Archäologie einer Beziehung - Deutsches Ärzteblatt
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THEMEN DER ZEIT ARZT UND PATIENT Archäologie einer Beziehung Die Rolle des Arztes in der Begegnung mit dem Patienten ist vielfältig und oft widersprüchlich. Ein „archäologisches“ Schichtenmodell stellt die verschiedenen Funktionen in einen zeitlichen und – metaphorisch – räumlichen Zusammenhang. Norbert Donner-Banzhoff rzt als Droge, Patriarch, Part- lers lässt sich in allen Epochen A ner oder Biotechniker – viele Konzeptionen sind vorgeschlagen und Kulturen ausmachen. Das wesentliche Arbeits- worden, um das Verhältnis zum Pa- instrument des Heilers ist tienten zu verstehen. Dabei ergeben das Ritual. Heute oft nega- sich markante Widersprüche zwi- tiv besetzt („leeres Ritu- schen den Auffassungen. Die hier al“), ist rituelles Verhal- vorgeschlagene „Archäologie“ ver- ten die mächtigste Form sucht, diese Widersprüche im Um- menschlicher Kommuni- gang von Arzt und Patient in einen kation. Es besteht in der zeitlichen und – metaphorisch – „Aufführung“ symbolischer, räumlichen Zusammenhang zu brin- durch Überlieferung gepräg- gen. Dabei werden vier grundlegen- ter Verhaltensweisen für erns- de ärztliche Funktionen postuliert, te Lebenssituationen (2). Dass die jeweils typisch für bestimmte sich Konsultationen häufig Epochen der Medizingeschichte ge- nicht ohne die Verschreibung ei- wesen sind. Sie haben dabei die nes Medikaments zum glück- vorangegangenen Funktionen „ver- lichen Ende bringen lassen, deckt“, ohne diese jedoch zu elimi- unterstreicht die Aktualität nieren (Grafik). dieser Überlegungen. In der Verschreibung eines (klinisch Heiler wirkungslosen und ökolo- Die ursprüngliche Aufgabe eines je- gisch gefährlichen) Antibio- den Heilers – unabhängig von Qua- tikums steckt für den Patien- lifikation und Gesundheitssystem – ten die Anerkennung seines ist das Eingehen auf das Kranksein. Leids, die Legitimierung Ernsteres Kranksein beinhaltet (nach der Inanspruchnahme, die Uexküll und Wesiack) (1): Hoffnung auf rasche Besse- ● Beeinträchtigung von Wohlbe- rung durch eine hochwirksa- finden und Leistungsfähigkeit me Therapie und die Über- ● dadurch hervorgerufene sozia- windung von Bedrohung und le Isolierung und Bedrohung Isolierung. Ähnlich die Chef- des sozialen Status arztvisite im Krankenhaus: ● existenzielle Not und Bedro- Diese wird gerade dann als hung. Erfolg empfunden, wenn der Jeder Heiler muss die Funktion Oberarzt zuvor die Station eines Experten und eines Partners in von realen Probleme berei- sich vereinigen. Aufgabe des Ex- nigt hat. Ihr Sinn liegt offen- perten ist es, Beschwerden zu lin- bar jenseits der medizini- dern und die Leistungsfähigkeit wie- schen Problemlösung (3). derherzustellen; der Partner hilft, so- ziale Isolierung zu überwinden und Detektiv existenzielle Ängste zu ertragen. Der Schluss von „Daten“, So unterschiedlich die Heilkunde die der Patient liefert, auf in der Geschichte praktiziert worden allgemeine Kategorien (Dia- Foto: iStockphoto ist: Die Kombination von Experte gnosen) erfolgte in allen und Partner in der Person des Hei- medizinischen Systemen. Ab A 2078 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 42 | 19. Oktober 2012
THEMEN DER ZEIT Mitte des 18. Jahrhunderts wurde stieg die Gefahr, dass Ärzte die die Beobachtung am Kranken Subjektivität ihrer Patienten ver- jedoch systematisiert und mit nachlässigten und diese sich als pathologisch-anatomischen Befun- Objekt zu empfinden begannen. den begründet (4). Damit wurden gerade auch solche Zeichen wich- Gatekeeper tig, die für das Erleben des Patien- Die ärztliche Gatekeeper-Funktion ten am Rande lagen oder über- bezieht sich auf die Indikationsstel- haupt nicht bemerkt worden wa- lung für medizinisch wirksame The- ren. Die Kommunikation zwischen rapien und die Berechtigung, Leis- Patient und Arzt musste sich da- tungen eines solidarischen Sozial- durch ändern (5). systems in Anspruch zu nehmen. Der Detektiv Sherlock Holmes Für eine individuelle Heilung war eine Schöpfung des Schrift- vieler Erkrankungen standen Ärz- stellers und Arztes Sir Arthur ten erst im 20. Jahrhundert wirklich Conan Doyle. Zur selben Zeit wirksame Maßnahmen zur Verfü- schlug der Kunsthistoriker Gio- gung (8). Seitdem müssen sie präzi- vanni Morelli vor, Gemälde an- se die Patienten identifizieren, die hand von peripheren und wenig von einer Therapie bei vertretba- beachteten Partien (Ohren, rem Risiko für Nebenwirkungen Hände, Füße dargestellter Per- profitieren. Bei anderen Maßnah- sonen) Künstlern zuzuordnen; men geht es weniger um die indi- Morelli hatte ebenfalls Medi- viduelle Sorge gegenüber dem zin studiert. Auch die Psycho- Kranken, sondern um eine breitere analyse des Arztes Sigmund Verantwortung (zum Beispiel ratio- Freud schloss von scheinbar nale Antibiotikatherapie). GRAFIK Schichtenmodell in historischer Dimension Die Abbildung Partner zeigt die Aspekte ärztlicher Tätigkeit in vier Schichten. Die Gatekeeper Breite der Schichten stellt jeweils ihre Be- deutung in verschie- denen historischen Detektiv Epochen dar. Da je- der Aspekt immer zu einem gewissen Maß präsent gewe- Heiler sen ist, ziehen sich alle Schichten durch Quelle: Donner-Banzhoff die gesamte Zeit. 1750 1850 1950 nebensächlichen Träumen, Fehl- Das System der gesetzlichen leistungen oder Scherzen auf Krankenversicherung in Deutsch- verborgene Prozesse. Die diagnos- land und vieler ähnlicher Gesund- tizierende Medizin des 19. Jahr- heitssysteme beruht auf dem Soli- hunderts hat das gemeinsame darprinzip unter ihren Mitgliedern. Paradigma geliefert (6). Damit Daraus ergibt sich die Notwendig- konnte sich nun aber eine Dis- keit, berechtigte von unberechtigten krepanz zwischen Patient und Arzt Ansprüchen zu unterscheiden; die- ergeben: Was den Patienten am se Feststellung erfolgt überwiegend meisten bedrängte, war für den durch Ärzte. Nur mit einem wirksa- diagnostizierenden Arzt oft nur men Gatekeeping kann das System von geringem Wert (7). Damit überleben. ► A 2079
THEMEN DER ZEIT Partner zite Äußerung, kein Interesse am Hier war offenbar ein Ritual Zunehmend wollen Patienten ernst Austausch zu haben. So mag ein (= kommunikative Handlung) durch genommen werden und sehen Ärzte biomedizinisch orientierter Arzt ein anderes ersetzt worden: die als Partner in einer gleichberechtig- sich vornehmen, seinen Patienten (schädliche) Antibiotikaverschrei- ten Beziehung. Patientenzentriertes dadurch zu helfen, dass er Erkran- bung durch die (angenommen un- Vorgehen verlangt deshalb von Ärz- kungen präzise diagnostiziert und schädliche) CRP-Testung. Letztere ten, Vorstellungen und Erwartungen optimal behandelt; die Ebenen des war auch bei den Ärzten mit Kom- ihrer Patienten zu erfragen und ein archaischen Heilers und des Part- munikationstraining eine willkom- gemeinsames Vorgehen zu erarbei- ners interessieren ihn nicht. Seine mene Ergänzung ihres Repertoires. ten (9, 10). Mit elektronischen Ent- Patienten werden ihn jedoch nicht Mit dem Schichtenmodell wer- scheidungshilfen können Patienten als neutral empfinden, sondern als den die Reaktionen von Praktikern sich informieren und Vor- und Nach- kalt und autoritär. Für das System auf „klinische Dekonstruktionen“ teile abwägen (11, 12). Während die der vier Schichten gilt also nach plausibel. Darunter verstehe ich die Heiler-Funktion grundsätzlich hier- Watzlawick: „Man kann nicht nicht Entzauberung etablierter Behand- archisch ist, besteht hier eine Gleich- kommunizieren.“ (13) lungen durch klinische Studien; be- berechtigung. Während der Heiler kannte Beispiele sind die Hormon- per definitionem über geheimes Evidenz gegen Erfahrung gabe in der Menopause (19) und Wissen verfügt, ist auf der Partner- Eine niederländische Studie unter- arthroskopische Knorpelglättungen ebene Transparenz funktional. suchte an Patienten mit Atem- (20). Diese Studien treffen oft auf Die Schichtenmetapher kann wegsinfekten die Bestimmung des wütendes Unverständnis der anwen- helfen, Widersprüche und Tabus zu C-reaktiven Proteins (CRP) und denden Ärzte, die von der Wirksam- verstehen. Aus der Sicht einer „neu- ein Kommunikationstraining. So- keit überzeugt sind. Sicher spielen en“ Schicht erscheinen die vorher- wohl mit dem Test als auch mit der hier materielle Interessen eine Rol- gehenden als veraltet und nicht verbesserten Kommunikation lie- le; vor allem jedoch haben die An- mehr angemessen. Die entsprechen- ßen sich die Antibiotikaverschrei- wender mit diesen Behandlungen de Praxis erregt (Fremd-)Schämen bungen reduzieren (16). Eine be- auf der Ebene der rituellen Heilung und provoziert erzieherische Maß- gleitende Interviewstudie zeigte, große Erfolge erlebt. Eine biomedi- nahmen oder Sanktionen. Die Be- dass das CRP nicht nur der rationa- zinische Wirkung ist dazu offenbar geisterung für die „moderne“ Schicht len Entscheidungsfindung diente. nicht nötig gewesen. kann andererseits den Blick für Von den Allgemeinärzten wurde Aktuelle Leitlinien zum Rücken- die fortdauernden Auswirkungen betont, dass sie durch den Test an schmerz legen eine Zurückhaltung der „alten“ Schichten trüben. Im Glaubwürdigkeit gewonnen hät- bei bildgebenden Verfahren nahe, Folgenden gehe ich davon aus, ten, vor allem bei der Nichtver- die früher häufigen Spritzen sollten dass jede der vier Schichten auch schreibung eines Antibiotikums. ganz unterbleiben (21). Das Schich- heute noch spezifische Aufgaben an Sie hatten den Eindruck, dass sich tenmodell macht verständlich, war- Ärzte im Umgang mit ihren Patien- Patienten mit dem Test eher ernst um die Umsetzung Zeit benötigt: ten stellt. genommen fühlten (17). „Der Zau- Röntgen und Spritzen sind mäch- Zwangsläufig werden auf jeder ber der Messung ist stärker als der tige Rituale auf der archaischen Schicht von den Beteiligten Signale Zauber meiner Worte“, bemerkte Ebene gewesen. ausgesandt, und sei dies die impli- einer der Ärzte (18). Warum verwenden Ärzte latei- nische Fachausdrücke, obwohl Pa- tienten diese nicht verstehen? Da- FALLBEISPIEL mit demonstrieren sie ihr Experten- tum, das zur archaischen Heiler- Eine 47-jährige Frau, Busfahrerin, kommt am Das Dilemma lässt sich mit dem Schichten- Funktion gehört; der Heiler muss, späten Vormittag in die Praxis. Wegen ihrer Hals- modell verstehen. Als Gatekeeper muss ich das um Wirkung zu erzielen, etwas ha- schmerzen wünscht sie ein Antibiotikum; damit Antibiotikum verweigern. Als Heiler verweigere ich ben, das Familie, Freunden, Nach- würde sie so fit, dass sie gleich zur Spätschicht damit jedoch die erwartete rituelle Handlung, pro- barn fehlt: exklusives Wissen. Für könne. Eine Krankschreibung lehnt sie ab. Bei duziere bei der Patientin Enttäuschung und das die Mobilisierung der Heilkräfte einem Centor-Score von lediglich einem Punkt Gefühl, alleingelassen zu werden. Auf der Partner- auf dieser Ebene genügt die ent- ist die Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle ebene entwerte ich ihren Vorschlag zur Therapie. sprechende subjektive Überzeu- Tonsillitis gering (14). Ich versuche das Dilemma dadurch zu lösen, gung des Patienten; heute wie in der Wenn ich dieser tapferen Frau das Antibioti- dass ich ihr Penicillin verschreibe, aber gleichzeitig Vergangenheit dürften die meisten kum verweigere, versage ich ihr eine in ihren Au- versichere, dass das Antibiotikum für die Heilung Patienten bei ihren Heilern mehr gen wirksame Hilfe, in einer prekären Arbeitssi- nicht entscheidend ist. Ich rate ihr, noch zwei Tage Heilkompetenz vermutet haben, als tuation zu bestehen. Ich entwerte auch ihre Erfah- zu warten und das Rezept nur einzulösen, wenn bis diese biomedizinisch hatten. rung von früheren Krankheitsepisoden, nämlich dahin keine Besserung eingetreten ist. Außerdem So wird die Heilkunst zur Grat- dass (nicht gerechtfertigte) Antibiotika bei (selbst- nehme ich mir vor, das Thema beim nächsten Kon- wanderung zwischen Entmutigung heilenden) Atemwegsinfekten helfen. takt in Ruhe anzusprechen (15). und Wichtigtuerei. Ärzte, die ge- genüber ihren Patienten die der A 2080 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 42 | 19. Oktober 2012
THEMEN DER ZEIT Medizin inhärenten Unsicherheiten Kommunikation durch einander IGeL-Angebote, wie auch Prä- zu stark betonen, untergraben das widersprechende Botschaften durch- ventions-, Wellness- und Kosme- Vertrauen und gefährden ihre Ak- aus ernste „Nebenwirkungen“ ha- tikmärkte mit ihren fließenden zeptanz als Heiler (22). Dass auf ben kann. Balint-Gruppen sind eine Übergängen zur Medizin, schaffen der anderen Seite die subjektiv Gelegenheit, dies kollegial und pra- zusätzlich Widersprüche. Die un- überzeugende Darstellung von xisorientiert zu reflektieren (23, 24). vollständige Information des Ver- Kompetenz ausreicht, die Selbst- Ärzte haben ein sehr festes Bild brauchers (Patienten) ist jedoch nicht heilung des Patienten und seine von dem, was für einen Patienten das entscheidende Argument gegen Dankbarkeit zu stimulieren, stellt angemessen sei und wie er sich zu den direkten Verkauf von Leistungen eine große Versuchung zu Wichtig- verhalten habe. Selbst wenn den durch den Arzt. Problem ist vielmehr tuerei und Ausbeutung von Abhän- Ärzten dies kaum bewusst ist, ver- die existenzielle Verwundbarkeit des gigkeit dar. Medizinische Kompe- mitteln sie ihren Patienten diese Patienten. Wenn auch leichte Ge- tenz, Begeisterung für die eigenen Erwartung sehr wirksam („apostoli- sundheitsstörungen vitale Ängste Methoden, die auf empfängliche sche Funktion“ nach Balint). hervorrufen können, erwächst Ärz- ten (Heilern) eine besondere Macht und damit eine besondere Verant- wortung. Zwar ist das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht frei von wirtschaftlichen An- reizen, das Sachleistungsprinzip hat jedoch dafür gesorgt, dass in der So unterschiedlich die Heilkunde in der Geschichte praktiziert ärztlichen Praxis die Ökonomie re- worden ist: Die Kombination von Experte und Partner in der Person lativiert werden konnte. Das sich ausweitende IGeL-Angebot stellt des Heilers lässt sich in allen Epochen und Kulturen ausmachen. deshalb einen ethisch höchst be- denklichen Anreiz zum Missbrauch Patienten überspringt, zynische Wich- Bei schwerer Erkrankung und aku- eines vulnerablen Schutzbefohlenen tigtuerei und Geschäftemacherei tem Verlauf besteht vielfach eine dar (26). Ähnlich kritisch sind An- lassen sich häufig nicht trennen. Regressionstendenz: Diese Patien- reize zur Leistungsausweitung im Die evidenzbasierte Medizin ist ten sind verunsichert und fühlen stationären Bereich zu werten. in dieser Situation ein heilsames sich bedroht, oft muss unter Zeit- Korrektiv. Die randomisierte pla- druck entschieden werden. Jetzt Alle Schichten wirken fort cebokontrollierte Doppelblindstudie suchen sie eher den existenziellen Alle vier Schichten und ihre Grund- hält uns schonungslos den Spiegel Beistand auf der archaischen Ebene anforderungen bleiben; keine wird vor. Selbst wenn der statistische des Heilers (25). durch die soziale, wissenschaftliche Test zum Schluss „signifikant“ ist, Auch in dieser Situation gilt es, oder technische Entwicklung gegen- ist der Beitrag des mit viel Hoff- die Beziehung in Richtung von standslos. Selbst der patriarchalische nung entwickelten Pharmakons meist Autonomie und Partnerschaft zu Heiler kann für eine Krisensituation minimal. Damit wird die Vermu- gestalten. Dies muss einfühlsam ge- auch im aufgeklärten, patientenzen- tung bestärkt, dass Ärzte heute wie schehen und ohne den Patienten zu trierten Zeitalter funktional sein. früher vor allem durch ihre Person überfordern; häufig sind Krankheits- Schon oft ist auf die multiplen wirken. verlauf und ein erstes Behandlungs- ärztlichen Rollen hingewiesen wor- ergebnis abzuwarten. Ärzte sollten den (27). Das Schichtenmodell geht Normative Konsequenzen die oberste Schicht als Ziel jedoch jedoch über eine Aufzählung hin- Der Patient bestimmt die Ebene, nicht aus dem Auge verlieren. aus: Es stellt zeitliche und inhaltli- auf welcher der Dialog beginnt. Bei Anders eine Gefälligkeits-„Me- che Zusammenhänge dar, weist auf einer schweren Erkrankung besteht dizin“, das heißt das opportunisti- Widersprüche hin und kann damit vielleicht das Bedürfnis, sich an sche Verbleiben auf der Eingangs- eine Hilfe zur Reflexion und Eva- einen starken Heiler anzulehnen, ebene. Dies widerfährt beispiels- luation im ärztlichen Alltag wie beim Wunsch nach einer Beratung weise Menschen mit einer Neigung auch in der Lehre sein. über eine Berentung ist der Gate- zur Somatisierung; sie finden in keeper gefragt und so weiter. unserem technologiefixierten Medi- █ Zitierweise dieses Beitrags: Auf den weiteren Gang können zinsystem leicht Ärzte, die sich auf Dtsch Arztebl 2012; 109(42): A 2078–82 Ärzte jedoch Einfluss nehmen. Aus die nächste Runde organischer Dia- Anschrift für den Verfasser der Zwangsläufigkeit einer Äuße- gnostik einlassen, ohne ihre De- Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff M.H.Sc., rung auf allen vier Schichten ergibt tektivrolle kritisch zu hinterfragen. Abteilung für Allgemeinmedizin, Philipps-Universität Marburg, Karl-von-Frisch-Straße 4, 35043 Marburg, sich die Forderung, dass Ärzte in je- In ähnlicher Weise setzen viele norbert@staff.uni-marburg.de der Begegnung alle vier Schichten komplementärmedizinische Ange- reflektieren müssen. Die Beispiele bote auf Rituale, ohne die anderen oben zeigen, dass die ärztliche Schichten zu berücksichtigen. @ Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit4212 A 2082 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 42 | 19. Oktober 2012
THEMEN DER ZEIT LITERATURVERZEICHNIS HEFT 42/2012 ZU: ARZT UND PATIENT Arzt und Patient Archäologie einer Beziehung Die Rolle des Arztes in der Begegnung mit dem Patienten ist vielfältig und oft widersprüchlich. Ein „archäologisches“ Schichtenmodell stellt die verschiedenen Funktionen in einen zeitlichen und – metaphorisch – räumlichen Zusammenhang. Norbert Donner-Banzhoff LITERATUR 13. Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD: www.versorgungsleitlinien.de/themen/ 1. Von Uexküll T, Wesiack W: Theorie der Hu- Menschliche Kommunikation 10. Auflage. kreuzschmerz – letzter Zugriff 5. Mai manmedizin. Grundlagen ärztlichen Den- Bern: Hans Huber 2000. 2012 kens und Handelns. München: Urban & 14. Meyer F, Beck C, Baum E, Donner-Banz- 22. Donner-Banzhoff N: Eine kleine ärztliche Schwarzenberg 1998; 426 f. hoff N: Die Diagnose der Streptokokken- Typenlehre oder: Das Paradoxon des Dok- 2. Rothenbuhler EW: Ritual Communication. tonsillitis. Kritische Prüfung diagnostischer tor Asher. Z Allg med 2003; 79: 10–3. From Everyday Conversation to Mediated Entscheidungsregeln. Z Allg med 2002; 23. Balint M: The Doctor, his Patient and the Ceremony. Thousand Oaks (CA): Sage 78: 248–53. Illness. Edinburgh: Churchill Livingstone 1998. 15. Altiner A, Brockmann S, Sielk M, Wilm S, 2000 (Reprint der Originalausgabe). 3. Bosk CL: Occupational Rituals in Patient Wegscheider K, Abholz HH: Reducing anti- 24. Neighbour R: The Inner Consultation. Management. NEJM 1980; 303: 71–6. biotic prescriptions for acute cough by Dordrecht (NL): Kluwer 1987. motivating GPs to change their attitudes 4. Probst C: Der Weg des Ärztlichen Erken- to communication and empowering pa- 25. Müller-Engelmann M, Donner-Banzhoff N, nens am Krankenbett. Herman Boerhaave tients: a cluster-randomized intervention Keller H, et al.: Med Dec Making, ange- und die ältere Wiener medizinische Schule study. J Antimicrob Chemother 2007; 60: nommen 2012. (Band I). Wiesbaden: Franz Steiner 1972. 638–44. 26. Koch M: Arzt-Patienten-Beziehung: In fal- 5. Entralgo PL: Arzt und Patient: Zwischen- 16. Cals JW, Butler CC, Hopstaken RM, Hood sches Fahrwasser geraten. Dtsch Arztebl menschliche Beziehungen in der Ge- K, Dinant GJ: Effect of point of care testing 2012; 109(1–2): A 20. schichte der Medizin (Dt. Ausgabe). Mün- for C reactive protein and training in com- 27. Frank JR, Jabbour M, et al.: Eds. Report of chen: Kindler Verlag 1969. munication skills on antibiotic use in lower the CanMEDS Phase IV Working Groups. 6. Ginzburg CC: Morelli, Freud and Sherlock respiratory tract infections: cluster rando- Ottawa: The Royal College of Physicians Holms. In: Eco U, Sebeok TA: The Sign of mized trial. BMJ 2009; 338: b1374. and Surgeons of Canada 2005. Three: Dupin, Homs, Peirce. Indianapolis: 17. Cals JW, Chappin FH, Hopstaken RM, van Indiana University Press 1988. Leeuwen ME, Hood K, Butler CC, Dinant 7. Spary EC: Health and Medicine in the En- GJ: C-reactive protein point-of-care test- lightenment. In: Jackson M (Hrsg.): The ing for lower respiratory tract infections: Oxford Handbook of the History of Medici- a qualitative evaluation of experiences by ne. Oxford: Oxford University Press 2011. GPs. Fam Pract 2010; 27: 212–8. 8. Streptomycin in Tuberculosis Trials Com- 18. Cals JW, Butler CC, Dinant GJ: „Experi- mittee: Streptomycin treatment of pulmo- ence talks“: physician prioritisation of con- nary tuberculosis. A Medical Research trasting interventions to optimise manage- Council investigation. Br Med J 1948; 2: ment of acute cough in general practice. 769–82. Implement Sci 2009; 4: 57. 9. Levenstein JH, McCracken EC, McWhin- 19. Women’s Health Initiative Steering Com- ney IR, Stewart MA, Brown JB: The pa- mittee; Effects of Conjugated Equine tient-centred clinical method. 1. A model Estrogen in Postmenopausal Women with for the doctor-patient interaction in family Hysterectomy: The Women’s Health Initia- medicine. Fam Pract 1986; 3: 24–30. tive Randomized Controlled Trial. JAMA 10. Brown J, Stewart M, McCracken E, 2004; 291: 1701–12. McWhinney IR, Levenstein J: The patient- 20. Moseley JB, O’Malley K, Petersen NJ, et centred clinical method. 2. Definition and al.: A Controlled Trial of Arthroscopic Sur- application. Fam Pract 1986; 3: 75–9. gery for Osteoarthritis of the Knee. NEJM 11. Siehe http://patient-als-partner.de (letzter 2002; 347: 81–8. Zugang 8. Februar 2012). 21. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztli- 12. Für eine Übersicht evaluierter Entschei- che Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsge- dungshilfen weltweit siehe http://decisio meinschaft der Wissenschaftlichen Medi- naid.ohri.ca (letzter Zugang 8. Februar zinischen Fachgesellschaften (AWMF). Na- 2012). tionale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz – Langfassung. Version 1.X. 2010 A5 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 42 | 19. Oktober 2012
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