August-Euler - Ein Flugplatz für die Natur
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Vorwort Die Technische Universität Darmstadt ist seit 2005 Eigen- Dieser Tatsache wird seit Beendigung des aktiven Flugbe- tümerin des August-Euler-Flugplatzes am Griesheimer triebs Rechnung getragen in Form von aktiver Pflege des Sand. Damit hat sie die Verantwortung übernommen für Naturschutzgebietes. Unter der wissenschaftlichen Lei- ein Gebiet, dessen Bedeutung weit über die originären tung von TUD-Biologin Professor Schwabe-Kratochwil Interessen einer Universität hinausgeht. Der Grund für wird im Auftrag des Regierungspräsidiums Darmstadt das breite öffentliche Interesse ist, dass es sich bei dem ein speziell ausgearbeiteter Pflegeplan umgesetzt, der Gelände auch um eines der bedeutendsten Naturschutz- u. a. die Beweidung durch Schafe und Esel beinhaltet. gebiete Deutschlands handelt. Heute forschen und arbeiten Wissenschaftler verschie- Das Hauptmotiv zum Ankauf des Flugplatzes war es, denster Disziplinen nebeneinander auf dem Gelände: den für die Universität so wichtigen und Profil gebenden Solche, die mit Flug- und Fahrzeugen daran arbeiten, Standort zu erhalten. Seit fast 100 Jahren nämlich ist die die künftigen Lebensbedingungen der Menschen kom- Technische Hochschule und später dann die Technische fortabler, sicherer und umweltgerechter zu gestalten, Universität mit Experimenten zahlreicher Fachgebiete und solche, die die Lebensbedingungen seltener oder auf dem „Griesheimer“ vor Ort und hat von dort aus im- sogar stark bedrohter Tiere und Pflanzen untersuchen mer wieder neue Techniken maßgeblich mit geprägt und und schützen. Die verschiedenen Akteure haben einen vorangebracht. So fanden beispielsweise 1911 die ersten intensiven Austausch miteinander begonnen und werden regelmäßigen Vorlesungen über Flugtechnik an der TH diesen im neuen Informations- und Kommunikationszen- Darmstadt statt, wo dann 1913 auch der erste ordent- trum im Towergebäude noch verstärken, wissend, dass liche Lehrstuhl für Flugtechnik in ganz Deutschland ein- sie hier nur gemeinsam eine Zukunft haben. gerichtet wurde. Die rasante Entwicklung des Segelflugs nach dem Ersten Weltkrieg wäre ohne den Beitrag der TH Die TU Darmstadt betreibt auf dem August-Euler-Flug- Darmstadt und ihrer studentischen Fliegergruppe AKA- platz Forschung für Mensch und Umwelt sowie ange- FLIEG undenkbar gewesen. wandten Naturschutz. Die Ergebnisse daraus werden nicht nur den Erhalt dieses einzigartigen Geländes si- Die Entwicklung zu einem bedeutenden Naturschutz- chern, sondern auch weit darüber hinaus eine nachhal- gebiet erfolgte parallel zur fliegerischen Nutzung des tige Entwicklung unterstützen. Die TU Darmstadt bleibt Platzes durch die amerikanische Armee seit dem Zweiten also auch nach fast 100 Jahren auf dem August-Euler- Weltkrieg. Der nährstoffarme Sandboden des ehema- Flugplatz thematisch am Puls der Zeit, um auch weiter- ligen Neckarbetts, die ausgebliebene landwirtschaftliche hin zu den Pionieren neuer, nachhaltiger Techniken zu Nutzung sowie die speziellen Bedingungen eines Flug- gehören – ganz im Geiste August Eulers! platzes (z. B. große Asphaltflächen als Wärmespeicher) haben dazu geführt, dass sich eine bemerkenswerte Vielfalt an seltener, speziell angepasster Fauna und Flora ansiedeln konnte, die anderswo durch natürliche Feinde oder Konkurrenten verdrängt wird. Die einzigartige Tier- Dr. Andreas Stascheck und Pflanzenwelt entstand also nicht ‚trotz Flugplatz’, Dezernent für Nachhaltigen Betrieb sondern gerade wegen des Flugplatzes. Technische Universität Darmstadt
Inhaltsverzeichnis „Ehemaliger August-Euler-Flugplatz von Darmstadt“ – seit 1996 Naturschutzgebiet 4 Bedeutung des August-Euler-Flugplatzes für den Naturschutz 7 Forschungsaktivitäten der Arbeitsgruppe Vegetationsökologie 8 Ried und Sand-Biotopverbund und Restitution durch extensive Landbewirtschaftung 9 Die Vogelwelt auf dem August-Euler-Flugplatz 10 Wiesenmusikanten: Von Weinhähnchen und Schönschrecke 14 Flugplatzbewohner 18 Der Habicht auf dem August-Euler-Flugplatz 20
4 „Ehemaliger August-Euler-Flugplatz von Darmstadt“ – seit 1996 Naturschutzgebiet Foto: AG Vegetationsökologie Das Flugplatzgelände ist Teil des im Nord- osten der hessischen Rheinebene liegenden Flugsand- und Dünengebietes „Pfungstadt- Griesheimer Sand“, das zahlreiche seltene Pflanzen- und Tierarten beherbergt. Seit 1996 steht das Areal unter Naturschutz. Die naturschutzrechtliche Geschichte des „Ehemaligen August-Euler-Flugplatzes“ be- gann im Frühjahr 1992 mit der Aufgabe des Flugbetriebes durch die amerikanischen Streitkräfte. Die Amerikaner nutzen den Flugplatz seit dem zweiten Weltkrieg vor allem als Hubschrauberlandeplatz. Mit Auf- gabe dieser Nutzung erfolgte die Rückgabe Subpannonische Steppen-Trockenrasen, Gesellschaft: Allio-Stipetum capillatae (Pfriemengrasflur), der Flächen an die Bundesrepublik Deutsch- ursprünglich eine Gesellschaft der südosteuropäischen Steppen land. Auf eine Anschlussnutzung durch die Bundeswehr wurde verzichtet. Die Flächen wurden seither bis zum Ankauf des Areals Ringen um den Flugplatz Hessenflieger gründete stellte schließlich 2005 durch die TU Darmstadt von der Bun- 1994 den Antrag auf Zulassung des August- desforstverwaltung betreut. Als Anfang 1992 bekannt wurde, dass die Euler-Flugplatzes als Sonderlandeplatz und Amerikaner ihre Nutzung der Flächen als klagte sogar gegen die eingeleiteten und Um die Möglichkeit einer etwaigen zivilen Flugplatz aufgeben, begann sofort ein zähes vorläufigen naturschutzrechtlichen Unter- Nutzung nicht zu behindern, hatte das Bun- Ringen der anliegenden Kommunen Darm- schutzstellungen des Gebietes, jedoch ohne desministerium der Verteidigung die Hes- stadt und Griesheim sowie privater Interes- Erfolg. sische Staatskanzlei um Mitteilung gebeten, sengruppen (z. B. die Hessenflieger) um die ob ein Interesse besteht, dass ein ziviler weitere Nutzung des Areals. Während die Die hohe naturschutzfachliche – zunächst die Nachnutzer die Anlage und Betriebsrechte Stadt Griesheim als unmittelbarer Anrainer botanische, später auch die ornithologische sowie den Bauschutzbereich des Flugplatzes und Hauptbetroffener des bisher von den – Wertigkeit des Gebietes wurde erstmals Darmstadt-Griesheim übernimmt. Im Auf- amerikanischen Hubschraubern verursach- 1992 in einem von der Stadt Griesheim in trag der Hessischen Staatskanzlei teilte da- ten Fluglärms eine weitere zivile Nutzung des Auftrag gegebenen botanischen Gutachten mals der zuständige Hessische Minister für Geländes als Verkehrslandeplatz vehement erkannt und dargestellt. Ziel dieses Gutach- Wirtschaft, Verkehr und Technologie als ablehnte und die Flächen dem Naturschutz tens war, jene Bereiche zu identifizieren, die zivile Luftfahrtbehörde mit Schreiben vom überlassen wollte, gab es bei der Stadt Darm- in der Folge nach den Vorstellungen der Stadt 10. Januar 1993 mit, dass ein Interesse an stadt ernsthafte Überlegungen das Flugfeld Griesheim für Zwecke des Naturschutzes vor- einer zivilen Anschlussnutzung durch das als Geschäftsflughafen für die ansässigen gehalten werden sollten. Land Hessen nicht bestünde. Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungs- unternehmen vorzuhalten bzw. auszubau- Das Bundesministerium der Verteidigung hat en. Darüber hinaus hatte die TU Darmstadt, daraufhin als zuständige militärische Luft- die bereits zu Zeiten der Amerikaner den fahrtbehörde den Flugplatz mit Verfügung Flugplatz für Versuchs- und Forschungsflü- vom 25. Januar 1993 entwidmet und den mi- ge nutzte aber z. B. auch der ebenfalls unter litärischen Bauschutzbereich aufgehoben. amerikanischer Duldung den Platz nutzende Verein „Hessenflieger“ ein Interesse an der Fortführung der fliegerischen Nutzung. Die sogenannte August-Euler-Flugplatz GmbH, die sich aus dem 1992 aufgelösten Verein
5 Foto: GDE Pflege des Gebietes durch Beweidung im Westen des Gebietes, im Vordergrund durch Esel, im Hintergrund durch Schafe. Naturschutzfachliche Bedeutung vom 4. März 1996 (StAnz. Nr. 13 vom 25. wicklung und Beruhigung dieses Gebietes März 1996, S. 1030). Im Rahmen des Auswei- sicherlich entscheidende Weichenstellung. Im Ergebnis stellte dieses von einem unab- sungsverfahrens einigte man sich mit der TU Durch die bisherige militärische und spätere hängigen Fachplanungsbüro gefertigte Gut- Darmstadt über deren weitere Nutzung des zivile Nutzung und Pflege des eingezäunten achten tatsächlich fest, dass sich auf dem Geländes zu Versuchszwecken. Dabei ging Geländes konnte sich hier auf den nährstoff- gesamten Areal des „Ehemaligen August- es um die Fortsetzung von Forschungsflügen armen und durchlässigen Sanden eine mehr Euler-Flugplatzes“ eine hochschutzwürdige und damit der Erhaltung der Start- und Lan- oder weniger ausgeprägte Pioniervegetati- magere Pioniervegetation mit seltenen cha- debahn, aber auch um Fahrtechnikversuche on aus Sandrasen und Magerrasengesell- rakteristischen Arten eingestellt hat, die in von Kraftfahrzeugen. schaften von landesweiter Bedeutung ein- Hessen ihres gleichen sucht. stellen und halten. Hinzu kamen Untersuchungen in Zusam- Bereits im März 1992 wurde von den nach menarbeit mit der biologischen Fakultät der Im krassen Gegensatz dazu hat sich im Süden § 29 Bundesnaturschutzgesetzt anerkannten TU Darmstadt zur Vegetationsökologie der und Westen außerhalb des Flughafengelän- Naturschutzverbänden ein Antrag auf einst- mageren Pflanzengesellschaften auf diesen des durch die intensive landwirtschaftliche weilige Sicherstellung und spätere endgültige Flugsandböden. Nutzung (Spargelanbau und sonstige Son- Ausweisung des „Ehemaligen August-Euler- derkulturen wie Erdbeeren und Himbeeren) Flugplatzes“ als Naturschutzgebiet gestellt. Mit dem Erlass der endgültigen Naturschutz- mit Pestizid- und Düngemitteleinsatz bota- gebietsverordnung wurde der lange währen- nisch eine verarmte, relativ einförmige Vege- Mit Verordnung vom 17. Juni 1994 (StAnz. de Streit um die Folgenutzung des Flugplatz- tation ausgebildet. Nr. 28/94 vom 11. Juli 1994, S. 1734) wur- geländes nach Einstellung des Flugbetriebes de das Gelände dann von der oberen Natur- durch die Amerikaner zugunsten des Natur- schutzbehörde beim Regierungspräsidium schutzes entschieden. Durch die Vereinba- Darmstadt für die Dauer von drei Jahren na- rungen mit der TU Darmstadt auch weiterhin turschutzrechtlich einstweilig sichergestellt, einen – wenn auch nur geringen – Flugbetrieb das heißt einer Veränderungssperre unter- auf dem Gelände zuzulassen, wurde auch die worfen. Frage nach dem zur Diskussion stehenden Abbau des das Areal umgebenden Zaunes Die endgültige Ausweisung der Flächen als zugunsten dessen Erhaltung beantwortet. Naturschutzgebiet erfolgte mit Verordnung Dies war und ist eine für die naturnahe Ent-
6 Foto: GDE Vogelschutzgebiet Neben der herausragenden botanischen Bedeutung wur- de in den für dieses Gebiet vorliegenden Gutachten, wie schon erwähnt, immer auch auf die wichtige ornitholo- gische Bedeutung und Wertigkeit der Flächen hingewie- sen. So fand das Gebiet des „Ehemaligen August-Euler- Flugplatzes“ auch Berücksichtigung bei der Erstellung eines landesweiten Fachkonzeptes zur Meldung von Europäischen Vogelschutzgebieten durch die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 79/409/ EWG vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildleben- den Vogelarten (EU-Vogelschutzrichtlinie). Die Flächen stellen einen wesentlichen Teil des im September 2004 an die EU gemeldeten Vogelschutzgebietes „Griesheimer Sand“ dar und beherbergen die größte Population des Steinschmätzers in Hessen. Ruthenisches Salzkraut (Salsola kali ssp. ruthenica) Neben dem Steinschmätzer waren die Vorkommen des sehr seltenen Brachpiepers (max. 5 Brutpaare in Ge- samthessen) sowie des Wiedehopfes (ebenfalls max. 5 Das Naturschutzgebiet Brutpaare in Hessen) ausschlaggebend für die Auswahl und Meldung des Gebietes. Darüber hinaus sind weitere Das im § 2 der Naturschutzgebietsverordnung (NSG-VO) Arten wie das Schwarz- und Braunkehlchen sowie der formulierte Schutzziel der Naturschutzgebietsverord- Ziegenmelker zu nennen, die im Gebiet als Brutvogel vor- nung lautet seither folgendermaßen: kommen. Doch nicht nur zur Brutzeit sondern auch wäh- rend der Zeit des Vogelzuges stellt dieses Gebiet einen „Zweck der Unterschutzstellung ist es, das zur Untereinheit wichtigen Trittstein als Rasthabitat für viele Offenland „Pfungstadt-Griesheimer Sand“ des Naturraumes Hes- liebende Vogelarten dar. sische Rheinebene gehörende Flugsandgebiet mit seinen charakteristischen Sandrasengesellschaften und der an Noch vor der offiziellen Meldung der Flächen als Vogel- diesen Lebensraum angepassten Tierarten, insbesondere schutzgebiet im September 2004 erfolgte im Juli 2004 die die zum Teil hochgrad gefährdeten Vogelarten und die xe- Sicherung des Gebietes als Vogelschutzgebiet im Zuge der rothermophilen Tierarten zu erhalten und eine Vernetzung Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes „Stadt Darm- mit den anderen in diesem Raum vorkommenden Flugsand- stadt“ mit Verordnung vom 23.06.2004 (St.Anz. 28/2004 und Dünengebieten herzustellen. Schutz- und Pflegeziel ist S. 2294). In dieser Landschaftsschutzgebietsverordnung es, die sowohl regional als auch überregional sehr seltenen ist das Vogelschutzgebiet „Griesheimer Sand“ mit einer ei- Pflanzenbestände zu sichern und durch geeignete Pflege- genen Schutzzielformulierung als Schutzzone I ausgewie- maßnahmen zu entwickeln.“ sen und damit nach nationalem Recht gesichert worden. Europäisches Schutzgebiet Pflege Über den nationalen Schutzstatus des „Ehemaligen Au- Eine intensive Schutzgebietspflege erfolgt derzeit durch gust-Euler-Flugplatzes“ als Naturschutzgebiet hinaus den Einsatz eines Schäfers, der die Flächen mit Schafen erlangten die Flächen 2004 mit der Meldung als europä- und Eseln beweidet und damit die Offenhaltung der Flä- isches Schutzgebiet an die EU auch internationale Bedeu- chen gewährleistet. Die Planung, Betreuung und Umset- tung und fand damit Aufnahme in die europäische Natu- zung der Maßnahmen koordiniert das Forstamt Darm- ra-2000-Schutzgebietskulisse. Mit Verordnung vom 16. stadt im Auftrag der oberen Naturschutzbehörde. Januar 2008, veröffentlicht am 7. März 2008 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I erfolgte Alle Aktivitäten ohne naturschutzfachlichen Hinter- die formale Sicherung des „Ehemaligen August-Euler- grund, die eine potentielle Beeinträchtigung der Natur- Flugplatzes“ als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH-Ge- schutzziele darstellen können, werden im Rahmen einer biet) nach der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 vertrauensvollen Zusammenarbeit jeweils zwischen dem zur Erhaltung der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Eigentümer, der TU Darmstadt, und den Naturschutzbe- hörden sowie mit dem Forstamt Darmstadt abgestimmt. Gunter Schöcker, Regierungspräsidium Darmstadt
8 Foto: AG Vegetationsökologie Blüte einer Sandsilberscharte (Jurinea cyanoides). Die Art gehört zur Familie der Korbblütengewächse (Asteraceae) und ist streng geschützt. In unseren Breiten kommt sie nur auf den sandigen Flächen in den Dünengebieten des Oberrheingrabens vor.
9 Bedeutung des August-Euler- Flugplatzes für den Naturschutz Naturraum Pflegemanagement Das Gebiet gehört naturräumlich zum Gebiet des „Gries- Um die biologische Vielfalt dieser Lebensräume zu erhal- heimer Sandes“, der aus vorwiegend kalkreichen Sanden, ten und zu fördern, werden die Bestände seit 1998/99 mit die im Spät- und frühen Postglazial aus den Rheinterras- einem speziell ausgearbeiteten Pflegemanagement be- sen ausgeweht wurden, besteht. Das großflächige Vor- wirtschaftet. Diesem liegt ein Pflegeplan in Abstimmung kommen von Kalksanden ist in Zentraleuropa eine große mit dem Regierungspräsidium Darmstadt zu Grunde. Besonderheit und außer in der nördlichen Oberrhein- Eine Schafherde beweidet die Gebiete kurzzeitig exten- ebene nur punktuell z. B. in Mecklenburg-Vorpommern siv, so dass wuchskräftige dominante Gräser zurück- vorhanden. Der naturnahe Zustand des Gebietes und die gedrängt werden und kleinwüchsige, gefährdete nähr- nährstoffarmen Substrate sind bedingt durch die langzei- stofffliehende Pflanzenarten und thermobionte Tierarten tige Nutzung als Militärgebiet (dies bereits seit dem Mit- entsprechend gefördert werden. Die Schafbeweidung ist telalter) und als Flugplatz; diese Nutzungen schützten eingebunden in ein ganzheitliches Konzept zur Bewei- vor Überbauung und landwirtschaftlicher Nutzung. dung von Sand- und Riedstandorten im Gebiet Darm- stadt-Dieburg und Darmstadt. Das Projekt wird finanziell gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz und das BMU; das Hauptverfahren wird geleitet durch den Land- Flora und Fauna kreis Darmstadt-Dieburg, die „Wissenschaftliche Beglei- tung“ durch den FB Biologie (Institut für Botanik) der Die Kalksande, die vor allem im Osten des Flugplatzes TU Darmstadt. Die „Wissenschaftliche Begleitung“ prüft an die Oberfläche treten, bedingen extrem seltene und dabei mit Hilfe von Feld- und Laboruntersuchungen die gefährdete Vegetationstypen mit ihrer typischen Tier- Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und die Effekte auf welt. Es sind dies Blauschillergras-Fluren (Koelerion die gefährdeten Arten und Lebensgemeinschaften. glaucae), die ihre Hauptverbreitung in den russischen Steppen haben. Durch die geographische Grenzlage des Arbeitsgruppe Vegetationsökologie, Institut für Botanik der TU Rhein-Main-Gebietes zwischen Westen / Osten und Nor- Darmstadt (Prof. Dr. Angelika Schwabe-Kratochwil) den / Süden reichern sich diese Pflanzengesellschaften als große Besonderheit hier auch mit submediterranen Foto: AG Vegetationsökologie und subatlantisch verbreiteten Pflanzen- und Tierarten an. Blauschillergrasrasen sind stark gefährdet und als prioritärer Fauna-Flora-Habitat-Lebensraum der EU ein- gestuft. Das gilt ebenfalls für die oberflächennah sauren Standorte im westlichen Teil, die durch Grasnelkenrasen (Armerio-Festucetum) gekennzeichnet sind; ebenfalls ex- trem gefährdete und seltene Lebensräume. Dieses gefährdete Vegetationsmosaik wird durch seltene Tierarten, wie z. B. den Steinschmätzer, den Wiedehopf, die Italienische Schönschrecke, die Steppenbiene und viele andere besiedelt. Die wertvollen Sandflächen werden durch Weidenutzung gepflegt, um die Artenvielfalt zu steigern
10 Forschungsaktivitäten der Arbeitsgruppe Vegetationsökologie Foto: AG Vegetationsökologie Rahmenbedingungen In Kooperation mit dem Regierungspräsidium Darmstadt führt die Arbeitsgruppe im Gebiet August-Euler-Flugplatz vegetationsökolo- gische Untersuchungen durch. Zur Zeit werden die Untersuchungen im Rahmen des vom Bundesamt für Naturschutz und vom Bun- desministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geförderten Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens „Ried und Sand“ (www.riedundsand.de) gefördert. Weitere Informationen zur aktuellen Forschung der AG Vegetations- ökologie erhalten sie unter: www.bio.tu-darmstadt.de/ags/schwabe/ Inhalte Die Untersuchungen sollen wissenschaftliche Grundlagen für die Er- haltung von Sandgebieten als FFH-Lebensraum liefern (FFH-Lebens- raum: nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union geschützte Lebensräume). Binnendünen-Lebensräume wie der Euler-Flugplatz sind in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft sehr selten geworden und beher- bergen letzte Restvorkommen von Sandsteppen-Pflanzenarten (z. B. Silberscharte, Blau-Schillergras, Haar-Pfriemengras), die seit rund 10.000 Jahren bei uns überdauern konnten und ihre Haupt-Vorkom- men in russisch-zentralasiatischen Gebieten haben. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf Effekte, die Schafe und Untersuchung der Pflanzenmasseproduktion Kaninchen auf die Pflanzenarten-Zusammensetzung und -Vielfalt ausüben, z. B. Fraß-, Tritt- und Samen-Ausbreitungseffekte. Unter- sucht werden ferner intensiv Blütenbesucher-Gemeinschaften (Wild- schlussflächen durchgeführt, bei denen ein Vergleich Schafbewei- bienen, die eine hohe Diversität am Flugplatz haben) und die Auswir- dung, z. T. auch Kaninchenbeweidung und Nicht-Beweidung möglich kungen des Managements auf diese Bestäuber-Gemeinschaften. ist. Vergleichend werden einige Untersuchungsansätze auch mit Frei- landlabor-Bedingungen im botanischen Garten der TU Darmstadt Die Beständigkeit von Sand-Ökosystemen hängt von einer „Stö- bearbeitet. rungs-Dynamik“ ab. Störung (Reduktion der pflanzlichen Biomas- se, Bodenöffnung) ist nötig, um konkurrenzstarke, weit verbreitete Der Euler-Flugplatz ist eine sogenannte Leitbildfläche („target area“); Pflanzenarten, die zur Dominanz neigen, zurückzudrängen und kon- die hier gewonnenen Erkenntnisse dienen als Grundlage für Renatu- kurrenzschwache, bedrohte Pflanzenarten zu fördern. Weidetiere rierungsansätze in unserer fragmentierten Landschaft („Restoration können diese Dynamik weitgehend erzeugen. Ecology“). Es war bisher möglich, eine Reihe von Sand-Lebensräumen zu renaturieren und miteinander zu vernetzen. Dazu wird nährstoff- Es werden auch umfangreiche Untersuchungen zur Nährstoffdyna- armer Tiefensand verwendet, der mit Mahdgut von Leitbildflächen mik durchgeführt, um u. a. der Frage nachzugehen, ob das Gebiet beimpft und nach Etablierung der Sandvegetation beweidet wird. trotz erheblicher Stickstoffeinträge durch die Luft schutzfähig ist. Die Untersuchungen werden mit randomisiert angelegten Weideaus- Prof. Dr. Angelika Schwabe-Kratochwil, FB 10
11 Ried und Sand-Biotopverbund und Restitution durch extensive Landbewirtschaftung Das im Hauptverfahren durch den Landkreis Darmstadt-Dieburg ge- Der Landkreis arbeitet eng mit dem ortsansässigen Landschaftspfle- Fotos: Dr. Michael Stroh tragene Projekt soll für den Naturschutz wertvolle Ried- und Sand- gehof Stürz und der wissenschaftlichen Begleitung durch die Tech- rasenlebensräume durch die Entwicklung neuartiger Beweidungs- nische Universität Darmstadt zusammen. Alle wissenschaftlichen konzepte nachhaltig sichern. Schafe, Esel und Rinder erledigen die und landwirtschaftlichen Erkenntnisse fließen umgehend ins Pro- Grundpflege zweier völlig verschiedener und einzigartiger Lebens- jektmanagement ein. räume. Das Projekt basiert ferner auf einer umfassenden Kooperation mit Die traditionelle Triftbeweidung der Schafe wird hier an die moder- dem Regierungspräsidium Darmstadt, mehreren Naturschutzverbän- nen Erhaltungsansprüche der jungen europäischen Schutzgebiete den, landwirtschaftlichen Betrieben, allen betroffenen Kommunen und die agrarökonomischen Bedürfnisse des Tierhalters angepasst. sowie einem örtlichen Wasserverband. Unter dem Stichwort „doppelte Vernetzung“ sollen so Lebensräume durch Wiederherstellung (Restitution) und/oder Beweidung vernetzt und Naturschutz und landwirtschaftliche Nutzung in Einklang ge- bracht werden. Das „Schutz- und Nutzsystem“ soll zu beiderseitigem Gewinn ausgestaltet werden und zukünftig selbsttragend weiterlau- Dr. Michael Stroh fen. Ziel der Förderung durch das Bundesamt für Naturschutz ist die E+E-Vorhaben Ried und Sand möglichst bundesweite Übertragbarkeit des neuen Konzeptes. www.riedundsand.de
12 Wolfsmilchschwärmer
13 Foto: S. Stübing/HGON-Archiv
14 Die Vogelwelt auf dem August-Euler-Flugplatz Foto: C. Gelpke/HGON-Archiv Wer die Vogelwelt des August-Euler-Flug- Steinschmätzer platzes studieren will, wird auf den ersten Blick vielleicht enttäuscht sein, wie wenige Der Steinschmätzer war früher auch im Groß- auffällige Vögel er dort antrifft. „Allerwelts- raum Griesheimer Sand weiter verbreitet, die vögel“ wie Stare oder Krähen sind immer da, heute noch anzutreffenden etwa zehn Paare und eine ganze Reihe von Arten kommt in das stellen ein Drittel des hessischen Gesamtbe- Gebiet, um Nahrung zu suchen, oder sie sind standes dar. Als Ursachen für den Rückgang Durchzügler oder Wintergäste. Die Struktur dieser auf Sandrasen spezialisierten Art gel- des Gebiets, weitgehend flach, mit wenigen ten Störungen durch den Menschen und frei Büschen und Bäumen, reizt die meisten Vö- laufende Hunde, gegenüber denen die Art als gel nicht zum Brüten. Dennoch konnten im Bodenbrüter sehr empfindlich ist, sowie Auf- Bereich des Griesheimer Sandes mittlerweile forstungen und die Aufgabe der extensiven mehr als 100 Vogelarten beobachtet werden. Beweidung. Darunter befinden sich viele Arten, die of- Dadurch dass auf dem Flugplatzgelände die- fenes Gelände mit wenig oder gar keiner Ve- ser negativen Entwicklung gegengesteuert getation lieben und Ansitzwarten wie Königs- werden konnte, ist der Steinschmätzer regel- kerzen brauchen. In dem trocken-warmen recht „umgezogen“. Während außerhalb des Gebiet finden sie als Insektenfresser reich- Naturschutzgebietes nur noch ein bis maxi- lich Nahrung und auch Brutmöglichkeiten. mal vier Paare zur Brut schreiten, sind dies Die wichtigsten Vertreter dieser überaus innen regelmäßig zwischen fünf und zehn. Steinschmätzer Weibchen (Oenanthe oenanthe) bedrohten, andernorts infolge Lebensraum- Diese relativ hohe Brutdichte wurde auf dem mangel schon lange ausgestorbenen Gruppe Foto: fokus-natur/Leo ehemaligen Flugplatzgelände erreicht, in- der „Sandrasenvögel“ sind der Steinschmät- dem zer, der Brachpieper, die Heidelerche und der Wiedehopf. — man den hohen Zaun, der noch aus der Zeit der militärischen Nutzung stammt, bestehen ließ und dadurch die mensch- lich verursachten Störungen reduzierte. — die dichte, verfilzte Vegetation durch Beweidung mit Schafen und Eseln aufge- brochen und vegetationsarme oder -freie Zonen geschaffen werden — Steinhaufen mit eingebauten Brutröhren Brachpieper (Anthus campestris) angelegt wurden, um der Wohnungsnot entgegenzuwirken. Steinschmätzerbruten kommen keineswegs Brachpieper nur in Kaninchenbauten oder künstlichen Nisthöhlen vor, sondern an schier unmög- Das günstige Schicksal des Steinschmät- lichen Stellen: unter Kabelrollen, in alten zers auf dem August-Euler-Flugplatz ist dem Laternen oder in den verrosteten Rohren der Brachpieper leider nicht beschieden. Dieser alten Fernwärmeleitungen. Vogel, einstmals einer der Charaktervögel der Trockenrasen, brütet nicht mehr alljähr- lich in unserem Gebiet, das den letzten Brut-
15 platz in Hessen darstellte. Nur in den Zug- Foto: fokus-natur/Leo zeiten lässt er sich noch alljährlich blicken. Er leidet wohl am meisten von den „Sandra- senvögeln“ unter Störungen und starkem Ve- getationsaufwuchs. Es steht zu hoffen, dass auch er wie der Steinschmätzer durch Min- derung oder Beseitigung der negativen Fak- toren wieder häufiger wird. Heidelerche Foto: fokus-natur/Pröhl Heidelerche (Lullula arborea) Die Heidelerche mag mehr die halboffenen Landschaften mit Sandrasen, mageren, ve- getationsarmen Böden und vereinzelten Bäumen und Büschen, Bedingungen also, wie sie sich im Naturschutzgebiet durchaus finden. Nur an Einzelbäumen fehlt es noch; durch die Anpflanzung von Kiefern soll dem Mangel abgeholfen werden. Heute kommt die Art, die in Hessen nur noch einen Be- Wiedehopf (Upupa epops) stand von höchstens 100 bis 200 Brutpaaren aufweist, im Griesheimer Sand und damit auf dem August-Euler-Flugplatz in geringer Zahl insekten, allen voran von Heuschrecken und haben sich die verschiedenen Maßnahmen, vor. Es wäre schön, wenn das Naturschutz- Engerlingen, ernährt. Die erfolgreiche Brut allen voran die Beweidung, gut bewährt und gebiet auch dieser Art, die den Beobachter fand in einer Steinkauzröhre statt, die an die Voraussetzungen für ein Überleben der im Frühjahr mit ihrem Gesang erfreut, noch einem der alten Hangars angebracht war. stark bedrohten Vogelarten geschaffen. mehr als bisher ein Refugium im Existenz- Im Jahr 2008 kam es sogar zu zwei erfolg- kampf bieten könnte. reichen Bruten, die eine in einer künstli- Dr. Helmut Wolf (Hessische Gesellschaft chen Höhle in einem Steinhaufen, die ande- für Ornithologie und Naturschutz (HGON) re in einer hölzernen Nisthilfe mit jeweils Arbeitskreis Darmstadt) Wiedehopf vier Jungen. Der positive Trend, der sich seit einigen Jahren in Südhessen zeigt, wird Geradezu sensationell mutet die Ansiedlung durch diese Bruten im Naturschutzgebiet des Wiedehopfes an. Auch er, einstmals keine bestätigt, aber noch ist der Wiedehopf in un- ungewöhnliche Erscheinung, war viele Jahre serem Bundesland mit weniger als zehn Paa- auf dem Griesheimer Sand verschwunden. ren extrem gefährdet. Nur gelegentlich wurden einzelne Exemp- lare angetroffen. Im Jahre 2007 brütete der Obwohl der August-Euler-Flugplatz durch Hopf zum ersten Mal wieder auf dem Au- Starts und Landungen von Flugzeugen, lau- gust-Euler-Flugplatz. Wie die anderen be- te Versuche mit schnell fahrenden Autos und schriebenen Arten lebt er gerne auf schütter nicht zuletzt die hier arbeitenden Botaniker bewachsenen Flächen, wo er sich von Groß- und Zoologen keineswegs störungsfrei ist,
16 Wiesenmusikanten: Von Weinhähnchen und Schönschrecke Foto: C. Gelpke/HGON-Archiv Heuschrecken erfüllen jeden Sommertag mit ihrem Gesang und sind nicht wegzudenken aus sonnenbeschienenen Wiesen. Außerdem sind sie eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Tiere. Und nicht nur das: Bei ge- nauem Hinsehen erkennt man unerwartet hübsch gezeichnete, in manchen Fällen sogar ausgesprochen bunte Sechsbeiner. Wer während windstiller Sommertage auf- merksam durch das Gelände des August-Eu- ler-Flugplatzes geht, kann sie auch hier kaum überhören – überall „zirpen“ Heuschrecken. Am auffallendsten ist dabei das anhaltende Sirren des Grünen Heupferdes, aber auch das kratzende „Srä-srä-srä“ des Gemeinen Gras- hüpfers ist allgegenwärtig. Der typische „Ge- sang“ der Grillen entsteht, indem die Tiere Blauflüglige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens) ihre Vorderflügel aneinander reiben – sie „stridulieren“, wie der Fachmann sagt. Die Heuschrecken reiben dazu ihre Schenkel in arttypischem Rhythmus über die Vorderflü- Bioindikatoren lässt sich etwa die Hälfte des heimischen gel. Die Laute werden ausschließlich von den Artenspektrums auf solch engem Raum be- Männchen erzeugt und dienen denselbem Aus der biblischen Heuschrecken-Plage sind obachten. Auch bundesweit ist diese Arten- Zweck wie etwa der Gesang der Singvögel: mittlerweile wichtige Bioindikatoren gewor- fülle fast einmalig. Aufgrund seiner ausge- Sich den Grillen-Weibchen möglichst at- den, ihr Vorkommen oder Fehlen zeigt eine prägt „mediterranen“ Standortbedingungen traktiv vorzustellen und gleichzeitig andere bestimmte Lebensraum-Qualität an. Nicht ist dieses Gebiet schon lange als Fundort be- Männchen auf Distanz zu halten. von ungefähr fühlt man sich auf dem Gries- merkenswerter Heuschreckenarten bekannt. heimer Sand stellenweise wie am Mittel- So wurde hier 1949 die Kleine Höckerschre- meer: Nach jedem Schritt über die Düne flie- cke, die bundesweit in den letzten Jahrhun- gen Dutzende Heuschrecken auf und immer derten überhaupt nur von vier Fundorten wieder leuchten dazwischen die roten oder bekannt war, letztmals in Deutschland nach- blauen Hinterflügel der seltenen Arten. gewiesen. Auch die extrem seltene Heide- schrecke hatte hier einen ihrer insgesamt nur neun Fundorte in Deutschland. Heuschreckenparadies Von den 80 Heuschrecken- und Grillenarten Heuschrecken in Deutschland kommen immerhin 61 auch in Hessen vor. Nur etwa 15 davon sind derzeit Die seltenste heute noch vorkommende Art noch verbreitet und häufig. Im Bereich des ist die Italienische Schönschrecke. Ihr Name Griesheimer Sandes wurden in den letzten ist Programm – sie ist ungewöhnlich wärme- Jahren jedoch allein 24 Arten angetroffen, liebend und nach Heuschrecken-Maßstäben darunter zehn Arten der Roten Liste. Zusam- sehr bunt gezeichnet. Mit jährlich mehreren men mit einigen Feuchtgebieten der Umge- tausend Individuen auf dem Griesheimer bung können hier mehr als 30 Arten ange- Sand ist dieses Vorkommen nach denen im troffen werden: Nirgendwo sonst in Hessen Bereich der südhessischen Viernheimer Heide
17 Foto: S. Stübing/HGON-Archiv Foto: S. Stübing/HGON-Archiv Weinhähnchen (Oecanthus pellucens) Italienische Schönschrecke (Calliptamus italicus) das vermutlich bedeutendste dieser Art in Grillen Deutschland. Ab Juli sind die Tiere, die wie alle anderen Heuschrecken mit Ausnah- Während die bisher aufgeführten Arten nur me der Feldgrille den Winter im Eistadium in den Sonnenstunden aktiv sind, wird es überdauern, ausgewachsen. Während die auch in den Abend- und Nachtstunden auf Heuschrecke selbst unauffällig getarnt ist, dem ehemaligen Flugplatzgelände nicht still. leuchten ihre roten Hinterflügel bei den meh- Schon ab Mitte April ist dann der Gesang der rere Meter weiten Fluchtsprüngen blitzartig Feldgrille zu hören, von der in guten Jahren auf und verwirren so mögliche Verfolger wie sicher mehr als 10.000 stridulierende Männ- z. B. Singvögel. Analog nutzt die Blauflüge- chen zuhause sind. Die Tiere leben vor Fein- lige Ödlandschrecke ihre leuchtend blauen den wie z. B. insektenfressenden Vögeln gut Hinterflügel während der Flucht, im Ruhe- geschützt in selbst gegrabenen Höhlen im zustand sind sie unter den Vorderflügeln sandigen Boden. Während sie in Südhessen verborgen. Auch die Ödlandschrecke ist wär- stellenweise noch verbreitet vorkommen, meliebend, doch nicht ganz so anspruchsvoll gibt es nördlich von Gießen nur noch zwei wie die Schönschrecke. Daher findet man sie Vorkommen dieser Grille. Ab Juli ist ein an- in manchen Gebieten Süd- und Mittelhessens derer wohlklingender Laut zu hören, der noch häufiger, während sie im Norden un- sofort Erinnerungen an laue Urlaubsnächte seres Bundeslandes schon ausgestorben ist. am Mittelmeer wachruft. Urheber dieses auf Im Gegensatz zu den meisten anderen Arten „rüüüüüühhhh“ schwirrenden Geräusches tragen diese beiden Spezies übrigens keinen ist das Weinhähnchen. Das vor allem am Mit- Gesang vor. telmeer vorkommende Tier wird auch Blü- tengrille genannt. Der Name Weinhähnchen Dies ist bei den nahe verwandten Arten Brau- drückt dabei nicht etwa aus, dass das zarte ner, Nachtigall- und Verkannter Grashüpfer Tier ‚nahe am Wasser gebaut‘ hätte, er geht ganz anders. Während sie sich in Farbe und vielmehr auf das ursprüngliche Vorkommen Größe zum Verwechseln ähnlich sehen (der der Grille allein in den heißesten Weinbau- Verkannte Grashüpfer wurde daher erst 1920 Lagen zurück. Das schon seit Jahrzehnten endgültig als selbständige Art erkannt), un- bestehende Vorkommen auf dem Grieshei- terscheiden sich die Gesänge sehr deutlich. mer Sand ist daher ein weiterer Beleg für die Lautmalerisch umschrieben wirbt der Brau- besonderen klimatischen Bedingungen in ne Grashüpfer einsilbig mit „sst“ um seine diesem Gebiet. Weibchen, während der Nachtigall-Grashüp- fer einen in der lautstärke anschwellenden Stefan Stübing, Avifaunareferent der Hessischen Trommelwirbel wie „tttttttttTTTTTRRRRT“ Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz von drei Sekunden Dauer vorträgt. Der aus- (HGON) dauernde Verkannte Grashüpfer striduliert sogar mehr als 20 Sekunden unverkennbar „z-z-z-z-z-z-zr-zr-zr-zrr-zrr-zrr-zrr-zrr-zrrr- zrrr-zrrr-zrrrr-rrrrr-rrrrr-rrrrr-rrrrrr“.
18 Flugplatzbewohner Foto: M. Ernst Foto: M. Ernst Sandstrohblume (Helichrysum arenarium) Sandstrohblumeneule (Eublemma minutata) Foto: M. Ernst Diese unscheinbare Falterart hat hier auf dem August- Euler-Flugplatz die größte Population in den westlichen Bundesländern entwickelt. Inwieweit diese Population unter den derzeit von den Kaninchen stark abgefres- senen Wirtspflanzen zu leiden hat, kann nicht beurteilt werden. Es handelt sich hier um eine Art aus der Familie der Blatt- hornkäfer, die eigentlich inSüdeuropa beheimatet ist und eng verwandt mit unserem etwas kleineren Maikäfer ist. Die Larven entwickeln sich 3 Jahre lang im Boden und er- nähren sich von Graswurzeln. Sie überwintern im vierten Jahr als Puppe. Die Imagines schlüpfen dann im Folge- jahr von Juni bis August Sie kommen in Mitteleuropa nur an wenigen Stellen vor. In Deutschland beschränkt sich die Verbreitung auf die Sandflächen der Oberrheinebene zwischen Kehl und Darmstadt. Die Käfer stellen mittler- weile eine willkommene Nahrungsgrundlage für Vögel dar. Auf dem Griesheimer Flugplatz zum Beispiel finden sich abends zur Flugzeit zahlreiche Baumfalken ein und jagen diesen Käfer. Die Art gilt auch als Gewinner der zu- Anoxia villosa nehmend wärmeren und trockeneren Witterung.
19 Foto: M. Ernst Foto: M. Ernst Wolfsmilchschwärmer (Hyles euphorbia) Ein Nachtfalter mit einer Flügelspannweite von 70 – 85 mm. Er kommt in warmen, trockenen Gebieten vor überwiegend auf Trockenrasen und Ruderalflächen vor. Foto: GDE Sandradmelde (Kochia laniflora) Raupe des Wolfsmilchschwärmers Die Sandradmelde wächst in subkontinentalen bis kontinentalen Gebieten und kommt in Der Falter legt die Eier an der Futterpflanze trockenen Steppen- und Halbwüstengebieten vor. Die Pflanze benötigt volle Besonnung und ab, wo sich die schlüpfenden Raupen dann warme bis extrem warme Temperaturen. Sie wächst in semiaridem Klima auf stickstoffärms- bis zu einer Größe von 70 – 80 mm entwi- ten Standorten und liebt lockere Sandböden (Sandtrockenrasen). ckeln. Hauptfutterpflanze stellt in unseren Breiten die Zypressenwolfsmilch dar.
20 Der Habicht auf dem August-Euler-Flugplatz Foto: Gerd Weiland Foto: M. Ernst Intensive Oberbodenstörungen durch Kaninchenbauten und Wühlspuren Die Kaninchen auf dem August-Euler-Flugplatz werden bereits seit fast 30 Jahren durch Falkner bejagt. Das Gelände des Flugplatzes ist für den Habicht optimal, da es ein idealer Lebensraum für Kaninchen ist, welche zum Beutewild seiner Nah- rungskette gehören. Da der Habicht ein sehr scheuer Greifvogel ist, bekommt man ihn sehr selten zu sehen. Er ist hauptsächlich in den frühen und späten Abendstunden auf Beute- fang. Um die sehr hohe Population (Vermehrung) der Kaninchen auf natürliche Weise zu reduzieren, nutzen Falkner den August-Euler-Flugplatz mit ihrem abge- tragenem Habicht als Jagdrevier.Dazu werden die Kaninchen mit Frettchen aus den Bauten gejagt (frettieren). Gesunde, fitte Kaninchen können nicht erlegt wer- den, sondern entkommen in der Regel. Mit der Vogeljagd kann im Gegensatz zur Habicht am Geschüh Schussjagd nie eine Population komplett erlegt werden. Gerd Weiland Hessischer Falknerverband
21 Foto: M. Ernst Blick nach Südwesten über den Flugplatz über einen naturnahen, trocken, kalkreichen Sandrasen mit der gelb blühenden Sandstrohblume (Gesellschaft: Jurineo-Koelerietum glaucae) im Vordergrund
Raupe Wolfsmilchschwärmer
S. Stübing/HGON-Archiv IMPRESSUM HERAUSGEBER: Technische Universität Darmstadt Karolinenplatz 5, 64289 Darmstadt REDAKTIONELLE BEARBEITUNG: Dr. Katja Fuhr-Boßdorf (HGON) FOTOS: Titelseite: Armeria mit einer Sandbiene (Andrena carbonaria) (AG Vegetationsökologie) Rückseite: Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) (AG Vegetationsökologie)
24 Technische Universität Darmstadt Karolinenplatz 5 64289 Darmstadt www.tu-darmstadt.de Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. Lindenstraße 5 61209 Echzell Telefon: +49 6008/18 03 Fax: +49 6008/75 78 info@hgon.de www.hgon.de Spendenkonto Naturschutz Sparkasse Oberhessen BLZ 518 500 79 Kontonummer 850 026 94
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