Auf dem Sofa Der Wolf - Schauplatz Schweiz - Beate Kittl

 
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Auf dem Sofa Der Wolf - Schauplatz Schweiz - Beate Kittl
Schauplatz Schweiz

 Der Wolf
auf dem Sofa
 Wolfsfanatiker
 haben bei ihr keine
 Chance auf einen
 Hund. Züchterin
 Andrea Zähner
 mit Idefix, ihrem
 Wolfhund

 Immer mehr Menschen wollen sich den Wolf ins Haus holen – in Form
 eines Wolfhundes. Doch die Haltung der eigenständigen Tiere ist anspruchsvoll.
 Über zerlegtes Mobiliar, Hühnerhälse und einen Partner fürs Leben

 Text: Beate Kittl, Fotos: Gaëtan Bally

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Auf dem Sofa Der Wolf - Schauplatz Schweiz - Beate Kittl
Wolfhunde sind ausgeprägte Rudeltiere und
 können oft schlecht alleine gelassen werden.
 Ari (links) und Loki beim Spielen

 «Wir versuchen, das Ursprüngliche zu behalten,
 aber einen umwelttauglichen Begleiter zu züchten»
 A N D R E A Z Ä H N E R , Z Ü C H T E R I N T S C H E C H O S L O WA K I S C H E R W O L F H U N D E

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Auf dem Sofa Der Wolf - Schauplatz Schweiz - Beate Kittl
L
 L A N G B E I N I G E , W O L F S G R A U E H U N D E tollen
 über einen lädierten Rasen. Schwarze Rücken­
 zeichnung, schmaler Kopf, lange Schnauze, bu­
 schiger Schwanz: Man könnte das Knäuel glatt für
 kannte Hunderassen, mit Zuchtrichtlinien und
 Rasseclubs. Den Rest der Wolfhunde machen
 ­Mischlinge oder nicht anerkannte Zuchten aus.
 Kenner der Szene bestätigen, dass die Nachfra­
 ge nach solchen Hunden in den letzten Jahren
 markant zugenommen hat. Offenbar träumen vie­
 le Menschen davon, sich ein wenig Wildnis und
 Abenteuer ins Haus zu holen. «Ich bekomme fast
 jede Woche einen Anruf: ‹Hast du Welpen? Schick
 mir einen!›», sagt Zähner. Solche Leute haben bei
 ihr keine Chance. Denn das erhoffte Abenteuer
 ein Wolfsrudel halten. Das Spiel ist ruppig, aber kann leicht zum Albtraum werden.
 freundlich: da werden Kehlen gepackt, Mitspieler Ein Tag mit den Hunden im Wolfspelz macht
 zu Boden gerissen und büschelweise Haare aus­ das schnell klar, zum Beispiel wenn man in Ge­
 gespuckt. Rugby für Vierbeiner, ohne Ball. benstorf (Aargau) Ernst Wiedemeier besucht,
 Andrea Zähner besitzt vier Tschechoslowaki­ Präsident der Wolf Dog Association, einer Inter­
 sche Wolfhunde, eine Rasse, die auf eine Kreu­ essengemeinschaft für Wolfhundehalter. Auf der
 zung von Karpatenwölfen mit Deutschen Schäfer­ Terrasse weigert sich der erst acht Monate alte Ari
 hunden zurückgeht. An einem eisigen Januartag zunächst, das Haus mit den Fremden darin zu be­
 lädt die Züchterin in ihren Garten in Opfikon bei treten – der vor ihm kniende Fotograf ist ihm
 Zürich ein, das Rudel ist durch einen zwei Meter nicht geheuer. Dicht an den Boden gekauert ver­
 hohen Zaun und eine Schleuse aus zwei Metall­ sucht er, sich zu verdrücken. «Wenn Wolfhunde
 toren von der Aussenwelt getrennt. «Warnung vor etwas nicht einschätzen können, wollen sie flüch­
 dem Hunde» mahnt ein Emailleschild. ten. Das ist sehr wölfisch», erklärt Rahel von Arx.
 Von ihrem wilden Urahn haben Akuma, Ayasha, In der Wildnis gibt es für junge Wölfe viele Gefah­
 Chesmu und Idefix nicht nur die Fellzeichnung ren – zum Beispiel andere Wölfe.
 mit der Wolfsmaske im Gesicht geerbt, sondern Ari ist ein Mischling aus Tscheche und Ameri­
 auch den schwingenden Trab, die Eleganz, Kraft kanischem Wolfhund, einer nicht als Rasse aner­
 und Ausdauer. Bernsteinfarbene Augen überwa­ kannten Zucht, bei der höhere Wolfsanteile vor­
 chen aufmerksam die Umwelt. Wie Wölfe stim­ kommen. Deshalb reagiert er laut von Arx noch
 men auch Wolfhunde gern in ein Gänsehaut erre­ empfindlicher auf Neues als Tschechen oder Saar­
 gendes Heulen ein. loos-Wolfhunde, bei denen übermässige Scheu
 Ihre Körpersprache sei viel ursprünglicher und nicht erwünscht ist und zum Zuchtausschluss
 feiner als bei anderen Hunden, erklärt Zähner. führt. «Mit Ruhe und Geduld wird er lernen, dass
 Wie zum Beweis wirft sich die Hündin Baikala, ihm in solchen Situationen nichts passiert», sagt
 ebenfalls zu Besuch im Garten, auf den Rücken, von Arx. «Ich arbeite nicht mit Zwang, er darf sich
 entblösst ihre Kehle und lässt sich beschnüffeln. bis zu gewissen Grenzen seinen Raum nehmen.»
 «Als Ex-Rudelmitglied muss sie bei jedem Besuch Endlich im Haus, rast Ari über das Ledersofa,
 zuerst unten durch», erklärt Zähner. hechtet über den Sessel und springt an der Bal­
 Mit seinen zwölf Jahren ist Idefix der Senior kontüre hoch. Keramik wackelt bedenklich auf ei­
 und unangefochtener Rudelchef, dem die ande­ ner Kommode. «Wer teure Möbel hat, sollte sich
 ren respektvoll die Lefzen lecken. Er lässt sich von lieber keinen Wolfhund anschaffen», sagt der
 der Besucherin genüsslich den Pelz kraulen, wäh­ Hausherr grinsend.
 rend die restlichen Hunde sich lieber weiter dem
 wilden Spiel widmen.

 «Eine korrekte Sozialisation

 E ist beim Wolfhund noch wichtiger
 TWA 800 ALS WOLFHUNDE gemelde­
 te Hunde gibt es in der Schweiz. Gut die
 Hälfte davon sind Tschechoslowakische als bei anderen Rassen»
 Wolfhunde, von Insidern «Tschechen»
 A N N E L I M U S E R L E Y V R A Z , V E R H A LT E N S T I E R Ä R Z T I N , G E N F
 genannt, dazu kommen etwa 100 niederländische
 Saarloos-Wolfhunde – beide international aner­

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Schneemeister
 Raoul Biner vor
 «Wenn Wolfhunde Vertrauen gefasst
 dem «Snowmaker»
 in Zermatt, der
 den 1950er Jahren ursprünglich gezüchtet hatte. haben, kannst du alles mit ihnen machen»
 Beim zweiten «Sitz» gehorcht Loki. Es gibt dafür
 ursprünglich als Y V O N N E H Ä B E R L I N G , B E S I T Z E R I N V O N G AV I N
 ein Leckerli: Hühnerhälse.
 Entsalzungsanlage
 konzipiert war
 Für all die Mühen bekommen bewegungsfreu­
 dige Menschen lebhafte und treue Begleiter. Wolf­
 hunde brauchen «geistige Auslastung», sagt Zäh­ Bei einem Treffen auf einem schneebedeckten
 ner. Mit ihren feinen Sinnen und ihrer Klugheit Feld bei Wattwil (St. Gallen) trägt Gavin einen
 sind sie wie gemacht für die Fährtensuche, man­ Maulkorb. Er sei unsicher bei Begegnungen mit
 che kommen als Lawinen- und Rettungshunde fremden Menschen, erklärt Häberling, und mit
 zum Einsatz. Allerdings entscheiden sie selbst, dem Maulkorb sei vor allem sie selbst ruhiger, was
 was ihnen Spass macht. Wiedemeier hat für sich sich auf den Hund übertrage. «Wenn Wolfhunde
 und Loki das Mantrailing entdeckt, also die Per­ einmal Vertrauen gefasst haben, kannst du alles
 sonensuche nach dem Geruch eines Kleidungs­ mit ihnen machen. Aber sie entscheiden, wann
 stücks. «Da wird er gefordert.» das ist», sagt Häberling. Wie zum Beweis nähert
 Jeder Wolfhund ist anders: Manche können mit sich Gavin nach zehn Minuten der Besucherin
 entsprechendem Training stundenlang allein und lässt sich streicheln.
 bleiben, andere ertragen das gar nicht. Mit man­ Auch die schon 14 Jahre alte Dutches, die etwas
 chen kann man ins Restaurant gehen, mit ande­ steif durch den Schnee stiefelt, sei als Junghund
 ren nicht einmal in den Bus. Manche sind tolle Fa­ sehr scheu gewesen, erzählt Lukas Bretscher,
 milienhunde, während Wiedemeier bei kleinen Vize­präsident der Wolf Dog Association. Heute
 Kindern vorsichtig ist. «Man bekommt immer ein begrüsst sie schwanzwedelnd die Neuen im Rudel,
 Überraschungspaket – und zwar ohne Bedie­ auch den etwas vorsichtigen Fotografen. Das Baby
 nungsanleitung», sagt Yvonne Häberling, Besitze­ in der Familie habe Dutches fürsorglich beschützt.
 rin des achtjährigen Gavin. In Bretschers abgelegenem Haus mit grossem

 Fremden begegnet
 Gavin zunächst
 Sein vierjähriger Tschechen-Rüde Loki ist im misstrauisch. Dank Ausbrüchen. Loki biss bei einem solchen Versuch,
 Vergleich zu Ari die Ruhe in Person. Wiedemeier des Maulkorbs aus einem geparkten Auto zu entkommen, nicht nur
 sind Besitzerin
 hält das imposante Tier am Halsband fest, als die das Hundegitter, sondern auch die Sicherheitsgurte
 und Hund ruhiger
 Besucher sein Haus betreten. «Bitte NICHT die durch. Legendär ist auch Fähigkeit der Tiere, Proble­
 Schuhe auf der Matte abtreten», sagt er. Loki me zu lösen. Loki habe innerhalb kürzester Zeit den
 könnte dies als Konkurrenzgebaren auffassen. Back­ofen und den Kühlschrank öffnen können, sagt
 «Man muss beim Wolfhund fünf bis sechs Schrit­ Ernst Wiedemeier. Letzterer ist nun mit einer Holz­
 te vorausdenken.» Loki lässt sich problemlos platte verkleidet. Auch verschlossene Türen und
 streicheln, und nach einer Weile beschnüffelt Kinder­sicherungen sind vor den cleveren Tieren kei­
 auch Ari die Gäste neugierig. neswegs sicher.
 Junge Wolfhunde können gewaltiges Zerstö­
 rungspotenzial entwickeln. Diesen Leidensweg

 E
 durchlief auch die Züchterin Andrea Zähner mit IN WOLFHUND SEI eine Vollzeitbeschäf­
 ihrem heute so entspannten Idefix. «Als er 16 Wo­ tigung für die Menschen, die sie halten, be­
 chen alt war, riss er die Weltherrschaft an sich», tont Rahel von Arx. «Man muss absolut be­
 witzelt sie. «Ich musste ihm klarmachen, dass ich reit sein, sich auf ein Leben mit dem Hund
 der Chef bin.» Ohne Gewalt, aber mit viel Konse­ einzulassen und mit ihm zu arbeiten.» Strenge, Drill
 quenz. Während dieser ‹Verhandlungen› ­zerfetzte oder sogar Gewalt funktionieren dabei nicht. «Sitz,
 Idefix ein Sofa, drei Matratzen, ungezählte Kissen, Loki», sagt Wiedemeier. Nichts passiert.
 Zahnbürsten und Schuhe. Er frass Ledertaschen «Wolfhunde führen Kommandos nur aus, wenn sie
 samt Karabiner, die in der Tierklinik herausope­ darin einen Sinn sehen», erklärt er. Ihnen fehle das
 riert werden mussten. Bedürfnis anderer Rassen, dem Menschen zu gefal­
 Weil Wolfhunde sehr ungern allein zurück­ len. Deshalb eigneten sie sich auch nicht für die Gren­
 bleiben, geschehen viele der Verheerungen bei zwache, wofür das tschechoslowakische Militär sie in

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das Ursprüngliche zu behalten, aber einen um­
 welttauglichen Begleiter zu bekommen», sagt
 Zähner. Leider sind nicht alle Züchter so gewis­
 senhaft, kritisieren Clubverantwortliche. Manche
 produzieren einfach Welpen, ohne die Eltern
 nach Rassezielen auszuwählen. Andere wollen
 tatsächlich «den Wolf für den Garten» verkaufen
 und verpaaren reinrassige Hunde mit Hybriden
 – also Wolfsmischlingen – oder anderen Wolfhun­
 derassen, fälschen mitunter auch Zuchtpapiere.
 Viele Hunde mit hohem Wolfsanteil kommen mit
 dem Leben in der modernen Welt aber nicht zu­
 recht, schon deshalb grenzen derartige Praktiken
 an Tierquälerei. Grosse Probleme gibt es auch,
 wenn die Welpen ohne Menschenkontakt und an­
 Hellwach und klug: dere Umwelterfahrungen im Zwinger aufwachsen,
 Garten kann sie frei ein und aus gehen, bewohnt Loki (links) kann sagt die Genfer Verhaltenstierärztin Anneli Mu­
 eine beheizbare Hundehütte und erfreut sich an Backöfen und ser Leyvraz. «Eine korrekte Sozialisation ist beim
 offener Fütterung. Sie hat gelernt, zufrieden stun­ Kühlschranktüren Wolfhund noch wichtiger als bei anderen Rassen.»
 öffnen
 denlang, sogar Tage allein zu bleiben. Sie behandelt verhaltensauffällige Hunde, darun­
 ter sei auch immer mal wieder ein Wolfhund. Am
 wichtigsten seien für die Sozialisation die dritte

 N
 ICHT ALLE KÄUFER können die ho­ bis zwölfte Lebenswoche. «In dieser Zeit formen
 hen Ansprüche dieser Tiere erfüllen. die Umweltbedingungen, die der Hund antrifft,
 Unüberlegte Käufe, plötzlich veränder­ die Entwicklung des Gehirns.» Dies sollte bei den
 te Lebensumstände oder ein schwieri­ jeweiligen Züchtern stattfinden.
 ger Hund aus unseriöser Zucht können Gründe In dieser Periode lerne der Welpe dank positi­
 sein, den Wolfhund wieder abzugeben. Die beiden ver Erlebnisse, später angemessen auf unbekann­
 Schweizer Rasseclubs für Tschechoslowakische te Situationen zu reagieren, sagt die Tierärztin.
 und Saarloos-Wolfhunde sowie die Wolf Dog As­ Dazu gehören Auto-, Bus- und Zugfahrten oder
 sociation betonen, dass sie bei Problemen helfen Spaziergänge in der Stadt. Unbedingt sollte der
 und notfalls auch dabei, einen neuen Platz zu su­ Welpe in dieser Phase Kinder und auch ältere
 chen. Auch der Verein «Wolfhunde in Not Schweiz» Menschen kennenlernen und Begegnungen mit
 vermittelt Pflegeplätze und neue Halter für Wolf­ anderen Hunden oder Katzen üben. Fehlten die­
 hunde aller Typen. se Erfahrungen, werde er später von der Umwelt
 Um Halterwechsel zu vermeiden, suchen seriö­ überfordert sein und ängstlich oder aggressiv re­
 se Züchterinnen und Züchter die künftigen Besit­ agieren oder – etwa gegenüber Katzen – seinem
 zer sorgfältig aus. «Wolfsfanatiker bekommen von Jagdtrieb folgen.
 mir keinen Hund», betont Andrea Zähner, die bis­ Lukas Bretscher würde jedenfalls keine ande­
 lang drei Würfe verkauft hat. Züchter und Wolf­ re Rasse mehr haben wollen. «Der Tscheche ist
 hundeclubs empfehlen, Interessentinnen vor und ein ‹Hund plus›», schwärmt der Besitzer von
 nach dem Kauf eng zu begleiten. Mancher Hund Dutches. «Er kommuniziert viel subtiler und liebt
 wählt «seinen» Menschen auch selbst aus. Anas­ bedingungslos.» Von Dutches habe er viel über
 tasia Casanova hat Zähners Hündin Baikala ver­ sich selbst gelernt. Auch Yvonne Häberling trägt
 suchsweise für ein paar Tage mit nach Hause ge­ Gavin nichts nach – etwa dass er ihre 500 Fran­
 nommen. Danach begann diese zu heulen, wenn ken teure Handtasche zerbissen und die Marken­
 Casanova auch nur kurz wegging. «Das ist jetzt turnschuhe zerfetzt hat. «Man braucht mit Wolf­
 dein Hund», bekundete ihr die Züchterin. hunden eine gehörige Portion Galgenhumor»,
 Das Zuchtziel für die Wolfhunderassen ist ganz sagt sie. «Aber wenn man sich auf sie einlässt, hat
 klar: Aussen Wolf, innen Hund. «Wir versuchen, man einen Hund fürs Leben.» 

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