Auf der Suche nach dem idealen Leben - Bernisches ...

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nach dem idealen Leben1
Auf der Suche nach dem idealen Leben - Bernisches ...
Begleitpublikation zur Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche nach dem
idealen Leben» im Bernischen Historischen Museum (13.2.2020–5.7.2020)

                                                                          5    Vorwort
                                                                               Damir Skenderovic/Jakob Messerli

                                                                          9    Spuren der Lebens­reformbewegung
                                                                               bis in die Gegenwart
                                                                               Eva Locher

Ausstellungspartner:                                                      13   Wege aus der Krise:
                                                                               Lebensreform als Selbstreform
                                                                               Andreas Schwab

                                                                          17   Die Schweizer Lebens­reform­
                                                                               bewegung: Anleitungen für
                                                                               ein «besseres Leben»
                                                                               Stefan Rindlisbacher

                                                                          30   Autorin und Autoren
Edition eigenART,
Verlag X-Time, Bern, 2020
www.edition-eigenart.ch

ISBN 3-909990-33-9                                                        31   Weiterführende Literatur

Gestaltung: Luca Hostettler
Auf der Suche nach dem idealen Leben - Bernisches ...
Vorwort

     «Lebe besser!», so lautet der Appell und Mahnruf der Lebens-
     reformbewegung, in der Schweiz wie auch in anderen euro-
     päischen Ländern. Er ist eine kategorische Aufforderung an
     die Menschen, sich zu verändern. Er ist auch eine Bekundung
     von Unmut über herrschende Zustände und eine Warnung vor
     drohenden Gefahren. Im späten 19. Jahrhundert drücken die
     Lebensreformerinnen und Lebensreformer damit ihr Unwohl-
     sein mit der verstärkten Industrialisierung, Technisierung und
     Urbanisierung aus, ihr Unbehagen mit dem beschleunigten
     Rhythmus des Alltags und der Globalisierung der Welt. Später
     fügen sich Missfallen an der Wachstums- und Konsumgesell-
     schaft, Sorgen um Umweltverschmutzung und Klimawandel
     hinzu. Konstant bleibt die Krisenempfindung, die zuweilen in
     Katastrophenszenarien und Endzeitstimmungen mündet, vor
     allem aber zur Suche nach einem idealen Leben, nach der Ver-
     besserung der Lebensweisen antreibt.
     Obschon sich die Krisendeutungen auf die gesamte Gesell-
     schaft, gar auf den ganzen Planeten beziehen, richtet sich der
     lebensreformerische Aufruf zur Veränderung an den Einzelnen.
     Wenn jeder Mensch seine persönliche Lebensweise ändere,
     finde letztlich auch gesellschaftlicher Wandel statt, so die Über-
     zeugung der Lebensreformer und Lebensreformerinnen. Nicht
     soziale Gleichheits- und Gerechtigkeitsideale, emanzipatorische

                                                                   5
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und partizipatorische Ansprüche stehen im Mittelpunkt, vielmehr     Solche Ambivalenzen und Schattenseiten kennzeichnen die
    geht es um die individuelle Selbstgestaltung und das eigene         Geschichte der Lebensreformbewegung in der Schweiz, die
    Wohlbefinden. «Lebe besser!» ist ein Appell an die Selbstverant-    bisher wenig Beachtung gefunden hat. Dank einem mehrjäh-
    wortung, ein Bekenntnis zur Selbstermächtigung. Jeder Einzelne      rigen Forschungsprojekt am Departement für Zeitgeschichte
    ist der Schmied seines eigenen Glückes, wie oft zu hören ist. Es    der Universität Freiburg, das der Schweizerische National-
    erstaunt denn auch wenig, dass im Zuge der forcierten Neolibe-      fonds (SNF) unterstützt hat, liegen nun erstmals umfassende
    ralisierung der postindustriellen Gesellschaft und der damit ver-   historische Erkenntnisse vor, die nicht nur die ausserordentli-
    bundenen individualisierten Ungleichheit seit den 1970er-Jahren     che Bedeutung der Schweiz für die transnationale Lebensre-
    lebensreformerisch inspirierte Praktiken der Persönlichkeitsbil-    formbewegung aufzeigen, sondern auch auf die auffallenden
    dung und Selbstoptimierung einen Boom erleben.                      Kontinuitäten lebensreformerischer Ideen und Praktiken im
    Sozial ist die Lebensreform zu Beginn vor allem im bürgerlichen     20. Jahrhundert hinweisen.
    Milieu der Schweiz verortet. Sie spricht hauptsächlich besser       Das Bernische Historische Museum befasst sich seit einigen
    situierte Bevölkerungskreise an. Lange Zeit können nur jene         Jahren in seinen Ausstellungen vermehrt mit Themen der Zeit-
    ostentativ auf Fleisch verzichten, sich vegetarisch ernähren,       geschichte und mit Gegenwartsfragen. Die universitäre For-
    die sich überhaupt Fleischgerichte zu leisten vermögen. Noch        schung dagegen hat den Anspruch, ihre Erkenntnisse einer
    heute sind Bioprodukte, Vollwertkost und Naturheilpraktiken         breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vor diesem Hin-
    nicht für alle erschwinglich. Zur Lebensreform als Selbstreform     tergrund beschlossen das Bernische Historische Museum und
    gehört auch die intensive Arbeit am eigenen Körper. Natürlich-      das Departement für Zeitgeschichte der Universität Freiburg,
    keit, Schönheit und Fitness werden als lebensreformerische          die Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt zur Geschichte der
    Leitmotive propagiert. Gesund, schlank und leistungsfähig           Lebensreformbewegung in der Schweiz gemeinsam im populä-
    soll der Körper sein, ganz im Sinne des heutigen Körper- und        ren Medium einer Ausstellung einem breiten Publikum zu prä-
    Fitnesskults. Auf Fleisch, Alkohol und Tabak soll verzichtet        sentieren. Dieses Anliegen wurde durch den SNF im Rahmen
    werden, was auch dem aktuellen Verständnis eines gesund-            eines Agora-Projektes finanziell unterstützt. Beide Institutionen
    heitsbewussten, enthaltsamen Lebens entspricht. Nicht selten        haben dabei ihre je spezifischen Kompetenzen eingebracht.
    basieren solche Vorstellungen vom gesunden, fitten Menschen         Das Resultat ist die Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche
    auf sozialdarwinistischen Ansichten und dienten in der Vergan-      nach dem idealen Leben», die vom 13. Februar bis zum 5. Juli
    genheit dazu, eugenische Massnahmen zu begründen.                   2020 im Bernischen Historischen Museum zu sehen ist.
    Bemerkenswert ist schliesslich, dass die weltweit herumreisen-
    den Schweizer Lebensreformer zur europäischen Kolonialge-
    schichte gehören. Ihre Zivilisationskritik und ihre Suche nach
    naturnahen, idealen Lebens- und Gesellschaftsformen bringt
    sie dazu, romantisierend und exotisierend über aussereuropäi-       Damir Skenderovic
    sche Bevölkerungen zu berichten und damit zur kolonialen Ima-       Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg
    ginationswelt beizutragen, was wiederum auf das Selbstbild der
    Lebensreformer und Lebensreformerinnen einwirkt (z.B. indem         Jakob Messerli
    sie sich als «Naturmenschen» inszenieren).                          Direktor des Bernischen Historischen Museums

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Spuren der Lebens­
reformbewegung bis
in die Gegenwart
Eva Locher

             Wir integrieren in unseren Alltag verschiedene Elemente, wel-
             che auf die Lebensreformbewegung zurückgehen – ohne dass
             wir uns dessen bewusst sind. Welche Spuren hat die Lebens-
             reformbewegung in unserer Gegenwart hinterlassen? Was ist
             aus ihren Ideen geworden? Und warum beurteilen wir sie auch
             äusserst ambivalent?
             Vegetarismus und Veganismus sind heute populär, viele junge
             Leute bemühen sich um eine ökologisch nachhaltige Lebens-
             weise und erachten die Abwendung einer Klimakatastrophe
             für dringlich, alternativmedizinische Verfahren sind aus unse-
             rem Alltag nicht mehr wegzudenken und nicht wenige arbei-
             ten in Fitnessstudios unermüdlich an ihrem Körper. Aber wem
             ist bewusst, dass diese Bestrebungen und Praktiken bereits in
             der Lebensreformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhun-
             derts populär waren? Während Reformerinnen und Reformer
             die gesunde Ernährung, natürliche Heilmethoden und Körper-
             ideale, die um Gesundheit, Natürlichkeit und Schönheit kreisen,
             damals auf ihre Agenda setzen, verbreiten sie diese Praktiken
             und Leitbilder danach während des gesamten 20. Jahrhunderts
             in der Gesellschaft.

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Auf der Suche nach dem idealen Leben - Bernisches ...
Die Lebensreformbewegung ist also ein historischer Gegen-
     stand mit direkter Reichweite bis in die Gegenwart. Noch heute
     existieren in der Schweiz reformerische Vereine wie der FKK-
     Verein «Organisation von Naturisten in der Schweiz», der sei-
     nen Prinzipien aus der Gründungszeit in den 1920er-Jahren
     mehrheitlich treu geblieben ist. Auch einzelne ursprünglich
     lebensreformerische Zeitschriften erscheinen unter neuen
     Namen, zum Beispiel «bisch zwäg», bis in die jüngste Zeit. Aller-
     dings ist der Begriff «Lebensreform» allmählich in Vergessen-
     heit geraten: Ähnliche Praktiken, wie sie die Reformerinnen
     und Reformer propagiert haben, fungieren heute unter neuen
     Schlagworten wie «Achtsamkeit», «Naturverbundenheit», «Fit-
     ness» oder «Gesundheitsprävention».
     Die Natur repräsentiert das wichtigste lebensreformerische
     Leitbild. Sie dient als Handlungsmaxime für eine «naturge-
     mässe» und «harmonische» Lebensweise. Bereits in der ersten
     Hälfte des 20. Jahrhunderts weisen die Lebensreformer und
     -reformerinnen mit ihrer Kritik an der «Entfremdung des Men-
     schen von der Natur» darauf hin, dass die Zerstörung der Natur
     sowohl den Pflanzen und Tieren als auch den Menschen die            für Umweltzerstörung sehen. Gerade am Naturideal zeigt sich,
     Lebensgrundlage entziehe und Umweltkatastrophen bevor-              dass die Lebensreformbewegung politisch schwer zu verorten
     stünden. Sie engagieren sich deshalb von Anfang an in der           ist und dass sie ambivalente Kooperationen zulässt.
     Naturschutzbewegung und setzen sich seit der zweiten Hälfte         Als übergeordnetes Ziel der Lebensreformbewegung steht
     des 20. Jahrhunderts intensiv dafür ein, den Wunsch nach            die Gesundheit – ein Idealzustand von Körper, Geist und Seele
     einem ökologischen Leben zu verwirklichen. Dazu gehört nicht        im «Einklang mit den Naturgesetzen». Die «naturgemässe»
     nur der Kampf gegen die Atomenergie, sondern auch die För-          Lebensweise soll Krankheiten vorbeugen, bekämpfen und hei-
     derung des biologischen Landbaus.                                   len. Viele lebensreformerische Konzepte und Praktiken rich-
     Die Lebensreformbewegung kann wegen ihres frühen Engage-            ten sich direkt oder indirekt an den menschlichen Körper. Mit
     ments für den Umweltschutz auch als Vorläuferin grün-alterna-       der Umstellung der Ernährung, dem Verzicht auf «Genuss- und
     tiver Bewegungen gesehen werden. Sie gibt hinsichtlich eines        Reizmittel», der Gesundheitsbehandlung und den sportlichen
     ökologisch nachhaltigen Lebensstils gegenkulturellen Akteu-         Aktivitäten streben die Reformer und Reformerinnen nach
     ren in den 1970er-Jahren wichtige Impulse. Gleichzeitig erlaubt     einem gesunden und schönen Körper, den insbesondere die
     sie jedoch nicht nur links stehenden Alternativen Anknüpfungs-      Freikörperkultur idealisiert und überhöht.
     möglichkeiten. Reformer bedienen sich vielmehr auch der             Die lebensreformerischen Gesundheitsvorstellungen und Kör-
     Argumente der ökologischen Neuen Rechten, wenn sie bei-             perkonzepte sind stark normativ geprägt. Reformzeitschriften,
     spielsweise Bevölkerungswachstum und Migration als Grund            Bücher und Kurse vermitteln der Anhängerschaft, wie sie ihren

10                                                                       Eduard Bilz, «Das Volk im Zukunftsstaat», 1904.
                                                                                                                                         11
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Alltag auszugestalten, welchen Idealen sie nachzueifern und an
     welchem engen Normenset sie sich zu orientieren hat. Gerade
     das Streben nach einer bestmöglichen Gesundheit und einem
     Idealkörper bietet ein Einfallstor für eugenische und rassisti-
     sche Vorstellungen. Zahlreiche Reformer und Reformerinnen         Wege aus der Krise:
     verbreiten solche Ideen mit dem Ziel der «Höherentwicklung»
     und der Überwindung der «Degeneration» des Menschen. Sol-
                                                                       Lebensreform als
     che Forderungen nach human enhancement appellieren an             Selbstreform
     die Selbstverantwortung jedes Individuums, beziehen sich          Andreas Schwab
     aber immer auch auf übergeordnete Grössen wie das «Volk».
     Die Lebensreformbewegung trägt dadurch dazu bei, breite
     Bevölkerungsschichten für eugenische Ideen empfänglich zu
     machen.                                                                        Vor 20 000 Menschen beim Brandenburger Tor in Berlin spricht
     Die richtige Ernährung – möglichst knapp und möglichst natur-                  die 16-jährige Greta Thunberg im März 2019 über den Klima-
     belassen, vegetarisch sowie ohne Alkohol und Nikotin – gehört                  wandel: «Die älteren Generationen haben dabei versagt, sich
     zu den Kernelementen der Lebensreformbewegung. Sie kriti-                      der grössten Katastrophe zuzuwenden, der sich die Mensch-
     siert die industrielle Nahrungsmittelproduktion und den Mas-                   heit je gegenübersah.» Sie fordert die Menschen auf, ihr Ver-
     senkonsum. Es entstehen vegetarische Restaurants und                           halten unverzüglich zu ändern und auf die Emission von CO2
     Reformhäuser, die sich auf bestimmte Produkte wie Vollkornge-                  zu verzichten. Denn bislang sei trotz der Proteste der Jugendli-
     treide, Sojaerzeugnisse oder natürliche Kosmetika spezialisie-                 chen weltweit noch nichts passiert. In ihrer Rhetorik nimmt die
     ren. Gleichzeitig erzeugen die reformerische Abgrenzung vom                    Initiantin der Schülerstreikbewegung «Fridays for Future» Mus-
     konventionellen Markt, die ihr inhärente Konsumkritik und ihr                  ter auf, die für die Lebensreformbewegung typisch sind, näm-
     Anspruch, auf Fleisch, Alkohol und Tabak zu verzichten, neue                   lich das Bewusstsein, in einer krisenhaften Zeit zu leben und sie
     Konsumbedürfnisse. In der Folge stellt die Reformwarenindus­                   mit einer individuellen Verhaltensänderung zu überwinden. So
     trie eigene kapitalistische Konsuminfrastrukturen zur Verfügung                lassen sich die Klimaproteste der Jugendlichen 2019 mit ihren
     und folgt kommerziellen Marktlogiken. So ist die Lebensreform-                 Katastrophenszenarien der schmelzenden Gletscher und Pol-
     bewegung trotz des ihr zugeschriebenen Antimodernismus als                     kappen durchaus in Analogie zu Sorgen von Lebensreformern
     Teil der Moderne zu sehen. Sie prägt mit ihren Produktions- und                Anfang des 20. Jahrhunderts setzen.
     Vertriebsweisen sowie mit ihren Konsummustern den Lebens-                      Emblematisch hat Gusto Gräser in seinem Gemälde «Der Liebe
     mittelmarkt, der heute mit Bioprodukten, glutenfreiem Essen                    Macht» (1899) diesem lebensreformerischen Grundgefühl
     und möglichst gesunden Nahrungsmitteln boomt.                                  einen Ausdruck gegeben. Auf der rechten Seite des Gemäldes
                                                                                    ist eine Zivilisation in Flammen zu erkennen, die bereits zahl-
                                                                                    reiche Tote gefordert hat. Die Menschheit, vertreten durch
                                                                                    ein nacktes Paar, kann jedoch durch Umkehr zu einer natürli-
                                                                                    chen, gesunden Lebensweise in ein neues Paradies gelangen.

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katastrophen neue Anlässe für ein Krisen- und Katastrophen-
                                                                                                  bewusstsein. Insbesondere die Verseuchung der Umwelt, die
                                                                                                  krank machende Luftverschmutzung, die Vergiftung der Nah-
                                                                                                  rungsmittel, die Zubetonierung der Landschaft und die Gefah-
                                                                                                  ren der Atomenergie werden angeprangert. 1972 veröffentlicht
                                                                                                  der einflussreiche Club of Rome einen Bericht, der diese Sor-
                                                                                                  gen aufnimmt: «Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbe-
                                                                                                  völkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung,
                                                                                                  der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natür-
                                                                                                  lichen Rohstoffen un­verändert anhält, werden die absoluten
                                                                                                  Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hun-
                                                                                                  dert Jahre erreicht.»
                                                                                                  Doch die Sorgen beziehen sich nie einzig auf die gesellschaft-
                                                                                                  lichen Umstände. Der Mensch als Individuum sei ebenfalls
                                                                                                  davon betroffen, er würde unter Entfremdung leiden und hätte
     Nicht zufällig ist dieses Bild entgegen der traditionellen Lese-                             Angst vor beruflicher und famili-
     richtung von rechts nach links zu lesen. Die utopische Welt                                  ärer Orientierungslosigkeit. Die
     ist durch eine absolute Harmonie von Mensch, Tier und Natur                                  althergebrachten Werte gelten
     gekennzeichnet.                                                                              als überholt. In einem Artikel
     Über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg setzen sich lebens-                                  der schweizerischen FKK-Zeit-
     reformerische Akteure immer wieder mit zeitspezifischen                                      schrift «Die neue Zeit» steht
     Problemen auseinander: In den ersten Jahrzehnten prägt die                                   1969: «Die gewaltigen Fort-
     Kritik an Industrialisierung, Technisierung, Militarisierung                                 schritte in Technik und Wohl-
     und Urbanisierung die Themen der Lebensreformbewegung.                                       stand haben den Menschen des
     Der einflussreiche konservative Architekt und spätere völki-                                 20. Jahrhunderts seinem natürli-
     sche Heimatschützer und NSDAP-Reichstagsabgeordnete                                          chen Milieu weiter entfremdet.
     Paul Schultze-Naumburg veröffentlicht 1906 einen Artikel mit                                 Heute ist der Mensch bewusst
     dem bezeichnenden Titel «Die Grossstadtkrankheit» in der                                     oder unbewusst Sklave seiner
     Zeitschrift «Der Kunstwart». In ihm kritisiert er die unerträgli-                            ‹Überzivilisation› und der damit
     chen hygienischen Verhältnisse in den Grossstädten und die                                   verbundenen gesundheitlichen
     «rasende Geschwindigkeit», die in ihnen herrscht. Damit gera-                                Schäden geworden.»
     ten einige Exponenten der Lebensreformbewegung in völki-                                     Auch die individuellen Krisensymptome verändern sich im
     sches Fahrwasser, etwa indem sie ihre Grossstadtkritik mit                                   Laufe der Zeit: Während um 1900 die «Nervosität» von Arbeit-
     antisemitischen Stereotypen verbinden.                                                       nehmenden als Problem gilt und viele sich deswegen in spezi-
     In der Nachkriegszeit ab 1945 bieten Wirtschaftswachs­tum,                                   alisierten Kliniken (z.B. in der Klinik «Lebendige Kraft» von Max
     Aufstieg der Konsumgesellschaft und drohende Umwelt­                                         Bircher-Benner) behandeln lassen, ist es heute – ein ebenso

14                 Das Bild des Monte-Verità-Mitbegründers Gusto Gräser «Der Liebe Macht»
                   (1899) zeigt den Weg aus der Industriegesellschaft in eine idyllische Natur.
                                                                                                  Plakat für den Film «Metropolis» von Fritz Lang, 1927.
                                                                                                                                                                      15
Auf der Suche nach dem idealen Leben - Bernisches ...
unscharfer Begriff – das «Burnout».
                                Auch Krankheiten, die mit der Über-
                                forderung in einer immer unüber-
                                sichtlicher scheinenden Gesel­­lschaft   Die Schweizer
                                in Zusammenhang stehen, nehmen
                                an Bedeutung zu.                         Lebensreformbewegung:
                                Die Lebensreformbewegung ist eine
                                Antwort auf solche Krisenempfindun-
                                                                         Anleitungen für ein
                                gen, ob sie im Einzelfall nun auf rea-   «besseres Leben»
                                len Tatsachen beruhen oder nicht.        Stefan Rindlisbacher
                                Der Weg, der aus der Krise führen
                                soll, ist jedoch immer ein individuel-
                                ler. Das bedeutet, dass gemäss dem
                                Credo der Lebensreform die Selbstre-                    Kehre zur Natur zurück!
                                form der Gesellschaftsreform immer                      Mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert greifen
                                vorausgeht. In ihrer Gesamtheit er­­                    die Menschen immer stärker in die Natur ein. Sie legen Sümpfe
                                scheint die Lebensreform als eine                       trocken, roden Wälder und leiten Flüsse um. Neuartige Maschi-
     Reaktion auf die Moderne, die mit einer vielfältigen Änderung                      nen und der Einsatz fossiler Brennstoffe wie Kohle und Öl setzen
     der Lebenswelten von Protagonisten einhergeht. Daher werden                        gigantische Produktionskräfte frei. Nicht nur die Industriegebiete
     die Utopien, die in einer «Rückkehr zur Natur» ihren Ausdruck                      und Landwirtschaftsflächen breiten sich immer stärker aus,
     finden, immer mit vielfältigen Praktiken verknüpft, die alle ein-                  auch die Städte verdoppeln, verdreifachen ihre Bevölkerungs-
     zeln für sich angehen sollen. Diese gehören seit dem ausgehen-                     zahl innert weniger Jahrzehnte. Der Alltag in den neuen Metropo-
     den 19. Jahrhundert zum Repertoire der Antworten auf die sich                      len unterscheidet sich jedoch stark vom bäuerlichen Leben auf
     beschleunigende moderne Welt.                                                      dem Land. Die Menschen arbeiten in Fabriken und Büros, nicht
                                                                                        mehr draussen auf dem Feld. Anstatt eigene Lebensmittel anzu-
                                                                                        bauen und sich selbst zu versorgen, kaufen sie industriell her-
                                                                                        gestellte Nahrungsmittel und Konsumgüter. Im 20. Jahrhundert
                                                                                        nimmt nicht nur dieser Massenkonsum kontinuierlich zu, son-
                                                                                        dern auch die individuelle Mobilität steigt durch die Benutzung
                                                                                        von Eisenbahnen, Automobilen und Flugzeugen immer mehr an.
                                                                                        Die Schweiz gehört bereits um 1900 zu den am stärksten indus-
                                                                                        trialisierten Ländern der Welt.
                                                                                        Je stärker die Menschen in die Natur eingreifen, desto lauter
                                                                                        werden die Forderungen nach einem Schutz bedrohter Land-
                                                                                        schaften, Pflanzen und Tiere. Erste Naturschutzvereine entste-
                                                                                        hen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Schon zuvor fordern

16                            Plakat «Rettet den Wald» des WWF
                              von Hans Erni, 1983.                                                                                                  17
Naturphilosophen wie Jean-Jacques Rous-                     Behandlungsmethoden zu legitimieren. Um ihre Forderungen
                        seau oder Henry David Thoreau die Rückkehr                  möglichst schnell und weiträumig in der Bevölkerung zu ver-
                        zu einer «natürlicheren» Lebensweise. Sie kri-              breiten, nutzen sie aufkommende Massenmedien wie Zeit-
                        tisieren das moderne Leben in den wachsen-                  schriften, Flugblätter und Radiosendungen. Ebenso reiten sie
                        den Städten als ungesund und verklären die                  mit ihren Aktivitäten auf der ersten Welle der Globalisierung:
                        bäuerlich geprägte Lebensweise auf dem                      Sie vernetzen sich weit über die Landesgrenzen hinaus, reisen
                        Land als Idealzustand des Menschen. In der                  um die Welt, lassen sich in tropischen Kolonien nieder oder
                        Schweiz werden die Alpen als Refugium einer                 verkaufen sogenannte Kolonialwaren wie exotische Früchte in
                        intakten Natur und als urwüchsiges Gesund-                  den Reformhäusern. Nicht zuletzt beschleunigen sie die Ent-
                        heitsparadies stilisiert. Im Zeitalter des Koloni-          stehung der Konsumgesellschaft, indem sie unzählige neue
                        alismus werden die Naturideale aber auch auf                Waren und Dienstleistungen wie Bioprodukte, Reformklei-
                        sogenannte Naturvölker ausserhalb Europas                   der oder Naturheilmittel auf den Markt bringen und damit ein
     projiziert, die von den Zivilisationsprozessen unberührt geblie-               neues, hochpreisiges Segment im Einzelhandel etablieren.
     ben seien. Die Naturphilosophen tragen damit zum stereotypi-
     schen und romantisierenden Blick auf die kolonisierte Welt bei.                Werde, wer du bist!
     Die aufkommende Lebensreformbewegung nimmt im Verlauf                          Nicht durch parteipolitische Arbeit, direktdemokratische Initia-
     des 19. Jahrhunderts diese Naturideale und die damit verbun-                   tiven, Demonstrationen oder sogar revolutionäre Umsturzver-
     dene Zivilisationskritik auf. Sie macht die moderne Lebensweise                suche streben die Lebensreformer und Lebensreformerinnen
     für sogenannte Zivilisationskrankheiten wie Stoffwechsel- und                  einen gesellschaftlichen Wandel an, sondern mit Aufklärungs-
     Herzprobleme, Nervosität oder Krebs verantwortlich. Lebens-                    kampagnen, Erziehungsmassnahmen und individueller Selbst-
     reformer und Lebensreformerinnen kritisieren den Mangel an                     reform. Sie veröffentlichen zahlreiche Bücher und Zeitschriften
     Licht und Luft in den engen Stadtwohnungen, die sitzende                       mit Anleitungen für das bessere Leben. Darin erläutern sie
     Tätigkeit in den Büros, künstlich hergestellte Medikamente, die                die Vorzüge einer vegetarischen Ernährung, veröffentli-
     industriell verarbeiteten Nahrungsmittel oder den steigenden                   chen Rezeptvorschläge oder beschreiben naturheilkundliche
     Alkohol-, Zucker- und Fleischkonsum. Dagegen propagieren                       Behandlungsmethoden. In kleiner Runde oder in grossen Kur-
     sie eine einfachere, möglichst vegetarische Ernährungsweise,                   sälen debattieren sie über die gesundheitlichen Folgen des
     arzneilose Behandlungen und körperliche Betätigungen in der                    Rauchens, indische Atemübungen oder natürliche Düngeme-
     Freizeit wie Sport, Wandern und Bergsteigen.                                   thoden. Wer sich vertieft mit lebensreformerischen Praktiken
     Lebensreformer und Lebensreformerinnen streben jedoch                          auseinandersetzen will, besucht Abendkurse, Ferienlager oder
     keine Rückkehr zu einer vorindustriellen oder technologie-                     Volkshochschulen. Dort lernen die Teilnehmenden die Zuberei-
     feindlichen Gesellschaft an. Vielmehr nutzen sie selbst die                    tung schmackhafter Rohkostspeisen, werden mit den Schwie-
     Errungenschaften der Moderne, um ihre Ziele zu verfolgen.                      rigkeiten des Biolandbaus vertraut gemacht oder vertiefen
     Sie stützen sich auf die Erkenntnisse naturwissenschaftli-                     sich in geheimnisvolle Yogapraktiken. An diesen Veranstaltun-
     cher Disziplinen wie der Ernährungswissenschaft, Evolutions-                   gen nehmen fast ausschliesslich Menschen aus den bürgerli-
     biologie oder Physiologie, um ihre Ernährungsratschläge und                    chen Mittelschichten teil, die über genügend Bildung, Zeit und

18                             Das «Lichtgebet» (1913) des Jugendstilmalers Fidus
                               ist eine Ikone der Lebensreformbewegung.
                               .
                                                                                                                                                       19
Wanderkleidern formen sie eine unverkennbare Jugendkultur,
                                                                       die ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Jugendlichen
                                                                       erzeugen soll. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts bilden sich immer
                                                                       wieder neue Jugendgruppen, die sich mit lebensreformerischen
                                                                       Themen beschäftigen. Insbesondere im Umfeld der 1968er-
                                                                       Bewegung ernähren sich erneut viele Jugendliche vegetarisch,
                                                                       stellen konservative Kleidersitten infrage oder leben mit Gleich-
                                                                       gesinnten in Kommunen auf dem Land.
                                                                       Direkten Einfluss auf die Jugend üben Lebensreformer und
                                                                       Lebensreformerinnen durch alternative Bildungsinstitutionen
                                                                       wie Landerziehungsheime aus. Dort werden die Schüler und
                                                                       Schülerinnen in Internaten auf dem Land unterrichtet. Sie sollten
                                                                       fernab der schädlichen Einflüsse der Zivilisation zu einer gesun-
                                                                       den, naturnahen und vernünftigen Lebensweise erzogen wer-
                                                                       den. Zum Unterricht gehören körperliche Aktivitäten wie Sport,
                                                                       Wanderungen und Gartenarbeit im Freien. Auch eine einfache,
                                                                       zum Teil vegetarische Ernährung mit einem strikten Alkoholver-
                                                                       bot ist in vielen Landerziehungsheimen vorgeschrieben. Ebenso
     Geld verfügen, um sich mit lebensreformerischen Themen zu         sind reformpädagogische Ansätze wie eine partnerschaftliche
     beschäftigen. Arbeiter und Arbeiterinnen mit niedrigem Ein-       Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schutzbefohlenen
     kommen sind kaum vertreten.                                       oder sogar ein familiäres Zusammenleben in der sogenannten
     Die Lebensreformbewegung versucht insbesondere die heran-         Schulgemeinschaft verbreitet. Zu den bekanntesten Landerzie-
     wachsende Generation für sich zu gewinnen, um ihre Gesund-        hungsheimen gehören unter anderem die Freie Schulgemeinde
     heitspraktiken in der Gesellschaft zu verankern. Bereits im       Wickersdorf im Thüringer Wald und die Odenwaldschule im
     ausgehenden 19. Jahrhundert bilden sich in der Schweiz erste      hessischen Heppenheim. 1902 wird das erste Landerziehungs-
     Schüler- und Studentenverbindungen, die sich für einen gesun-     heim der Schweiz im Schloss Glarisegg am Bodensee eröffnet.
     den, alkohol- und drogenabstinenten Lebensstil einsetzen und      Schon in den 1920er-Jahren kommen Missbrauchsvorwürfe
     körperliche Betätigungen in der Freizeit organisieren. Daraus     gegen einige Lehrpersonen auf. Der einflussreiche Reformpä-
     entsteht 1907 der «Schweizer Wandervogel». Im Unterschied         dagoge Gustav Wyneken wird 1921 wegen sexueller Handlungen
     zur gleichzeitig entstehenden Pfadfinderbewegung organi-          mit Kindern zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Der Schweizer
     siert diese erste Jugendbewegung der Schweiz ihre Wanderun-       Schriftsteller Friedrich Glauser berichtet später über Misshand-
     gen, Skiausflüge und Ferienlager weitgehend ohne die Hilfe von    lungen durch Lehrpersonen in Glarisegg. Trotzdem greift die
     Erwachsenen. Die Wandervögel verknüpfen die Gesundheitside-       1968er-Bewegung ein halbes Jahrhundert später viele reformpä-
     ale der Lebensreformbewegung mit einer aktiven Freizeitgestal-    dagogische Ansätze der Landerziehungsheime in ihrem Kampf
     tung in der Natur. Mit ihren Liedern, Volkstänzen und typischen   für eine antiautoritäre Erziehung wieder auf.

20                           Eine Gruppe Wandervögel aus Küsnacht
                             bei einem Ausflug im Frühjahr 1913.                                                                           21
Halte dich gesund!
     Das übergeordnete Ziel und der zentrale Leitgedanke der                              Schon seit dem Mittelalter ist die Schweiz für ihre zahlreichen
     Lebensreformbewegung ist das Streben nach Gesundheit. Wer                            Heilbäder wie Leukerbad, Pfäfers oder Baden bekannt. Im
     bereits durch die moderne Lebensweise in der Industrie- und                          19. Jahrhundert breiten sich dann auch die Naturheilmetho-
     Konsumgesellschaft krank geworden ist, soll durch natürliche                         den sehr schnell aus. Der Winterthurer Arzt Wilhelm Brunner
     Behandlungsmethoden wie Kaltwasserbäder, Sonnenlichtku-                              eröffnet 1839 in Albisbrunn im Kanton Zürich die erste Wasser-
     ren, Bewegungstherapien oder verschiedenste Diäten geheilt                           heilanstalt der Schweiz. Einen anderen Schwerpunkt setzt der
     werden. Die sogenannte Naturheilkunde propagiert die Selbst-                         deutsche Apotheker Theodor Hahn ab 1854 in seiner Naturheil-
     heilung des Körpers, indem sie anregt, Gifte aus dem Körper zu                       anstalt «Auf der Waid» in St. Gallen. Er behandelt seine Patien-
     entfernen oder mit bestimmten Reizen auf die Haut oder die Ver-                      ten erstmals mit vegetarischen Diäten. Einen weiteren Ansatz
     dauung das Gleichgewicht im Organismus wiederherzustellen.                           verfolgt der medizinische Laie Arnold Rikli, der seinen Kurgäs-
     Einen anderen Ansatz verfolgt die Homöopathie, die Heilmit-                          ten das nackte Sonnenbaden als Heilungsmethode verkauft.
                                     tel nach dem Ähnlichkeitsprin-                       Die bekannteste Naturheilanstalt der Schweiz eröffnet Max Bir-
                                     zip verabreicht. Beispielsweise                      cher-Benner 1904 auf dem Zürichberg. Er propagiert in seinem
                                     wird gegen Übelkeit ein stark                        Sanatorium «Lebendige Kraft» für Gutbetuchte eine vegetari-
                                     verdünnter Wirkstoff verschrie-                      sche Vollwertkost, viel Bewegung und einen geordneten Tages-
                                     ben, der in hoher Konzentration                      ablauf. Zu den berühmtesten Gästen gehört Thomas Mann, der
                                     bei Gesunden ebenfalls Übel-                         sich beim strengen Behandlungsprogramm die Inspiration für
                                     keit hervorruft. Im Verlauf des                      seinen «Zauberberg»-Roman holt.
                                     20. Jahrhunderts kommen viele                        Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstehen überall in der
                                     weitere Behandlungsmetho-                            Schweiz Naturheilvereine, die sich 1907 zum «Schweizerischen
                                     den wie die Akupunktur, Chiro­                       Verband der Naturheilvereine» (heute: «vitaswiss») zusammen-
                                     praktik oder Ayur veda zum                           schliessen. Bis in die 1950er-Jahre steigt die Mitgliederzahl auf
                                     Repertoire der Naturheilme-                          über 10 000 an. Mit ihren Schrebergartenkolonien und Son-
                                     thoden hinzu. Demgegenüber                           nenbädern erreicht die Naturheilbewegung aber noch deut-
                                     behandelt die wissenschaftli-                        lich mehr Menschen in der Schweiz. Alleine das Sonnenbad
                                     che Schulmedizin Krankheiten                         des Zürcher Naturheilvereins auf dem Zürichberg besuchen im
                                     gezielt durch Medikamente und                        Jahr 1934 über 53 000 Menschen. Die Besucher und Besuche-
                                     Operationen oder beugt ihnen                         rinnen legen sich auf dem umzäunten Gelände auf dem Zürich-
                                     durch Impfungen vor. Während                         berg leicht bekleidet in die Sonne, trainieren an Fitnessgeräten
                                     einige Naturheilmethoden wie                         oder betätigen sich sportlich. Mit diesen Freizeitaktivitäten soll-
     Massagen, Entspannungsübungen oder bestimmte Kräuter-                                ten sie ihren Körper abhärten und die Gesundheit stärken, um
     tinkturen heute als Komplementärmedizin anerkannt sind, ist                          möglichst nicht mehr krank zu werden.
     die Wirksamkeit vieler alternativmedizinischer Anwendungen
     umstritten und wissenschaftlich nicht belegt.

22                           In Max Bircher-Benners Naturheilanstalt erhalten die Gäste
                             feuchte Wickel, um den Körper zu entgiften.                                                                                        23
Stähle deinen Körper!
     Die Sorge um den Körper steht im Mittelpunkt fast aller lebens-    ankommt, während der weibliche Körper elegant wirken muss
     reformerischen Praktiken. Mit der Umstellung der Ernährung,        und auf seine Gebärfähigkeit reduziert wird. Dadurch werden
     dem Verzicht auf Genussmittel, den Naturheilbehandlungen           dualistische Geschlechterstereotype zementiert. Zudem erhöht
     oder körperlicher Ertüchtigung durch Wandern, Sonnenbaden          sich der Druck auf den Einzelnen, ständig am eigenen Körper
     und Sport wird der Aufbau und die Erhaltung eines gesunden,        zu arbeiten und sich zu optimieren. Nicht zufällig treten Ess-
     fitten und schönen Körpers angestrebt. Viele gesundheitsori-       störungen wie Magersucht und Bulimie im Zusammenhang mit
     entierte Körperpraktiken wie Gymnastik, Yoga, Atemübungen          diesen neuen Körperidealen auf. Der Selbstoptimierungsdruck
     oder Massagen kommen erst mit der Lebensreformbewegung             verstärkt sich im Zuge der Fitnessbewegung in den 1980er-Jah-
     in die Schweiz. Sie werden in Büchern und Zeitschriften oder an    ren immer mehr und erreicht heute durch Selbstinszenierun-
     Vorträgen oder in praktischen Kursen vorgestellt.                  gen in sozialen Medien einen neuen Höhepunkt.
     Die Freikörperkulturbewegung macht den menschlichen Kör-           Einige lebensreformerische
     per vollständig sichtbar. Das nackte Baden in Licht und Luft       Akteure wie die bekannten
     wird nicht mehr nur als Behandlungsmethode für Kranke              Schweizer Ärzte Auguste Forel
     genutzt, sondern wird zum Instrument einer «neuen Moral»           und Gustav von Bunge begin-
     und «Natürlichkeit». Seit den 1920er-Jahren betonen Schwei-        nen im frühen 20. Jahrhundert
     zer FKK-Vordenker wie Eduard Fankhauser und Werner Zim-            diese Gesundheitsforderungen
     mermann, dass nicht der nackte Körper sexuell aufreizend sei,      auf die gesamte Bevölkerung
     sondern die modische Kleidung. Möglichst alle Freizeitaktivi-      zu übertragen. Der Staat soll die
     täten – ob Sonnenbaden, Schwimmen, Turnen oder sogar Ski-          sogenannte Volksgesundheit
     fahren – sollen deshalb nackt ausgeübt werden. Die Forderung       durch Aufklärungsarbeit und
     nach einer «natürlichen Nacktheit» lässt sich aber nicht überall   Präventionskampagnen, aber
     durchsetzen. Vor allem nach 1950 verwandeln sich viele FKK-        auch durch Zwangsmassnah-
     Zeitschriften in Erotikmagazine. Mit dem 1928 gegründeten          men verbessern. Während die
     «Schweizer Lichtbund» (heute: «Organisation von Naturisten         Gesundheit durch grosse Sport-
     in der Schweiz») entsteht in der Schweiz eine der langlebigs-      anlässe, verbilligte Lebensmittel
     ten FKK-Organisationen der Welt. In den 1970er-Jahren hat der      oder bessere Krankenversor-
     Verein bereits über 13 000 Mitglieder. Auf dem 1937 eröffne-       gung gefördert wird, sollen Alkoholiker, Menschen mit einer
     ten FKK-Gelände «die neue zeit» in Thielle am Neuenburgersee       Behinderung und chronisch Kranke mit Heiratsverboten,
     gelten bis heute lebensreformerische Grundsätze wie Alkohol-       Zwangsversorgungen oder sogar durch Sterilisation und Kas-
     und Tabakverbot und vegetarisches Essen.                           tration an der Fortpflanzung gehindert werden. Solche Mass-
     Die Lebensreformbewegung prägt im 20. Jahrhundert ein neues        nahmen basieren auf der sogenannten Eugenik, die in vielen
     Körperideal. Das Streben nach Gesundheit und Leistungsfähig-       demokratischen Ländern, so auch in der Schweiz, in der ers-
     keit manifestiert sich zunehmend in der Forderung nach einem       ten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet ist. Gerade in
     schlanken, durchtrainierten Körper. Wobei es beim männli-          der Schweizer Lebensreformbewegung erhalten eugenische
     chen Körper vor allem auf die Stärke und Widerstandsfähigkeit      Forderungen viel Unterstützung. Eine grausame Dimension

24                                                                      In der Freikörperkultur wird sogar beim Skifahren
                                                                        auf Kleidung verzichtet.                                         25
erreicht der staatlich verordnete Gesundheitszwang im nati-            und 1950 von ca. 15 kg auf über
     onalsozialistischen Deutschland, wo hunderttausende Men-               50 kg. Neben den gesundheitli-
     schen Opfer von eugenischen Massnahmen werden. Max                     chen Argumenten bringen die
     Bircher-Benner unterhält bis in die 1930er-Jahre einen regen           Vegetarier und Vegetarierin-
     Austausch mit einflussreichen Nationalsozialisten. Sein Sohn           nen auch ethische Bedenken
     Ralph Bircher pflegt diese Kontakte sogar nach 1945 weiter und         gegen das Töten von Tieren vor
     stellt eugenischen Forderungen in seiner Zeitschrift «Wende-           und weisen auf die geringeren
     punkt» weiterhin eine Plattform zur Verfügung.                         Kosten pflanzlicher Ernährung
                                                                            hin. Ebenso veröffentlichen sie
        Ernähre dich gesund!                                                volkswirtschaftliche Berech-
        Bis ins 19. Jahrhundert wüten in der Schweiz immer wieder           nungen, die zeigen, dass auf
        Hungersnöte. In den ärmeren Bevölkerungsschichten bleibt            der gleichen Anbaufläche viel
        die Nahrungsmittelversorgung bis in die 1950er-Jahre prekär.        mehr pflanzliche als tierische
        Jedoch wird die landwirtschaftliche Produktion durch neue           Kalorien erzeugt werden kön-
        Anbaumethoden, den Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen,          nen. Vor allem nach 1950 füh-
        neuer Düngemittel und Pestizide massiv erhöht. Durch die            ren Umweltschutzkreise Argumente gegen die zunehmende
        Intensivierung der Viehwirtschaft und die Industrialisierung der    Massentierhaltung und die industrielle Landwirtschaft an. In
        Schlacht- und Molkereibetriebe steigt in der Schweiz insbeson-      die Kritik gerät insbesondere der steigende Pestizideinsatz.
        dere die Fleisch- und Milchproduktion. Davon profitieren Unter-     In der Lebensreformbewegung tritt eine ambivalente Hal-
        nehmen wie Nestlé, Maggi und Cailler, die im ausgehenden            tung zwischen Konsum und Verzicht zutage. Die Kritik am stei-
     ­­­19. Jahr­­­hundert erste Fertigprodukte wie Milchpulver, Fleisch-   genden Fleisch-, Alkohol- und Tabakkonsum, an industriell
        extrakt und Schokolade verkaufen. Nicht zuletzt ermöglicht          hergestellten Nahrungsmitteln oder der intensivierten Land-
        der rasant anwachsende Aussenhandel den Import immer                wirtschaft fördert nicht nur den Verzicht, sondern erzeugt
        grösserer Mengen an Genussmitteln wie Zucker, Kaffee und            auch neue Konsumbedürfnisse. Als Ersatz für Wein, Bier und
        Tabak. Diese Entwicklungen führen dazu, dass vor allem in           Schnaps propagieren Lebensreformer und Lebensreformerin-
        den städtischen Mittel- und Oberschichten seit dem frühen­­         nen alkoholfreie Getränke wie Fruchtsäfte, Limonaden und
        20. Jahrhundert weniger Getreide und frisches Gemüse, aber          Mineralwässer. Gegen das industriell verarbeitete Weissbrot
        dafür mehr Fleisch, Milch, Zucker, Kaffee, Alkohol, Tabak und       werben sie für eigene Sorten wie Grahambrot, Steinmetzbrot
        industriell verarbeitete Produkte konsumiert werden.                oder Vollkornbrot. Auf die industrialisierte Landwirtschaft
        In diesen sozialen Milieus beginnt die Lebensreformbewegung         reagieren sie mit der Entwicklung des sogenannten Bioland-
        die veränderte Ernährungsweise zu kritisieren und macht sie         baus, der auf künstliche Pflanzenschutzmittel verzichtet. Um
        für verschiedenste Erkrankungen verantwortlich. Im ausgehen-        1900 entstehen erste Reformhäuser in der Schweiz, in denen
        den 19. Jahrhundert bekämpft sie vor allem den im internationa-     eine breite Palette an Nahrungsmitteln, die Gesundheit und
        len Vergleich hohen Alkoholkonsum in der Schweiz. Im Fokus          Nachhaltigkeit versprechen, zur Auswahl steht. Gleichzei-
        der ersten Vegetariervereine steht der wachsende Fleischver-        tig breiten sich in allen grossen Städten vegetarische und
        brauch. Der jährliche Pro-Kopf-Konsum steigt zwischen 1850          alkoholfreie Restaurants, Pensionen und Hotels aus. Seit den

26                                                                          Anzeige für «Fritini»-Bratplätzli, 1970. Mit der Lebensreformbewegung
                                                                            kommen immer mehr vegetarische Produkte auf den Markt.                  27
1980er-Jahren dringen diese Nischenprodukte zunehmend auf                             Einige Lebensreformer und Lebensreformerinnen versuchen
     den Massenmarkt vor und gehören heute zu den am schnells-                             sich noch stärker von der Gesellschaft abzuwenden, um ihre
     ten wachsenden Produktlinien der Schweizer Grossverteiler.                            Ideale einer natürlichen, gesunden Lebensweise zu verwirkli-
                                                                                           chen. Im Jahr 1900 gründen die deutsche Pianistin Ida Hofmann,
     Finde Gleichgesinnte!                                                                 der Belgier Henri Oedenkoven und der österreichische Offizier
     Um 1800 leben knapp 10% der Schweizer Bevölkerung in Städ-                            Karl Gräser in Ascona am Lago Maggiore die Vegetarierkolo-
     ten. Nur in Bern, Basel, Zürich und Genf wohnen mehr als 10 000                       nie Monte Verità. Sie wohnen in selbstgebauten Häusern und
     Menschen. Ein Jahrhundert später überschreiten diese Städte                           versorgen sich mit den Lebensmitteln aus dem eigenen Gar-
                                       bereits die Marke von 100 000                       ten. Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, eröffnen sie ein
                                       Einwohnern und Einwohnerin-                         Naturheilsanatorium für Sonnenkuren und vegetarische Diäten.
                                       nen. Der Ausbau der Infrastruk-                     In den Folgejahren entwickelt sich der Monte Verità zu einem
                                       tur hinkt jedoch dem rasanten                       internationalen Anziehungspunkt für Intellektuelle, Künstlerin-
                                       Wachstum hinterher. Vor allem                       nen und Anarchisten wie Hermann Hesse, Sophie Täuber-Arp
                                       für Arbeiter und Arbeiterinnen                      und Erich Mühsam. Die Gründungsmitglieder verlassen 1920
                                       fehlen um 1900 bezahlbare Woh-                      Ascona und beginnen ein neues Siedlungsprojekt in Brasilien.
                                       nungen. Aber auch die neuen                         Auch andere Lebensreformer und Lebensreformerinnen versu-
                                       Mittelschichten können sich                         chen im kolonialen Raum ihr Glück zu finden und sind so Teil der
                                       oft nur kleine, dunkle Zimmer in                    Geschichte des europäischen Kolonialismus. Sie bauen in Mit-
                                       eng bebauten Quartieren leis-                       telamerika landwirtschaftliche Betriebe auf, begeben sich auf
                                       ten. Aus verschiedenen sozialen                     spirituelle Reisen durch Asien oder lassen sich auf tropischen
     Milieus und politischen Richtungen kommen deshalb Forderun-                           Inseln nieder, um von Sonnenlicht und Kokosnüssen zu leben.
     gen nach mehr und besserem Wohnraum auf.                                              Ähnliche Landkommunen, Aussteigersiedlungen und selbst-
     Die Lebensreformbewegung reagiert mit verschiedenen Ansät-                            verwaltete Betriebe entstehen im Verlauf des 20. Jahrhunderts
     zen auf die Wohnungsnot. Einerseits setzen sich Lebensre-                             überall auf der Welt. Vor allem im Zuge der 1968er-Bewegung
     former und Lebensreformerinnen für den Bau sogenannter                                ziehen wieder mehr Menschen aufs Land, um der urbanen
     Gartenstädte ein. Diese Einfamilienhaussiedlungen an den                              Lebensweise in der Konsumgesellschaft zu entfliehen. Unter
     Stadträndern sollen den urbanen Raum mit dem Landleben                                anderem verbringen zwischen 1971 und 1973 bis zu 1000
     verbinden. Dazu erhalten alle Wohnhäuser einen grosszügigen                           Jugendliche den Sommer in den Walliser Alpen, um sich mit
     Garten zur Selbstversorgung. Viele dieser Gartenstadtsiedlun-                         der Natur verbunden zu fühlen. Die sogenannten Bärglütli leben
     gen wie das 1919 südlich von Basel gebaute Freidorf Muttenz                           in einfachen Zelten, tragen nur wenig Kleidung und ernähren
     sind genossenschaftlich aufgebaut. Das Freidorf betreibt ein                          sich vegetarisch. Sie erhalten tatkräftige Unterstützung durch
     eigenes Lebensmittelgeschäft und ein alkoholfreies Restau-                            Lebensreformer und Lebensreformerinnen der ersten Genera-
     rant, übernimmt Bildungsaufgaben und organisiert kulturelle                           tion. Die Jugendlichen erhalten Einblicke in die Ernährungsre-
     Anlässe. Zwischenzeitlich gibt es sogar eine eigene Komple-                           form, den Biolandbau oder die Naturheilkunde und führen in der
     mentärwährung, die nur in der Siedlung gültig ist.                                    Folge die seit dem 19. Jahrhundert praktizierte Lebensreform
                                                                                           unter anderer Bezeichnung fort.

28                        In Siedlungsprojekten wie dem Monte Verità in Ascona versuchen
                          Lebensreformer und Lebensreformerinnen naturnaher zu leben.                                                                           29
Autorin und Autoren                                                Weiterführende Literatur

     Eva Locher, Historikerin M.A. In der öffentlichen Verwal-
     tung, bei NGOs und in Museen für verschiedene Projekte ver-        Eva Barlösius, Naturgemässe Lebensführung.      Andreas Schwab, Monte Verità. Sanatorium
                                                                        Zur Geschichte der Lebensreform um die          der Sehnsucht, Zürich 2003.
     antwortlich. Seit 2014 Lehrbeauftragte am Departement für          Jahrhundertwende, Frankfurt, New York 1997.
     Zeitgeschichte an der Universität Freiburg; Dissertation zur                                                       Detlef Siegfried; David Templin (Hg.),
     Lebensreformbewegung in der Schweiz im Zeitraum von 1950           Arnaud Baubérot, Histoire du naturisme.         Lebensreform um 1900 und Alternativmilieu
                                                                        Le mythe du retour à la nature, Rennes 2004.    um 1980. Kontinuitäten und Brüche in Milieus
     bis 1980 im Rahmen des SNF-Forschungsprojekts «Die Lebens-                                                         der gesellschaftlichen Selbstreflexion im frühen
     reformbewegung in der Schweiz im 20. Jahrhundert». Kuratorin       Kai Buchholz et al. (Hg.), Die Lebensreform.    und späten 20. Jahrhundert, Göttingen 2019.
     der Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche nach dem idealen       Entwürfe zur Neugestaltung von Leben
                                                                        und Kunst um 1900, 2 Bde., Darmstadt 2001.      Corinna Treitel, Eating Nature in Modern
     Leben» im Bernischen Historischen Museum.                                                                          Germany. Food, Agriculture, and Environment,
                                                                        Marc Cluet; Catherine Repussard (Hg.),          c. 1870 to 2000, Cambridge 2017.
     Stefan Rindlisbacher, Historiker M.A. Seit 2014 Diplom­            «Lebensreform». Die soziale Dynamik der
                                                                        politischen Ohnmacht = la dynamique sociale     Bernd Wedemeyer-Kolwe, Aufbruch.
     assistent, Lehrbeauftragter und Doktorand am Departement           de l’impuissance politique, Tübingen 2013.      Die Lebensreform in Deutschland,
     für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg; Dissertation zur                                                   Darmstadt 2017.
     Lebensreformbewegung in der Schweiz im Zeitraum von 1850           Florentine Fritzen, Gesünder leben. Die
                                                                        Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert,        Eberhard Wolff (Hg.), Lebendige Kraft.
     bis 1950 im Rahmen des SNF-Forschungsprojekts «Die Lebens-         Stuttgart 2006.                                 Max Bircher-Benner und sein Sanatorium
     reformbewegung in der Schweiz im 20. Jahrhundert». Kurator                                                         im historischen Kontext, Baden 2010.
     der Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche nach dem idea-         Diethard Kerbs; Jürgen Reulecke (Hg.),
                                                                        Handbuch der deutschen Reformbewegungen
     len Leben» im Bernischen Historischen Museum.                      1880–1933, Wuppertal 1998.

     Andreas Schwab, Historiker Dr. phil. Seine Dissertation            Wolfgang Krabbe, Gesellschaftsveränderung
                                                                        durch Lebensreform. Strukturmerkmale
     «Monte Verità – Sanatorium der Sehnsucht» ist 2003 erschie-        einer sozialreformerischen Bewegung im
     nen. 2013 erschien «Landkooperativen Longomaï. Pioniere            Deutschland der Industrialisierungsperiode,
     einer gelebten Utopie» (Rotpunkt-Verlag Zürich). Er kuratierte     Göttingen 1974.

     zahlreiche Ausstellungen, u.a. «Die 68er. Kurzer Sommer –          Eva Locher, Wider den «Irrsinn in der Welt».    Bildnachweise
     lange Wirkung» im Historischen Museum Frankfurt am Main            Die Lebensreform in der Nachkriegsschweiz,      Titelbild:
     (2008), «Die Utopie der Widerspenstigen. 40 Jahre Longomaï»        Dissertation Universität Freiburg 2019.         Sigurd Leeder in Ascona, 1925.
                                                                                                                        (Foto Roland Opitz)
     (2013) und war Projektleiter der neuen Dauerausstellung auf        Kaj Noschis, Monte Verità. Ascona               S. 11, 15, 18: Wikimedia Commons
     dem Monte Verità (2017). Seit 2017 Lehrbeauftragter für Public     et le génie du lieu, Lausanne 2011.             S. 14, 28: Fondazione Monte Verità, Ascona
     History am Departement für Zeitgeschichte an der Universität                                                       S. 16, 20: Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
                                                                        Stefan Rindlisbacher, Die Lebensreform in der   S. 22: Archiv für Medizingeschichte, Zürich
     Freiburg. Kurator der Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche      Schweiz (1850–1950), Dissertation Universität   S. 25: Die neue Zeit, Jg. 2, Heft 2, 1929, S. 28
     nach dem idealen Leben» im Bernischen Historischen Museum.         Freiburg, erscheint 2021.                       S. 27: Volksgesundheit, Jg. 63, Heft 2, 1970, S. 15

30                                                                                                                                                                31
Auf der
                    Suche nach
                 dem idealen Leben

                     Vor hundert Jahren streben in der Schweiz immer
                     mehr Menschen einen gesunden Lebensstil an,
                     der sich an der Natur orientiert. Sie achten auf die
                     Ernährung, verzichten auf Alkohol und trainieren
                     ihren Körper. Es entstehen Naturheilanstalten,
                     vegetarische Restaurants und Reformhäuser.
                     Die Begleitbroschüre zur Ausstellung «Lebe bes-
                     ser! Auf der Suche nach dem idealen Leben»
                     beleuchtet diese Entwicklungen, die im Verlauf
                     des 20. Jahrhunderts Gesellschaft, Wirtschaft
                     und Politik prägen und bis heute einen grossen
                     Einfluss auf unser tägliches Leben haben.

ISBN 3-909990-33-9
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