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Stiftungswelt SOMMER 2021 INTERVIEW: Jutta Allmen- dinger über Stiftungen als Ort der Begegnung 500 JAHRE: Die Fuggerei in Augsburg feiert Jubiläum HAUSBESUCH: Die Roger Willemsen Stiftung öffnet ihre Türen D ES E S I C HTE R G N TS GEME Einer für alle E NGA Gemeinsam Zusammenhalt gestalten!
Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. Es ist die beste Crew, welche Sie zum Erfolg führt. Teil einer Gruppe zu sein, die selbst eine erfahrene Investorin ist, bedeu- tet, dass wir genauso denken, investieren und uns um Vermögenswerte kümmern wie Sie selbst. Diese Ausrichtung führt zu hohen langfristigen Renditen für unsere Kunden und zu einer exzellenten Kundenzufriedenheit. Wir verfolgen jederzeit den Blickpunkt des Anlegers: www.jsafrasarasin.de Frankfurt am Main – J. Safra Sarasin (Deutschland) GmbH, Kirchnerstraße 6–8, DE-60311 Frankfurt am Main, T: +49 (0)69 714497 300 München – J. Safra Sarasin (Deutschland) GmbH, Ottostraße 3, DE-80333 München, T: +49 (0)89 558999 480
Intro Liebe Leserinnen und Leser, wie ein Sehnsuchtsmotiv zieht sich der Ruf nach gesellschaftlichem Zusammenhalt durch die politische Debatte und gewinnt durch die Corona- Pandemie noch an Dringlichkeit. Der kommende digitale Deutsche Stiftungs- tag und der Schwerpunkt dieser „Stiftungswelt“ gehen daher der Frage nach, welchen Beitrag Stiftungen leisten können, um das Miteinander zu stärken. Möglicherweise hilft dabei ein Blick in die Geschichte der Philan thropie: Als Jakob Fugger vor 500 Jahren in Augsburg mit der Fuggerei die erste Sozialsiedlung der Welt gründete, bot er bedürftigen Menschen eine Heimat – und stärkte so den gesellschaftlichen Zusammenhalt in seiner 1 Stadt. Eine geniale Idee, die in ihrer Wirkung heute noch aktuell ist. STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Intro In dieser Ausgabe finden Sie auch andere Beispiele für gemeinschaft- liches Stiftungshandeln. Sie bestätigen, was die Soziologin Jutta Allmendin- ger im Interview konstatiert: Stiftungen agieren heute abgestimmter als frü- her und kooperieren immer häufiger auch mit Akteuren aus anderen Sekto- ren. Und sie können damit viel erreichen. Austausch und Kooperation – dafür steht seit jeher der Deutsche Stiftungstag. In diesem Sinne freuen wir uns auf viele lebhafte Diskussionen mit Ihnen – diesmal im digitalen Raum. Herzliche Grüße Foto: Jeannette Petri, EKHN Stiftung Ihre Friederike v. Bünau Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen
STIFTUNGSINFO Unsere Mitglieder erhalten zu jeder Stiftungswelt diese hilfreiche Servicebeilage. Stiftungsinfo Servicebeilage exklusiv für unsere Mitglieder Stiftungsinfo Sommer 2021 2 Wie Stiftungen den Digitalisierungsschub nachhaltig gestalten können 10 Was gute Alumniarbeit ausmacht 20 Welche rechtlichen Vorgaben bei der 30 Verleihung von Preisen zu beachten sind ERIC BARTEN geschlossen. Darin steht, was erinnert sich noch gut an den die Mentee erreichen möchte Leistungsdruck, den er selbst und wie sie die Mentorin dabei in der Schule empfand. Seinem unterstützen kann. Lina will un- Mentee Daniel, den er über das bedingt den Mittleren Schulab- Mentoringprojekt der Bürger- schluss schaffen. Iunia hilft ihr stiftung Neukölln kennen- dabei, vor allem bei der Vor- 2 gelernt hat, will er diesen bereitung auf die mündliche Cover Druck möglichst neh- Prüfung. Ihre Beziehung sei ein STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Inhalt D E S men. Die beiden gehen Geben und Nehmen, sagen die HTE R G ES I C E N T S spazieren, reden viel. beiden. Und dass sie sich als GEM E NGA Und einmal pro Woche Freundinnen sehen. LORENZO SKADE machen sie zusammen engagiert sich im Mento- Hausaufgaben – zurzeit SERBAY EKINOGLU ringprojekt der Bürgerstiftung per Videochat. ist gespannt, wie sich die Be- Neukölln, das Neunt- und Zehnt- ziehung zu seinem Mentee Ali klässler in der Übergangsphase von der IUNIA MIHU UND LINA entwickeln wird. Bisher hat er Schule zum Beruf begleitet. Mit seinem haben sich im August 2018 auf sich zwei Mal mit dem 15-Jäh- Mentee Recep erkundete Lorenzo Berlin dem Sommerfest des Mento- rigen, der mit sechs Jah- und half ihm, seine Angst vorm Präsentie- ring-Projekts der Bürgerstiftung ren aus dem Libanon nach ren zu überwinden. Zurzeit macht Recep Neukölln kennengelernt und Deutschland kam, getroffen. eine Ausbildung zum Kaufmann für Büro- sofort gut verstanden. Seither Serbay selbst ist in einem klei- management. Bis heute treffen sich die treffen sich die beiden regelmä- nen Dorf in der Türkei aufge- beiden regelmäßig. „Dank Recep habe ich ßig, waren schon zusammen in wachsen und weiß aus eigener ganz neue Lebenswelten kennengelernt“, der Stadtbibliothek und im Mu- Erfahrung, wie wichtig es ist, sagt Lorenzo und lächelt. seum. Und sie haben – wie alle sich in einem fremden Land Mentoren und Mentees in dem nicht alleingelassen zu fühlen. Die Fotos auf dem Cover und im Schwerpunkt dieser Projekt – eine Zielvereinbarung Ausgabe hat der Berliner Fotograf Erik Weiss für uns aufgenommen. www.erikweiss.de ↑ Porträts rechte Seite (von links nach rechts) Mehr über unsere Fotostrecke „Gesichter des Engagements“ auf Seite 7.
InhaltStiftungswelt Sommer 2021 Titel Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! 6 – 29 1 Intro 27 Neue Formen für alte Bedürfnisse 4 Panorama Der Deutsche Stiftungstag ist eine Institution. Wie lässt sich Europas größter Stiftungskongress ins Digitale überführen? Ein Werkstattbericht Titel 30 „Er hallt nach“ Vor fünf Jahren ist der Publizist 8 „Stiftungen müssen Orte der Begegnung Roger Willemsen in seiner Villa nahe Hamburg sein“ Ein Gespräch mit der Soziologin Jutta All- gestorben. Heute residieren hier Künstlerinnen 3 mendinger über den Umgang der Deutschen mit und Künstler. Ein Hausbesuch der Pandemie und die Frage, was Stiftungen für STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Inhalt den gesellschaftlichen Zusammenhalt tun können 40 Stiftungsrechtsreform jetzt? Im Juni wird der Bundestag voraussichtlich die Stiftungsrechtsre- 15 Der Fuggerei-Code Im August 2021 feiert die form verabschieden. Es wäre eine gute Nachricht Fuggerei in Augsburg ihr 500-jähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums soll das Erfolgsmodell 41 Fachbegriffe des Stiftungsrechts – der Sozialsiedlung nun auch in anderen Ländern verständlich erklärt Unser Glossar hilft Wirklichkeit werden. Ein Rück- und Ausblick juristischen Laien auf die Sprünge 18 Ein Fonds für Hamburg Im Juni 2020 riefen 45 Er hat sich mit dem Stiftungswesen 16 Stiftungen den Gemeinschaftsfonds „Hambur- identifiziert Ein Nachruf auf Winfrid Freiherr ger Spielräume“ ins Leben, um außerschulische von Pölnitz von und zu Egloffstein Initiativen für Kinder und Jugendliche in der Co- 46 Die Waldschule: Klimaschutz hautnah rona-Zeit zu unterstützen. Ein Erfahrungsbericht erleben Das Umwelt-Projekt der BayWa 22 Die nachbarschaftliche Gesellschaft Der Stiftung macht Grundschulkinder mit dem Öko- system Wald vertraut – und setzt dabei auf sinn- Fotos: Erik Weiss (Cover, S. 6-29), Claudia Höhne (30) Wert freiwilliger Nachbarschaftshilfe hat sich während der Pandemie gezeigt. Höchste Zeit, liche Erfahrungen diese Art des Engagements stärker zu fördern, findet Sebastian Gallander 48 Personalia 24 Collective Impact: Gemeinsam das System 50 Meldungen verändern Um die Wirkung von Projekten zu 54 Medien erhöhen, sollten öffentliche Hand, Wirtschaft 58 Exklusiv für Mitglieder und Stiftungen kooperieren, so das Credo des Konzeptes „Gemeinsam wirken“. Nun beginnt 59 Outro/Impressum der Ansatz auch in Deutschland Fuß zu fassen 60 Abgestaubt
Panorama Anstifter Neue Grundrechte für Europa Anfang des Jahres wurde der Verein „Stiftung Jeder Mensch“ in Heidelberg ge- gründet. Er tritt mit nichts weniger als dem Ziel an, die Grundrechtecharta der Europäischen Union um sechs Artikel zu ergänzen. Galionsfigur und Initiator ist der Autor und Publizist Ferdinand von Schirach, der zusammen mit füh- renden Rechtsexpertinnen und -experten die neuen Grundsätze formuliert hat. So heißt es beispielsweise in Artikel 1 – Umwelt: „Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.“ Oder in Artikel 4 – Wahrheit: „Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.“ Gleichzeitig veröffentlichte er ein begleitendes Plä- doyer in Form des Buches „Jeder Mensch“. Darin vollzieht er die Geschichte der Verfassungen und Grundrechtechartas bis in die Gegenwart hinein nach und erläutert, warum es heute erneut an der Zeit ist, Grundrechte eines je- den Bürgers verbindlich festzuhalten. Als ersten Schritt will die Bewegung einen europäischen Verfassungskonvent erwirken, auf dem Abgesandte über die neuen Rechte debattieren und abstimmen können. Aktuell werden unter www.jeder-mensch.eu Unterschriften gesammelt. 4 »Es ist ein Missverständnis zu STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Panorama meinen, der Stifterwille sei klar. Um dessen Auslegung wird in den Organen und mit den Behörden gestritten.« Prof. Dr. Stephan Schauhoff im Rechtsausschuss des Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts 712 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts wurden 2020 neu gegründet. Damit steigt die Zahl der Stiftungen in Deutschland auf 23.876.
Meistgelesen auf stiftungen.org Drei Fragen an Claudia Abjörnson Stiftung Rechnen Null oder Eins? Am liebsten die 8! Die ist mathematisch besonders spannend. Sie ist zum Beispiel Be- standteil der Fibonacci-Folge, bei der die Summe zweier aufeinander- Einfach selbst machen – der Weg zur folgender natürlicher Zahlen die passenden Geldanlage danach folgende Zahl ergibt. Die Fi- bonacci-Folge findet sich übrigens Stiftungen brauchen Wertpapier-Investments, um auskömmliche Ren- auch in der Natur: beispielsweise diten zu erwirtschaften. Das passende Portfolio selbst zu bauen ist des- in der Anordnung der Samen in der halb sinnvoll und leichter, als viele denken – wenn man einige Grund- Sonnenblumenblüte oder der Form regeln beachtet. www.stiftungen.org/geldanlage-selbstgemacht von Schneckenhäusern. Geht Alltagsmathematik wirklich über die Grundrechenarten hin- aus? Wenn man die vier Grundre- Fotos: Luchterhand (Jeder Mensch), Hurca!/stock.adobe.com (passende Geldanlage), Thomas Bethge/stock.adobe.com (Künstlersozialabgabe), Stiftung Rechnen (Abjörnson) chenarten sicher beherrscht, kommt man schon gut durch das Leben. Aber Prozentrechnen und Drei- satz sollte man in seinem persönli- chen „Warenkorb“ auch dabeihaben, Künstlersozialabgabe – das müssen Stiftun- damit einfache Berechnungen wie gen und gem. Organisationen beachten Zinssätze oder Vertragslaufzeiten nicht zu unüberwindbaren Hürden 5 Die Praxis der letzten Jahre zeigt: Nur wenige Stiftungen und gemein- werden. STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Panorama nützige Organisationen sind von der Künstlersozialabgabe befreit. Durch verschärfte Prüfungen steigt die Wahrscheinlichkeit der Aufde- Ihr mathematisches Lieblings ckung von Verstößen und damit die Möglichkeit, zu Nachzahlungen theorem? Das ist eindeutig der verpflichtet zu werden. www.stiftungen.org/kuenstlersozialabgabe Freundschaftssatz – ein Lehrsatz aus dem mathematischen Gebiet der Gra- phentheorie. Er besagt, dass es in ei- nem Raum, in dem je zwei Personen genau einen gemeinsamen Freund haben, eine Person geben muss, die mit allen befreundet ist. Das ist mit- ten aus dem Leben und zeigt: Mathe- matik ist überall! ← Lobbyregister beschlossen: Das müssen Stiftungen nun wissen Das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters kommt. Damit wird ein neuer Rahmen für das Miteinander von Politik, Wirtschaft und Zi- vilgesellschaft geschaffen. Ziel ist es, Transparenz und öffentliche Zu- Claudia Abjörnson gänglichkeit in Bezug auf Kontakte zu Bundesregierung und Bundesmi- ist geschäftsführende Vorständin nisterien herzustellen. www.stiftungen.org/lobbyregister der Stiftung Rechnen
Einer für alle – alle für einen → Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! So lautet das Motto des Deutschen Stiftungstages, der vom 7. bis 11. Ju- ni 2021 erstmals digital stattfindet und dem auch der Schwerpunkt dieser „Stiftungswelt“ gewidmet ist. Stiftun- gen kommt dabei eine herausragende Rolle zu – das macht die Soziologin Jutta Allmendinger im Interview auf den folgenden Seiten deutlich. Das Wirken von Stiftungen wie- derum wäre nicht möglich ohne die vielen Millionen Enga- gierten in Deutschland, die sich freiwillig und unentgelt- lich für andere und damit für den gesellschaftlichen Zu- sammenhalt einsetzen. Diesem Engagement möchten wir in der Fotostre- cke unseres Schwerpunktes ein Gesicht geben. Stellvertre- tend für alle, die ein Ehrenamt ausüben, haben wir Men- schen porträtiert, die in ihrer Freizeit anderen Menschen helfen und sie stärken. Es sind Gesichter und Geschichten, die berühren – und die zeigen: Das Engagement ist so viel- fältig und divers wie unsere Gesellschaft selbst. Ob pensio- nierte Lehrerin oder Student, ob in Deutschland geboren oder aus einem anderen Land hierhergekommen, ob mit Einschränkung oder ohne – sie alle eint, dass sie Freude da- ran haben, anderen etwas zu geben, für sie da zu sein. Und dass sie dankbar sind für das, was sie von ihrem Gegenüber zurückbekommen. 7 STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! T E R D ES H Wir danken allen Engagierten für ihre Bereit- G ES I C E N TS schaft, sich für den Schwerpunkt dieser Ausgabe G E M porträtieren zu lassen, sowie der Bürgerstiftung E NGA Berlin und der Bürgerstiftung Neukölln für die organisatorische Unterstützung. Mehr Informationen über die Einrichtungen, für die sich die hier Porträtierten engagieren, unter: TIMO VOLKMANN (LINKS) UND ALPEREN www.buergerstiftung-berlin.de sind ein eingeschworenes Team. Kennengelernt duke-award.de haben sich der 35-jährige gelernte Journalist und der 13-jährige Schüler vor einem knappen www.flamingo-berlin.org Jahr bei einem Treffen der Bürgerstiftung Neu- www.neukoelln-plus.de kölln, die im Rahmen ihres Projektes „Neuköllner Talente“ Patenschaften zwischen Ehrenamt- lichen und Grundschulkindern vermittelt. Die beiden mochten sich auf Anhieb. „Timo ist ein- fach cool“, sagt Alperen und strahlt. Fast jede Woche machen sie gemeinsam Sport, unterneh- men Ausflüge und reden – über Schule, Familie, die Welt und den Sinn des Lebens.
„Stiftungen müssen Orte der Begegnung sein“ Zusammenhalt war schon vor Corona das große Thema der Soziologin Jutta Allmendinger. Warum sie der Umgang der Deutschen mit der Pandemie dennoch überrascht hat, weshalb sie findet, dass die Politik das Innovationspotenzial der Stiftungen verschenkt, und welche neue Rolle sie auf diese zukommen sieht, erzählt sie im Interview 8 STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! Stiftungswelt: Frau Professorin Allmendinger, aus rein professioneller Perspektive dürfte es für Sie als So- ziologin durchaus spannend sein, eine Pandemie mit- zuerleben und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu beobachten. Was war in dieser Hinsicht Ihr über- raschendstes Erlebnis im Kontext der Corona-Krise? Prof. Dr. Jutta Allmendinger: Offen gesagt: Auf ein Real- labor – und das auch noch ohne Kontrollgruppe – hätte ich Warum hat Sie dieses Verhalten der Menschen über- gern verzichtet. Doch klar ist: Aus soziologischer Sicht war rascht? Weil sie in sehr unterschiedlichem Maß von der und ist die Corona-Zeit höchst interessant. Sie ist auch auf- Pandemie und ihren Auswirkungen betroffen sind: die Al- reibend, sie ist voller Herausforderungen für die Gesell- ten anders als die Jungen, Menschen mit Kindern anders als schaft, für die Wissenschaft, für jede und jeden von uns. jene ohne Kinder, Kranke anders als Gesunde. Dass die weit Überrascht hat mich, wie sehr sich die allermeisten Men- überwiegende Mehrheit der Menschen bei aller unterschied- schen zusammenreißen. Wie sie täglich um ihre Conte- lichen Betroffenheit dennoch ein ähnliches Verhalten zeigt, nance kämpfen und versuchen, sich irgendwie zum Wohle das finde ich schon erstaunlich. Denn die Krise hat ja, anders der Gesellschaft zu verhalten. Oft denke ich dann: „Wow. als viele diagnostiziert haben, die Leute nicht gleichgemacht, Das hat Anerkennung verdient.“ im Gegenteil. Sie hat sie von Anfang an ungleich getroffen. Und sie hat für die verschiedenen gesellschaftlichen Grup- pen ganz unterschiedliche Folgen.
ziiert mit Europa, mit Deutschland oder mit größeren ge- sellschaftlichen Zusammenhängen. Als Kitt für den Zusam- menhalt in unserer Gesellschaft reicht dieses „kleine Wir“, Wie oft in Krisenzeiten, in denen eine Spaltung der wie wir es genannt haben, aber nicht aus. Gesellschaft droht, wird derzeit gern ihr Zusammen- halt beschworen. Sie haben dem Thema im vergan- Gilt diese Diagnose für alle gesellschaftlichen Grup- genen Jahr ein eigenes Buch gewidmet: „Die Vertrau- pen gleichermaßen? Nein. Gebildete Menschen, die viel ensfrage. Für eine neue Politik des Zusammenhalts“. gereist sind, sich in den öffentlichen Raum wagen, schaffen Dabei hat dieser Begriff meinem Empfinden nach et- es viel eher, Brücken zu bauen zwischen ihren verschiede- was Vages, schwer Greifbares.Das finde ich überhaupt nen „kleinen Wirs“. Das gilt übrigens auch für Menschen, nicht. Für mich hat Zusammenhalt etwas sehr Greifbares. die sich gesellschaftlich engagieren. Bei ihnen ist der per- Man kann ihn sehen, man kann ihn erfahren, man kann sönliche Radius größer und damit auch das zwischen- ihn sogar gut messen. Für mich hat Zusammenhalt ganz menschliche Vertrauen stärker ausgeprägt. viel mit Vertrauen zu tun. Vertrauen wiederum setzt so et- was wie eine minimale Kenntnis von anderen, uns frem- den Menschen voraus. Eine gängige Definition des Begriffs aus der Anfangszeit der Sozialwissenschaften besagt: Ver- trauen beruht darauf, belastbare Hypothesen über das Ver- „Das Gefühl des Gemeinsamen, halten anderer aufstellen können. Diese Definition fand ich immer sehr eindrücklich. Ein Beispiel: Wenn man ei- das ‚Wir‘-Gefühl, beschränkt ne Straße entlanggeht, kann man sehen, wie die Leute lau- fen, wie sie schauen, wie sie Kontakt aufnehmen oder eben sich zu sehr auf die Familie, auf nicht, und daraus seine Schlüsse ziehen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Um Erfahrungswissen über seine Mitmen- Freunde und nahe Bekannte.“ schen zu sammeln, muss man rausgehen. Wenn man die ganze Zeit zu Hause sitzt und dort auch arbeitet, wie es die meisten von uns derzeit tun, hat man gar nicht die Mög- lichkeit, Erfahrungswissen über die anderen zu sammeln. Also ist die Vertrauensfrage auch eine Bildungsfrage? Sie haben vorhin gesagt, dass sich Zusammenhalt Auf jeden Fall. Ein Ergebnis unserer Studie, deren Daten 9 messen lasse. Wie das? Indem man die Menschen fragt, aus den Jahren 2018/2019 stammen, finde ich geradezu er- STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! was sie über andere denken, und diese Ansichten mit dem schreckend: Es sind vor allem Personen mit niedriger Bil- abgleicht, was die anderen tatsächlich tun. So haben wir dung, die anderen misstrauen. Ein Teufelskreis: Weil sie es im Rahmen unserer sogenannten Vermächtnisstudie ge- sich von der Gesellschaft abgelehnt fühlen, ziehen sich die- macht, die die Grundlage für das Buch „Die Vertrauens- se Menschen in ihr privates Umfeld zurück und sind da- frage“ ist. Je größer die Diskrepanz zwischen der Prognose durch noch schlechter erreichbar – für die Politik wie auch des Verhaltens anderer und deren tatsächlichem Verhalten, für die Zivilgesellschaft. desto geringer das gegenseitige Vertrauen, desto schwächer der gesellschaftliche Zusammenhalt. Nun liegt das öffentliche Leben seit über einem Jahr fast brach. Wenn man Ihrer These folgt, dass es des Was haben Sie über den Zusammenhalt der Deut- öffentlichen Raumes bedarf, um ein Gemeinschafts- schen herausgefunden? Dass es insgesamt gar nicht so gefühl über den eigenen Freundeskreis hinaus zu ent- schlecht um ihn bestellt ist. Bei vielen Themen konnten wir wickeln, dürfte die derzeitige Situation toxisch sein für diesen angeblichen Vertrauensriss, von dem so oft die Rede den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Erleben wir ge- ist, nicht feststellen. In anderen Bereichen hingegen kom- rade eine Blütezeit des „kleinen Wir“, eine Art zweites men die Menschen schon zu deutlichen Fehleinschätzun- Biedermeier? Natürlich führt die Rückverlegung der Er- gen. Da sagen sie über ihre Mitbürgerinnen und Mitbür- werbsarbeit in den privaten Raum, wie wir sie mit dem Ho- ger etwas ganz anderes, als diese über sich selbst sagen. Das meoffice derzeit erleben, dazu, dass man sich zurückzieht betrifft vor allem die Themen Familie, Arbeit, Gesundheit in die eigene Wohnung. In dieser Wohnung wird gearbei- und Digitalisierung. Und: Das Gefühl des Gemeinsamen, tet, haben die Kinder zu lernen, isst man, liebt sich, macht das „Wir“-Gefühl, beschränkt sich zu sehr auf die eigene Fa- milie, auf Freunde und nahe Bekannte. Es ist weniger asso-
einfach alles. Man kann das Biedermeier nennen oder auch Re-Feudalisierung der Bildung, Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen. Und nein, Biedermeier im Jahr 2021 ist Inwiefern? In den USA versucht die Politik, von den Mo- nicht der Weg in die Zukunft. Es bietet einer diversen und dellprogrammen, die von Stiftungen entwickelt und er- globalen Gesellschaft wie der unseren nicht das Gerüst, das probt wurden, zu lernen. Voraussetzung ist natürlich, dass wir brauchen, um die nächsten Krisen, die noch größer sein diese Programme evaluiert wurden. Nur wenn die Wir- könnten als die Corona-Krise, zu bestehen. Dafür braucht es kung eines Stiftungsprogramms gemessen wird, weiß man tatsächlich ein „großes Wir“, dafür braucht es die Verständi- ja, ob eine Veränderung ursächlich auf dieses Programm gung über unterschiedliche soziale Kreise hinweg. zurückzuführen ist. Sobald es aber eine solche Evaluation erfolgreich durchlaufen hat, wird es von der Politik aufge- griffen und großflächig umgesetzt. In Deutschland hinge- gen sind wir davon noch weit entfernt. „Stiftungen agieren heute Woran liegt das? Ein Grund ist sicherlich, dass es bei uns sehr viel mehr Ressentiments gegenüber Feldversuchen viel abgestimmter, quasi gibt, aus denen sich Kausalschlüsse ziehen lassen, als in den USA. Ein Beispiel: Um herauszufinden, welche Auswirkun- konzertant, als früher.“ gen die Schulausstattung auf den Bildungserfolg hat, wur- den die Schülerinnen und Schüler einer US-amerikanischen Schule in zwei Gruppen geteilt: Die eine Gruppe bekam zu- sätzliche Lernmittel, der anderen wurden sie vorenthalten. Ich wollte etwas Ähnliches einmal im Rahmen eines Schü- Welche Krisen meinen Sie? Zuallererst die Klimakrise, lerprojekts der Komischen Oper Berlin machen. Doch da- deren Lösung nicht zuletzt einen tiefgreifenden Umbau un- gegen gab es massive Vorbehalte. serer Wirtschaft erfordert. Aber auch die sich abzeichnen- de gesellschaftliche Krise, das Auseinanderbrechen sozia- Solche kulturellen Unterschiede sind das eine. Ande- ler Gruppen in Corona-Verlierer auf der einen und Coro- rerseits müsste es doch gerade in Krisenzeiten wie na-Gewinner auf der anderen Seite. Und dann natürlich die diesen auch in Deutschland möglich sein, die Politik Herausforderungen auf der internationalen Ebene, denken dazu zu bewegen, innovative Stiftungsprojekte wahr- 10 Sie etwa an die neue Geopolitik Chinas. Da stehen wir vor zunehmen und großflächig umzusetzen.Das sehe ich gewaltigen Aufgaben. Und wir werden diese Krisen nicht genauso. Natürlich haben Stiftungen begrenzte Mittel und STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! meistern können, wenn wir uns ins Private zurückziehen spezifische Aufträge. Doch wenn sie ihre Programme eva- und uns von allem, was wir nicht kennen, abschotten. luieren, wenn sie in ihrem Vorgehen transparent sind und zeigen, wie sie bestimmte Ziele erreicht haben, dann soll- Andererseits war die Politik der vergangenen Mona- te die öffentliche Hand das nicht einfach nur dankend – te nicht gerade dazu angetan, das Vertrauen der Bür- und letztlich schulterzuckend – zur Kenntnis nehmen. Ge- gerinnen und Bürger in ein übergeordnetes gesell- nau das aber passiert leider immer noch viel zu oft. Und ich schaftliches Ganzes zu stärken – man denke etwa an denke, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen eine die Maskenaffäre oder das monatelange Impfdebakel. wichtige Rolle dabei spielen könnte, dass sich das ändert. Kommt der Zivilgesellschaft und insbesondere Stif- tungen in einer Zeit, in der die Politik in einer Vertrau- Wie meinen Sie das? Ich finde, er könnte als Verband, als enskrise steckt, neue Bedeutung zu? Stiftungen hatten Interessensorganisation aller Stiftungen, eine klarere Spra- schon immer eine ganz große Bedeutung. Natürlich kön- che sprechen und an die Politik deutlich adressieren, wel- nen sie die Politik nicht ersetzen. Stiftungen sind dazu da, che Stiftungsprojekte gut funktioniert haben. Er könnte die zu helfen, wenn es brennt. Und sie können mit ihren Pro- Politik stärker fordern, und zwar mit Ergebnissen, die die grammen und Projekten exemplarisch Wege aufzeigen, in vielen Stiftungen in Deutschland vorgelegt haben. Und so welche Richtung sich eine Gesellschaft mit ihren jeweili- darauf hinwirken, dass sie übernommen und in der Fläche gen Ressourcen entwickeln kann und sollte. Die Frage ist umgesetzt werden. nur, warum sich diese Bedeutung nicht in einer breiteren Umsetzung wegweisender Stiftungsprojekte in der Fläche Foto: Erik Weiss zeigt. Aus Amerika, wo ich eine Zeit lang studiert und ge- arbeitet habe, kenne ich das ganz anders.
D ES E S I C HTE R G N TS GEME E NGA CHARLOTTE WEBER-SPANKNEBEL engagiert sich im Projekt „Neuköllner Talente“ als Patin eines Grundschü- lers aus dem Kiez. Ziel des Projekts der Bürgerstiftung Neukölln ist es, bildungsbenachteiligten Kindern neue Erfahrungsräume und sinn- volle Arten der Freizeitgestaltung zu vermitteln. Charlotte und der siebenjährige Gebril kennen sich seit anderthalb Monaten. Sie haben schon zusammen Kekse gebacken und sind auf dem Tempelhofer Feld Inlineskates gefahren. Mit einem Kind durch Neukölln zu laufen, findet Charlotte spannend. Denn dadurch lerne sie ihren Kiez aus einer ganz anderen Perspektive kennen, sagt die 25-Jährige.
ES S I C H TER D GE N TS GEME E NGA TOMMASO DIDONE ist wie Timo (siehe Seite 7) und Char- lotte (siehe Seite 11) ehrenamtlicher Pate im Projekt „Neuköllner Talente“ der Bürgerstiftung Neukölln. Seinem Patenkind Hamudi hilft er bei den Mathe-Hausaufgaben, sie spielen Fußball, gehen Pizza essen, einmal waren sie im Kino. Tommaso ma- chen die Treffen viel Spaß; er sei für Hamudi Vertrauens- und Autoritäts- person zugleich, sagt er. Gern würde er mit ihm in den Zoo gehen oder ihm vom Fernsehturm am Alexan- derplatz aus Berlin von oben zeigen. Aber noch traut sich der Zwölfjähri- ge nicht aus seinem Kiez.
Wie soll das konkret aussehen? Zum Beispiel in Form ei- nes gemeinsames Papiers, in dem ganz konkret aufgezeigt wird, was Stiftungen leisten können und welche Rahmen- bedingungen sie dafür vonseiten der Politik benötigen. Na- türlich sollten die Stiftungen auch andere Wege suchen, um Warum ist das so wichtig? Weil viele Institutionen, die mehr Schlagkraft zu entwickeln und ihre Projekte stärker traditionell solche Orte der Begegnung waren, in den ver- in die Fläche zu tragen. Und da passiert ja auch so einiges. gangenen Jahren enorm an gesellschaftlicher Bedeutung und Bindungskraft verloren haben. Denken Sie etwa an die Inwiefern? Meiner Beobachtung nach wissen Stiftungen Kirchen, die unter massivem Mitgliederschwund leiden, heute sehr viel mehr voneinander und agieren viel abge- oder auch an die sogenannten Volksparteien, die ebenfalls stimmter, konzertant quasi, als früher. Sie treten auch viel stark an Zuspruch verlieren. Wir brauchen doch zumindest weniger gegeneinander auf, als das früher der Fall war, noch die Stiftungen als einen Ort, an dem Menschen zu- schließen sich vielmehr oft in gemeinsamen Projekten zu- sammenkommen. Das sehe ich als Aufgabe der Stiftungen: sammen. Interessant finde ich auch, dass sie heutzutage Menschen zusammenzubringen, „Enabler“ zu sein, eine weniger politisiert sind, weniger an spezifisch politischen „Helping Hand“ – und damit zu diesem „großen Wir“ bei- Interessen ausgerichtet sind als früher. Die Bandbreite un- zutragen, über das wir vorhin sprachen. terschiedlicher Stiftungen ist meiner Wahrnehmung nach größer geworden, sie sind nicht mehr so ideologisch nor- Dank des neuen Impftempos zeichnet sich ein mögli- mativ aufgestellt wie noch vor 30 Jahren. ches baldiges Ende der Pandemie in Deutschland ab. Glauben Sie, dass wir als Gesellschaft dann etwas Laut einer Online-Umfrage des Bundesverbandes un- aus dieser Ausnahmeerfahrung gelernt haben wer- ter Stiftungen vom Herbst 2020 konnten Stiftungen den? Ich kann nur hoffen, dass wir uns zweierlei aus der zumindest der ersten Pandemiewelle vergleichsweise Erfahrung der Corona-Krise bewahren werden: das gestie- gut standhalten. Was meinen Sie, wie sich die Coro- gene Vertrauen in die Wissenschaft; und die Erkenntnis, na-Zeit längerfristig auf den Stiftungssektor auswir- dass wir sehr viel stärker voneinander abhängen, als wir ken wird? Sicherlich wird sich die Stiftungslandschaft ver- das vor dieser Krise geglaubt haben. Die frühere britische ändern. So wie es in den verschiedenen Wirtschaftsbran- Premierministerin Margaret Thatcher hat einmal gesagt: chen Gewinner und Verlierer der Corona-Krise gibt, so Die Gesellschaft gibt es nicht, es gibt nur Individuen. Man wird es auch unter den Stiftungen Gewinner und Verlierer mag vom derzeitigen Premier Boris Johnson halten, was geben. Manche werden sich halten können, andere nicht. man will. Aber wenn er sagt, dass uns Corona gezeigt habe, 13 Abgesehen davon gibt es nicht wenige Menschen, die von dass es die Gesellschaft gibt, dann bringt das sehr schön die STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! der Pandemie finanziell profitiert und unglaubliche Ge- Lernkurve zum Ausdruck, die wir in dieser Krise absolviert winne gemacht haben. Darunter befinden sich sicherlich haben. Meine große Hoffnung ist, dass wir diese Lektion auch potenzielle Stifterinnen und Stifter. Zumindest hof- nie vergessen werden. ← Interview Nicole Alexander fe ich, dass einige von denen, die durch die Corona-Krise reich geworden sind, Stiftungen gründen werden. Diese neuen Stiftungen werden voraussichtlich auf eine tiefgreifend andere zivilgesellschaftliche Land- Fotos: Erik Weiss (linke Seite), WZB/David Ausserhofer (Porträt Allmendinger) schaft stoßen, als wir sie bislang kannten. Denn viele ihrer Akteure sind bereits jetzt in ihrer Existenz be- droht und werden die Corona-Krise möglicherweise nicht überleben. Wie können Stiftungen in einem sol- chen Umfeld noch wirken? Müssen sie sich womöglich künftig ganz anders aufstellen als bisher? Stiftungen müssen, wie auch die Wissenschaft, stärker in den gesell- schaftlichen Raum hineinwirken und schauen, dass sie die Über die Gesprächspartnerin Prof. Dr. h. c. Jutta Allmendinger, Ph.D., Menschen auch wirklich erreichen mit dem Kapital, das sie ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für haben. Wichtig ist, dass es eine Verbindung zwischen den Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit Stiftungen und den Menschen, der Gesellschaft, gibt. Da 2012 ist sie außerdem Honorarprofessorin für Soziologie an der Freien darf das Band nicht verloren gehen, da muss es Foren der Universität Berlin. Begegnung, auch von Stiftungsseite aus, geben.
D ES E S I C HTE R G N TS GEME E NGA ANGELIKA SCHILLING ist seit 20 Jahren als Ehren- amtliche bei der Bürgerstif- tung Berlin aktiv und gehört seit zwölf Jahren dem Vor- stand an. Aus ihrer lang- jährigen Erfahrung weiß die 64-Jährige, wie wichtig es ist, dass Ehrenamtliche Anerken- nung für ihr Engagement erfahren. Neben dem Projekt „Zauberhafte Physik“, das bei Berliner Grundschulkindern auf spielerische Weise Be- geisterung für die sogenann- ten MINT-Fächer wecken soll (siehe auch Seite 19), obliegt ihr im Vorstand die Ehren- amtspflege.
Der Fuggerei-Code Seit einem halben Jahrtausend bietet die Fuggerei in Augsburg Menschen in schwie- rigen Lebenssituationen eine soziale Heimat – und trägt damit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums soll das Erfolgsmodell nun auch in anderen Ländern Wirklichkeit werden. Über einen Stiftungszweck für die ganze Welt Von Astrid Gabler → Den Begriff des gesellschaftlichen Wie alles begann Jakob Fugger sah sich immer Zusammenhalts definiert wohl jeder Vor 500 Jahren waren in Augsburg vie- als Bürger seiner Heimatstadt Augs- und jede für sich ein bisschen anders. le Handwerker und Tagelöhner samt burg. Für ihn war die Stiftung der Fug- Der eine ist schon zufrieden, wenn ihren Familien von Armut bedroht. Ja- gerei eine logische Konsequenz und man sich freundlich grüßt und weiß, kob Fugger entschied sich zu handeln ein Dienst an seinen Mitbürgerinnen dass der Nachbar zuverlässig ein Pa- und konzentrierte sich mit seiner Stif- und -bürgern. Es war eine Art Gegen- ket entgegennimmt. Andere sind in tung auf die sogenannten Hausarmen: leistung oder anders gesagt: ein Bei- Nachbarschaftsinitiativen aktiv oder Menschen, die von ihrer Arbeit kaum trag zum gesellschaftlichen Zusam- haben ein Ehrenamt übernommen. leben konnten, aber nicht betteln gin- menhalt in seiner Stadt. Auch viele Stiftungen engagieren sich gen. Als „würdige“ Arme wurden sie Auch wenn er zu den reichsten im Bereich der Chancengleichheit teils in Armenhäusern mit Almosen und erfolgreichsten Persönlichkeiten bzw. Teilhabe und tragen so zum ge- versorgt. Denn öffentliche Bettler gal- seiner Zeit zählte, begegnete Jakob sellschaftlichen Zusammenhalt bei. ten als „unwürdige“ Arme und stan- Fugger laut historischen Chroniken Darüber hinaus sind sie auch Treiber den damals wegen ihrer großen Zahl den Menschen auf Augenhöhe. Des- 15 in Politik und Gesellschaft. unter strenger Aufsicht der Stadt. halb war es ihm wichtig, dass die Be- STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! Jede noch so kleine Initiati- So leistete Jakob Fugger gezielt dürftigen nicht ganz ohne Gegenleis- ve ist wichtig, um den aktuellen und Hilfe zur Selbsthilfe. 300 Menschen tung wie Almosenempfänger in der künftigen gesellschaftlichen Heraus- fanden damals in seiner Fuggerei ein Fuggerei leben. Im Stiftungsbrief leg- forderungen zu begegnen. Stiftungen Zuhause. Bedenkt man, dass Augsburg te er als Gegenleistung drei Gebete am tun dies im wahrsten Sinne des Wor- zur damaligen Zeit nur 30.000 Ein- Tag und einen Rheinischen Gulden tes nachhaltig, denn sie sind per se auf wohner hatte, wird schnell klar, dass er im Jahr fest – damals etwa der Wo- Ewigkeit angelegt. So manche Stif- das damalige Sozialsystem auf einen chenlohn eines Handwerkers. Und bis tung hat ihr Wirken bereits vor vie- Schlag deutlich entlastete. Als Bewoh- heute ist es bei diesem Obolus geblie- len hundert Jahren begonnen – ganz ner der Fuggerei waren die Hausarmen ben: 88 Cent müssen die Bewohnerin- nach dem Willen und den Vorstellun- von der Sorge um ein Dach über dem nen und Bewohner im Jahr bezahlen, gen ihres Stifters. So wie vor 500 Jah- Kopf befreit, konnten als Familie bei- nur die Nebenkosten wie Strom oder ren am 23. August 1521: Damals stif- einanderbleiben und durch ihre Arbeit Heizung müssen von ihnen selbst ge- tete der Augsburger Kaufmann und wieder auf die Beine kommen. tragen werden. Bankier Jakob Fugger „auf ewig“ ei- ne soziale Heimat für Bedürftige sei- ner Stadt: In der nach ihm benann- ten Sozialstiftung, der Fuggerei, bot er ihnen ein sicheres und bezahlbares Fotos: Erik Weiss Dach über dem Kopf, dass ihnen die Chance auf ein gelingendes Leben gab – und bis heute gibt.
Das Jubiläum der Fuggerei Vor 500 Jahren, am 23. August 1521, gründete der Kaufmann Jakob Fugger in Augsburg die heute älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt – die nach ihm benannte Fuggerei. Aus Anlass dieses Jubiläums findet ab dem 23. August 2021 in Augsburg ein Programmfestival statt. Die Bewohner sind der Fug- Weitere Informationen unter www.fuggerei-next500.de gerei dankbar, dass sie ihnen die Si- cherheit einer Wohnung und damit die Chance auf ein gelingendes Leben gibt. In der Fuggerei können sie auf- atmen, zur Ruhe kommen, das Leben genommen. Bis heute ist die Nachfra- te zurückzublicken, sondern auch neu anpacken und genießen. Und sie ge nach einer Wohnung in der Sozial- 500 Jahre in die Zukunft zu schauen. freuen sich, dass sie Jakob Fugger mit siedlung ungebrochen hoch – mit seit „Wir möchten das Unkopierbare als den drei Gebeten etwas zurückgeben einigen Jahren steigender Tendenz. Impuls in die Welt senden, um Men- können – auch das gehört zu einer Be- Was Jakob Fugger in Augsburg schen auf der ganzen Welt die Mög- gegnung auf Augenhöhe: dass man erschaffen hat, sorgte übrigens schon lichkeit zu geben, durch eigene Kraft sich bedanken kann. Und schließlich vor 500 Jahren weit über die Grenzen wieder auf die Beine zu kommen“, war Jakob Fugger der festen Überzeu- Augsburgs hinaus für Staunen. Be- sagt Maria Elisabeth Gräfin Thun- gung, dass er sein Vermögen von Gott sonders nach dem Zweiten Weltkrieg Fugger, Vorsitzende des Fuggerschen empfangen hat – und er wollte auf Er- gab es an anderen Orten Bestrebun- Familienseniorats. „Also verdichteten den etwas davon zurückgeben. Denn gen, die Fuggerei nachzuahmen. So- wir die Bestimmungen im Stiftungs- er war sich sicher: Ohne Gottes Willen gar aus Äthiopien kam eine Delegati- brief von Jakob Fugger zu einer DNA hätte er nie so reich werden können. on, um sich die Sozialsiedlung anzu- der Fuggerei und haben diese in mo- sehen. Doch alle bisherigen Versuche dernen Worten im Fuggerei-Code zu- Die Fuggerei heute wurden nicht weiterverfolgt. Denn sammengefasst.“ Bis heute leben in der Fuggerei be- auch, wenn es so einfach wirkt: Die Was einfach klingt, war ein dürftige Augsburger Bürgerinnen Fuggerei basiert auf einem außeror- langer, schwieriger und diskussions- und Bürger katholischen Glaubens. dentlichen Konzept, das offensichtlich reicher Prozess, an dem zahlreiche 16 Ein tiefer Einschnitt war die schwere nicht so einfach zu kopieren ist. Experten beteiligt waren. Das Ergeb- Bombardierung Augsburgs im Feb- nis sind drei Sätze, die es in sich ha- STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! ruar 1944, bei der auch die Fuggerei Next 500: ben. Denn sie stellen die Grundlage zerstört wurde. Seit ihrem Wiederauf- Soziale Heimat vervielfältigen dar, um das Augsburger Modell er- bau haben rund 1.400 Menschen in ei- Dabei war offensichtlich genau dies folgreich in die Welt zu tragen und ner der 140 Wohnungen eine soziale der Wunsch des Stifters: dass seine überall „Fuggereien der Zukunft“ ent- Heimat gefunden – im Schnitt lebten Fuggerei Nachahmer findet. Denn in stehen zu lassen. Dieser sogenannte sie dort jeweils rund 14 Jahre. Dabei eine Steintafel über einem der Tore Fuggerei-Code lautet: wurden die Aufnahmekriterien im- der Fuggerei ließ er die Worte „in ex- „Dieser Ort ist ein kuratierter Le- mer wieder an das jeweils herrschende emplum“ schreiben – und wollte da- bensraum für die Ewigkeit. Für eine mi- Ausmaß der Bedürftigkeit angepasst. mit zum Ausdruck bringen, dass seine nimale spirituelle und monetäre Gegen- So war in den Jahren nach Gründung der Sozialsiedlung auch an- leistung ermächtigt die Stiftung Bedürf- den beiden Weltkriegen die Fuggerei dere zu Freigebigkeit inspirieren sollte. tige aus der Region, ein selbstbestimmtes nur Älteren zugänglich, da aufgrund Daher hat sich die Familie Fug- Leben in Würde zu führen. Das Konzept der hohen Bewerberzahlen in Zeiten ger zum Jubiläum der Fuggerei im der Fuggerei setzt Maßstäbe seit 1521.“ dramatischer Wohnungsnot schlicht August 2021 das Ziel gesetzt, nicht Hinter jedem Wort steckt ei- Prioritäten gesetzt werden mussten. nur auf 500 Jahre Stiftungsgeschich- ne tiefere Bedeutung, deren Essenz In der Nachkriegszeit änderte sich die die Grundlage für soziale Innovatio- strukturelle Armut zunehmend, und nen auf der ganzen Welt sein soll. So nach der Einführung der Hartz-IV- bezeichnet die Formulierung „die- Gesetzgebung wurden ab 2008 auch ser Ort“ mehr als eine Wohnung. wieder junge Familien und vor allem Es ist ein Lebensraum, in dem sich Alleinerziehende in der Fuggerei auf- die Menschen entfalten können und
die Möglichkeit bekommen, sich ei- Menschen die Möglichkeit zu geben, ne Existenz aufzubauen. Es ist unbe- ihrem Stifter Danke sagen zu können. dingt notwendig, dass dieser Ort ein „Das hat etwas mit Würde und Au- „kuratierter Lebensraum“ ist. Das gibt genhöhe zu tun“, so Graf von Hundt. nicht nur finanzielle Sicherheit, son- Aus diesem Grund ist auch die „mo- dern stellt zugleich klar, dass ein Ent- netäre Gegenleistung“ im Fuggerei- scheidungsgremium Veränderungen Code verankert: Auch Menschen in Ort dieser Welt auf Basis dieses Codes und Anpassungen vor Ort begleitet. schwierigen Lebenslagen ist es wich- eine Fuggerei entstehen kann. Es „Wenn die Administration nicht vor tig, nichts geschenkt zu bekommen, kann sicherlich auch Regionen geben, Ort ist, die Stimmungen und Proble- sondern für ihren Wohnraum mit ei- in denen eine Fuggerei nicht möglich me der Bewohner nicht auf- und an- ner Gegenleistung zu bezahlen. ist – etwa in Diktaturen oder in Län- nimmt, dann kann das Konzept der „Aus der Region“ heißt, dass dern mit Kastensystem. Wo Menschen Fuggerei nicht funktionieren“, erklärt man nicht gebürtig aus der Umgebung unterdrückt oder nach ihrer Herkunft Wolf-Dietrich Graf von Hundt, Ad- einer Fuggerei der Zukunft kommen in verschiedene Kasten eingeteilt wer- ministrator der Fuggerschen Stiftun- muss, aber mit der Region, in der sie den, scheint ein selbstbestimmtes Le- gen . „Das erleben wir hier in Augs- steht, verwurzelt sein sollte. „Selbst- ben kaum möglich. burg jeden Tag.“ bestimmt“ ist ein Terminus, der von Und genau dies – ein selbst- Was schon für Jakob Fugger es- Jakob Fugger selbst stammen könnte: bestimmtes Leben – ist es, was Jakob senziell war, hat auch in den Fuggerei- Denn die Hilfe zur Selbsthilfe auf dem Fugger den Menschen zurückgeben Code Einzug gehalten: „für die Ewig- Weg in ein Leben, in dem man selbst wollte. Dass seine Idee nach 500 Jah- keit“. Es geht nicht darum, schnell und bestimmt, wohin es gehen soll, war für ren ein Zukunftsmodell ermöglicht, billig viele Wohnungen hochzuzie- ihn ein wichtiges Ziel seiner Stiftung. würde ihn sicher stolz machen – und hen. Es geht darum, Verantwortung wer weiß, ob er mit seiner Formulie- für die Zukunft von Anfang an mitzu- Maßstäbe seit 1521 rung „in exemplum“ nicht genau die- denken. Das beginnt bei einer nach- Dass „Würde“ eine wichtige Rolle se Vision verband. Wenn nun wirklich haltigen finanziellen Grundlage. Es spielt, zeigt sich in der heutigen Fug- auf Basis des Fuggerei-Codes weltweit bedeutet aber auch, nachhaltige und gerei in ganz unterschiedlicher Weise. weitere Sozialsiedlungen entstehen langlebige Materialien zu verwenden. Zum Beispiel in der Architektur: Jeder sollten, hat sich der Impuls von Ja- Man hätte die zerstörte Fugge- Bewohner hat einen eigenen Eingang, kob Fugger mehr als bewährt. Er hat rei nach der Bombennacht im Februar seine eigenen vier Wände, seinen ge- etwas zurückgegeben – an die Gesell- 17 1944 auch aufgeben können. Doch die schützten Bereich. Und: Die Wohnun- schaft. In einer Stiftung. Und in einer STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! damals Verantwortlichen waren sich gen sind groß – so groß, dass auch eine Idee für viele Generationen – in den der Bestimmung „für die Ewigkeit“ Familie mit Kindern darin Platz findet nächsten 500 Jahren vielleicht nicht bewusst und haben die Fuggerei neu und früher ein Handwerker dort sei- nur in Augsburg, sondern auf der gan- und sogar noch größer als ursprüng- nem Beruf nachgehen konnte. zen Welt. ← lich wiederaufgebaut. Der Schlusssatz des Fuggerei- Aus den drei Gebeten am Tag Codes – „Das Konzept der Fuggerei ist die „spirituelle Gegenleistung“ ge- setzt Maßstäbe seit 1521“ – soll deut- worden. „Wir wollten die Gegenleis- lich machen: Was im 16. Jahrhundert tung vom katholischen Glauben lösen mitten in Augsburg entstand, ist alles und das Transzendente deutlich ma- andere als Mittelmaß. Hier wurden chen“, erklärt Graf von Hundt. Denn schon vor Hunderten von Jahren Inno- die Spiritualität müsse zum Ort und vationen angestoßen und umgesetzt – Wertesystem passen, an dem sich die und so soll es auch weitergehen. Fuggerei der Zukunft befindet. Der Natürlich muss auch die Frage Grundgedanke allerdings bleibt: den gestellt werden, ob wirklich an jedem Foto: Fuggersche Stiftungen Über die Autorin Astrid Gabler ist Leiterin Kommunikation und Programme der Fuggerschen Stiftungen.
Ein Fonds für Hamburg Der Gemeinschaftsfonds „Hamburger Spielräume für Kinder, Jugendliche und Familien“ ist ein Paradebeispiel für schnelles und gemeinsames Stiftungs- handeln. Über ein wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen die Corona-Krise Von Rüdiger Ratsch-Heitmann → Wie sieht das Leben eines Jugend- trägt eine warme Jacke und Mütze, es lichen im Frühling 2021 aus? Der All- ist kalt an diesen Frühlingstagen. Er ist 18 tag eines Jungen etwa, der im Hambur- trotzdem jeden Tag hier. Warum? Was ger Osten aufwächst, einem Neubau- kann man hier erleben? STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! gebiet, das einmal die größte Flücht- Mohammeds Lächeln lässt sich Es scheint, es sind in diesen lingsunterkunft Deutschlands war? hinter seiner Atemschutzmaske nur Zeiten viele kleine Dinge, die einen Nennen wir ihn Mohammed. Aber er erahnen, aber seine Augen leuchten, großen Unterschied machen: Für die könnte auch Tim oder Yaris heißen. als er sagt: „Jede Menge. Es ist super Gestaltung der genannten, stets un- Er ist 13 Jahre alt, lebt mit seinen El- hier!“ Er habe mit seiner Angelgrup- ter Beachtung der Hygiene- und Ab- tern und zwei Geschwistern in einer pe Kanus repariert, erzählt er. Und er standsregeln durchgeführten Out- Zweizimmerwohnung und verbringt gehe mit ihnen angeln, auch wenn es door-Aktivitäten hätten dem TSG seine Nachmittage oft im Jugendclub kalt ist. Er backe mit Freunden auch Bergedorf, dem Träger des Projekts „Gleis 1“ – normalerweise. Denn jetzt im Winter Pizza. Und wenn es wär- „Kiez-Garten“, jegliche Mittel ge- ist der Jugendclub wegen Corona ge- mer wird, wollen sie Gemüse in den fehlt. Es gibt keine Geldtöpfe für sol- schlossen, genauso wie die Schwimm- Hochbeeten anbauen und nach der che Extras, für warme Angelkleidung, halle und der Fitnessclub. Nur eine Ernte gemeinsam zubereiten. Er ha- für einen Pizzaofen oder für den Rin- Einrichtung hat stets geöffnet: Der be aber auch einen Bumerang selbst denmulch, der die Anlage auch bei „Kiez-Garten“ auf dem Gelände einer gebaut und Pläne für eine Seifenkiste schlechtem Wetter zugänglich macht. nahe gelegenen Schrebergartensied- im Kopf. Die Liste ist lang und wäh- „Als wir von dem Fonds ‚Hamburger lung. Hinter einem bunt gestrichenen rend man Mohammed zuhört, wird Spielräume‘ hörten, waren wir hellauf Eingangstor findet man ein Holzhaus schnell klar: Der „Kiez-Garten“ ist für begeistert“, sagt Carola Kludasch, die und Hochbeete, ein Gartencafé und den Jungen nicht irgendein Ort. Er ist Leiterin des „Kiez-Gartens“. „Die Kin- Fotos: Erik Weiss einen Grillplatz sowie eine Holzwerk- sein Rettungsanker in der Pandemie. der und Jugendlichen hatten gleich je- werkstatt. Es sind Wege angelegt, mit de Menge Ideen für Spiel und Spaß, Rindenmulch bedeckt. Mohammed den man draußen haben kann.“
ANGELIKA STEINFELDT (OBEN LINKS), VERENA CASPARI (OBEN RECHTS) UND CHALAK SAEED (UNTEN LINKS) engagieren sich in dem Projekt „Zauberhafte Physik“ (siehe Seite 14): Die pensionierte Berliner Physikleh- rerin, die Physikstudentin und der aus dem Irak ge- flüchtete Physiklehrer führen gemeinsam mit Berliner Grundschülern spannende physikalische Experimente durch – funkelnde Magie statt graue Theorie. D ES HTE R G ES I C N TS N G A GEME E HENRIETTE DRUBA ist über Bekannte zum Mento- ring-Projekt der Bürgerstiftung Neukölln gekommen, weil sie den Austausch mit anderen gesucht hat. Ihre Mentee Assauer ist 16 Jahre alt und stammt aus dem Irak. Es habe Zeit gebraucht, um Vertrauen aufzubauen, erzählt die 28-Jährige. Heute seien sie fast wie Schwestern.
Die Gründung des Gemein- nächst eine große Unsicherheit fest. schaftsfonds „Hamburger Spielräu- Viele fragten sich, was geschehen wür- me für Kinder, Jugendliche und Fami- de, wenn Fördermittel nicht mehr ver- lien“ hat augenscheinlich einen Nerv tragsgerecht eingesetzt werden könn- getroffen. Seit Juni 2020 wurden in ten, wenn Projekte sich verzögerten liche ohne Druck und ohne ihre Eltern bisher drei Förderrunden 234 Anträ- oder die Mittel gar umgewidmet wer- auf spielerische Weise mit ihrer Um- ge bewilligt und 490.000 Euro ausge- den müssten. Sollte man besser erst welt auseinandersetzen und bekom- schüttet. Unter den Antragstellern be- einmal abwarten oder gerade jetzt be- men wichtige Impulse für die Ent- fanden sich gemeinnützige Träger der sonders schnell handeln? wicklung einer eigenständigen und Umweltbildung, Stadtteilkulturzen- Parallel zu diesem ersten Aus- starken Persönlichkeit“, betont sie. tren, Bauspielplätze, Bürgerhäuser. tausch blickten wir in den englisch- Die Folgen der Isolation von Es gab Projekte wie Gewächshäuser sprachigen Raum, wo die „Communi- Kindern und Jugendlichen während oder Freiluftkinderzimmer und vie- ty Foundations“ eine lange Tradition der Corona-Krise sind jetzt schon ab- le Reisen und Ausflüge, darunter Ta- haben und schnell gemeinsame Kri- zusehen. Ärzte und Studien wie die gesfahrten an die Ostsee oder in Ver- sentröpfe entstanden. Diese Art der COPSY-Studie des Universitätsklini- gnügungsparks. Es wurden Mittel für Zusammenarbeit war uns nicht fremd. kums Hamburg-Eppendorf warnen kulturelle Bildungsangebote bereitge- Bereits 2016 hatten wir während der vor der Zunahme an Depressionen stellt, wie für Filmkurse, mobile Er- sogenannten Flüchtlingskrise gute Er- und Suizidgedanken. zähltheater oder eine Initiative mit fahrungen mit dem Fonds „Flüchtling Im Mai 2020 war unsere Idee dem wunderbaren Namen „zauber- und Ehrenamt“ gemacht. Da hatte sich schließlich geboren, diejenigen zu un- hafte Baumwesen“, bei der Kinder auf bereits gezeigt, was wir auch mit dem terstützen, die außerschulisch etwas fantasievolle Weise ihre Umgebung Fonds „Hamburger Spielräume“ er- für Kinder und Jugendliche tun. Die gestalten konnten. Viele Projekte und neut erleben würden: Gerade kleinere für den sozialen Kitt sorgen und Lö- Aktionen fanden einmalig in den Fe- und mittlere Stiftungen profitieren un- sungen anbieten, auf eine sehr konkre- rien statt, sind aber auch langfristig gemein von einem Zusammenschluss. te und effiziente Weise. Der gemein- angelegt. Und so wie sich die Zahl der Während der ersten Wochen same Fonds war dann zügig gegrün- Antragsteller von Monat zu Monat ra- der Corona-Krise trafen sich die det. Innerhalb weniger Wochen wur- sant erhöhte, wuchs auch die Zahl der Gründer des Fonds in regelmäßigen den von zunächst sieben Stiftungen an dem Fonds beteiligten Stiftungen – Zoom-Runden. Wir teilten das Ge- 110.000 Euro zugesagt und damit die 20 von anfangs sieben auf nunmehr 16. fühl, gemeinsam das Richtige tun zu Weichen gestellt für eine Förderpra- Was macht den großen Erfolg wollen. Es zeigte sich immer deutli- xis, die wohl selten so perfekt zu den STIFTUNGSWELT Sommer 2021 Gemeinsam Zusammenhalt gestalten! dieses Gemeinschaftsfonds aus? Was cher, wo neben den staatlichen Hil- Bedürfnissen der Antragsteller pass- macht ihn für alle Beteiligten – die fen ein sehr konkreter zusätzlicher te. Das Verfahren ist bewusst niedrig- Förderer wie die Geförderten – so at- Bedarf lag. Kinder und Jugendliche schwellig konzipiert. Es können An- traktiv? waren und sind die am wenigstens be- träge über 2.500 Euro für Projekte oder Wie wohl die meisten deut- achteten Leidtragenden dieser Krise. 3.000 Euro für Ausflüge außerhalb von schen Stiftungen wollten auch wir bei Und während in Politik und Medien Hamburg gestellt werden. Förderbar der BürgerStiftung Hamburg ange- hauptsächlich über schulische Eng- sind Honorare, Fahrtkosten oder Sach- messen auf die Corona-Krise reagie- pässe, verpassten Lernstoff und unzu- kosten, Mehrfachanträge sind mög- ren. Aber was bedeutete das? Eine reichende Ausstattungen mit techni- lich. Die Formulare sind einfach ge- Frage, die sich gar nicht so leicht be- schen Endgeräten geredet wurde, bra- staltet und werden stets innerhalb von antworten ließ. Relativ schnell began- chen den Kindern und Jugendlichen nur zehn Tagen bearbeitet. Die Koordi- nen wir, uns zu vernetzen. Wir tra- ihre Räume weg: Freiräume, Spielräu- nation des Fonds, die Antragsprüfung fen uns mit anderen Stiftungen zum me, Erfahrungsräume. und die Mittelvergabe hat die Bürger Austausch per Zoom und stellten zu- „Räume, wie sie gerade die of- Stiftung Hamburg übernommen. fene Kinder- und Jugendarbeit anbie- tet“, sagt Mia Weselmann, die Pro- jektleiterin des Gemeinschaftsfonds. „Es sind Erlebnisräume jenseits des formalen Lernens. Sie bieten eine All- tagsbildung von unschätzbarem Wert. Hier können sich Kinder und Jugend-
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