      wendeten Modellen, Hypothesen und Parametern ab. Der hier
beider Risikotypen muss das Verhalten der Weltwirtschaft rea-      vorgestellte Szenariengenerator beruht auf dem Bootstrapping-
listisch modelliert werden.                                        Prinzip: Zukünftige Entwicklungen werden durch eine direkte,
                                                                   stochastisch gewählte Übernahme historischer Verhaltensweisen
Viele Firmen und Institutionen machen Wirtschaftsprognosen         simuliert. Dabei werden keine Modellparameter benötigt, und
verschiedener Art. Im Folgenden wird ein Szenariengenerator        die Probleme der Parameterkalibrierung fallen weg. Solche
(Economic Scenario Generator, ESG) beschrieben, der sich auf       Methoden nennt man nichtparametrisch.
einige ökonomische Variablen in den wichtigsten Währungs-
zonen beschränkt. Er liefert realistische zukünftige Szenarien,    Damit ein Szenariengenerator mit Bootstrapping funktioniert,
bei denen sich Verteilungsfunktionen, Volatilitäten und Abhän-     ist eine sorgfältige Aufbereitung der historischen Daten nötig.
gigkeiten der Variablen konsistent mit der historischen Erfah-     Die dazu verwendeten Methoden beruhen auf einigen sekundä-
rung verhalten. Die stochastischen Szenarien werden in belie-      ren Parametern, die kalibriert werden müssen. Darum ist das
biger Anzahl erzeugt und in Monte-Carlo-Simulationen ver-          Modell insgesamt als semiparametrisch zu bezeichnen.
wendet.
                                                                   Die Bootstrapping-Methode hat viele Vorteile:
Der Szenariengenerator beruht auf dem Bootstrapping-Prinzip.       – Historische Verteilungen (nicht nur Mittelwerte und Varian-
Zahlreiche andere Modelle wurden zur Preisfindung von Optio-         zen) werden reproduziert

                                                                                                                                  5
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

– Historische Abhängigkeiten und Korrelationen verschiedener             Historische Markt-Innovationen
  Variablen, wie Aktienindizes, gelten auf natürliche Weise              Die Bootstrapping-Methode greift nicht direkt auf die histori-
  auch für die zukünftigen Szenarien                                     schen Variablenwerte zu, sondern auf so genannte Innovationen.
– Flexibilität, Modularität: Zusätzlich benötigte ökonomische            Für alle ökonomischen Variablen und alle Zeitpunkte der histo-
  Variablen und Währungszonen können leicht integriert                   rischen Daten sind zunächst solche Innovationen zu berechnen.
  werden, falls historische Daten existieren
– Keine grossen Kalibrierungsprobleme (semiparametrisch)                 Die Zinskurve ist keine einfache Variable, sondern ein komple-
– Exakte Startwerte einer Simulation (keine Anpassung eines              xes Objekt, das nur in (zu) einfachen Zinsmodellen durch einen
  Modells nötig)                                                         einzigen Risikofaktor beschrieben wird. Der Szenariengenerator
– Langfristige, mehrperiodische Simulationen sind möglich                wird dieser Komplexität dadurch gerecht, dass er alle 3-Monats-
  (mittels Element der Rückkehr zum Mittelwert)                          Forward-Zinssätze für fixe Daten in der Zukunft betrachtet, und
– Expertenbasierte Information kann bei Bedarf als Korrektur             zwar in einer lückenlosen Reihe der Laufzeiten bis 30 Jahre. Ein
  integriert werden                                                      jeder solcher Forward-Zinssatz ist eine eigene Variable des Sze-
– Extremrisiken und Stress-Szenarien (auch jenseits der                  nariengenerators.
  historischen Erfahrung) sind mittels einer stochastischen Kor-
  rektur im Modell enthalten.                                            Statt der reinen Variablenwerte werden hier oft ihre Logarithmen
                                                                         verwendet. Daraus resultieren immer positive Marktpreise, auch
Historisches Marktdaten als Basis realistischer Modelle                  wenn ihr Logarithmus in Simulationen zu beliebigen Werten
Der Szenariengenerator umfasst folgende Variablen für die                driftet. Im Fall der Forward-Zinssätze wird hier anstelle des
Währungszonen USD, EUR, GBP, JPY, AUD und CHF:                           Logarithmus eine etwas andere Funktion bevorzugt, welche aber
– Zinssätze (risikofreie Zinskurven mit Laufzeiten von                   auch negative Werte meidet. Die folgende allgemeine Defini-
  3 Monaten bis 30 Jahren)                                               tion einer historischen Innovation bezieht sich auf derart trans-
– Aktienindizes (MSCI)                                                   formierte Variablenwerte:
– Devisenkurse (gegen den USD)
– Inflation (Konsumentenpreisindex, CPI)                                  Innovation = Neuer Wert – Im Vorquartal erwarteter Wert
– Bruttoinlandsprodukt (GDP)
                                                                         Dies ist an sich einfach. Die Komplexität steckt in der Berech-
Zusätzlich enthält der Szenariengenerator Indizes für Hedge-             nung des «im Vorquartal erwarteten Wertes». Solche Erwartun-
Funds und Immobilien. Als Beispiel einer abgeleiteten Grösse             gen sind oft in der Form von Forward-Quoten im Markt verfüg-
wird auch ein Index für Hypotheken-besicherte Wertpapiere                bar. Im Fall der Devisenkurse errechnet sich die Forward-Quote
(MBS) unterstützt. Dieser Index hängt stark vom jeweiligen               aus dem jetzigen Kassakurs und der jetzigen Zinsdifferenz der
Zinskurven-Szenario ab.                                                  beiden Währungen.

Für alle diese Variablen werden historische Daten benötigt. Die          Im Fall der Zinskurve sei der Erwartungswert etwas genauer dis-
vorliegende Version des Szenariengenerators beruht auf einem             kutiert. Für den in drei Monaten erwarteten Forward-Zinssatz
gleitenden Fenster von 41 historischen Beobachtungen in Quar-            für ein bestimmtes Quartal kann der jetzige Zinssatz für das sel-
talsintervallen, womit die letzten zehn Jahre erfasst sind.              be zukünftige Quartal genommen werden. Dies ist aber keine

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erwartungstreue Schätzung. Sie bezieht sich zwar auf dasselbe                              Falls der Markt in einer extremen Verfassung ist, reagieren eini-
zukünftige Datum, aber durch das Vorrücken der Zeit um drei                                ge Variablen mit einer Gegenbewegung, die als Rückkehr zum
Monate verkleinert sich das Risiko. Dieses Zinsrisiko ist asym-                            Mittel (mean reversion) bezeichnet wird. Zinssätze und Infla-
metrisch, da Zinsbewegungen nach unten beschränkt sind (im                                 tionsraten verhalten sich langfristig so, wie auch das Prinzip der
Wesentlichen auf Untergrenze Null), nach oben aber unbe-                                   Kaufkraftparität. Solche schwachen Rückkehr-Terme (wie man
schränkt. Mit vorrückender Zeit sinkt das durch Asymmetrie                                 sie auch aus gängigen Zinsmodellen kennt) werden in die
dominierende Erhöhungsrisiko, womit die erwartungstreue                                    Berechnung der Erwartungswerte der betroffenen Variablen ein-
Schätzung eine Abwärtstendenz erhält (dieser Effekt ist eng mit                            geschlossen. Die Bootstrapping-Methode, die sonst auf die
der «Normalform» der Zinskurve verwandt, die leicht ansteigt).                             Simulation weniger Jahre beschränkt wäre, wird durch diese
Der Szenariengenerator korrigiert diesen Effekt automatisch                                Zusatzterme tauglich für Simulationen über Jahrzehnte.
durch eine laufzeitabhängige nichtlineare Abbildung der For-
wardsätze im Sinne der erwähnten logarithmischen Transfor-                                 Die Volatilität von Finanzmärkten zeigt oft autoregressive Mus-
mation.                                                                                    ter: Perioden von hoher beziehungsweise niedriger Volatilität.

  Abbildung 1: Bootstrapping-Methode

  Ökonomische            Historische Daten                                      Historische                              Simulierte          Ökonomische
  Variablen                                                                     Innovationsvektoren                      Szenarien           Variablen
                                                                                                                         Szenario 1
  Aktienindex US                                      x                                               x                   x                  Aktienindex US
  Buttoinlandprod. US                                 x                                               x                   x                  Buttoinlandprod. US
                                                      x                                               x                   x
  US-Zinssatz 1 Jahr                                  x              Trans-                           x     Zufällige     x                  US-Zinssatz 1 Jahr
  US-Zinssatz 2 Jahre                                 x                                               x                   x                  US-Zinssatz 2 Jahre
                                                      x            formation,                         x     Wahl des      x
                                                      x            Berechnung                         x   Innovations-    x
  Aktienindex Euro                                                                                           vektors                         Aktienindex Euro
                                                      x                                               x                   x
                                                      x                                               x                   x
  Devisenkurs EUR/USD                                 x                                               x                   x                  Devisenkurs EUR/USD
                                                      x                                               x                   x
  Aktienindex Japan                                   x                                               x                   x                  Aktienindex Japan
                                   Zeit                                                 Zeit
                                                  Aktuelle Daten

                                                                                                                         Szenario 2
                                                                                                                         x                   Aktienindex US
                                                                                                                         x                   Buttoinlandprod. US
                                                                                                                         x
                                                                                                            Zufällige    x                   US-Zinssatz 1 Jahr
                                                                                                                         x                   US-Zinssatz 2 Jahre
                                                                                                            Wahl des     x
                                                                                                          Innovations-   x
                                                                                                             vektors     x                   Aktienindex Euro
                                                                                                                         x
                                                                                                                         x                   Devisenkurs EUR/USD
                                                                                                                         x
                                                                                                                         x                   Aktienindex Japan
                                                                                                                         weitere Szenarien
                                                                                                                         Zeit (Zukunft)

Von historischen Daten über Innovationsvektoren zu Simulationsszenarien.

                                                                                                                                                                   7
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

Die berechneten Innovationen widerspiegeln diese Muster. Es               te kaum ändern. Am oberen Ende folgt er aber einer Pareto-Ver-
ist vorteilhaft, diese Muster zu modellieren. Hier wurde der              teilung, wodurch sich die Innovationswerte in seltenen Fällen
bekannte GARCH-Prozess verwendet. Das von Engle (1982,                    massiv verstärken. Die Tail-Korrektur erzeugt somit vereinzelte
Nobelpreis 2003) und Bollerslev (1986) entwickelte GARCH-                 Stress-Szenarien, die stochastisch mit den normalen Szenarien
Modell produziert zu jeder Zeit ein aktuelles Volatilitätsniveau.         gemischt sind. Die so erzeugten Stress-Szenarien sind vielfälti-
Hier wird jeder Innovationswert durch die jeweilige Volatilität           ger und realistischer als die willkürlich erfundenen, abstrakten
dividiert, wodurch volatilitätsnormierte oder «GARCH-gefil-               Stress-Szenarien, die in anderen Methoden verwendet werden.
terte» Innovationen entstehen.                                            Stress-Tests sind ein wichtiger Bestandteil von Risikoanalysen
                                                                          und werden von internen Modellen gefordert.
Die Innovationen repräsentieren den unerwarteten, überra-
schenden Teil der Marktbewegung und somit das Risiko. Wenn                Danach wird jede Innovation mit dem Volatilitätsniveau aus
man die Innovationen aller Variablen zu einem gewissen histo-             ihrem aktualisierten GARCH-Modell multipliziert und damit
rischen Zeitpunkt in einem Vektor zusammenstellt, stellt dieser           die autoregressiven Volatilitätsmuster in die simulierte Zukunft
Vektor eine Momentaufnahme der gesamten Marktdynamik zu                   weitergeführt. Der eigentliche Simulationsschritt für jede öko-
jenem Zeitpunkt dar. Für jedes historische Quartal gibt es einen          nomische Variable ist:
solchen Vektor.
                                                                           Simulierter Wert = Im Vorquartal erwarteter Wert + Innovation
Der vollständige Satz aller Innovationsvektoren ist in Abbildung
1 als zentraler Block schematisch dargestellt. Er dient als Infor-        Die simulierten Werte, ein Quartal nach Simulationsbeginn, die-
mationsspeicher über die Dynamik des Weltmarktes und als                  nen als Ausgangspunkt eines erneuten Bootstrapping-Schritts,
Herz der Bootstrapping-Methode, mit der nun die gewünschten               mit dem die Simulation um ein weiteres Quartal vorrückt. Der
Szenarien erzeugt werden.                                                 Simulationsschritt ist iterativ und kann beliebig oft wiederholt
                                                                          werden, auch für Langzeit-Simulationen.
Generierung zukünftiger Szenarien mit der Bootstrapping-
Methode                                                                   Weitere Szenarien werden mit der gleichen Methode erzeugt.
Die Szenarien beginnen beim letzten Zeitpunkt, für den Finanz-            Dies ist in der Abbildung 1 symbolisch dargestellt. Die Resulta-
daten verfügbar sind. Zunächst werden dort für sämtliche Varia-           te unterscheiden sich, da die historischen Innovationsvektoren
blen die Erwartungswerte für einen dreimonatigen Zeithorizont             zufällig gewählt und durch die Tail-Korrektur stochastisch
berechnet. Dann erfolgt der zentrale Bootstrapping-Schritt: Ein           modifiziert werden. Die Gesamtheit vieler Szenarien stellt die
historisches Quartal samt seines Innovationsvektors wird zufäl-           Zukunftserwartung des Bootstrapping-Modells dar.
lig ausgewählt, was man auch als Resampling bezeichnet.
Dieser Vektor enthält Innovationen für alle zu simulierenden              Abbildung 2 illustriert resultierende Szenarien am Beispiel von
Variablen.                                                                US-Zinskurven. Der Szenariengenerator produzierte die darge-
                                                                          stellten Simulationsresultate für Ende 2003 mit dem Informati-
Die Innovationen werden nun einer «Tail-Korrektur» unterzo-               onsstand von Ende 2002. Die simulierten Zinskurven haben ver-
gen, also mit einem zufälligen Faktor multipliziert. Dieser Fak-          schiedene, auch invertierte Formen und zeigen das Zinsrisiko,
tor ist positiv und nahe bei 1, wodurch sich die Innovationswer-          das Ende 2002 herrschte. Die ein Jahr später tatsächlich be-

8                                            E R N S T & Y O U N G AG , N O V E M B E R 2 0 0 6
– Simulation des zukünftigen Wertes ganzer Anlageportfolios.
 Abbildung 2: Simulationsresultate am Beispiel der US-Zinskurve
                                                                                      Dazu braucht man Formeln, beispielsweise für die Bewertung
             Simulierte und historische US-Zinskurven            Histor. Kurve        von Obligationen aus Zinskurvenszenarien.
                                                                 Ende 2002,
            7%                                                   Simulationsstart   – Simulation von zukünftigen, ökonomisch beeinflussten Versi-
                                                                 Simulation 1
                                                                                      cherungsschäden, beispielsweise im Bereich Leben oder Kre-
            6%                                                                        dit und Kaution.
                                                                 Simulation 2
                                                                                    – Berechnung und Bewertung zukünftiger Geldfluss-Szenarien.
            5%                                                   Simulation 3
                                                                                    – Grundlage von Asset-Liability-Management-Modellen für
                                                                 Simulation 4
            4%                                                                        ganze Firmen, mit konsistenter Behandlung aller Ökonomie-
 Zinssatz

                                                                 Simulation 5
                                                                                      abhängiger Teilbereiche.
            3%                                                   Simulation 6       – Risikoanalyse, Solvenzanalyse, Risikomanagement, Risiko-
                                                                 Simulation 7         kapital.
            2%                                                   Simulation 8
                                                                 Simulation 9       Risikoberechnungen sind besonders hervorzuheben. Da die Sze-
            1%
                                                                 Histor. Kurve      narien ganze Verteilungen von relevanten Grössen liefern, kann
                                                                 Ende 2003,         man sie für alle möglichen Risikomasse benutzen, beispielswei-
            0%
                 0      5          10            15      20      zum Vergleich
                                                                                    se für Value at Risk (VaR). Als Grundlage zur Berechnung von
                              Laufzeit (Jahre)
                                                                                    Risikokapital und Solvenz wird hier der erwartete Fehlbetrag
Ausgehend von der Zinskurve von Ende 2002 wurden Kurven für Ende 2003 mit           (expected shortfall, auch TailVaR) bevorzugt: der Erwartungs-
der Bootstrapping-Methode simuliert. Neun solche Zinskurven sind dargestellt.       wert aller Szenarien jenseits einer bestimmten, extremen Quanti-
Zum Vergleich dient die fett gestrichelte tatsächliche Zinskurve von Ende 2003.     le der Schäden (beispielsweise 99 Prozent, beziehungsweise
                                                                                    1 Prozent für das projizierte Eigenkapital). Mit der oben vorge-
                                                                                    stellten Tail-Korrektur sind die extremen Enden der Verteilung
obachtete Kurve ist gut in die Schar der Simulationen eingebet-                     gut erfasst, unter automatischem Einbezug von Stress-Szenarien.
tet. In wirklichen Anwendungen werden auch andere ökonomi-
sche Variablen simuliert, und statt der nur neun dargestellten                      Die Versicherungsindustrie hat sich noch nicht auf eine feste
Simulationen werden Tausende produziert.                                            Methodik für die internen Modelle und ihr Risikomass geeinigt.
                                                                                    Ein Szenariengenerator wie der hier beschriebene unterstützt
Anwendung ökonomischer Szenarien beim Berechnen von                                 verschiedenste Methoden und ist darum ein geeignetes, flexibles
Risiken und Solvenz                                                                 Hilfsmittel für alle Risiko- und Solvenzberechnungen.
Ökonomische Szenarien haben viele Anwendungen:
– Ökonomische Prognosen in Tabellenform, für Planungszwecke.
                                                                                    Dr. Ulrich Müller, Converium Ltd, Senior ALM/Reinsurance Consultant;
  Neben Erwartungswerten (= Mittelwerte der Simulationsre-
                                                                                    ulrich.mueller@converium.com
  sultate) interessieren Standardabweichungen oder auch Korre-
  lationen.

                                                                                                                                                       9
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

2. Interne Modelle

      Mit der Einführung des neuen Versicherungsaufsichtsge-              verwendeten Methoden anlehnt. Der Swiss Solvency Test wird
      setzes müssen seit 1. Januar 2006 alle vom Bundesamt für            aber nicht durch das Standardmodell definiert, sondern durch
Privatversicherungen beaufsichtigten Unternehmen den Swiss                die Prinzipien. Das Standardmodell wurde entwickelt, damit
Solvency Test durchführen. Im Rahmen des Swiss Solvency Tests             kleinere und mittlere Unternehmen ein Hilfsmittel haben, um
wurde für kleinere und mittlere Unternehmen ein Standard-                 den Swiss Solvency Test ohne exorbitanten Aufwand und Kos-
modell entwickelt. Allgemein gilt jedoch, dass Versicherer ein            ten durchzuführen.
eigenes internes Modell verwenden müssen, wenn das Standard-
modell ihrer Risikoexposition nicht gerecht wird. Dieser Artikel          Auch ein komplexeres Standardmodell kann niemals der Risiko-
beleuchtet, welchen Prinzipien interne Modelle genügen müssen.            situation aller Versicherer gerecht werden. Deshalb werden vie-
                                                                          le Versicherer nicht das Standardmodell, sondern eigene interne
Gleichzeitig mit der Einführung des SST hat sich auch die Auf-            Modelle für die Durchführung des Swiss Solvency Test verwen-
sichtsphilosophie geändert: Bisher standen Produktekontrolle,             den. Allgemein gilt, dass alle Versicherer ein eigenes internes
Beschränkungen in der Anlagestruktur und das Vorsichtsprinzip             Modell verwenden müssen, wenn das Standardmodell ihrer Risi-
im Vordergrund der Aufsicht. Unter dem neuen Direktor, Her-               koexposition nicht gerecht wird. Dies gilt im Besonderen für
bert Lüthy, erfolgte eine Neuausrichtung auf eine prudentielle,           alle Rückversicherer, Gruppen und Konglomerate sowie Versi-
vorausschauende und prinzipienbasierte Aufsicht. Der Swiss                cherer, welche substanzielles Geschäft in ausländischen Nieder-
Solvency Test ist ein Element der neuen Aufsicht.                         lassungen zeichnen.

Der Swiss Solvency Test ist ein Instrument, mit dem die tatsäch-          Rückversicherer, Gruppen und Konglomerate haben zwei Jahre
lich eingegangen Risiken der Versicherer quantifiziert werden.            Zeit, entsprechende interne Modelle zu entwickeln, und haben
Er wurde vom Bundesamt für Privatversicherungen unter Mit-                den Swiss Solvency Test ab 2008 durchzuführen. Grosse Erst-
wirkung weiter Kreise der Versicherungsindustrie in den Jahren            versicherer haben den Swiss Solvency Test schon ab 2006 im
2003 bis 2004 entwickelt und mit zwei Feldtests 2004 und 2005             Rahmen eines Feldtests zu absolvieren, können aber Niederlas-
getestet. Am Feldtest 2005 beteiligten sich freiwillig 45 Leben-,         sungen in den Jahren 2006 und 2007 vorerst approximativ in die
Schaden- und Krankenversicherer, und es hat sich gezeigt, dass            Berechnungen einbeziehen.
der Swiss Solvency Test auch für kleinere und mittlere Versiche-
rer durchführbar ist.                                                     Prinzipien
                                                                          Der Swiss Solvency Test wird von vielen Versicherern verlan-
Ein Ziel bei der Entwicklung des Swiss Solveny Tests war es,              gen, dass sie eigene interne Modelle entwickeln oder schon
das Risikomanagement der Versicherer zu unterstützen. Aus die-            bestehende Modelle so anpassen, dass sie den Prinzipien des
sem Grund wurde nicht eine einfache Standardformel entwi-                 Swiss Solvency Tests genügen. Ein Solvenzsystem, welches die
ckelt, sondern es wurden die Prinzipien formuliert, auf denen             Verwendung interner Modelle erlaubt und sogar verlangt, muss
der Swiss Solvency Test basiert, und die Verantwortung für die            durch klar formulierte Prinzipien definiert werden. Für den
Durchführung den Versicherern übertragen.                                 Swiss Solvency Test gelten folgende Prinzipien und Definitio-
                                                                          nen:
Gleichzeitig wurde ein Standardmodell entwickelt, dessen                  1. Alle Anlagen und Verpflichtungen sind marktkonsistent zu
Methodik sich möglichst nah an die von Versicherern tatsächlich              bewerten

10                                           E R N S T & Y O U N G AG , N O V E M B E R 2 0 0 6
2. Es sind markt-, kredit- und versicherungstechnische Risiken          Eindruck der Methodologie und der wichtigsten Design-Ent-
    zu behandeln                                                        scheidungen erhält
3. Risikotragendes Kapital ist definiert als die Differenz          14. Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für die Einhaltung
    zwischen dem marktkonsistenten Wert der Anlagen und dem             der Prinzipien
    marktkonsistenten Wert der Verpflichtungen, zuzüglich des
    Mindestbetrags                                                  Prinzipien 1 bis 8 definieren den Output der Berechnungen:
4. Zielkapital ist definiert als die Summe des Expected Short-      Einem effektiv vorhandenen risikotragenden Kapital wird das
    falls der Änderung des risikotragenden Kapitals innerhalb       notwendige Zielkapital gegenübergestellt. Das Zielkapital setzt
    eines Jahres zum 99 Prozent-Konfidenzlevel und des              sich zusammen aus dem Expected Shortfall der Änderung des
    Mindestbetrags                                                  Risikotragenden Kapitals innerhalb eines Jahres auf einem
5. Der Mindestbetrag ist definiert als die Kosten für den Bar-      99 Prozent-Konfidenzlevel und einer Market Value Margin
    wert des zukünftig zu stellenden regulatorischen Kapitals       (dem Mindestbetrag), welche für die Risiken während des
    während des Ablaufs des Portfolios der Anlagen und Ver-         Ablaufs der Verpflichtungen gebildet wird. Alle Berechnungen
    pflichtungen                                                    basieren auf einer ökonomischen Bewertung. Der Swiss Solven-
6. Ein Versicherungsunternehmen ist unter dem Swiss Solvency        cy Test ist sowohl von Einzelgesellschaften als auch auf Grup-
    Test adäquat mit Kapital versehen, wenn das risikotragende      pen- und Konglomeratsstufe durchzuführen.
    Kapital das notwendige Zielkapital übersteigt
7. Der Swiss Solvency Test ist für Legal Entities und für           Prinzipien 9 bis 11 sagen, wie der Swiss Solvency Test durchge-
    Gruppen und Konglomerate, welche in der Schweiz beauf-          führt werden soll. Zufällige Grössen sollen mit wahrscheinlich-
    sichtigt werden, durchzuführen                                  keitstheoretischen Modellen behandelt werden. Interne Model-
8. Von der Aufsicht definierte sowie firmenspezifische              le, auch partielle, können, sollen und müssen zum Teil verwen-
    Szenarien sind auszuwerten und – falls relevant – geeignete     det werden. Diese Modelle müssen jedoch fest innerhalb der
    Szenarien zur Zielkapitalberechnung zu aggregieren              Versicherer verankert sein, und dürfen nicht ausschliesslich für
9. Alle relevanten Zufallsgrössen sind stochastisch zu model-       regulatorische Zwecke gebraucht werden.
    lieren
10. Partielle und volle interne Modelle können und sollen ver-      Prinzipien 12 und 13 sind Transparenzbestimmungen gegenüber
    wendet werden; interne Modelle müssen verwendet werden,         der Aufsicht und der Öffentlichkeit.
    wenn das Standardmodell nicht angemessen ist
11. Interne Modell müssen in die Kernprozesse der Firmen            Das letzte und wichtigste Prinzip sagt, dass die Geschäftsleitung
    integriert sein                                                 verantwortlich für die Einhaltung der Prinzipien 1–14 ist.
12. Es ist ein Swiss Solvency Test-Bericht zuhanden der Auf-
    sicht zu erstellen, so dass eine Drittperson mit entsprechen-   Prinzipien 1 bis 14 bilden also die Grundlage an die Anforderun-
    dem Fachwissen die Resultate verstehen und interpretieren       gen an interne Modelle, welche für den Swiss Solvency Test ver-
    kann                                                            wendet werden.
13. Die Methodologie des internen Modells soll veröffentlicht
    werden, so dass eine aussenstehende Fachperson einen guten      Der Swiss Solvency Test ist ein Aufsichtssystem, welches in
                                                                    einem wahrscheinlich noch nie da gewesenen Ausmass interne

                                                                                                                                  11
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

Modelle für regulatorische Zwecke einbezieht. Dies wird eine              Absicht der Aufsicht, dass die verwendeten Methodologien und
Herausforderung sowohl für die Aufsicht als auch für die beauf-           Ansätze der internen Modelle eingeschränkt werden. Vielmehr
sichtigten Versicherungsgesellschaften sein. Die Verwendung               sollen Versicherer die Möglichkeit haben, den ihrer Risikositua-
interner Modelle bringt aber grosse Vorteile: Die Risikosituati-          tion am besten angepassten Ansatz zur Modellierung zu wählen.
on einer Versicherung kann spezifisch modelliert werden, und es           Würden alle Versicherer ähnliche Modelle verwenden, so be-
gibt Anreize für ein adäquates Risikomanagement und für eine              stünde die Gefahr, dass sich eine mögliche Unzulänglichkeit
moderne Risikokultur.                                                     dieser Modelle bei vielen Versicherern gleichzeitig auswirken
                                                                          könnte. Eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle hilft, solche
Anforderungen an Interne Modelle                                          systemischen Risiken zu vermindern.
Ein internes Modell, welches für den Swiss Solvency Test ver-
wendet wird, ist in erster Linie eine Grundlage, um risikotragen-         Interne Modelle haben in der Versicherungsindustrie eine lange
des Kapital und Zielkapital zu bestimmen und zu diskutieren.              Tradition. Während interne Modelle, welche die Gesamtrisiko-
Ein Modell ist eine mehr oder weniger grobe Vereinfachung der             situation quantifizieren, erst in den letzten Jahren von einigen
Realität. Im Kontext des Swiss Solvency Test ist die abzubilden-          Versicherern entwickelt und implementiert wurden, werden
de Realität die heute noch unbekannte ökonomische Situation               schon seit je her die technischen Rückstellungen bestimmt. Die
eines Versicherers in einem Jahr. Ein internes Modell ist nicht           Berechnung technischer Rückstellungen ist aber genau so ein
nur ein mathematischer Algorithmus, sondern beinhaltet weite-             internes Modell wie ein ökonomisches Kapitalmodell. Der
re Aspekte. Es besteht aus:                                               Unterschied ist, dass die Quantifizierung der Verpflichtungen
– Einer Methodologie: die Abbildung der Realität in einem kon-            oft weniger formalisiert und algorithmisiert wird. Dennoch gibt
  zeptuellen Rahmen                                                       es auch hier eine Methodologie, Parameter, die einfliessen,
– Parametern: Schätzungen, Sterblichkeitsannahmen, Schaden-               Daten (beispielsweise die Eigenschaften der Versicherungspoli-
  häufigkeits- und Schadenhöhe-Annahmen, Verteilungsannah-                cen), sowie einen Prozess, in dem die Berechnung eingebettet ist
  men, etc.                                                               (beispielsweise die Verantwortlichkeit des Aktuars oder die Not-
– Daten: Positions- und Exposure-Daten, Daten finanzieller                wendigkeit der Dokumentation und des Back-Testing).
  Instrumente, Eigenschaften der Versicherungspolicen, etc.
– Einer Implementierung: Software, IT-Implementierung, Data-              Modelle können speziell im Versicherungsbereich niemals mit
  Warehousing, etc.                                                       einer simplen Kreuzchen-Liste beurteilt werden. Denn interne
– Prozessen: Back-Testing, Falsifikation der Modelle, Stress-             Modelle bilden eine komplexen Realität ab. Sie beinhalten zum
  und Szenarioanalysen, Einbettung in die Prozesse der Ver-               Beispiel für international tätige Rückversicherer die Modellie-
  sicherung, etc.                                                         rung von Erdbebenrisiken, Windstürmen, Terrorereignissen,
                                                                          Finanzmarktrisiken oder möglicher Pandemien. Da Versicherer
Für die Aufsicht stellt sich die Frage, welche Anforderungen an           sehr heterogenen Risiken ausgesetzt sind, hängen die Modelle
interne Modelle zu stellen sind, damit die Resultate der internen         viel stärker von Modellannahmen ab als von reinen statistischen
Modelle – insbesondere das risikotragende Kapital und das Ziel-           Analysen – im Gegensatz etwa zu Banken, wo extensive Zeitrei-
kapital – zwischen den Versicherern vergleichbar sind. Ver-               hen vorhanden sind. Die gute Datengrundlage der Hauptrisiken
gleichbarkeit heisst nicht, dass die Modelle vergleichbar sein            von Banken – Markt und Kreditrisiken – erlaubt es, komplexe
sollen, sondern die Resultate der Modelle. Es ist nicht die               mathematische Modelle zu kalibrieren und zu verwenden; bei

12                                           E R N S T & Y O U N G AG , N O V E M B E R 2 0 0 6
Versicherern ist man viel öfters auf Theorien, Fachwissen und      Im Folgenden werden Voraussetzungen für ein internes Modell
Expertenmeinungen angewiesen. Dies macht die Beurteilung           erläutert, die erfüllt werden müssen, damit es für die Aufsicht
von internen Modellen für Versicherer zu einer komplexen Fra-      akzeptabel ist.
gestellung.
                                                                   Corporate Governance und Risikomanagement
Bei der Beurteilung von internen Modellen kann die wissen-         Die wichtigste Voraussetzung für die Akzeptabilität eines inter-
schaftliche Methode als gedankliches Analogon helfen: Wie          nen Modells ist seine Einbettung in eine Risikomanagement-
interne Modelle sind wissenschaftliche Theorien Vereinfachun-      und Corporate Governance-Struktur innerhalb einer Versiche-
gen der Realität. In der Wissenschaft hat sich über die letzten    rung mit einer adäquaten Risikokultur.
Jahrhunderte ein Prozess herausgebildet, welcher effizient zwi-
schen guten, schlechten und unbrauchbaren Theorien unter-          In einer adäquaten Risikokultur werden Risiken und ihre Aus-
scheidet. Es fehlen aber formale Regeln, wie dieser Selektions-    wirkungen offen diskutiert. Es ist genügend Fachwissen über
prozess funktioniert. Eine gute Theorie zeichnet sich beispiels-   Risiken vorhanden, damit der Dialog über die Implikationen des
weise durch ihre Eleganz aus, doch lässt sich dieses Argument      internen Modells auf allen Ebenen des Versicherers stattfinden
schwierig formalisieren. Auch ein gutes internes Modell zeich-     kann. Denn für ein Unternehmen ist es geradezu fatal, wenn
net sich durch Eleganz aus, doch diese Eigenschaft kann weder      Risiken bewusst oder unbewusst verschwiegen werden, so dass
durch Vorschriften regulatorisch erzwungen werden, noch kann       es legitimiert ist, nichts zu ändern. Eine offene Diskussion, an
ein Regulator die Eigenschaften eines eleganten internen           der sich alle Mitarbeitenden beteiligen, ergibt sich allerdings
Modells definieren. Was man jedoch sagen kann ist, dass man        nicht von selbst: Verwaltungsrat und Geschäftsleitung müssen
die Eleganz erkennt, wenn man sie sieht.                           die notwendigen Strukturen schaffen, die eine offene Risikokul-
                                                                   tur aktiv unterstützen.
Ebenso wenig wie es richtige Theorien gibt, kann man ein inter-
nes Modell als korrekt bezeichnen. Es kann lediglich entschie-     Corporate Governance ist die Summe der Prozesse, Verfahren
den werden, ob ein Modell für die Aufsicht akzeptabel ist oder     und Vorschriften, welche definieren, wie die Versicherung, und
nicht. Gemeinsame Grundvoraussetzungen für den Evaluations-        hier speziell das Risikomanagement, organisiert ist. Sie regelt
prozess von internen Modellen und wissenschaftlichen Theorien      auch die Verantwortlichkeiten: Die Risikomanagement-Funkti-
sind:                                                              on sollte unabhängig sein von den Funktionen innerhalb des
– Transparenz: Annahmen, Vereinfachungen und Modellie-             Versicherers, welche Risiken zeichnen. Der Verwaltungsrat defi-
  rungsansätze müssen klar dargelegt und dokumentiert sein.        niert die Risikotoleranz, und die Geschäftsleitung stimmt darauf
– Gesprächskultur: Es muss eine offene Diskussion möglich          die tatsächliche Risikofähigkeit ab. Zur Corporate Governance
  sein, damit auch unangenehme Tatsachen ausgesprochen wer-        gehört auch, dass innerhalb des Versicherers ein adäquates Sys-
  den können                                                       tem von «Checks and Balances» besteht, damit die Anforderun-
– Testen und Falsifikation: Die Modelle müssen ständig             gen an das Risikomanagement regelmässig mit der realen Situa-
  hinterfragt und mit neuen Ansätzen verglichen werden: die        tion verglichen werden.
  Resultate der Modelle müssen, so weit wie möglich, mit der
  Realität verglichen werden.                                      Die Geschäftsleitung ist verantwortlich dafür, dass ein angemes-
                                                                   senes Risikomanagement besteht. Dabei sollte die Risikomana-

                                                                                                                                13
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gement-Funktion mit genügend qualifizierten Personen ausge-               – Review durch die Aufsicht
stattet sein. Denn das Risikomanagement ist verantwortlich                – Öffentliche Transparenz
dafür, dass das interne Modell regelmässig verbessert und neu-
en Risikoexpositionen angepasst wird. Eine wichtige Aufgabe               Je nach Situation eines Versicherers können diese vier Formen
ist auch die regelmässige Information der Geschäftsleitung und            des Reviews unterschiedlich betont werden: Besitzt ein Versi-
des Verwaltungsrats mit aktuellen Resultaten aus dem Modell.              cherer beispielsweise eine auf dem Gebiet der internen Modelle
Das interne Modell soll ständig gegenüber der Best-Practice der           schwache Review-Funktion, so kann dafür der externe Review
Modellierung verglichen werden. Ein Modell darf nicht statisch            verstärkt werden. Der Review sollte dabei nicht nur die Metho-
sein, sondern muss regelmässig hinterfragt und gegebenenfalls             dologie des Modells umfassen, sondern auch die Parameter,
verbessert werden.                                                        Daten und Prozesse.

Ein wichtiger Aspekt der Einbettung des internen Modells ist              Ein wichtiger Teil des Reviews der Modelle besteht im Back-
das entsprechende Wissen auf allen Ebenen des Versicherungs-              Testing und im Durchführen von Stresstests. Das Back-Testing
unternehmens: Der Verwaltungsrat muss die Resultate des inter-            erlaubt, die Vorhersagen des internen Modells mit der Realität
nen Modells so interpretieren können, dass die Risikotoleranz             zu vergleichen. Weil nicht genügend historische Daten vorhan-
mit der Risikofähigkeit verglichen werden kann. Die Geschäfts-            den sind, um relevante statistische Aussagen machen zu können,
leitung muss die Resultate des internen Modells, seine Anwend-            ist dies in vielen Fällen schwierig. Allerdings ist es möglich,
barkeit, aber auch seine Begrenzungen verstehen. Und die Risi-            Back-Testing für Teile der Modelle durchzuführen, so etwa für
komanagement-Funktion muss sämtliche Aspekte des Modells –                die Modellierung des Marktrisikos oder für Versicherungsrisi-
von Annahmen über Datengrundlagen bis zu mathematischen                   ken, für welche genügend Schäden beobachtet werden können.
Konzepten – im Detail verstehen.
                                                                          Mit Stresstests sollen die Sensitivitäten gegenüber einzelnen
Damit ein internes Modell in die Prozesse eines Versicherungs-            Risikofaktoren ermittelt werden. Sie zeigen auch die Grenzen
unternehmens eingebettet ist, darf es nie ausschliesslich für             des Modells auf: wo verlieren die Modelle ihre Gültigkeit und
regulatorische Zwecke verwendet werden.                                   wo sollten gegebenenfalls andere Techniken zur Anwendung
                                                                          kommen.
Review
Die Aufsicht muss interne Modelle, welche für regulatorische              Transparenz
Zwecke verwendet werden, bewilligen. Dazu muss das Versiche-              Die Schweizer Aufsicht verlangt von allen Versicherern, welche
rungsunternehmen einen Review der Modelle durchführen. Wie                für den Swiss Solvency Test ein internes Modell verwenden,
in Prinzip 14 festgehalten, ist dafür die Geschäftsleitung verant-        dass sie dessen Methodologie öffentlich transparent machen.
wortlich. Die Aufsicht kontrolliert, ob der Review adäquat ist            Die Anforderung wurde wie folgt formuliert:
und verlangt gegebenenfalls weitergehende Kontrollen. Der
Review-Prozess stützt sich auf vier Pfeiler:                              Die öffentlichen Transparenzanforderungen sollen Prinzipien-
– Interner Review                                                         basiert sein. Es sollen Informationen veröffentlicht werden, so
– Externer Review                                                         dass eine aussenstehende Fachperson einen guten Eindruck von

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der dem Modell unterliegenden Methodik sowie von den wich-         rung dieser Risiken ist viel mehr von Modellannahmen abhän-
tigsten Design-Entscheidungen erhält.                              gig als Risiken, bei denen viele Ereignisse beobachtet werden
                                                                   können und die Modellierung auf historische Daten abgestützt
Es sollen unter anderem Information über folgende Eigenschaf-      werden kann. Bei Rückversicherern können bis zu 90 Prozent
ten des Modells veröffentlicht werden:                             des von versicherungstechnischen Risiken herrührenden Zielka-
– Die Bewertungsmethoden der Anlagen und Verpflichtungen;          pitals von Modellannahmen bestimmt sein und nur 10 Prozent
– Das Risikomass                                                   durch statistische Modellierung abgestützt werden.
– Die Kriterien für die Wahl der Parameter und Verteilungs-
  funktionen                                                       Gruppeneffekte: Für Gruppen und Tochterunternehmen, wel-
– Die relevanten Szenarien und Risikofaktoren und Abhängig-        che Teile einer Gruppe sind, ergeben sich spezielle Fragestellun-
  keitsannahmen                                                    gen, welche von spezifischen Gruppeneffekten herrühren.
– Die Aggregationsmethoden
– Die Einbettung in die Risikomanagement-Prozesse                  Die zunehmende internationale Verwendung risikobasierter Sol-
– Das Anwendungsgebiet des Modells sowie diejenigen poten-         venzsysteme wird bedingen, dass international tätige Gruppen
  ziell relevanten Risiken, welche nicht durch das interne Mo-     sowohl für ihre Tochterunternehmen als auch auf Gruppenstufe
  dell, sondern durch das Standardmodell quantifiziert werden      Zielkapital und risikotragendes Kapital berechnen müssen.
                                                                   Wären Gruppen gezwungen, für alle Tochterunternehmen ein
Die öffentliche Transparenz hat verschiedene Vorteile: Durch       eigenes internes Modell zu entwickeln, etwa weil die regulatori-
die Veröffentlichung werden die Geschäftsleitung und der Ver-      schen Anforderungen in den verschieden Jurisdiktionen unter-
waltungsrat in die Verantwortung gezogen. Speziell bei grösse-     schiedlich sind, wären die Kosten prohibitiv. Ebenso problema-
ren, am Aktienmarkt gehandelten Versicherern, wird der             tisch wäre die Tatsache, dass die verschiedenen internen Model-
«Markt» Anreize geben an eine Mindestqualität des internen         le nicht mehr in die Prozesse der Gruppe eingebettet wären,
Modells. Zudem können interessierte Marktteilnehmer (wie           sondern nur für regulatorische Zwecke verwendet würden.
Versicherte, Aktionäre, Investoren oder Broker) anhand der
Information, wie Risiken behandelt werden, die Situation eines     Für die Schweizer Aufsicht ist es wichtig, dass die methodologi-
Versicherers besser einschätzen.                                   schen Anforderungen an interne Modelle sowohl auf Stufe Legal
                                                                   Entity als auch auf Gruppenstufe konsistent sind. Somit können
Besonderheiten                                                     Modelle entwickelt werden, die sowohl auf Gruppenstufe als
Rückversicherer: Für Rückversicherer und Versicherungsgrup-        auch für die einzelnen Legal Entities verwendet werden können.
pen ergeben sich Besonderheiten, die bei internen Modellen         Aus den Prinzipien des Swiss Solvency Tests ergeben sich fol-
berücksichtigt werden müssen.                                      gerichtig Anforderungen an die Modellierung sowohl auf Stufe
                                                                   Legal Entity als auch auf Gruppenstufe. Gemäss Prinzip 1 und 2
Rückversicherer haben häufig viel heterogenere Portfolios mit      (vgl. Seite 10/11) sind alle Markt-, Kredit- und Versicherungsri-
komplexerer Risikostruktur als Erstversicherer. Zudem delegie-     siken ökonomisch zu modellieren. Das impliziert, dass Tochter-
ren Erstversicherer ihre Spitzenrisiken häufig an die Rückversi-   unternehmen von Versicherungsgruppen alle relevanten grup-
cherer. Somit hängt ein substantieller Teil des notwendigen öko-   peninternen Kapital- und Risikotransfer-Instrumente in die
nomischen Kapitals von Katastrophenrisiken ab. Die Modellie-       Berechnung auf Stufe Legal Entity mit einbeziehen müssen.

                                                                                                                                 15
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

Dazu gehören beispielweise gruppeninterne Retrozessionen
zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften, Eventualver-
pflichtungen und Kapitalgarantien.

Als logische Konsequenz für das Modell auf Gruppenebene
ergibt sich daraus, dass das Gruppenmodell ebenfalls alle rele-
vanten Kapital- und Risikotransfer-Instrumente in die Berech-
nung einzubeziehen hat.

Dies ist ein fundamental anderer Ansatz als derjenige, welcher
in der Vergangenheit oft von Gruppen verwendet wurde. Viele
Gruppenmodelle nahmen an, dass Kapital und Risiko frei inner-
halb der Gruppe zwischen den einzelnen Legal Entities transfe-
rierbar sind. Eine finanzielle Notlage einer Tochtergesellschaft
hat dabei immer einen Kapitaltransfer von der Gruppe zur Toch-
tergesellschaft impliziert, unabhängig davon, ob formale Kapi-
taltransfer-Instrumente vorhanden waren. Dieser «One Group,
one Balance-Sheet»-Ansatz hat den Vorteil, dass sich gruppen-
interne Transaktionen gegenseitig aufheben und man das konso-
lidierte ökonomische Balance-Sheet für die Modellierung ver-
wenden kann. Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass in diesen
Modellen die Risikosituation der einzelnen Tochterunternehmen
nicht abgebildet werden kann.

Ein Vorteil des Schweizer Ansatzes, wonach alle formalen Kapi-
tal- und Risikotransfer-Instrumente modelliert werden müssen,
besteht darin, dass auf natürliche Weise Gruppendiversifikation
sowohl quantifiziert als auch auf die einzelnen Tochterunterneh-
men alloziert werden.

Die explizite Modellierung der Kapital- und Risikotransfer-
Instrumente sieht auch vor, dass das Gruppenmodell alle Tochter-
unternehmen abbilden kann: Entsprechend implementiert kann
das Gruppenmodell die Risikosituation nicht nur für die Gruppe,
sondern auch für alle Tochterunternehmen quantifizieren.

 Dr. Philip Keller, Leiter der Aufsichtsentwicklung, Bundesamt für
 Privatversicherungen (BPV); philipp.keller@bpv.admin.ch

16                                               E R N S T & Y O U N G AG , N O V E M B E R 2 0 0 6
3. Bewertung operationaler Risiken im
   Versicherungsbereich

      Der Swiss Solvency Test beschreibt unter anderem die                      Operationelle Risiken werden im Gegensatz zu Marktrisiken
      künftigen minimalen Solvenzanforderungen für Schweize-                    nicht bewusst zur Erzielung eines finanziellen Gewinns einge-
rische Versicherungen. Das Management operationeller Risiken                    gangen.
wird qualitativ durch Self-Assessments behandelt werden. Inter-
ne Verluste, die auf operationelle Risiken zurückzuführen sind,                 Reputationsrisiken sind oftmals die Folge eines operationellen
müssen erfasst werden. Im Folgenden werden einige Aspekte der                   Risiko- oder Kredit-Ereignisses. Auch wenn sie nicht Teil des ope-
qualitativen und quantitativen Beurteilung operationeller Risi-                 rationellen Risikos und nur schwer zu quantifizieren sind, können
ken beleuchtet. Ausgenommen sind Berechnungsverfahren, die                      sie grundsätzlich einen hohen Einfluss auf den Marktwert3 eines
nur auf historischen Verlustdaten basieren1.                                    Unternehmens haben. Sie beeinflussen jedoch nur dessen Fran-
                                                                                chisewert4 und nicht die Höhe des risikotragenden Kapitals5.
Um operationelle Risiken sinnvoll erfassen zu können, müssen
sie definiert werden. Basel II2 versteht darunter die Gefahr von                In manchen Fällen lassen sich Verluste im Bereich operationel-
Verlusten, die infolge einer Unzulänglichkeit oder des Versa-                   le Risiken nur schwer von Verlusten aufgrund von anderen
gens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder                         Risikokategorien, insbesondere von Kredit- und Versicherungs-
infolge externer Ereignisse eintreten. Diese Definition schliesst               risiken, unterscheiden. So kann ein durch Betrug erstandener
Rechtsrisiken ein, nicht jedoch strategische Risiken oder Repu-                 Kredit zu einem kompletten Zahlungsausfall führen. Oder Sach-
tationsrisiken. Der direkte Verlust, der einem Ereignis im                      versicherungspolicen werden wegen unzureichender Kontrollen
Bereich operationelle Risiken zugeordnet werden kann, ist                       anhand von falschen Verlustdaten bewertet. Die materialisierten
somit im Verlustbetrag zu berücksichtigen. Indirekte Kosten                     Verluste aus den Policen könnten auch als Verluste aus dem
hingegen, wie der interne Arbeitsaufwand zur Behandlung der                     Sachversicherungsgeschäft erfasst werden. Um eine doppelte
Folgen des Ereignisses und der Einfluss für die weitere                         Kapitalunterlegung zu vermeiden, sollte ein Verlustereignis nur
Geschäftstätigkeit (höhere Refinanzierungskosten, verringerter                  einer Risikokategorie zugeordnet werden.
Franchisewert), werden den operationellen Risiken nicht hinzu-
gerechnet. Abweichungen von dieser Definition sind für interne                  Zur sinnvollen Erfassung von Verlustdaten im Bereich operatio-
Berechnungen zulässig.                                                          nelle Risiken ist die Definition von Attributen eines solchen

Tabelle 1: Kategorisierung operationeller Risiken
                                                 Vermögensverwaltung          Sachversicherung           Lebensversicherung             Krankenversicherung
Interne betrügerische Handlungen
Externe betrügerische Handlungen
Beschäftigunspraxis und Arbeitsplatzsicherheit
Kunden, Produkte und Geschäftsgepflogenheiten
Sachschäden
Geschäftsunterbrechungen und Systemausfälle
Abwicklung, Lieferung und Prozessmanagement
Verlustdaten können sinnvoll erfasst werden, wenn die Verlustmerkmale nach Ereignistypen und Geschäftseinheiten kategorisiert werden.

                                                                                                                                                         17
S W I S S S O LV E N C Y T E S T

Ereignisses sinnvoll. Neben den offensichtlichen Attributen               – Welche Rolle nimmt die Geschäftsleitung im Management
(beispielsweise Verlustbetrag, Währung, Datum der Bilanzie-                 operationeller Risiken wahr?
rung) gibt es noch weitere Verlustmerkmale wie die Geschäfts-               –Etabliert sie die erforderliche Organisationsstruktur zum
einheit, welcher der Verlust und die Ereigniskategorie zugeord-               Management operationeller Risiken?
net ist (vgl. Tabelle 1).                                                   –Ist eine Strategie für die operationellen Risiken formuliert?
                                                                            –Wurden Policies und Frameworks für die operationellen
Die Zuordnung operationeller Verluste auf Geschäftseinheiten                  Risiken formuliert und verabschiedet?
kann eine adäquate Allokation von Eigenkapital auf Geschäfts-             – Gibt es auf Gruppenebene einen zentralen Bereich für das
einheiten unterstützten. Grundsätzlich ist es möglich, eine höhe-           Management operationeller Risiken?
re Granularität der Geschäftseinheiten und Ereigniskategorien               –Findet dort die Entwicklung qualitativer und quantitativer
einzuführen. Dies wird jedoch die Anzahl der Ereignisse pro                   Methoden statt, um operationelle Risiken identifizieren,
Geschäftseinheit und Ereignistyp reduzieren, was künftig eine                 messen, analysieren und überwachen zu können?
zuverlässige Schätzung der Verluste im Bereich operationelle                –Werden dort Szenarien definiert und bewertet?
Risiken erschwert.                                                          –Werden zentrale Risiko- und Kontroll-Indikatoren9, welche
                                                                              das operationelle Risiko und die Qualität der Kontrollen
Daten im Bereich operationelle Risiken müssen vollständig6 und                messen, definiert und regelmässig erfasst?
genau erfasst werden. Es kann sich als sinnvoll erweisen, wenn die        – Gibt es auf Geschäftsebene lokale Bereiche für das Manage-
Ersterfassung operationeller Verluste durch bestimmte Mitarbei-             ment operationeller Risiken?
tende auf einer Intranet-Seite erfolgt. Bevor die Daten zur Erfas-          –Wurden Richtlinien und Prozesse in Bezug auf opera-
sung in die dafür vorgesehene Datenbank freigegeben werden,                   tionelle Risiken gemäss einem Framework entwickelt?
sollten sie durch eine Controlling-Einheit7 im Bereich operatio-            –Findet eine Überwachung der Entwicklung der operat-
nelle Risiken überprüft werden. Dabei ist anzumerken, dass Ver-               ionellen Risiken in deren Verantwortungsbereich statt?
luste im Bereich operative Risiken teilweise auf Schätzungen              – Wie wird die Vollständigkeit und Exaktheit der Verlustdaten
beruhen und in zeitlichen Abständen revidiert werden müssen.                der internen operationellen Risiken sichergestellt?
                                                                            –Durch welche IT-Systeme wird der Prozess der
Self-Assessments des Managements operationeller Risiken                       Datensammlung über operationelle Risiken implementiert?
Im Rahmen des Swiss Solvency Tests8 wird ein Fragebogen über              – Findet ein Reporting der Verluste der internen operationellen
die Qualität des Managements operationeller Risiken innerhalb               Risiken statt?
des Unternehmens beantwortet werden müssen. Dieses Self-                    –Wer sind die Empfänger solcher Reports und wie sind die
Assessment kann zahlreiche Aspekte des Managements opera-                     Reports gestaltet?
tioneller Risiken berücksichtigen. Die tatsächlichen Fragen sind          – Gibt es ein Komitee für operationelle Risiken, welches aktu-
derzeit noch nicht verfügbar. Hinweise darauf dürften jedoch                elle Aspekte von operationellen Risiken diskutiert und Emp-
einige Fragestellungen aus Basel II bezüglich Advanced Measu-               fehlungen verfasst?
rement Approach liefern: Diese Fragen beziehen sich vornehm-
lich auf organisatorische und prozessbezogene Aspekte des                 Die Gesamtbewertung eines solchen Self-Assessments kann
Managements operationeller Risiken:                                       über zwei Stufen erfolgen: Zunächst ist eine Gewichtung jeder
                                                                          einzelnen Frage des Self-Assessments und danach die Bewer-

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tung der entsprechenden Antwort vorzunehmen. Die Gesamtbe-         (erkennende Kontrolle) beeinflussen. In der Vermögensverwal-
urteilung ergibt sich dann aus einer gewichteten Summe10.          tung sind beispielsweise «nicht zulässige Handelsaktivitäten
                                                                   eines Portfoliomanagers» ein operationelles Risiko. Dieses Risi-
Self-Assessments von operationellen Risiken und Kontrollen         ko gehört zur Kategorie der internen betrügerischen Handlun-
Ein Self-Assessment von operationellen Risiken und Kontrollen      gen. Die Trennung des Front- und Backoffice ist eine Kontrolle,
ist eine Form der qualitativen Bewertung operationeller Risiken,   die zur Verlustminderung dieses Risikos beitragen soll. Der Ein-
die nicht auf tatsächlichen Verlustdaten basieren muss11. Viel-    fluss dieser Kontrolle auf das Risiko «nicht zulässige Handels-
mehr soll die Gesamtheit aller wesentlichen operationellen Risi-   aktivitäten» hängt von Faktoren wie der Erfahrung der Backof-
ken im Unternehmen und der sie beeinflussenden Kontrollen          fice-Mitarbeitenden und den sie unterstützenden Informatiksys-
erfasst und bewertet werden. Die Identifikation der Risiken und    temen12 ab.
Kontrollen kann beispielsweise auf Basis der relevanten Ge-
schäftsprozesse im Unternehmen oder in Bezug auf verschiede-       Ein wesentlicher Vorteil der Self-Assessments von operationel-
ne Geschäftseinheiten erfolgen. Im Gegensatz zu einem Ansatz,      len Risiken und Kontrollen in Bezug auf das Management ope-
der nur auf historischen Verlustdaten im Bereich operationeller    rationeller Risiken liegt darin, dass die Aufmerksamkeit der
Risiken basiert, kann dieser Ansatz zukunftsgerichtet gewählt      Geschäftseinheiten für operationelle Risiken erhöht wird.
werden oder die gegenwärtige Kontrollumgebung einer Unter-
nehmung reflektieren.                                              Die Self-Assessments von operationellen Risiken und Kontrol-
                                                                   len aller Unternehmenseinheiten oder relevanten Geschäftspro-
Gewöhnlich werden Self-Assessments von operationellen Risi-        zessen können einen Überblick über die grössten inhärenten und
ken und Kontrollen im Rahmen von Workshops mit verschiede-         residualen operationellen Risiken innerhalb des Unternehmens
nen Managern und oft auch den internen Auditoren durchge-          liefern. Dies setzt einheitliche Standards in den Bewertungen
führt. Ziel ist zunächst die vollständige Erfassung und Bewer-     der Risiken und Kontrollen voraus. Auch wenn häufig Manager
tung der operationellen Risiken in Bezug auf einen bestimmten
Prozess oder auf eine Geschäftseinheit. Dabei kann unterschie-
den werden zwischen inhärenten Risiken, die den ökonomischen        Abbildung 1: Berechnung des Residualrisikos
Verlust vor dem Einfluss einer Kontrolle beschreiben, und resi-
dualen Risiken, welche den ökonomischen Verlust nach dem              Inhärentes Risiko                                         Kontrolle
Einfluss einer Kontrolle umreissen. Die Bewertung der Risiken
                                                                     Häufigkeit/Verlust-                                     Design/Operative
und Kontrollen kann nominal (beispielsweise «tief», «mittel»,
                                                                            höhe                                               Effektivität
«hoch») oder kardinal erfolgen. Bei einer kardinalen Bewertung
könnten zum Beispiel die erwartete Häufigkeit innerhalb eines
                                                                                                       Model
Jahres und die erwartete Verlusthöhe eines Ereignisses im
Bereich operationelle Risiken angegeben werden.
                                                                                                   Residualrisiko
Kontrollen können durch ihr Design und die operative Wirksam-
keit definiert werden. Eine Kontrolle kann die Häufigkeit (vor-    Basierend auf den Daten des Self-Assessments von operationellen Risiken und
beugende Kontrolle) und/oder die Verlusthöhe eines Risikos         Kontrollen kann das Residualrisikos berechnet werden.

                                                                                                                                                19
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