Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum

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Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Congo Stars
(Supplement)
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Barbara Steiner
 2 Kongo und Österreich

     Kurt Jungwirth
 8   Interview mit Alfred Liyolo

   Günther Holler-Schuster, Barbara Steiner
   Gespräche mit Sammlern
10 1 Werner Horvath
14 2 Peter Weihs
18 3 Armin Prinz

   Armin Prinz
26 „Medizinmänner“

   Monika Holzer-Kernbichler
36 „Afrika in Graz“
   Ein Gespräch mit Kamdem Mou Poh à Hom

44 Timeline Österreich – Kongo

52 Chéri Samba, Une médecine de brousse,
   Galerie & Edition Artelier Graz, 1996

56 Rahmenprogramm

58 Impressum

   Werkbeschreibungen
17 Porträt Peter Weihs, gemalt von Moke
23 Armin Prinz als Mediziner, gemalt von Sam Ilus
24 Armin Prinz, eine Behandlungsszenerie beobachtend,
   gemalt von Landry Pengi
25 Armin Prinz mit dem Fahrrad, gemalt von Moke
30 Zu den fünf Krankheitsdarstellungen von Werner Horvath
32 Zur Skulptur L’Africaine von Oswald Stimm
33 Oswald Stimm bei den „Pygmäen“, gemalt von Moke
34 Zu den skulpturalen Werken von Peter Weihs
35 Zu den Barszenen von Peter Weihs
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Peter Weibel (Hg.), Inklusion : Exklusion,       Blick in die Ausstellung M_ARS – Kunst und Krieg,
Ausstellungskatalog, steirischer herbst, Graz,   Neue Galerie Graz, 11.01.–26.03.2003, mit Arbeiten
DuMont, Köln 1996                                von Tshibumba Kanda Matulu

Kongo und Österreich

Eine Ausstellung über kongolesische Kunst        auch eine Einzelausstellung hatte. 2003
im Kunsthaus Graz mag auf den ersten Blick       wurden Werke von Tshibumba Kanda Matulu
ungewöhnlich erscheinen. Denn außereuro­         im Rahmen von M_ARS – Kunst und Krieg,
päische Kunst, speziell afrikanische, wird       einer Ausstellung der Neuen Galerie Graz in
nach wie vor selten in den großen Kunst­         Kooperation mit „Graz 2003 – Kulturhaupt-
institutionen gezeigt. Nicht so in Graz:         stadt Europas“, gezeigt.
2013 präsentierte das Kunsthaus Graz eine        Mehrere Ausstellungen fanden – unter ande-
Einzelausstellung von Romuald Hazoumè,           rem 2004 im Künstlerhaus Graz (damals
die den Titel Beninische Solidarität mit         noch Teil des Landesmuseums Joanneum)
gefährdeten Westlern trug und der Frage          und 2015 im Schaumbad Freies Atelierhaus
nachging: „Was wäre, wenn die Verhältnisse       Graz – zu Ehren von Susanne Wenger statt,
sich derart änderten, dass sich die Dynamik      einer in der Steiermark geborenen Künst-
von Abhängigkeiten und Machtverhältnissen        lerin, die seit 1950 in Nigeria lebte, dort
umzukehren begänne?“ (Günther Holler-            Yoruba-Priesterin wurde, die Kunstschule
Schuster). Der aus Nigeria stammende             New Sacred Art gründete und mit lokalen
Bildhauer Samso­n Ogiamien stellte 2015 im       Handwerkern und Künstlern die verfallenden
Kunsthaus Graz aus und widmete sich dem          Schreine des Heiligen Hains der Göttin Osun
Verhältnis von afrikanischer Tradition und       wieder aufbaute. Diese gehören seit 2005
europäischer Realität. Auch kongolesische        zum UNESCO-Weltkulturerbe. 2004 erhielt
Kunst war wiederholt in Graz zu sehen:           Wenger das Große Goldene Ehrenzeichen
1996 wurden Werke von Chéri Samba in             des Landes Steiermark.
Inklusion : Exklusion – Kunst im Zeitalter
von Postkolonialismus und globaler Mig-          Zu den wichtigen Initiativen in Graz zählte
ration im Rahmen des Festivals steirischer       etwa das 1999 begonnene, sieben Jahre
herbst präsentiert. Im selben Jahr arbeitete     dauernde Restaurant-Projekt Teranga,
Samba vor Ort an einer Siebdruckedition für      das Joachim Baur von der Werkstadt Graz
Galerie & Edition Artelier Graz, wo er           gemeinsam mit Bambo Sane und Salam
                                                                                                      3
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Restaurant Teranga, Sporgasse 16, 8010 Graz                                                      Café NIL (rechts Gründerin Veronika Dreier), Drei­   Fiston Mwanza Mujila, Tram 83, Zsolnay, Wien 2016
                                                                                                 hackengasse 42, heute Lazarettgasse 5, 8020 Graz

Barry konzipierte. Dafür wurde der damalige      Österreich, die gezeigte Kunst und der Aus-     Uns Kuratorinnen und Kuratoren der Aus-              Damit ist bereits ein Punkt benannt, weswe-
Galerieraum der Werkstadt Graz zu einem          tragungsort der Ausstellung werden mitei-       stellung hat interessiert, wie sich politische       gen sich dieser Ausstellungsführer vor allem
Restaurant für zirka 20 Personen umgebaut.       nander und beide mit länderübergreifenden       und soziale Realitäten, mitunter ununter-            den mitunter überraschenden Beziehun-
Darüber hinaus zu nennen sind die Aktivitä-      gesellschaftspolitischen Ereignissen ver-       scheidbar, mit Fiktionen mischen. „Kongo“            gen zwischen Österreich, konkret auch der
ten der Grazer Kirche St. Andrä, initiiert       bunden. Congo Stars ist also keine „natio­      umfasst vor diesem Hintergrund eine Bün-             Steiermark, und Kongo widmet, um freilich
vom damaligen Pfarrer Hermann Glettler,          nale Ausstellung“ oder gar Leistungsschau       delung von (Re-)Inszenierungen, Deutun-              davon ausgehend Querverweise auf Ereig-
der BAODO Kunstverein, der den Kunstraum         der DR Kongo. Ja, der Titel ruft den Stern      gen, narrativen Fortschreibungen und Aus-            nisse einzubauen, die nationale Begrenzun-
und das Café NIL führt – ein interkulturel-      in der Flagge auf und spielt auf die wech-      schmückungen, an der viele beteiligt sind            gen herausfordern.
les Kommunikations- und Kulturzentrum            selnden politischen Systeme und Regimes         – Wissenschaftler/innen, Künstler/innen,
für Begegnungen und Austausch –, sowie           an – denn nicht nur der Name der heutigen       Filmemacher/innen, Journalistinnen und               Doch nun zu Österreich, das nicht weniger
Chiala, ein Verein, der aktiv Kunst- und         DR Kongo, auch die Nationalflaggen wurden       Journalisten, Kunstsammler/innen, Reisende           Imaginations- und Identifikationsraum
Kulturvermittlung mit Afrikaschwerpunkt          je nach Staatsdoktrin modifiziert. Er bezieht   usw. – und die weit über territoriale Grenzen        sowie Projektionsfläche ist als Kongo. Auch
und Kulturarbeit betreibt und jährlich das       sich aber auch auf Populärkultur, auf lokale    eines Staates hinausgehen.                           wenn unsere Zeitlinie in der Ausstellung
Chiala Afrika Festival in Graz organisiert. An   und internationale Stars und Helden, und                                                             weit in die Vergangenheit zurückreicht,
dieser nicht vollständigen Aufzählung kann       darüber hinaus auf den buchstäblichen           Congo Stars zeigt populäre Malerei, die im           möchte ich mich hier auf die Zeit nach 1945
man bereits merken, dass sich „Afrika“-          Griff nach den Sternen: Zaire, so lautete       Zeitraum zwischen den 1960er-Jahren und              beschränken und einige Punkte herausgrei-
Kooperationen nicht alleine auf das Gebiet       der Staatsname zwischen 1971 und 1997,          heute entstanden ist, sowie Arbeiten in              fen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in
der DR Kongo beschränken; die einzelnen          leistete sich ein ambitioniertes Weltraum-      anderen Medien, von kongolesischen Künst-            Österreich gezielt ein Narrativ aufgebaut,
afrikanischen Gruppen stehen im Austausch        programm. Auch die vielen utopisch-futuris-     lerinnen und Künstlern, die aktuell in Paris,        wonach das Land nie koloniale Interessen
miteinander, aber auch mit Österreicherin-       tisch anmutenden Darstellungen der Künst-       Brüssel, Kinshasa und Lubumbashi leben.              verfolgt hat. Entdeckungs-, Forschungs-
nen und Österreichern.                           ler sprechen letztendlich von der Sehnsucht     Als gedanklicher Ausgangspunkt für die               und Handelsreisen wurden im Blick zurück
                                                 nach einem – sowohl territorial als auch        Ausstellung diente das Buch Tram 83 des              als unpolitisch eingestuft und selbst wenn
Congo Stars schreibt sich in diese Ausstel-      zeitlich in einem „Außerhalb“ liegenden –       aus Lubumbashi stammenden und in Graz                Gewalt involviert war, wurde deren „Kultur-
lungsgeschichte und Initiativen vor Ort ein.     positiv besetzten gesellschaftlichen Raum.      lebenden Schriftstellers Fiston Mwanza               oder Zivilisationsauftrag“ betont. Eigene
Vor diesem Hintergrund werden zwar spe-          Letztendlich ist „Kongo“ Projektionsfläche,     Mujila. Er begann seinen Roman in Deutsch-           politische oder ökonomische Interessen
zifische Beziehungen zwischen Kongo und          Imagination, dysfunktionaler Staat und          land als Preisträger der Heinrich-Böll-              blendete man genauso aus wie die Tatsache,
Österreich beleuchtet, aber gleichzeitig in      umkämpftes Territorium zugleich.                Stiftung zu schreiben und beendete ihn in            dass sich eine Reihe namhafter österreichi-
politische, wirtschaftliche, soziale und kul-                                                    Graz, wo er im November 2018 den Peter-              scher Forscher in den Dienst der Kolonial-
turelle Bezüge eingebettet, die nationale                                                        Rosegger-Preis erhält.                               mächte gestellt hatte. Auch blieb der Blick
Zuschreibungen überschreiten. Kongo und                                                                                                               auf den Kontinent Afrika, der vor allem
                                                                                             4                                                                                                            5
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
darunter Alfred Liyolo, ein junger Bildhauer                                                     schen und französischen Leihgeberinnen
                                              aus Leopoldville. Er und 19 weitere junge                                                        und Leihgebern sowie der deutschen Kul-
                                              Männer im Alter von rund 20 Jahren lernten                                                       turstiftung des Bundes, den Unternehmen
                                              zunächst in den Sommermonaten in Leib-                                                           Drei und UNIQA, Zultner Metall GmbH und
                                              nitz (Südsteiermark) Deutsch, um später                                                          Leicht Metallbau, dass sie diese Ausstel-
                                              Ausbildungen an der Landwirtschaftsschule                                                        lung ermöglicht haben, die ab März in leicht
                                              in Silberberg, der Montanuniversität in                                                          veränderter Form auch in der Kunsthalle
                                              Leoben, der Technischen Universität oder                                                         Tübingen zu sehen sein wird. Besonders
                                              der Kunstgewerbeschule in Graz aufnehmen                                                         freut uns natürlich, dass es im Rahmen
                                              zu können. Liyolo besuchte zunächst die                                                          des Vermittlungsprogramms zur Ausstel-
                                              Grazer Kunstgewerbeschule und später die                                                         lung auch eine Reihe an Kooperatio­nen mit
UNO-City, Wien, 1979                          Hochschule für angewandte Kunst in Wien.         Alfred Liyolo, L’Abstinance, 1985               afrikanisch-österreichischen Partnerinnen
                                              Er heiratete eine Steirerin und ging 1970                                                        und Partnern aus Graz gibt. Hier danken wir
                                              wieder in den Kongo zurück, um an der neu                                                        Monika Holzer-Kernbichler und dem Vermitt-
durch populäre Reisebeschreibungen            gegründeten Académie des Beaux-Arts in           Dank dem Welt­museum Wien, der Österrei-        lungsteam.
geprägt war, durchaus kolonialistisch und     Kinshasa zu unterrichten, deren Rektor er        chischen Ethnomedizinischen Gesellschaft
rassistisch.                                  1986 wurde.                                      (Wien), Armin Prinz (Wien), der Sammlung        Mitten in den Vorbereitungen zu Congo
                                                                                               Horvath Politischer Kunst (Linz), Peter         Stars ist der Medizinanthropologe und
1955 trat Österreich den Vereinten Nationen   Auf Liyolos Initiative wurden zwei öster-        Weihs (Kukmirn) und Thomas Stimm (Bur-          Ethno­loge Armin Prinz, einer der wichtigsten
bei. Um unter denjenigen Mitgliedsstaa-       reichische Künstler – der Bildhauer Oswald       gau). Ohne ihre großzügige Unterstützung        Kenner kongolesischer Kunst, verstorben.
ten, die ehemals Kolonien waren, für das      Stimm und der Keramiker Peter Weihs – ein-       wäre dieses Projekt in seiner Dichte nicht zu   Die Ausstellung ist auch seinem Gedenken
neutrale Österreich und die Ansiedlung        geladen, an der Académie des Beaux-Arts          realisieren gewesen.                            gewidmet.
internationaler Organisationen in Wien zu     zu unterrichten. Im Gegenzug kamen der
werben, betonte die Republik ihre koloniale   Bildhauer Makala Mbuta und der Keramiker         Die Ausstellung selbst vereint – auch wenn      Barbara Steiner, Kunsthaus Graz
Unschuld und verhielt sich in Bezug auf       Magwaia Samba mit einem Stipendium zur           sie zunächst bei kongolesischer Kunst ihren
UNO-Agenden wie Entkolonialisierung, Men-     Ausbildung nach Österreich, um nach zwei         Ausgangspunkt nimmt und einen speziellen
schenrechte, Abrüstung sowie Einhaltung       Jahren die beiden europäischen Professoren       Fokus auf die kongolesisch-österreichischen
des Völkerrechts äußerst kooperativ. Diese    in Kinshasa ablösen zu können. Letztendlich      Beziehungen legt – wissenschaftliche,
Strategie zeitigte bald Erfolge, die in der   blieben beide Österreicher viele Jahre in Kin-   gestalterische und künstlerische Expertise
Ansiedlung der Internationalen Atomener-      shasa tätig: Stimm von 1973 bis 1982, Peter      aus Belgien, der DR Kongo, Deutschland
gie-Organisation (1957) und der Organisa-     Weihs von 1972 bis 1991, beide mit kürzeren      und Österreich, zusammen mit den Kura-
tion für industrielle Entwicklung (1966) in   und längeren Unterbrechungen.                    torinnen und Kuratoren (Sammy Baloji,
Wien gipfelten. 1971 wurde schließlich Kurt                                                    Bambi Ceuppens, Günther Holler-Schuster,
Waldheim Generalsekretär der Vereinten        Die Verbindungen und Verflechtungen sind         Fiston Mwanza Mujila, Barbara Steiner),
Nationen und 1979 eröffnete mit der UNO-      also vielfältiger Natur und reichen weit         der Assistenzkuratorin (Alexandra Trost)
City ein dritter UNO-Sitz in Wien.            zurück. Denn – wie bereits eingangs erwähnt      und den Registrarinnen des Kunsthau-
                                              – haben nicht nur wichtige kongolesische         ses (Astrid Mönnich, Magdalena Muner),
Ende der 1950er-Jahre entstand in den in      Künstler wie Chéri Samba oder Tshibumba          den Kooperations­partnern in Lubumbashi
die Unabhängigkeit entlassenen afroasiati-    Kanda Matulu in den 1990er-Jahren in             (Picha ASBL), Tervuren (Musée royal de
schen Ländern ein Bedarf an Know-how. Sie     Graz ausgestellt, sondern es gibt auch drei      l’Afrique centrale), Tübingen (Kunsthalle)
schickten junge Menschen zur Ausbildung       bedeutende österreichische Sammlungen,           und Bayreuth (Iwalewahaus) sowie dem
ins europäische Ausland – unter anderem       die – neben Leihgeberinnen und Leihgebern        Gestaltungsteam der Ausstellung (Rainer
auch nach Österreich. Im Zuge der Bildungs-   aus Brüssel und Paris – der Ausstellung          Stadlbauer, Kay Bachmann, Michael Posch)
zusammenarbeit kam 1963 eine Gruppe           Congo Stars wesentliche Konvolute zur Ver-       und dieses Ausstellungsführers (Karin Buol-
Kongolesen zum Studium in die Steiermark,     fügung stellten. Hier gilt unser besonderer      Wischenau). Wir danken ihnen, den belgi-
                                                                                          6                                                                                               7
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Interview mit Alfred Liyolo                                                                     tiert. Im Übrigen ist der Eindruck, den so ein
                                                                                                Kunstwerk auf einen Afrikaner macht – in
Kurt Jungwirth                                                                                  Afrika bestehen solche Kirchen ja nicht –
                                                                                                vollkommen fremdartig.
Herr Alfred Liyolo, woher kommen Sie?        Was suchen Sie, was erwarten Sie sich von
                                             Österreich in dieser Beziehung? Wollen Sie         Was sagen Sie zu unserer Sprache?
Ich komme aus Leopoldville.                  sich hier vervollkommnen oder wollen Sie
                                             sich eine Inspiration suchen?                      [lacht] Die deutsche Sprache ist sehr, sehr
Sind Sie auch in Leopoldville geboren?                                                          schwer. Ich glaube, dass ich mit ein wenig
                                             Ich möchte mich vervollkommnen, beson-             Geduld doch dahin kommen werde, diese
Nein, ich bin in einem Dorf, 320 km von      ders um Bildhauerei und Modellierkunst             Sprache ein wenig zu sprechen.
Leopold­ville entfernt, geboren.             zu lernen. Um wirklich ein guter Künstler
                                             zu werden. Um eines Tages in den Kongo             [lacht] Mit Geduld und mit Arbeit.
Aber Sie haben lange in Leopoldville         zurückgehen zu können und dort wirklich
gewohnt?                                     ein Mann, der sein Metier versteht, zu sein.       [lacht] Ja, mit Arbeit und mit Geduld, die
                                                                                                zwei müssen leider miteinander gehen.
Ja, seit 1949 habe ich dort gelebt.          Haben Sie irgendwelche Ideen, Gedanken
                                             zur europäischen Kunst?                            Also dann viel Mut und alles Gute für diese
Und was haben Sie in Leopoldville                                                               Arbeit!
gemacht?                                     Ja, ich habe Kunstgeschichte gelernt. Ich
                                             musste die Kunst aller Kontinente kennen-          Oh merci, merci beaucoup.                                         Alfred Liyolo, La Symphonie, 1982
Mein Vater ist zuerst nach Leopoldville      lernen. Also habe ich auch einige Ideen der
                                                                                                Audio-Aufzeichnung des Bild- und Tonarchivs Graz (heute
gegangen. Er hat sich dort niedergelas-      europäischen Kunstgeschichte mitbekom-             Multimediale Sammlungen, UMJ), 1963
sen und hat mich dann später in die Stadt    men. Nur sind das hauptsächlich theoreti-          Dauer: 8 min 12 s
                                                                                                Das Interview fand auf Deutsch und Französisch statt. Alfred
geholt. Und dort habe ich dann meine         sche Gedanken.                                     Liyolo sprach ausschließlich Französisch, Kurt Jungwirth
Schulbildung gehabt, habe die Schule von                                                        (später steirischer Politiker und Kulturfunktionär) übersetzte.
der ersten Volksschule an bis zur Akademie   Haben Sie schon irgendwelche Spuren die-
der schönen Künste besucht.                  ser europäischen Kunst hier in Österreich
                                             entdeckt?
Was haben Sie dort als Student an dieser
Akademie gemacht?                            Ja, ich habe schon vieles entdeckt in den
                                             Straßen beim Spazierengehen. Vor allem auf
Ich stamme aus einem Dorf, das sehr          dem Gebiet der Bildhauerei, aber auch Male-
bekannt ist durch seine künstlerischen       rei. Ich habe gesehen, dass Österreich ein
Erzeugnisse. Man macht dort vor allem        stark entwickeltes Kunstland ist.
Elfenbeinschnitzereien. Und ich selbst
habe ein Talent entdeckt, Künstler zu wer-   Können Sie uns sagen, was für einen Ein-
den. Deswegen bin ich an diese Akademie      druck eine typisch österreichische Barock-
gegangen und dort habe ich verschiedene      kirche auf Sie macht? Seien Sie ganz offen.
Branchen gelernt. Vor allem Modellieren.
Und Bildhauerei sowie auch Zeichnen und      [lacht] Was ich hier gesehen habe, hat für
Skizzieren. Und schließlich habe ich das     mich vor allem bestätigt, was ich bisher in
Stipendium bekommen, um nach Österreich      der Kunstgeschichte gelernt hatte. Ich habe
zu gehen.                                    praktisch gesehen, dass das, was ich einmal
                                             theoretisch lernen musste, wirklich exis-
                                                                                            8                                                                                                         9
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Gespräche mit Sammlern

                Günther Holler-Schuster, Barbara Steiner

                1 Werner Horvath                                Das würde niemand verfolgen. Dass der
                                                                Maler sich an eine solche Darstellung heran-
                Wann haben Sie begonnen, kongolesische          traut, habe ich sehr bewundert. Deshalb bin
                Kunst zu sammeln?                               ich von den sowjetischen zu den kongolesi-
                                                                schen Malern umgestiegen.
                Zunächst malte ich kritische Antikriegsbil-
                der. Das kam aus einer Auseinandersetzung       Die Bilder der „peinture populaire“ haben Sie
                mit dem sowjetischen Sozialismus; diese         offenbar sehr beeinflusst. Man sieht dies
                Arbeiten sammelte ich und verarbeitete die      deutlich in den Motiven, aber auch in der
                Anregungen in meinen eigenen Malereien.         Art, wie Ihre Bilder aufgebaut sind.
                Sowjetische Kunst wurde mir aber irgend-
                wann zu teuer, deshalb hörte ich damit auf.     Man sieht dies am besten an dieser Serie
                Bei einer Ausstellung im Wiener Josephinum      von fünf Bildern. [→ S. 30–31] Es sind
                bin ich dann auf die afrikanische Samm-         Tropen­krankheiten, Ängste und Neurosen,
                lung gestoßen, die Prof. Prinz aufgebaut        Berufskrankheiten, Zivilisationskrankhei-
                hatte. Eigentlich per Zufall, denn ein von      ten, Überfluss- und Mangelkrankheiten
                mir gemaltes Bild von Prof. Olbert, einem       dargestellt. Bei Letzterem sieht man den
                bekannten Mediziner, war dort ausgestellt.      afrikanischen Einfluss deutlich. Ich schildere
                Mir fielen die politischen Bilder aus dem       den Verlauf der Krankheit Aids. Man sieht
                Kongo sofort auf. Und es stellte sich heraus,   das Anbandeln im Lokal, den Geschlechts-
                dass Prof. Prinz diese oft mitkaufen musste,    verkehr, die Versuche, der Ansteckung zu
                obwohl er sich eigentlich nur für die medizi-   entgehen (ein Heiler führt eine Hühnerblut-
                nischen Bilder interessiert hatte. Diese sind   Behandlung durch) und den Tod – die Leiche
                quasi „übrig geblieben“, standen herum und      wird dann weggebracht. Die Vorbilder für
                waren für seine ethnomedizinische Samm-         diese Motive stammen von einem afrika-
                lung nicht zu gebrauchen. Ich fragte ihn, ob    nischen Maler. Er hat die Szenen genau so
                ich diese kaufen könne.                         dargestellt.

                Was war der Impuls, gerade diese Bilder zu      Wieso zählt Aids für Sie zu den Mangeler-
                sammeln?                                        krankungen?

                Mich faszinierten die Darstellungen.            Es gibt einen Mangel an Aufklärung, Vor-
                Man kann die Bilder kaum anschauen, so          sorge, Therapie ... Deshalb habe ich Aids
                grausam sind sie. Mich hat der Mut sehr         zu den Mangelerkrankungen genommen.
                beschäftigt, solche Szenen zu malen. Es         Tagespolitische, aktuelle Szenen malen,
                fasziniert mich, dass jemand eine Präsiden-     das kann ich allerdings aufgrund meiner
                tenwahl zeigt und die Kandidaten als Tiere      langwierigen Technik nicht. SAPINart könnte
                und den regierenden Präsidenten als Ratte       das, ich nicht.
                darstellt. In einem Land, in dem es keine
                Sicherheit gibt, könnte der Präsident ohne      Kongolesische Künstler/innen reagieren
                Weiteres befehlen, den Maler umzubringen.       schnell auf Ereignisse.
Depot Horvath
                                                                                                            11
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Werner Horvath nach
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                                                 Ausstellungsplakate, 2010                                                                                         Démon-cratie, 2004

Das hat sich Armin Prinz einmal zunutze         Waren Sie jemals selbst im Kongo?                Anlässlich der Ausstellung 50 Jahre Kongo       „digitaler Bilderrahmen“ genutzt wurde.
gemacht. Es handelte sich um die Schluss-                                                        reiste ich nach Tervuren. Denn das Afrika-      Für mich ist der Inhalt dieser Bilder auch auf
phase der Wahl zwischen Kabila und Bemba.       Ich war nie im Kongo. Mir reichen Bildwelt       museum hatte auch sieben Bilder von mir         Österreich übertragbar. Nehmen wir das Bild
Letzterer verlor, gab aber nicht auf, saß mit   und künstlerischer Ausdruck. Da ich selbst       als Leihgaben erhalten, u. a. von Chéri Che-    von Ange Kumbi: Der populistische Kandidat
seiner Leibgarde in Kinshasa fest, vertei-      im Laufe meines Lebens fast jede Infekti-        rin und Moke. Als ich dort war, sah ich im      zeigt zunächst seine Volksnähe, dann wird
digte sein Areal und es kam zum Konflikt:       onskrankheit bekommen habe, wollte ich           Museumsshop ein Original – es war von Sam       er gewählt und unnahbar. Wachposten sind
Hotels wurden beschossen, es gab Plünde-        diese Reise vermeiden.                           Ilus. Das Bild kaufte ich dann umgehend. In     vor der Tür postiert, die niemanden einlas-
rungen. Letztendlich ist Bemba nach Portu-                                                       kommerzielle Galerien bin ich allerdings nie    sen.
gal geflohen. Jedenfalls hat Prinz in diesem    Kennen Sie Peter Weihs, den österrei-            gegangen.
Chaos Maler aufgesucht und sie beauftragt,      chischen Künstler, der sehr lange an der                                                         Chéri Cherins Bild „Démon-cratie“ haben Sie
dieses Chaos zu malen. Er hat überhaupt         Académie des Beaux-Arts unterrichtete?           Sie haben Ihre Bilder mehrfach ausgestellt,     ganz direkt auf die österreichischen politi-
viele Aufträge erteilt. Die Maler reagierten                                                     also eigene Ausstellungen organisiert. Was      schen Verhältnisse übertragen.
darauf: Als sie merkten, es gibt eine Nach-     Über Prof. Prinz kam ich an Prof. Weihs. Von     hat Sie dazu motiviert?
frage, haben sie Bilder vermehrt nachge-        ihm habe ich dann einen Moke erworben.                                                           Man sieht ein Auto, das im Sumpf fest-
stellt. Man hat ziemlichen Einfluss auf die     Von diesem Künstler wollte ich unbedingt         2010 organisierte ich zusammen mit Prinz        steckt. Ich habe die Szene leicht variiert,
Produktion, auch wenn man es nicht will         ein Bild haben, denn in Moke sehe ich einen      50 Jahre Unabhängigkeit. Kongo in Bil-         indem ich die Köpfe austauschte – mit klei-
– man beauftragt und plötzlich gibt es zehn     Quantensprung der kongolesischen Male-           dern, eine Ausstellung politischer Kunst im     nen Zeitungsbildern von österreichischen
leicht voneinander abweichende Varianten.       rei. Weihs nahm viele Bilder aus Afrika mit,     Schloss Puchenau und im Jägermayrhof in         Politikern, die nun im übertragenen Sinn die
                                                einen Teil verkaufte er auch. So brachte er      Linz – das ist ein von der Arbeiterkammer       Banken anschieben, die im Sumpf stecken.
Was ist Ihr beruflicher Hintergrund?            etwa auch einen schönen Chéri Samba nach         getragenes Veranstaltungszentrum.               Dies bezog sich also auf die damals aktuelle
                                                Österreich, den das Völkerkundemuseum            2009 zeigte ich anlässlich von „Linz 2009 –     Situation. Meine Interpretation war in einer
Ich studierte Medizin und nicht Kunst, bin      kaufte. Er musste das Bild in vier Teile zer-    Kulturhauptstadt Europas“ die Ausstellung       lokalen Zeitung abgebildet, allerdings leider
also ein Autodidakt. Bereits als Jugendlicher   schneiden, um es mitnehmen zu können.            Wir sind Kongo im sogenannten „Kunst­           stark beschnitten.
begann ich zu malen. Mein Vater war Maler       Leider ist es mir nicht gelungen, ein Bild von   palast“. Das war im Prinzip ein ausrangierter
und Anstreicher und unser Keller war            Chéri Samba zu erwerben. Schaut man sich         Wohnwagen aus der DDR, ausgestattet mit         Waren damals afrikanische Künstler in Linz?
voller Farben. Der Künstlerberuf war in der     die Preise an, dann ist es jetzt zu spät.        Parkett und Kristalllüstern. Meine Aus-
Familie nicht so erwünscht gewesen. Doch                                                         stellung zeigte 100 Bilder aus dem Kongo.       Moke-Fils wollte damals kommen, aber wir
habe ich das Medizinstudium nie bereut.         Haben Sie auch woanders gekauft? Außer           Es gab aber nur ein paar Originale, die meis-   haben es mit dem Visum nicht geschafft.
Später wollte ich Medizin und Kunst verbin-     bei Prinz und Weihs?                             ten Bilder wurden auf einem Navigations-
den.                                                                                             gerät beim Eingang gezeigt, das als eine Art
                                                                                            12                                                                                               13
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
tung und ist deshalb auch eher wieder            Dieser war total handwerklich für mich,
                                                                                                    zurück nach Wien. Doch mich hielt das nicht      ich arbeitete mit den Studierenden, zeigte
                                                                                                    ab, auch wenn ich anfangs Schwierigkeiten        ihnen, wie man töpfert, Glasuren anreibt,
                                                                                                    mit der Sprache hatte. Durch belgische           Gipsformen, Naturstudien – kurzum: Ich
                                                                                                    Freunde und einen Elsässer, der gut Deutsch      führte sie in die Arbeitsvorgänge der Kera-
                                                                                                    sprach, lernte ich schnell Französisch. Ich      mik ein. Für „Kopfmodellierungen“ hatte ich
                                                                                                    bemühte mich zuzuhören und zu verstehen.         sogar ein eigenes Programm aufgestellt. Ich
                                                                                                    Auch machte ich einen Kurs am Centre Cul-        modellierte mit den Studierenden, wir arbei-
                                                                                                    turel Français. Weil meine Tätigkeit in erster   teten gemeinsam an ihren jeweiligen Objek-
                                                                                                    Linie handwerklich orientiert war, ging es.      ten. Das war ein schönes Erlebnis, denn es
                                                                                                    Und man kommuniziert auf einer anderen           ging nicht darum zu sagen, „das ist meine
                                                                                                    Ebene, wenn man eine Sprache nicht perfekt       Idee ...“ – es gab viel mehr Gemeinschaft­s­
                                                                                                    kann.                                            arbeit als in Wien.
                                                                                                                                                     Als ich noch vor Schulbeginn in Kinshasa
                                                                                                    Wie lange haben Sie insgesamt an der             ankam, half ich sogar Liyolo Gipsformen
                                                                       Peter Weihs mit Chéri
                                                                       Cherin und Monsengo          Académie des Beaux-Arts in Kinshasa gear-        herzustellen, denn das beherrschte ich sehr
                                                                       Shula, 2000                  beitet?                                          gut von den Auftragsarbeiten Leinfellners
                                                                                                                                                     her. Diese Erfahrung war Gold wert. Liyolo
                                                                                                    Ich war mit Unterbrechungen zwischen             hatte gerade einen Großauftrag von Mobutu
2 Peter Weihs                                   Kinshasa. Später fand ich heraus, dass Frie-        November 1972 und September 1991 dort,           bekommen. Ich wohnte eine Zeit lang sogar
                                                derike an das österreichische Unterrichtsmi-        diese lagen meist in den großen Ferien           in seiner Nähe. Anfangs nahm er mich in sei-
Sie haben in Wien studiert?                     nisterium geschrieben hatte. Liyolo führte          bzw. wurden länger, als die Unruhen began-       nem Auto in die Akademie mit. Dann kaufte
                                                damals die Bildhauerklasse an der Akade-            nen. Da musste man oft ein halbes Jahr           ich mir selbst einen Volvo. Zunächst war die
Ich studierte bei Heinz Leinfellner. Er wurde   mie in Kinshasa, viele Jahre später wurde           in Europa warten, bis man wieder in den          Bezahlung gut, ein Teil des Gehalts wurde in
1959 Dozent für keramische Plastik und im       er sogar deren Rektor. Interessanterweise           Kongo konnte. Die ersten drei Jahre blieb        Dollar nach Österreich überwiesen.
Jahr 1972 dann zum ordentlichen Professor       hatte ich Liyolo bereits früher gesehen, und        ich jedoch ununterbrochen in Kinshasa.           Vor Ort bekam ich Zaire. Doch dauerte es
an die Wiener Kunstakademie berufen.            zwar buchstäblich nur gesehen, 1961 in              Ursprünglich waren zwei angedacht.               monatelang, bis das Geld auf dem Konto
                                                Prag, bei einer internationalen Keramikaus-         Die Ursprungsidee war, zwei Studenten –          war.
Wann kamen Sie in den Kongo?                    stellung. Unsere Keramik- und die Bildhau-          den Bildhauer Makala Mbuta und den Kera-         Die letzten fünf, sechs Jahre bekam ich
                                                ereiklasse von Bertoni sind damals dahinge-         miker Magwaia Samba – während unserer            Fünfmillionen-Scheine und ein Bierdeputat
Dies hat mit Alfred Liyolo zu tun, einem        fahren, um auszustellen.                            Zeit in Kinshasa zum Studium nach Europa         von einer Brauerei. Das konnte man dann
Künstler, der die Klasse Bildhauerei an der                                                         zu schicken. Tatsächlich haben die beiden        weiterverkaufen.
Ortweinschule in Graz besucht und dann          Was wussten Sie von „Afrika“ oder gar dem           dann an der Angewandten in Wien ihr Dip-         Im Laufe der Zeit gab es immer mehr heimi-
eine Steirerin, Friederike, geheiratet hatte.   Kongo?                                              lom gemacht. Sie hätten uns als Professo-        sche Lehrbeauftragte – zum Schluss waren
Nach seinem Studium in Wien an der Akade-                                                           ren ablösen sollen, doch es entwickelte sich     es nur mehr Kongolesen.
mie – er war der erste Schüler von Wander       Damals hatte ich noch keinen Afrikabezug –          anders. Sie kamen nicht zurück, zumindest
Bertoni – ging Liyolo wieder in den Kongo       aber ich hörte von der grandiosen Natur             nicht sofort. So blieben Stimm und ich           Waren unter Ihren Studierenden welche, die
zurück. Eines Tages bekamen wir an der          und wurde insgesamt neugierig. Allerdings           länger. Ich hatte ja genügend interessante       einen Bezug zur „peinture populaire“ hat-
Angewandten ein Schreiben, in dem stand,        waren die Unruhen nach der Ermordung                Schüler, hauptsächlich Afrikaner, aus Zaire,     ten?
dass man Bildhauer und Keramiker für            Lumumbas damals auch im österreichi-                dem Tschad, Brazzaville, Angola ... Die erste
die Académie des Beaux-Arts in Kinshasa         schen Ausland sehr präsent. Die meisten             Frau überhaupt studierte bei mir in der          Chéri Cherin war in meiner Klasse, Mika stu-
suchte. Leinfellner fragte mich: „Wollen Sie    Leute, die ich kannte, hatten mir abgeraten         Keramikabteilung. Später war das Verhältnis      dierte ebenfalls an der Akademie. Für Cherin
nach Afrika?“ Und ich wollte – so wie mein      und gesagt, dass ich den Anschluss an die           zwischen Studentinnen und Studenten 1 : 4.       dauerte die Ausbildung zu lange – deshalb
späterer Kollege Oswald Stimm auch. Er          Kunstszene in Österreich verlieren würde.                                                            beendete er die Keramikausbildung nicht. Er
ging dann ein Jahr später ebenfalls nach        Oswald Stimm hatte selbst diese Befürch-            Wie sah der Unterricht aus?                      wollte so schnell es ging Geld verdienen.
                                                                                               14                                                                                              15
Congo Stars (Supplement) - Universalmuseum Joanneum
Moke, Familie Weihs, Pierre Haffner und Sudila, 1975

                                                                                                     Porträt Peter Weihs, gemalt von Moke, 1977
                                                                                                     Als Ehr- und Freundschaftsbekundung des einen
                                                                                                     Künstlers (Moke) an den anderen Künstler (Weihs) ist
                                                                                                     dieses Gemälde zu verstehen. Moke zeigt darin den
Wie haben Sie die anderen kongolesischen               Die Unruhen begannen 1989/90. Damals          Bildhauer und Maler Peter Weihs in der klassisch
Maler kennengelernt?                                   haben fast alle Europäer/innen das Land       anmutenden Pose eines Künstlers. Einer durchaus
                                                       verlassen. Ich bin dann 1991 weggegangen.     westlichen Bildtradition – der der Dargestellte ent-
                                                                                                     stammt – folgend, wird der Künstler nahezu klischee-
Pierre Haffner, der Elsässer, war der wich-            Zuletzt hatte ich in der Akademie gewohnt,    haft mit den Attributen seiner Profession gezeigt: Der
tige Mann, über ihn bin ich an die Maler               gegenüber vom Ausstellungsraum. Diese         selbstbewusst und bedeutungsschwer aus dem Bild
gekommen. Er betrieb einen Cinéclub im                 Wohnung hob man neun Jahre für mich           blickende Künstler arbeitet gerade mit der rechten
                                                                                                     Hand an einer Leinwand, die auf einer Staffelei aufge-
Centre Culturel und interessierte sich sehr            auf, mit allem, was sich darin befand. Erst   richtet ist, und schnitzt gleichzeitig mit dem Meißel
für populäre Malerei. Die Bilder waren sehr            2000 löste ich den Hausrat auf, nahm das      in seiner linken Hand eine Skulptur. Die im Vorder-
präsent, es gab einen eigenen Markt, den               Wichtige mit und verschenkte den Rest. Aus    grund positionierte dunkle Figur scheint auf den
„Marché des voleurs“ ...                               diesem letzten, 30 Tage dauernden Besuch      lokalen Kunstzusammenhang hinzuweisen, während
                                                                                                     die abstrakte bzw. unfertige Gestaltung auf der Lein-
                                                       habe ich ein Malbuch gemacht.                 wand den Künstler eher in einer westlichen Tradition
Warum sind Sie aus dem Kongo weggegan-                                                               verortet. Es ist erneut der interkulturelle Kontext, vor
gen?                                                                                                 dem sich das künstlerische Werk von Peter Weihs ver-
                                                                                                     ständlich macht, der hier zum Ausdruck kommt.

                                                                                                16                                                              17
es damit, dass sie für ihre religiösen Prak-    Wie kamen Sie als Ethnologe und Mediziner
                                                                                                   tiken Kultobjekte brauchen würden, also         zur Kunst?
                                                                                                   Schnitzereien, und keine Bilder, für die sie
                                                                                                   ja doch keine richtigen Wände hätten, um        Bei meiner zweiten Reise 1974 lernte ich die
                                                                                                   diese aufzuhängen. Außerdem kannte ich          beiden österreichischen Künstler Oswald
                                                                                                   damals nur den sogenannten „Marché des          Stimm und Peter Weihs kennen, die an der
                                                                                                   voleurs“, wie von vielen Europäerinnen und      Kunstakademie in Kinshasa Professoren
                                                                                                   Europäern geringschätzig der Kunst- und         waren. Damals wohnte ich auch bei Peter
                                                                                                   Souvenirmarkt im Stadtzentrum genannt           Weihs. Übrigens konnte ich zu dieser Zeit
                                                                                                   wurde. Dort wurden Bilder und gefälschte        praktisch kein Französisch.
                                                                                                   oder gestohlene Ethnografika angeboten,         Stimm und Weihs besuchten mit mir
                                                                                                   die mich nicht weiter interessierten. Mein      Künstler wie Moke und Chéri Samba und
                                                                                                   Reisebegleiter und Freund Manfred Kremse­r,     ich freundete mich dann langsam mit der
                                                                                                   der leider schon verstorbene Professor für      „art populaire“ an. Aber gekauft hatte ich
                                                                                                   Ethnologie an der Universität Wien, war         damals noch nichts. Entweder musste ich
                                                                                                   jedoch begeistert und kaufte ein solches        als forschender Student Geld sparen, da ich
                                                                          Armin Prinz mit Chéri    Bild. Es war eine stilisierte Darstellung von   auf dem Weg in mein Forschungsgebiet bei
                                                                          Cherin, 2011             Masken, wie sie oft und gerne auf Touristen-    den Azande in Nordost-Zaire war, oder ich
                                                                                                   märkten in Afrika angeboten werden. Dieses      hatte bei meiner Rückkehr nichts mehr in
                                                                                                   Bild hing bis zu seinem Tod vor seinem Büro     der Tasche. Moke hatte ich allerdings bereits
3 Armin Prinz                                    nicht, sondern ich wollte mehr über die Hin-      an der Uni.                                     vorher über Bernhard Hafner, den damaligen
                                                 tergründe wissen. Denn man suchte einen                                                           Leiter des Institut Culturel Français, ken-
Herr Prinz, wann waren Sie das erste Mal im      westlichen Arzt (er hat die Medikamente,          Sie haben die Sammlung Ethnomedizin             nengelernt. Dieser sammelte Mokes Bilder.
Kongo?                                           kann operieren) UND einen traditionel-            zunächst ohne die „peinture populaire“          Hafners Witwe müsste die unzähligen Bilder
                                                 len Heiler auf (dieser kann Missbehagen,          aufgebaut, und auch für das damalige Völ-       von Moke, die er zusammengetragen hat,
Das erste Mal war ich im Kongo, damals           Gemeinschaftskonflikte heilen). Um diese          kerkundemuseum – heute Weltmuseum – in          noch besitzen – gelegentlich verkauft sie
Zaire, um für meine Dissertation Material        Parallelität geht es bis heute. Kulturelle        Wien gesammelt.                                 eines.
bei den Azande-Avungara – einer Ethnie, die      Faktoren und große Zusammenhänge wer-                                                             Erst langsam, zu Beginn der 1980er-Jahre,
ursprünglich im Norden des Kongos und im         den meiner Meinung nach vor allem in der          1974 habe ich meine erste Sammlung an           begann ich mich mit diesen Werken zu
angrenzenden Südsudan lebte – zu sam-            Entwicklungshilfe und Medizin unterschätzt.       das Völkerkundemuseum verkauft: Ton-            beschäftigen. Es begann in mir der Plan zu
meln. Ich studierte damals Ethnologie, hatte     Jedenfalls war ich hauptsächlich im Nordos-       töpfe – und dazu zahlreiche Großbilddias,       reifen, auch Malerei in meine ethnomedizini-
mich jedoch immer schon für traditionelle        ten des Kongos, auch im Sudan und in der          die zeigen, wie diese gemacht werden. Es        sche Sammlung zu integrieren.
Medizin interessiert. Ein Mediziner meinte       Zentralafrikanischen Republik unterwegs.          ist die einzige komplette Topfsammlung der
einmal, dass ich dies alles gar nicht beur-                                                        Azande, die existiert. Heute werden diese       Was haben Sie für eine Situation vorgefun-
teilen könne, weil ich eben kein Mediziner       Was war der ursprüngliche Beweggrund für          Gefäße nicht mehr hergestellt. Ich selbst       den? Welche Inhalte waren es zunächst, die
sei. Also studierte ich daraufhin Medizin. Ich   Sie, sich gerade mit der „peinture populaire“     hatte sie damals auf Märkten gekauft. Die       Sie bei den Malern der „peinture populaire“
fühle mich wirklich interdisziplinär, für die    zu beschäftigen, sie sogar zu sammeln?            Töpfe kamen in einen Plastiksack, darum         bemerkt haben? Gab es bereits Bilder medi-
Mediziner bin ich jedoch der Ethnologe und                                                         herum ließ ich einen Korb machen und die        zinischen Inhalts?
für die Ethnologen der Mediziner.                Zu Beginn des Jahres 1972 war ich nicht           Zwischenräume wurden mit Bauschaum
Um Forschungsgelder zu bekommen,                 sehr begeistert von der populären Male-           ausgegossen. Als begleitete Luftfracht          Ich merkte bald, dass manche dieser Bilder
hatte ich mich mit der Wirksamkeit von           rei in Kinshasa. Ich hatte immer noch das         kamen diese dann nach Österreich. Später        inhaltlich in meine Sammlung hineinpassen.
Arzneipflanzen beschäftigt und dazu auch         Wort meines Völkerkundeprofessors Walter          habe ich noch Messer und ethnografische         Die Bilder, die sich mit medizinisch sehr
einige Artikel geschrieben. [vgl. → S. 26–29]    Hirschberg in Erinnerung, der meinte, dass        Objekte an das Völkerkundemuseum ver-           relevanten Themen wie Hexerei, Magie und
Mich interessierte aber gar nicht so sehr, ob    „die Afrikaner“ zwar ausgezeichnete Schnit-       kauft.                                          traditionellen Heilkundigen beschäftigten,
diese in unserem Sinn wirksam sind oder          zer seien, aber keine Maler. Er begründete                                                        wurden gerne gemalt, da sie ja auch Theme­n
                                                                                              18                                                                                             19
behandelten, die für die Künstler selbst        Haben Sie ausschließlich in Kinshasa Bilder    lich an die Abteilung für Ethnomedizin und
höchste Bedeutung hatten. Ich erinnere mich     gesammelt oder auch in anderen Städten?        International Health der Medizinischen Uni-
an die Aussage eines zairesischen Freundes,                                                    versität Wien gekoppelt, ebenfalls im Welt-
der in der Schweiz das Studium der Atom-        Nur in Kinshasa habe ich Gemälde gekauft.      museum Wien untergebracht. Eine Zeit lang
physik abgeschlossen hatte: „Als Atomphy-       Ich bin im Kongo immer nur über die Haupt-     hatten Sie die Sammlung im Josephinum
siker weiß ich, dass es sich bei Hexerei und    stadt direkt ins Wohngebiet der Azande         präsentiert.
Magie um Aberglauben handelt, als Afrikaner     gereist.
sind sie für mich jedoch existent.“                                                            Meine Auseinandersetzung mit Ethno­
Dies erinnerte mich an die Aussage eines        Haben Sie mit den Künstlern intensiven         medizin fing, wie gesagt, 1972 an. Bereits
weltberühmten, mit mir befreundeten israe-      Austausch bzw. Freundschaften gepflegt         damals machte ich Fotos von Séancen und
lischen Biochemikers, der meinte, dass etwa     und so auch darüber hinaus über ihre           Behandlungen. Ab 1974 drehte ich 16mm-
die jüdischen Rituale des Milch-Fleisch-        Lebens- und Arbeitsbedingungen reflektiert     Filme, die dann auch in Göttingen am Ins-
Trennens biochemisch gesehen ein Unsinn         und Einblicke bekommen?                        titut für wissenschaftlichen Film publiziert
sind, aber er das Gebot trotzdem streng                                                        worden sind. Dieses Archiv ist später an
einhalte.                                       Ich hab durch die Jahre hindurch sehr viele    Bertelsmann übergegangen. Ich habe aber
                                                getroffen, näher gekannt – Moke, Chéri         selbst noch viel Material bei mir zu Hause,
Wie haben die Künstler auf Ihr spezielles       Samba, Chéri Cherin, Bodo, Chéri Benga,        das ungeschnitten ist.
Interesse reagiert?                             Sim Simaro, Ekunde und viele, viele mehr.
                                                Besonders mit Moke-Fils und Chéri Cherin       Es ist ein großes Projekt geworden, die
Sie haben es ohne lange Diskussion akzep-       bin ich sehr eng befreundet und war oft bei    Sammlung Ethnomedizin.
tiert, teils aus kommerziellen Gründen, teils   ihnen zu Hause und bei familiären Anläs-
aus eigenem Interesse. Ich habe immer           sen. Auch mit Trésor Cherin, Shula und Alfi    Es fing mit einem privaten Interesse an,
wieder gemerkt, dass sie sich mit den           Alfa verbindet mich sehr viel und ich habe     irgendwann – zu Hause hatte ich keinen
Themen beschäftigen, bei alten Verwand-         ständigen Kontakt zu ihnen. Chéri Cherin       Platz mehr – brachte ich die Bilder und
ten und anderen Leuten nachfragen. Mein         als Präsident einer nicht mehr existierenden   Gegenstände aufs Institut für Geschichte
Auftrag war sicher auch ein Anstoß für sie,     Künstlervereinigung wollte mich sogar zum      der Medizin im Josephinum in Wien, wo
sich wieder mit ihren eigenen traditionellen    Ehrenpräsidenten ernennen. Ich habe ihnen      damals auch die Ethnomedizin der Uni Wien
Vorstellungen zu beschäftigen. Man könnte       ja auch sicher im Laufe der Zeit mehrere       untergebracht war. Eine offizielle Übergabe
also fast sagen, dass mein Auftrag sie ihrer    Hundert Bilder abgekauft. Und es wurde nie     an die Ethnomedizinische Gesellschaft, die
eigenen Tradition näherbrachte.                 gehandelt; wir wussten ohne große Diskus-      ich 1979 gegründet hatte, gab es nie.
                                                sion, wie viel sie wollten und wie viel ich    Den Aufbau der Sammlung hatte ich durch
Haben Sie gezielt Aufträge vergeben?            gebe. Hat immer gestimmt – Ehrensache.         Verkaufsausstellungen finanziert. [liest]
                                                                                               „Einladung zur Verkaufsausstellung der
Das war eigentlich gar nicht nötig. Sie         Konnten Sie in der Zeit ab den 1980er-         Österreichischen Ethnomedizinischen
merkten und wussten, was ich suche. Das         Jahren, als Sie vermehrt Bilder zu kaufen      Gesellschaft. Der Erlös dient dem Aufbau
ist ja auch ein Phänomen, das viele Anthro-     begonnen haben, feststellen, für wen die       der Sammlung Ethnomedizin.“
pologen bei ihren Feldarbeiten vergessen.       Maler ihre Kunst dachten – wer war damals      Ich war lange Flughafenarzt. Der Direktor
Die Informanten wissen oft gleich, was der      ihr Publikum, wer kaufte?                      des Flugplatzes interessierte sich sehr für
Wissenschaftler hören will, was in seine                                                       Afrika – und dies hatte mir jährlich, zwei-
Vorstellungen hineinpasst, und dementspre-      Es kann ja sein, dass ich etwas übersehen      jährlich erlaubt, anlässlich der von mir
chend modifizieren sie ihre Informationen.      habe, aber meiner Beobachtung nach waren       organisierten Reisemedizinischen Tagun-
Das ist kein Betrug, sondern auch eine Art      es nahezu ausschließlich weiße Ausländer.      gen am Flughafen in Wien-Schwechat eine
Freundlichkeit dem Forscher gegenüber.                                                         Verkaufsausstellung für Künstler auf dem
Außerdem ist ein zufriedener Boss freigiebi-    Inzwischen ist ja die von Ihnen aufgebaute     Flughafengelände zu machen.
ger bei der Entlohnung …                        ethnomedizinische Sammlung, ursprüng-
                                                                                          20                                                  21
Weitere Verkaufsausstellungen (im Jose-            Johanne­s Fabian – bekannt bzw. haben
phinum und später im Loft der Firma                Sie Kontakt zu diesen Wissenschaftlern
Wiesbauer) setzte ich regelmäßig vor Weih-         gesucht?
nachten an. Im Josephinum hatte ich den
Sammler, Arzt und Künstler Werner Horvath          Johannes Fabian, übrigens ein Neffe des
aus Linz kennengelernt, der sich vor allem         berühmten österreichischen Pygmäenfor-
für die politischen Bilder interessierte, die er   schers Pater Schebesta, kannte ich damals
regelmäßig von mir kaufte.                         nur vom Hörensagen. Ich war nie in Lubum-
Am Flughafen Wien machte ich drei Ausstel-         bashi, wo er gelehrt hat, habe ihn aber
lungen: Glasbilder aus dem Senegal, kon-           später in Wien kennengelernt. Er hat mit
golesische Kunst und tansanische Kunst.            großem Interesse unsere Sammlung ange-
Wir konnten damals auch immer wenigstens           schaut. Viele Informationen zur „peinture
zwei Künstler einladen, nur bei der kon-           populaire“ erhielt ich von meinem leider
golesischen Kunstausstellung bekamen               auch verstorbenen Freund Nestor Seeuws,
wir Visaprobleme, Moke und Chéri Cherin            der langjähriger Kustos am Nationalmuseum
wären eigentlich eingeladen gewesen, was           in Kinshasa war.
bedauerlicherweise damals nicht klappte.           Resümierend muss ich sagen, dass es mir
Später bekam die Ethnomedizinische                 immer um die Thematik gegangen ist. Ich
Gesellschaft vom Jubiläumsfonds der Natio­         habe Kunst von einem rein ethnografi-
nalbank Geld zur Aufarbeitung der Samm-            schen Gesichtspunkt betrachtet, es war mir
lung. Für vier Jahre konnten wir jemanden          eigentlich egal, ob es künstlerisch wertvoll
beschäftigen, der sich mit der Archivierung        war oder nicht.
der Sammlung auseinandersetzte. Jetzt ist
das Ganze im Weltmuseum Wien. Es soll zu
einem späteren Zeitpunkt noch ein umfäng-
liches Buchprojekt geben.

Haben Sie alle Bilder an das Weltmuseum
Wien gegeben?
                                                                                                  Armin Prinz als Mediziner, gemalt von Sam Ilus,
80 habe ich behalten, auf 10 bin ich ja                                                           2011
selbst abgebildet, einmal als Arzt, wobei ein                                                     Die Faszination für den mächtigen weißen Arzt, der      wird. Mein Tagebuch, in das ich die unterschiedlichen
Arm eine Spritze ist, der andere eine Salben-                                                     so Wesentliches im Leben der Menschen bewirken          Krankheitsverläufe, Symptome und so weiter einge-
                                                                                                  kann, findet in diesem Bild seinen Ausdruck. Seine      tragen habe, liegt aufgeschlagen vor mir. Hinter mir
tube ... dann gibt es noch ein Bild von Moke                                                      zentrale Position, die Hoffnung, die mit seiner Anwe-   steht ein Sonnenschirm, versehen mit Abkürzungen
– ich mit dem Rad unterwegs im Norden des                                                         senheit verbunden ist, und die ungeahnten Möglich-      diverser internationaler Gesundheitsorganisationen
Landes bei den Azande ...                                                                         keiten, die man dem Arzt nachsagt, all das zeigt das    – außer der FIFA (Internationaler Fußballverband), die
                                                                                                  Bild eindrucksvoll. Prinz erinnert sich an dessen       der Betrachtende wohl mit der privaten Leidenschaft
                                                                                                  Zustandekommen:                                         des Künstlers verbindet. Auch das medizinische Wör-
Sind Sie heute noch im Kongo tätig?                                                                                                                       terbuch ist im Bild sichtbar. Ein Zusammenwirken
                                                                                                  „Auch dieses 2011 entstandene Gemälde wurde extra       beider Kräfte und Denkmodelle – der rationalen wis-
                                                                                                  für mich gemalt. Es zeigt mich als Arzt. Statt der
Ja, aber aus gesundheitlichen Gründen ein-                                                        Arme habe ich auf der einen Seite eine Spritze und
                                                                                                                                                          senschaftlichen und der religiös-spirituellen – wird
geschränkt. Der Kongo ist kein so einfaches                                                                                                               hier angezeigt. Das Glaubensleben – vor allem in den
                                                                                                  auf der anderen Seite eine Salbentube. Die Tube bein-   lokalen Traditionen verankert – wird allgemein in den
Pflaster mehr wie 1972.                                                                           haltet ein Medikament, das der Künstler von meinem      Heilungsprozess miteinbezogen, ist also gleich
                                                                                                  Vornamen abgeleitet hat – ‚Armicin‘. Auf meiner lin-    bedeutsam wie diverse andere Heilpraktiken.“
                                                                                                  ken Seite im Bild werden moderne westliche Medika-
Waren Ihnen zu Beginn die Forschungen zur                                                         mente dargestellt, während auf der rechten Seite        (Gespräch mit Günther Holler-Schuster, 11.07.2018)
„peinture populaire“ – beispielsweise von                                                         auch die traditionelle Ebene des Heilens sichtbar
                                                                                            22                                                                                                               23
Armin Prinz mit dem Fahrrad, gemalt von Moke,
                                                                                                                 1986
                                                                                                                 Das Bild zeigt Armin Prinz unterwegs auf einer seiner     nen. Das wird oft gemacht – die Haut wird für das
                                                                                                                 Forschungsreisen im Kongo. Prinz beschreibt die Hin-      Einreiben von Medikamenten bzw. heilenden Subs-
                                                                                                                 tergründe für dessen Entstehung folgendermaßen:           tanzen aufgeritzt. Dieser wie auch andere Menschen
                                                                                                                                                                           in dem Dorf waren vielfach von der Lyme-Borreliose
                                                                                                                 „1986 habe ich Moke über den Künstler Peter Weihs
                                                                                                                                                                           betroffen. Einer konnte gar nicht mehr gehen vor
                                                                                                                 kennengelernt. Ich hatte damals eine populärwissen-
                                                                                                                                                                           Schmerzen. Lyme-Borreliose ist eine Infektionskrank-
                                                                                                                 schaftliche Zeitschrift bei mir mit einem Artikel, der
                                                                                                                                                                           heit, die über Zeckenstiche ausgelöst werden kann
                                                                                                                 meine Arbeitsweise beschreibt und in Fotos zeigt.
Armin Prinz, eine Behandlungsszenerie                                                                                                                                      und beim Menschen sehr schmerzhaft verläuft. Ich
                                                                                                                 Eines der Fotos zeigt mich in den 1970er-Jahren mit
beobachtend, gemalt von Landry Pengi, 2011                                                                                                                                 konnte den hier sitzend dargestellten Patienten gut
                                                                                                                 einem Fahrrad. Ich legte in acht Monaten etwa 8.000
                                                                                                                                                                           behandeln. Er war danach nicht nur wieder gehfähig,
Bilder wie diese stellen eine besondere Form des Por-     son und Profession als auch auf den Künstler, sind     Kilometer zurück, was sehr anstrengend war und
                                                                                                                                                                           er hat sogar extra für mich zum Dank getanzt. Auf
träts dar. Der Dargestellte wird dabei inmitten zahl-     hier zu sehen. So ist beispielsweise die im Hinter-    mich stark abnehmen ließ. Im Bild sieht man, dass ich
                                                                                                                                                                           dem Bild ist auch ein Heiler (Abinza) zu sehen. Moke
reicher Attribute und Detailszenerien gezeigt, die sein   grund sichtbare „Boutique Bosana“ eine Anspielung      ein Huhn am Gepäcksträger habe – es war sozusagen
                                                                                                                                                                           hat ihn von einem Foto in diese Szene hineingemalt.
Leben und seine Profession andeuten, darüber speku-       auf den Künstlerkollegen Claude Bosana. Mich selbst    mein Proviant. Ich hatte es zuvor in einem anderen
                                                                                                                                                                           Vor ihm ausgebreitet sieht man die Heilpflanzen, die
lieren. Prinz beschreibt die Situation bzw. das Bild      zeigt der Maler mit einem Block, auf dem ich meine     Dorf von den Leuten geschenkt bekommen. Am
                                                                                                                                                                           ich gesammelt hatte. Die weißen Kreuze als Körper-
wie folgt:                                                Beobachtungen notiere. Eine weiße Tierärztin mit       Gepäckträger des Fahrrades hatte ich auch eine
                                                                                                                                                                           bemalung des Heilers stammen aus der Fantasie des
                                                          dem typischen weißen Mantel verabreicht gerade         Metallkiste montiert, in der ich meine Hilfsgeräte ver-
                                                                                                                                                                           Künstlers. Ich habe das in dieser Form nirgendwo
„Das Bild wurde für mich 2011 als Geschenk gemalt.        einem Hund eine Injektion. Interessant ist, dass die   stauen konnte – Fotoapparat, Tonband, Herbarmappe
                                                                                                                                                                           sonst vorgefunden. Im Bildhintergrund sieht man die
Landry Pengi zeigt eine urbane Szenerie in Kinshasa,      Behandlung von Hunden dargestellt wird – etwas,        und so weiter. Das Gepäck war etwa 40 Kilo schwer.
                                                                                                                                                                           typischen Rundhütten, die für die Gegend der Azande
in der es um medizinische Behandlungen geht. Es           das man eher Weißen zuspricht. Der Stellenwert des     Die Szenerie zeigt meine Ankunft in dem Dorf. Men-
                                                                                                                                                                           im Nordosten des Kongos bestimmend sind.“
zeigt mich selber im Hintergrund stehend, gleichsam       Haustieres ist dort ein anderer als in Europa.“        schen, die später teilweise meine Patienten wurden,
als Beobachter des medizinischen Geschehens im                                                                   stehen und sitzen um mich herum. Ein Patient sitzt        (Gespräch mit Günther Holler-Schuster, 11.07.2018)
Kongo. Allerlei Anspielungen, sowohl auf meine Per-       (Gespräch mit Günther Holler-Schuster, 11.07.2018)     am Boden und hat auf seinen Fußsohlen Skarifikatio-
                                                                                                           24                                                                                                               25
Zu den fünf Krankheitsdarstellungen von Werner           1 Überflusskrankheiten
Horvath
                                                         2 Mangelkrankheiten
Der ausgebildete Facharzt für Radiologie und Kunst-
sammler Werner Horvath ist auch als bildender Künst-     3 Tropenkrankheiten
ler tätig. In seiner Malerei ließ er sich zunächst von   4 Ängste, Neurosen
der Schule des „Phantastischen Realismus“, der sich
zunächst in Österreich, in den 1960er-Jahren aber        5 Berufskrankheiten
auch international am Markt etablierte, beeinflussen.
Gleichzeitig blieben die Werke der „Art populaire“ aus
Zaire bzw. dem Kongo, die Horvath seit den 2000er-
Jahren zu sammeln begonnen hatte, nicht ohne Spu-
ren in seinem malerischen Werk. Die Bildvorstellungen
der Afrikaner/innen weisen formale Verwandtschaften
mit jener von Horvath auf. Die Gleichzeitigkeit der
unterschiedlichen Szenerien, die manchmal jenseits
eines Raum-Zeit-Kontinuums die ganze Bildfläche
überwuchern, vereinen unterschiedliche Detailszenen
zu einer monumentalen Geschichte.
In fünf Großformaten setzt sich der Künstler mit der
Vorstellung von Krankheiten und deren Darstellungs-
möglichkeiten auseinander. Als Arzt ist er sowohl mit
den Ursachen als auch mit den sichtbaren Wirkungen
von Krankheiten bestens vertraut. Im Gegensatz zu
seinen wissenschaftlichen Forschungen zur Anferti-
gung farbiger Röntgenbilder auf fotografischem Weg
– „Das farbige Phlebogramm“, 1982 – funktionieren
seine Gemälde auf einer symbolischen Ebene. Er                                         2   3
schildert den sozialen Kontext von Krankheiten,
deren sichtbaren Verlauf und deren vielfältige Konse-
quenzen. Schaubildartig werden dabei Dinge visuali-
siert, die kommentarhaft verstanden werden können,
aber gleichzeitig auch moralisierende und aufklä-
rende Funktionen bedienen.
Das wissenschaftliche Bild ist für Laien abstrakt bzw.
surreal. Es bedarf der Interpretation durch Fachleute.
Für den doppelt Begabten – sowohl als Wissen-
schaftler als auch als Künstler – sind beide inhalt­
lichen Kontexte klar einordenbar. Während das
Phlebogramm Aussagen über Strömungsrichtungen,
Strömungsgeschwindigkeiten in Venen und Arterien
oder Turbulenzen im Blutkreislauf ermöglicht, bietet
das Kunstwerk vielfältigere Möglichkeiten der Dar-
stellung. Vor allem Bereiche des Sozialen und des
Psychischen erfasst der Künstler zwischentonreich in
seinen künstlerischen Visualisierungen.
Horvath bezeichnet seine Kunst als stark vom philoso-
phischen Konstruktivismus (Glasersfeld, Uexküll,
Watzlawick) beeinflusst. Daher geht es auch ihm
grundsätzlich nicht um das Wesen bestimmter Dinge,
sondern um den Prozess und die Entstehung der
Erkenntnis. Das ist auch ein Abschied von der Vorstel-
lung einer absoluten Wahrheit und einer empirischen
Objektivität – ist doch die/der Beobachtende nicht als
unabhängig von der Erkenntnis anzusehen.
                                                         1                             4   5

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Zur Skulptur L’Africaine von Oswald Stimm
Die Skulptur L’Africaine – die Darstellung einer Mutter
mit Kind – stammt aus Stimms Schaffenszeit in
Afrika, wo er von 1973 bis 1982 Professor für Bildhau-
erei an der Académie des Beaux-Arts in Kinshasa war.
Sie zeigt abstrakte Formen, die dem Vokabular der
klassischen Moderne folgen und den Raum ins Werk
miteinbeziehen – aufgerissene geometrische Formen,
die die Blockhaftigkeit des Objektes leugnen. Das
interessierte Stimm von Beginn seiner künstlerischen
Tätigkeit an.
Der Künstler entwickelte sein Formenrepertoire in
Buenos Aires, Argentinien, wo er von 1951 bis 1965
lebte. Später, in seiner Zeit in Kinshasa, versuchte er
das Figurative in seinem Werk wiederzubeleben.
Stimm experimentierte viel mit verschiedenen Materi-
alien wie Edelhölzern, aber auch mit abgelegten und
ärmlichen Materialien, aus denen Figuren und
Porträt­köpfe entstanden. Außerdem hielt er vieles in
Studien – Zeichnungen, Aquarellen – auf Papier fest.
Der Mensch in seiner einfachen Umgebung, das länd-
liche Alltags­leben sowie Aspekte des Kultischen und           Oswald Stimm bei den „Pygmäen“, gemalt von
die Verbundenheit des Menschen mit den Gesetzmä-               Moke, 1976
ßigkeiten der Natur haben den Künstler besonders
interessiert.                                                  Oswald Stimm arbeitete in seiner Zeit in Kinshasa –     Nestor Seeuws auf ihren Forschungs- und Sammel-
                                                               von 1973 bis 1982 – nicht nur an seinem künstleri-      missionen dorthin begleiten. Zahlreiche Studien auf
Die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind – ein Topos,            schen Werk, entwickelte es weiter, suchte und fand      Papier entstanden als direkte Reaktion auf diese Rei-
der oft in Stimms Werk anzutreffen ist – bestimmt              neue Aspekte für seine künstlerische Auseinander-       sen. Er empfand diese Menschen in ihrer einfachen
auch diese skulpturale Arbeit. Eine stilisierte weib­          setzung, sondern er interessierte sich auch stark für   traditionellen Lebensweise bedroht und im Ver-
liche Gestalt mit einem Kind im Arm erscheint silhou-          die traditionelle Lebensart der Menschen in seinem      schwinden begriffen – die Begegnung mit der
ettenhaft aus einem Brett geschnitten und                      neuen Lebensraum. Er unternahm Reisen in die entle-     Moderne als Bedrohung. Der populäre Maler Moke,
rudimentär bemalt. Durch seine flache Form – die               genen Dörfer der Bambuti („Forest People“ oder frü-     mit dem Oswald Stimm befreundet war und von dem
Figur zeigt sich von der Seite betrachtet nur als Linie        her „Pygmäen“) im Nordosten des Landes (Ituri) und      er auch zahlreiche Gemälde besaß, hielt die Begeg-
– befindet sich dieses Werk am Schnittpunkt zwi-               konnte Wissenschaftler aus dem Musée National von       nung des Künstlers mit den Bewohnerinnen und
schen Zwei- und Dreidimensionalität.                           Kinshasa wie den Anthropologen Charles Hénault,         Bewohnern eines Dorfes in einem großformatigen
                                                               den Musikologen Benoit Quersin und den Konservator      Gemälde fest.

                                                          32                                                                                                             33
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