AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria

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AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
11/2020

                                      S
                             ULTUR HAU
                       KINO K

     AUSTRIAN AUTEURS
CHRISTIAN BERGER | 25 JAHRE AMOUR FOU
AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
© Christian Berger

                          INHALT

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AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
INHALT

AUSSTELLUNG
KINO WELT WIEN | BIS 10.1.2021                         04
DIGITALES HEIMKINO
BEGLEITPROGRAMM ONLINE | AB 26.10.                     08
RETROSPEKTIVEN
V'20: AUSTRIAN AUTEURS | 26.10.–20.11.                 10
CHRISTIAN BERGER | 5.11.–2.12.                         26
25 JAHRE AMOUR FOU | 12.11.–2.12.                      40
FILM | UNIVERSITÄT
VON CALIGARI BIS HITLER | 9.11.–30.11.                 58
FILM NOIR RELOADED | 24.11.–1.12.                      60
REIHEN
KINDER KINO KLASSIKER | 7.11.–29.11.                   62
LIVING COLLECTION | 9.11.                              64
SECOND LIFE | 10.11.–1.12.                             66
JÜDISCHER FILMCLUB WIEN | 25.11.                       68
WILD FRIDAY NIGHT | 27.11.                             70
EIN ABEND MIT | 2.12.                                  72
SPECIALS
PODIUMSDISKUSSION: PUSZTA-POPULISMUS | 13.11.          74
DAS MUSEUM GEHT INS KINO | 16.11.                      76
100 JAHRE CALIGARI | 26.11.–29.11.                     78
FESTIVAL
MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL | 18.11.–22.11.      80
SATYR FILMWELT                                         84
CLUB		                                                 86
SPIELPLAN                                              88
AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
PROGRAMM 23.10.–2.12.2020

Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher!
Mit dem laufenden Spiel- und Ausstellungsbetrieb sind entsprechende
Covid-19-Schutzmaßnahmen verbunden (reduzierte Sitzplatzanzahl,
verpflichtendes Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Abstandsregel etc.).
Ausführliche Informationen dazu finden Sie laufend aktualisiert auf
www.filmarchiv.at.
                                                                         © VALIE EXPORT/Top-Film

Wir freuen uns auf Ihren Besuch und wünschen weiterhin ein schönes
Kinoerlebnis!
Ihr Filmarchiv-Team
AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
EDITORIAL

     D   ie 1970er-Jahre – für das österreichische Kino ein Jahrzehnt
         des Aufbruchs, an dessen Ende (endlich) ein staat­liches
     Filmförderungswesen steht. Die diesjährige Viennale- Retro­
     spektive Austrian Auteurs erzählt von diesem historischen
     Wendepunkt und den spannenden künstlerischen, organisato-
     rischen und von Freiheitsdrang getriebenen Neuformierungen
     in der heimischen Filmlandschaft. Rebellion und Innovation
     treffen auch in der Person von Christian Berger aufeinander,
     als Kameramann weltweit erfolgreich und bekannt vor allem
     für seine Kollaborationen mit Michael Haneke. Ihm ist die
     zweite Retrospektive im November gewidmet, die ein Licht
     auf seine eigenen Regie­arbeiten wirft. Jubiläen liefern immer
     einen guten Grund zur Rückschau – im Fall einer Produktions-
     firma dennoch unüblich. Das Filmarchiv Austria gratuliert der
     Amour Fou zu einem Vierteljahrhundert verrückter Kinoliebe
     und präsentiert eine Auswahl aus dem rund hundert Filme
     umfassenden bisherigen Schaffen. Das jubilarische Jahrhun-
     dert vollendet hat dagegen Robert Wienes expressionistischer
     Klassiker DAS CABINET DES DR. CALIGARI, der bis heute in
     der Filmkultur seine Runden zieht. Im Vergleich zu anderen
     Phänomenen eine schöne Präsenz und Permanenz.

     Ernst Kieninger und das Filmarchiv-Team

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              LT U RG ESCHICHT
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      EINE KU HER TRAUMORT
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AUSSTELLUNG BIS 10. JÄNNER 2021

D   ie aktuelle Ausstellung im METRO Kinokulturhaus widmet sich einem der zentra-
    len urbanen Orte des 20. Jahrhunderts – dem Kino. Im Mittelpunkt stehen die
Veränderungen der Kinolandschaft in ihrer fast 125 Jahre umfassenden Geschichte.
Heute hat Wien knapp 30 Kinos, aber was ist von den über 200 Lichtspielhäusern
geblieben, die lange Zeit das Bild der Stadt und das Leben der Menschen geprägt
haben? Neben einer Vielzahl an Fotografien versammelt die Schau besondere
Er­innerungsstücke aus ehemaligen Wiener Kinos, wie einen Elektrisierautomaten
aus dem Zentral-Theater in Ottakring, die Kassentür des Imperial, die Anzeigetafel
des letzten Spieltages des Auge Gottes, die originalen Sessel des Kinoarchitekten
Robert Kotas aus dem Gartenbau und noch vieles mehr.
Was war oder ist »Ihr« Kino? Das Filmarchiv Austria sammelt Ihre persönlichen Geschichten und
Kinoerinnerungen: 0800 220 242 (MO–DO, 10:00–16:00) oder kinoerinnerungen@filmarchiv.at.

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    © Filmarchiv Austria | Severin Dostal
AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
»KINO WELT WIEN«
IN DEN BEZIRKSMUSEEN
UND WIENER KINOS
D  ie Ausstellung »Kino Welt Wien« thematisiert auch die Funktion der Kinos als
   öffentliche Orte, als kulturelle Nahversorger in allen Bezirken der Stadt. Als
Referenz an diese einst flächendeckende urbane Infrastruktur ruft das Filmarchiv
Austria die lokale Kinogeschichte Wiens in den Bezirksmuseen und in ausgewählten
Kinobetrieben wieder in Erinnerung. Dort werden die wichtigsten historischen und
aktuellen Kinoorte der jeweiligen Bezirke in Form von Sammelkarten zum Mitnehmen
präsentiert.
Mit einem aktuellen Ticket eines Partnerkinos erhalten Sie einen vergünstigen Besuch in der
Ausstellung »Kino Welt Wien« im METRO Kinokulturhaus.

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AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
KINO WELT WIEN | AUSSTELLUNG

KULTURVERMITTLUNG
IN DER »KINO WELT WIEN«
Das Filmarchiv Austria bietet ein zielgruppenorientiertes Vermittlungsprogramm
für Schüler- und Studentengruppen sowie Individualpersonen an. Für Gruppen sind
Führungen auch außerhalb der Öffnungszeiten (vormittags) buchbar. Bitte richten
Sie Ihre Anfrage an kulturvermittlung@filmarchiv.at.

Die Teilnahme an Führungen ist ohne Mehrkosten zum Eintrittspreis möglich.
Es gilt eine maximale TeilnehmerInnenzahl von 10 Personen (Änderungen corona­
bedingt vorbehalten).

Anmeldung erforderlich bis zwei Tage vor dem Termin unter
reservierung@filmarchiv.at.
Weitere Informationen auf www.filmarchiv.at/education.

SA 14.11., 16:00 | MI 18.11., 18:00 | MI 25.11., 18:00
THEMENFÜHRUNG
In unseren Themenführungen durchwandern Sie historische und aktuelle Kinogrätzel,
erkunden den Apparat Kino und die wechselvolle Wiener Kinogeschichte.

SA 14.11., 14:45
DAUMENKINO-WORKSHOP
Passt ein Film in eine Hosentasche? Und wie funktioniert eigentlich ein Kino? Kinder zwi-
schen 6 und 13 Jahren sind eingeladen, das METRO Kinokulturhaus und die Kinogeschichte
Wiens zu entdecken. Der Workshop findet im Rahmen des WIENXTRA-Kinderaktiv-Programms
statt (ermäßigter Preis mit Aktivcard).

Dauer: jeweils 60 min
Führung: 7,50 | ermäßigt 6,– | Club/Uni-Club 5,–
Workshop: pro Kind und Begleitperson 6,– | mit Aktivcard 4,50

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DIGITALES
HEIMKINO

Filmerbe online kostenlos auf www.filmarchiv.at

Im März 2020 stand das Filmarchiv Austria vor der Herausforderung, auf die Corona-
 Pandemie und die damit verbundene Spielpause zu reagieren: Bereits eine Woche
nach der Schließung des METRO Kinokulturhauses wurden Teile des geplanten Pro-
grammes ins Netz gestellt. Ein Konzept mit Zukunft, wie sich bald zeigte, mit enor-
mer Reichweite und Resonanz. Das Heimkino bietet kostenlos die Möglichkeit eines
breiten Zugangs zum Filmerbe Österreichs, darunter Schlüsselwerke des Spielfilms,
Wochenschauberichte, rare Dokumentar- und Amateuraufnahmen oder zum Teil
erstmals zu sehende historische Filmdokumente. Die Beiträge werden sorgfältig
kuratiert und begleiten ausgesuchte Schwerpunkte.
Zur Viennale-Retrospektive werden weitere spannende Arbeiten der Austrian Auteurs kostenlos
ab 26.10. abrufbar sein, Programminfos und Details dazu ab Oktober auf www.filmarchiv.at.

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AUSTRIAN AUTEURS
DIE 70ER – EINE FILMDEKADE IM AUFBRUCH
RETROSPEKTIVE ZUR VIENNALE VOM 26. OKTOBER BIS 20. NOVEMBER 2020

K  aum eine Filmdekade wird heute unter Cineasten derart kultisch verehrt und
   verklärt wie die 1970er-Jahre: das Jahrzehnt, in dem sich Hollywood neu erfindet,
Autorenfilme radikale Seherfahrungen ermöglichen und im Genrekino Grenzen ge-
sprengt werden. Und in Österreich? Während für die kommerziellen »Altfilmer« der
Zug abgefahren ist, bilden sich an den Rändern neue Strömungen. Die Branche
professionalisiert und organisiert sich. Und es entstehen, teils unter haarsträubenden
und selbstausbeuterischen Voraussetzungen, einige bemerkenswerte Filme, die von
enormem Freiheitsdrang, künstlerischer Neugierde und dem unbändigen Wunsch
geprägt sind, dem Kino einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken.

Für die Vorstellungen bis einschließlich 1. November erfolgt der Ticketverkauf ausschließlich
online oder über die Vorverkaufsstellen der Viennale.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

REGELN BRECHEN,
UM SIE NEU ZU ERFINDEN
FLORIAN WIDEGGER

D  as Jahr 1980 markiert einen wesentlichen Wendepunkt in der Geschichte des
   österreichischen Kinos. Mit der Einführung des Filmförderungsgesetzes erhält
das Land als eines der letzten in Westeuropa ein staatliches Filmförderungswesen –
zehn Jahre nach der ersten Ankündigung.

Schon zu Beginn der 1960er-Jahre entdecken bildende KünstlerInnen das Medium
Film für sich und feiern damit – vor allem im Ausland – große Erfolge. Marc Adrian,
Peter Kubelka oder VALIE EXPORT sind Avantgarde im wahrsten Wortsinn: Vorkämp-
ferInnen für eine Entwicklung, die im weiteren Verlauf auch in der Spielfilmproduk­
tion ankommt. Zusätzlich führt die Programmreform im ORF dazu, dass das junge
Medium Fernsehen sich zumindest eine Zeit lang jenen Mut erlaubt, den das Kino
dieser Jahre so schmerzlich vermissen lässt.

In den insgesamt 15 Programmen, von denen fünf im Rahmen der Viennale präsen-
tiert werden, zeigt Austrian Auteurs, dass es in dieser Zeit des Übergangs auch im
Kino spannende Positionen und Ausnahmen gibt. Es geht einher mit Impulsen aus
Theater, Literatur, Malerei, Musik oder Performance, ist nicht nur aus der Inspiration
aus anderen Künsten, sondern auch anderen Kulturen gespeist. Und es ist nicht am
Publikumsgeschmack ausgerichtet, will einzig dem eigenen künstlerischen Anspruch
gerecht werden und richtet dabei einen frischen Blick auf die Wirklichkeit. Die
»Austrian Auteurs« sind in bestem Sinn auch »Amateure«, die – bevor sie alten
Regeln folgen – erst neue finden und erproben.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

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Mit all dem verbunden ist auch die zunehmende Professionalisierung innerhalb
der Branche. Erstmals organisiert man sich in Berufsverbänden und sorgt dafür,
dass die eigene Arbeit sichtbar wird (so auch auf der Viennale, wo dem heimischen
Kino unter dem vielsagenden Label »Informationsveranstaltung« Platz eingeräumt
wird). Die daraus resultierenden Diskussionen kreisen stets um die Frage, was der
österreichische Film eigentlich ist und sein soll. Mit dem Ende der nahezu »anarchi-
schen« Zustände finden viele, die in den 1970er-Jahren diesen Mittelbau zwischen
Kommerz und Kunst darstellen, keinen Platz mehr, die wenigsten von ihnen werden
in den 80ern oder gar darüber hinaus noch Filme machen, etliche geraten in Ver­
gessenheit. Gerade in einer Zeit, in der sich das Kino selbst wieder infrage stellt,
lohnt es umso mehr, einen Blick auf diesen historischen Wendepunkt zu werfen
und vielleicht den ein oder anderen Gedanken daraus zu ziehen. Dazu soll diese
Filmschau einladen.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 MO 26.10., 18:30 | FR 6.11., 18:00

DIE ERSTEN TAGE
Herbert Holba, A 1970
BUCH Herbert Holba, Wilhelm Pellert, Ernst A. Ekker | KAMERA Xaver Schwarzenberger | MUSIK Paternoster
MIT Ariane Niehoff, Olga Felber, Heinz Herki, Karl-Heinz Hayek, Gerhard Stingl, Wilhelm Pellert, Josef Frieser,
Heimo Wisser 77 min | s/w, dt./franz. ZT, DCP

Eine Gruppe halbwüchsiger Nomaden irrt nach der Zerstörung der Zivilisation durch
ein »Niemandsland zwischen gestern und morgen« und trifft dabei auf Einzelgänger
und andere Überlebende. Dabei entspinnen sich tödliche Machtkämpfe. Ist ein Mitein-
ander in der Apokalypse überhaupt möglich? »Ein Kinematogramm mit Musik und
Geräuschen« nennt Holba seinen einzigen abendfüllenden Spielfilm, gewidmet den
Gebrüdern Skladanowsky sowie Manfred Noa und Otto Rippert. DIE ERSTEN TAGE ist
nichts weniger als der Versuch, ein ursprüngliches, reines Kino wiederzufinden, das
sich dennoch nicht davor scheut, politisch und poppig zu sein. Die Musik stammt von
der kurzlebigen, heute umso kultischer verehrten Austro-Progrock-Band Paternoster.
Ein Trip, der Augen, Ohren, Herzen und Hirne gleichermaßen zu öffnen vermag! (fw)

MO 26.10.: In Anwesenheit von Wilhelm Pellert und Xaver Schwarzenberger.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 DI 27.10., 18:30 | SA 7.11., 18:00

DIE GLÜCKLICHEN MINUTEN
DES GEORG HAUSER
Mansur Madavi, A 1974
BUCH Mansur Madavi, Dieter Schrage, Wilhelm Diem | KAMERA Mansur Madavi | MUSIK Ingrid Fessler,
Ivan Tomek, H. Kurz-Goldstein | MIT Walter Bannert, Ernst Epler, Lore Heuermann, Lili Glas, Christine Heuer,
Wilhelm Herzog, Dieter Schrage 72 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Vom Weckerläuten am Morgen bis zur Fernsehberieselung am Abend ist Georg Hausers
Alltag streng durchgetaktet. Dazwischen wacht er über Dutzende Sekretärinnen, die
synchron in ihre Schreibmaschinen hämmern. Doch irgendwann fängt die immer glei-
che Platte an zu leiern. Eine neue Brille tut ihr Übriges, und Hauser sieht die Welt plötz-
lich mit anderen Augen. Er bricht aus aus diesem eiskalten System, in dem alles so gut
zu funktionieren scheint … Madavis Langfilmdebüt erinnert zunächst an eine grimmige
Version von Tatis PLAYTIME, später meint man darin gar einen Vorläufer zu Carpen-
ters THEY LIVE oder Hanekes DER SIEBENTE KONTINENT zu erkennen. All diesen
Bezügen zum Trotz – hier hat ein Künstler eine Filmsprache entwickelt, die lange Zeit
zum Prononciertesten gehört, was in Österreich auf Zelluloid gebannt wurde. (fw)

In memoriam Walter Bannert (28.11.1942–10.9.2020).

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 MI 28.10., 18:30 | SA 8.11., 18:30

JESUS VON OTTAKRING
Wilhelm Pellert, A 1976
BUCH Helmut Korherr, Wilhelm Pellert, basierend auf ihrem gleichnamigen Stück | KAMERA Dieter Wittich,
Kurt Mayer | MUSIK Wilhelm Pellert | MIT Rudolf Prack, Hilde Sochor, Peter Hey, Marianne Gerzner,
Emanuel Schmied, Dieter Hofinger, Susanne Altschul, Harald Pfeiffer 98 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Ein Volksstück im Gewand eines Underground-Musicals, das vor Zeitbezügen und
Querverweisen nur so strotzt und Österreich so zeigt, wie es sich gern gesehen hätte:
als Insel der Seligen, auf der die Arbeiter stolz sind, sich zu Tode hackeln zu dürfen
und man das böse Wort »Revolution« allein aus den Nachrichten kennt. Bis eines
Tages einer kommt mit langen Haaren, der der Jugend neue Ideen in den Kopf setzt
und ihr zeigt, dass das Leben auch anders sein könnte. Dieser Ferdinand Novacek
alias »Jesus von Ottakring« bleibt im Film stets unsichtbar, doch sein Wirken tut es
nicht, was den Zorn der Bevölkerung erregt. Es beginnt ein Passionsspiel der beson-
deren Art … Einer der zentralen österreichischen Filme der 1970er-Jahre, der an allen
Ecken und Enden einen Hauch von Anarchie verströmt – schmissig-bissiges Liedgut
inklusive. (fw)

MI 28.10.: In Anwesenheit von Wilhelm Pellert.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 DO 29.10., 18:30 | SO 8.11., 20:30*

SCHWITZKASTEN
John Cook, A 1978
BUCH John Cook, Helmut Zenker, nach dessen Roman Das Froschfest | KAMERA Helmut Pirnat
MIT Hermann Juranek, Christa Schubert, Franz Schuh, Waltraut Misak, Johanna Froidl, Karl Martinek,
Ernst Neuhold, Elisabeth Boselmann 97 min | Farbe, dt. OmeU/*dt. OF, 16mm**

Weil er sich bei seinen Vorgesetzten und Kollegen unbeliebt macht, verliert Hermann
seinen Job bei den Städtischen Gärtnern, später fliegt er aus der Wohnung seiner
Eltern, kommt wegen einer Rauferei ins Gefängnis. Dazwischen strawanzt er durch die
Vorstadt von einem Beisl ins nächste und holt sich Trost und Rat bei einem Arbeiter-
Poeten (Franz Schuh!). An einer näheren Bindung zu Freundin Vera hat er zunächst
kein Interesse, aber vielleicht ändert sich das noch – wie so vieles in dieser Zeit … Die
Wiener Sommer der 1970er-Jahre weiß in all ihrem Schweben zwischen Leichtigkeit
und Melancholie kaum einer besser einzufangen als John Cook. Es ist die Geschichte
vom kleinen Glück, die hier geschildert wird, von einem, der unten ist und wieder auf
die Beine kommt, weil: »irgendwie muss es gehen.« Und sie wird erzählt mit einer
immensen Lust am freien Umgang mit filmischen Mitteln. (fw)

** Aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums                                                 17
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 FR 30.10., 18:30 | MO 16.11., 20:00

ZECHMEISTER
Angela Summereder, A 1981
BUCH Angela Summereder | KAMERA Hille Sagel | MUSIK Christian Geerdes, Fritz Mikesch, Ursula Weck,
Franz Lehár | MIT Herbert Adamec, Asher Mendelssohn, Claudia Schneider, Peter Weibel, Gernot Klotz,
Franz Hofer, Dietrich Siegl, Maria Zechmeister 79 min | Farbe, dt. OmeU, 16mm

Maria Zechmeister wird 1949 zu lebenslanger Haft wegen Meuchelmordes an ihrem
Ehemann verurteilt. Es gibt weder Beweise noch ein Geständnis, dafür wird im Inn-
viertler Dorf viel geredet, vor allem hinterrücks. Die Gerüchte liefern die Grundlage
für die gerichtlichen Untersuchungen, der Film wiederum basiert auf den Protokollen
der Verhandlung, auf Anträgen, Aussagen und dem, was drei Jahrzehnte später davon
übrig geblieben ist. Maria Zechmeister, die nach 17 Jahren Gefängnis vorzeitig ent­
lassen wurde, und fünf Zeugen spielen sich selbst, Schöffen und Gasthausbesucher
werden von Personen aus der Gegend verkörpert, die anderen Rollen übernehmen
Schauspieler. ZECHMEISTER erzählt in seiner sanften Radikalität vom Abschied
und Neubeginn – ein Schlüsselwerk aus der Stunde Null des neuen österreichischen
Kinos. (fw)

FR 30.10.: In Anwesenheit von Angela Summereder und Hille Sagel.

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 MO 2.11., 19:00 | MO 16.11., 18:00

ALKESTE – DIE BEDEUTUNG,
PROTEKTION ZU HABEN
Antonis Lepeniotis, A 1970
BUCH Antonis Lepeniotis, nach Alkestis von Euripides | KAMERA Edgar Osterberger | MUSIK Erich Kleinschuster
MIT Hellmuth Hron, Gerald Florian, Ingrid Olofsson, Heinz Marecek, Eva Heide Frick, Dieter Schrage, Dieter Berner
89 min | s/w, dt. OF, 35mm

Adi (Admitos) steht unter dem Schutz von Apollo, dem Sohn eines Mannes mit Geld
und Beziehungen. Die zwei sitzen im Gefängnis, man verdächtigt sie des Mordes, hat
aber keine Beweise: so lässt man sie laufen. Adi liebt Claudia (Alkeste), die Lebens­
gefährtin seines Erzfeindes, der in einem – metaphysischen – Duell den Tod findet.
Die Macht des Apollo ist mit Adi, der daraufhin sogar den Tod zu überwinden weiß,
nach der Apokalypse … Cocteaueske Fantasien von der Antike, erfunden in Wiener
Höfen und Gassen, runtergerissen als heller Gangsterfilm, ganz flüssig in der Insze-
nierung, bisweilen dokumentarisch anmutend. Henri Langlois fand den Film sympha-
tisch und lud Lepeniotis mit seinem Langfilmdebüt in die Cinémathèque française
ein. (Olaf Möller)

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 MO 2.11., 21:00 | MI 11.11., 20:45
SCHATTEN UND LICHT

Georg Lhotsky, A 1976
BUCH Georg Lhotsky | KAMERA Jirí Stibr
MUSIK Richard Oesterreicher | MIT Robert Hoffmann,
Ines Byass, Georg Lhotsky, Helga Bernat, Brigitte
Ratz, Raimund Winkler, Otto Schenk
89 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Oft ohne großen Dialog, dafür begleitet von Richard Oesterreicher streift Georg
Lhotsky durch Lebens- und Liebeswelten im weichgezeichneten 70er-Jahre-Wien.
Ausgangspunkt ist der Unfalltod eines Fotomodells, dessen Mutter und Mann in
ihrem gemeinsamen Verlust auch in körperlicher Hinsicht zusammenfinden. Lhotsky
selbst gibt einen Fotografen, mit dem die Verunglückte eine Affäre hatte. Der lange
verschollen geglaubte »Kommerzfilm« ist hier in einer erst kürzlich aufgefundenen
35mm-Kopie zu sehen. (sb)

 DI 3.11., 18:00 | FR 13.11., 18:00
DIE BLINDE EULE

Mansur Madavi, A 1979
BUCH Mansur Madavi, Dieter Schrage
KAMERA Mansur Madavi | MIT Axel Klingenberg,
Ingeborg Aumann, Maria Martina, Rudolf
Schippel, Angelika Schütz, Margit Gara
92 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Ein vergessenes Hauptwerk eines halb erinnerten Meisters: Ein Schriftsteller ver-
sucht, das triste Schicksal eines Heimmädchens zu rekonstruieren und verliert sich
dabei in seinen eigenen Sehnsüchten und Ängsten. Die Bilder sind tief herbstlich,
sehr künstlich und schön in ihrer Abgezirkeltheit, die Darsteller sprechen, als wären
sie wer anderer, Szenen kommen immer wieder und bedeuten immer mehr und
anderes: Kino als Kunst des Ornaments, zwischen Miniaturenmalerei, Memory und
Comic. (Olaf Möller/red)

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 DI 3.11., 20:00 | DO 19.11., 18:30
GEFISCHTE GEFÜHLE

Manfred Kaufmann, A 1980
BUCH Manfred Kaufmann, Henriette Fischer
KAMERA Tamás Ujlaki | MIT Silvia Sommer,
Walter Eckermann, Romana Scheffknecht,
Michael Hopp, Florian Sommer
117 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Silvia und Walter sind ein junges Paar. Sie arbeitet als Buchhändlerin, er an einem
Film über ein Ehepaar, das sich nach 25 Jahren getrennt hat. Walter erfährt zwei
Versionen der Geschichte, deren Mechanismen von Gewalt und Geduld, Macht und
Ohnmacht auch in seiner Beziehung spürbar sind, die – als Ramona auftaucht – in
eine Krise schlittert: Walter verhärtet in seiner Männerrolle, Silvia wird sich der
»Konkurrenz« bewusst. Bis sie sich ihre emanzipatorischen Standpunkte übers
Fern­sehen ausrichten. (red)

 MI 4.11., 18:30
UNSICHTBARE GEGNER
RESTAURIERTE FASSUNG

                                                                                            © Peter Hermann/Top-Film
VALIE EXPORT, A 1977
BUCH Peter Weibel, VALIE EXPORT | KAMERA
Wolfgang Simon | MIT Monika Helfer-Friedrich,
Susanne Widl, Herbert Schmid, Eduard Neversal,
Josef Plavec, Dominik Dusek, Peter Weibel
110 min | Farbe, dt. OF, DCP

UNSICHTBARE GEGNER wird als Sci-Fi-Verschwörungsthriller eingeführt, bewegt
sich aber bald mehr entlang jener Recherchen, welche die Protagonistin in ihrem
Lebensumfeld anstellt. Die Stadt, in der sie wohnt, rückt damit zwangsläufig auch in
den Fokus des Films. Der Stadtraum ist bei EXPORT von Hierachien und Konflikten,
von jüngerer Geschichte und deren Verdrängung geprägt. Wo Patzak das Flamboyante,
Verheißungsvolle sucht und sieht, betont EXPORT das Graue, Gleichförmige.
(Isabella Reicher/red)

                                                                                       21
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 MI 4.11., 21:00 | FR 20.11., 19:00
DIE DENKWÜRDIGE WALLFAHRT
DES KAISERS KANGA MUSSA
VON MALI NACH MEKKA
Götz Hagmüller/Dietmar Graf, A 1977
BUCH Götz Hagmüller, Lida Wieniewicz | KAMERA
Dietmar Graf, Herbert Schuster | MUSIK Gheorghe
Zamfir | MIT Attila Hörbiger (Erzähler), Cheik
Gassama, Abdul Wares, Alhadj Shehu Idris
94 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Auf einem klapprigen Wagen sind sie unterwegs, ein Ausrufer und ein Erzähler mit
ihrem Wunderkasten. Verkauft wird der Blick in die Guckkastenbühne, und der Kas-
ten schaut zurück: in die lachenden Gesichter des jungen Publikums, das gespannt
die Geschichte verfolgt. Getragen von Zamfirs zauberhafter Musik und Hörbigers
prägnanter Stimme entfaltet sich eine Mischung aus Märchen und Reisebildern,
vorbei an Orten wie Timbuktu oder Djenné, wo die große Moschee vom Architekten
Hagmüller ins Bild gerückt wird. (ms)

 DO 5.11., 18:00 | MO 9.11., 21:00
BECK LEBT

Martin Radinger/Ernst Wünsch, A 1980
BUCH Martin Radinger, Ernst Wünsch, nach dessen
Roman | KAMERA Martin Radinger, Ernst Wünsch
MIT Klaus Behrendt, Gabriella Hütter, Ernst Wünsch,
Martin Radinger, Tone Fink
80 min | s/w, dt. OF, DCP

Ein Schriftsteller kämpft mit Schaffensproblemen und findet sich immer wieder in
merkwürdigen Szenen wieder. Inszenatorisch wohl kontrollierte Fantasie, wunder-
schön einfache, klare Bilder, spinnerte Winkelzüge des Erzählens, ein großartig
nachsynchronisierter Ton, holbaeske Texttafeln und ein Protagonist, der dreinschaut,
als sei er in einem anderen Film (nur in welchem?) machen den ohne Staatsgelder
finanzierten Film zu einer heiteren, springlebendigen Trouvaille. (Olaf Möller/red)

22
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 DO 5.11., 20:00 | DO 19.11., 21:00

JOHNNY UNSER
Robert Polak/Tone Fink, A 1980
BUCH Tone Fink, Robert Polak | KAMERA Herbert Link | MUSIK Dieter Kaufmann, Bela Koreni, Clockwork
MIT Antonia Limacher, Hagnot Elischka, Elvira Neustaedtl, Doris Weiner, Justus Neumann, Erhard Koren
78 min | Farbe, dt. Ome/fU 35mm

Der erste lange Kinofilm des Malers, Grafikers und Bildhauers Tone Fink, vierhändig
realisiert mit Robert Polak. In späteren Arbeiten wie KATIJUBATO (1986) wird Fink
seinem spinnerten Inneren freien Lauf lassen, da wird’s lustig klingeln vor Narziss-
mus und Solipsismus. In JOHNNY UNSER aber werden seine fröhlichen Fickfackereien
noch von Polak in realistisch narrative Strukturen gelenkt. Der Mittelstand brütet,
an der Frau wird’s typischerweise ausgelassen, die Wohnung ist mehr ein Durch-
gangslager denn ein Heim – Fantasien und Erscheinungen reißen Löcher rein, kurz,
gut spürbar. Eine weitere Mutation, bei der man nicht so genau weiß, ob sie nun
ein schaumgebremster Künstlerfilm ist oder ein besonders verstiegenes Exemplar
von Sozialrealismus: zeittypisch, darin ein Dokument, ist JOHNNY UNSER allemal.
(Olaf Möller/red)

                                                                                                       23
VIENNA INTERNATIONAL FILM FESTIVAL
     22. OKTOBER–1. NOVEMBER
     PROGRAMM AB 13. OKTOBER, 20 UHR
     TICKETS AB 17. OKTOBER, 10 UHR
     viennale.at

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AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE

 FR 6.11., 20:00 | SA 14.11., 18:00
DIE TOTALE FAMILIE
RESTAURIERTE FASSUNG

Ernst Schmidt jr., A 1981
BUCH Ernst Schmidt jr., Günther Janicek, nach dem
Roman von Heimito von Doderer | KAMERA Helmut
Pirnat | MIT Bodo Hell, Wendy Nagler, Friedrich
Geyrhofer, Herwig Kempinger, Elfriede Gerstl
86 min | Farbe, dt. OF, DCP

Wo es bei Lepeniotis im Spätwerk die Filme zerreißt, verdichten sich im einzigen
Kinospielfilm von Ernst Schmidt jr. die Paradoxa zu einem Schwarzen Loch. Der Film
scheißt sich nichts und voll auf jeden Sinn für erzählerische Bögen und Rhythmen,
grell ist er und ein bisschen trashig, sieht aus, als hätte er außer Nerven nicht viel
gekostet, billig könnte man sagen, und zwar mit Recht, wie in: recht und billig, so
ist dieser Anschlag auf die guten austriakischen Sitten. Ein reichlich schillerndes
Sumpfgewächs. (Olaf Möller/red)

 SA 7.11., 19:45 | MI 11.11., 18:00
OPERATION HYDRA

Antonis Lepeniotis, A 1980
BUCH Antonis Lepeniotis, Nora Gray
KAMERA Edgar Osterberger | MIT Anne Stegmann,
Paola Loew, Peter Wolsdorff, Robert Dietl,
Peter Hey, Ilse Hanel, Erik Frey
130 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Ein britisches Täuschungsmanöver, bei dem die RAF so tat, als wolle sie Berlin
bombardieren, dabei war Peenemünde das wahre Ziel: OPERATION HYDRA springt
zwischen den 40ern und 70ern hin und her, erzählt von Verstrickungen in Nazi-
Machenschaften, vom Holocaust und von den Versuchen, mit diesen Geschichten
fertigzuwerden. Ein Agenten-Abenteuerfilm mit ethischem Anspruch, ein ironisches
Spiel mit den Genre-Topoi, das es politisch todernst meint ... Eine Hydra mit diversen
Janusköpfen und zumindest einem Zerberushals. (Olaf Möller/red)

                                                                                      25
CHRISTIAN BERGER
VOM ZAUBER DES LICHTS

RETROSPEKTIVE VOM 5. NOVEMBER BIS 2. DEZEMBER 2020

L  eidenschaft, Widerständigkeit und Beharrlichkeit zeichnen das Schaffen von
   Christian Berger aus. Angesichts seiner Welterfolge als Kameramann, vor allem in
Zusammenarbeit mit Michael Haneke, scheinen seine eigenen Regiewerke allerdings
etwas in den Schatten gerückt zu sein. Dabei sind sie Zeugnis jenes besonderen Auf-
bruchmoments in der österreichischen Filmgeschichte, in dem sich der Anspruch an
professionelle Autorenschaft erstmals einlöst. Eine Hommage in 15 Programmen
lädt ein, den Zauber des Lichts (neu) zu entdecken.

Eine weitere Kameraarbeit von Christian Berger wird im Rahmen der Reihe Das Museum geht
ins Kino gezeigt (S. 77).

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27
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

REBEL WITH A CAMERA
FLORIAN WIDEGGER

»M      ir ist eine Geschichte, oder besser gesagt, die Absicht, eine Geschichte zu
        erzählen, genauso wichtig wie einem Schriftsteller – nur: Ich will sie eben
mit fotografischen Bildern in einem gewählten Zeitausschnitt und -ablauf erzählen.
Das ist Film.«

Weil er sich weigert, sein Hemd bei der Matura bis ganz oben zuzuknöpfen, fliegt der
heute 75-Jährige damals von der Schule. So eröffnet sich plötzlich ein alternativer
Lebensweg und Berger beginnt eine Ausbildung zum Lichttechniker. Als Kamera­
assistent kehrt er schließlich zurück in seine Heimat Tirol und wird freier Mitarbeiter
beim ORF-Landesstudio.

In diese Zeit fällt auch seine Begegnung mit dem Universalgenie und Revoluzzer
Werner Pirchner, mit dem er die Satire DER UNTERGANG DES ALPENLANDES dreht
– eine Abrechnung mit den verkrusteten Strukturen des Landes ebenso wie mit
                                                                                          © Christian Berger, © Universal Pictures

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© Christian Berger
jenen, die sie am Leben erhalten. Natürlich löst der heutige Kultfilm bei seiner Aus-
strahlung einen Skandal aus – geschadet hat er den Karrieren der beiden allerdings
nicht. Anfang der 1980er-Jahre beginnt Berger als Kameramann an den Sets anderer
Regisseure zu arbeiten und legt 1984 mit RAFFL sein Langfilmdebüt vor: ein neuer
österreichischer Heimatfilm, geprägt von »Eigensinn seines Themas, Sorgfalt in sei-
ner Bild- und Tonsprache und karger, stiller Schönheit«, heißt es in der Jury-Begrün-
dung des Max-Ophüls-Preises.

Auch HANNA MONSTER, LIEBLING, sein zweiter Film, den er mit Ehefrau Marika
Green in der Hauptrolle dreht, feiert auf der ganzen Welt Erfolge, während er hierzu-
lande auf wenig Gegenliebe stößt. Wie seinen Kollegen Wolfram Paulus (bei dessen
NACHSAISON Berger die Kamera führt), Ernst Josef Lauscher, Niki List und Fritz
Lehner gelingt es ihm in den 1990er-Jahren immer schwerer, als Regisseur Projekte
auf den Weg zu bringen. Sein dritter und letzter Spielfilm MAUTPLATZ erzählt be-
zeichnenderweise im zusammenwachsenden Europa von den großen, unrealisierten
Träumen in der Welt.

Doch als Kameramann ist Berger gefragter denn je, was zum einen mit der Resonanz
seiner Arbeiten mit Michael Haneke zusammenhängt als auch mit der (konsequenten
Weiter-)Entwicklung seines Cine Reflect Lighting Systems, einer Beleuchtungsmethode,
die vor allem mit natürlichem Licht und Reflektoren arbeitet: »Ich wollte immer, dass
der Schauspieler, ein Gesicht oder eine Landschaft leuchtet, nicht die Lampe.« Ein
Anspruch, der Christian Berger nicht nur zahlreiche Auszeichnungen (u. a. Cinemato-
grapher of the Year für DAS WEISSE BAND) einbringt, sondern ihm den Weg bis nach
Hollywood ebnet.

                                                                                   29
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 DO 5.11., 19:00 | DO 12.11., 18:00 | SA 28.11., 20:00

RAFFL
Christian Berger, A 1984
BUCH Christian Berger, Markus Heltschl, nach einer Idee von Friedrich Christof Schmidt | KAMERA Christian Berger
MUSIK Bert Breit | MIT Lois Weinberger, Dietmar Schönherr, Barbara Weber, Barbara Viertl, Art Brauss, Franz Mössmer
98 min | Farbe, dt. OmeU, 35mm
30 Silberlinge erhielt Judas dafür, dass er Jesus verriet. 1.500 Gulden Kopfgeld sind
von den Franzosen, die Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Tiroler Berge ziehen,
auf den Freiheitskämpfer Andreas Hofer ausgesetzt – Geld, das der hoch verschulde-
te Bergbauer Franz Raffl dringend gebrauchen könnte. Und ausgerechnet er entdeckt
den geheimen Unterschlupf Hofers. Von allen immer nur ausgelacht und misshandelt,
liegen Schicksal und Zukunft der Heimat nun in seiner Hand. Er hadert – bis er davon
überzeugt ist, mit seinem Verrat den Frieden im Land retten zu können … Ein sprödes
wie fragiles Regiedebüt ist RAFFL, der dem österreichischen Nachkriegsfilm wie selten
zuvor neues Leben einhaucht, weit weg von falschem Heldentum: Die Geschichte eines
Verzweifelten. (fw)

DO 5.11.: In Anwesenheit von Christian Berger.
Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder.

30
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 FR 6.11., 18:30 | SA 14.11., 20:00 | SO 29.11., 20:00

HANNA MONSTER, LIEBLING
Christian Berger, A 1988
BUCH Christian Berger | KAMERA Christian Berger | MUSIK Carmel | MIT Marika Green, Hagnot Elischka,
Peter Turrini, Ignaz Kirchner, Rosemarie Wohlbauer
96 min | s/w, dt. OmeU, 35mm

In der Bergwelt Tirols führen Hanna und Leo eine idyllische Beziehung. Bald werden
sie zu dritt sein – doch bei der Geburt gibt es Komplikationen, die Ärzte wollen Hanna
nicht zu ihrem Baby lassen. Als sie heimlich erfährt, WAS sie auf die Welt gebracht
hat, will sie zunächst Selbstmord begehen, entschließt sich dann aber, ihr altes Leben
hinter sich zu lassen und macht sich auf in Richtung Nordsee … HANNA MONSTER,
LIEBLING ist ein Singulär des österreichischen Kinos und knüpft am ehesten noch
an die Tradition der aktionistischen Filme der 1960er- und 70er-Jahre an. So ist
dann auch Marika Greens Spiel vor allem als Performance zu verstehen. Die starken
Schwarz-Weiß-Bilder erzählen von einer Frau, die sich selbst sucht, findet und akzep-
tiert. Ein ungeheuer aktueller Film, der lange nicht mehr im Kino zu sehen war! (fw)

FR 6.11.: In Anwesenheit von Christian Berger und Marika Green.

                                                                                                      31
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 FR 6.11., 21:00
DER GLÄSERNE BLICK

Markus Heltschl, A 2004
BUCH Markus Heltschl | KAMERA Christian Berger
MUSIK Arnold Schönberg, Michael Galasso, Anouar
Brahem | MIT Klaus Pohl, Sylvie Testud, Miguel
Guilherme, Ana Bustorff
92 min | Farbe, franz./dt./engl. OmdU, 35mm

Die portugiesische Küste, westlich von Lissabon. Eine männliche Leiche wird ans Ufer
geschwemmt. In einem in der Nähe abgestellten Auto entdeckt Kommissar Pinto eine
Videokamera. Das Band zeigt eine junge Frau, die offenbar heimlich gefilmt worden
ist. Pinto findet sie, eine Musikstudentin aus Wien, die behauptet, nichts mit dem Tod
des Mannes zu tun zu haben. Doch hinter ihren Erklärungen tauchen neue Rätsel
auf ... Was ist die Wahrheit? Oder sollte die Frage anders gestellt werden, und gibt
es sie überhaupt, »die Wahrheit«? (red)

 SA 7.11., 18:30 | SO 15.11., 20:45
MAUTPLATZ

Christian Berger, A 1994
BUCH Christian Berger, Werner Sallmaier
KAMERA Christian Berger | MIT Markus Hering,
Magdalene Artelt, Yoshi Oïda, Gertraud Jesserer,
Michael Altmann, Marika Green
91 min | Farbe, dt. OF, 35mm

1994 entscheiden sich die Österreicher für den EU-Beitritt. An der Mautstation der
Brenner-Autobahn, wo Georg täglich seinen Dienst tut, ist Europa längst zusammen­
gewachsen. Hier treffen Nord und Süd, West und Ost aufeinander und brausen in unter-
schiedliche Richtungen weiter. Auch Georg träumt von weiten Reisen, vom Kajakfahren
am Amazonas, von der großen Liebe. Und doch sieht er immer nur die anderen
weiterziehen. Ein Heimatfilm der besonderen Art. (fw)

SA 7.11.: In Anwesenheit von Christian Berger und Marika Green.

32
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 SA 7.11., 20:30 | SO 15.11., 18:00
VORFILM: MON GUERLIAN: NOTES OF A WOMAN | Terrence Malick, US 2016 | 1 min | Farbe, engl. OF, DCP

BY THE SEA
Angelina Jolie, US 2015
BUCH Angelina Jolie | KAMERA Christian Berger | MUSIK Gabriel Yared | MIT Brad Pitt, Angelina Jolie,
Mélanie Laurent, Melvil Poupaud, Niels Arestrup
132 min | Farbe, engl. OmdU, DCP

Sehnsuchtsort Frankreich: Ein amerikanisches Ehepaar urlaubt in einem malerischen
Küstendörfchen. Er ist Schriftsteller in einer Schaffenskrise, sie eine ehemals erfolg-
reiche Tänzerin. Die Ehe bröckelt, man rauft sich zusammen, geht wieder getrennte
Wege, ersäuft seinen Kummer in Alkohol oder belauscht ein jüngeres Pärchen beim
Sex. Die Risse in der Beziehung werden immer deutlicher … Angelina Jolies dritter
Spielfilm als Regisseurin ist therapeutischer Exzess auf großer Leinwand, gnadenlos
bis ins Letzte durchgekaut, lässt dem Publikum kaum Raum zum Atmen. BY THE SEA
war und ist auf vielen Ebenen zum grandios-schönen Scheitern verurteilt. Bergers
betörende Kamera- und Lichtarbeit lässt einen dennoch immer wieder staunend
hinschauen – und verstehen. (fw)

SA 7.11.: In Anwesenheit von Christian Berger.

                                                                                                        33
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 SO 8.11., 16:30
WERKSTATTGESPRÄCH
MIT CHRISTIAN BERGER
 EINTRITT FREI

                                                                                             © Christian Berger
Wenn es einen Themenkomplex gibt, der Christian Berger in seiner nahezu 50 Jahre
langen Profession als Kameramann beschäftigt hat, dann ist es wohl das Licht. Die
konsequente Auseinandersetzung damit hatte sogar die Entwicklung eines eigenen
Beleuchtungssystems zur Folge. Über die Herausforderungen und Veränderungen,
die mit dem Wandel von der analogen zur digitalen Aufzeichnung einhergehen,
spricht Berger gemeinsam mit seinem langjährigen Mitarbeiter Jakob Ballinger.
Moderiert wird das Gespräch von Kameramann Fabian Eder. (red)

 SO 8.11., 21:00
TRENNUNG

Amos Gitai, IL/I/D/F 2007
DISENGAGEMENT | BUCH Amos Gitai, Marie-Jose
Sanselme | KAMERA Christian Berger
MIT Juliette Binoche, Liron Levo, Jeanne Moreau,
Barbara Hendricks, Dana Ivgy
115 min | Farbe, dF, DCP

Ana lebt in Frankreich. Als ihr Vater stirbt, reist Bruder Uli aus Israel an. Als Polizist
in einer Spezialeinheit steht ihm der Einsatz bevor, der als »Disengagement«
(hebräisch: »Hitnatkut«) in die Geschichte einging: die Evakuierung der israelischen
Siedlungen im Gazastreifen während der Zweiten Intifada. Ana erfährt, dass ihre
leibliche Tochter in einer der Siedlungen lebt. Gemeinsam treten die Geschwister
eine Reise an ... Trennung als Motiv: zwischen Familienmitgliedern, Beziehungspart-
nern, Menschen und ihrem Zuhause. (red)

34
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 SO 8.11., 18:00 | DO 26.11., 20:45

DAS WEISSE BAND –
EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE
Michael Haneke, D/A/F/I 2009
BUCH Michael Haneke | KAMERA Christian Berger | MIT Christian Friedel, Leonie Benesch, Burghart Klaußner,
Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Fion Mutert, Michael Kranz, Steffi Kühnert, Josef Bierbichler, Susanne Lothar,
Birgit Minichmayr, Ernst Jacobi (Erzähler) 144 min | s/w, dt. OF, 35mm

Ein Dorf im protestantischen Norden Deutschlands, am Vorabend des Ersten Welt-
kriegs. Der Arzt stürzt mit seinem Pferd über ein gespanntes Seil, ein Kind wird ent-
führt und gefoltert, eine Scheune in Brand gesteckt. Kein Täter in Sicht. Eine (un)
heimliche Gewalt durchzieht auch das Dorf-Innenleben, es wird gedemütigt, misshan-
delt, gezüchtigt, gestraft. Die Unschuld, die das weiße Band symbolisiert, das der
Pastor seine Kinder zur Ermahnung tragen lässt, ist längst verloren … Hanekes
Studie über ein Klima, das Radikalismus den Boden bereitet – radikal in Nüchternheit
und Präzision und von einer visuellen Wucht, die Christian Berger den bislang größ-
ten Erfolg und unzählige Auszeichnungen einbrachte. Seine fünfte Zusammenarbeit
mit dem Regisseur: Ein tiefer Sprung nicht nur in die deutsche Seele. (red)

SO 8.11.: In Anwesenheit von Christian Berger.

                                                                                                             35
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 DI 10.11., 21:00
ETHNISCHE IDYLLEN
SKIZZEN AUS EINEM NACHKRIEGSLAND –
KROATIEN 95/96/97

Christian Berger, A 1998
BUCH Christian Berger | KAMERA Christian Berger
85 min | Farbe, dt./kroat. OmeU, DCP

»Mich interessiert die Ereignislosigkeit als Thema, weil es so einen Verschleiß an
medialen Bildern des Krieges gibt.« (Christian Berger) Die Besucher dieser Zweifach-
projektion sind vor die Wahl zwischen zwei visuellen Wahrnehmungsmöglichkeiten
gestellt: links oder rechts ist jeweils ein Bild zu verfolgen, während ein zentraler Ton
eine weitere Orientierungsmöglichkeit bietet. In der Konfrontation zweier Bilder, in
der durch die Gleichzeitigkeit markierten Differenz liegt das Jetzt der Erkennbarkeit.
(Christa Blümlinger)

 MI 11.11., 18:30
DIE WILDEN KINDER

Christian Berger, A 1988
BUCH Christian Berger, Monika Helfer, nach
ihrem Roman | KAMERA Christian Berger
MIT Julia Plitzner, Gila von Weitershausen,
Krista Posch, Wolfgang Böck, Irene Rützler
60 min | Farbe, dt. OF, DCP

Dass sich auch hinter vermeintlich »kleinen« Fernseharbeiten wie diesem knappen
Einstünder Perlen verbergen können, beweist die Verfilmung von Monika Helfers
gleichnamigem Roman: In einer chaotischen Welt der Erwachsenen hegen Bella und
Angela ihre eigenen Träume vom Glück. Bella hofft beim dritten Ehemann ihrer Mut-
ter auf ein geordnetes Leben, Angela setzt auf ihre frühreif-sinnliche Ausstrahlung.
Dabei müssen sie mehr und mehr feststellen, dass sie selbst langsam erwachsen
werden … Ein echter Geheimtipp! (fw)

36
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 MI 11.11., 20:00 | MI 2.12., 20:15
DIE NACHT DER
1000 STUNDEN

Virgil Widrich, LUX/A/NL 2016
BUCH Virgil Widrich | KAMERA Christian Berger
MIT Laurence Rupp, Amira Casar, Barbara Petritsch,
Elisabeth Rath, Linde Prelog
92 min | Farbe, dt. OF, DCP

Als Philip die Geschäfte seines Vaters übernimmt, wird er mit seinen verstorbenen
Vorfahren konfrontiert. In einer langen Nacht deckt er nach einem Mord, einer verbo-
tenen Liebe und einem Spiel mit falschen Identitäten ein streng gehütetes Familien-
geheimnis auf … Joachim Kurz: »Das Tollkühne an dem Film ist, dass er versucht,
nicht nur Blickwinkel zu vermischen, sondern gleich ganze Sphären, die wir sonst
stets getrennt voneinander betrachten.« (red)
MI 11.11.: In Anwesenheit von Virgil Widrich.

 DO 12.11., 20:00 | MO 23.11., 18:00
BENNY’S VIDEO

Michael Haneke, A/CH 1992
BUCH Michael Haneke | KAMERA Christian Berger
MIT Arno Frisch, Ulrich Mühe, Angela Winkler,
Ingrid Stassner, Stephanie Brehme
110 min | Farbe, dt. OF, DCP

Szenen einer Hausschlachtung. Der Bolzenschussapparat wird angesetzt, das
Schwein ringt mit dem Tod. Rewind. Benny, wohlstandsverwahrloster Sohn aus gutem
Hause, thront zwischen Monitoren und Abspielgeräten. Verschanzt in seinem Ein-
Zimmer-Reich ediert er seine Erfahrungen, kehrt immer wieder zur Szenerie der
familiären Schlachtung zurück. Als er vor einer Videothek einem Mädchen begegnet,
führt dies nicht zu pubertär-sexuellen Spielereien, sondern zum Mord. Der Tod in
Slow Motion, als Wirklichkeitstest. (sb)

                                                                                     37
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 FR 13.11., 21:00 | DO 26.11., 18:00
A NAGY FÜZET

János Szász, D/F/A/H 2013
DAS GROSSE HEFT | BUCH Janos Szász, András
Szekér, nach dem Roman von Agota Kristof
KAMERA Christian Berger | MIT András Gyémánt,
Lásló Gyémánt, Piroska Molnár, Ulrich Thomsen
100 min | Farbe, ungar. OmdU, 35mm

Zwei junge Zwillingsbrüder verbringen das Ende des Zweiten Weltkrieges in einem
kleinen Dorf bei ihrer Großmutter, einer eigenwilligen, abgebrühten Frau, dem Alko-
hol nicht abgeneigt und die Einsamkeit gewohnt. Für notdürftige Kost und Unter-
kunft lässt sie die beiden hart arbeiten. Auf sich selbst gestellt, lernen sie schnell,
sich abzuhärten und schreiben ihre Erlebnisse in einem Notizbuch auf: Die erschüt-
ternde wie faszinierende Erzählung von zwei Kindern, die viel zu früh gezwungen
sind, erwachsen zu werden. (red)

 MI 18.11., 21:00
ATEMNOT

Käthe Kratz, A 1984
BUCH Peter Turrini | KAMERA Christian Berger
MUSIK Konstantin Wecker, Dead Nittels
MIT Henriette Cejpek, Johannes Silberschneider,
Maria Martina, Andreas Vitasek, Paola Loew
97 min | Farbe, dt. OF, 16mm

Die Geschichte von Menschen, von denen man nur hört, wenn eine gesteigerte
Selbstmordrate verlautbart wird: Zwei junge Werther beiderlei Geschlechts landen
auf der Baumgartner Höhe. Sie finden Sinn und Liebe zwischen Polizeiräumung,
Existenzgeschwafel und Headbanger-Konzert in der Subkultur. In ATEMNOT widmet
sich Käthe Kratz unter anderem in der zerfallenden Gasser-Gasse dem Phänomen
Punk, ganz anders und testosteronbefreiter als Franz Novotny in EXIT oder Dieter
Berner in ICH ODER DU. (Paul Poet/red)

38
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE

 DI 17.11., 18:00 | MO 23.11., 20:15
VORFILME:
DER UNTERGANG DES ALPENLANDES | W. Pirchner/C. Berger, A 1974 | 30 min | Farbe, dt. OF, DCP
LANDLEBEN | Christian Berger, A 1995 | 18 min | Farbe, dt. OF, DCP

LICHTTAGE LICHTNÄCHTE –
CHRISTIAN BERGER IM FILM
Eva Testor, A 2015
BUCH Eva Testor | KAMERA Eva Testor, Nina Kusturica, Jörg Dulsky | MUSIK Tribidabo 49 min | Farbe, dt. OF, DCP

Gemeinsam mit Musiker und Querkopf Werner Pirchner kreiert Berger »eine Samm-
lung bizarrer Hörbilder gegen Klerus, Militär, Patrioten, Volkstümler und andere
österreichische Versteinerungen« (Ulrich Olshausen), die bei ihrer Premiere standes-
gemäß einen Skandal auslöst. LANDLEBEN besteht aus Aufnahmen, gedreht in den
1970er-Jahren, die Berger erst 20 Jahre später montiert: Bilder und Töne als Reak­
tion auf seinen desillusionierenden Arbeitsalltag als junger TV-Kameramann. Den
Nachwuchs formt er später lange Zeit selbst: Mit seinen StudentInnen begibt er sich
jährlich auf Exkursion und widmet sich dabei dem Licht in Film und Kunst. Eva Testor,
einst selbst seine Schülerin, begleitet eine dieser Reisen und entlockt ihm in ihrem
Porträtfilm erhellende An- und Einsichten. (fw)

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25 JAHRE
AMOUR FOU
EINE EUROPÄISCHE
FILMPRODUKTION
RETROSPEKTIVE VOM 12. NOVEMBER BIS 2. DEZEMBER 2020

E  s ist kein großes Geheimnis, dass runde Jubiläen sich immer besonders dazu eig-
   nen, Rückschau zu halten auf das, was geschaffen und geschafft wurde. Auch die
Programmarbeit des Filmarchiv Austria verweist so immer wieder auf wesentliche
filmhistorische Momente oder herausragende Persönlichkeiten. Produktionsfirmen
auf diese Weise zu ehren, ist schon ein eher seltenes Unterfangen, zumal die Amour
Fou mit ihren 25 Jahren auch verhältnismäßig jung ist. Blickt man jedoch auf das
knapp über 100 Arbeiten umfassende Portfolio (Stand September 2020), so offen­
baren sich darin eine besondere Leidenschaft und große künstlerische Visionen,
die mit jedem neuen Projekt einen Schritt weiter vorangetrieben werden.

Weitere Produktionen der Amour Fou werden mit DIE NACHT DER 1000 STUNDEN (S. 37) und
A NAGY FÜZET (S. 38) auch in der Christian-Berger-Retrospektive sowie mit INVISIBLE SUE –
PLÖTZLICH UNSICHTBAR (S. 63) im Rahmen der Kinder Kino Klassiker gezeigt.

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AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE

FILMEN ZWISCHEN
LUXEMBURG UND WIEN
FLORIAN WIDEGGER

V   ielleicht ist es gar kein so großer Zufall, dass im vereinten Europa Mitte der
    1990er-Jahre zwei aus unterschiedlichen Ländern und Filmbereichen kommende
Kreative die Idee haben, gemeinsam eine Produktionsfirma zu gründen: Bady Minck
ist zu dieser Zeit bereits eine international erfolgreiche Filmkünstlerin, Alexander
Dumreicher-Ivanceanu arbeitet zuvor als Kritiker und Kurator. Zunächst noch ein
Verein, der innovative Filme in die Kinos bringen sollte, wird daraus bald eine Firma,
die kurze Zeit als Minotaurus Film operiert, bevor »Amour Fou« als Name feststeht.
Anfangs ist sie noch hauptsächlich in Luxemburg aktiv, die Wiener Dependance
kommt erst zu Beginn der Nullerjahre dazu.

Inzwischen ist die Amour Fou im europäischen Kontext ein Player, der – auch im Ver-
bund mit anderen nationalen oder internationalen Produktionsfirmen – künstlerisch
herausragende Filme, die vor allem vom Willen zur eigenen Handschrift geprägt sind,
mit auf die Welt bringt. Schon die ersten Arbeiten – etwa Virgil Widrichs FAST FILM
oder Bady Mincks IM ANFANG WAR DER BLICK – gewinnen Preise auf renommierten
Festivals, es folgen nicht minder Aufsehen erregende Filme wie György Pálfis bizarrer

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TAXIDERMIA oder Anja Salomonowitz’ formal wie inhaltlich radikaler KURZ DAVOR
IST ES PASSIERT. Nach internen Umstrukturierungen wird es kurzzeitig etwas
ruhiger, bis mit HANNAH ARENDT unter der Regie von Margarethe von Trotta ein
prestigeträchtiger Arthouse-Erfolg entsteht. Darauf aufbauend entwickeln sich
weitere über Österreichs Grenzen hinaus produzierte Titel wie Michael Sturmingers
CASANOVA VARIATIONS oder STYX von Wolfgang Fischer. Mittlerweile hat man
auch Europa hinter sich gelassen, was Filme wie YALDA von Massoud Bakhshi oder
RED FIELDS von Keren Yedaya beweisen.

Neben solchen groß angelegten Projekten haben Minck und Dumreicher-Ivanceanu
ihre Wurzeln allerdings nie vergessen: Bis heute bestimmen ambitionierte Genregrenz-
gänger, die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Politik, Gesellschaft und Kunst auf
anregende Weise neu zu denken wagen, das Hauptprogramm der Amour Fou. Diese
Wege mit jedem Film aufs Neue zu beschreiten, dabei Risiken einzugehen und Heraus-
forderungen nicht zu scheuen – das ist vielleicht jene leidenschaftliche, rasende Liebe
zum Kino, die für die Namenswahl der Produktionsfirma maßgeblich war.

Die Retrospektive soll nichts weniger als eine Einladung sein, einige Schritte dieses
Weges mitzugehen. Bei zahlreichen Vorstellungen werden die FilmemacherInnen ihre
Arbeiten vorstellen. Außerdem erscheint ein Sonderheft des ray Filmmagazins, das
weitere Einblicke in die Vergangenheit und Zukunft der Amour Fou gibt und im Kino
aufliegen wird.

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AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE

 DO 12.11., 19:00 | SO 22.11., 21:00

CASANOVA VARIATIONS
Michael Sturminger, F/A/D 2014
BUCH Michael Sturminger, Markus Schleinzer | KAMERA André Sankowski | MUSIK Orchester Wiener Akademie
MIT John Malkovich, Veronica Ferres, Florian Boesch, Miah Persson, Topi Lehtipuu, Fanny Ardant, Jonas Kaufmann,
Martin Haselböck 118 min | Farbe, engl. OmdU, DCP

Mozart meets Malkovich meets Casanova: Giacomo Casanova hadert allein in einem
abgeschiedenen Schloss in Böhmen mit seinem Leben. Da erscheint die ebenso schö-
ne wie mysteriöse Elisa van der Recke auf der Bildfläche und haucht dem gealterten
Frauenheld neue Lebensfreude ein. CASANOVA VARIATIONS fängt den Mythos des
größten Verführers aller Zeiten ein. Seine Geschichte findet dabei nicht nur filmisch
Ausdruck, sondern auch in einigen der schönsten Opernarien der Welt, wodurch sich
eine fesselnde Erzählung seiner Abenteuer und Leidenschaften entspinnt und ver-
schmilzt zu »einem traumhaft irrlichternden, hochästhetischen Hybrid, in dem Zeitebe-
nen, Szenarien, Figuren, selbst verschiedene Genres verschwimmen.« (Kurier) (red)

DO 12.11.: In Anwesenheit von Michael Sturminger, Bady Minck und Alexander
Dumreicher-Ivanceanu.
Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder.

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AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE

 FR 13.11., 20:00 | SO 29.11., 21:00
PAS DE REPOS
POUR LES BRAVES
Alain Guiraudie, F/A 2003
KEINE RUHE FÜR DIE HELDEN | BUCH Alain Guiraudie
KAMERA Antoine Héberlé | MIT Thomas Suire,
Thomas Blanchard, Laurent Soffiati, Vincent
Martin, Pierre-Maurice Nouvel, Nicole Huc
107 min | Farbe, franz. OmdU, 35mm

Der junge Basile hat von einem gespenstischen Wesen geträumt. Es gilt als Zeichen
dafür, dass der nächste Schlaf auch sein letzter sein wird. Er erzählt Igor davon und
erweckt seine Neugier. Unter dem Schlafentzug verändert sich sein Leben radikal
und wird immer surrealer: Was ist noch Wirklichkeit und was ist Wachtraum? Die
französische Provinz wird zu einem Ort voller Abenteuer, in denen Guiraudie einmal
mehr vom Übergang zwischen Jugend und Erwachsenenalter erzählt. (fw)

 SA 14.11., 18:30 | FR 27.11., 18:00
BUNICA

Elke Groen/Ina Ivanceanu, A/LUX 2005
KAMERA Elke Groen | MIT Ana Ionescu-Aslan, Elena
Ivanus, Costel Gramada, Gelu Voican-Voiculescu,
Alexandrou Paleologu, Anca Kosoveanu u. a.
80 min | Farbe, rumän./franz. Omd/eU, DCP

»Bunica«, das ist die 89-jährige Ana Ionescu. Aufgewachsen im Bukarest der
1920er-Jahre, hat sie vom König bis zum Diktator die großen Umwälzungen Rumä­
niens miterlebt. Ihre bewegte Geschichte führt auch zu der von anderen, zu anderen
Wirklichkeiten, An- und Aussichten. Verknüpft mit Archivmaterial entsteht so eine
faszinierende Zeit- und Stimmungsreise durch ein Land, das geprägt ist von Brüchen,
Widersprüchen und Überraschungen. (red)

SA 14.11.: In Anwesenheit von Elke Groen und Ina Ivanceanu.

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AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE

 SA 14.11., 21:00 | DI 24.11., 20:15

TAXIDERMIA
György Pálfi, H/A/F 2006
BUCH Zsófia Ruttkay, György Palfi, nach dem Roman von Lajos Parti Nagy | KAMERA Gergely Pohárnok
MUSIK Amon Tobin, Albert Márkos | MIT Csaba Czene, Gergö Trócsányi, Marc Bischoff, István Gyuricza,
Piroska Molnár, Gábor Máté, Géza D. Hegedüs, István Hunyadkürti u. a.
91 min | Farbe, ungar. OmdU, 35 mm

Feuerfetisch, Masturbation, Geschlechtsakt, Verstümmelung, Gewalt, Speiberei,
Pferdesülze und überdimensionale Katzen. Über drei Zeitebenen, die sich von den
1940ern bis in die Gegenwart erstrecken, führt uns TAXIDERMIA von einem Extrem
ins nächste. Mit surrealistischen, absurden und zumeist Darstellungen jenseits des
»guten Geschmacks« verfolgen wir die Entwicklung von drei Generationen einer
Familie im Ungarn des 20. Jahrhunderts: vom jungen Leutnant im Zweiten Weltkrieg
über einen Kampfesser bis hin zum Tierpräparator. Trickelemente und außergewöhn­
liche Kameraeinstellungen unterstützen das befremdliche Gefühl, das die Geschichten
auszulösen vermögen. Ein monströser, fantastischer und visuell beeindruckender
Film. Und nichts für schwache Nerven und/oder Mägen! (kh)

SA 14.11.: In Anwesenheit von György Pálfi, Zsófia Ruttkay, Alexander Dumreicher-
Ivanceanu, Bady Minck und Gabriele Kranzelbinder.

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AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE

 SO 15.11., 18:30 | DO 26.11., 20:15

STYX
Wolfgang Fischer, D/A 2018
BUCH Ika Künzel, Wolfgang Fischer | KAMERA Benedict Neuenfels | MUSIK Dirk von Lowtzow
MIT Susanne Wolff, Gedion Wekesa Oduor, Kelvin Mutuku Ndinda
90 min | Farbe, dt./engl. OmdU, DCP

Rike, Notärztin in Köln, begibt sich allein auf einen Segeltörn zur »paradiesischen«
Insel Ascension. Nach einer heftigen Sturmnacht, vor der ihr von einem Schiff auf
gleicher Route bei Problemen Unterstützung zugesagt wird, entdeckt sie ein hava-
riertes Flüchtlingsboot und setzt einen Notruf ab. Menschen gehen über Bord, doch
Rike erhält von der Küstenwache die strikte Anweisung, nicht einzugreifen. Sie rettet
einen Jungen, der es bis zur Yacht geschafft hat, während Hilfe von allen Seiten aus-
bleibt … Fünf Jahre nach dem großen »Flüchtlingsstrom« sind solche Szenen längst
von der Bildfläche gespült. Umso bildgewaltiger, voller mythischer Anspielungen
veranschaulicht STYX sowohl den politisch institutionalisierten Zynismus als auch
die konkrete Konfliktsituation. Ein Film ohne viel Worte, ohne Antworten. Er stellt
schlicht Überlebensfragen. (sb)

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