Anders? Normal! - Stadt Zug

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Anders? Normal! - Stadt Zug
Die Stadt Zug im Fokus   Nummer 25   Februar 2020   Fr. 4.50

Anders? Normal!
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 2   Stadtmagazin Nr. 25           Februar 2020            Editorial

                                Anders? Normal!
                                Die Stadt Zug ist gut aufgestellt! Wir haben nach einer
                                Durststrecke zum zweiten Mal in Folge einen guten
                                Jahresabschluss erreicht. Der Dank geht an alle
                                Zugerinnen und Zuger, Gewerbetreibende und Firmen,
                                die hier Steuern zahlen, sowie an den Grossen Gemein-
                                derat. Sie unterstützen den Stadtrat in seinen Bemü-
                                hungen, weiterhin einen attraktiven Standort für alle
                                anzubieten. Alle, wirklich alle? Dieses Stadtmagazin
                                widmet sich dem Thema Anderssein als Normalzu-
                                stand – und wie wir damit umgehen oder umgehen
                                sollten, damit wir wirklich mit Stolz sagen können:
                                Ja, die Stadt Zug ist für alle da!

                                Zug bietet viel, und die meisten von uns können sich in
                                unserer Stadt problemlos frei bewegen. Doch es gibt
                                auch Menschen, die für ihre Aktivitäten auf einen
                                Rollstuhl oder auf die Hilfe eines anderen Menschen
                                angewiesen sind. Stadtplaner Harald Klein und Roll­­-
                                stuhlfahrerin Manuela Leemann zeigen zusammen
                                auf, wo welche Schwierigkeiten lauern und wie damit
                                umgegangen wird.

                                In unserer Stadt leben auch Menschen, die von Geburt
                                an oder durch einen Unfall handicapiert sind. Wie
                                können wir sie in die Arbeitswelt integrieren? Ja, es
                                gibt tolle Institutionen, die massgeschneiderte Arbeits­
                                stellen anbieten. Wie steht es aber mit Zuger Firmen
                                und der Stadt Zug als Arbeitgeberin?

                                Ob wenig, durchschnittlich oder hoch begabt: Anders-
                                sein als Normalzustand. Wie gehen unsere Stadtschu-
                                len mit dieser Herausforderung um? Einblicke in den
                                Schulbetrieb zeigen, wie Kinder und Jugendliche von
                                der Heilpädagogischen Schule bis zu den normalen
                                Regelklassen individuell gefördert werden.

                                Als Novum in der Schweiz kommt das «Museum of
                                Diversity & Inclusion» MODI Lab von Februar bis Mai
                                nach Zug. Im Stadtmagazin erfahren Sie die Hinter-
                                gründe dazu. Tauchen Sie ein in den «Dialog im
                                Dunkeln» und betreten Sie die Lebenswelt blinder
                                Menschen.

                                Lassen Sie sich ein auf ein anderes, äusserst spannen-
                                des Stadtmagazin!

                                André Wicki, Stadtrat, Vorsteher Finanzdepartement
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 3                           Stadtmagazin Nr. 25                 Februar 2020                         Die Stadt Zug im Fokus

                                          Lebensraum
                                  7       Wenn der Rollstuhl ansteht
                                          Barrierefreie Mobilität Alle Menschen sollen am öffentlichen Leben teilhaben können.
                                          Im Alltag sind wir davon oft noch weit entfernt. Auf einem Spaziergang durch die Stadt Zug
                                          mit Stadtplaner Harald Klein und der CVP-Politikerin Manuela Leemann stossen wir auf
                                          viel Barrierefreiheit, aber auch auf zahlreiche Hindernisse für Menschen im Rollstuhl.

                                                        Stadtpolitik
                                             11         Nicht vergessen
                                                        Demenz Wenn alte Erinnerungen aufblühen und morgen mit gestern ver-
                                                        wechselt wird. Jährlich erkranken in der Schweiz rund 29 500 Menschen an
                                                        Demenz. Eine Diagnose, die für Betroffene und Angehörige häufig einen
                                                        sozialen Rückzug in Gang setzt. Das muss aber nicht sein.

                                                                   Wirtschaft
                                                          17       Von Sprungbrettern & Brückenbauern
                                                                   Arbeiten Menschen mit körperlichen, psychischen oder geistigen Beein-
                                                                   trächtigungen haben es auf dem Arbeitsmarkt nicht einfach. Das ist auch
                                                                   in der Stadt Zug nicht anders. Aber zahlreiche Hilfsangebote unterstützen
                                                                   die berufliche Integration.

                                                                               Schule & Familie
                                                                      25       Bilden nach Mass
                                                                               Integration inbegriffen In den Klassenzimmern der Zuger
                                                                               Stadtschulen gibtʼs für alle Kinder einen Platz — immer dort,
                                                                               wo sie optimal ge­fördert werden.

                                                                                           Kultur & Freizeit
                                                                                  29       Im Dunkeln sind alle anders
                                                                                           Selbstversuch Die Macher des Modi Lab schalten
                                                                                           das Licht aus und wollen die Zuger Bevölkerung
                                                                                           mit einer neuen Erfahrung zur Aktion bewegen.
                                                                                           Ob das klappt? Wir tasten uns heran.

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                                                                                                           32 Dialog mit der Stadt
die Stadtmagazin-Zug-App via
QR-Code oder Store auf Ihr                                                                                 32 Kolumne Till
Smartphone oder Tablet oder
                                                                                                           33 Kinderseite
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Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 4                             Stadtmagazin Nr. 25        Februar 2020                      Infografik

Was ist schon normal?
Illustration Cornelia Diethelm

                                                                                      Quartiere
                                                                                     GUTHIRT
                                                                                     4337 Einwohner aus 85 Nationen

                                                                                     ALTSTADT
                                                                                     geringster Kinderanteil mit 7,3 %

                                                                                     ZUGERBERG
                                                                                     grösster Kinderanteil mit 41,7 %
                                                                                     228 Einwohner aus 33 Nationen

                                                               Ehe und eingetragene
                                                               Partnerschaft
                                                               13 390 Verheiratete Personen 2018
                                                                   82 Personen in eingetragener Partnerschaft

            Personenwagen
            15 859 Fossile Treibstoffe (Benzin, Diesel, Gas)
               543 Hybride
               232 Elektrofahrzeuge
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 5                     Stadtmagazin Nr. 25                  Februar 2020                          Infografik

                                                                      Sport
                                                                      12 851 Aktivmitglieder in Stadtzuger Sportvereinen
                                                                          63 davon mit Swiss Olympic Card*

                                                                               * Die Swiss Olympic Card ist eine Auszeichnung für
                                                                                 Athleten — einerseits für international erbrachte
                                                                                 Wettkampfleistungen und andererseits für vorhan-
                                                                                 denes Potenzial.

                                          Bibliothek
                                          BESTAND
                                           8 577 Hörbücher
                                             135 Grossdruck-Bücher
                                              72 Bücher in einfacher Sprache

                                          ONLINE MEDIEN
                                          26 491 eBooks
                                           4 608 Digitale Hörbücher

          Hunde
          GESCHLECHT
          488 männlich
          476 weiblich

          HÄUFIGSTER HUNDENAME
          12 x Luna weiblich
          6 x Rocky männlich

          HÄUFIGSTE HUNDERASSE
          63 x diverse einmalige Rassen
          56 x Labrador
          47 x Chihuahua

          HÄUFIGSTE FARBE
          97 x tricolor
          80 x schwarz
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 6                Stadtmagazin Nr. 25     Februar 2020                           Lebensraum

Lebensraum
NEUBAU RECYCLINGZENTRUM MIT ÖKIHOF             BEFRAGUNG                              CHRÖÖPFELIMEE

Dreifachnutzung                                Zufrieden mit
                                               Mobilität
                                                                                      Ständchen in der
                                                                                      Altstadt

                                               Mehr als drei Viertel der Bevölke-     In der Stadt Zug hat sich ein alter
                                               rung sind mit der Verkehrssituation    Brauch erhalten, der eine einzig-
                                               in der Stadt Zug zufrieden. Dies       artige Stimmung in die abendlichen
                                               hat eine repräsentative Befragung      Gassen zaubert. Sängergruppen
                                               des Forschungsinstituts gfs.bern       durchstreifen am Sonntag nach der
                                               im Herbst 2019 bei 1316 Einwohne-      Fasnacht, in diesem Jahr am 1. März,
                                               rinnen und Einwohnern ab 16 Jahren     die Altstadt und suchen die roten
                                               ergeben.                               Lichter im Fenster. Dort bleiben sie
                                                                                      stehen, rufen das frisch verliebte
                                               Besonders hoch ist der Zuspruch        und erwartungsvolle Paar heraus
                                               in der jüngeren Bevölkerung und        und bringen ein Ständchen. Die
                                               von Nutzerinnen und Nutzern des        Sängerinnen und Sänger haben sich
Voraussichtlich am 17. Mai werden die          öffentlichen Verkehrs. Verbesse-       vorbereitet für ihren Glückwunsch
                                               rungspotenzial sehen am ehesten        und erscheinen verkleidet, sei es
Stimmberechtigten der Stadt Zug über den       Velofahrerinnen und Velofahrer.        als Herzkäfer, als Engel mit Feder-
Baukredit von 20,8 Millionen Franken           Die Qualität des öffentlichen Ver-
                                               kehrs ist für die Einwohnerinnen und
                                                                                      flügeln, als Bauarbeiter mit dem
                                                                                      gelben Schutzhelm oder als eine
für das neue Recyclingzentrum mit Ökihof       Einwohner der Hauptgrund für ihre      Schar feierlicher Fräcke. Und sie
                                               Zufriedenheit. Die Rahmenbedin-        singen nicht nur von der ewigen
im Göbli abstimmen. Der Neubau ersetzt         gungen für den motorisierten In­       Liebe, sondern flechten Neckereien
 den bisherigen Ökihof beim Güterbahnhof.      dividualverkehr werden ebenfalls
                                               positiv beurteilt.
                                                                                      und Spässe ein.

Das Brockenhaus der Frauenzentrale und                                                Als Lohn schwebt ein Korb mit
                                               Verkehrsüberlastungen sind mit         Krapfen und Wein zu ihnen herab.
 die Werkstätten, Büros und Verkaufsräume      Abstand der wichtigste Grund           Ursprünglich waren die Sänger
von GGZ@Work der Gemeinnützigen                für eine negative Bewertung der
                                               Verkehrssituation. Die Einwohne­­
                                                                                      damit noch nicht zufrieden und
                                                                                      forderten «Chrööpfeli mee!», was
­Gesellschaft Zug werden ebenfalls in das      rinnen und Einwohner erleben           dem schönen Brauch den Namen
                                               solche Überlastungen insbesondere      gab. Dieser wurde in das Verzeich-
neue Recyclingzentrum einziehen. Bei           zu Stosszeiten. Kritik gibt es auch    nis der «Lebendigen Traditionen
 einem positiven Volksentscheid kann mit der   an häufigen Staus und mangelnden       in der Schweiz» aufgenommen und
                                               Parkplätzen.                           zählt damit zum Weltkulturerbe
Ausführungsplanung und Ausschreibung                                                  der UNESCO.
begonnen werden. Der Baustart ist für          In Bezug auf die Verkehrspolitik
                                               möchte die Bevölkerung Mass-           Die organisierende Zunft der
Februar 2021 geplant und die Inbetriebnahme    nahmen für die Aufenthaltsqualität     Schneider, Tuchscherer und Ge-
                                               in der Stadt und den Veloverkehr       werbsleute der Stadt Zug lädt
 soll im Oktober 2022 erfolgen.                stärker fördern. Der Unterhalt des     Bevölkerung und Gäste herzlich
                                               Strassennetzes ist der Bevölkerung     ein, das Chrööpfelimee-Singen
                                               sehr wichtig, Ausbaumassnahmen         am 1. März ab 17.30 Uhr in der
                                               beim motorisierten Verkehr haben       Zuger Altstadt zu besuchen.
                                               hingegen keine Priorität.
                                                                                      Infos:
                                                                                      schneiderzunft.ch
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 7                               Stadtmagazin Nr. 25   Februar 2020   Lebensraum

Wenn der Rollstuhl ansteht
Barrierefreie Mobilität Alle Menschen sollen am öffentli-
chen Leben teilhaben können. Im Alltag sind wir davon
oft noch weit entfernt. Auf einem Spaziergang mit Stadt­
planer Harald Klein und CVP-Politikerin Manuela Leemann
stos­sen wir auf viel Barrierefreiheit, aber auch auf zahl­
reiche Hindernisse für Menschen im Rollstuhl.
Text Jana Avanzini, Fotos Franca Pedrazzetti
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 8                             Stadtmagazin Nr. 25                  Februar 2020                         Lebensraum

«Das Ziel für Zug ist ein
 durchgehendes Fussweg-
 netz, welches überall
 dieselbe Qualität hat.»
 Harald Klein

Durch die Strassen unserer Stadt hasten wir
meist, ohne viel darüber nachzudenken, wel-
che Treppen, Steigungen und Randsteine un-
sere Beine für uns überwinden. Bewusst wer-
den sie uns erst, wenn wir Eltern oder älter
werden. Oft bringen erst Kinderwagen und
Rollatoren die Leute dazu, diese Hindernisse
als solche wahrzunehmen, sagt Manuela Lee-
mann. Die Rechtsanwältin sowie Gemeinde-
und Kantonsrätin ist seit über 20 Jahren auf
den Rollstuhl angewiesen. Sie überlegt sich
jeweils ganz genau, welche Wege sie wählt.
Die nämlich, die keine Treppen, am wenigs-
ten Pflastersteine und am meisten überdachte
Stellen aufweisen. Leemann weiss auswendig,
wo in der Stadt die Randsteine am wenigsten                            «Ich wünschte mir auch in der Schweiz
hoch sind, die Regenrinnen am wenigsten tief,
die Steigungen zu steil.
                                                                        mehr Vereine, in welchen Menschen
                                                                        mit und ohne Behinderung gemein-
Gute Lösungen – und noch viel Arbeit
Auf einem Spaziergang durch die Stadt su-
                                                                        sam mitmachen und trainieren. Das
chen wir, mit Leemann und Stadtplaner Klein,                            fördert Verständnis und Bewusstsein.»
neben den guten Lösungen auch diejenigen
                                                                         Manuela Leemann
Orte, wo Zug noch Arbeit vor sich hat. Als
wir vom Bahnhof in Richtung Metalli aufbre-
chen, betont Manulea Leemann, die Wege in
der Stadt Zug seien zumindest im flachen Teil
ziemlich rollstuhlgängig. Vorbildlich ist die    gepflastert, die Übergänge abgeschrägt. «Wenn     man dort grundsätzlich mehr Platz für barri-
Art der Abschrägung der Trottoir-Randsteine,     es schon Pflastersteine sein müssen, dann         erefreies Bauen, doch den Hauptgrund sieht
was für Menschen mit Gehbehinderung, aber        solche», so Leemann. Ein Beispiel dafür, wie      sie im Selbstverständnis. Als sie beispiels-
auch für Menschen mit Sehbehinderung, als        man Denkmalpflege mit Behindertengleich-          weise beim Sportangebot der Uni angefragt
Kompromiss sehr gut funktioniert. Auch, dass     stellung verbinden kann.                          habe, was für sie denn möglich sei, lautete
neuerdings die Verkehrsinseln bei Fussgän-                                                         die Rückfrage: «Was möchtest du denn? Dann
gerstreifen in der Mitte nicht mehr wie ein      Die Haltung macht den Unterschied                 machen wir es möglich.» Die Haltung, die den
Trottoir gebaut, sondern nur noch gemalt wer-    Wir bewegen uns weiter, unter den Arkaden in      Unterschied macht. «Ich wünschte mir auch in
den, ist eine Erleichterung. Bei einer solchen   Richtung Neustadtpassage. Arkaden sind ide-       der Schweiz mehr Vereine, in welchen Men-
sind wir gerade angekommen, vor dem Res-         al – gerade für Leemann als Tetraplegikerin,      schen mit und ohne Behinderung gemeinsam
taurant Bären. Die Ampel ist rot, wir fragen     vor allem wenn es regnet. Denn einen Schirm       mitmachen und trainieren. Das fördert Ver-
nach: Wo befinden sich denn die Baustellen       zu halten oder mit nassen Handschuhen den         ständnis und Bewusstsein», so Leemann. Ei-
der Barrierefreiheit? Wo es noch hapert in       Rollstuhl zu stoppen, ist schlicht unmöglich.     nen Grund für die Selbstverständlichkeit der
Zug, diese Stellen kennt auch Harald Klein.      Im Moment ist es zwar trocken, aber doch eisig    Inklusion sieht sie auch in der Kriegsvergan-
Zählt Leemann auf, nickt er bestätigend: Der     kalt, wir unterbrechen unseren Spaziergang        genheit Australiens. Dort, wie auch in Kanada
Aufgang zur Neustadtpassage, der Randstein       für einen Kaffee, wo Manuela Leemann von          oder den USA, gab es durch die zahlreichen
bei der reformierten Kirche und der schlechte    ihren Ferien berichtet. Sie war in Australien,    Kriegsverletzten viel mehr und sichtbarere
Zugang zum Ampelknopf vor der Turnhalle          wo sie schon 2012 ein Jahr studierte. Zurück      Gründe dafür, sich schon in der ersten Hälf-
Schützenmatt. Auch viele Bushaltestellen         in der Schweiz, fielen ihr die Barrieren inten-   te des 20. Jahrhunderts mit hindernisfreiem
sind noch nicht so erhöht, dass die meisten      siver auf. «In Australien brauche ich nicht zu    Bauen auseinanderzusetzen. In der Schweiz
Personen im Rollstuhl selbstständig in den Bus   recherchieren, ob ich irgendwo in den Zug         würden Rollstuhlfahrende, allgemein Men-
steigen können. Ein guter Kompromiss sei         einsteigen, ein Restaurant oder Konzertlokal      schen mit Behinderungen, erst in den vergan-
hingegen die neue Zeughausgasse  –  flacher      besuchen kann», so Leemann. Natürlich habe        genen Jahrzehnten stärker sichtbar.
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 9                              Stadtmagazin Nr. 25                   Februar 2020                          Lebensraum

«Wenn es schon Pflaster-
 steine sein müssen, dann
 solche: flacher gepflas-
 tert und abgeschrägt.»
 Manuela Leemann

Und Sichtbarkeit ist der zentrale Punkt, da-
mit man bei der Planung von Bauten oder
Anlässen auch für Menschen mit Behinde-
rungen mitdenkt. Das Bewusstsein fehlt in
der Schweiz noch zu oft, weiss Harald Klein.
«Es muss selbstverständlich werden. Doch
mir fällt auf, dass wir bei Neubauten schon
zu wenig an Barrierefreiheit denken, dabei
gäbe es bei den alten Baustrukturen noch ge-
                                                                                            «Barrierefreiheit ist leider
nug Probleme zu lösen.» Wie bei der Neustadt-                                                nicht gelöst, wenn nur
Passage, zu welcher wir uns jetzt aufmachen,
die 1970 eröffnet, noch mit anderen Prioritä-
                                                                                             Stadt und Kanton ihre
ten geplant worden war. Für die Anlieferung       insbesondere der anstehenden Revision der Gebäude zugänglich
wurde die Überbauung 1.20 Meter erhöht an-
gelegt. Etwas, das heute nicht mehr bewilligt
                                                  Ortsplanung Zug, geht es nun um die Über-
                                                  prüfung dieser Netze. Im Tiefbau wird an-
                                                                                             machen.»
würde. «Doch abreissen und neu bauen, das         schliessend die konkrete Planung, auch mit         Harald Klein
geht nicht so einfach. Vor allem nicht, wenn      Unterstützung und Inputs von Organisatio-
Parzellen verschiedenen Eigentümern gehö-         nen wie Pro Infirmis, in Angriff genommen»,
ren», so Klein. Am Ende der Neustadtpassage       erklärt Klein.                                     Die Sensibilisierung jedoch schon. Potenzial
angekommen, wird die Stelle sichtbar, wo es                                                          dafür sieht Klein zum Beispiel bei der Detail-
für die Stadt definitiv ein Problem zu lösen      Schwierig jedoch wird es an Stellen, wo Stadt      handelsstudie für das Zentrum von Zug, wel-
gibt. Der Zugang zur Passage ist mit einer        oder Kanton nicht mehr alleine entscheiden         che aktuell durchgeführt wird. «Eine solche
Steigung von geschätzten 15 Prozent nicht         können. Der Bahnhof Zug beispielsweise             Studie kann Anlass sein, Ideen und Wünsche
nur für Menschen im Rollstuhl, sondern auch       ist durch die Biegung der Gleise ungüns-           von Seiten der Stadt einzubringen.» So wer-
für Rollatoren äusserst unsicher. Es ist nicht    tig gebaut. Denn so entsteht ein zu grosser        den die Geschäfte nicht nur mit einer Studie
nur steil, der Weg verläuft zudem direkt auf      Zwischenraum zwischen dem Zug und dem              unterstützt, sondern die Ladenbesitzer auch
die vielbefahrene Bahnhofstrasse zu.              Perron, um im Rollstuhl ohne Unterstützung         auf andere Themen wie die Behinderten-
                                                  einsteigen zu können. Zudem wäre mehr als          gleichstellung aufmerksam gemacht.
Fusswegnetz für alle als Ziel                     ein Lift pro Perron wichtig. «Funktioniert der
Für Rollstühle sind Steigungen von mehr als 6     Lift nicht, dann hängt da ein Defekt-Schild,       Mittlerweile stehen wir vor dem Regierungs-
Prozent ohne Hilfe nur schwer zu bewältigen.      aber keine Telefonnummer. Ich stecke in sol-       gebäude mit der grossen Haupttreppe. Es ist
So bewegt sich Leemann in Zug auch kaum           chen Momenten schlichtweg auf dem Perron           als kantonales Gebäude selbstverständlich
Richtung Zugerberg und wenn, dann im Auto.        fest», so Leemann                                  rollstuhlgängig. Aus baulichen Gründen je-
Allgemein fährt sie lieber Auto als mit dem öV,                                                      doch befindet sich der Rollstuhleingang an
weil sie da beim Einsteigen ständig um Hilfe      Mehr Offenheit und Kreativität gefragt             der Seite des Gebäudes. «Der repräsentative
bitten muss. Obwohl sich das Fahren mit dem       Entlang der Bahnhofstrasse bewegen wir uns         Haupteingang wird bei solchen Gebäuden
öffentlichen Verkehr in den letzten 20 Jahren     nun Richtung Postplatz. Hier wird innert we-       nur sehr selten für Gehbehinderte zugäng-
extrem verbessert habe. «Ich muss sehr oft um     niger Meter klar, wie viele Läden und private      lich», erklärt Klein. Gebaute Strukturen und
Hilfe bitten, da schätze ich die Unabhängig-      Gebäude weit entfernt davon sind, für alle zu-     Denkmalpflege auf der einen Seite, Behinder-
keit mit dem Auto extrem», so Leemann. «Ich       gänglich zu sein. Treppenstufen vor dem Ein-       tengleichstellung auf der anderen – oft kann
will ja nicht ständig das Gefühl haben, dass      gang, kein Lift für Kunden, Türen, die schon       nur eine Seite gewinnen. Leemann geht es bei
man alles für mich ändern muss.» Wenn sie         für Menschen ohne Behinderung schwer zu            dieser Treppe weniger um das Repräsentative,
jedoch mit der AMB, der Arbeitsgruppe Men-        öffnen sind. «Solche Orte meide ich ganz           als um das Ausschliessende – denn oft werde
schen mit Behinderung, Ideen für Verbesse-        einfach», sagt Leemann pragmatisch. Ha-            nach den Kantonsratssitzungen noch auf der
rungen einbringe, würden diese schnell in         rald Klein tippt derweil die Treppenstufe vor      Treppe weiter über die politischen Anliegen
Angriff genommen. So verbessere sich die          einem Wohnhaus mit der Fussspitze an, als          geplaudert. Diese Gespräche verpasst Lee-
Barrierefreiheit im öffentlichen Raum Schritt     teste er die Stabilität des Steins. «Barriere-     mann. «Man kann nicht jedes Haus rollstuhl-
für Schritt. «Das Ziel für Zug ist ein durchge-   freiheit ist leider nicht gelöst, wenn nur Stadt   gängig machen, das ist mir klar», so die Kan-
hendes Fusswegnetz, welches überall diesel-       und Kanton ihre Gebäude zugänglich machen.         tonsrätin. Doch sie wünsche sich etwas mehr
be Qualität hat.» Bei uns in der Raumplanung,     Vieles ist von uns kaum beeinflussbar», sagt er.   Offenheit und Kreativität.
Anders? Normal! - Stadt Zug
Seite 10               Stadtmagazin Nr. 25      Februar 2020                           Stadtpolitik

Stadtpolitik
TREPPENAUFGANG STADTMAUER                       KINDERFREUNDLICH                       ENERGIE FÖRDERN

Rekonstruktion notwendig                        Jährlicher
                                                Aktionsplan
                                                                                       Sparen lohnt sich

                                                Am 20. November erhielt die Stadt      Das städtische Energieförderpro-
                                                Zug erneut die UNICEF-Auszeich-        gramm 2020 bietet finanzielle Anrei-
                                                nung «Kinderfreundliche Gemein-        ze für Massnahmen, die einen scho-
                                                de» für die Jahre 2020 bis 2023. Die   nungsvollen und effizienten Umgang
                                                Fachjury attestierte Zug gute Noten.   mit Energie ermöglichen, dies in den
                                                Die Rezertifizierung zeigte auch       Bereichen Beratung, Bildung, Wär-
                                                Verbesserungsmöglichkeiten auf:        me, Elektrizität und Mobilität. Im Be-
                                                Das Thema Kinderfreundlichkeit sei     reich Wärme unterstützt die Stadt
                                                immer noch in einer Sensibilisie-      Zug erhöhte Baustandards bei
                                                rungsphase, und es sei weiterhin       Neubauten und Sanierungen, den
 Die Stadtmauer entlang der Schanz gilt als     nötig, Energie und Ressourcen in       Einsatz von erneuerbaren Energie­
                                                Informationen zum Thema zu inves-      quellen und Fernwärme für die
  eine der wenigen Stadtmauern in der           tieren, insbesondere im Bereich        Wärmeerzeugung. Thermische Son-
  Schweiz, die noch über weite Bereiche er­     einer verbindlichen Verankerung
                                                der Kinder- und Jugendpartizipation.
                                                                                       nenkollektoren erhalten ab drei
                                                                                       Quadrat­metern Unterstützungsbei-
 halten ist. Der grösste Teil der Mauer wurde                                          träge, sofern das Gebäude mindes-
                                                In ihrem Aktionsplan für die Jahre     tens zehn Jahre alt ist. Es werden
 im Jahr 2017 instand gesetzt. Anschliessend    2020 bis 2023 will die Stadt Zug       maximal 20 Prozent der Planungs-,
 zeigte sich, dass die Sanierung des Treppen-   diesem Anliegen eine grössere Auf-
                                                merksamkeit schenken. Als Grund-
                                                                                       Installations- bzw. Baukosten ausge-
                                                                                       richtet, dies bis zu einem Betrag von
  aufgangs zum Löberensteig in der geplanten    lage für die jährliche Erarbeitung     40 000 Franken pro Anlage. Für
                                                und Umsetzung von Massnahmen           den Minergiestandard werden die
 Art nicht machbar war. Die Mauer war           der Begleitgruppe Kinderfreundli-      ordentlichen Gebühren für die Nut-
 b
 ­ e­sonders im Bereich der Treppe in einem     che Stadt wurden neun Ziele und
                                                sieben Handlungsfelder formuliert.
                                                                                       zung der Marke nach Vorlegen des
                                                                                       Zertifikats übernommen. Für andere
  schlechteren Zustand, als die ersten Unter­   Dabei geht es unter anderem um         erhöhte Baustandards wird ein Bei-
                                                Themen wie: Öffentliche Räume,         trag von 50 Prozent bis max. 10 000
  suchungen ergeben hatten. Aus diesem Grund    Freizeitorte, Ressourcen, Schulraum,   Franken an die Bestätigungs- und
 wurde entschieden, den Abschluss der           Schulwegsicherheit, Kinder- und
                                                Jugendschutz, Chancengleichheit,
                                                                                       Nachweiskosten ausgerichtet. Der
                                                                                       Ersatz einer Ölheizung durch einen
 ­Stützmauer mit einer Rekonstruktion grund-    Integration, Einbezug von Kindern      Wärmeerzeuger mit erneuerbarem
                                                und Jugendlichen, Identifikation mit
 legend zu erneuern. Die Arbeiten dauern        der Stadt oder Herausforderungen
                                                                                       Energieträger oder Fernwärme wird
                                                                                       mit einem Sonderbeitrag von 5000
­voraussichtlich bis Mai 2020. Als Zugang zur   der Zukunft.                           Franken unterstützt. Im Bereich Elekt-
                                                                                       rizität profitieren auch Mieterinnen
 Minigolf­anlage und zum Löberensteig                                                  und Mieter, sofern sie neue Haus-
  dient eine Nottreppe. Der Lagerraum unter                                            haltgeräte mit A+++ Standard an-
                                                                                       schaffen: Kühl- und Gefriergeräte so-
  der Treppe für die Minigolfanlage und die                                            wie Geschirrspüler erhalten einen
                                                                                       Kostenbeitrag von 100 Franken,
 Rosenfreunde steht nach dem Abschluss der                                             Waschmaschinen und Tumbler einen
 Bauarbeiten wieder zur Verfügung.                                                     solchen von je 200 Franken.

                                                                                       Infos zu allen Förderbeiträgen:
                                                                                       stadtzug.ch/energie
Seite 11                                  Stadtmagazin Nr. 25      Februar 2020        Stadtpolitik

Nicht vergessen
Demenz Wenn alte Erinnerungen aufblühen und mor-
gen mit gestern verwechselt wird. Jährlich erkranken
in der Schweiz rund 29 500 Menschen an Demenz. Eine
Diagnose, die für Betroffene und Angehörige häufig
einen sozialen Rückzug in Gang setzt. Das muss aber
nicht sein, denn Demenz ist eben auch normal, wenn
man entsprechend mit ihr umgeht.
Text und Illustration Beatriz Bütikofer

                                                                «So stelle ich mir meine Urgrossmutter vor,
                                                                 mit ihren Erinnerungen, die von Neuem
                                                                 aufblühen.» Beatriz Bütikofer
Seite 12                              Stadtmagazin Nr. 25                  Februar 2020                        Stadtpolitik

«Morgen werde ich in meine Heimat fahren.
Ein Freund hat mir einen Platz im Anhänger
                                                                                                    «Vor allem Angehörige
eines Lastwagens klargemacht. Und falls das                                                          von Menschen mit
nicht klappt, gehe ich einfach zu Fuss », erzählt
mir meine Urgrossmutter bei einem Besuch.
                                                                                                     Demenz, die an ihre
Man behalte dabei im Hinterkopf, dass meine                                                          Grenzen kommen,
Urgrossmutter stolze 98 Jahre auf dem Buckel
hat, im Rollstuhl sitzt und ihre Heimat 600
                                                                                                     suchen Rat und Unter­
Kilometer entfernt liegt. Meine Urgrossmutter                                                        stützung.»
hat Demenz, eine der häufigsten Krankheiten         gar absterben. Die Ursachen einer vaskulären
                                                                                                    Jasmin Blanc, Leiterin Fachstelle Alter
im höheren Lebensalter. Aktuell leben in der        Demenz sind unterschiedlich, als Risikofakto-
                                                                                                    und Gesundheit
Schweiz rund 155 000 Menschen mit Demenz            ren gelten unter anderem hoher Blutdruck und
und laut Prognosen erkranken circa 15 % der         Diabetes. Die häufigste Form von Demenz ist
über 65-Jährigen im Verlauf ihres Lebens an         Alzheimer, sie macht rund 60 % aller Erkran-
einer Altersdemenz. Die Stadt Zug zählt aktu-       kungen aus und fällt in die Kategorie der de-
ell rund 5200 Menschen, die über 65 Jahre alt       generativen Hirnveränderungen. Die genauen
sind. Demzufolge werden 780 davon im Verlauf        Ursachen sind bis heute nicht bekannt, aber
ihres Lebens von einer Demenz betroffen sein.       auch bei einer Alzheimer-Erkrankung wird
Das Erkrankungsrisiko steigt dabei mit zuneh-
mendem Alter. Dazu kommt die demografische
Entwicklung, dank medizinischem Fortschritt
                                                    die Funktionsleistung des Gehirns durch den
                                                    Abbau und Verlust von Nervenzellen und deren
                                                    Synapsen beeinträchtigt. Obwohl Vergesslich-
                                                                                                                              45,1 %
und verbesserten sozialen Strukturen werden         keit und Gedächtnisschwund die bekanntesten
wir immer älter. Es wird daher erwartet, dass       Anzeichen von Demenz sind, treten diese meis-
sich die Demenzfälle nahezu verdoppeln.             tens nicht alleine auf. Andere Anzeichen sind
                                                    beispielsweise Mühe mit der Sprache, Desori-
Vergesslich oder dement?                            entierung in Zeit und Raum oder ungewohntes
Vergesslich sind wir alle ab und zu. Da betritt     Verhalten. Allesamt Veränderungen, die das
man einen Raum und vergisst plötzlich, was          Leben einer betroffenen Person und von An-
man eben noch tun wollte, oder man ver-             gehörigen von Grund auf verändern können
schwendet fünf Minuten damit, seine Brille zu       und auch Politik und Gesellschaft vor Heraus-
suchen, obwohl sie die ganze Zeit auf dem Kopf      forderungen stellt.
war. Das muss aber nicht gleich heissen, dass
man dement ist. Demenz ist ein Oberbegriff
für über 100 verschiedene Krankheitsformen,
die unterschiedlichste Ursachen haben kön-
nen. Grundsätzlich unterscheidet man dege-
nerative Hirnveränderungen von vaskulärer
Demenz. Bei der zweiten Kategorie wird die
                                                                                                    30,1%
Demenz gefässbedingt, sprich, durch Durch-
blutungsstörungen im Gehirn ausgelöst. Die
eingeschränkte Sauerstoffversorgung führt
dazu, dass Gehirnzellen Schaden nehmen oder

                                                                        10,9%
                                                2,5%
                   0,2%
Alter              30–64                            65–74                 75–84                      85–94                          95+

Krankheitsrisiko nach Alter (Prävalenz)
Stand: 2019 / Quelle: Alzheimer Schweiz
Seite 13                             Stadtmagazin Nr. 25                    Februar 2020                           Stadtpolitik

                                                  «Wir sind uns gewohnt,
                                                   dass alles problemlos
                                                   ablaufen muss. Das
                                                   Aushalten von nicht
                                                   konformem Verhalten
                                                   ist dadurch für viele
Massgeschneiderte Versorgungsmodelle
«Zug bietet eine hohe Lebensqualität für alle
                                                   nicht einfach.»
Generationen. Wir tragen den Bedürfnissen          Miriam Rittmann, Fachfrau Beratung
der einzelnen Bevölkerungsgruppen unserer          und Koordination im Alter
Stadt Rechnung», so heisst eines der sechs Le-
gislaturziele des Stadtrats 2019 bis 2022. Eine
Massnahme dazu sieht vor, die vernetzte geri-
atrische Versorgung zu fördern und die durch-
gehende Betreuung im Alter sicherzustellen.
Speziell Menschen mit einer demenziellen
Entwicklung und deren Angehörige sind auf
eine gute Vernetzung der Angebote angewie-
sen. Die Fachstelle Alter und Gesundheit der
Stadt Zug bietet der Bevölkerung Information,
Beratung und Begleitung an. Letztes Jahr zähl-
te die Fachstelle 820 Kontakte, dazu gehören      gänzend auch die Fachstelle Alter und Gesund-
beispielsweise die Vermittlung von Alterswoh­     heit Strukturen schaffen, die es erlauben, dass
nungen, Kostengutsprachen, aber auch Famili-      jemand so lang wie möglich zu Hause leben
engespräche. Bei den Kontakten spielt Demenz      kann. Das hat zur Folge, dass sich heute Men-
häufig eine Rolle. «Vor allem Angehörige von      schen mit Demenz frei und selbstständig im
Menschen mit Demenz, die an ihre Grenzen          öffentlichen Raum bewegen. Wenn jemand mit
kommen, suchen Rat und Unterstützung», sagt       Demenz alleine lebt, kann es durchaus sein,          Selbstbestimmung beraubt werden. So sollte
Jasmin Blanc, Leiterin der Fachstelle. Der Pro-   dass diese Person auffällt, weil sie sich anders     man immer versuchen, sich in die Situation sei-
zess einer Demenz kann sehr lange sein und        kleidet oder verwirrt ist. Demenz geht uns alle      nes Gegenübers hineinzuversetzen. Nehmen
schleichend beginnen, so wie es bei Alzheimer     an. Es ist nicht allein eine individuelle, sondern   wir das Beispiel meiner Urgrossmutter. Beim
der Fall ist. «Es kann daher vorkommen, dass      auch eine gesellschaftliche Herausforderung:         nächsten Besuch erzählte sie mir von ihrer Rei-
die Versorgung im Laufe der Zeit angepasst        privat als Angehörige, Nachbar oder Freundin,        se in die Heimat. Zu Fuss sei sie gegangen und
werden muss», so Jasmin Blanc. Die Selbst-        im beruflichen Umfeld, im Supermarkt, in der         habe mit alten Bekannten köstlichen Kaffee ge-
bestimmung und der mutmassliche Wille der         Bank, im Bus oder auf der Strasse. «Wir sind         trunken. «Es war ein Genuss, einfach wunder-
Betroffenen stehen dabei im Vordergrund, aber     uns gewohnt, dass alles problemlos ablaufen          bar», sagte sie mit einer Zufriedenheit, die zu
man sollte nicht vergessen, dass auch Angehö-     muss. Das Aushalten von nicht konformem Ver-         beneiden war. Dass sie zu Fuss 600 Kilometer
rige indirekt von einer Demenzerkrankung          halten ist dadurch für viele nicht einfach», so      zurückgelegt hat, ist schlicht unmöglich, aber
betroffen sind. Die Betreuung einer demenz­       Miriam Rittmann. Alle die nicht in die Norm          für sie ist das wirklich geschehen. Wie fände
erkrankten Person kann sehr herausfordernd        oder das Konzept passen, werden in der Kate-         ich es, wenn mir jemand unterstellen würde,
und aufwendig sein. 30  % der Angehörigen         gorie «anders» verstaut. «Das konnte man frü-        dass ich lüge und Unsinn erzähle, obwohl ich
werden selbst krank, weil es sehr anspruchsvoll   her gut sehen, in den Schulen zum Beispiel. Da       davon überzeugt bin, dass ich es so erlebt habe?
ist, sich abzugrenzen. Es gilt also ein massge-   gab es die Normalen und die Anderen. In den          Ich wäre stark verunsichert, verwirrt und wo-
schneidertes Helfernetz zusammenzustellen         letzten Jahren konnte man im Bereich der in-         möglich sogar verärgert. Diese Gefühle möchte
und die richtigen Betreuungs- und Entlas-         tegrativen Pädagogik schon viele Fortschritte        ich meiner Urgrossmutter selbstverständlich
tungsangebote zu koordinieren. So, dass es Be-    beobachten, man versucht heutzutage alle im          ersparen. In Situationen, in welchen eine Per-
troffenen wie auch Angehörigen der Situation      Regelablauf einzubetten.»                            son in Gefahr geraten könnte, gilt es natürlich
entsprechend gut geht.                                                                                 einzuschreiten. Unser Bauchgefühl leistet uns
                                                  Einfühlungsvermögen                                  dabei grosse Hilfe. Erkennt man eine heikle
Wandel in der Haltung                             Was können wir als Individuen unternehmen,           Situation, kann es nicht schaden, mal nach-
Menschen mit einer demenziellen Entwick-          um den Umgang mit Demenz in der Gesell-              zufragen, ob alles in Ordnung ist. Schlussend-
lung schätzen es meistens sehr, wenn sie zu       schaft zu verbessern? An erster Stelle müssen        lich leben Menschen mit Demenz nicht in einer
Hause leben können. Rund zwei Drittel der         wir akzeptieren, dass Menschen mit Demenz            Parallelwelt, sie sind mittendrin. Vielleicht
Betroffenen leben alleine oder mit Partner        ein Teil unserer Gesellschaft sind und nicht         erweitern sie die Realität mit ihrer blühenden
oder Partnerin in ihrer eigenen Wohnung.          anders behandelt werden wollen. Das ist eine         Fantasie und vergessen öfters Dinge, aber das
Miriam Rittmann, Fachfrau Beratung und            allgemeine Haltung, die wir als Gesellschaft         macht sie auch nur menschlich! Das Einzige,
Koordination im Alter, erzählt, dass ver-         einzunehmen haben. Jede Person hat ihren             was wir Menschen alle gemeinsam haben, ist,
schiedene Organisationen und bei Bedarf er-       freien Willen, und niemand möchte seiner             dass wir alle anders sind.
Seite 14       Stadtmagazin Nr. 25   Februar 2020               Stadtpolitik

An wen kann ich mich wenden?                        LINKS

In einer demenzfreundlichen Stadt                   Alzheimervereinigung Zug

sind Menschen mit Demenz Teil
                                                    alzheimer-schweiz.ch/de/zug/home

des gesellschaftlichen Lebens: Sie
                                                    AMNESIA Zug
                                                    Anlaufstelle für alle, die sich um Menschen

werden verstanden, respektiert
                                                    mit Demenz kümmern
                                                    amnesia-zug.ch

und unterstützt, damit sie ihr Leben                Benevol Begleitdienst und Kurse

selbst bestimmen und so lang
                                                    benevolzug.ch/aktivitaeten/weiterbildung

                                                    Curaviva Bildungsangebot
wie möglich selbstständig in ihrer                  weiterbildung.curaviva.ch

gewohnten Umgebung leben                            Fachstelle Alter und Gesundheit

können. Dafür braucht es Wissen,
                                                    stadtzug.ch/altergesundheitneu

welches das Verständnis und die
                                                    KISS Zug Begleitete Nachbarschaftshilfe
                                                    kiss-zug.ch

Sensibilisierung gegenüber De-                      Memory Klinik Zentralschweiz

menzbetroffenen und ihren Ange-
                                                    luks.ch/standorte/standort-luzern/klinik-­fuer-
                                                    neurologie-und-neurorehabilitation/leistungs-

hörigen fördert. Hier finden Sie
                                                    angebot/memory-clinic-zentralschweiz

eine Auflistung von Anlaufstellen
                                                    Psychische Gesundheit Zug
                                                    psgz.ch

und Organisationen, die Sie im                      Schweizerisches Rotes Kreuz

Umgang mit Demenz unterstützen.
                                                    Entlastungsdienst
                                                    srk-zug.ch

Sei es für Betroffene, Angehörige                   SPITEX Zug

oder Interessierte.
                                                    Fachbereich Demenz
                                                    spitexzug.ch/Dienstleistungen/
                                                    Fach­b ereich-Demenz/PjK8T

                                                    Tagesheim Pflegezentrum Baar
                                                    pflegezentrum-baar.ch/tagesheim

                                                    Zug für Angehörige
                                                    zug-fuer-angehoerige.ch/demenz
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Beruflich und politisch
durchgestartet
GGR-Porträt Maria Hügin leitet seit Oktober die GGZ
und vertritt seit Januar 2019 die FDP im GGR.
Text und Foto Thomas Gretener

Das Podium 41 an einem strahlenden Winter-
tag: Die Küche bereitet Menus zu, die Gäste
 sitzen drinnen wie draussen, und es herrscht
eine gelöste Stimmung. Maria Hügin, Geschäfts-
führerin der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug
(GGZ), bewegt sich fast unerkannt durch den
Betrieb und freut sich über das gute Ambien-
te. Wer ist die Frau mit einem Abschluss in
Betriebswirtschaft der Hochschule St. Gallen,
geboren 1980, in Zug aufgewachsen und bis-
her beruflich im Ausland und in Zürich tätig?
Und die 2019 fast unbemerkt politisch wie be-
ruflich nach Zug zurückkehrte: als Gemein-
derätin im städtischen Parlament und gleich
auch Mitglied der wichtigen Geschäftsprü-
fungskommission sowie als Geschäftsführe-
rin der GGZ, eines der zehn Zuger Unterneh-
men mit den meisten Mitarbeitenden (rund
                                                              Maria Hügin, Geschäftsleiterin der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug (GGZ),
450). Während des Gesprächs im Podium 41
                                                              vor dem Podium 41, einem der vielen sozialen Projekte der GGZ.
wird deutlich: Der berufliche und politische
Weg von Maria Hügin ist eigentlich folge-
richtig – und gründet in einer guten Porti-
on Neugier. Die Neugier verschlug sie nach
der Matura nicht nach Zürich, sondern nach
St. Gallen. Sie wollte nicht Pendlerin sein, «Ich habe als Managerin weitergemacht – als schaft Zug: «Mich fasziniert dieses vielfältige
 sondern das Leben einer Studentin erfahren, Kontraktmanagerin.» Sie übernimmt die Auf- Aufgabenspektrum. Die GGZ setzt sich mit
mit allen Vor- und Nachteilen. Als Studien- gabe, mit externen sozialen Organisationen ihren Institutionen in den Bereichen Gesund-
fach liebäugelte sie zu Beginn mit der eher und Institutionen Leistungsvereinbarungen heit, Soziales, Bildung, Kultur und Jugend für
theoretischen Volkswirtschaftslehre, entschied und für die Stadt Zürich und deren Bevölke- Menschen im Kanton Zug ein. Ich freue mich,
 sich dann für Betriebswirtschaft. «Ich wollte rung vorteilhafte Lösungen auszuhandeln. zusammen mit dem Vorstand und den Mitar-
wissen, wie erfolgreiche Unternehmen orga- Beispielsweise für Kindertagesstätten, von beitenden die GGZ weiterzuentwickeln.»
nisiert und geführt sind», erzählt sie. In ihrer denen es in Zürich rund 320 gibt. «Ich war für
Diplomarbeit befasste sie sich mit Finanzie- die Arbeit sehr motiviert: Als frischgebackene Neben einer neuen Arbeitsstelle gelingt ihr
rungsmodellen von Kindertagesstätten (Kita) Mutter haben mich Angebote für Familien na- auch der Sprung in die Politik. Sie ist sozu-
– ein Wink für die Zukunft.                      türlich interessiert.» Maria Hügin kann in die- sagen eine Quereinsteigerin: Neugierig en­
                                                 sem Arbeitsfeld ihre liberale Grundhaltung ga­g iert sie sich seit 2018 bei der städtischen
Vorerst aber wollte die Tochter einer Spani- einbringen, indem sie im links geprägten Zü- FDP, wirkt bei den kantonalen FDP-Frauen
erin und eines Schweizers das internationale rich Aufgaben an Organisationen ausserhalb im Vorstand mit, stellt sich als Kandidatin
Umfeld ausloten, aber auch die Welt erleben. der Verwaltung überträgt. Später übernimmt für den Grossen Gemeinderat zur Verfügung
Sie erhielt beim renommierten Basler Dental- sie die Leitung des Kontraktmanagements – und wird gewählt. «Ich bin bereit, auch in
implantat-Unternehmen Straumann die Stelle und wird Mitglied der Geschäftsleitung des meiner Heimatstadt Verantwortung zu über-
einer «Globalen Produktemanagerin». Fünf Sozialdepartements.                                      nehmen», betont sie. Ganz so neu sind ihr die
Jahre später, in Erwartung eines Kindes, sucht                                                    parlamentarischen Abläufe denn doch nicht:
Maria Hügin eine neue Herausforderung. Für 2019 schliesslich ist das Jahr des Umbruchs. Im Zürcher Sozialdepartement befasste sie
Aussenstehende etwas überraschend nimmt «Die Erfahrungen in Zürich haben mich mo- sich oft mit parlamentarischen Themen –
 sie eine Stelle beim Sozialdepartement der tiviert, die Geschäftsleitung einer sozialen eben von der anderen Seite des Parlaments-
Stadt Zürich an. Sie, die Managerin mit inter- Organisation zu übernehmen», schildert sie. betriebs, der Verwaltung, aus, was ihr jetzt
nationaler Erfahrung? Maria Hügin schmunzelt. Die findet sie bei der Gemeinnützigen Gesell- zugute kommt.
Seite 16                         Stadtmagazin Nr. 25   Februar 2020                           Wirtschaft

Wirtschaft
ZUGER WIRTSCHAFTSZMITTAG                               HOFLÄDELI                              PREIS

Lunch im Zephyr Hangar                                 Vom Feld auf den
                                                       Teller
                                                                                              Kreative Köpfe
                                                                                              gefragt

                                                       Keine Frage, die knackigsten Rüebli    Zuger Unternehmen, die nach dem
                                                       und die saftigsten Äpfel bekommt       1. Januar 2016 im Kanton Zug ge-
                                                       man beim Bauer. Ein Einkauf im Hof-    gründet wurden, können sich noch
                                                       lädeli lässt sich nicht mit einem im   bis am 21. Februar 2020 für den
                                                       Supermarkt vergleichen. Im Hof­        Zuger Jungunternehmerpreis bewer-
                                                       lädeli nimmt man sich Zeit, tauscht    ben. Es warten attraktive Preisgel-
                                                       sich mit anderen Kunden aus und        der von 5000, 2000 und 1000 Fran-
                                                       informiert sich bei Fragen über die    ken für die ersten drei Plätze. Unter
                                                       Lebensmittel direkt beim Bauern.       den teilnehmenden Unternehmen
Der nächste Zuger Wirtschaftszmittag findet            Wer seine Lebensmittel direkt ab       wird zudem ein Förderpreis verlost.
                                                       Hof kauft, weiss, woher sein Essen     Für die Preisverleihung vom 7. April
am 1. Mai um 12 Uhr bei der V-Zug im neuen             stammt. Ausserdem fällt der Trans-     werden in einer qualifizierten Vor-
Zephyr Hangar Speedy statt. Herzstück der              portweg zum Grosshändler oder          auswahl maximal acht Zuger Jung-
                                                       Supermarkt weg, weshalb Gemüse         unternehmen ausgewählt, die ihre
mehrgeschossigen Produktionshalle mit einer            und Früchte zum optimalen Reife-       Geschäftsidee dem Publikum prä-
Grundfläche von rund 3500 Quadratmetern                zeitpunkt geerntet werden und
                                                       dadurch besser schmecken. Neben
                                                                                              sentieren und es von der Unterneh-
                                                                                              mensidee überzeugen müssen.
sind die grossen Servo-Transferpressen und             unseren Geschmacksknospen er-          Ausserdem erhalten die Unterneh-
                                                       freut sich aber auch die Umwelt        merinnen und Unternehmer ein
das automatische Lager der Presswerkzeuge.             über den lokalen Einkauf im Hoflä-     qualifiziertes Feedback von der
Als Teil der vertikalen Fabrik der V-Zug wird          deli. Denn je kürzer der Transport-
                                                       weg, desto geringer der CO2 - Aus-
                                                                                              Expertenrunde.

der Zephyr Hangar mit seinem Sheddach nach             stoss. Schlussendlich ist es auch      Der Zuger Jungunternehmerpreis
                                                       für den Bauern eine Freude, seine      wird seit 2005 jährlich verliehen.
der Fertigstellung eine Höhe von rund 24               Produkte auf direkten Weg an den       Hauptveranstalter des Zuger Events
Metern aufweisen. Der Aufbau ab dem zwei-              Konsumenten zu bringen. Der Land-
                                                       wirtschaftsbetrieb vor Ort wird
                                                                                              für junge Unternehmen ist der Verein
                                                                                              Technologie Forum Zug. Der Verein
ten Obergeschoss und die Fassade sind in               unterstützt und die regionale Wert-    vernetzt seit 15 Jahren technologisch
                                                       schöpfungskette gesichert.             führende, innovative Unternehmen
Holz ausgeführt. Am Wirtschaftszmittag in-                                                    des zweiten Sektors im Kanton Zug
formiert Beat Weiss, Geschäftsführer der               Doch wo befindet sich das nächste
                                                       Hoflädeli? Unter www.hofladen-
                                                                                              und der Region.

V-Zug Immobilien, über das Gebäude und die             zug.ch finden Sie eine Karte mit       Unternehmen sowie Zuschauerinnen
                                                       allen Hofläden in der Stadt und im     und Zuschauer können sich unter
weiteren Ausbauschritte des Technologie­               Kanton Zug. Neben Hoflädeli sind       dem nachfolgenden Link für die
cluster Zug.                                           auch Milchautomaten, Christbaum-
                                                       verkäufe ab Hof und Blumenfelder
                                                                                              Preisverleihung anmelden:
                                                                                              zugerjup.ch
Infos:                                                 zum Selberpflücken eingezeichnet.
technologiecluster-zug.ch                              Kennen Sie weitere Hoflädeli, Blu-
                                                       menfelder oder Milchautomaten,
Anmeldung:                                             die noch nicht auf der Karte sind?
stadtzug.ch/wirtschaftszmittag                         Dann füllen Sie auf der Webseite
                                                       das Kontaktformular mit den ent-
                                                       sprechenden Angaben aus.

                                                       Infos:
                                                       hofladen-zug.ch
Seite 17                            Stadtmagazin Nr. 25          Februar 2020                       Wirtschaft

Von Sprungbrettern und
Brückenbauern
Arbeiten Menschen mit körperlichen, psychischen oder
geistigen Beeinträchtigungen haben es auf dem Arbeits-
markt nicht einfach. Das ist auch in der Stadt Zug nicht
anders. Aber zahlreiche Hilfsangebote unterstützen die
berufliche Integration — sei es im geschützten Rahmen
oder auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeber stehen
dem An­liegen offen gegenüber.                                         Text Claudia Wirz, Fotos André Springer

Michael Steiner, Administration und IT-Support Bibliothek Zug.
Seite 18                             Stadtmagazin Nr. 25                Februar 2020                         Wirtschaft

Was heisst eigentlich «normal»? «Einer Norm
entsprechend», erklärt der Duden, und schon
bekommt das so leicht dahingesagte Wörtchen
einen schalen Beigeschmack. Wer möchte sich
schon damit brüsten, irgendwelchen Normen
zu gehorchen? Bei Industrienormen für Dinge
mag das ja angebracht sein – aber bei Men-
schen? Ist nicht jeder sowieso anders als der
andere und ist die Einteilung von Menschen in
«normal» und «nicht normal» beziehungswei-
se «behindert» oder «beeinträchtigt» deshalb
nicht von Anfang an falsch?

«Nicht normal»
Wie auch immer – bei Michael Steiner ist auf
den ersten Blick alles normal. Nach der Schule
machte der heute 37-Jährige eine kaufmänni-
sche Lehre, absolvierte die Berufsmatura, ar-
beitete für zwei Jahre bei einer Versicherung
und ging auf Weltreise. Ballsport und Com-
puter waren schon immer seine Leidenschaft.
Nach verschiedenen beruflichen Stationen ar-
beitet Michael Steiner heute bei der Bibliothek
Zug in der Administration und im IT-Support.
Also alles so weit ganz normal.
                                                             «Diese auf mich angepasste Stelle
                                                             und das tolle Bibliotheksteam sind für
Aber Normalität ist immer eine Frage der
Perspektive. Michael Steiner bezeichnet sich
                                                             mich ein Glücksfall.»
selber als «nicht normal». Vielmehr versteht                  Michael Steiner, Administration und IT-Support Bibliothek Zug
er sich als Brückenbauer zwischen zwei Wel-
ten – derjenigen der sogenannt Normalen und       technikunternehmen Medela AG oder die Betrieb des Vereins «zuwebe», der im Kanton
derjenigen der Hörgeschädigten. Deshalb be-       Stelle im Kundendienst des IT-Händlers ARP Zug Arbeits- und Wohnplätze sowie Ausbil-
herrscht er neben Englisch, Französisch und       Schweiz AG in Rotkreuz. Andere wiederum dungen für Personen mit einem geistigen
Spanisch auch noch die Gebärdensprache.           waren ein Reinfall. Mit seiner ab März auf ein oder psychischen Handicap oder eben einer
Seit er als Kleinkind an einer Hirnhautent-       50-Prozent-Pensum aufgestockten Anstellung Lernschwäche anbietet, hat sich seit seiner Er-
zündung erkrankte, hört er auf einem Ohr gar      bei der Bibliothek Zug scheint er nun ange- öffnung im Jahr 2014 zu einem Flaggschiff der
nichts mehr und auf dem anderen nur noch          kommen. «Diese auf mich angepasste Stelle «zuwebe»-Betriebe entwickelt.
rund 50 Prozent. In der Welt der «Normalen»       und das tolle Bibliotheksteam sind für mich
erweist sich dies zuweilen als einschneidende     ein Glücksfall», betont er. Die Arbeitgeberin, Eigentlich ist das Bistro ganz normal und die
Beeinträchtigung.                                 die Stadt Zug, unterstütze ihn und schätze Kritiken auf der Plattform «Tripadvisor» spre-
                                                  seine Arbeit. Mit Michael Steiner erhalten chen für sich. Trotzdem ist das Lokal «einfach
Das Telefonieren zum Beispiel ist für Michael die Grundwerte seiner Arbeitgeberin ein kon- anders», wie Sprecherin Jeannine Lütolf sagt.
Steiner zwar nicht unmöglich, aber sehr an- kretes Gesicht; es geht um «Wertschätzung», «Einfach anders» ist sozusagen das Motto des
strengend. Ein Gespräch ohne Blickkontakt «Mut» oder «Weitsicht».                                 Betriebs, der fünf geschützte Arbeitsplätze
oder in lärmiger Umgebung funktioniert                                                            für Angestellte mit einem Handicap bietet.
schlecht. Häufen sich solche Situationen im «Einfach anders»                                      Das restliche Personal ist agogisch geschult.
Arbeitsalltag, ist er bereits am Nachmittag fix Für Sumana Huber ist der erste Arbeitsmarkt Seit zwei Jahren arbeitet Sumana Huber hier,
und fertig. «Es ist keine Frage der Intelligenz», noch nicht ganz in Griffweite, aber das erklär- und sie wirkt auch nach dem Mittagsservice
sagt er, «sondern der Verständigung.» Etliche te Ziel. Wegen einer Lernschwäche bezieht so munter, als hätte sie eben erst ihre Schicht
Anstellungen hat Michael Steiner in seinem die junge Frau eine IV-Rente und arbeitet seit angefangen. Dabei ist sie schon seit fünf Uhr
bisherigen Berufsleben schon hinter sich. zwei Jahren Vollzeit im Service des über die morgens auf den Beinen, was ihrem langen
Manche Stellen haben ihn weitergebracht, Stadt- und Kantonsgrenzen hinaus bekannten Arbeitsweg geschuldet ist. Jeden Tag pendelt
etwa seine Lehrstelle beim Baarer Medizin- «Intermezzo» in der Altstadt. Das Bistro, ein sie zwischen dem Entlebuch und Zug.
Seite 19                            Stadtmagazin Nr. 25                  Februar 2020                          Wirtschaft

                                                                           «Das «Intermezzo» muss nicht, kann
                                                                           aber eine Art Sprungbrett für das
                                                                           Arbeitsleben jenseits des geschützten
                                                                           Rahmens sein.»
                                                                           Jeannine Lütolf, Sprecherin «zuwebe»

                                                                                                   ausforderung. Alles Unberechenbare sei für
                                                                                                   die Arbeitgeber schwierig. Hier bietet sich
                                                                                                   die Stiftung als Beraterin und helfende Hand
                                                                                                   an – in einem Trialog zwischen Arbeitgebern,
                                                                                                   Arbeitnehmern und der Sozialberatung, wie
                                                                                                   Tobias Hasler sagt. Insbesondere psychische
                                                                                                   Beeinträchtigungen hätten in letzter Zeit
                                                                                                   deutlich zugenommen, sagt er, und sie beträ-
                                                                                                   fen den Arzt oder die Buchhalterin genauso
                                                                                                   wie die Angelernte oder den Hilfsarbeiter.
                                                                                                   «Arbeit ist ein wichtiger Stabilisator», sagt
                                                                                                   Tobias Hasler, und der erste Arbeitsmarkt sei
                                                                                                   für viele Betroffene erstrebenswerter als der
                                                                                                   geschützte Bereich.

                                                                                                   Aber nicht für alle ist der erste Arbeitsmarkt
                                                                                                   auch das Richtige. Urs Christen ist gelernter
                                                                                                   Koch und arbeitet gegenwärtig drei Tage in der
                                                                                                   Woche in der «Papieri» der Institution «Consol».
                                                                                                   Ein höheres Pensum wäre für ihn gesundheit-
Sumana Huber, Servicemitarbeiterin «Intermezzo».                                                   lich nicht möglich. Hier entstehen aus Altpapier
                                                                                                   handgeschöpfte Couverts und Karten. «Die Be-
                                                                                                   dingungen hier sind 1A», sagt er.

                                                                                                   Seit einem schweren Motorradunfall vor rund
                                                                                                   30 Jahren muss der Mittfünfziger mit den Fol-
                                                                                                   gen eines Schädel-Hirn-Traumas leben. Leicht
                                                                                                   ist diese Aufgabe nicht, aber in der «Philoso-
Ein Leben ohne IV-Rente und auf dem ganz         Ausbildung (PrA), Berufsattest (EBA) und          phie des Buddhismus», sagt Urs Christen, habe
normalen Arbeitsmarkt  –  das ist der Traum      Fähigkeitszeugnis (EFZ) an. Immer wieder          er eine Richtschnur für sein Leben gefunden.
der jungen Servicemitarbeiterin. Sie selbst      gibt es Erfolgsgeschichten, etwa jene der jun-    Das Leben zeigt sich ihm als Wechselspiel von
traut es sich zu − nicht gerade heute, aber      gen Frau, die nun den Einstieg in den Coif-       Yin und Yang oder – profaner ausgedrückt –
vielleicht morgen. Das «Intermezzo» muss         feurberuf geschafft hat. Die Wirtschaft zeige     von Hell und Dunkel, Gedanken, die er in sei-
nicht, kann aber eine Art Sprungbrett für das    sich offen für die berufliche Integration, sagt   nem Gedichtbändchen «Licht im Schwarzen
Arbeitsleben jenseits des geschützten Rah-       Facchin, deutlich offener als früher. Seine       Marmor» wiedergibt. Seit 17 Jahren ist er nun
mens sein, sagt Jeannine Lütolf.                 Fachstelle kann im Kanton Zug auf ein Netz-       schon in der «Papieri» tätig und damit einer
                                                 werk von rund 50 Arbeitgebern zurückgrei-         der Dienstältesten. Er komme nicht hierher,
Angestrebt wird dieses Ziel auf verschiedenen    fen. Einen glatten Fünfer würde Facchin der       um beschützt und umsorgt zu werden, sagt er,
Wegen. So ist der Verein «zuwebe» auch im        Wirtschaft geben, müsste er ihre Mitarbeit bei    sondern um zu arbeiten und seinen Beitrag
Personalverleih und im Job-Coaching tätig        der beruflichen Integration benoten. Würden       zu leisten. «Wäre ich nicht zufrieden mit dem
und ermöglicht seinen Angestellten Arbeits-      die Betriebe etwas öfter auch Leute offiziell     Arbeitsplatz, wäre ich bestimmt nie so lange
einsätze in namhaften und international          anstellen, könnte vielleicht ein Sechser dar-     geblieben.»
tätigen Unternehmen. «Bei diesen Einsät-         aus werden.
zen bleiben sie aber bei uns angestellt», sagt
Gianni Facchin, der bei der «zuwebe» die Fach-
                                            Eine reguläre Anstellung im ersten Arbeits-
stelle Berufliche Integration leitet.       markt, das ist auch das Ziel der eng mit «Pro          LINKS
                                            Infirmis» verbundenen Stiftung «Profil – Ar-           bibliothekzug.ch
Ein zweiter Weg in den ersten Arbeitsmarkt beit & Handicap». Die Wirtschaft sei diesem             zuwebe.ch
führt über die unterstützte Ausbildung. Die Anliegen durchaus zugetan, bestätigt auch              proinfirmis.ch
«zuwebe» bietet im Auftrag der IV Grund- Tobias Hasler, Leiter der Regionalstelle Zen-             profil.ch
ausbildungen auf den Niveaus Praktische tralschweiz, allein die Passung sei eine Her-              consol.ch
Anders? Normal!
Mitarbeitende der Stadt Zug und ihre etwas
anderen Hobbys, beobachtet von Alexandra Wey
und Corinne Sélébam-Alt

Daniel Hegglin,
Feuerwehr-Materialwart
Fotograf
Dominique Sélébam,
Departementsassistentin
Dressurreiterin
Peter Marty,
Haus- und Saalwart
Kasperlitheaterspieler
Walter Fassbind,
Stadtökologe
Bio-Bauer und Bierbrenner
Seite 24                             Stadtmagazin Nr. 25                   Februar 2020                              Schule & Familie

Schule & Familie
SWCH SOMMERCAMPUS IN ZUG                                                   BILDUNG                                   MUSIKSCHULE

Gastfreundschaft gesucht                                                   Haus zum Lernen                           Good Practice
                                                                                                                     Wettbewerb

                                                                           Wo früher das Baudepartement un-          Der Verband Musikschulen Schweiz
                                                                           tergebracht war, befindet sich heute      (VMS) organisierte im Rahmen des
                                                                           das «SO20 — Haus zum Lernen». Bis         Forums Musikalische Bildung vom 17.
                                                                           Ende 2020 steht die Liegenschaft an       und 18. Januar in Baden einen Good
                                                                           der St.-Oswalds-Gasse 22 auch der         Practice Wettbewerb. 15 Musikschu-
                                                                           Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung,   len aus der ganzen Schweiz hatten
                                                                           um Anlässe aller Art durchzuführen.       dazu beispielhafte Projekte einge-
                                                                           Die verschiedenen Räume eignen            reicht. Neun dieser Projekte schaff-
                                                                           sich beispielsweise für Workshops,        ten es ins Finale, darunter auch die
                                                                           Kurse, Ausstellungen, kleinere kultu-     Konzertplattform «Live Session» der
Projektteam Sommercampus Zug v.l.n.r.: Anja Hartmann (Administration       relle Veranstaltungen, Sitzungen          Musikschule Zug. Die Plattform bie-
u. Koordination), Nicolett Theiler (Lokale Co-Leitung u. Kommunikation),   und mehr.                                 tet den Schülerinnen und Schülern
Karin Saturnino (Kursräume/-infrastruktur, ICT, Logistik, Signaletik u.                                              der Musikschule Zug jeden Freitag
                                                                           Reservierungsanfragen über:               die Möglichkeit, vor Publikum zu
Sicherheit), Martin Himmelsbach (TreffBar, Unterkünfte u. Camping)
                                                                           stadtzug.ch/so20                          musizieren.

Vom 6. – 17. Juli findet in Zug der Sommercam- Erweiterung Schul- Musikfestival
pus von Schule und Weiterbildung Schweiz       anlage Riedmatt                     Vivace 2020
(swch) statt. An Lehrpersonen werden heute
hohe Ansprüche gestellt. Im Som­mer­campus
wird ihnen neben den praxisnahen Weiter­
bildungskursen auch ein viel­fältiges Rahmen-
programm ge­boten. Es werden rund 2000
Lehrpersonen aus der ganzen Schweiz erwar-
tet. Die Unterbringung der Kursteilnehmen-     Am 23. Oktober 2017 erfolgte der
                                               Spatenstich, und bereits am 29.
                                                                                   Vom 27. bis 31. Mai findet das Vivace
                                                                                   2020 statt. An über 110 Veranstal-
den findet zum Teil in Hotels und im campus- Januar 2020 war es so weit: Mit der tungen zeigt die Musikschule Zug
                                               Schlüsselübergabe durch Stadträtin  von morgens bis abends, was sie zu
eigenen Campingplatz statt – und bei Ihnen,    Eliane Birchmeier an Stadträtin     bieten hat. Zum Selber-Musizieren
wenn Sie mögen. Haben Sie während dieser       Vroni Straub wurde der Neubau dem oder Zuhören, vom Gesangswork-
                                               Bildungsdepartement über­geben.     shop bis zum Late-Night-Konzert, für
Zeit ein Zimmer, eine Ferien- oder sonst eine  Der Aufnahme des Schulbetriebs in   Junge und Junggebliebene — ein
                                               den neuen Gebäuden nach den         Festival für alle. Am besten gleich
Wohnung frei? Dann unterbreiten Sie Ihr An-    Sportferien stand somit nichts mehr rot im Kalender anstreichen.
gebot mit Preisvorstellung (Tarif pro Nacht)   im Weg. Der Kreditrahmen von 16,5
                                               Millionen Franken wird eingehalten. Weitere Infos:
an Martin Himmelsbach, lodging@swch.ch.        Im Schuljahr 2019/2020 werden in    musikschulezug.ch
                                                                           der Schulanlage Riedmatt insgesamt
Weitere Infos:                                                             vier Kindergarten- und zwölf Primar-
swch.ch                                                                    klassen geführt. 37 Lehrper­sonen
                                                                           unterrichten rund 260 Schülerinnen
                                                                           und Schüler.
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