Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Biodiversität und Klimawandel 9 Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume M. Schaller, C. Beierkuhnlein, S. Rajmis, Th. Schmidt, H. Nitsch, M. Liess, M. Kattwinkel, J. Settele 9.1. Einleitung: Ackerland, gefolgt von Dauergrünland, das bei ex- tensiver Nutzung durch eine hohe Artenzahl ei- 9.1.1. Bedeutung der Agrarlandschaft nen besonderen Beitrag zum Erhalt der Biodiver- als Lebensraum und der sität leistet (Stoate et al. 2009). Grünlandnutzung Biodiversität für die Landwirtschaft konzentriert sich vor allem in Mittelgebirgslagen und in Bereichen höherer Bodenfeuchte. Aber In Deutschland beträgt die landwirtschaftlich ge- auch auf trockenen Grenzertragsstandorten stellen nutzte Fläche mit ca. 17 Millionen Hektar knapp sich – falls forstliche Nutzung unterbleibt – weide- die Hälfte der Gesamtfläche. Sie umfasst Nutzungen wirtschaftliche Nutzungen ein, wie dies beispiels- sehr unterschiedlicher Intensität von Sonderkultu- weise bei Kalkmagerrasen der Fall ist, welche sich ren über Ackerflächen bis hin zu extensiv genutz- durch eine besondere Artenvielfalt auszeichnen. ten Weiden und Wiesen. Landwirtschaftliches Of- In der Fläche unbedeutend, aber mit hoher fenland ist deshalb von substanzieller Bedeutung für ökonomischer Wertschöpfung, sind Sonderkultu- den Erhalt der Artenvielfalt in Deutschland. Es stellt ren, wie z. B. Obst- oder Weinbau, die in multifunk- Lebensräume für Fauna und Flora bereit und ist tionalen Landschaften auch als belebende Struktur- auch in ausgewiesenen Schutzgebieten, wie Biosphä- elemente wirken. An Hand von Bestäubungsdienst- renreservaten oder den Schutzgebieten der Fauna- leistungen tritt hier die Bedeutung der Biodiversi- Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Gebiete) im Rahmen tät, bzw. der Agrobiodiversität, für die Landwirt- des EU-weiten Natura 2000 Netzwerkes1 relevant. schaft besonders deutlich zutage. Agrobiodiversität Die Kulturlandschaften Deutschlands sind seit umfasst nicht nur landwirtschaftliche Nutzpflanzen Jahrhunderten landwirtschaftlich geprägt. Aller- und Nutztiere sondern generell alle Komponenten dings variiert heute die Bedeutung von Agrarland- der biologischen Vielfalt von agrarisch geprägten schaften als Lebensraum deutlich zwischen groß- Kulturlandschaften, welche direkt oder indirekt für räumig ausgeräumten und kleinräumigen struktur- das Funktionieren der Agrarökosysteme und da- reichen Agrarlandschaften, wie sie z. B. in Mittel- mit für die Landwirtschaft und ihre Produkte von gebirgslandschaften vorherrschen. Letztere haben Bedeutung sind. Hierzu gehören auch die Boden- nicht zuletzt auch ästhetischen und touristischen lebewesen in ihrer enormen und teils noch nicht Erholungswert. Die Ursachen unterschiedlicher vollständig bekannten Vielfalt. Agrobiodiversität Nutzungsintensität sind teils durch Bodenfrucht- integriert ein breites Spektrum von Artengruppen barkeit und insbesondere reliefabhängige Zugäng- von Bakterien, Archaeen, Pilzen, Kultur- und Wild- lichkeit begründet, teils sind es die klimatischen pflanzen, Insekten, Spinnentieren, Vögeln, Reptili- Rahmenbedingungen, die eine eher intensive oder en, Amphibien bis Säugetieren. Entscheidend für extensive Landnutzung zur Folge haben. den Erhalt der ökosystemaren Funktionalität sind Der größte Anteil der landwirtschaftlich ge- nicht einzelne Komponenten, sondern das sich nutzten Fläche (knapp 12 Mio. Hektar) entfällt auf selbst regulierende Wirkungsgefüge der Arten. 1 Das Natura 2000-Netzwerk soll zum Schutz der wertvollsten europäischen Tier- und Pflanzenarten und Habitate beitra- gen und die Durchlässigkeit der Landschaft für die Migration von Tier- und Pflanzenarten erhöhen. Es stellt eine zentra- le Maßnahme der EU dar, um den Verlust an Biodiversität zu stoppen. 222
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume Außer Bestäubungsleistungen werden eine Rei- schen vor. Zwischen diesen bestehen zudem sehr he weiterer Ökosystemdienstleistungen von der enge Verwandtschaftsbeziehungen (Groth & Kru- Agrobiodiversität erbracht, wie z. B. die Gewähr- pa 2000). An solche Sorten sich anpassende oder leistung des Nährstoffkreislaufs, die Regulierung eingeschleppte Schädlinge können daher enorme von Kulturschädlingen und Pflanzenkrankheiten, Ressourcen und Entwicklungspotenziale vorfin- der Erhalt der örtlichen Wildtiere und -pflanzen, den. Ein weiteres Risiko liegt darin begründet, dass der Wasser- und Erosionsschutz sowie die Bindung heute die Welternährung im Wesentlichen von nur von Kohlenstoff und die regionale Klimaregulation 30 Pflanzenarten abhängt. Nur drei Hauptkulturar- (Tscharntke et al. 2005). ten – Weizen, Reis und Mais – decken gar ca. 50 % Nicht zuletzt gilt der Erhalt der biologischen des weltweiten Kalorienbedarfs. Vielfalt – d. h. die Vielfalt an Genen, Arten und Ökosystemen – mit als Garant der Anpassungsfä- 9.1.2. Weitere Einflussfaktoren auf die higkeit von Agrarökosystemen an die Folgen des deutsche Landwirtschaft und Klimawandels. Eine hohe Agrobiodiversität, die (Agro-)Biodiversität sich historisch mit der menschlichen Nutzung ent- wickelte, trug in der Vergangenheit schon zur Ge- Neben dem Klimawandel unterliegt die Landwirt- währleistung und Absicherung einer nachhaltigen schaft in Deutschland – wie generell in den west- landwirtschaftlichen Produktion bei. Auch für die lichen Industrieländern sowie zunehmend welt- Sicherung der zukünftigen Lebensgrundlagen des weit – zahlreichen weiteren Einflussfaktoren: zu Menschen spielt sie eine wichtige Rolle. Unter ande- nennen sind hier die zunehmende Globalisierung rem wird durch sie ein breiter Genpool erhalten, der der Agrarmärkte, regionaler und globaler demo- zur Nutzung zur Verfügung steht. Ein Verlust von graphischer Wandel, technologische Entwicklun- Vielfalt birgt hingegen Ertragsrisiken z. B. durch ge- gen, fortschreitender Strukturwandel (European ringe Stressresistenz und erschwert die Anpassung Commission 2007), die Gemeinsame Agrarpolitik an unvorhersehbare Krankheitsgefahren oder sich der EU (GAP) sowie generell der globale Wandel, ändernde Umweltbedingungen wie den Klimawan- einschließlich seiner Folgen in Bezug auf Neobiota del. Zwar muss ein Verlust an biologischer Vielfalt (gebietsfremde Arten) und somit auch 0fremdländi- nicht immer sofort in einem Funktionsverlust sicht- sche Schädlinge. In den letzten Jahren zeichnen sich bar werden, er erhöht aber die Gefahr für die An- in Deutschland zudem zunehmend die Auswirkun- fälligkeit eines Ökosystems gegenüber Störungen gen der wachsenden Bioenergieproduktion ab. (Tscharntke et al. 2005). Vor dem Hintergrund des Mit Beginn des Ackerbaus und der Viehzucht Klimawandels und der damit verbundenen Folgen hat die Menschheit begonnen, die natürliche Ve- extremer Klimaereignisse gewinnen eine hohe Ar- getation zu verändern und in „Kulturlandschaften“ tenvielfalt und gut strukturierte Regionen gegen- umzuwandeln. Dadurch wurden vielfältige arten- über ausgeräumten Landschaften und Monokultu- reiche Offenlandschaften geschaffen, die die bio- ren an Bedeutung (s. auch Fallbeispiel 9.3.1). logische Vielfalt förderten. Im Zuge der Intensivie- In diesem Zusammenhang ist auch die zuneh- rung der Landwirtschaft in jüngerer Zeit hat sich mende Konzentration auf wenige Hochleistungs- dabei das Landschaftsbild weiter gewandelt. Die sorten und die damit einhergehende genetische moderne Landwirtschaft basiert auf Grund von Verarmung der intensiven Landwirtschaft beson- ökonomischen Randbedingungen in zunehmen- ders kritisch zu sehen. Die Domestizierung von der Weise auf Rationalisierung, Spezialisierung Kulturarten, wie z. B. Mais oder Weizen, war zu- und Konzentration der Produktion bei einem ho- nächst mit einer Entwicklung vielfältiger regiona- hen Qualitäts- und Quantitätsniveau. Im konventi- ler Sorten verbunden, die an die jeweiligen Verhält- onellen Landbau ist dies i. d. R. mit hohem Dünge- nisse gut angepasst waren, aber zunehmend von und Pflanzenschutzmitteleinsatz, Verengung von Hochertragssorten verdrängt wurden bzw. werden. Fruchtfolgen, Flurbereinigung und Entfernung von Inzwischen ist auch innerhalb der Kulturpflanzen Strukturelementen verbunden, was wiederum eine eine zunehmende Homogenisierung festzustel- wesentliche Ursache für den Verlust von (Agro-)Bio- len. Nur noch wenige Hochleistungssorten herr- diversität darstellt. Eine gegenläufige Entwicklung 223
Biodiversität und Klimawandel zeichnet sich durch die wachsende Nachfrage der werden verdrängt. Vor allem gilt dies auf landwirt- Verbraucher nach Bioprodukten und die zunehmen- schaftlichen Flächen durch die Einschleppung von den Flächenanteile verschiedener Formen ökologi- Neophyten, also nicht-heimischen Pflanzenarten. scher Landwirtschaft ab. Doch hier ist zu differen- Im Zuge der Klimaerwärmung ist zu erwarten, zieren und es ist zu beobachten, dass auch in Teilen dass solche Arten zunehmend günstige Lebensbe- der Biolandwirtschaft Nutzungsformen praktiziert dingungen antreffen und verstärkt invasiv werden werden, wie z. B. große zusammenhängende Schlä- können. Auch bereits eingeschleppte, aber bis heu- ge, welche keinesfalls optimal für den Erhalt oder die te sich nicht negativ bemerkbar machende Arten positive Entwicklung von Biodiversität sind. können dann zu einem Problem werden. Es wird Ziel der GAP ist seit ihrer Gründung im Jahr davon ausgegangen, dass die Bedeutung der Neo- 1958 die Sicherung eines angemessenen Lebens- phyten und weiterer Vertreter der Neobiota in der standards der Landwirte, die Versorgung der Ver- näheren Zukunft noch ansteigen wird, da die vollen braucher mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu Auswirkungen der Globalisierung erst nach einer adäquaten Preisen und der Erhalt des ländlichen gewissen Zeitverzögerung (Lag-Phase) zutage tre- Kulturgutes. Die aus der Politik der frühen Jahre re- ten (vgl. auch Walther et al. 2009). sultierende Überproduktion führte zu einer Reform Beim Ausbau Erneuerbarer Energien, der durch der Gemeinsamen Agrarpolitik im Jahr 2003. Kern- den Erlass des Erneuerbaren Energien Gesetzes elemente der Reform, die seit Anfang 2005 ange- (kurz EEG) sowie Marktanreizprogramme geför- wandt wird, sind die Entkopplung der Beihilfen von dert wird, kommt in Deutschland dem Biomasse- der Produktion durch eine produktionsunabhän- anbau eine spezielle Bedeutung zu. Dieser eröffnet gige einzelbetriebliche Zahlung, die Bindung der der Landwirtschaft zusätzliche Einnahmequellen: Direktzahlungen an die Einhaltung von Umwelt-, So können z. B. durch die Biogasproduktion zuvor Tierschutz- und Qualitätsvorschriften als neue Vo- ungenutzte Abfallprodukte, beispielsweise Pflan- raussetzung zur Gewährung der Prämien („Cross zenreste, Silage sowie Reste aus der Rapsverarbei- Compliance“) und das generelle Bemühen um die tung, verwertet und vermarktet werden. Zudem ist Stärkung des ländlichen Raums. Letztere, die soge- der Anbau von Energiepflanzen, d. h. Pflanzen mit nannte 2. Säule der europäischen Agrarpolitik, soll hoher energetischer Verwertbarkeit, in Folge hoher explizit eine nachhaltige Landbewirtschaftung und Energiepreise zunehmend lukrativer als der Anbau Sicherung der natürlichen Ressourcen einschließ- traditioneller Feldfrüchte. Seit einigen Jahren lässt lich der Agrobiodiversität fördern und eröffnet in sich eine Tendenz zur Ausweitung von Monokultu- diesem Rahmen damit verstärkt die Möglichkeit ren beobachten mit in der Regel negativen Konse- der Förderung von Anpassungsmaßnahmen an den quenzen für die biologische Vielfalt (s. 9.2.3.). Klimawandel (KOM 2007, 354). Der Globale Wandel ereignet sich auf vielen Ebenen. Neben dem Klimawandel sind hiermit 9.2. Auswirkungen des Klima- auch die zunehmende Vernetzung der Märkte (und wandels auf landwirtschaftliche Kontinente), der globale Informationsaustausch und nicht zuletzt der globale Wandel der Landnut- Lebensräume und Biodiversität zung angesprochen. Es ist vor allem dieser Land- 9.2.1. Auswirkungen des Klimawandels nutzungswandel der letzten Jahrzehnte, der eine auf landwirtschaftliche Produktions- Erosion der Artenvielfalt sowohl global aber vor bedingungen/Prozesse und Folgen allem auch regional nach sich zog (Beierkuhnlein für die (Agro-)Biodiversität 2007). Durch die Globalisierung wird insbesonde- re die Etablierung von Neobiota bewirkt, also bis- Bereits heute sind die Auswirkungen des Klima- her in einem Gebiet nicht heimische Arten. Diese wandels auf die heimische Landwirtschaft und da- erhöhen nur vorgeblich oder kurzfristig die Arten- mit landwirtschaftlich geprägte Lebensräume sicht- zahlen. In vielen Fällen überwiegen negative Effekte bar: mit der zunehmenden Erwärmung ist mittler- (Pyšek et al. 2011) und die vorher etablierten, hei- weile der Anbau Wärme liebender landwirtschaft- mischen, und teils konkurrenzschwächeren Arten licher Kulturen und Sorten möglich, die bisher auf 224
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume mediterrane Breiten beschränkt waren: als Beispiel 9.2.1.1 Auswirkungen der seien hier Apfelsorten wie Braeburn oder Wärme Temperaturerhöhung liebende Weinsorten genannt. Dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen, wobei tendenziell kurz- Eine Temperaturerhöhung betrifft die gesamte Le- bis mittelfristig diejenigen landwirtschaftlichen An- bensgrundlage und Produktivität von Agrarökosys- baugebiete von der Klimaerwärmung profitieren temen, da alle biologischen und chemischen Reak- könnten, die bisher wärmelimitiert sind bzw. wa- tionen in Organismen und Ökosystemen von der ren, wie z. B. Mittelgebirgslagen oder die nördlichen Temperatur beeinflusst werden. Auf Grund ihrer Bundesländer. Mittel- bis langfristig ist dagegen Immobilität und fehlender Temperaturregulation vermehrt mit negativen Folgen der zunehmenden sind Pflanzen stärker als Tiere den klimatischen Klimaerwärmung und insbesondere der zuneh- Einflüssen ihres Wuchsortes ausgesetzt. Dabei sind menden Klimavariabilität zu rechnen; dies gilt ins- physiologische Prozesse in der Regel durch Kardi- besondere für Regionen, die schon heute Trocken- naltemperaturen gekennzeichnet, wobei neben dem stress während der Vegetationsperiode oder war- Temperaturoptimum das Temperaturminimum die men Sommertemperaturen ausgesetzt sind. So wa- Kältegrenze und das Temperaturmaximum die Hit- ren z. B. die Ertragsausfälle im Hitzesommer 2003, zegrenze darstellt (Fitter & Hay 1987). Diese Kar- und z. T. auch 2006, die mit als erste Vorboten zu- dinaltemperaturen sind artspezifisch und darüber künftiger Sommer gelten, charakteristischer Weise hinaus je nach Standort und Herkunft sehr unter- besonders hoch in den dürregefährdeten östlichen schiedlich ausgeprägt (Evans 1993). Bei Überschrei- Bundesländern. Auch im Süden, wo bereits heute ten des optimalen Temperaturbereiches erfolgt häu- hohe Sommertemperaturen sowie Frühsommertro- fig ein abrupter Rückgang in Wachstum und Ertrag. ckenheit den Ertragszuwachs, z. B. von Weizen, li- Mit der Erwärmung einher geht ein früherer Be- mitieren, waren die Einbußen z. T. hoch. ginn und eine längere Dauer der Vegetationsperi- Auf Grund von zahlreichen nationalen wie ode in Europa von derzeit insgesamt ca. 10 Tagen internationalen Labor- und Felduntersuchungen (Menzel et al. 2001, Menzel et al. 2006). sind die direkten Auswirkungen einzelner Para- Demnach sollten eine moderate gleichmäßige meter des Klimawandels – wie Temperaturanstieg, Erwärmung auf Grund der gesteigerten metaboli- Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphä- schen Aktivität überall dort positive Auswirkungen re und Veränderungen im Niederschlagsverhal- auf die landwirtschaftliche Produktivität haben, wo ten – insbesondere auf landwirtschaftliche Kul- die gegenwärtige Temperatur limitierend ist (Körner turen relativ gut bekannt. Auch widmet sich eine 2006). Dagegen führt selbst eine geringe Tempera- Reihe von Studien der Bundesländer zu den regi- turerhöhung bei landwirtschaftlichen Kulturen, die onalen Auswirkungen der Klimaveränderung seit bereits im Bereich ihres Temperaturoptimums wach- Ende der neunziger Jahre den Auswirkungen auf sen, zu Wachstums- bzw. Ertragseinbußen (Easter- die Landwirtschaft; für Deutschland war hier die ling et al. 2007, Maracchi et al. 2005), da viele Stoff- Studie von Zebisch et al. (2005) richtungsweisend. wechselprozesse zunehmend gestört werden. Au- Eine Zusammenschau relevanter Fakten und ers- ßerdem nimmt bei höheren Temperaturen im Allge- ter Studien für die deutsche Landwirtschaft findet meinen die Atmung zu und verringert die durch eine sich in Schaller & Weigel (2007). Für Mitteleuropa erhöhte Photosyntheserate gesteigerte Wuchs- und liefern Eitzinger et al. (2009) eine Analyse zu den Ertragsleistung (Körner 2006). Bei determinierten Auswirkungen des Klimawandels auf die Land- Kulturen, d. h. Kulturen deren Entwicklungsverlauf und Forstwirtschaft sowie geeigneter Anpassungs- über Wärmesummen gesteuert wird, wie z. B. Getrei- strategien. Die Übertragbarkeit mono- oder auch de, wird durch die beschleunigte Entwicklung bei mehrkausaler Untersuchungen auf eine limitierte wärmeren Temperaturen durch die Verkürzung der Anzahl von Kulturen auf die natürliche Fauna und Kornfüllungsphase in der Regel das Ertragspotenti- Flora ist jedoch begrenzt; insbesondere das Ver- al reduziert (Reddy & Hodges, 2000). Des Weiteren ständnis der Auswirkungen des Klimawandels auf könnten Schäden in Folge einer erhöhten Spätfrost- komplexe Agrarökosysteme bedarf noch bedeuten- gefährdung v. a. im Obstbau (SMUL 2005, Chmie- der Forschungsanstrengungen. lewski 2004) und verringerten Winterhärte (Evans 225
Biodiversität und Klimawandel 1993) zunehmen. In der Tierproduktion senken die Bestände in Folge der geringeren Verdunstungs- steigende Durchschnittstemperaturen Heizkosten im kühlung auch stärker, was u.U. eine höhere Hit- Stallbetrieb und die Sterblichkeit während der Win- zestressanfälligkeit nach sich ziehen könnte. termonate; allerdings könnten höhere Sommertem- Hinsichtlich der Höhe der Ertragssteigerung peraturen die Nahrungsaufnahme und die Produkti- durch den CO2-Düngeeffekt besteht noch weiterer vität verringern und dadurch deutliche Produktions- Forschungsbedarf: Zum einen liegen Ergebnisse äl- einbußen verursachen (Fischer et al. 2005, Rath et al. terer Kammerversuche mit Ertragssteigerungen von 1994). Kritischer als der mittlere Temperaturanstieg durchschnittlich ca. 33 % für C3-Pflanzen und ca. wird jedoch die Zunahme der Klimavariabilität be- 10 % für C4-Pflanzen (Kimball 1983. Cure & Acock wertet (z. B. Porter & Semenov 2005). Zunehmender 1986) zum Teil erheblich über den Ergebnissen neu- Hitzestress kann dabei in Abhängigkeit von seinem erer Freilanduntersuchungen mit Ertragssteigerun- zeitlichen Auftreten massive Schäden verursachen. gen von durchschnittlich 11% für verschiedene C3- Besonders hitzesensitiv sind generative Stadien (Ar- Pflanzen (Long et al. 2005). Zum anderen existieren bol & Ingram 1996, Rath et al. 1994), wie v. a. die nicht nur beachtliche Unterschiede in der Reaktion Blüte bzw. die Fortpflanzung. Hier können hohe verschiedener Pflanzentypen sondern auch zwi- Temperaturen zu Problemen bei der Befruchtung bis schen verschiedenen Sorten, was die Bedeutung der hin zur Sterilität führen. Außerdem kann sich Hit- Agrobiodiversität unterstreicht. Besonders sensitiv zestress negativ – aber u.U. auch positiv, wie z. B. bei sollten Kulturen mit einer ausgeprägten Fähigkeit, Weizen, wo Hitzestress zu einer besseren Backquali- Assimilate zu speichern (Senkenstärke) reagieren, tät führen kann – auf die Produktqualität und damit wie z. B. junge Bäume und insbesondere Obstbäu- die Ernährung von Mensch und Fauna auswirken; so me sowie Knollen- und Wurzelkulturen. Auch Le- kann sich z. B. bei Erwärmung ein erhöhter Lignin- guminosen, d. h. stickstofffixierende Hülsenfrücht- gehalt nachteilig auf die Qualität von Futterpflanzen ler, profitieren in der Regel deutlich von einer CO2- auswirken (Niklaus 2007). Anreicherung (Lüscher et al. 2006). In Abhängigkeit von weiteren Umweltbedingungen können sie sich 9.2.1.2 Auswirkungen erhöhter u. U. besser in Pflanzengemeinschaften von Wiesen atmosphärischer CO2-Konzentrationen und Weiden durchsetzen und deren Futterqualität CO2 in der Atmosphäre ist als Substrat der Pho- auf Grund des höheren Proteingehaltes verändern. tosynthese für das Pflanzenwachstum und damit Darüber hinaus kommt es häufig zu Verände- für die Produktivität von Agrarökosystemen von rungen in der chemischen Zusammensetzung des fundamentaler Bedeutung. Während zunehmende pflanzlichen Gewebes durch den so genannten CO2-Konzentrationen durch den Treibhauseffekt CO2-Verdünnungseffekt, bei dem v. a. erhöhte Koh- zur Klimaerwärmung beitragen, ist die gegenwär- lenhydratgehalte zu einer niedrigeren Konzentrati- tige CO2-Konzentration für C3-Pflanzen subopti- on an anderen Nähr- und Inhaltsstoffen, wie v. a. mal. Zu diesen gehören fast alle hier angebauten Stickstoff, führen (Idso & Idso, 2001). Neben dem landwirtschaftlichen Kulturen – mit Ausnahme Proteingehalt sind auch sekundäre Pflanzeninhalts- von Mais als wichtigstem Vertreter der C4-Pflan- stoffe betroffen (Niklaus 2007). zen – sowie die heimische Flora (Sage 2005). Bei ausreichender Nährstoff- und Wasserversorgung 9.2.1.3 Auswirkungen von fördern steigende atmosphärische CO2-Gehalte da- Niederschlagsveränderungen her die Photosynthese und das Wachstum (Kim- Wasser ist neben der Temperatur der entscheidende ball et al. 2002. Weigel et al. 2006), was auch als so klimatische Wachstums- und Ertragsparameter. Bei genannter CO2-Düngeeffekt bezeichnet wird. Au- Wassermangel kommen Stoffwechselprozesse und ßerdem verringern höhere CO2-Konzentrationen damit auch das Wachstum zum Erliegen. Damit die Blatttranspiration sowohl von C3- als auch C4- bestimmt letztendlich der Niederschlag bzw. der Pflanzen. Durch die gesteigerte Wassernutzungsef- Wasserhaushalt, welche Kulturpflanzen innerhalb fizienz werden die Bodenwasservorräte geschont, einer relativ weiten Temperaturspanne erfolgreich was negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung angebaut werden können (Davies 2006). Sofern entgegenwirken könnte. Allerdings erwärmen sich keine Beeinflussung durch Grundwasser vorliegt, 226
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume setzt sich dieser v. a. aus der Niederschlagsmenge peratur und Niederschlag einerseits und der che- und -verteilung, dem Abfluss und der Verdunstung mischen Zusammensetzung der Atmosphäre ande- zusammen. Auf Grund der bei wärmeren Tempe- rerseits sowie hinsichtlich der Auswirkungen von raturen höheren potentiellen Verdunstung und Extremereignissen (SAG 2007. Tubiello et al 2007). zunehmender sommerlicher Trockenheit muss in Wird bei einem Temperaturanstieg zunehmend die Zukunft voraussichtlich verstärkt mit Ertragsein- Wasserversorgung zum limitierenden Faktor, könn- bußen in der Landwirtschaft gerechnet werden. te der so genannte CO2-Düngeeffekt eine entschei- Dabei dürfte die Wasserversorgung besonders kri- dende Rolle für das Ergebnis der Wechselwirkun- tisch für landwirtschaftliche Kulturen in Regionen gen spielen, zumal zusätzlich zu der Verbesserung werden, deren Böden über eine geringe Wasserspei- der Wassernutzungseffizienz das Photosynthese- cherkapazität verfügen, wie z. B. grundwasserferne Optimum hin zu höheren Temperaturen verscho- Sandböden und bzw. oder in Regionen, die bereits ben wird (Ainsworth & Long 2005). Weitere Inter- heute unter Wasserknappheit leiden. Betroffen sind aktionen ergeben sich allerdings mit troposphäri- hier z. B. Brandenburg oder Sachsen-Anhalt. Re- schem Ozon und anderen Schadgasen, die einer gional kann eine veränderte Wasserführung der positiven Wirkung erhöhter CO2-Konzentrationen Flüsse die Situation verschärfen, da u. a. in Zukunft in der Regel entgegenwirken (Long et al. 2005). die Schneeschmelze im Frühjahr zeitiger einsetzen wird und auch weniger Niederschlag als Schnee fal- 9.2.1.5 Auswirkungen der Klimaverände- len wird. Außerdem könnte sich die Grundwasser- rungen auf den Boden und die neubildung bei einer längeren Vegetationsperiode Bodenbearbeitung und einer geringeren Infiltration von Starkregen- Auch die Auswirkungen der Klimaveränderung auf niederschlägen nach Trockenperioden verringern. die im Boden stattfindenden Prozesse sind komple- Darüber hinaus sind Nährstoffe bei geringer Bo- xer Natur (s. auch Kap. 9.2.4): während die Erwär- denfeuchte schlechter verfügbar und die Anfällig- mung bei ausreichender Bodenfeuchte im allgemei- keit gegenüber Winderosion nimmt zu. Herrschen nen zu einem Abbau der organischen Substanz führt bereits zu Vegetationsbeginn trockene Bedingungen (Jones et al. 2005), wirkt die Verlängerung der Vege- vor, kann sich auch in Abhängigkeit vom Bodentyp tationsperiode sowie die unter erhöhten CO2-Kon- das Keimen bzw. Aufgehen von Ackerkulturen ver- zentrationen gesteigerte Pflanzenproduktivität und ringern. Im Gegensatz dazu kann die Zunahme win- die veränderte Zusammensetzung des pflanzlichen terlicher Niederschläge insbesondere auf schweren Materials diesem entgegen (Groenigen et al. 2006). Böden oder bei hoch anstehendem Grundwasser Welcher Prozess dominiert, hängt von den jeweili- die Bodenbewirtschaftung erschweren. Bei zukünf- gen regionalen Bedingungen ab. In Nordrhein-West- tig erhöhter Hochwassergefahr – v. a. im Winter und falen ist z. B. seit Beginn der 90er Jahre eine Abnah- Frühjahr – muss voraussichtlich verstärkt mit der me der organischen Kohlenstoffgehalte von Acker- Überflutung von landwirtschaftlichen Flächen und böden festgestellt worden (Preger et al. 2006) – ein Schäden durch Staunässe gerechnet werden; gleich- Trend, der weiter beobachtet werden sollte. zeitig nimmt die Erosionsgefahr und die Auswa- Die erhöhte mikrobielle Aktivität führt durch schung von Nähr- und Schadstoffen zu (Abildtrup die Mineralisierung von organischer Substanz al- & Gylling, 2001). Steigende Niederschlagsintensi- lerdings nicht nur zu einer erhöhten Nachlieferung täten können darüber hinaus zu einem verstärkten von Nährstoffen, wie insbesondere von Stickstoff für Abspülen und damit höheren Auswaschen bzw. Ein- die Pflanze. Auch Schadstoffe werden zunehmend trag von Pflanzenschutzmitteln in benachbarte Öko- mobilisiert (Lynch & St. Clair 2004) und Nährstoff- systeme führen (Coakley et al. 1999). verluste durch Ausgasen und Auswaschung können zunehmen. Ebenso werden feuchte, mildere Winter 9.2.1.4 Auswirkungen der gleichzeitigen Ände- mit weniger Schneebedeckung, dagegen aber häufi- rungen verschiedener Klimaelemente gem Wechsel von Frieren und Tauen, voraussicht- Bisher bestehen noch weit reichende Unsicherhei- lich zu einer erhöhten Stickstoff-Mineralisation in ten bezüglich der komplexen Auswirkungen der einer Zeit geringen pflanzlichen Bedarfs und damit sich gleichzeitig ändernden Klimaelemente Tem- zu einer erhöhten Nitratbelastung von Ökosystemen 227
Biodiversität und Klimawandel und Grundwasser führen. Die Abnahme von Bo- misiifolia; s. Kap. 2.10) voraussichtlich weiter ausbrei- denfrost könnte außerdem die Erosions- und damit ten. Schädlinge, d. h. in erster Linie Schadinsekten, auch Auswaschungsgefahr erhöhen. Zunehmende werden durch die Klimaänderungen zum einen in- Wärme und insbesondere sommerliche Dürreperio- direkt beeinflusst, wie z. B. durch Auswirkungen auf den lassen die Böden dagegen häufiger austrocknen, die Qualität der Wirtspflanzen (Brunnert 1994, Ni- was sich nicht nur auf die Aktivität der Bodenfauna klaus 2007): So scheinen Herbivoren auf die Verrin- und -flora sondern auch auf die Bodenstruktur ne- gerung der Nährstoffkonzentration unter erhöhten gativ auswirkt. Kommt es im Anschluss zu einem CO2-Konzentrationen mit einer gesteigerten Nah- Starkregenereignis, ist sowohl mit erhöhten Erosi- rungsaufnahme zu reagieren, um das erhöhte C/N- onsschäden zu rechnen (Williams et al. 2001) als Verhältnis zu kompensieren. Demgegenüber stellen auch mit einer erhöhten Belastung für Grund- und erhöhte Gehalte an sekundären Pflanzeninhalts- Oberflächengewässer (Rounsevell et al. 1999). stoffen, wie z. B. an Flavonoiden, einen verbesser- Darüber hinaus beeinträchtigt der geringere ten Fraßschutz dar. Auch Auswirkungen auf weitere Wassergehalt von Böden in einer wärmeren Um- Glieder in der Nahrungskette bzw. im Ökosystem, gebung nicht nur das Pflanzenwachstum nega- wie insbesondere Räuber oder Nützlinge, spielen tiv. Trockene Böden stellen auch einen positiven eine wichtige Rolle. Da von der Klimaerwärmung Rückkopplungseffekt der Klimaerwärmung dar, da v. a. Organismen mit rascher Generationsfolge pro- sich nicht nur der Boden sondern auch die Umge- fitieren, könnte sich das Gleichgewicht hier tenden- bungsluft bei fehlender Verdunstungskühle stär- ziell zu Gunsten der kleineren, auf einer niedrigeren ker erhitzt. Andererseits kann eine Erhöhung der trophischen Ebene stehenden Schädlinge verschie- Bodentemperatur die Nährstoffaufnahme durch ben (Rosenzweig & Hillel 1998). Zum anderen wir- die Pflanze verbessern (Bassirirad 2000), was ins- ken sich auch zunehmende Erwärmung und verän- besondere auf bisher wärmelimitierten Standorten derte Niederschlags- und Windverhältnisse direkt bzw. während kühler Witterungsperioden als posi- auf sie aus. Da die meisten Insekten relativ hohe Tem- tiv zu bewerten ist. Diesen Veränderungen, ebenso peraturoptima haben, ermöglichen ihnen steigende wie Veränderungen im Pflanzenbestand und dem Temperaturen eine höhere Vitalität und eine höhere Niederschlagsverhalten muss durch eine angepasste Fortpflanzungsrate. So wird in einigen Apfelanbau- Bodenbearbeitung, wie z. B. pfluglose Bodenbear- regionen in Zukunft z. B. eine weitere Generation des beitung, Rechnung getragen werden. Apfelwicklers erwartet (PIK 2005). Auch Weinanbau- gebiete als Wärmegunstregionen dürften mit als erste 9.2.1.6 Auswirkungen der Klimaveränderungen von Arealausdehnungen bisher wärmelimitierter Ar- auf Schadorganismen (Unkräuter, ten betroffen sein. Durch mildere Winter werden da- Schädlinge und Krankheiten) bei generell insbesondere frostempfindliche Schäd- Für die landwirtschaftliche Produktion und damit linge und Wurzelparasiten begünstigt. landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmaßnahmen Da saugende Insekten Krankheiten übertragen sind neben Auswirkungen auf Ökosystemdienstleis- können, steigt gleichzeitig das Infektionspotential tungen, wie insbesondere Bestäubung (s. u.), Verän- mit fortschreitender Klimaerwärmung. Allerdings derungen in Bezug auf die Schädlingsproblematik entscheidet erst das Zusammenwirken von Krank- von Bedeutung: hier wird im Zuge der Klimaerwär- heitserregern, Anfälligkeit (Prädisposition) des Wir- mung für Deutschland im Allgemeinen mit einer tes und von Umweltfaktoren, ob es tatsächlich zum Zunahme gerechnet, wobei die Folgen für den Pflan- Krankheitsausbruch kommt. Während bei Tieren zenschutz im Einzelnen bisher schwer abschätzbar Infektionen überwiegend durch Bakterien und Vi- sind (Chakraborty et al. 2000, Scherm 2004, Maixner ren ausgelöst werden, verursachen Pilze die meisten 2008). Für Unkräuter gilt, dass sie ebenso wie land- Pflanzenkrankheiten. Dabei fördern ein üppiger Be- wirtschaftliche Kulturpflanzen durch steigende atmo- stand und die damit verbundene höhere Luftfeuchte sphärische CO2-Konzentrationen gefördert werden: sowie (in Folge des CO2-Anstiegs) erhöhte Kohlen- Durch ansteigende Temperaturen und eine längere hydratgehalte im Blatt in der Regel einen Pilzbefall Vegetationsperiode werden sich bisher wärmelimi- (Chakraborty et al. 2000); steigende Temperaturen tierte Arten, wie z. B. die Ambrosie (Ambrosia arte- verbunden mit einer geringeren Luftfeuchte wäh- 228
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume Schadorganismen im Weinbau Für den Weinbau ergeben sich auf Grund des der Rebstöcke mit bis zu 80 % ein Existenz bedro- Klimawandels eine Reihe von neuen Herausfor- hendes Ausmaß angenommen (Lipps 2006). Dabei derungen für den Rebschutz: zum Einen durch handelt es sich bei der Schwarzholzkrankheit um die Veränderung der Aktivität bereits bekann- eine durch Zikaden übertragene bakterielle Phyto- ter Schadorganismen und zum Anderen durch plasmose, die zum Absterben des Stockes führen die Einwanderung neuer Schadorganismen v. a. kann. Besonders betroffen ist die Rebsorte Lem- aus dem Mittelmeerraum (Maixner 2008). So berger in Baden-Württemberg. Bei den zwei wei- treten in jüngerer Zeit häufiger und zunehmend teren Krankheiten, Esca und Eutypiose handelt es aggressiver pilzliche Erreger wie Falscher Mehl- sich um Pilzerkrankungen, die zu einer langsamen tau (Plasmopara viticola) und Grau- (Botrytis ci- Zerstörung des Rebstammes führen. Besonders nerea) als auch Grünfäule (Penicillium expansum) Esca breitet sich im gesamten deutschen Wein- auf. Das Schadausmaß hängt dabei nicht nur von anbaugebiet aus; wichtigste vorbeugende Maß- dem Pathogen ab, sondern auch von dem Zeit- nahme ist ein möglichst rascher Wundverschluss punkt des Auftretens: So ermöglicht die Grau- nach dem Rebschnitt (Lipps 2006). fäule als Edelfäule an vollreifen Trauben hoch- Mit zunehmender Klimaerwärmung steigt wertige Weinerzeugnisse, während bei höheren zudem das Risiko, dass bisher auf wärmere Re- Temperaturen sekundäre Fäulniserreger (wie die gionen beschränkte Schaderreger sich auch in Grünfäule) die Trauben verderben. Letztere wer- nördlicheren Weinbaugebieten etablieren kön- den sich in Folge der Zunahme der herbstlichen nen (Maixner 2008): Dazu gehört zum einen die Niederschläge voraussichtlich gegen die Graufäu- in Südeuropa verbreitete Quarantänekrankheit le durchsetzen können. der durch Xilophilus ampelinus hervorgerufenen Obwohl bereits im 19. Jahrhundert nach Euro- Bakteriennekrose sowie die nordamerikanische pa eingeschleppt, findet der Erreger der Schwarz- Pierce’s Disease, ebenfalls hervorgerufen durch fäule, Guignardia bidwellii, im Zuge des Klima- einen bakteriellen Quarantäneschädling, der u. a. wandels zunehmend günstige Lebensbedingun- von Zikaden übertragen wird. In Abhängigkeit gen im deutschen Weinbau und führt seit eini- vom Zusammenspiel mit natürlichen Gegenspie- gen Jahren zu Schäden an Mosel und Mittelrhein lern (Antagonisten), wie u. a. Raubmilben als An- (Maixner 2008). Besorgnis erregend sind jedoch tagonisten pflanzenfressender Milben, wird die insbesondere die aus südlichen Anbaugebieten, heutige Rebschutzstrategie im deutschen Wein- d. h. vor allem dem Mittelmeerraum stammenden bau mit einem weitgehenden Verzicht auf Insekti- so genannten Holzkrankheiten, die nicht heilbar zide und milbenspezifische Pestizide (Akarizide) sind, sondern nur durch Kulturmaßnahmen, wie u. U. weitgehend verändert werden. Entsprechen- z. B. Rückschnitt, eingedämmt werden können (s. de Auswirkungen auf Nützlinge und weitere Ver- auch Schaller & Weigel 2007). Hier hat der Befall treter der Agrobiodiversität sind dann die Folge. rend der Vegetationsperiode wirken einem Befall natürliche Fauna und Flora: wärmere Temperatu- eher entgegen (Friedrich 1994). Sollte letztendlich ren und die damit einhergehende Verlängerung ein höherer Schädlings- und Infektionsdruck resul- der Vegetationsperiode führen zu einer längeren tieren, könnten höhere Pflanzenschutzmittelanwen- Wachstumsphase, gegebenenfalls zusätzlichen Ge- dungen nötig werden (s. auch Case Study 9.3.2). nerationsfolgen, einer i. d. R. reduzierten Winter- sterblichkeit und wo möglich zu einer Arealver- 9.2.1.7 Auswirkungen der Klimaveränderungen schiebung bzw. Erweiterung von bisher wärmeli- auf Agrarökosysteme mitierten Arten (IPCC 2002, Leuschner & Schipka Die für landwirtschaftliche Kulturen bzw. die Nutz- 2004). Neben natürliche sowie anthropogene Aus- tierhaltung zusammengefassten Auswirkungen des breitungsschranken tritt als Bedrohung eine Desyn- Klimawandels gelten in ähnlicher Weise für die chronisation von Nahrungsketten sowie Verände- 229
Biodiversität und Klimawandel rungen im Konkurrenzverhalten, da unterschied- jekte der jüngeren Generation auf nationaler und liche Arten verschieden auf die Klimaerwärmung internationaler Ebene sind dabei, einen Beitrag reagieren (Pampus 2005, Morecroft & Paterson zum besseren Prozessverständnis zu leisten, ebenso 2006). Letzteres betrifft insbesondere die Vorverle- wie zahlreiche Forschungsarbeiten der deutschen gung von phänologischen Phasen im Zuge des frü- Forschungslandschaft (s. auch Case Studies). heren Beginns der Vegetationsperiode, die neben der Temperatur in unterschiedlichem Ausmaß auch 9.2.1.8 Auswirkungen auf den ländlichen Raum von der Photoperiode gesteuert wird. Die Klimaveränderungen wirken sich in mehrfa- In der Vergangenheit ist generell eine Abnahme cher Hinsicht auf landwirtschaftlich genutzte Räu- kältetoleranter und eine Zunahme wärmetoleranter me aus: zum einen, indem sie die Wirtschaftlich- Arten beobachtet worden – ein Trend, der sich in keit von einzelnen Kulturen, Einzelbetrieben, be- Zukunft verstärken dürfte (EEA 2004). Dabei sind stimmten Betriebszweigen oder von Betrieben in insbesondere Arten mit limitierten Habitat- und verschiedenen Naturräumen je nach regionaler Klimaansprüchen oder denen die Erwärmung zu Vulnerabilität unterschiedlich beeinflussen (s. auch schnell geht, vom Aussterben bedroht. So wird bei Schaller & Weigel 2007). Dies kann zu Strukturän- Szenariosimulationen mit einem Artenverlust von derungen bis hin zu Betriebsaufgaben mit unmit- 18 – 24 % (Thomas et al. 2004) bis zu 60 % (Flannery telbaren sozialen und ökologischen Auswirkungen 2006) bei einer Erwärmung um 3°C bis Ende des 21. für den ländlichen Raum führen. Allerdings gilt Jahrhunderts gerechnet. Für Landvögel könnten ca. die Landwirtschaft in Deutschland insgesamt nur 10 – 20 % der Arten durch den Wandel ihrer Lebens- als mäßig vulnerabel gegenüber dem Klimawandel räume durch Klimawandel und Landnutzungsände- (Zebisch et al. 2005). Zusätzlich kann die Vulnera- rungen gefährdet sein (Jetz et al. 2007). Allerdings bilität durch entsprechende Anpassungsmaßnah- wurde in der Studie nicht die Möglichkeit einbezo- men (s. u.) weiter gesenkt werden. gen, dass die Vögel auf andere Lebensräume auswei- Selbst in Regionen, die eine höhere Vulnerabi- chen. Besonders betroffen sind dabei generell Arten lität aufweisen, wie z. B. das nordostdeutsche Tief- am Rand ihres Verbreitungsgebietes (CIRCLE 2006). land bzw. die östlichen Bundesländer, bleiben in Auf Grund von Defiziten im Verständnis der den nächsten 20 – 30 Jahren die Erträge der wich- Funktionsweise von komplexen Ökosystemen, ein- tigsten Sommer- und Winterkulturen relativ sta- schließlich Agrarökosystemen, verschärft durch bil (Wechsung et al. 2008). Bis Mitte des 21. Jahr- unzureichende Kenntnisse der Interaktionen von hunderts muss dann mit zunehmend ausgeprägter Ökosystemfunktionen mit dem Klimawandel kön- Sommertrockenheit insbesondere auf den leichte- nen Auswirkungen auf die (Agro-) Biodiversität ren Standorten mit deutlichen Ertragsrückgängen und Agrarökosysteme bisher allerdings nur an- für Mais und geringeren Ertragsrückgängen für satzweise abgeschätzt werden (Walther et al. 2002, Weizen gerechnet werden, die allerdings bei Be- 2009). Dies betrifft nicht zuletzt eine Reihe von es- rücksichtigung des CO2-Düngeeffekts gemildert sentiellen Ökosystemdienstleistungen: Beispielswei- werden bzw. sogar zu Ertragszuwächsen führen se können Bestäubungsleistungen vom Klimawan- können. Im ebenfalls vulnerablen, wärmeren so- del negativ beeinflusst werden. Weitere mutualisti- wie niederschlagsreicheren Südwesten stellt sich sche Interaktionen wie Symbiosen mit Mikroorga- die Situation umgekehrt dar: hier könnte die Som- nismen (z. B. Stickstofffixierung oder Mykorrhizie- merkultur Mais im Zuge des Klimawandels einen rung), Ausbreitung von Diasporen (Früchten und Standortvorteil erhalten gegenüber der Winterkul- Samen), Gewährleistung eines günstigen Mikrokli- tur (Winter-)Weizen, deren Erträge zunehmend mas für andere Arten und vieles mehr können sich durch steigende Temperaturen beeinträchtigt wer- als sensible Regelungselemente erweisen. Sobald den (PIK 2005). Dagegen profitieren im wenig nicht nur eine einzelne Art durch die vergleichs- vulnerablen Nordrhein-Westfalen bis Mitte des weise rasch erfolgenden Klimaveränderungen be- 21. Jahrhunderts beide Kulturen von dem Tempe- troffen ist, sondern das Wirkungsgefüge zwischen raturanstieg; der zusätzliche CO2-Düngungseffekt verschiedenen Arten, sind die Konsequenzen kaum kann hier sogar deutliche Ertragsanstiege bedeu- realistisch zu prognostizieren. Forschungsgroßpro- ten (Kropp et al. 2009). Allerdings berücksichtigen 230
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume die meisten Ertragsmodelle bisher nicht die Aus- 9.2.2. Auswirkungen von Anpassungs- wirkung von Extremwetterereignissen; in der Folge maßnahmen auf landwirtschaftliche wird i. A. mit einer geringeren Ertragssicherheit ge- Lebensräume und Folgen für die rechnet, wie z. B. auch in der Länderstudie für Hes- (Agro-)Biodiversität sen (HLUG 2005). Veränderungen in landwirtschaftlich geprägten Die einheimische Landwirtschaft kann sich an mitt- Räumen ergeben sich auch dort, wo z. B. die zuneh- lere Klimaänderungen, d. h. höhere mittlere Tem- mende Erwärmung den Anbau bisher wärmelimi- peraturen und geringere Sommer- bei gleichzeitig tierter Kulturen ermöglicht: Beispiele sind hier die erhöhten Winterniederschlägen (s. Kap. 9.2.1), mit weitere Nordwärtsverschiebung des Anbaus von einer Reihe von kurz- bis mittelfristigen – für hol- Sommergetreide, wie insbesondere vom Maisan- zige Sonderkulturen und Infrastrukturmaßnah- bau; die Höherverschiebung des Rauhfutteranbaus men auch längerfristigen – Maßnahmen anpassen in alpinen Regionen oder auch der Anbau mediter- (s. Synthese bei Schaller & Weigel 2007): Wäh- raner Obstkulturen (z. B. Aprikosen), was auch die rend einige Formen der Anpassungen selbständig heimische Flora und Fauna beeinflussen wird. und weitgehend kostenneutral von den Landwir- Zum anderen sind Agrarökosysteme, über die ten durchgeführt werden können, benötigen län- primäre Erzeugung von landwirtschaftlichen Pro- gerfristige, insbesondere strukturelle Maßnahmen dukten hinaus, für die Gewährleistung zahlreicher häufig Vorgaben seitens der Wissenschaft, Politik weiterer Ökosystemdienstleistungen verantwort- und Verwaltung, um die Anpassungskapazität des lich. Diese reichen von Regelungsfunktionen z. B. Agrarsektors gezielt zu fördern. für den Wasser- und Stoffhaushalt bis hin zur Ge- Zu den Möglichkeiten der Betriebe, sich an die- staltung von Kulturlandschaften als Lebens- bzw. se Änderungen anzupassen und so klimabedingte Erholungsraum für Mensch, Fauna und Flora. Da- Ertrags- und Qualitätseinbußen zu reduzieren bzw. mit ergeben sich vielfältige Interaktionen mit wei- sich neu eröffnende Potentiale zu nutzen, zählen teren (Wirtschafts-) Sektoren, wie z. B. der Wasser- neben einem gezielten Humusaufbau z. B. die Än- wirtschaft, der Forstwirtschaft, dem Naturschutz derung von Aussaatterminen, Saatdichte, Reihenab- oder dem Tourismus, mit Rückwirkungen wieder- stand und Fruchtfolge; der Anbau von besser ange- um auf den ländlichen Raum, seine Wahrnehmung, passten Sorten oder sogar für ein Gebiet neuartige Gestaltung und Entwicklung. Kulturen; die Anpassung des Dünge- und Pflanzen- Künftig ist zu erwarten, dass die Veränderung schutzregimes und der Bodenbearbeitung und der der landwirtschaftlich genutzten Räume in ent- Ausbau von Be- und Entwässerungssystemen. Fer- scheidendem Ausmaß von den jeweiligen Anpas- ner ist die Diversifizierung der landwirtschaftlichen sungsmaßnahmen an den Klimawandel sowie von Produktion eine Möglichkeit, das Betriebsrisiko Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere dem Bio- insbesondere in Hinblick auf eine zunehmende Kli- energieanbau, beeinflusst werden wird (s. u.). Da- mavariabilität zu senken. Dabei müssen die Einzel- rüber hinaus könnten Entwicklungen im globalen maßnahmen aufeinander abgestimmt werden, um Handel und Wettbewerb in Verbindung mit regio- einen gesamtbetrieblichen Ablauf zu gewährleisten. nalen Auswirkungen des Klimawandels dazu füh- Auch auf die Pflanzenzüchtung kommen neue ren, dass Ertragsausfälle in weniger begünstigen Herausforderungen hinsichtlich der Entwicklung Klimaregionen auszugleichen sind. Beispielsweise robuster und unter wechselnden Witterungsbedin- wird diskutiert, dass eine höhere Agrarproduktion gungen ertragsstabiler Kulturen hinzu. Im Fokus in Europa möglich bzw. notwendig werden könnte, steht dabei die Verbesserung der Hitze- und Tro- um die Ernährung der Weltbevölkerung zu gewähr- ckenstresstoleranz traditioneller Kulturpflanzen leisten (Olesen & Bindi 2002). Allerdings spielen sowie die Bereitstellung von Saatgut neuer, Wär- hier bekannter Maßen neben Mengenfragen v. a. me liebender Kulturen. Weitere Zuchtziele sind die Verteilungsfragen eine Rolle: in diesem Zusam- Anpassung der Entwicklungsrate der Pflanzen an menhang ist der Export von Bioenergiepflanzen die geänderten Temperatur- und Niederschlags- und Futterpflanzen aus Entwicklungs- und Schwel- bedingungen, die Erhöhung des Wachstums- und lenländern zunehmend kritisch zu hinterfragen. Ertragspotentials der Kulturpflanzen zur optima- 231
Biodiversität und Klimawandel len Ausnutzung des CO2-Effektes auf die Photosyn- Hauptkulturen pro Saison anzubauen, auch wei- these und die Gewährleistung einer hohen stoffli- teres (Flächen-)Extensivierungspotential in der chen Qualität unter veränderten Wuchsbedingun- Landwirtschaft. gen (Kobiljski & Denčić 2001). Auch die mögliche Zunahme von Schädlingen (s. Fallstudie 9.3.2) und 9.2.3. Auswirkungen von Klimaschutz- Krankheiten und u.U. zunehmende troposphäri- maßnahmen, wie insbesondere sche Ozonkonzentrationen stellen neue Herausfor- der Biomasseproduktion auf land- derungen an die Resistenzzüchtung. wirtschaftliche Lebensräume und Bei der Anpassung der Nutztierhaltung an Kli- Folgen für die (Agro-) Biodiversität maveränderungen können nach Beede & Colli- er (1986) weitgehend drei Strategien verfolgt wer- In den Szenarien zur Reduktion der Treibhausga- den: die Anpassung der physikalischen Umgebung, semissionen spielen erneuerbare Energien, und z. B. durch entsprechende Kühlsysteme bei Stall- unter diesen die Bioenergie für Deutschland eine haltung bzw. Schatten- und ausreichendes Was- wichtige Rolle. In der Folge hat sich bereits in den serangebot bei Weidehaltung; die Züchtung hitze- letzten Jahren der Biomasseanbau für die Strom- toleranter Rassen mit hohen Leistungsmerkmalen; und Wärmeerzeugung sowie für die Biodieselpro- und schließlich die Verbesserung des Nährstoffma- duktion deutlich gesteigert: Im Jahr 2010 wurden nagements, z. B. durch Splitten von Rationen, Ver- in Deutschland auf knapp. 2 Mio. ha Energiepflan- lagerung der Nahrungsaufnahme in die kühleren zen angebaut. Nachtstunden und Angebot energie- und mineral- In Abhängigkeit vom betrachteten Szenario stoffreicher, leichtverdaulicher Kost. wird die Größenordnung der für die Ausdehnung Solche Maßnahmen können potentiell die Aus- des Anbaus nachwachsender Rohstoffe benötig- wirkungen des Klimawandels auf die Agrobiodi- ten Fläche u. U. beachtlich sein und mögliche Ex- versität verstärken oder gegebenenfalls vermin- tensivierungspotentiale im Zuge des technischen dern. Entscheidend sind hierbei die Art der Umset- Fortschrittes in der Landwirtschaft überschrei- zung und die räumliche Organisation in der Fläche ten. Im Gegenteil, die Nutzung bisher „stillgeleg- (großflächige Monokulturen oder kleinstrukturier- ter“ Flächen würde – dem bisherigen Trend folgend te Nutzungsmosaike). Ferner kann die klimawan- (BMELV 2006) – wahrscheinlich weiter zunehmen. delbedingte Desynchronisation von Ökosystem- Auch weitere Extensivierungsmaßnahmen, wie sie prozessen beeinflusst werden. Insbesondere der in vielen Agrarumweltmaßnahmen gefördert wer- Wandel von Anbaukulturen bis hin zur Verände- den, konkurrieren mit der hohen Attraktivität des rung komplexer Anbausysteme könnte eingespielte Energiepflanzenanbaus. Durch den Verlust wert- Agrarökosystemfunktionen und Interaktionen be- voller Habitate könnte eine solche Entwicklung be- einträchtigen. Gleiches gilt für züchterische Verän- trächtliche Auswirkungen für die natürliche Biodi- derungen, einschließlich gentechnischer Maßnah- versität bzw. den Naturschutz haben, der von bishe- men. Bei all diesen Abläufen sind ökologisch rele- rigen Extensivierungsmaßnahmen profitierte (COM vante Zeitskalen zu beachten, um Umgestaltungen 2006, 34 final). Letztendlich sind durch den Boom und Anpassungen langfristig erfolgreich zu etablie- der Bioenergiepflanzen, die daraus resultierenden ren. Rasche, kurzfristige Veränderungen auf großer Änderungen der Landnutzung und damit einherge- Fläche können die Lebensgemeinschaften kaum be- hende Veränderungen von Transpirationsverhalten antworten. und Reflexionsvermögen der Einstrahlung (Albe- Bewässerungsmaßnahmen – ggf. auch Entwäs- do), auch Auswirkungen auf das regionale Klima in serungsmaßnahmen bei zunehmender Staunässe vielen Landschaften Deutschlands möglich. durch ansteigende Winterniederschläge – wirken Weitere negative Auswirkungen sind zu erwar- sich auf den Wasserhaushalt in wassersensitiven Re- ten, sollte sich der bisher zu beobachtende Trend gionen aus. Gegebenenfalls sind negative Einflüsse zu einigen wenigen Monokulturen – in erster Linie auf Biotope und Habitate zu verzeichnen. Dagegen Raps und Mais – fortsetzten bzw. noch verstärken. beinhaltet der CO2-Düngeeffekt und die Verlänge- Diese Entwicklung wird bereits als „Vermaisung“ rung der Vegetationsperiode mit der Option, zwei bzw. „Verrapsung“ des ländlichen Raumes bezeich- 232
Auswirkungen auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume net. Über die allgemeinen Risiken von Monokultu- duktivität sind die Einsparpotenziale weniger ein- ren hinaus, wie z. B. erhöhtem Schädlingsbefall, Ab- deutig. Untersuchungen von Hülsbergen & Küster- nahme der Biodiversität oder Bodenmüdigkeit, gilt mann (2007) zeigten 26 – 28 % niedrigere produkt- der (Silo-) Maisanbau generell als humuszehrend bezogene Treibhausgasemissionen im ökologischen und unter bestimmten Bedingungen auf Grund der Acker- und Pflanzenbau. Die Treibhausgasminde- größeren Drillreihenabstände sowie des späteren rung im Futterbau ist noch deutlicher (Nemecek Bestandsschlusses als erosionsfördernd. Bei einer et al. 2005. Bokisch et al. 2000). In der Tiererzeu- zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft gung gibt es Studien mit widersprüchlichen Ergeb- durch den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen nissen. Generell führen jedoch die im ökologischen sind in sensitiven Gebieten auch negative Auswir- Anbau bevorzugten regionalen Vermarktungswege kungen auf den Boden- und Wasserhaushalt zu er- zu einem geringeren Energieverbrauch und damit warten. Bei einem Umbruch von Dauergrünland für weniger Treibhausgasemissionen. Zudem führt der den Anbau einjähriger Energiepflanzen sind die ne- Ökolandbau aufgrund der höheren Wurzelmassen gativen Effekte besonders deutlich. Dagegen ist auch der Hauptfrüchte, der höheren Flächenanteile der ein entgegen gesetzter Trend denkbar: ein geringerer Zwischenfrüchte und Untersaaten sowie einer zum Dünger- und Pestizideinsatz durch den Anbau von Teil höheren „Unkraut“masse im allgemeinen zu ei- nachwachsenden Rohstoffen durch die Züchtung ner Humusakkumulation, d. h. zu einer Zunahme anspruchsloserer Sorten und durch geringere Qua- der Kohlenstoffbindung (C-Sequestrierung) im Bo- litätsanforderungen. Neben dem Anbau von Misch- den (Köpke 2000). Der weitgehende Verzicht auf kulturen kann auch die Nutzung von Wildpflanzen Agrochemikalien und die vielfältigere Fruchtfolge eine interessante Option darstellen, die gleichzeitig fördern zudem die Agrobiodiversität (Bengtsson die Ausbringung von Herbiziden reduziert. et al. 2005, Hole et al. 2005, Pfiffner & Wyss 2008) Außerdem werden – trotz einer gewaltigen Kon- und damit auch die ökosystemare Funktionalität auf zentration auf einige wenige Kulturen – die Anwen- landschaftlicher Ebene. dungsbereiche nachwachsender Rohstoffe kontinu- ierlich ausgeweitet, so dass damit auch eine zuneh- mende Diversität der angebauten Ackerkulturen 9.3 Fallstudien und eine vielseitigere Fruchtfolge eine Möglichkeit darstellt (BMELV 2006, Mühlenhoff 2010). Einzel- 9.3.1. Artenreiches Grünland – Ein Kapital ne Beispiele sind die Verwendung natürlicher Faser- zur Anpassung an den Klimawandel? pflanzen, biogener Schmierstoffe oder von Arznei- und Gewürzpflanzen, deren stark wachsender Markt 9.3.1.1 Die ökologische und ökonomische auf ein zunehmendes Gesundheitsbewusstsein in der Bedeutung des Dauergrünlandes Bevölkerung zurückgeht und besonders lukrativ ist. Das landwirtschaftliche Grünland, also in erster Linie Wiesen und Weiden, nimmt in Deutsch- 9.2.3.1 Biologische Landwirtschaft land – aber auch in ganz Mittel-, Nord- und West- Eine weitere Möglichkeit der Treibhausgasreduk- europa – eine erhebliche Fläche ein (Abb. 9.1). Diese tion innerhalb des Agrarsektors liegt in der Um- Ökosysteme sind folglich weithin von landschaftli- stellung konventioneller Landwirtschaft: so spart cher und auch ökonomischer Bedeutung und kön- die biologische Landwirtschaft gegenüber der her- nen keinesfalls als museales Reservoir der Arten- kömmlichen Landwirtschaft v. a. durch den Ver- vielfalt abgetan werden. Allerdings verbirgt sich zicht auf mineralische Düngemittel ca. 40 – 60 % hinter dem Begriff des Grünlandes ein großes Spek- der CO2-Emissionen ein (Haas et al. 1995). Die An- trum unterschiedlicher Ökosysteme. gaben zu den CO2-Äquivalent-Emissionen im öko- Dauergrünland, welches aus langlebigen Gras- logischen Landbau variieren jedoch stark. Aufgrund und Krautarten aufgebaut ist, besitzt in geradezu der niedrigeren Intensität in der Pflanzenprodukti- beispielhafter Weise das Potenzial der nachhaltigen on und des niedrigeren Tierbesatzes sind auch die Nutzung mit geringer Energie- und Stoffzufuhr. Treibhausgasemissionen je Flächeneinheit im öko- Ferner ist aufgrund der kontinuierlichen Bodenbe- logischen Landbau niedriger. Bezogen auf die Pro- deckung auch in Steillagen die Bodenerosion selbst 233
Sie können auch lesen