AUSTRIAN AUTEURS - KINO KULTUR HAUS 11/2020 - Filmarchiv Austria
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
INHALT AUSSTELLUNG KINO WELT WIEN | BIS 10.1.2021 04 DIGITALES HEIMKINO BEGLEITPROGRAMM ONLINE | AB 26.10. 08 RETROSPEKTIVEN V'20: AUSTRIAN AUTEURS | 26.10.–20.11. 10 CHRISTIAN BERGER | 5.11.–2.12. 26 25 JAHRE AMOUR FOU | 12.11.–2.12. 40 FILM | UNIVERSITÄT VON CALIGARI BIS HITLER | 9.11.–30.11. 58 FILM NOIR RELOADED | 24.11.–1.12. 60 REIHEN KINDER KINO KLASSIKER | 7.11.–29.11. 62 LIVING COLLECTION | 9.11. 64 SECOND LIFE | 10.11.–1.12. 66 JÜDISCHER FILMCLUB WIEN | 25.11. 68 WILD FRIDAY NIGHT | 27.11. 70 EIN ABEND MIT | 2.12. 72 SPECIALS PODIUMSDISKUSSION: PUSZTA-POPULISMUS | 13.11. 74 DAS MUSEUM GEHT INS KINO | 16.11. 76 100 JAHRE CALIGARI | 26.11.–29.11. 78 FESTIVAL MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL | 18.11.–22.11. 80 SATYR FILMWELT 84 CLUB 86 SPIELPLAN 88
PROGRAMM 23.10.–2.12.2020 Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Mit dem laufenden Spiel- und Ausstellungsbetrieb sind entsprechende Covid-19-Schutzmaßnahmen verbunden (reduzierte Sitzplatzanzahl, verpflichtendes Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Abstandsregel etc.). Ausführliche Informationen dazu finden Sie laufend aktualisiert auf www.filmarchiv.at. © VALIE EXPORT/Top-Film Wir freuen uns auf Ihren Besuch und wünschen weiterhin ein schönes Kinoerlebnis! Ihr Filmarchiv-Team
EDITORIAL D ie 1970er-Jahre – für das österreichische Kino ein Jahrzehnt des Aufbruchs, an dessen Ende (endlich) ein staatliches Filmförderungswesen steht. Die diesjährige Viennale- Retro spektive Austrian Auteurs erzählt von diesem historischen Wendepunkt und den spannenden künstlerischen, organisato- rischen und von Freiheitsdrang getriebenen Neuformierungen in der heimischen Filmlandschaft. Rebellion und Innovation treffen auch in der Person von Christian Berger aufeinander, als Kameramann weltweit erfolgreich und bekannt vor allem für seine Kollaborationen mit Michael Haneke. Ihm ist die zweite Retrospektive im November gewidmet, die ein Licht auf seine eigenen Regiearbeiten wirft. Jubiläen liefern immer einen guten Grund zur Rückschau – im Fall einer Produktions- firma dennoch unüblich. Das Filmarchiv Austria gratuliert der Amour Fou zu einem Vierteljahrhundert verrückter Kinoliebe und präsentiert eine Auswahl aus dem rund hundert Filme umfassenden bisherigen Schaffen. Das jubilarische Jahrhun- dert vollendet hat dagegen Robert Wienes expressionistischer Klassiker DAS CABINET DES DR. CALIGARI, der bis heute in der Filmkultur seine Runden zieht. Im Vergleich zu anderen Phänomenen eine schöne Präsenz und Permanenz. Ernst Kieninger und das Filmarchiv-Team 3
E LT U RG ESCHICHT E EINE KU HER TRAUMORT DTISC STÄ AUSSTELLUNG BIS 10. JÄNNER 2021 D ie aktuelle Ausstellung im METRO Kinokulturhaus widmet sich einem der zentra- len urbanen Orte des 20. Jahrhunderts – dem Kino. Im Mittelpunkt stehen die Veränderungen der Kinolandschaft in ihrer fast 125 Jahre umfassenden Geschichte. Heute hat Wien knapp 30 Kinos, aber was ist von den über 200 Lichtspielhäusern geblieben, die lange Zeit das Bild der Stadt und das Leben der Menschen geprägt haben? Neben einer Vielzahl an Fotografien versammelt die Schau besondere Erinnerungsstücke aus ehemaligen Wiener Kinos, wie einen Elektrisierautomaten aus dem Zentral-Theater in Ottakring, die Kassentür des Imperial, die Anzeigetafel des letzten Spieltages des Auge Gottes, die originalen Sessel des Kinoarchitekten Robert Kotas aus dem Gartenbau und noch vieles mehr. Was war oder ist »Ihr« Kino? Das Filmarchiv Austria sammelt Ihre persönlichen Geschichten und Kinoerinnerungen: 0800 220 242 (MO–DO, 10:00–16:00) oder kinoerinnerungen@filmarchiv.at. 4
»KINO WELT WIEN« IN DEN BEZIRKSMUSEEN UND WIENER KINOS D ie Ausstellung »Kino Welt Wien« thematisiert auch die Funktion der Kinos als öffentliche Orte, als kulturelle Nahversorger in allen Bezirken der Stadt. Als Referenz an diese einst flächendeckende urbane Infrastruktur ruft das Filmarchiv Austria die lokale Kinogeschichte Wiens in den Bezirksmuseen und in ausgewählten Kinobetrieben wieder in Erinnerung. Dort werden die wichtigsten historischen und aktuellen Kinoorte der jeweiligen Bezirke in Form von Sammelkarten zum Mitnehmen präsentiert. Mit einem aktuellen Ticket eines Partnerkinos erhalten Sie einen vergünstigen Besuch in der Ausstellung »Kino Welt Wien« im METRO Kinokulturhaus. 6
KINO WELT WIEN | AUSSTELLUNG KULTURVERMITTLUNG IN DER »KINO WELT WIEN« Das Filmarchiv Austria bietet ein zielgruppenorientiertes Vermittlungsprogramm für Schüler- und Studentengruppen sowie Individualpersonen an. Für Gruppen sind Führungen auch außerhalb der Öffnungszeiten (vormittags) buchbar. Bitte richten Sie Ihre Anfrage an kulturvermittlung@filmarchiv.at. Die Teilnahme an Führungen ist ohne Mehrkosten zum Eintrittspreis möglich. Es gilt eine maximale TeilnehmerInnenzahl von 10 Personen (Änderungen corona bedingt vorbehalten). Anmeldung erforderlich bis zwei Tage vor dem Termin unter reservierung@filmarchiv.at. Weitere Informationen auf www.filmarchiv.at/education. SA 14.11., 16:00 | MI 18.11., 18:00 | MI 25.11., 18:00 THEMENFÜHRUNG In unseren Themenführungen durchwandern Sie historische und aktuelle Kinogrätzel, erkunden den Apparat Kino und die wechselvolle Wiener Kinogeschichte. SA 14.11., 14:45 DAUMENKINO-WORKSHOP Passt ein Film in eine Hosentasche? Und wie funktioniert eigentlich ein Kino? Kinder zwi- schen 6 und 13 Jahren sind eingeladen, das METRO Kinokulturhaus und die Kinogeschichte Wiens zu entdecken. Der Workshop findet im Rahmen des WIENXTRA-Kinderaktiv-Programms statt (ermäßigter Preis mit Aktivcard). Dauer: jeweils 60 min Führung: 7,50 | ermäßigt 6,– | Club/Uni-Club 5,– Workshop: pro Kind und Begleitperson 6,– | mit Aktivcard 4,50 7
DIGITALES HEIMKINO Filmerbe online kostenlos auf www.filmarchiv.at Im März 2020 stand das Filmarchiv Austria vor der Herausforderung, auf die Corona- Pandemie und die damit verbundene Spielpause zu reagieren: Bereits eine Woche nach der Schließung des METRO Kinokulturhauses wurden Teile des geplanten Pro- grammes ins Netz gestellt. Ein Konzept mit Zukunft, wie sich bald zeigte, mit enor- mer Reichweite und Resonanz. Das Heimkino bietet kostenlos die Möglichkeit eines breiten Zugangs zum Filmerbe Österreichs, darunter Schlüsselwerke des Spielfilms, Wochenschauberichte, rare Dokumentar- und Amateuraufnahmen oder zum Teil erstmals zu sehende historische Filmdokumente. Die Beiträge werden sorgfältig kuratiert und begleiten ausgesuchte Schwerpunkte. Zur Viennale-Retrospektive werden weitere spannende Arbeiten der Austrian Auteurs kostenlos ab 26.10. abrufbar sein, Programminfos und Details dazu ab Oktober auf www.filmarchiv.at. 9
AUSTRIAN AUTEURS DIE 70ER – EINE FILMDEKADE IM AUFBRUCH RETROSPEKTIVE ZUR VIENNALE VOM 26. OKTOBER BIS 20. NOVEMBER 2020 K aum eine Filmdekade wird heute unter Cineasten derart kultisch verehrt und verklärt wie die 1970er-Jahre: das Jahrzehnt, in dem sich Hollywood neu erfindet, Autorenfilme radikale Seherfahrungen ermöglichen und im Genrekino Grenzen ge- sprengt werden. Und in Österreich? Während für die kommerziellen »Altfilmer« der Zug abgefahren ist, bilden sich an den Rändern neue Strömungen. Die Branche professionalisiert und organisiert sich. Und es entstehen, teils unter haarsträubenden und selbstausbeuterischen Voraussetzungen, einige bemerkenswerte Filme, die von enormem Freiheitsdrang, künstlerischer Neugierde und dem unbändigen Wunsch geprägt sind, dem Kino einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Für die Vorstellungen bis einschließlich 1. November erfolgt der Ticketverkauf ausschließlich online oder über die Vorverkaufsstellen der Viennale. 10
11
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE REGELN BRECHEN, UM SIE NEU ZU ERFINDEN FLORIAN WIDEGGER D as Jahr 1980 markiert einen wesentlichen Wendepunkt in der Geschichte des österreichischen Kinos. Mit der Einführung des Filmförderungsgesetzes erhält das Land als eines der letzten in Westeuropa ein staatliches Filmförderungswesen – zehn Jahre nach der ersten Ankündigung. Schon zu Beginn der 1960er-Jahre entdecken bildende KünstlerInnen das Medium Film für sich und feiern damit – vor allem im Ausland – große Erfolge. Marc Adrian, Peter Kubelka oder VALIE EXPORT sind Avantgarde im wahrsten Wortsinn: Vorkämp- ferInnen für eine Entwicklung, die im weiteren Verlauf auch in der Spielfilmproduk tion ankommt. Zusätzlich führt die Programmreform im ORF dazu, dass das junge Medium Fernsehen sich zumindest eine Zeit lang jenen Mut erlaubt, den das Kino dieser Jahre so schmerzlich vermissen lässt. In den insgesamt 15 Programmen, von denen fünf im Rahmen der Viennale präsen- tiert werden, zeigt Austrian Auteurs, dass es in dieser Zeit des Übergangs auch im Kino spannende Positionen und Ausnahmen gibt. Es geht einher mit Impulsen aus Theater, Literatur, Malerei, Musik oder Performance, ist nicht nur aus der Inspiration aus anderen Künsten, sondern auch anderen Kulturen gespeist. Und es ist nicht am Publikumsgeschmack ausgerichtet, will einzig dem eigenen künstlerischen Anspruch gerecht werden und richtet dabei einen frischen Blick auf die Wirklichkeit. Die »Austrian Auteurs« sind in bestem Sinn auch »Amateure«, die – bevor sie alten Regeln folgen – erst neue finden und erproben. 12
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE © Peter Hermann/Top-Film Mit all dem verbunden ist auch die zunehmende Professionalisierung innerhalb der Branche. Erstmals organisiert man sich in Berufsverbänden und sorgt dafür, dass die eigene Arbeit sichtbar wird (so auch auf der Viennale, wo dem heimischen Kino unter dem vielsagenden Label »Informationsveranstaltung« Platz eingeräumt wird). Die daraus resultierenden Diskussionen kreisen stets um die Frage, was der österreichische Film eigentlich ist und sein soll. Mit dem Ende der nahezu »anarchi- schen« Zustände finden viele, die in den 1970er-Jahren diesen Mittelbau zwischen Kommerz und Kunst darstellen, keinen Platz mehr, die wenigsten von ihnen werden in den 80ern oder gar darüber hinaus noch Filme machen, etliche geraten in Ver gessenheit. Gerade in einer Zeit, in der sich das Kino selbst wieder infrage stellt, lohnt es umso mehr, einen Blick auf diesen historischen Wendepunkt zu werfen und vielleicht den ein oder anderen Gedanken daraus zu ziehen. Dazu soll diese Filmschau einladen. 13
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE MO 26.10., 18:30 | FR 6.11., 18:00 DIE ERSTEN TAGE Herbert Holba, A 1970 BUCH Herbert Holba, Wilhelm Pellert, Ernst A. Ekker | KAMERA Xaver Schwarzenberger | MUSIK Paternoster MIT Ariane Niehoff, Olga Felber, Heinz Herki, Karl-Heinz Hayek, Gerhard Stingl, Wilhelm Pellert, Josef Frieser, Heimo Wisser 77 min | s/w, dt./franz. ZT, DCP Eine Gruppe halbwüchsiger Nomaden irrt nach der Zerstörung der Zivilisation durch ein »Niemandsland zwischen gestern und morgen« und trifft dabei auf Einzelgänger und andere Überlebende. Dabei entspinnen sich tödliche Machtkämpfe. Ist ein Mitein- ander in der Apokalypse überhaupt möglich? »Ein Kinematogramm mit Musik und Geräuschen« nennt Holba seinen einzigen abendfüllenden Spielfilm, gewidmet den Gebrüdern Skladanowsky sowie Manfred Noa und Otto Rippert. DIE ERSTEN TAGE ist nichts weniger als der Versuch, ein ursprüngliches, reines Kino wiederzufinden, das sich dennoch nicht davor scheut, politisch und poppig zu sein. Die Musik stammt von der kurzlebigen, heute umso kultischer verehrten Austro-Progrock-Band Paternoster. Ein Trip, der Augen, Ohren, Herzen und Hirne gleichermaßen zu öffnen vermag! (fw) MO 26.10.: In Anwesenheit von Wilhelm Pellert und Xaver Schwarzenberger. 14
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE DI 27.10., 18:30 | SA 7.11., 18:00 DIE GLÜCKLICHEN MINUTEN DES GEORG HAUSER Mansur Madavi, A 1974 BUCH Mansur Madavi, Dieter Schrage, Wilhelm Diem | KAMERA Mansur Madavi | MUSIK Ingrid Fessler, Ivan Tomek, H. Kurz-Goldstein | MIT Walter Bannert, Ernst Epler, Lore Heuermann, Lili Glas, Christine Heuer, Wilhelm Herzog, Dieter Schrage 72 min | Farbe, dt. OF, 35mm Vom Weckerläuten am Morgen bis zur Fernsehberieselung am Abend ist Georg Hausers Alltag streng durchgetaktet. Dazwischen wacht er über Dutzende Sekretärinnen, die synchron in ihre Schreibmaschinen hämmern. Doch irgendwann fängt die immer glei- che Platte an zu leiern. Eine neue Brille tut ihr Übriges, und Hauser sieht die Welt plötz- lich mit anderen Augen. Er bricht aus aus diesem eiskalten System, in dem alles so gut zu funktionieren scheint … Madavis Langfilmdebüt erinnert zunächst an eine grimmige Version von Tatis PLAYTIME, später meint man darin gar einen Vorläufer zu Carpen- ters THEY LIVE oder Hanekes DER SIEBENTE KONTINENT zu erkennen. All diesen Bezügen zum Trotz – hier hat ein Künstler eine Filmsprache entwickelt, die lange Zeit zum Prononciertesten gehört, was in Österreich auf Zelluloid gebannt wurde. (fw) In memoriam Walter Bannert (28.11.1942–10.9.2020). 15
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE MI 28.10., 18:30 | SA 8.11., 18:30 JESUS VON OTTAKRING Wilhelm Pellert, A 1976 BUCH Helmut Korherr, Wilhelm Pellert, basierend auf ihrem gleichnamigen Stück | KAMERA Dieter Wittich, Kurt Mayer | MUSIK Wilhelm Pellert | MIT Rudolf Prack, Hilde Sochor, Peter Hey, Marianne Gerzner, Emanuel Schmied, Dieter Hofinger, Susanne Altschul, Harald Pfeiffer 98 min | Farbe, dt. OF, 35mm Ein Volksstück im Gewand eines Underground-Musicals, das vor Zeitbezügen und Querverweisen nur so strotzt und Österreich so zeigt, wie es sich gern gesehen hätte: als Insel der Seligen, auf der die Arbeiter stolz sind, sich zu Tode hackeln zu dürfen und man das böse Wort »Revolution« allein aus den Nachrichten kennt. Bis eines Tages einer kommt mit langen Haaren, der der Jugend neue Ideen in den Kopf setzt und ihr zeigt, dass das Leben auch anders sein könnte. Dieser Ferdinand Novacek alias »Jesus von Ottakring« bleibt im Film stets unsichtbar, doch sein Wirken tut es nicht, was den Zorn der Bevölkerung erregt. Es beginnt ein Passionsspiel der beson- deren Art … Einer der zentralen österreichischen Filme der 1970er-Jahre, der an allen Ecken und Enden einen Hauch von Anarchie verströmt – schmissig-bissiges Liedgut inklusive. (fw) MI 28.10.: In Anwesenheit von Wilhelm Pellert. 16
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE DO 29.10., 18:30 | SO 8.11., 20:30* SCHWITZKASTEN John Cook, A 1978 BUCH John Cook, Helmut Zenker, nach dessen Roman Das Froschfest | KAMERA Helmut Pirnat MIT Hermann Juranek, Christa Schubert, Franz Schuh, Waltraut Misak, Johanna Froidl, Karl Martinek, Ernst Neuhold, Elisabeth Boselmann 97 min | Farbe, dt. OmeU/*dt. OF, 16mm** Weil er sich bei seinen Vorgesetzten und Kollegen unbeliebt macht, verliert Hermann seinen Job bei den Städtischen Gärtnern, später fliegt er aus der Wohnung seiner Eltern, kommt wegen einer Rauferei ins Gefängnis. Dazwischen strawanzt er durch die Vorstadt von einem Beisl ins nächste und holt sich Trost und Rat bei einem Arbeiter- Poeten (Franz Schuh!). An einer näheren Bindung zu Freundin Vera hat er zunächst kein Interesse, aber vielleicht ändert sich das noch – wie so vieles in dieser Zeit … Die Wiener Sommer der 1970er-Jahre weiß in all ihrem Schweben zwischen Leichtigkeit und Melancholie kaum einer besser einzufangen als John Cook. Es ist die Geschichte vom kleinen Glück, die hier geschildert wird, von einem, der unten ist und wieder auf die Beine kommt, weil: »irgendwie muss es gehen.« Und sie wird erzählt mit einer immensen Lust am freien Umgang mit filmischen Mitteln. (fw) ** Aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums 17
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE FR 30.10., 18:30 | MO 16.11., 20:00 ZECHMEISTER Angela Summereder, A 1981 BUCH Angela Summereder | KAMERA Hille Sagel | MUSIK Christian Geerdes, Fritz Mikesch, Ursula Weck, Franz Lehár | MIT Herbert Adamec, Asher Mendelssohn, Claudia Schneider, Peter Weibel, Gernot Klotz, Franz Hofer, Dietrich Siegl, Maria Zechmeister 79 min | Farbe, dt. OmeU, 16mm Maria Zechmeister wird 1949 zu lebenslanger Haft wegen Meuchelmordes an ihrem Ehemann verurteilt. Es gibt weder Beweise noch ein Geständnis, dafür wird im Inn- viertler Dorf viel geredet, vor allem hinterrücks. Die Gerüchte liefern die Grundlage für die gerichtlichen Untersuchungen, der Film wiederum basiert auf den Protokollen der Verhandlung, auf Anträgen, Aussagen und dem, was drei Jahrzehnte später davon übrig geblieben ist. Maria Zechmeister, die nach 17 Jahren Gefängnis vorzeitig ent lassen wurde, und fünf Zeugen spielen sich selbst, Schöffen und Gasthausbesucher werden von Personen aus der Gegend verkörpert, die anderen Rollen übernehmen Schauspieler. ZECHMEISTER erzählt in seiner sanften Radikalität vom Abschied und Neubeginn – ein Schlüsselwerk aus der Stunde Null des neuen österreichischen Kinos. (fw) FR 30.10.: In Anwesenheit von Angela Summereder und Hille Sagel. 18
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE MO 2.11., 19:00 | MO 16.11., 18:00 ALKESTE – DIE BEDEUTUNG, PROTEKTION ZU HABEN Antonis Lepeniotis, A 1970 BUCH Antonis Lepeniotis, nach Alkestis von Euripides | KAMERA Edgar Osterberger | MUSIK Erich Kleinschuster MIT Hellmuth Hron, Gerald Florian, Ingrid Olofsson, Heinz Marecek, Eva Heide Frick, Dieter Schrage, Dieter Berner 89 min | s/w, dt. OF, 35mm Adi (Admitos) steht unter dem Schutz von Apollo, dem Sohn eines Mannes mit Geld und Beziehungen. Die zwei sitzen im Gefängnis, man verdächtigt sie des Mordes, hat aber keine Beweise: so lässt man sie laufen. Adi liebt Claudia (Alkeste), die Lebens gefährtin seines Erzfeindes, der in einem – metaphysischen – Duell den Tod findet. Die Macht des Apollo ist mit Adi, der daraufhin sogar den Tod zu überwinden weiß, nach der Apokalypse … Cocteaueske Fantasien von der Antike, erfunden in Wiener Höfen und Gassen, runtergerissen als heller Gangsterfilm, ganz flüssig in der Insze- nierung, bisweilen dokumentarisch anmutend. Henri Langlois fand den Film sympha- tisch und lud Lepeniotis mit seinem Langfilmdebüt in die Cinémathèque française ein. (Olaf Möller) 19
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE MO 2.11., 21:00 | MI 11.11., 20:45 SCHATTEN UND LICHT Georg Lhotsky, A 1976 BUCH Georg Lhotsky | KAMERA Jirí Stibr MUSIK Richard Oesterreicher | MIT Robert Hoffmann, Ines Byass, Georg Lhotsky, Helga Bernat, Brigitte Ratz, Raimund Winkler, Otto Schenk 89 min | Farbe, dt. OF, 35mm Oft ohne großen Dialog, dafür begleitet von Richard Oesterreicher streift Georg Lhotsky durch Lebens- und Liebeswelten im weichgezeichneten 70er-Jahre-Wien. Ausgangspunkt ist der Unfalltod eines Fotomodells, dessen Mutter und Mann in ihrem gemeinsamen Verlust auch in körperlicher Hinsicht zusammenfinden. Lhotsky selbst gibt einen Fotografen, mit dem die Verunglückte eine Affäre hatte. Der lange verschollen geglaubte »Kommerzfilm« ist hier in einer erst kürzlich aufgefundenen 35mm-Kopie zu sehen. (sb) DI 3.11., 18:00 | FR 13.11., 18:00 DIE BLINDE EULE Mansur Madavi, A 1979 BUCH Mansur Madavi, Dieter Schrage KAMERA Mansur Madavi | MIT Axel Klingenberg, Ingeborg Aumann, Maria Martina, Rudolf Schippel, Angelika Schütz, Margit Gara 92 min | Farbe, dt. OF, 35mm Ein vergessenes Hauptwerk eines halb erinnerten Meisters: Ein Schriftsteller ver- sucht, das triste Schicksal eines Heimmädchens zu rekonstruieren und verliert sich dabei in seinen eigenen Sehnsüchten und Ängsten. Die Bilder sind tief herbstlich, sehr künstlich und schön in ihrer Abgezirkeltheit, die Darsteller sprechen, als wären sie wer anderer, Szenen kommen immer wieder und bedeuten immer mehr und anderes: Kino als Kunst des Ornaments, zwischen Miniaturenmalerei, Memory und Comic. (Olaf Möller/red) 20
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE DI 3.11., 20:00 | DO 19.11., 18:30 GEFISCHTE GEFÜHLE Manfred Kaufmann, A 1980 BUCH Manfred Kaufmann, Henriette Fischer KAMERA Tamás Ujlaki | MIT Silvia Sommer, Walter Eckermann, Romana Scheffknecht, Michael Hopp, Florian Sommer 117 min | Farbe, dt. OF, 35mm Silvia und Walter sind ein junges Paar. Sie arbeitet als Buchhändlerin, er an einem Film über ein Ehepaar, das sich nach 25 Jahren getrennt hat. Walter erfährt zwei Versionen der Geschichte, deren Mechanismen von Gewalt und Geduld, Macht und Ohnmacht auch in seiner Beziehung spürbar sind, die – als Ramona auftaucht – in eine Krise schlittert: Walter verhärtet in seiner Männerrolle, Silvia wird sich der »Konkurrenz« bewusst. Bis sie sich ihre emanzipatorischen Standpunkte übers Fernsehen ausrichten. (red) MI 4.11., 18:30 UNSICHTBARE GEGNER RESTAURIERTE FASSUNG © Peter Hermann/Top-Film VALIE EXPORT, A 1977 BUCH Peter Weibel, VALIE EXPORT | KAMERA Wolfgang Simon | MIT Monika Helfer-Friedrich, Susanne Widl, Herbert Schmid, Eduard Neversal, Josef Plavec, Dominik Dusek, Peter Weibel 110 min | Farbe, dt. OF, DCP UNSICHTBARE GEGNER wird als Sci-Fi-Verschwörungsthriller eingeführt, bewegt sich aber bald mehr entlang jener Recherchen, welche die Protagonistin in ihrem Lebensumfeld anstellt. Die Stadt, in der sie wohnt, rückt damit zwangsläufig auch in den Fokus des Films. Der Stadtraum ist bei EXPORT von Hierachien und Konflikten, von jüngerer Geschichte und deren Verdrängung geprägt. Wo Patzak das Flamboyante, Verheißungsvolle sucht und sieht, betont EXPORT das Graue, Gleichförmige. (Isabella Reicher/red) 21
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE MI 4.11., 21:00 | FR 20.11., 19:00 DIE DENKWÜRDIGE WALLFAHRT DES KAISERS KANGA MUSSA VON MALI NACH MEKKA Götz Hagmüller/Dietmar Graf, A 1977 BUCH Götz Hagmüller, Lida Wieniewicz | KAMERA Dietmar Graf, Herbert Schuster | MUSIK Gheorghe Zamfir | MIT Attila Hörbiger (Erzähler), Cheik Gassama, Abdul Wares, Alhadj Shehu Idris 94 min | Farbe, dt. OF, 35mm Auf einem klapprigen Wagen sind sie unterwegs, ein Ausrufer und ein Erzähler mit ihrem Wunderkasten. Verkauft wird der Blick in die Guckkastenbühne, und der Kas- ten schaut zurück: in die lachenden Gesichter des jungen Publikums, das gespannt die Geschichte verfolgt. Getragen von Zamfirs zauberhafter Musik und Hörbigers prägnanter Stimme entfaltet sich eine Mischung aus Märchen und Reisebildern, vorbei an Orten wie Timbuktu oder Djenné, wo die große Moschee vom Architekten Hagmüller ins Bild gerückt wird. (ms) DO 5.11., 18:00 | MO 9.11., 21:00 BECK LEBT Martin Radinger/Ernst Wünsch, A 1980 BUCH Martin Radinger, Ernst Wünsch, nach dessen Roman | KAMERA Martin Radinger, Ernst Wünsch MIT Klaus Behrendt, Gabriella Hütter, Ernst Wünsch, Martin Radinger, Tone Fink 80 min | s/w, dt. OF, DCP Ein Schriftsteller kämpft mit Schaffensproblemen und findet sich immer wieder in merkwürdigen Szenen wieder. Inszenatorisch wohl kontrollierte Fantasie, wunder- schön einfache, klare Bilder, spinnerte Winkelzüge des Erzählens, ein großartig nachsynchronisierter Ton, holbaeske Texttafeln und ein Protagonist, der dreinschaut, als sei er in einem anderen Film (nur in welchem?) machen den ohne Staatsgelder finanzierten Film zu einer heiteren, springlebendigen Trouvaille. (Olaf Möller/red) 22
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE DO 5.11., 20:00 | DO 19.11., 21:00 JOHNNY UNSER Robert Polak/Tone Fink, A 1980 BUCH Tone Fink, Robert Polak | KAMERA Herbert Link | MUSIK Dieter Kaufmann, Bela Koreni, Clockwork MIT Antonia Limacher, Hagnot Elischka, Elvira Neustaedtl, Doris Weiner, Justus Neumann, Erhard Koren 78 min | Farbe, dt. Ome/fU 35mm Der erste lange Kinofilm des Malers, Grafikers und Bildhauers Tone Fink, vierhändig realisiert mit Robert Polak. In späteren Arbeiten wie KATIJUBATO (1986) wird Fink seinem spinnerten Inneren freien Lauf lassen, da wird’s lustig klingeln vor Narziss- mus und Solipsismus. In JOHNNY UNSER aber werden seine fröhlichen Fickfackereien noch von Polak in realistisch narrative Strukturen gelenkt. Der Mittelstand brütet, an der Frau wird’s typischerweise ausgelassen, die Wohnung ist mehr ein Durch- gangslager denn ein Heim – Fantasien und Erscheinungen reißen Löcher rein, kurz, gut spürbar. Eine weitere Mutation, bei der man nicht so genau weiß, ob sie nun ein schaumgebremster Künstlerfilm ist oder ein besonders verstiegenes Exemplar von Sozialrealismus: zeittypisch, darin ein Dokument, ist JOHNNY UNSER allemal. (Olaf Möller/red) 23
VIENNA INTERNATIONAL FILM FESTIVAL 22. OKTOBER–1. NOVEMBER PROGRAMM AB 13. OKTOBER, 20 UHR TICKETS AB 17. OKTOBER, 10 UHR viennale.at 24
AUSTRIAN AUTEURS | RETROSPEKTIVE FR 6.11., 20:00 | SA 14.11., 18:00 DIE TOTALE FAMILIE RESTAURIERTE FASSUNG Ernst Schmidt jr., A 1981 BUCH Ernst Schmidt jr., Günther Janicek, nach dem Roman von Heimito von Doderer | KAMERA Helmut Pirnat | MIT Bodo Hell, Wendy Nagler, Friedrich Geyrhofer, Herwig Kempinger, Elfriede Gerstl 86 min | Farbe, dt. OF, DCP Wo es bei Lepeniotis im Spätwerk die Filme zerreißt, verdichten sich im einzigen Kinospielfilm von Ernst Schmidt jr. die Paradoxa zu einem Schwarzen Loch. Der Film scheißt sich nichts und voll auf jeden Sinn für erzählerische Bögen und Rhythmen, grell ist er und ein bisschen trashig, sieht aus, als hätte er außer Nerven nicht viel gekostet, billig könnte man sagen, und zwar mit Recht, wie in: recht und billig, so ist dieser Anschlag auf die guten austriakischen Sitten. Ein reichlich schillerndes Sumpfgewächs. (Olaf Möller/red) SA 7.11., 19:45 | MI 11.11., 18:00 OPERATION HYDRA Antonis Lepeniotis, A 1980 BUCH Antonis Lepeniotis, Nora Gray KAMERA Edgar Osterberger | MIT Anne Stegmann, Paola Loew, Peter Wolsdorff, Robert Dietl, Peter Hey, Ilse Hanel, Erik Frey 130 min | Farbe, dt. OF, 35mm Ein britisches Täuschungsmanöver, bei dem die RAF so tat, als wolle sie Berlin bombardieren, dabei war Peenemünde das wahre Ziel: OPERATION HYDRA springt zwischen den 40ern und 70ern hin und her, erzählt von Verstrickungen in Nazi- Machenschaften, vom Holocaust und von den Versuchen, mit diesen Geschichten fertigzuwerden. Ein Agenten-Abenteuerfilm mit ethischem Anspruch, ein ironisches Spiel mit den Genre-Topoi, das es politisch todernst meint ... Eine Hydra mit diversen Janusköpfen und zumindest einem Zerberushals. (Olaf Möller/red) 25
CHRISTIAN BERGER VOM ZAUBER DES LICHTS RETROSPEKTIVE VOM 5. NOVEMBER BIS 2. DEZEMBER 2020 L eidenschaft, Widerständigkeit und Beharrlichkeit zeichnen das Schaffen von Christian Berger aus. Angesichts seiner Welterfolge als Kameramann, vor allem in Zusammenarbeit mit Michael Haneke, scheinen seine eigenen Regiewerke allerdings etwas in den Schatten gerückt zu sein. Dabei sind sie Zeugnis jenes besonderen Auf- bruchmoments in der österreichischen Filmgeschichte, in dem sich der Anspruch an professionelle Autorenschaft erstmals einlöst. Eine Hommage in 15 Programmen lädt ein, den Zauber des Lichts (neu) zu entdecken. Eine weitere Kameraarbeit von Christian Berger wird im Rahmen der Reihe Das Museum geht ins Kino gezeigt (S. 77). 26
27
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE REBEL WITH A CAMERA FLORIAN WIDEGGER »M ir ist eine Geschichte, oder besser gesagt, die Absicht, eine Geschichte zu erzählen, genauso wichtig wie einem Schriftsteller – nur: Ich will sie eben mit fotografischen Bildern in einem gewählten Zeitausschnitt und -ablauf erzählen. Das ist Film.« Weil er sich weigert, sein Hemd bei der Matura bis ganz oben zuzuknöpfen, fliegt der heute 75-Jährige damals von der Schule. So eröffnet sich plötzlich ein alternativer Lebensweg und Berger beginnt eine Ausbildung zum Lichttechniker. Als Kamera assistent kehrt er schließlich zurück in seine Heimat Tirol und wird freier Mitarbeiter beim ORF-Landesstudio. In diese Zeit fällt auch seine Begegnung mit dem Universalgenie und Revoluzzer Werner Pirchner, mit dem er die Satire DER UNTERGANG DES ALPENLANDES dreht – eine Abrechnung mit den verkrusteten Strukturen des Landes ebenso wie mit © Christian Berger, © Universal Pictures 28
© Christian Berger jenen, die sie am Leben erhalten. Natürlich löst der heutige Kultfilm bei seiner Aus- strahlung einen Skandal aus – geschadet hat er den Karrieren der beiden allerdings nicht. Anfang der 1980er-Jahre beginnt Berger als Kameramann an den Sets anderer Regisseure zu arbeiten und legt 1984 mit RAFFL sein Langfilmdebüt vor: ein neuer österreichischer Heimatfilm, geprägt von »Eigensinn seines Themas, Sorgfalt in sei- ner Bild- und Tonsprache und karger, stiller Schönheit«, heißt es in der Jury-Begrün- dung des Max-Ophüls-Preises. Auch HANNA MONSTER, LIEBLING, sein zweiter Film, den er mit Ehefrau Marika Green in der Hauptrolle dreht, feiert auf der ganzen Welt Erfolge, während er hierzu- lande auf wenig Gegenliebe stößt. Wie seinen Kollegen Wolfram Paulus (bei dessen NACHSAISON Berger die Kamera führt), Ernst Josef Lauscher, Niki List und Fritz Lehner gelingt es ihm in den 1990er-Jahren immer schwerer, als Regisseur Projekte auf den Weg zu bringen. Sein dritter und letzter Spielfilm MAUTPLATZ erzählt be- zeichnenderweise im zusammenwachsenden Europa von den großen, unrealisierten Träumen in der Welt. Doch als Kameramann ist Berger gefragter denn je, was zum einen mit der Resonanz seiner Arbeiten mit Michael Haneke zusammenhängt als auch mit der (konsequenten Weiter-)Entwicklung seines Cine Reflect Lighting Systems, einer Beleuchtungsmethode, die vor allem mit natürlichem Licht und Reflektoren arbeitet: »Ich wollte immer, dass der Schauspieler, ein Gesicht oder eine Landschaft leuchtet, nicht die Lampe.« Ein Anspruch, der Christian Berger nicht nur zahlreiche Auszeichnungen (u. a. Cinemato- grapher of the Year für DAS WEISSE BAND) einbringt, sondern ihm den Weg bis nach Hollywood ebnet. 29
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE DO 5.11., 19:00 | DO 12.11., 18:00 | SA 28.11., 20:00 RAFFL Christian Berger, A 1984 BUCH Christian Berger, Markus Heltschl, nach einer Idee von Friedrich Christof Schmidt | KAMERA Christian Berger MUSIK Bert Breit | MIT Lois Weinberger, Dietmar Schönherr, Barbara Weber, Barbara Viertl, Art Brauss, Franz Mössmer 98 min | Farbe, dt. OmeU, 35mm 30 Silberlinge erhielt Judas dafür, dass er Jesus verriet. 1.500 Gulden Kopfgeld sind von den Franzosen, die Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Tiroler Berge ziehen, auf den Freiheitskämpfer Andreas Hofer ausgesetzt – Geld, das der hoch verschulde- te Bergbauer Franz Raffl dringend gebrauchen könnte. Und ausgerechnet er entdeckt den geheimen Unterschlupf Hofers. Von allen immer nur ausgelacht und misshandelt, liegen Schicksal und Zukunft der Heimat nun in seiner Hand. Er hadert – bis er davon überzeugt ist, mit seinem Verrat den Frieden im Land retten zu können … Ein sprödes wie fragiles Regiedebüt ist RAFFL, der dem österreichischen Nachkriegsfilm wie selten zuvor neues Leben einhaucht, weit weg von falschem Heldentum: Die Geschichte eines Verzweifelten. (fw) DO 5.11.: In Anwesenheit von Christian Berger. Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder. 30
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE FR 6.11., 18:30 | SA 14.11., 20:00 | SO 29.11., 20:00 HANNA MONSTER, LIEBLING Christian Berger, A 1988 BUCH Christian Berger | KAMERA Christian Berger | MUSIK Carmel | MIT Marika Green, Hagnot Elischka, Peter Turrini, Ignaz Kirchner, Rosemarie Wohlbauer 96 min | s/w, dt. OmeU, 35mm In der Bergwelt Tirols führen Hanna und Leo eine idyllische Beziehung. Bald werden sie zu dritt sein – doch bei der Geburt gibt es Komplikationen, die Ärzte wollen Hanna nicht zu ihrem Baby lassen. Als sie heimlich erfährt, WAS sie auf die Welt gebracht hat, will sie zunächst Selbstmord begehen, entschließt sich dann aber, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und macht sich auf in Richtung Nordsee … HANNA MONSTER, LIEBLING ist ein Singulär des österreichischen Kinos und knüpft am ehesten noch an die Tradition der aktionistischen Filme der 1960er- und 70er-Jahre an. So ist dann auch Marika Greens Spiel vor allem als Performance zu verstehen. Die starken Schwarz-Weiß-Bilder erzählen von einer Frau, die sich selbst sucht, findet und akzep- tiert. Ein ungeheuer aktueller Film, der lange nicht mehr im Kino zu sehen war! (fw) FR 6.11.: In Anwesenheit von Christian Berger und Marika Green. 31
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE FR 6.11., 21:00 DER GLÄSERNE BLICK Markus Heltschl, A 2004 BUCH Markus Heltschl | KAMERA Christian Berger MUSIK Arnold Schönberg, Michael Galasso, Anouar Brahem | MIT Klaus Pohl, Sylvie Testud, Miguel Guilherme, Ana Bustorff 92 min | Farbe, franz./dt./engl. OmdU, 35mm Die portugiesische Küste, westlich von Lissabon. Eine männliche Leiche wird ans Ufer geschwemmt. In einem in der Nähe abgestellten Auto entdeckt Kommissar Pinto eine Videokamera. Das Band zeigt eine junge Frau, die offenbar heimlich gefilmt worden ist. Pinto findet sie, eine Musikstudentin aus Wien, die behauptet, nichts mit dem Tod des Mannes zu tun zu haben. Doch hinter ihren Erklärungen tauchen neue Rätsel auf ... Was ist die Wahrheit? Oder sollte die Frage anders gestellt werden, und gibt es sie überhaupt, »die Wahrheit«? (red) SA 7.11., 18:30 | SO 15.11., 20:45 MAUTPLATZ Christian Berger, A 1994 BUCH Christian Berger, Werner Sallmaier KAMERA Christian Berger | MIT Markus Hering, Magdalene Artelt, Yoshi Oïda, Gertraud Jesserer, Michael Altmann, Marika Green 91 min | Farbe, dt. OF, 35mm 1994 entscheiden sich die Österreicher für den EU-Beitritt. An der Mautstation der Brenner-Autobahn, wo Georg täglich seinen Dienst tut, ist Europa längst zusammen gewachsen. Hier treffen Nord und Süd, West und Ost aufeinander und brausen in unter- schiedliche Richtungen weiter. Auch Georg träumt von weiten Reisen, vom Kajakfahren am Amazonas, von der großen Liebe. Und doch sieht er immer nur die anderen weiterziehen. Ein Heimatfilm der besonderen Art. (fw) SA 7.11.: In Anwesenheit von Christian Berger und Marika Green. 32
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE SA 7.11., 20:30 | SO 15.11., 18:00 VORFILM: MON GUERLIAN: NOTES OF A WOMAN | Terrence Malick, US 2016 | 1 min | Farbe, engl. OF, DCP BY THE SEA Angelina Jolie, US 2015 BUCH Angelina Jolie | KAMERA Christian Berger | MUSIK Gabriel Yared | MIT Brad Pitt, Angelina Jolie, Mélanie Laurent, Melvil Poupaud, Niels Arestrup 132 min | Farbe, engl. OmdU, DCP Sehnsuchtsort Frankreich: Ein amerikanisches Ehepaar urlaubt in einem malerischen Küstendörfchen. Er ist Schriftsteller in einer Schaffenskrise, sie eine ehemals erfolg- reiche Tänzerin. Die Ehe bröckelt, man rauft sich zusammen, geht wieder getrennte Wege, ersäuft seinen Kummer in Alkohol oder belauscht ein jüngeres Pärchen beim Sex. Die Risse in der Beziehung werden immer deutlicher … Angelina Jolies dritter Spielfilm als Regisseurin ist therapeutischer Exzess auf großer Leinwand, gnadenlos bis ins Letzte durchgekaut, lässt dem Publikum kaum Raum zum Atmen. BY THE SEA war und ist auf vielen Ebenen zum grandios-schönen Scheitern verurteilt. Bergers betörende Kamera- und Lichtarbeit lässt einen dennoch immer wieder staunend hinschauen – und verstehen. (fw) SA 7.11.: In Anwesenheit von Christian Berger. 33
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE SO 8.11., 16:30 WERKSTATTGESPRÄCH MIT CHRISTIAN BERGER EINTRITT FREI © Christian Berger Wenn es einen Themenkomplex gibt, der Christian Berger in seiner nahezu 50 Jahre langen Profession als Kameramann beschäftigt hat, dann ist es wohl das Licht. Die konsequente Auseinandersetzung damit hatte sogar die Entwicklung eines eigenen Beleuchtungssystems zur Folge. Über die Herausforderungen und Veränderungen, die mit dem Wandel von der analogen zur digitalen Aufzeichnung einhergehen, spricht Berger gemeinsam mit seinem langjährigen Mitarbeiter Jakob Ballinger. Moderiert wird das Gespräch von Kameramann Fabian Eder. (red) SO 8.11., 21:00 TRENNUNG Amos Gitai, IL/I/D/F 2007 DISENGAGEMENT | BUCH Amos Gitai, Marie-Jose Sanselme | KAMERA Christian Berger MIT Juliette Binoche, Liron Levo, Jeanne Moreau, Barbara Hendricks, Dana Ivgy 115 min | Farbe, dF, DCP Ana lebt in Frankreich. Als ihr Vater stirbt, reist Bruder Uli aus Israel an. Als Polizist in einer Spezialeinheit steht ihm der Einsatz bevor, der als »Disengagement« (hebräisch: »Hitnatkut«) in die Geschichte einging: die Evakuierung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen während der Zweiten Intifada. Ana erfährt, dass ihre leibliche Tochter in einer der Siedlungen lebt. Gemeinsam treten die Geschwister eine Reise an ... Trennung als Motiv: zwischen Familienmitgliedern, Beziehungspart- nern, Menschen und ihrem Zuhause. (red) 34
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE SO 8.11., 18:00 | DO 26.11., 20:45 DAS WEISSE BAND – EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE Michael Haneke, D/A/F/I 2009 BUCH Michael Haneke | KAMERA Christian Berger | MIT Christian Friedel, Leonie Benesch, Burghart Klaußner, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Fion Mutert, Michael Kranz, Steffi Kühnert, Josef Bierbichler, Susanne Lothar, Birgit Minichmayr, Ernst Jacobi (Erzähler) 144 min | s/w, dt. OF, 35mm Ein Dorf im protestantischen Norden Deutschlands, am Vorabend des Ersten Welt- kriegs. Der Arzt stürzt mit seinem Pferd über ein gespanntes Seil, ein Kind wird ent- führt und gefoltert, eine Scheune in Brand gesteckt. Kein Täter in Sicht. Eine (un) heimliche Gewalt durchzieht auch das Dorf-Innenleben, es wird gedemütigt, misshan- delt, gezüchtigt, gestraft. Die Unschuld, die das weiße Band symbolisiert, das der Pastor seine Kinder zur Ermahnung tragen lässt, ist längst verloren … Hanekes Studie über ein Klima, das Radikalismus den Boden bereitet – radikal in Nüchternheit und Präzision und von einer visuellen Wucht, die Christian Berger den bislang größ- ten Erfolg und unzählige Auszeichnungen einbrachte. Seine fünfte Zusammenarbeit mit dem Regisseur: Ein tiefer Sprung nicht nur in die deutsche Seele. (red) SO 8.11.: In Anwesenheit von Christian Berger. 35
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE DI 10.11., 21:00 ETHNISCHE IDYLLEN SKIZZEN AUS EINEM NACHKRIEGSLAND – KROATIEN 95/96/97 Christian Berger, A 1998 BUCH Christian Berger | KAMERA Christian Berger 85 min | Farbe, dt./kroat. OmeU, DCP »Mich interessiert die Ereignislosigkeit als Thema, weil es so einen Verschleiß an medialen Bildern des Krieges gibt.« (Christian Berger) Die Besucher dieser Zweifach- projektion sind vor die Wahl zwischen zwei visuellen Wahrnehmungsmöglichkeiten gestellt: links oder rechts ist jeweils ein Bild zu verfolgen, während ein zentraler Ton eine weitere Orientierungsmöglichkeit bietet. In der Konfrontation zweier Bilder, in der durch die Gleichzeitigkeit markierten Differenz liegt das Jetzt der Erkennbarkeit. (Christa Blümlinger) MI 11.11., 18:30 DIE WILDEN KINDER Christian Berger, A 1988 BUCH Christian Berger, Monika Helfer, nach ihrem Roman | KAMERA Christian Berger MIT Julia Plitzner, Gila von Weitershausen, Krista Posch, Wolfgang Böck, Irene Rützler 60 min | Farbe, dt. OF, DCP Dass sich auch hinter vermeintlich »kleinen« Fernseharbeiten wie diesem knappen Einstünder Perlen verbergen können, beweist die Verfilmung von Monika Helfers gleichnamigem Roman: In einer chaotischen Welt der Erwachsenen hegen Bella und Angela ihre eigenen Träume vom Glück. Bella hofft beim dritten Ehemann ihrer Mut- ter auf ein geordnetes Leben, Angela setzt auf ihre frühreif-sinnliche Ausstrahlung. Dabei müssen sie mehr und mehr feststellen, dass sie selbst langsam erwachsen werden … Ein echter Geheimtipp! (fw) 36
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE MI 11.11., 20:00 | MI 2.12., 20:15 DIE NACHT DER 1000 STUNDEN Virgil Widrich, LUX/A/NL 2016 BUCH Virgil Widrich | KAMERA Christian Berger MIT Laurence Rupp, Amira Casar, Barbara Petritsch, Elisabeth Rath, Linde Prelog 92 min | Farbe, dt. OF, DCP Als Philip die Geschäfte seines Vaters übernimmt, wird er mit seinen verstorbenen Vorfahren konfrontiert. In einer langen Nacht deckt er nach einem Mord, einer verbo- tenen Liebe und einem Spiel mit falschen Identitäten ein streng gehütetes Familien- geheimnis auf … Joachim Kurz: »Das Tollkühne an dem Film ist, dass er versucht, nicht nur Blickwinkel zu vermischen, sondern gleich ganze Sphären, die wir sonst stets getrennt voneinander betrachten.« (red) MI 11.11.: In Anwesenheit von Virgil Widrich. DO 12.11., 20:00 | MO 23.11., 18:00 BENNY’S VIDEO Michael Haneke, A/CH 1992 BUCH Michael Haneke | KAMERA Christian Berger MIT Arno Frisch, Ulrich Mühe, Angela Winkler, Ingrid Stassner, Stephanie Brehme 110 min | Farbe, dt. OF, DCP Szenen einer Hausschlachtung. Der Bolzenschussapparat wird angesetzt, das Schwein ringt mit dem Tod. Rewind. Benny, wohlstandsverwahrloster Sohn aus gutem Hause, thront zwischen Monitoren und Abspielgeräten. Verschanzt in seinem Ein- Zimmer-Reich ediert er seine Erfahrungen, kehrt immer wieder zur Szenerie der familiären Schlachtung zurück. Als er vor einer Videothek einem Mädchen begegnet, führt dies nicht zu pubertär-sexuellen Spielereien, sondern zum Mord. Der Tod in Slow Motion, als Wirklichkeitstest. (sb) 37
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE FR 13.11., 21:00 | DO 26.11., 18:00 A NAGY FÜZET János Szász, D/F/A/H 2013 DAS GROSSE HEFT | BUCH Janos Szász, András Szekér, nach dem Roman von Agota Kristof KAMERA Christian Berger | MIT András Gyémánt, Lásló Gyémánt, Piroska Molnár, Ulrich Thomsen 100 min | Farbe, ungar. OmdU, 35mm Zwei junge Zwillingsbrüder verbringen das Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen Dorf bei ihrer Großmutter, einer eigenwilligen, abgebrühten Frau, dem Alko- hol nicht abgeneigt und die Einsamkeit gewohnt. Für notdürftige Kost und Unter- kunft lässt sie die beiden hart arbeiten. Auf sich selbst gestellt, lernen sie schnell, sich abzuhärten und schreiben ihre Erlebnisse in einem Notizbuch auf: Die erschüt- ternde wie faszinierende Erzählung von zwei Kindern, die viel zu früh gezwungen sind, erwachsen zu werden. (red) MI 18.11., 21:00 ATEMNOT Käthe Kratz, A 1984 BUCH Peter Turrini | KAMERA Christian Berger MUSIK Konstantin Wecker, Dead Nittels MIT Henriette Cejpek, Johannes Silberschneider, Maria Martina, Andreas Vitasek, Paola Loew 97 min | Farbe, dt. OF, 16mm Die Geschichte von Menschen, von denen man nur hört, wenn eine gesteigerte Selbstmordrate verlautbart wird: Zwei junge Werther beiderlei Geschlechts landen auf der Baumgartner Höhe. Sie finden Sinn und Liebe zwischen Polizeiräumung, Existenzgeschwafel und Headbanger-Konzert in der Subkultur. In ATEMNOT widmet sich Käthe Kratz unter anderem in der zerfallenden Gasser-Gasse dem Phänomen Punk, ganz anders und testosteronbefreiter als Franz Novotny in EXIT oder Dieter Berner in ICH ODER DU. (Paul Poet/red) 38
CHRISTIAN BERGER | RETROSPEKTIVE DI 17.11., 18:00 | MO 23.11., 20:15 VORFILME: DER UNTERGANG DES ALPENLANDES | W. Pirchner/C. Berger, A 1974 | 30 min | Farbe, dt. OF, DCP LANDLEBEN | Christian Berger, A 1995 | 18 min | Farbe, dt. OF, DCP LICHTTAGE LICHTNÄCHTE – CHRISTIAN BERGER IM FILM Eva Testor, A 2015 BUCH Eva Testor | KAMERA Eva Testor, Nina Kusturica, Jörg Dulsky | MUSIK Tribidabo 49 min | Farbe, dt. OF, DCP Gemeinsam mit Musiker und Querkopf Werner Pirchner kreiert Berger »eine Samm- lung bizarrer Hörbilder gegen Klerus, Militär, Patrioten, Volkstümler und andere österreichische Versteinerungen« (Ulrich Olshausen), die bei ihrer Premiere standes- gemäß einen Skandal auslöst. LANDLEBEN besteht aus Aufnahmen, gedreht in den 1970er-Jahren, die Berger erst 20 Jahre später montiert: Bilder und Töne als Reak tion auf seinen desillusionierenden Arbeitsalltag als junger TV-Kameramann. Den Nachwuchs formt er später lange Zeit selbst: Mit seinen StudentInnen begibt er sich jährlich auf Exkursion und widmet sich dabei dem Licht in Film und Kunst. Eva Testor, einst selbst seine Schülerin, begleitet eine dieser Reisen und entlockt ihm in ihrem Porträtfilm erhellende An- und Einsichten. (fw) 39
25 JAHRE AMOUR FOU EINE EUROPÄISCHE FILMPRODUKTION
RETROSPEKTIVE VOM 12. NOVEMBER BIS 2. DEZEMBER 2020 E s ist kein großes Geheimnis, dass runde Jubiläen sich immer besonders dazu eig- nen, Rückschau zu halten auf das, was geschaffen und geschafft wurde. Auch die Programmarbeit des Filmarchiv Austria verweist so immer wieder auf wesentliche filmhistorische Momente oder herausragende Persönlichkeiten. Produktionsfirmen auf diese Weise zu ehren, ist schon ein eher seltenes Unterfangen, zumal die Amour Fou mit ihren 25 Jahren auch verhältnismäßig jung ist. Blickt man jedoch auf das knapp über 100 Arbeiten umfassende Portfolio (Stand September 2020), so offen baren sich darin eine besondere Leidenschaft und große künstlerische Visionen, die mit jedem neuen Projekt einen Schritt weiter vorangetrieben werden. Weitere Produktionen der Amour Fou werden mit DIE NACHT DER 1000 STUNDEN (S. 37) und A NAGY FÜZET (S. 38) auch in der Christian-Berger-Retrospektive sowie mit INVISIBLE SUE – PLÖTZLICH UNSICHTBAR (S. 63) im Rahmen der Kinder Kino Klassiker gezeigt. 41
AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE FILMEN ZWISCHEN LUXEMBURG UND WIEN FLORIAN WIDEGGER V ielleicht ist es gar kein so großer Zufall, dass im vereinten Europa Mitte der 1990er-Jahre zwei aus unterschiedlichen Ländern und Filmbereichen kommende Kreative die Idee haben, gemeinsam eine Produktionsfirma zu gründen: Bady Minck ist zu dieser Zeit bereits eine international erfolgreiche Filmkünstlerin, Alexander Dumreicher-Ivanceanu arbeitet zuvor als Kritiker und Kurator. Zunächst noch ein Verein, der innovative Filme in die Kinos bringen sollte, wird daraus bald eine Firma, die kurze Zeit als Minotaurus Film operiert, bevor »Amour Fou« als Name feststeht. Anfangs ist sie noch hauptsächlich in Luxemburg aktiv, die Wiener Dependance kommt erst zu Beginn der Nullerjahre dazu. Inzwischen ist die Amour Fou im europäischen Kontext ein Player, der – auch im Ver- bund mit anderen nationalen oder internationalen Produktionsfirmen – künstlerisch herausragende Filme, die vor allem vom Willen zur eigenen Handschrift geprägt sind, mit auf die Welt bringt. Schon die ersten Arbeiten – etwa Virgil Widrichs FAST FILM oder Bady Mincks IM ANFANG WAR DER BLICK – gewinnen Preise auf renommierten Festivals, es folgen nicht minder Aufsehen erregende Filme wie György Pálfis bizarrer 42
TAXIDERMIA oder Anja Salomonowitz’ formal wie inhaltlich radikaler KURZ DAVOR IST ES PASSIERT. Nach internen Umstrukturierungen wird es kurzzeitig etwas ruhiger, bis mit HANNAH ARENDT unter der Regie von Margarethe von Trotta ein prestigeträchtiger Arthouse-Erfolg entsteht. Darauf aufbauend entwickeln sich weitere über Österreichs Grenzen hinaus produzierte Titel wie Michael Sturmingers CASANOVA VARIATIONS oder STYX von Wolfgang Fischer. Mittlerweile hat man auch Europa hinter sich gelassen, was Filme wie YALDA von Massoud Bakhshi oder RED FIELDS von Keren Yedaya beweisen. Neben solchen groß angelegten Projekten haben Minck und Dumreicher-Ivanceanu ihre Wurzeln allerdings nie vergessen: Bis heute bestimmen ambitionierte Genregrenz- gänger, die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Politik, Gesellschaft und Kunst auf anregende Weise neu zu denken wagen, das Hauptprogramm der Amour Fou. Diese Wege mit jedem Film aufs Neue zu beschreiten, dabei Risiken einzugehen und Heraus- forderungen nicht zu scheuen – das ist vielleicht jene leidenschaftliche, rasende Liebe zum Kino, die für die Namenswahl der Produktionsfirma maßgeblich war. Die Retrospektive soll nichts weniger als eine Einladung sein, einige Schritte dieses Weges mitzugehen. Bei zahlreichen Vorstellungen werden die FilmemacherInnen ihre Arbeiten vorstellen. Außerdem erscheint ein Sonderheft des ray Filmmagazins, das weitere Einblicke in die Vergangenheit und Zukunft der Amour Fou gibt und im Kino aufliegen wird. 43
AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE DO 12.11., 19:00 | SO 22.11., 21:00 CASANOVA VARIATIONS Michael Sturminger, F/A/D 2014 BUCH Michael Sturminger, Markus Schleinzer | KAMERA André Sankowski | MUSIK Orchester Wiener Akademie MIT John Malkovich, Veronica Ferres, Florian Boesch, Miah Persson, Topi Lehtipuu, Fanny Ardant, Jonas Kaufmann, Martin Haselböck 118 min | Farbe, engl. OmdU, DCP Mozart meets Malkovich meets Casanova: Giacomo Casanova hadert allein in einem abgeschiedenen Schloss in Böhmen mit seinem Leben. Da erscheint die ebenso schö- ne wie mysteriöse Elisa van der Recke auf der Bildfläche und haucht dem gealterten Frauenheld neue Lebensfreude ein. CASANOVA VARIATIONS fängt den Mythos des größten Verführers aller Zeiten ein. Seine Geschichte findet dabei nicht nur filmisch Ausdruck, sondern auch in einigen der schönsten Opernarien der Welt, wodurch sich eine fesselnde Erzählung seiner Abenteuer und Leidenschaften entspinnt und ver- schmilzt zu »einem traumhaft irrlichternden, hochästhetischen Hybrid, in dem Zeitebe- nen, Szenarien, Figuren, selbst verschiedene Genres verschwimmen.« (Kurier) (red) DO 12.11.: In Anwesenheit von Michael Sturminger, Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu. Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder. 44
AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE FR 13.11., 20:00 | SO 29.11., 21:00 PAS DE REPOS POUR LES BRAVES Alain Guiraudie, F/A 2003 KEINE RUHE FÜR DIE HELDEN | BUCH Alain Guiraudie KAMERA Antoine Héberlé | MIT Thomas Suire, Thomas Blanchard, Laurent Soffiati, Vincent Martin, Pierre-Maurice Nouvel, Nicole Huc 107 min | Farbe, franz. OmdU, 35mm Der junge Basile hat von einem gespenstischen Wesen geträumt. Es gilt als Zeichen dafür, dass der nächste Schlaf auch sein letzter sein wird. Er erzählt Igor davon und erweckt seine Neugier. Unter dem Schlafentzug verändert sich sein Leben radikal und wird immer surrealer: Was ist noch Wirklichkeit und was ist Wachtraum? Die französische Provinz wird zu einem Ort voller Abenteuer, in denen Guiraudie einmal mehr vom Übergang zwischen Jugend und Erwachsenenalter erzählt. (fw) SA 14.11., 18:30 | FR 27.11., 18:00 BUNICA Elke Groen/Ina Ivanceanu, A/LUX 2005 KAMERA Elke Groen | MIT Ana Ionescu-Aslan, Elena Ivanus, Costel Gramada, Gelu Voican-Voiculescu, Alexandrou Paleologu, Anca Kosoveanu u. a. 80 min | Farbe, rumän./franz. Omd/eU, DCP »Bunica«, das ist die 89-jährige Ana Ionescu. Aufgewachsen im Bukarest der 1920er-Jahre, hat sie vom König bis zum Diktator die großen Umwälzungen Rumä niens miterlebt. Ihre bewegte Geschichte führt auch zu der von anderen, zu anderen Wirklichkeiten, An- und Aussichten. Verknüpft mit Archivmaterial entsteht so eine faszinierende Zeit- und Stimmungsreise durch ein Land, das geprägt ist von Brüchen, Widersprüchen und Überraschungen. (red) SA 14.11.: In Anwesenheit von Elke Groen und Ina Ivanceanu. 45
AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE SA 14.11., 21:00 | DI 24.11., 20:15 TAXIDERMIA György Pálfi, H/A/F 2006 BUCH Zsófia Ruttkay, György Palfi, nach dem Roman von Lajos Parti Nagy | KAMERA Gergely Pohárnok MUSIK Amon Tobin, Albert Márkos | MIT Csaba Czene, Gergö Trócsányi, Marc Bischoff, István Gyuricza, Piroska Molnár, Gábor Máté, Géza D. Hegedüs, István Hunyadkürti u. a. 91 min | Farbe, ungar. OmdU, 35 mm Feuerfetisch, Masturbation, Geschlechtsakt, Verstümmelung, Gewalt, Speiberei, Pferdesülze und überdimensionale Katzen. Über drei Zeitebenen, die sich von den 1940ern bis in die Gegenwart erstrecken, führt uns TAXIDERMIA von einem Extrem ins nächste. Mit surrealistischen, absurden und zumeist Darstellungen jenseits des »guten Geschmacks« verfolgen wir die Entwicklung von drei Generationen einer Familie im Ungarn des 20. Jahrhunderts: vom jungen Leutnant im Zweiten Weltkrieg über einen Kampfesser bis hin zum Tierpräparator. Trickelemente und außergewöhn liche Kameraeinstellungen unterstützen das befremdliche Gefühl, das die Geschichten auszulösen vermögen. Ein monströser, fantastischer und visuell beeindruckender Film. Und nichts für schwache Nerven und/oder Mägen! (kh) SA 14.11.: In Anwesenheit von György Pálfi, Zsófia Ruttkay, Alexander Dumreicher- Ivanceanu, Bady Minck und Gabriele Kranzelbinder. 46
AMOUR FOU | RETROSPEKTIVE SO 15.11., 18:30 | DO 26.11., 20:15 STYX Wolfgang Fischer, D/A 2018 BUCH Ika Künzel, Wolfgang Fischer | KAMERA Benedict Neuenfels | MUSIK Dirk von Lowtzow MIT Susanne Wolff, Gedion Wekesa Oduor, Kelvin Mutuku Ndinda 90 min | Farbe, dt./engl. OmdU, DCP Rike, Notärztin in Köln, begibt sich allein auf einen Segeltörn zur »paradiesischen« Insel Ascension. Nach einer heftigen Sturmnacht, vor der ihr von einem Schiff auf gleicher Route bei Problemen Unterstützung zugesagt wird, entdeckt sie ein hava- riertes Flüchtlingsboot und setzt einen Notruf ab. Menschen gehen über Bord, doch Rike erhält von der Küstenwache die strikte Anweisung, nicht einzugreifen. Sie rettet einen Jungen, der es bis zur Yacht geschafft hat, während Hilfe von allen Seiten aus- bleibt … Fünf Jahre nach dem großen »Flüchtlingsstrom« sind solche Szenen längst von der Bildfläche gespült. Umso bildgewaltiger, voller mythischer Anspielungen veranschaulicht STYX sowohl den politisch institutionalisierten Zynismus als auch die konkrete Konfliktsituation. Ein Film ohne viel Worte, ohne Antworten. Er stellt schlicht Überlebensfragen. (sb) 47
Sie können auch lesen