StiftungsweltHERBST/WINTER - 5.000 JAHRE STIFTEN: Michael Borgolte im Gespräch - Netzwerk Stiftungen und ...
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Stiftungswelt HERBST/WINTER 2021 5.000 JAHRE STIFTEN: ÜBERLEBEN IN DER DDR: MUTMACHER: Deutscher Michael Borgolte im Gespräch Die Koepjohann’sche Stiftung Stifterpreis für Hans Schöpflin
Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. Es ist die beste Crew, welche Sie zum Erfolg führt. Teil einer Gruppe zu sein, die selbst eine erfahrene Investorin ist, bedeu- tet, dass wir genauso denken, investieren und uns um Vermögenswerte kümmern wie Sie selbst. Diese Ausrichtung führt zu hohen langfristigen Renditen für unsere Kunden und zu einer exzellenten Kundenzufriedenheit. Wir verfolgen jederzeit den Blickpunkt des Anlegers: www.jsafrasarasin.de Frankfurt am Main – J. Safra Sarasin (Deutschland) GmbH, Kirchnerstraße 6–8, DE-60311 Frankfurt am Main, T: +49 (0)69 714497 300 München – J. Safra Sarasin (Deutschland) GmbH, Ottostraße 3, DE-80333 München, T: +49 (0)89 558999 480
Intro Liebe Leserinnen und Leser, wussten Sie, dass es bereits vor 5.000 Jahren Stiftungen gab? Dass sich Bürgerstiftungen schon im antiken Rom finden? Dass Napoleon nicht nur Feldherr und Kaiser, sondern auch Stifter war? All dies und weitere überraschende Facetten der jahrtausendealten Geschichte der Philanthropie können Sie in dieser Ausgabe der „Stiftungswelt“ ent- decken, in der wir einen Ausflug in die aufregende Vergangenheit des Stiftungswesens unternehmen. Der Bundesverband selbst schaut in die Zukunft und stellt sich 1 derzeit als schlanke, schlagkräftige und serviceorientierte Organi- STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Intro sation neu auf. Wir wollen die Chance nutzen, auch die „Stiftungs- welt“ mit ihrer Beilage „Stiftungsinfo“ neu zu denken. Wie erreichen wir künftig all unsere Mitglieder – unabhängig davon, ob sie im Büro arbeiten oder im Homeoffice? Wie können wir ihnen noch bes- ser nutzbare Services für den Stiftungsalltag und neue Formate für spannende Geschichten bieten? Das sind einige der Fragen, die uns Fotos: Detlef Eden (Porträt Alexander), Emma Raphael on Unsplash (Cover) intensiv beschäftigen. Gewiss ist derzeit nur zweierlei: Die künftige „Stiftungswelt“ wird anders sein als die jetzige. Und sie wird eine klei- ne Pause einlegen, um Sie Mitte kommenden Jahres mit neuer Kon- zeption und frischem Look zu überraschen. Seien Sie gespannt und bleiben Sie uns gewogen! Herzliche Grüße Ihre Nicole Alexander Chefredakteurin
8 2 44 STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Inhalt 32 Stiftungsinfo Servicebeilage exklusiv für unsere Mitglieder Fotos: Jörg Faber/faber.photography (8), Felix Groteloh (32), Power-On.org (44) Stiftungsinfo Herbst/Winter 2021 2 Welche grundlegen- den Änderungen das neue Stiftungsrecht mit sich bringt 6 Was beim Nachlassmarketing zu beachten ist 8 Wie sich Risiken bei der Geld- anlage verstehen und minimieren lassen STIFTUNGSINFO Unsere Mitglieder erhalten zu jeder Stiftungswelt diese hilfreiche Servicebeilage.
Inhalt Stiftungswelt Herbst/Winter 2021 6 – 31 Titel Stiften – Geschichte und Geschichten einer unverwüstlichen Idee 1 Intro 36 Der erste Digitale Deutsche Stiftungstag – 4 Panorama ein Blick zurück Als Ende 2020 die Entschei- dung für einen Online-Kongress fiel, war nicht abzusehen, ob dieses Format gelingen würde. Zeit für eine Bilanz Titel 40 Viel Licht und etwas Schatten Die im Juni 8 „Die Idee der Stiftung überdauert“ Der Stif- 2021 verabschiedetet Stiftungsrechtsreform tungshistoriker Prof. Dr. Michael Borgolte spricht bringt in vielem den erhofften Fortschritt – und 3 im Interview über den Ursprung des Stiftens vor verpasst doch eine Chance 5.000 Jahren und erzählt, wie sich das Phänomen STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Inhalt Stiftung im Laufe der Zeit gewandelt hat 44 Alle wieder auftauchen, bitte! Die Initiative Freischwimmen21 unterstützt Engagierte dabei, 17 Stiftungsgründung im Angesicht der Kinder und Jugendliche aus der coronabedingten Pest Über die Stifterdynastie der Fugger, deren Erstarrung zurück in Bewegung und Begegnung stifterisches Engagement bis ins 15. Jahrhundert zu bringen zurückreicht – und bis heute sichtbar ist 47 Individuelle Förderung? Ja, bitte! Stipendien- 21 Was würde Napoleon tun? Über eine Frage, vergabe hat in Deutschland keinen guten Ruf – die sich die Vereinigten Hospitien in Trier bis zu Unrecht. Ein Plädoyer heute stellen 51 Raus aus der Filterblase! Der bundesweite 27 „Zwei Stück Kuchen pro Witwe – mehr fiel Wettbewerb „Jugend debattiert“ feiert in diesem nicht ab“ Die Koepjohann’sche Stiftung kämpf- Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Eine Zwischen te in der DDR ums Überleben. Ein Gespräch mit bilanz Martin-Michael Passauer und Prof. Dr. Philipp Enger, ihrem ehemaligen und ihrem amtierenden Kuratoriumsvorsitzenden, über Stiftungswirken 54 Personalia in einem Unrechtsstaat 58 Meldungen 62 Medien 66 Exklusiv für Mitglieder 32 Der Mutmacher Auf der Mitgliederversamm- 67 Outro/Impressum lung des Bundesverbandes am 11. Novem- 68 Abgestaubt ber 2021 in Frankfurt am Main wird dem Unter- nehmer Hans Schöpflin der Deutsche Stifterpreis 2020 verliehen. Eine Würdigung
Panorama Anstifter ch land 199 Bürgerstiftungen feiern ut s 6 -2 0 25-jähriges Jubiläum ftungen in De 21 25 Jahre ist es her, dass in Gütersloh die erste Bürgerstiftung Deutsch- lands gegründet wurde. Heute gibt es hierzulande rund 420 Bürger- stiftungen, jede vierte davon mit einem Stiftungsvermögen von min- destens einer Million Euro. Sie zählen zu den demokratischsten und t i dynamischsten Formen des Stiftens, indem sie mit Partizipations- und s r Dialogformaten die erfolgreiche Teilhabe aller Bevölkerungsschichten Bürge ermöglichen. Längst sind sie damit zu einer starken Stimme der lokalen Zivilgesellschaft geworden. Für diese besondere Art des Engagements würdigte der Bundesverband Deutscher Stiftungen die Bürgerstiftun- gen mit dem Deutschen Stifterpreis 2019 – der höchsten Auszeichnung im Stiftungswesen. Die Überzeugung, dass Bürgerstiftungen zu den Stiftungsformen der Zukunft zählen, teilen in Deutschland über 57.000 Ehrenamtliche, Stifterinnen und Stifter. Sie tun sich zusammen, um vor Ort nachhaltig etwas zu bewegen – mit Geld, mit Zeit und mit Ideen. www.buergerstiftungen.org 4 »Stiftungen sind das STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Panorama Salz der Erde. Sie sind das Asset, denn sie verwirklichen kleine Utopien.« Die Anglistin und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann auf dem Digitalen Deutschen Stiftungstag 2021 89 Prozent der Stiftungsgremien sind rein ehrenamtlich tätig. Nur bei einem Pro- zent der Stiftungen sind die Gremienmitglieder rein hauptamtlich tätig. In den verbleibenden rund 10 Prozent der Stiftungen teilen sich Haupt- und Ehrenamtliche die Gremienarbeit.
Meistgelesen auf stiftungen.org Drei Fragen an Alexander Gallitz Stiftung Deutschland Schwimmt Ihre Stiftung bringt Kindern mit Be- hinderung das Schwimmen nahe. Was macht das Element Wasser so beson- ders? „Wir sind alle Kinder des Wassers.“ Dieses Zitat von Michel Odent kann ich Häufige Fragen zur zu 100 Prozent unterstützen. Umso wich- Stiftungsrechtsreform tiger ist es dem Team von Deutschland Schwimmt, dieses Motto für alle Men- Wann kommt das Stiftungsregister? Können Stiftungen leichter schen umzusetzen. Wir wachsen neun fusionieren? Wie mit Umschichtungsgewinnen verfahren? Ein Monate im Wasser zum Menschen heran, Überblick www.stiftungen.org/faq-stiftungsrechtsreform jeder sollte sich im Wasser wohlfühlen. Je- der Mensch kann schwimmen – das ist ein physikalisches Gesetz. Angst vor dem Was- ser macht das leider für manche zunichte. Freibad oder Schwimmhalle? Als Ex- Profischwimmer ganz klar Freibad, See Fotos und Grafiken: Thomas Fuchs (Stiftungsrechtsreform), Halfpoint/adobe.stock (Hochwasserkatastrophe), ted.com/Johan Rockström (Klimaaufruf), privat (Porträt Gallitz) oder Meer. Nach der chlorreichen Vergan- genheit im Hallenbad ist das freie Schwim- men ein Traum. Aber: Für unsere Ziel- Hochwasserkatastrophe: gruppe ist es ganz klar das Hallenbad, da Staatliche Hilfe für die Helfer man vom Wetter unabhängig ist und in den meisten Fällen warmes Wasser vor- Mit schnellen Hilfsprogrammen und Spendenaktionen enga- findet. Perfekt für unsere Arbeit wäre ein 5 gieren sich viele Stiftungen und andere gemeinnützige Organi- Ganzjahresbad. STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Panorama sationen in den von Überschwemmungen betroffenen Gebie- ten. Im Gegenzug erhalten sie nun steuerliche Erleichterungen Schwimmt Deutschland genug? Schwim- bei ihrer wichtigen Arbeit vor Ort. men im Geld ja – schwimmen im Wasser www.stiftungen.org/hochwasser leider nein. Das macht mich traurig. Die Schwimmfähigkeit der Kinder, egal ob mit oder ohne Behinderung, ist in den letz- ten Jahren katastrophal zurückgegangen. Wir haben immer mehr mit wasserängstli- chen und motorisch schwachen Kindern zu kämpfen. Dabei ist Schwimmen der gesün- deste und effektivste Sport der Welt! ← Stiftungen müssen mutig sein – und zwar jetzt „Uns bleiben zehn Jahre, um die Zukunft der Menschheit zu ver- ändern – oder den Planeten zu destabilisieren.“ Max von Abend- roth, Geschäftsführer des europäischen Stiftungsverbandes Daf- Alexander Gallitz ne, ruft die Philanthropie auf, das International Climate Com- ist Stiftungsgründer und Vorstand der mitment zu unterzeichnen. www.stiftungen.org/klima-aufruf Stiftung Deutschland Schwimmt
BOOTSMODELL AUS DEM GRAB DES PHARAOS MENTUHOTEP Im Alten Ägypten nutzten die Pharaonen Stiftungen, um über den eigenen Tod hinaus den Göttern zu huldigen. Solche Totenstiftungen dienten vor allem der Grabpflege und beschäftigten Millionen von Menschen.
STIFTEN Geschichte und Geschichten einer unverwüstlichen Idee → Was haben die Grabbeigabe eines altägyptischen Pharaos, der Wandteppich eines frühmittelalterlichen Klosters und ein Bilderrahmen aus dem Städel Museum in Frankfurt am Main gemeinsam? Alle drei sind Zeug- nisse der wechselvollen, Zeiten und Kontinente über- spannenden Geschichte des Stiftens. Das glauben Sie nicht? Oder Sie wollen es genauer wissen? Dann lassen Sie sich mitnehmen auf eine Entdeckungsreise durch 5.000 Jahre Stiftungsgeschichte – eine Geschichte, die wir im Schwerpunkt dieser Ausgabe der „Stiftungswelt“ episodisch und entlang einiger Objekte und Geschichten nacherzählen. Es ist eine Geschichte, die von starken Persönlich- keiten ebenso geprägt ist wie von tiefen Zäsuren, Blüte- zeiten und Abbrüchen. Längst nicht alle Stiftungen, die auf Ewigkeit angelegt waren, haben überdauert. Dem Phänomen der Stiftung selbst aber konnte das nichts an- haben. Oder, wie es der Historiker Michael Borgolte im Eingangsinterview sagt: „Wirklich phänomenal an der Idee der Stiftung ist: Egal wie oft sie in der Geschich- te obsolet, abgeschafft, überwunden oder missbraucht wird – letztendlich kommt sie immer wieder auf.“ Foto: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, SMB/Margarete Büsing Wir danken den Institutionen, Stiftungen und Privat- personen, die uns bei der Recherche nach Objekten der Stiftungsgeschichte unterstützt und uns Abbildungen dieser Objekte für den Schwerpunkt dieser „Stiftungs- welt“ zur Verfügung gestellt haben. ←
„Die Idee der Stiftung überdauert“ Michael Borgolte ist einer der führenden Experten für die Geschichte der Philanthropie. Im Interview erzählt der Historiker, wie er Stiftungskulturen weltweit erforscht, weshalb exzessives Stiften im alten Ägypten zum Zusammenbruch des Staates führte und warum der Ewigkeitsgedanke von Stiftungen nicht zu ernst genommen werden sollte 8 STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens Stiftungswelt: Herr Professor Borgolte, Ihre For- schung konzentriert sich auf das Altertum und das Mittelalter, also grob gesagt auf den Zeitraum 3000 vor bis 1500 unserer Zeitrechnung. Können Sie einen historischen Moment benennen, an dem man erst- mals von so etwas wie dem „Stiften“ sprechen kann? Prof. Michael Borgolte: Die ersten Stiftungen lassen sich Haben Sie eine Antwort gefunden? Ja, aber erst kürz- in Mesopotamien und im Alten Ägypten zu Beginn des lich. Als ich 2017 meine Weltgeschichte der Stiftungen dritten vorchristlichen Jahrtausends nachweisen; sie waren schrieb, habe ich diese Frage noch offenlassen müssen. entweder dem Kult von Göttern oder von Ahnen gewid- Danach habe ich mich jedoch mit der Inkakultur in Süd- met. Was mich aber lange beschäftigt hat, ist die Frage, ob amerika beschäftigte, die sich bis zum Beginn des 15. Jahr- Stiftungen einmal erfunden und dann weitergegeben wer- hunderts zurückverfolgen lässt. Dabei habe ich festgestellt, den oder ob das Stiften eine so einfache Idee ist, dass sie dass die Spanier bei der Eroberung des Inkareiches im Jahr unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeiten und an 1532 den Kult wie eine Stiftung beschrieben. Bei den In- verschiedenen Orten der Welt auftaucht. ka wurde die Sonne als Gott verehrt. Der Sonne gehörten Ländereien, im Grunde also Immobilien, die jedes Jahr Er- träge abwarfen, die dann für den religiösen Kult eingesetzt wurden. Wenn dies so richtig beschrieben ist, handelte es sich um keine Finanzierung aus dem Staatshaushalt.
Was heißt das für die Erfindung der Stiftung? Da die Inka unberührt von der europäischen, afrikanischen und asiatischen Kultur entstanden sind, ist damit der Nachweis geführt, dass Stiftungen unabhängig voneinander an un- terschiedlichen Orten der Welt und zu unterschiedlichen In Ihrem Standardwerk „Weltgeschichte als Stiftungs- Zeiten erfunden wurden. Im eufrasischen Kulturraum exis- geschichte“ schreiben Sie: „Stiftungen sind ein tota- tierten dagegen so viele Austauschbeziehungen, dass man les soziales Phänomen, an denen sich das Gefüge nicht sicher sagen kann, ob es hier auch Neuerfindungen ganzer Gesellschaften ablesen lässt.“ Wie meinen Sie gab. Man kann es aber auch nicht ausschließen. das? Mit „total“ meine ich, dass das Phänomen Stiftung al- le wichtigen Aspekte der Gesellschaft umfasst: Es ist ein Lassen Sie uns einen Schritt zurücktreten. Muss kulturelles, ein politisches, ein religiöses, ein wirtschaftli- man sich, bevor man nach den Spuren des Stiftens ches Phänomen usw. Daher eignet sich die Stiftung auch so in der Geschichte sucht, nicht die Frage stellen: Was gut als Schlüssel zu Gesellschaften. ist Stiften überhaupt? Oder wollen Sie als Historiker umgekehrt herausfinden, was Stiften quasi geworden ist? Das ist eine methodisch zentrale Frage. Natürlich geht man an solch ein Thema mit einer Arbeitshypothese he- ran. Beispielsweise muss man Stiftungen von Schenkun- gen oder anderen Gabeformen unterscheiden. Dann geht man von herrschenden Definitionsversuchen aus, die sich im Fall des Stiftens allerdings alle als nicht tragfähig erwie- „Stiftungen eignen sich sen haben, denn keine Definition trifft auf sämtliche Phä- hervorragend als Schlüssel zu nomene des Stiftens zu. Beispielsweise gibt es gerade in der Moderne – aber auch in der Vormoderne – Stiftungen, die ganzen Gesellschaften.“ zeitlich befristet sind und ihr Kapital verbrauchen. Deshalb spreche ich im Sinne Max Webers von einem Idealtyp, also einem Definitionsversuch, der weitestgehend zutrifft. Wie würden Sie die Idee der Stiftung also beschrei- ben? Die Idee ist relativ einfach: Es ist ein Kapital erforder- 9 lich, das selbst nicht verbraucht wird und von dem nur die STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens Zinsen für einen dauerhaften Zweck zur Verfügung gestellt Inwiefern? Die Geschichtswissenschaft ist ja weitgehend werden. Dafür müssen bestimmte Voraussetzungen exis- davon abgekommen, die Geschichte einer einzelnen Na- tieren, die man definieren kann. Zum Beispiel muss es eine tion, eines Staates oder eines Volkes zu erforschen. Statt- Wirtschaftsform geben, die mehr Ertrag abwirft als konsu- dessen will man heute im globalen Sinne Kulturen und miert werden kann, sodass ein Rest übrig bleibt. Das war Länder miteinander vergleichen. Um dies zu ermöglichen, erst seit der sogenannten landwirtschaftlichen Revolution, braucht es bestimmte Einzelphänomene wie die Stiftung. die etwa im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeit einsetz- Man kann etwa fragen, wie Stiften in verschiedenen Gesell- te, der Fall. Seitdem konnte mehr Korn produziert werden schaften funktioniert. Insofern bietet sich der Vergleich als als in einem Jahr verbraucht wurde. Der Archäologe Peter moderne geschichtswissenschaftliche Operation an, um ei- Bellwood nannte das die „erste reiche Ernte“. Eine andere nerseits von der eigenen Gesellschaft zu abstrahieren. An- Voraussetzung des Stiftens ist, dass es nicht nur staatliches, dererseits lässt sich so genauer differenzieren, wie sich Ge- sondern auch privates Eigentum gibt. sellschaften entwickeln und wo es Abbrüche gibt. So etwas lässt sich über Stiftungen wunderbar erforschen. Lassen Sie uns zurück zu den Anfängen der Stiftung kommen. Wenn Stiftungen zuerst um 3000 vor un- serer Zeitrechnung belegt sind, haben sie sich dann kontinuierlich entfaltet? Universalhistorisch gesehen gibt es Stiftungen seit ungefähr 5.000 Jahren. Das Phäno- men des Stiftens hat es in allen Hochkulturen der Weltge- schichte gegeben, allerdings ist es bei Weitem nicht überall
Gibt es eine Art Kipppunkt, an dem sich das religiöse Moment des Stiftens mit der Sorge um andere verbin- det? Ja, mit dem Beginn der sogenannten Achsenzeit, die in etwa auf das zweite Jahrtausend vor unserer Zeitrech- nung datiert wird, lässt sich dieser Punkt sogar ziemlich ge- nau benennen. Bis dahin stellte man sich die Gesellschaft gleichmäßig und kontinuierlich vorhanden. Wenn das Stif- als einen Kosmos vor, in dem die Menschen- und die Göt- ten einmal erfunden ist, kann es auch wieder abreißen und terwelt eins und ununterscheidbar sind und auch die Toten zu einem späteren Zeitpunkt erneut entstehen. Es gibt also weiterhin zur Gesellschaft gehören. Dieser Kosmos bricht keine aufsteigende Linie des Stiftens, sondern immer wie- in der Achsenzeit auseinander, und es entsteht die Trans der Erfindungen, Neuerfindungen und Abbrüche. Wirk- zendenz, also eine Trennung von Diesseits und Jenseits. lich phänomenal an der Idee der Stiftung ist: Egal wie oft sie in der Geschichte obsolet, abgeschafft, überwunden oder missbraucht wird – letztendlich kommt sie immer wieder auf. Gibt es Gemeinsamkeiten in den unterschiedlichen Kulturen? Es gibt durchaus Phänomene, die überall fest- „Im Alten Ägypten wurde das zustellen sind. Dazu zählt, wie schon erwähnt, die Mög- lichkeit von privatem Besitz oder die Erwirtschaftung von Stiften so exzessiv betrieben, Überschüssen. Oft finden sich Stiftungen zudem in urba- dass der gesamte Staat nisierten Hochkulturen. zusammenbrach.“ Warum? Als sich durch die Verstädterung Siedlungen de- zentralisierten, kam es zu massenhafter Abwanderung vom Lande in die Stadt; dadurch war die Versorgung der Ahnengräber in den ländlichen Siedlungen gefährdet. Stif- tungen boten eine Möglichkeit, die Pflege des Gedenkens an den Gräbern weiterhin sicherzustellen. Neben Götter- 10 stiftungen sind Ahnenstiftungen die Urform der Stiftun- Um das Jenseits zu erreichen, müssen bestimmte gen. Besonders in der chinesischen Stiftungskultur spielte Leistungen vollbracht werden, in vielen Religionen sind STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens die Versorgung der Ahnen durch Stiftungen eine sehr gro- das die guten Taten. Stiftungen sind ein Instrument, eben ße Rolle. dies zu tun. Im vorreformatorischen Christentum soll- ten die guten Werke mittels der Stiftung den eigenen Tod Können Sie ein Beispiel nennen? Der große Gelehrte überdauern, weil sie so auch nach dem Tod des Stifters zu Konfuzius etwa ist in seinem Geburtsort Qufu bestattet seinem Seelenheil wirken konnten. Damit haben Stiftun- worden. Für den Erhalt seines Grabes gründeten die Kaiser gen ein karitatives Element. Dieses Phänomen der Philan von China so viele Stiftungen, dass seine riesige Verwandt- thropie, das allerdings erst die alten Griechen so nannten, schaft – Tausende von Menschen – bis zur marxistischen kommt etwa zur selben Zeit bei unterschiedlichen Denkern Revolution 1947 davon leben konnte. auf: Platon im antiken Griechenland, die Upanishaden in Indien, Konfuzius in China, Zarathustra in Persien – sie Welche Motive frühen Stiftens gab es außerdem? Der alle hatten die Vorstellung, dass man am besten für sich archaischen Vorstellung zufolge müssen die Menschen selbst sorgt, indem man für andere sorgt: die sogenannte Fotos: Lena Nitzer/Staatliche Münzsammlung München durch Opfergaben die Götter speisen, damit diese leben Goldene Regel. können. Um dabei eine Regelmäßigkeit zu gewährleisten, wurden Stiftungen gegründet. In unserem westlichen Kulturraum ist dagegen das Kloster die typische Stiftung. Klöster wurden gestiftet, um die Mönche oder Nonnen zu versorgen, die im Gegenzug für die Toten beten mussten. Die Klöster wiederum betrie- ben ihrerseits oft Krankenhäuser oder Schulen, deren Schü- ler bzw. Patienten für die Toten beten mussten.
GRIECHISCHE TETRADRACHME Die Münze aus dem antiken Griechenland zeigt auf ihrer Vorderseite den Gott Apollon, auf der Rückseite neben einem Löwenkopf zudem einige Gerstenkörner. Schon seit dem 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung war es aufgrund der sogenannten landwirtschaftlichen Revolution möglich, Überschüsse zu erwirtschaften – eine Grundvoraussetzung für Stiftungen.
Daraufhin wurden die Stiftungen aufgelöst oder verboten, Stiftungs- kapitalien wurden konfisziert. Noch in der Moderne sind Refor- mer wie Atatürk oder die Pahlavi in der Türkei bzw. im Iran gegen das exzessive Stiftungswesen ein- geschritten. Das muslimische Stif- tungswesen ist ja mit Blick auf den europäischen und vorderasiati- schen Bereich das bei Weitem ak- tivste. Und auch im christlichen Kulturraum wurde im 13. Jahr- hundert das Stiften eingeschränkt, als in ganz Europa die sogenann- ten Amortisationsgesetze, also Verbote für Stiftungserrichtungen, erlassen wurden. Stiftungen haben also nicht im- mer auf Ewigkeit Bestand? Gott sei Dank, nein. Es wäre furchtbar, wenn die Dauerhaftigkeit von Stif- tungen zu ernst genommen wür- de, denn sie müssten das Leben ir- 12 gendwann ersticken. Insofern ist es zwar wichtig, dass Stiftungen STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens ihren Platz behalten. Man muss ↑ Michael Borgolte in seinem Arbeitszimmer an der Humboldt-Universität aber gleichzeitig aufpassen, dass sie nicht zu viel Raum einnehmen. Bevor diese Ideen entstanden, wurden Stiftungen In Deutschland gibt es keine Stiftungen, die so stark sind, wie gesagt zur Speisung und Huldigung von Gottheiten aber beispielsweise in den USA ist das eine reale Gefahr. errichtet, etwa im alten Ägypten. Dort kann man die Erfin- Es ist ein schwieriger Prozess des Abwägens und Aushan- dung der Stiftung ziemlich genau in die 2. Dynastie des Al- delns. ten Reiches, also circa 2800 vor unserer Zeitrechnung, da- tieren. Das Stiften wurde dann so exzessiv betrieben, dass Eine der Stärken heutiger Stiftungen ist ihre Unabhän- der gesamte Staat zusammenbrach. gigkeit. War dies schon immer der Fall? Durchaus, die Freiheit ist elementar für Stiftungen. Übrigens ist sie auch Das Stiften hat den ägyptischen Staat zu Fall ge- ein Element, das immer wieder erkämpft worden ist. Auch bracht? Ja! Irgendwann haben die Pharaonen erkannt, wenn Herrscher Stiftungen inaugurierten, wie etwa der rö- wie man mithilfe von Stiftungen über den eigenen Tod mische Kaiser Augustus es getan hat, wurde sehr klar zwi- hinaus interveniert, indem man sein Grab pflegen oder schen dem Staats- und dem Privathaushalt unterschieden. Foto: Jörg Faber/faber.photography seinen Leichnam einbalsamieren lässt. Dafür wurde ein Teil des Staatsbesitzes reserviert. Diese Praxis wurde über Jahrhunderte hinweg fortgeführt, sodass letztendlich kein Staatsbesitz mehr übrig blieb. Zudem arbeiteten Millionen Menschen für diese Totenstiftungen, sodass der Staat kei- ne Ressourcen mehr hatte und regelrecht zusammenbrach.
Als Stifter war Augustus mit seinem eigenen Kapital aktiv, das lässt sich durchaus verifizieren. Vielleicht ist das sogar ein Leitmotiv der Stiftungsgeschichte: Dass Stiftungen nur existieren können, wenn sie ihre Freiheit bewahren. Dennoch hat es den illegitimen Zugriff auf Stif- Eine frühe Form der Bürgerstiftung? Ganz genau. Ich tungskapitalien immer gegeben. So haben Staaten oftmals halte demnächst einen Vortrag über die Gemeinwohlstif- Kapital von Stiftungen konfisziert, um damit ihre Kriege tung in der Vormoderne. Das ist ein schwieriges Thema, zu finanzieren. In solchen Fällen hörten Stiftungen einfach weil es den Begriff Gemeinwohl zu dieser Zeit gar nicht auf zu existieren. Man kann also sagen: Eine Stiftung exis- gab. Gemeint ist damit der Bau von Brunnen, Kanälen, Be- tiert nur dann, wenn ein Stiftungszweck gegen den Zugriff wässerungsanlagen, auch die Abfallbeseitigung usw. Nor- staatlicher oder auch kirchlicher Gewalt definiert und gesi- malerweise sind diese Dinge städtisch organisiert. Aber ge- chert werden kann. Hinzu kommt eine stabile Rechtsord- nau wie heute reichten die öffentlichen Instrumente meist nung, die die Stiftung schützt. nicht aus, weshalb Privatinitiative dazukommen musste. Diese Form von Gemeinwohlstiftungen gibt es vor allem Wie wurde das Kapital in früheren Zeiten „angelegt“? in China, aber auch im antiken Rom. Cicero hat berichtet, Das typische Stiftungskapital waren Immobilien, meist ag- dass die armen Leute in mehrstöckigen Mietshäusern oh- rarisch nutzbare Flächen, die einen kalkulierbaren Ertrag ne Bad lebten. Deshalb animierte er andere dazu, Bäder zu erbrachten. Durch diese Erträge wurden dann beispielswei- stiften. So entstanden kommunale Bäder, die von mehre- se die Armen gespeist oder aber die Priester und Mönche, ren Privatpersonen gestiftet wurden. In Griechenland gibt die für die Toten beteten. Im islamischen Bereich zählten es ebenfalls Bäderstiftungen, dort wurden sie allerdings für zudem Geschäfte und sogar ganze Stadtviertel zu den An- die Sportler errichtet. lagekapitalien von Stiftungen. Dagegen finden sich wenig direkte Geldstiftungen, da sich Geld zu schnell entwertete. Ein schönes Beispiel stammt aus dem Nahen Osten: Zubaida, die dritte Ehefrau des Kalifen Harun ar-Raschid von Bagdad Ende des 8. Jahrhunderts, legte auf einer Pil- gerstraße von Kufa im Zweistromland nach Mekka, auf der sich arme Leute zu Fuß bewegten, systematisch Brunnen an. Diese Stiftung erfüllt bis heute ihren Zweck und ver- „Je konkreter Sie einen sorgt die Pilger mit Wasser. Es gibt aber auch ganz winzi- 13 Stiftungszweck festschreiben, ge Stiftungen, deren einziger Zweck darin besteht, dass in STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens einer bestimmten Kirche regelmäßig eine Kerze angezün- desto zeitgebundener ist er.“ det wird. Gerade seit der Jahrtausendwende erleben wir eine große Ausdifferenzierung von Stiftungsformen. Ich denke etwa an gemeinnützige Aktiengesellschaften oder auch an lose Formen des Stiftens wie die soge- nannten Giving Circles. Gab es in der Geschichte eine ähnliche Vielfalt? Durchaus. Es gab etwa in Indien bäuer- Einer Studie des Bundesverbandes Deutscher Stif- liche Stiftungen, die genossenschaftlich organisiert waren: tungen aus dem Jahr 2015 zufolge werden Stiftungen Viele Bauern mit wenig Kapital taten sich zusammen, um heutzutage vor allem aus uneigennützigen Motiven beispielsweise eine Schule für ihre Kinder zu stiften. Auch errichtet. Als Grund wird etwa Verantwortungsbe- Kaufleute haben sich zusammengeschlossen, um über ei- wusstsein genannt oder der Wunsch, der Gesellschaft ne Stiftung eine Schule zu gründen oder ein Schiff auszu- etwas zurückzugeben. Wann kommt diese Motivation rüsten. des Stiftens auf? In unserer Kultur hat natürlich die Re- formation stark gegen die Vorstellung opponiert, das See- lenheil könnte durch gute Werke bewirkt werden. Daher gab es zu dieser Zeit auch eine massive Kritik an Stiftun- gen. Zum zweiten Mal kommt eine solche Stiftungskritik in der Aufklärung auf. Immanuel Kant etwa hat das Prinzip der Stiftung verworfen. Er meinte, Stiften sei nur eitles Ge-
tue und es ginge dem Stifter lediglich um das Überdauern seines Namens. Das trifft partiell sicherlich zu, auch heute noch werden Stiftungen oft nach den Stifterpersönlichkei- geschrieben haben. Mit dabei waren eine Indologin, ein Is- ten benannt. Vor allem aber kritisierte er, eine Stiftung sei lamwissenschaftler, ein Sinologe, ein Byzantinist, ein Juda- ein sozial retardierendes Moment: Wenn man den Zweck ist und ein Mediävist, wobei jeder aus seiner Fachrichtung einer Stiftung auf Dauer festschreibt, kann sich nichts mehr einen Beitrag zur Geschichte der Stiftungskulturen leistete. entwickeln. Diese Kritik muss man ernst nehmen. Denn es Auf diese Weise konnte ich mein Defizit an Sprachkennt- stimmt ja auch: Je konkreter Sie einen Stiftungszweck fest- nissen ausgleichen. schreiben, desto zeitgebundener ist er. Sie selbst haben vor zwölf Jahren gemeinsam mit Ih- Heute wird im Stiftungswesen immer wieder die Fra- rer Frau die Michael-und-Claudia-Borgolte-Stiftung ge gestellt, inwiefern Stiftungen ein Ort gesellschaft- zur Förderung der Geschichtswissenschaften an der licher Innovationen sind. Wenn wir den Blick in die Humboldt-Universität gegründet, die Preise für His- Geschichte werfen, was würden Sie sagen: Gingen torikerinnen und Historiker vergibt. Wie gründet man Innovationen und entscheidende Anstöße zur Verän- eine Stiftung, wenn man sich so lange wie Sie mit der derung von Stiftungen aus? Das ist eine Frage, die die Geschichte des Stiftens auseinandergesetzt hat? Es Wissenschaft bisher nicht überzeugend beantworten kann: ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet ich eine Stif- Was nutzen Stiftungen eigentlich? Und welchen Effekt ha- tung gegründet habe. Es gibt aber eine ganz klassische Vo- ben sie auf geschichtliche Entwicklungen gehabt? Eine Ant- raussetzung unserer Gründung: Wir haben keine Kinder. wort bleiben auch Experten des modernen Stiftungswesens Da wir beide ein Leben lang gearbeitet, Bücher geschrie- schuldig. Natürlich waren etwa die mittelalterlichen Spital- ben und sonst im Staatsdienst ordentlich verdient haben, stiftungen durch Bürger ein großer Durchbruch für das Ge- ist natürlich etwas Geld übrig geblieben. Darüber hinaus sundheitswesen, denn damit wurde erstmals die städtische fühlte ich mich der Humboldt-Universität sehr verbunden, Versorgung von Kranken auf Dauer sichergestellt. Insofern an der ich fast 30 lang Professor war und der ich etwas zu- gibt es in der Geschichte durchaus stifterische Zäsuren. rückgeben wollte. Auch das ist typisch für eine Professoren- stiftung, die es bereits im Mittelalter gab. Und sicherlich Lassen Sie uns über Ihre Arbeitsweise sprechen. Auf wird auch etwas Eitelkeit dabei gewesen sein, das will ich welche Quellen greifen Sie bei Ihrer Forschung zu- gar nicht leugnen. (lacht) rück? Das ist eine durchaus heikle Frage. Ich bin Mittel- 14 alterhistoriker, das heißt, ich arbeite vor allem mit lateini- Eine letzte Frage: Was lässt sich aus der Geschich- schen Quellen. Bei anderssprachigen Quellen bin ich meist te der Stiftungen lernen? Dass zwar einzelne Stiftungen STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens auf Übersetzungen oder Forschungsliteratur angewiesen. eingehen können, aber die Stiftung selbst immer überleben Dieses Vorgehen lässt sich methodisch so lange rechtfer- wird – als Idee und in der Realität. ← Interview Theo Starck tigen, wie man ein Phänomen betrachtet, das in verschie- Fotos: Jörg Faber/faber.photography (Borgolte), Ulrich Loeper/Klosterkammer Hannover (Wandteppich) denen Kulturräumen eindeutig identifizierbar ist. Bei der Stiftung ist das der Fall. Um diesen Blick zu erweitern, war der mit 2,5 Mil- lionen Euro dotierte „Advanced Grant“ des European Re- search Council, den ich 2012 erhalten habe, ausgesprochen hilfreich. Diese Förderung hat es mir ermöglicht, fünf Jahre lang Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer zu beschäf- tigen, die mit mir zusammen die dreibändige „Enzyklopä- die des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften“ Über den Gesprächspartner Prof. Dr. Michael Borgolte lehrte über 25 Jahre als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Auch nach seiner Emeritierung 2016 blieb er als Senior Researcher an der Berliner Universität. Zudem war er bis September 2021 Gründungsdirektor des Instituts für Islamische Theo- logie. Er gründete die Schriftenreihe „StiftungsGeschichten“, schrieb die bereits zum Standardwerk gewordene Monographie „Welt- geschichte als Stiftungsgeschichte“ und publizierte die „Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften“.
TAPISSERIE AUS DEM STIFT FISCHBECK VON 1583 Im europäischen Kulturraum zählen Klöster zu den ersten Formen institutionalisierten Stiftens. Der Wandteppich zeigt die Gründungslegende des Stiftes, das im Jahr 955 von der Edelfrau Helmburg zum Seelenheil ihres verstorbenen Mannes und ihrer Söhne gestiftet wurde.
BEWOHNER DER FUGGEREI IN AUGSBURG, 1950er-JAHRE Im Jahr 1521 gründete Jakob Fugger die Fuggerei, die heute älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. Mit seiner von Staat und Kirche unabhängigen Stiftung steht der Augsburger Kaufherr in der Tradition stadtbürgerlicher Stiftungen, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht.
Stiftungsgründung im Angesicht der Pest Vor 500 Jahren rief Jakob Fugger im damals seuchengeschüttelten Augsburg die heute weltberühmte Fuggerei ins Leben. Mit diesem Engagement für seine Heimatstadt befand sich der Kaufmann in bester Familientradition. Über eine Stifterdynastie, deren Wirken bis heute sichtbar ist Von Astrid Gabler und Dr. Stefan Birkle → Die stifterischen Tätigkeiten der Familie Fugger sind seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar. Dabei handelte es sich etwa um Zuschüsse für den Bau von Kirchen, Kapel- len oder um Almosenstiftungen. Für die Familie Fugger, Die dritte Stiftung war die Fuggersche Grabkapel- die im Jahr 1367 nach Augsburg kam, war ein solches En- le in St. Anna, die nach einer mehrjährigen Planungs- und gagement genau wie für andere vermögende Familien der Bauphase bereits 1518 fertiggestellt und anschließend ge- Stadt selbstverständlich. Eine neue Qualität erreichte die weiht worden war. Alle drei Stiftungen schrieb Jakob Fug- Stiftungstätigkeit der Fugger dann im Laufe des 16. Jahr- ger im Stiftungsbrief von 1521 fest, um sie auf ewig zu er- hunderts, als nach und nach die neun großen Fuggerschen halten. Die einzelnen Bestimmungen gingen deshalb teils Stiftungen entstanden. bis ins kleinste Detail, ließen aber gleichzeitig ausreichend 17 Handlungsspielraum, um flexibel auf veränderte Rahmen- STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens Stiftungsbrief von 1521 bedingungen und mögliche neue Herausforderungen der Am Anfang und im Zentrum der Fuggerschen Stiftungen Geschichte reagieren zu können. stehen Jakob Fugger und sein Stiftungsbrief vom 23. Au- gust 1521. Mit dieser Urkunde, die Jakob auch im Namen Eine Urkunde für drei Stiftungen seiner bereits verstorbenen Brüder Georg und Ulrich ver- Die Tatsache, dass Jakob Fugger seine drei Stiftungen in fasste, erfolgte die juristische Fixierung von drei Stiftun- einer gemeinsamen Stiftungsurkunde festschrieb, hatte ei- gen: Zum einen die „Häuser am Kappenzipfel“, die bald da- nen simplen Grund, vermuten die Historiker des Fugger- rauf als „Fuggerei“ bekannt werden sollten. Sie befanden Archivs: In Augsburg herrschte zu dieser Zeit die Pest, und sich seit 1516 im Bau und waren 1521 zum Großteil, 1523 angesichts des Risikos für Leib und Leben war es ihm wich- dann schließlich komplett fertiggestellt. tig, die nahezu fertiggestellte Siedlung für bedürftige Augs- Zum anderen beinhaltete der Stiftungsbrief die Prä- burger auch juristisch unter Dach und Fach zu bringen. dikaturstiftung von St. Moritz, einer Pfarrei im Stadtkern Am 6. August 1521 hatte er die finanzielle Ausstat- von Augsburg, in deren Sprengel das Haus der Fugger tung der drei Stiftungen festgelegt. Genau an diesem Tag stand. Vier Jahre zuvor, im Jahr 1517, hatte der Papst dem wurden die ersten Zahlen der grassierenden Epidemie be- Kaufherrn bereits das Patronatsrecht für St. Moritz einge- kannt: In der Augsburger Pfarrei St. Ulrich waren in der räumt, also das Vorschlagsrecht für die Besetzung der dor- ersten Pestwoche sechs Bürgerinnen und Bürger gestorben. Fotos: Fuggersche Stiftungen tigen Pfarrer- und Predigerstelle. Dies war Jakob Fugger Bis Ende August stieg die Zahl der Toten auf 35. Fest steht, ein wichtiges Anliegen, da er so auf die Qualität der Pre- dass sich Jakob Fugger und alle seine Neffen – mit Ausnah- digten in „seiner“ Pfarrei Einfluss nehmen konnte. me von Anton Fugger – am 23. August 1521, dem Tag der Stiftungsgründung, in Augsburg befanden. Anders als vie- le Angehörige der Augsburger Oberschicht waren sie nicht
vor der Pest auf ihre ländlichen Besitzungen geflüchtet. Auch das Schneidhaus, eine chirurgische Einrich- Mit ihren Siegeln und ihren Unterschriften bekräftigten sie tung in der Augsburger Jakobervorstadt, wurde als Stif- an diesem Tag ihre Urkunde. tung festgeschrieben, nachdem Anton Fugger bis dahin bis Angesichts der aktuellen Corona-Epidemie er- zu 1.200 Gulden jährlich für die medizinische Behandlung scheint die Geschichte dieser Stiftungsgründung frappie- armer Leute bereitgestellt hatte. In einer Testamentsergän- rend nah – auch wenn sie 500 Jahre zurückliegt. Und man zung wenige Wochen vor seinem Tod stellte er dafür erneut kann aus ihr lernen. Denn in der Geschichte gibt es zwar ein Kapital von 28.000 Gulden zur Verfügung, sodass für keine Analogien, aber doch Ähnlichkeiten: Wer die Ver- Bedürftige eine Behandlung durch erfahrene sogenannte gangenheit kennt, kann besser voraussehen, was in der Zu- Schnitt- und Wundärzte sichergestellt werden konnte. kunft auf ihn zukommen könnte. Neben diesen fünf Stiftungen der Familie Fugger gibt es unter dem Dach der Fuggerschen Stiftungen noch Neffen in der Pflicht vier Zustiftungen aus dem Umfeld der Familie. Da Jakob Fuggers Ehe kinderlos geblieben war, nahm er bereits bei der Abfassung der Urkunde seine Neffen in Hilfe zur Selbsthilfe die Pflicht und betraute sie mit der künftigen Verwaltung Jakob und Anton Fugger haben die Nachfahren der der Stiftungen. Sein Nachfolger Anton Fugger war es, der Familie auf ewig dazu verpflichtet, ihr Erbe in die Zukunft 27 Jahre nach der Stiftungsgründung die nächsten großen zu tragen. Seit einem halben Jahrtausend leistet die älteste Weichenstellungen vornahm und am 31. Juli 1548 eine Sozialsiedlung der Welt gezielt Hilfe zur Selbsthilfe, denn Neuordnung der Stiftungen vollzog. Anton Fugger bestä- die Fuggerei erfüllt ihren Stiftungszweck bis heute. So tigte dabei explizit den Stiftungsbrief von 1521 und bekräf- sind die Bewohner der Fuggerei von der Sorge um ein tigte das Bekenntnis zur „alten catholischen religion“. Zu- Dach über dem Kopf befreit. Doch es geht um mehr: Es dem präzisierte und modernisierte er verschiedene Punkte, geht um Familienzusammenhalt, Selbstbestimmung und regelte die Finanzierung der Stiftungen neu und fügte durch Würde sowie die Chance auf ein gelingendes Leben. jeweils eigene Urkunden neue Stiftungen hinzu. Für die Bewohner der Fuggerei ist die Sozialsiedlung Auslöser für diese Neuordnung waren die turbu- zu ihrer Heimat geworden. Und sie ist ein bis heute einzig- lenten Ereignisse in der Zeit zuvor: In den Jahren nach Ja- artiger Ort, der jedes Jahr rund 220.000 Besucherinnen und kobs Tod im Jahr 1525 hatte sich in Augsburg die Refor- Besucher aus der ganzen Welt anzieht. Für die Familie Fug- mation durchgesetzt, sodass es nicht mehr möglich gewe- ger ist die Fuggerei ein Beitrag, die Gesellschaft positiv zu sen war, die beiden Stiftungen in St. Moritz und St. Anna verändern und zu ihrem Zusammenhalt beizutragen. 18 nach den Vorgaben des Stiftungsbriefes von 1521 weiter- Beim Stiften geht es darum, auf die gesellschaftli- zuführen. Mit der Niederlage der Protestanten im Schmal- chen Herausforderungen der jeweiligen Zeit zu reagieren. Foto: Fuggersche Stiftungen (Gabler), team m&m werbeagentur (Birkle), Juan Pablo Murrugarra/Museo Larco (rechte Seite) STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens kaldischen Krieg von 1546/47, in dem Kaiser Karl V. gegen Deshalb nehmen die heutigen Nachfahren von Jakob Fug- den Schmalkaldischen Bund, ein Bündnis protestantischer ger ihren Stifter anlässlich eines halben Jahrtausends Stif- Landesfürsten und Städte unter Führung von Kursachsen tungsgeschichte wörtlich! Das 500-jährige Jubiläum soll und Hessen, zu Felde gezogen war, wendete sich das Blatt Menschen und Institutionen auf der ganzen Welt inspirie- jedoch zugunsten der katholischen Seite. ren, selbst Stiftungen ins Leben zu rufen. ← In der Folge wertete Anton Fugger das Holz- und Blatternhaus, eine medizinische Einrichtung zur Bekämp- fung der Syphilis, die noch zu Lebzeiten Jakob Fuggers in der Fuggerei eingerichtet worden war, zu einer eigenen Stiftung auf. Ergänzt wurde sie durch die 20.000 Gulden umfassende Zustiftung von Veit Hörl, der zunächst für die Fuggersche Firma in Spanien und seit 1536 als „General- verwalter“ der Faktorei Antwerpen tätig war. Über die Autorin und den Autor Astrid Gabler ist Leiterin Kommu- nikation und Programme der Fuggerschen Stiftungen. Dr. Stefan Birkle ist Historiker des Fugger-Archivs, dessen Leitung er Mehr Informationen unter www.fuggerei-next500.de 2022 übernimmt.
GOLDSCHMUCK EINES ALTPERUANISCHEN HERRSCHERS Im Alten Peru verehrten die Inka die Sonne als Gottheit. Die ihr gewidmeten Opfergaben stammten aus Erträgen, die aus dauerhaft angelegtem Kapital erwirtschaftet wurden. Diese Form des Stiftens entstand völlig unabhängig von europäischen, arabischen oder asiatischen Stiftungstraditionen.
BILDERRAHMEN AUS DEM STÄDEL MUSEUM, FRÜHES 19. JAHRHUNDERT Zu Beginn des 19. Jahrhunderts findet eine Ausweitung des bürgerlichen Stiftens auf das Gebiet der Kunst- und Kulturförderung statt. Begründer dieser Tradition ist der Frankfurter Privatbankier Johann Friedrich Städel, der mit der Stiftung seiner umfangreichen privaten Kunstsammlung im Jahr 1815 das heute weltberühmte Städel Museum in Frankfurt am Main initiiert.
Was würde Napoleon tun? 21 STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens Diese Frage stellt man sich in den Vereinigten Hospitien Trier, die 1804 von dem französischen Feldherrn und Kaiser gegründet wurden, bis heute. Denn laut Stiftungs- recht ist der Stifterwille Maßstab für alle Richtungsent- scheidungen der Gremien. Eine Herausforderung in Zei- ten, in denen die Gesellschaft vor ganz anderen Proble- men steht als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Foto: https://zeitreise.staedelmuseum.de Von Tobias Reiland und Dr. Yvonne Russell →
ten Hospitienkommission – des heu- tigen Verwaltungsrates – war die Stif- tung der Vereinigten Hospitien ge- schaffen. Um die Wirkung der Stiftung langfristig sicherzustellen, erfolgte in den Jahren danach – ganz im Sin- ne des Stifters Napoleon – eine Kon- zentration und Optimierung der Ein- → Ob Napoleon die Nachhaltigkeit zeleinrichtungen, die zuvor unwirt- Verändertes Tätigkeitsfeld seines Handelns bewusst war, als er schaftlich geführt worden waren. Im Laufe der Zeit hat sich das Tätig- im Jahr 1804 die Stiftung Vereinig- Vorangetrieben wurde dies durch keitsfeld der Vereinigten Hospitien te Hospitien gründete? Wir wissen die Barmherzigen Schwestern vom verändert. Auf dem acht Hektar gro- es nicht. Klar ist jedenfalls: Die Stif- hl. Karl Borromäus, die 1811 von Bi- ßen, von den Borromäerinnen zen tung entstand aus dem akuten Bedarf, schof Mannay aus dem französischen tralisierten Areal im Herzen Triers das Gesundheits- und Armenwesen finden sich heute eine geriatrische in Trier neu zu regeln, und bot dafür Rehabilitationsklinik, die landesweit eine kurzfristige Lösung. Denn nach größte Einrichtung für Menschen mit der Besetzung der Stadt durch die Multipler Sklerose, ein Kinderheim, französischen Revolutionsheere ab Interessant und zwei Altenwohnheime, zwei Einrich- 1794 waren die Träger der Hospitäler tungen für betreutes Wohnen, eine entweder geflüchtet oder standen in mithin hilfreich ist Kindertagesstätte, eine Babyklappe Konflikt zu den neuen Machthabern. sowie bezahlbarer Wohnraum für äl- auch die Frage, ob Die Versorgung der Bevölkerung war tere Menschen. dadurch stark beeinträchtigt. 1796 sich rückblickend Ist dies eine Abkehr vom Stif- wurden die Krankenhäuser der Stadt terwillen, wie er sich in den kaiserli- daher zu einer Verwaltungseinheit zu- der Wille des chen Dekreten manifestiert? Sowohl sammengefasst und in eine öffentlich- im Bundes- als auch im rheinland- rechtliche Stiftung umgewandelt. Stifters von seiner pfälzischen Landesrecht ist festge- 22 Intention schrieben, dass bei jeder Veränderung Napoleon wird Stifter der Stiftungszwecke der ursprüngli- unterscheidet. STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens In zwei kaiserlichen Dekreten von che Stifterwille gewahrt bleiben muss. 1804 und 1805 verfügte Napoleon Dies gilt auch nach der im Juni dieses den Zusammenschluss vieler sozialer Jahres von Bundestag und Bundes- Einrichtungen: Das Städtische St.-Ja- rat verabschiedeten Reform des Stif- kob-Hospital, das St.-Elisabeth-Hos- tungsrechts und damit auch weiterhin pital, das St.-Nikolaus-Hospital, das Nancy nach Trier gerufen worden wa- für die Vereinigten Hospitien. Leprosen- bzw. Siechenhaus Estrich, ren. Mit ihrem Engagement professio- Geplante Anpassungen ihrer das Leprosenhaus St. Jost, die Kna- nalisierten die Ordensschwestern das Struktur wie ihrer Stiftungszwecke an ben- und Mädchenhäuser, das Spinn- Gesundheitswesen der Stadt. Zusam- Entwicklungen und Herausforderun- haus sowie kleinere Einzelstiftungen men mit den napoleonischen Dekre- gen unserer Zeit sind daher immer wurden – samt der zu den Einrichtun- ten, welche die beteiligten Einrichtun- wieder vor ihrem historischen Entste- gen gehörenden Güter – zu einer ein- gen und deren finanzielle Ausstattung hungskontext zu prüfen. Dabei stellt zigen Wohltätigkeitsanstalt zusam- definierten, bildeten die verbesserten sich zugleich die Frage, ob es sich um mengefasst. Strukturen die Grundlage für das Wir- eine Veränderung des Zwecks an sich Geleitet wurde die neue Ein- ken der Vereinigten Hospitien über handelt oder ob der Zweck nur auf ei- richtung von verschiedenen Vertre- die nächsten 200 Jahre hinaus. ne andere Art und Weise erfüllt wird. tern der Ursprungseinrichtungen un- Hier ist für uns die Stiftungsaufsicht ter dem Vorsitz des Oberbürgermeis- eine kritische und sehr konstruktive ters Anton Joseph Recking und des Partnerin, die von der Stiftung pro- Trierer Bischofs Charles Mannay. Mit aktiv in diese Prozesse eingebunden der Konstituierung dieser sogenann- wird.
Wie würde das der Stifter sehen? stelle finden sich hingegen nicht ex- Zu Lebzeiten Napoleons war das Ge- plizit im historischen Stiftungsauftrag sundheitssystem wesentlich weniger wieder. Sie wurden im Zuge der fort- differenziert als heute. Kranken- und Warum hat laufenden Weiterentwicklung des Ge- Armenhäuser stellten eine Art allge- sundheitswesens etabliert und wer- meine Anlaufstelle für alle Menschen Napoleon die den in wenigen Jahren selbstverständ- 23 der Region dar. Im Laufe der Jahrhun- Stiftung gegründet? licher Bestandteil vergleichbarer Ein- derte bildeten sich für die Stiftung richtungen sein. STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens einzelne Kernthemen heraus, die im Ein rein Auch die rechtlichen Struktu- Konsens zu den Ursprungsaufgaben ren der Stiftung wurden in den letz- stehen. Die Versorgung bedürftiger altruistisches Motiv ten Jahrhunderten weiterentwickelt. Kinder, chronisch erkrankter, pflege- Hierbei stand wiederum die Frage im bedürftiger und armer Menschen so- kann hier wohl Raum: Wie würde das der Stifter se- wie Anschlussheilbehandlungen wa- kaum angenommen hen? Zuletzt wurde beispielsweise ren schon um 1800 Teil des Gesund- der Verwaltungsrat geöffnet für Men- heitswesens. Sie werden bis heute in werden. schen, die nicht katholischer Konfes den Einrichtungen fortgeführt. Mo- sion sind – übrigens eine Entwick- derne Angebote wie die deutschland- lung, die aus den Reihen des Verwal- weit erste Gerontologische Beratungs- tungsrates heraus angestoßen wurde. Anzeige Foto: © Black Forest 2020 Wir fördern Innovationen Deutsche Bundesstiftung Umwelt An der Bornau 2, 49090 Osnabrück Wir fördern innovative, modell- Die mittelständische Wirtschaft Telefon: 0541 | 9633-0 hafte Vorhaben zum Schutz der ist für uns eine besonders Telefax: 0541 | 9633-190 Umwelt. Dabei leiten uns öko- wichtige Zielgruppe. Wir wollen logische, ökonomische, soziale nachhaltige Wirkung in der www.dbu.de und kulturelle Aspekte im Sinne Praxis erzielen. der nachhaltigen Entwicklung. Die Förderleitlinien der DBU finden Sie unter: www.dbu.de Deutsche Bundesstiftung Umwelt
die Schaffung einer ergänzenden In- Stifterwille als Kompass frastruktur für sein Militär. Im Jahr für die Ewigkeit 1819, also vier Jahre nach Napoleons Die kontinuierliche Reflexion des Stif- endgültiger Niederlage in der Schlacht terwillens vor dem Spiegel aktueller von Waterloo, wurde die Pflicht, eine Bedarfe ist elementar, damit sich Stif- bestimmte Anzahl Betten für Solda- tungen weiterentwickeln und ihrem Am Ende eines langen Diskussions- ten bereitzuhalten, abgeschafft. Da- Ziel als Ewigkeitsstiftung gerecht wer- prozesses stand dann die Änderung mit entfiel ein Teil des Stifterwillens. den können. Napoleon hat die Mög- der Satzung. Im Laufe dieses Prozes- Dies dürfte für Napoleon in seinem lichkeit der Stiftung genutzt, um ein ses wurden Napoleons angespann- Exil auf St. Helena jedoch nicht mehr wichtiges Problem seiner Zeit anzuge- tes Verhältnis zur Kirche sowie seine von Bedeutung gewesen sein. hen. Er hat damit ein Modell geschaf- Handlungsintentionen bei der Stif- fen, das mehr als 200 Jahre später im- tungsgründung mit Blick auf die heu- mer noch erfolgreich ist und sich mit tige Zeit beleuchtet und bewertet. den Kernthemen der heutigen Zeit be- schäftigt. Heutiger Stifterwille versus Und der nächste Schritt für die tatsächliche Intention Die kontinuierliche Vereinigten Hospitien? Ende 2021 Interessant und mithin hilfreich ist wird die Sanierung eines 1838 er- auch die Frage, ob sich rückblickend Reflexion des richteten Pfarrhauses auf dem Gelän- der Wille des Stifters von seiner Inten- Stifterwillens ist de der Vereinigten Hospitien, in dem tion unterscheidet. Warum hat Napo- der Medizincampus der Universitäts- leon die Stiftung gegründet? Ein rein elementar, damit medizin Mainz seine Heimat finden altruistisches Motiv kann hier wohl wird, abgeschlossen sein. Durch diese kaum angenommen werden. Vor Ort sich Stiftungen Einrichtung und die damit verbunde- herrschte dringender Handlungs ne regionalisierte Ausbildung soll die weiterentwickeln bedarf, da das bestehende Gesund- ärztliche Versorgung vor Ort langfris- heitswesen nicht mehr funktionierte. können. tig sichergestellt und damit eine wei- Der Plan für die Stiftungsgründung tere wichtige Aufgabe der heutigen geht auf die Trierer Bürgerschaft zu- Zeit bewältigt werden. 24 rück, die diesen an Napoleon über- Was Napoleon dazu sagen mittelte. Für Napoleon war es ein würde? Es wäre sicherlich in seinem Fotos: Helmut Thewalt (Porträts Reiland und Russel), Causalux Fotografie 2016/Zoologischer Garten Berlin AG (rechte Seite) STIFTUNGSWELT Herbst/Winter 2021 Geschichte des Stiftens Glücksfall, darauf zurückgreifen und Sinne. ← sich damit breiter Unterstützung ge- wiss sein zu können. Die Umsetzung nutzte er zu seinem Vorteil und sicherte im neu entstandenen Krankenhaus 100 Bet- ten für seine französischen Soldaten. Er konnte damit zwei Erfolge für sich verbuchen – die Wiederherstellung der sozialen Ordnung in Trier sowie Über den Autor und die Autorin Tobias Reiland (36) und Dr. Yvonne Russell leiten die Ver- einigten Hospitien seit 2019 als Doppelspitze. Reiland ist als Kaufmännischer Direktor für die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens verantwortlich, Russell (48) als Stiftungsdirektorin für die Leitung ihrer sozialen Einrichtungen.
AKTIE DES ZOOLOGISCHEN GARTENS BERLIN VON 1871 Das Deutsche Kaiserreich war die Blütezeit der Stiftungen in Deutschland. Zugleich entstanden neue Formen bürgerschaftlichen Engagements wie zum Beispiel gemeinwohlorientierte Aktiengesellschaften, die Kunstmuseen und Konzerthäuser, aber auch zoologische Gärten finanzierten. Die hier gezeigte Aktie stammt aus den Besitz des jüdischen Bankiers Gerson Bleichröder, der 1872 als einer von wenigen preußischen Juden in den Adelsstand erhoben wurde.
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