Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung - Arbeitspapier 52 Ausgewählte ...
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Januar 2021 Arbeitspapier 52 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz Mit Unterstützung von:
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio- nellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeber Gesundheitsförderung Schweiz und Bundesamt für Gesundheit BAG Autorinnen – Claudia Kessler, Public Health Services (PHS) (Hauptautorin) – Lisa Guggenbühl (Gesundheitsförderung Schweiz) Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz Lisa Guggenbühl, Leiterin Wirkungsmanagement Begleitgruppe Folgende Expertinnen und Experten trugen als Mitglieder der Begleitgruppe zum Arbeitspapier bei (alphabetische Reihenfolge nach Nachname): – Prof. Dr. Dr. Thomas Abel, Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern – Prof. Dr. Dominique J.-F. de Quervain, Universität Basel / Fakultät für Psychologie – Catherine Favre Kruit, Gesundheitsförderung Schweiz – Dr. Alexia Fournier Fall, CLASS/ CPPS – Commission de Prévention et de Promotion de la santé du GRSP – Karin Gasser, Bundesamt für Gesundheit – Dr. Marc Höglinger, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) – Dr. Claudio Peter, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium – René Rüegg, Berner Fachhochschule / Soziale Arbeit – Dr. Corina Salis Gross, Public Health Services – Silvia Steiner, Geschäftsführerin der Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheits- förderung (VBGF) Den Mitgliedern der Begleitgruppe sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 52 Zitierweise Kessler, C. & Guggenbühl, L. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung. Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz. Arbeitspapier 52. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Fotonachweis Titelbild © iStock Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 01.0349.DE 01.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar (Bestellnummern 01.0349.FR 01.2021 et 01.0349.IT 01.2021). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, Januar 2021
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 3 Inhaltsverzeichnis Executive Summary 4 1 Einleitung 6 1.1 Fokus der Analyse 6 2 Allgemeine Lebensqualität 8 2.1 Auswirkungen des Lockdowns auf das Zusammenleben in den Familien 9 2.2 Auswirkungen des Lockdowns auf die Work-Life Balance 9 2.3 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Generationenbeziehungen 9 2.4 Auswirkungen der Pandemie auf die Schweizer Gemeinden 10 3 Psychische Gesundheit 11 3.1 Psychische Gesundheit und Einsamkeitsgefühle der Allgemeinbevölkerung 11 3.2 Psychisch besonders belastete Bevölkerungsgruppen 14 3.3 Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten von Corona 15 3.4 Entwicklung des Suchtverhaltens 15 4 Bewegung und Ernährung 17 4.1 Bewegungsverhalten 17 4.2 Ernährungsverhalten 18 5 Sozial benachteiligte und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen 19 5.1 Auswirkungen auf Familien mit besonderen Herausforderungen 19 5.2 Auswirkungen des Lockdowns auf betreuende Angehörige und Young Carers 20 6 Fazit und Ausblick 22 7 Quellenverzeichnis 23 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Für die Analyse relevante Phasen der Corona-Krise im Jahr 2020 7 Abbildung 2 Allgemeine Gesundheit und Lebensqualität 8 Abbildung 3 Negative und positive Auswirkungen von Corona auf die Gemeinden 10 Abbildung 4 Lebensqualität, Stress und psychische Belastung nach psychiatrischer Diagnose 13 Abbildung 5 Physische Inaktivität 18 Abbildung 6 Erleben der Corona-Krise und der Isolation im Lockdown durch betreuende Angehörige 21
4 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung Executive Summary Dieses Arbeitspapier vermittelt einen Überblick Ausgewählte Schlüsselergebnisse in Zahlen: über Ende 2020 vorliegende Forschungsergebnisse • Im Lockdown und in der zweiten Welle Anfang zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das November stuften jeweils mindestens 85 % der Wohlbefinden, die psychische Gesundheit sowie auf Befragten ihre Lebensqualität und das «aktuelle das Bewegungs- und Ernährungsverhalten der Be- Befinden» als gut oder sehr gut ein. 15 % der völkerung in der Schweiz. Im Fokus der Analyse ste- Bevölkerung fühlten sich «schlecht» bis «sehr hen die Zielgruppen Kinder und Jugendliche, ältere schlecht». Diese Werte weichen nur geringfügig Menschen sowie sozioökonomisch benachteiligte von den analogen Werten zur Zeit vor Corona ab. und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen. Mit • Rund 47 % der Befragten berichteten in der den vorliegenden Studien kann die Pandemiephase Swiss Corona Stress Study im November über bis etwa Spätherbst 2020 abgebildet werden. Zu den eine Zunahme, 12 % über eine Abnahme des letzten Monaten des Jahres liegen erst wenige Pub- empfundenen Stresses im Vergleich zur Situa- likationen vor. tion vor der zweiten Welle im September. Die Aus den Forschungsergebnissen geht hervor, dass Zunahme von Stress ging gemäss derselben die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz mit Studie mit einer Zunahme von depressiven Symp- den Auswirkungen der aktuellen Krise auf die all- tomen einher. gemeine Gesundheit bis im Herbst 2020 gut zurecht- • Wie die Swiss Corona Stress Study zeigt auch kam. Gleichzeitig ist festzustellen, dass sich die der COVID-19 Social Monitor, dass Befragte mit Pandemie und die damit einhergehenden Massnah- vorbestehenden psychiatrischen Diagnosen men sehr unterschiedlich auf verschiedene Bevöl- signifikant stärker betroffen sind. Anfang Novem- kerungsgruppen auswirken. Einerseits führte die ber gaben 21 % der Befragten mit psychiatri- veränderte Situation bei vielen Menschen zu einer scher Diagnose eine «hohe psychische Belastung» erhöhten Belastung. Andererseits konnten viele an; bei den Befragten ohne psychiatrische Prog Menschen dank Anpassungsleistungen und Mobili- nose waren es 6 %. sierung von Ressourcen der Situation auch positive • Gemäss einer Studie aus Deutschland berichte- Aspekte abgewinnen. ten im Frühsommer 2020 15 % der betreuenden Gegen Ende des Jahres zeichnete sich jedoch eine und pflegenden Angehörigen über depressive Abnahme der psychischen Resilienz ab, wobei ins- Symptome – mehr als doppelt so viele wie 2017. besondere vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie Frauen waren besonders betroffen, da sie im Personen mit psychiatrischen Vorerkrankungen, Lockdown die Hauptlast der zusätzlichen infor- Personen mit finanziellen Problemen oder betreu- mellen Unterstützung und Pflege schulterten. ende Angehörige, überdurchschnittlich stark be- • Im Lockdown berichteten besonders junge (unter troffen sind. Junge Erwachsene unter 30 und Ju- 30-jährige) und ältere (über 65-jährige) Men- gendliche fühlen sich durch die Auswirkungen der schen über Einsamkeitsgefühle. Bei älteren Men- Pandemie psychisch stärker belastet als ältere schen dauern diese Gefühle an: Im November Menschen über 65. Alleinlebende, Alleinerziehende, gaben über die Hälfte der Befragten an, wegen sozial isolierte Personen und sozioökonomisch be- fehlender Gesellschaft zu leiden. Knapp 40 % nachteiligte Personen zählen zu weiteren Bevölke- fühlten sich isoliert. rungsgruppen, die sich besonders im Lockdown1 • 22 % der erwachsenen Befragten berichteten, mit grossen Herausforderungen konfrontiert sahen dass sie und ihre Kinder sich zu Beginn des Lock- und teils bis heute stark belastet sind. downs weniger bewegt hatten als zuvor. 7 % be- 1 Mit «Lockdown» wird in diesem Arbeitspapier die Phase der ausserordentlichen Lage bezeichnet (Mitte März bis Anfang Mai 2020).
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 5 wegten sich während dieser Zeit mehr. Bereits Vorbelastung verstärkt. Die spezifischen Lebens- im Laufe des Lockdowns und über den Sommer umstände (z. B. die Familien- oder Wohnsituation glichen sich die Werte jedoch rasch wieder sowie die finanzielle Situation) scheinen dabei an das Bewegungsverhalten von vor Corona an. von höherer Relevanz zu sein als die eigentlichen • Es liegen keine Hinweise vor, die auf eine signi- soziodemografischen Faktoren (wie Alter oder Ge- fikante Änderung der Essgewohnheiten der schlecht). Bevölkerung während oder nach dem Lockdown Viele der gesundheitlichen Auswirkungen der Pan- schliessen liessen. demie werden sich erst mittel- und langfristig be- merkbar machen. Für die Gesundheitsförderung Der Analyse der Auswirkungen auf die Bevölkerungs stellt sich die zentrale Frage, wie die bisher in allen mehrheit muss eine differenzierte Analyse nach Bevölkerungsgruppen festgestellte hohe Resilienz Subgruppen der Bevölkerung gegenübergestellt über die Dauer der Pandemie und in den folgenden werden. Die Corona-Krise wirkt als «Brennglas», Jahren erhalten und gestärkt werden kann. weil sie bestehende Tendenzen von Ungleichheit und Methodisches Vorgehen Die in diesem Dokument aufgezeigten Fakten Nach Möglichkeit wurden verschiedene Quellen basieren auf der Analyse der Ende 2020 vor und Zeiträume trianguliert, um aussagekräftigere liegenden Studien und Publikationen (Samm- Angaben zu den jeweiligen Fragestellungen zu lung und Recherchen im Zeitraum zwischen erhalten. Ebenfalls wurden möglichst Quellen mit 30. November und 27. Dezember 2020). Rele- nationaler Aussagekraft respektive Studien aus vante Publikationen wurden der Autorin von verschiedenen Landesteilen einbezogen. Wo sinn- den Trägerorganisationen und den am Prozess voll, wurden internationale Studien beigezogen, beteiligten Expertinnen und Experten zur um die Evidenzlage abzurunden. Verfügung gestellt. Auftragsgemäss ohne Dieses Arbeitspapier erhebt keinen Anspruch auf s ystematische Liter aturrecherche ergänzte Vollständigkeit. Es liegen viele weitere Studien die A utorin die Quellen bei Bedarf (Internet ergebnisse vor. Die Selektion der ausgewerteten recherche, Quellenverzeichnisse von ausge Publikationen erfolgte aufgrund der Beurtei- werteten Studien). lung ihrer Relevanz für die Akteurinnen und Ak- teure der Gesundheitsförderung und Prävention.
6 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 1 Einleitung Am 25. Februar 2020 bestätigte das Bundesamt für Das vorliegende Arbeitspapier wurde im Auftrag der Gesundheit (BAG) den ersten Fall einer Infektion mit Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz und des SARS-CoV-2 in der Schweiz. Vieles hat sich seither Bundesamts für Gesundheit (BAG) für die Akteurin- verändert: für die Menschen, die Gesellschaft, das nen und Akteure der Gesundheitsförderung und Gesundheitssystem, die Wirtschaft und viele andere Prävention erarbeitet. Lebensbereiche. Akteurinnen und Akteure der Ge- sundheitsförderung und Prävention sind deshalb gefordert, neue Zugänge zu den Zielgruppen zu er- 1.1 Fokus der Analyse schliessen und die Arbeit mit kreativen Anpas sungen weiterzuführen. Mit grossem Engagement Der Fokus der Analyse wurde gemäss den Hand- wurde seit dem Frühjahr viel geleistet. Gesammel- lungsfeldern der Stiftung Gesundheitsförderung tes Erfahrungswissen zu neuen Lösungsansätzen Schweiz eingegrenzt. Es werden Auswirkungen der und zum Handlungsbedarf wurde im Bereich der Corona-Pandemie 2 auf folgende Bereiche analy- Gesundheitsförderung im Alter in einem separaten siert: Bericht publiziert. [1] Aus der empirischen For- • Allgemeine Lebensqualität (Kapitel 2) schung liegen Ende 2020 unzählige veröffentlichte • Psychische Gesundheit (Kapitel 3) Ergebnisse vor. Es wird zunehmend schwierig, sich • Bewegung und Ernährung (Kapitel 4) einen Überblick über die Vielzahl der Studien zu ver- • Sozial benachteiligte und andere vulnerable schaffen. Bevölkerungsgruppen (Kapitel 5) Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist, einen fun- dierten Einblick in relevante Forschungsergebnisse Forschungsergebnisse, die sich spezifisch auf die für den Bereich Gesundheitsförderung und Präven- Corona-Pandemie, also auf Inzidenzen, Morbidität, tion zu geben. Der Schwerpunkt liegt auf der Evi- Mortalität und den damit verbundenen Bevölke- denz aus publizierten Arbeiten aus der Schweiz rungsschutz beziehen, sind anderweitig publiziert bezogen auf das Jahr 2020. Wo Forschungslücken und werden hier nicht aufgeführt. bestehen, wurden vereinzelt Publikationen aus dem Die Analyse fokussiert auf die Zielgruppen der Ausland beigezogen. Viele Studien werden erst in Gesundheitsförderung und Primärprävention, das den kommenden Monaten und Jahren publiziert. Im heisst auf die «Allgemeinbevölkerung» und ver- aktuellen Kontext, der von Unsicherheit und raschen schiedene in diesem Kontext relevante Bevölke- Veränderungen geprägt ist, erhebt das vorliegende rungsgruppen. Arbeitspapier keinen Anspruch auf eine umfassen- Bis im Dezember 2020 liess sich der Verlauf der de Analyse. Dennoch lässt sich aufgrund der aus- Corona-Pandemie für die Schweiz in verschiedene gewerteten Publikationen ein breit abgestütztes Phasen einteilen, welche für die Analyse von Inte erstes Bild zu den aufgeworfenen Fragestellungen resse sind (Abbildung 1). zeichnen. 2 Es gibt unterschiedliche Begriffe zur Bezeichnung der Pandemie. In diesem Dokument werden zur besseren Lesbarkeit die Begriffe «Corona-Pandemie» oder kurz «Pandemie» verwendet. «COVID-19» wird verwendet, wenn von der Krankheit die Rede ist.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 7 ABBILDUNG 1 Für die Analyse relevante Phasen der Corona-Krise im Jahr 2020 Zeitraum ausgewertete Forschungsergebnisse «1. Welle» «2. Welle» vor Corona Lockdown Lockerungen über regionale, nationale Verschärfungen den Sommer Impfungen … 2019 2020 2021 25.2. 16.3. 11.5. Oktober Erster Fall von COVID-19 in der Schweiz Eigene Darstellung Da Studien in der Regel retrospektive Informa- sich dieser Einschränkungen bezüglich der Studien- tionen liefern, bilden die Ende 2020 vorliegenden ergebnisse bewusst zu sein. So wird in einem Fak Forschungsergebnisse noch nicht alle Phasen des tenblatt des BAG darauf hingewiesen, dass Per bisherigen Pandemieverlaufs ab. Dieses Arbeits sonen, denen es körperlich oder seelisch nicht gut papier reflektiert vorwiegend die Situation zwischen geht – und dies womöglich verstärkt durch die März und Anfang November 2020. Die Ergebnisse Corona-Krise –, oft nicht die Energie haben, an Be- können teilweise mit der Zeit «vor Corona» vergli- fragungen teilzunehmen. [2] Gleichzeitig arbeiten chen werden. Gegen Ende des Jahres spitzte sich einige Studien mit einer Selbsteinschreibung der die Corona-Krise in der Schweiz und anderswo er- Teilnehmenden und sind dadurch nicht statistisch neut stark zu. Erste Forschungsberichte, in welchen repräsentativ. sich diese Veränderungen abzeichnen, wurden in die Ebenfalls gilt es zu bedenken, dass im Arbeitspapier Analyse einbezogen. statistische Durchschnittswerte angegeben wer- Viele der Studien geben die Resultate von Bevölke- den. Wie immer gelten diese nicht pauschal für alle rungsbefragungen wieder. Befragungsdaten kön- Zugehörigen der jeweiligen Gruppe. Deshalb wurde, nen ein verzerrtes Bild zeichnen: manchmal zu soweit möglich, versucht, ein differenziertes Bild zu positiv, manchmal auch zu negativ. Es ist wichtig, erstellen.
8 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 2 Allgemeine Lebensqualität Die Gesundheit und die Lebensqualität der Bevöl Wetter und die Jahreszeit, welche die Verletzlichkeit kerung werden durch vielfältige Determinanten und die Ressourcen im Umgang mit den gegebenen beeinflusst. Im Kontext der Pandemie kommen spe- Belastungen beeinflussen. zifische Faktoren hinzu, so zum Beispiel die emp- Die meisten Studien kommen zum Schluss, dass fundene Bedrohung durch die Ausbreitung des Virus die veränderte Situation bei vielen Menschen zu und die Schwere der COVID-19-Erkrankungen oder mehr Belastungen führte; gleichzeitig konnten sie die Auswirkungen der angeordneten Massnahmen. ihr jedoch auch positive Aspekte abgewinnen. Be- Während der Pandemie wirken sich die individuelle lastungen und Entlastungen können sich je nach Lebenssituation sowie die persönlichen und die so- den individuellen Merkmalen einer Person stark zialen Ressourcen stark auf das Wohlbefinden der unterscheiden. Die Bandbreite und die Vielfalt der Menschen aus. In diesem Kapitel wird anhand aus- Effekte werden im Folgenden anhand ausgewählter gewählter Aspekte aufgezeigt, wie unterschiedlich Beispiele dargestellt. sich die Corona-Pandemie auf die Lebensqualität der befragten Personen ausgewirkt hat. Gemäss dem COVID-19 Social Monitor bewegte sich ABBILDUNG 2 die Lebensqualität der befragten Erwachsenen trotz Corona-Krise bisher bei einer Mehrheit auf hohem Allgemeine Gesundheit und Lebensqualität, Niveau (Abbildung 2). Im Lockdown und in der zwei- Anfang April bis Anfang November 2020 ten Welle Anfang November gaben jeweils mindes- tens 85 % der Befragten sowohl einen (sehr) guten 88,1 6. April allgemeinen Gesundheitszustand als auch eine gute 85,8 oder sehr gute Lebensqualität an. Nach einer Erhö- 89,6 6. Mai hung dieses Anteils auf etwa 90 % im Sommer lässt 87,2 sich seit Ende September eine leicht sinkende Ten- 87,9 denz in der subjektiven Lebensqualität beobachten. 22. Juli 89,7 [3] Zum Vergleich: In der Schweizerischen Gesund- 88,7 heitsbefragung (SGB) schätzten im Jahr 2017 rund 27. August 90 % der Befragten ihre Lebensqualität als gut bis 89,9 sehr gut ein. [4] 84,7 19. November Gleichzeitig zeigt sich für eine kleinere, aber nicht 84,7 zu vernachlässigende Gruppe (rund 15 % bei der 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Erhebung im November) eine weniger gute oder gar schlechte Lebensqualität. Allerdings gilt es da- nteil der Befragten mit einem (sehr) guten A bei nicht nur die analogen Werte vor der Pande- allgemeinen Gesundheitszustand mie zu beachten, sondern auch den Stellenwert von A nteil der Befragten mit einer momentan (sehr) guten Lebensqualität pandemieunabhängigen Faktoren, wie zum Beispiel psychische oder körperliche Erkrankungen, das Alter oder Geschlecht, die finanzielle Situation, den Quelle: COVID-19 Social Monitor [5] Bildungsstand, die Berufsgruppe, aber auch das
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 9 2.1 Auswirkungen des Lockdowns auf es sich um eine Momentaufnahme handelt, die keine das Zusammenleben in den Familien Generalisierung auf alle Bevölkerungsgruppen zu- lässt. Nach dem Lockdown sanken die Werte wie- Im Rahmen des COVID-19 Social Monitors wurden der, blieben jedoch über dem Ausgangswert. [7] Ver- Personen über 18 Jahre zu den Auswirkungen des schiedene Branchen waren unterschiedlich stark Lockdowns auf ihr Familienleben befragt. [6] Im von Entlastungen respektive Belastungen betroffen. Lockdown empfanden 15 % der Befragten das Zu- Zu den arbeitstätigen Personengruppen, welche vor sammenleben in der Familie bzw. Partnerschaft allem negative Auswirkungen auf ihre Work-Life als starke oder sehr starke Herausforderung. Die Balance erlebten, gehörten insbesondere auch Per- Pflege von Beziehungen schätzten in dieser Phase sonen mit Betreuungsaufgaben im Haushalt, wie 35 % als herausfordernd ein. Insgesamt gaben 11 % zum Beispiel Familien mit kleineren Kindern oder an, während des Lockdowns unter Einsamkeits betreuende Angehörige, sowie Alleinerziehende. Sie gefühlen gelitten zu haben. Für die Befragten mit waren während des Lockdowns einer starken Mehr- Kindern im eigenen Haushalt stellte bei 35 % die fachbelastung ausgesetzt. [8, 9] Kinderbetreuung und bei 40 % das Homeschooling eine Herausforderung dar. Die Kombination von Arbeit und Privatleben erlebten 21 % der Erwerbs 2.3 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf tätigen als herausfordernd. Abgesehen von den Ein- die Generationenbeziehungen samkeitsgefühlen, welche seither nur wenig zurück- gingen, zeigte sich für die erwähnten Belastungs- Die aktuelle Ausgabe der Studie «Generationen faktoren nach Aufhebung des Lockdowns bereits im barometer» basiert auf einer nationalen Befragung Frühsommer wieder eine klare Abnahme. Angaben von Anfang September 2020. [10] zu positiven Auswirkungen auf Familien im Lock- Die Ergebnisse zur Lebenszufriedenheit decken sich down finden sich in den anderen Kapiteln. mit denen anderer Studien aus den Zeiten vor Corona: Die heute über 75-Jährigen, die sogenannte Baby boomer-Generation, gaben von allen Alters- 2.2 Auswirkungen des Lockdowns auf gruppen die grösste Lebenszufriedenheit an. Der ak- die Work-Life Balance tuelle Generationenbarometer zeigt ein Hoffnungs- defizit unter den jungen Erwachsenen: 42 % gaben Eine Längsschnittstudie, welche die erhobenen im September 2020 an, dass es ihnen in ihrem Le- Werte mit Voruntersuchungen aus dem Jahr 2019 ben an Hoffnung und Zuversicht mangle. Allerdings vergleichen konnte, kam zum Ergebnis, dass sowohl ist die Pandemie bei weitem nicht die alleinige Ur die Work-Life Balance generell als auch die Aspekte sache für diese Gefühlslage. Sie verstärkt diese berufliches Engagement und berufliche Zufrieden- Gefühle aber gemäss den Angaben der Befragten. heit sich während des Lockdowns verbesserten – und Die Auswirkungen der Pandemie auf das Generatio- zwar nicht nur für die Personen, die im Homeoffice nenverhältnis werden unterschiedlich eingeschätzt. arbeiteten, sondern insgesamt. Arbeitsbelastungen Ein Drittel (32 %) der Befragten ging davon aus, dass wie Zeitdruck oder Überforderung konnten vielfach sich die Pandemie eher negativ auf das Generatio- reduziert und Arbeitsressourcen wie Autonomie, nenverhältnis auswirke, 16 % sahen vor allem posi- soziale Unterstützung und Entwicklungsmöglich- tive und 26 % neutrale Auswirkungen der Pandemie keiten gestärkt werden. Allerdings wird betont, dass auf das Verhältnis zwischen den Generationen. [10]
10 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 2.4 Auswirkungen der Pandemie auf deutliche «Mehr an Solidarität in den Gemeinden» die Schweizer Gemeinden in den ersten Monaten der Pandemie fällt auf. Der beobachtete «Ansturm auf die Natur» stellt für Im August 2020 stellte die Zeitschrift «Schweizer gewisse Gemeinden ein Problem im Hinblick auf Gemeinde» sämtlichen Gemeinden im Land Fragen unerwünschte Menschenansammlungen dar und zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Aus belastet die lokale Umwelt. Gleichzeitig bedeutet den über tausend eingegangenen Antworten gehen diese Entwicklung im positiven Sinne auch mehr sowohl Herausforderungen als auch positive Aus- Bewegung und Begegnung an der frischen Luft. wirkungen hervor (Abbildung 3). Insbesondere das ABBILDUNG 3 Negative und positive Auswirkungen von Corona auf die Gemeinden In welchem Bereich hat Corona in Ihrer Gemeinde negativ gewirkt? Mehr Arbeitslosigkeit/Sozialhilfebeziehende Konkurse (lokales Gewerbe) Mehr häusliche Gewalt Mehr Nachbarschaftskonflikte Ansturm auf die Natur Mehr Littering Anderes 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Vor allem von kleineren Gemeinden werden der Ansturm auf die Natur und mehr Littering beklagt. Auch Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe steigen (918 Teilnehmende). In welchem Bereich hat Corona in Ihrer Gemeinde positiv gewirkt? Mehr Nähe zur B evölkerung Mehr Wertschätzung aus der Bevölkerung Mehr Solidarität in der Gemeinde Mehr Ruhe Weniger Umweltbelastung Weniger Littering Anderes 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Positiv vermerkt werden Werte wie mehr Solidarität in der Gemeinde und mehr Nähe zur Bevölkerung (956 Teilnehmende). Quelle: «Schweizer Gemeinde 10/2020» [10]
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 11 3 Psychische Gesundheit Im aktuellen Kontext stellt sich die zentrale Frage hoch war. Es existiere jedoch kein einheitliches nach den Auswirkungen der Pandemie auf die psy- psychisches Reaktionsmuster auf die Krise. Wie in chische Gesundheit der Bevölkerung. Es liegen dazu Kapitel 3.2 weiter ausgeführt, bewegen sich die Indi- bereits viele publizierte Studien aus der Schweiz katoren zur psychischen Gesundheit je nach Perso- vor. Diesem Schwerpunktthema der Gesundheitsför nengruppe auf unterschiedlichem Niveau. Beispiels- derung und Prävention wird auch im vorliegenden weise haben Frauen oder Personen mit Migrations- Arbeitspapier ein hoher Stellenwert eingeräumt. erfahrung im Kontext der Pandemie im Durchschnitt Im Folgenden wird zuerst auf die Auswirkungen ein höheres Stressempfinden und Alleinlebende der Pandemie auf die psychische Gesundheit der eine tiefere Lebensqualität. [8] Allgemeinbevölkerung eingegangen. Danach wird Zusätzlich zur Bedeutung absoluter/relativer Zah- analysiert, welche Bevölkerungsgruppen gemäss len zu einem bestimmten Zeitpunkt sind vor allem den vorliegenden Forschungsergebnissen psychisch Trends über die Zeit von Interesse, speziell dann, überdurchschnittlich stark belastet sind. Es folgen wenn sie innerhalb von Studien festgestellt werden, Angaben zu Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten die periodisch mit denselben Fragestellungen wie- von Corona und abschliessend ausgewählte For- derholt werden. schungsergebnisse zur Entwicklung des Suchtver- Erste Pandemiewelle: Eine nationale Befragung haltens im Kontext der Pandemie. im Rahmen der Swiss Corona Stress Study ergab, dass sich im Lockdown knapp die Hälfte der Teil nehmenden gestresster fühlte als vor der Corona- 3.1 Psychische Gesundheit und Einsamkeits Krise. Zu den Haupttreibern der Stresszunahme gefühle der Allgemeinbevölkerung zählten Belastung durch Veränderungen bei der Arbeit oder Ausbildung sowie Belastung durch das Bevölkerungsdaten vor Corona: Obgleich wegen eingeschränkte Sozialleben und durch die Kinder- unterschiedlicher Erhebungsmethoden kein direk- betreuung. Gleichzeitig fühlten sich 26 % der Be- ter Vergleich möglich ist, sollten die während der fragten im Lockdown weniger gestresst als vor der Pandemie erhobenen Zahlen in Bezug zu den Zahlen Krise. [12] vor 2020 gesetzt werden. So gaben zum Beispiel Zweite Pandemiewelle: Gemäss einer anderen 2017 im Rahmen der Schweizerischen Gesundheits- Bevölkerungsbefragung stuften die Teilnehmenden befragung rund 15 % der Bevölkerung eine mitt- ihr «aktuelles Befinden aufgrund der aktuellen Situ- lere bis starke psychische Belastung an. Spezifisch ation» im Zuge der zweiten Pandemiewelle auf einer nach Depressionssymptomen gefragt, berichtete Skala von 1 bis 10 im Mittel bei 6,4 ein. Rund 15 % der im selben Jahr über ein Drittel der Bevölkerung Befragten fühlten sich Ende Oktober schlecht bis von Symptomen: rund 3 % (eher) schwere, 6 % mit- sehr schlecht. Damit befand sich die Stimmungs telschwere und 26 % leichte Symptomatik. Ebenso lage nach einer Verbesserung über die Sommer gaben 5 % der Befragten «ziemlich oder sehr häu monate wieder auf ähnlichem Niveau wie zu Beginn fige» Einsamkeitsgefühle an. Zu Zeiten vor Corona der Pandemie im März 2020. [13] litten junge Menschen häufiger unter Einsamkeits- Dass die psychische Resilienz einer Mehrheit der gefühlen als die älteren. [4] Bevölkerung zwar über den bisherigen Pandemie- Im Kontext von Corona: Ein im November publizier- verlauf auf hohem Niveau blieb, gegen Ende des ter Synthesebericht zum Einfluss der Pandemie auf Jahres aber schwächer wurde, zeigt auch die die psychische Gesundheit der Bevölkerung kam neueste Erhebung der Swiss Corona Stress Study zum Schluss, dass die Mehrheit der Bevölkerung vom November 2020. Rund 47 % der Befragten in der Schweiz die Krise bis dahin gut zu bewälti- berichteten über eine Zunahme, 12 % über eine Ab- gen schien und die Lebenszufriedenheit insgesamt nahme des empfundenen Stresses im Vergleich zur
12 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung Situation vor der zweiten Welle im September. Der zwischen April und Mitte November bei Personen Anteil derer, die ihren Stresslevel als «sehr hoch» mit und ohne psychiatrische Diagnose. Bei den Be- einstuften, hat sich bei den Befragten dieser Studie fragten mit einer psychiatrischen Diagnose sind die im Vergleich zum Lockdown beinahe verdoppelt (von Indikatoren zur psychischen Gesundheit über die 11 % im April auf 20 % im November). Gleichzeitig ganze Pandemiedauer schlechter und der Trend gab knapp ein Viertel der Befragten im November gegen Ende Jahr ist ausgeprägter. In der ersten während der zweiten Pandemiewelle keinen oder November hälfte, nach der Verhängung von ver- geringen Stress (Level 1) 3 an. Ihr Anteil sank im Ver- schärften Massnahmen am 29. Oktober, gaben 26 % gleich zum Frühjahrs-Lockdown. Zu den Stressoren der Befragten mit psychiatrischen Diagnosen an, der ersten Welle kamen gemäss dieser Studie in der (sehr) häufig gestresst zu sein, im Vergleich zu 9 % zweiten Welle eine Zunahme der Konflikte zu Hause bei den Befragten ohne psychiatrische Diagnose. und Zukunftsängste hinzu. [14] Über hohe psychische Belastung berichteten 21 % Über den Verlauf der Pandemie berichtete ein stei- der Befragten mit und 6 % der Befragten ohne psy- gender Anteil von Befragten über schwere depres- chiatrische Diagnose. [3] sive Symptome («moderately severe» plus «severe»: Einsamkeit gilt als Risikofaktor für die psychische 9 % im April, 18 % im November). Allerdings verteilt Gesundheit. Sie stellt, wie zu Beginn des Kapitels sich dieser Anteil nicht homogen über die Bevölke- erwähnt, auch unter normalen Bedingungen ein rung. Er wird besonders durch eine Verschlechte- Problem dar. Während der Pandemie haben sich die rung der psychischen Gesundheit in den folgenden Einsamkeitsgefühle verstärkt. Sie korrelieren stark Subgruppen erklärt: Personen mit vorbestehenden mit dem Ausmass der jeweils geltenden Einschrän- psychiatrischen Erkrankungen; junge Menschen kungen und den individuellen Lebenssituationen. zwischen 14 und 24 Jahren, welche die höchste Prä- Während des Lockdowns gaben mehr als 8 % der valenz aller Altersgruppen aufwiesen; Personen mit Befragten an, sich (sehr) häufig einsam zu fühlen. geringen finanziellen Reserven respektive starken In den Sommermonaten sank dieser Anteil auf 3 %. finanziellen Einbussen durch die verhängten Mass- Im Herbst zeigte sich gemäss den Ergebnissen des nahmen; Personen aus der französischsprachigen COVID-19 Social Monitors erneut eine Zunahme auf Schweiz, welche zu Beginn der zweiten Pandemie- 7 %. [3] Die meisten Menschen haben jedoch einen welle stärker betroffen war als die übrige Schweiz vertrauten Menschen, mit dem sie in der Krise spre- [14] (siehe auch Kapitel 5.2 mit Angaben zu den be- chen können. Auch würde die grosse Mehrheit eine treuenden Angehörigen). Person in ihrem Umfeld darauf ansprechen, wenn Befragungsergebnisse des COVID-19 Social Moni- diese verzweifelt wirkt. [2] Speziell bei den Einsam- tors bestätigen den auch in der Swiss Corona Stress keitsgefühlen sagen diese allgemeinen Zahlen je- Study beobachteten Einfluss von vorbestehenden doch wenig aus. Sie werden auch durch pandemie psychischen Problemen. Abbildung 4 präsentiert unabhängige Faktoren, wie zum Beispiel saisonale den Verlauf der Faktoren Lebensqualität, Stress und Effekte, beeinflusst und belasten verschiedene Be- hohe psychische Belastung über die Pandemiedauer völkerungsgruppen unterschiedlich stark. 3 Gemäss Abbildung 2a, «Stress levels before and during each pandemic wave», S. 22 in Quelle [14].
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 13 ABBILDUNG 4 Lebensqualität, Stress und psychische Belastung nach psychiatrischer Diagnose gemäss Befragungsergebnissen des COVID-19 Social Monitors zwischen Anfang April und Mitte November 2020 (Sehr) hohe Lebensqualität 92 92 91 92 90 91 90 90 89 90 87 87 80 % der Befragten 76 73 73 70 71 71 71 69 70 69 65 64 60 50 14 15 16 18 20 22 25 29 34 40 46 Kalenderwochen (Sehr) häufig gestresst 40 30 28 % der Befragten 24 26 21 22 20 21 17 18 16 11 14 13 10 8 9 7 6 6 7 7 7 6 6 0 14 15 16 18 20 22 25 29 34 40 46 Kalenderwochen Hohe psychische Belastung (MHI-5) 30 24 21 21 21 21 20 20 % der Befragten 20 19 17 17 16 10 6 5 5 5 5 4 4 5 4 4 4 0 14 15 16 18 20 22 25 29 34 40 46 Kalenderwochen Ohne psychiatrische Diagnose (N = 1778) Öffnung Schulen/Läden am 11. Mai Mit psychiatrischer Diagnose (N = 212) Verschärfte Massnahmen am 29. Oktober Quelle: COVID-19 Social Monitor [3]
14 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 3.2 Psychisch besonders belastete rössere Schwierigkeiten gehabt zu haben; zum g Bevölkerungsgruppen anderen wurde vor allem kurz nach dem Lock- down von Schwierigkeiten und Verhaltensauffäl- Verschiedene Studien kommen zu ähnlichen Schlüs- ligkeiten der Kinder berichtet. Insgesamt, so sen bei der Frage nach den Bevölkerungsgruppen, schliessen die Autorinnen der Studie, konnte die deren psychische Gesundheit in Zeiten der Pande- Mehrheit der Kinder die Situation rund um die mie besonders verletzlich ist. Corona-Pandemie jedoch gut bewältigen. [16] Psychisch besonders belastete Bevölkerungs- Aus mehreren Befragungen geht hervor, dass sich gruppen jüngere Personen (insbesondere die unter 30-Jähri- • Personen aus sozial benachteiligten und ande- gen) durch die Auswirkungen der Pandemie stärker ren vulnerablen Bevölkerungsgruppen sind psychisch belastet fühlen als die älteren Menschen überdurchschnittlich stark belastet (weitere An- (65+). [8, 14, 15, 17] gaben in Kapitel 5). • Jugendliche und junge Erwachsene: Mehrere • Generell ein höheres Stressniveau und erhöhte Studien berichten von starken Auswirkungen psychische Belastung finden sich bei Personen der verhängten Massnahmen auf das psychische mit vorbestehenden psychiatrischen Diagnosen Wohlbefinden von jüngeren Menschen. Als Ur (weitere Angaben in Kapitel 3.1 und Abbildung 4). sache werden unter anderem die Schulschlies- • Alleinlebende und sozial isolierte Personen sungen, Ausgangsbeschränkungen, fehlende sind in der Pandemie psychisch stärker belastet. Freundschaftsbeziehungen während des Lock- Personen, die alleine leben, waren im Lock- downs oder unsichere schulische und beruf- down besonders stark von Einsamkeit betroffen: liche Perspektiven angeführt. Besonders im 19 % gaben an, sich (sehr) häufig einsam zu Lockdown waren die emotionalen Probleme fühlen, im Vergleich zu 5 % bei den nicht Allein bei Jugendlichen ausgeprägt, während jüngere lebenden. [3] Erwachsene im Alter zwischen 18 und 29 Jah- • Betreuende und pflegende Angehörige und ren gemäss den Ergebnissen des COVID-19 Social Young Carers (weitere Angaben in Kapitel 5.2). Monitors mit 16 % besonders häufig von Einsam- • Zu weiteren Bevölkerungsgruppen mit mögli- keit betroffen waren. [3] In der November-Erhe- cherweise erhöhter psychischer Belastung bung der Swiss Corona Stress Study berichteten liegen aus der Schweiz noch keine empirischen überdurchschnittlich viele der über 14-jährigen Ergebnisse vor. In der Literatur und durch Ex Schülerinnen und Schüler, Studierenden und pertinnen und Experten werden unter anderem Lernenden über einen «sehr hohen» Stresslevel, folgende Bevölkerungsgruppen genannt: die Tendenz zunehmend seit dem Lockdown. [14] durch COVID-19 «besonders gefährdeten Perso- Zu beachten gilt es bei dieser Altersgruppe, dass nen», Personen in Quarantäne, Angehörige von gemäss einer noch unveröffentlichten Studie an C OVID-19 Erkrankten, Personen mit Behinde- fast die Hälfte (45 %) der 15- bis 25-Jährigen keine rungen, Obdachlose oder Personen in Flücht- Anlaufstelle kennen, an die sie sich in Notlagen lingsunterkünften, Personen in Heimen oder Ge- wenden können. [18] Gemäss einer Studie aus dem fängnissen usw. [8] Kanton Zürich hat der Lockdown nach Angaben der befragten Jugendlichen neben vielen Belas- Belastung nach Altersgruppen tungen auch zu positiven Auswirkungen g eführt. • Kinder: Befragte Eltern gaben im Lockdown er- Sie berichteten über eine Zunahme der elterli- höhte Unruhe und Hyperaktivität sowie häufigere chen Zuwendung und mehr gemeinsame Unter- Wutanfälle und Gereiztheit bei Kindern an. [15] nehmungen mit der Familie. [19] Die Studie «Kinderleben zu Corona-Zeiten» kam • Ältere Menschen: Bei hochaltrigen Menschen zum Ergebnis, dass ein bedeutender Teil der spielen gesundheitliche Vorerkrankungen, Kinder während des Lockdowns Schwierigkeiten fehlende soziale Einbettung und Isolation sowie hatten, die auch für die Familien belastend wa- das Befürchten einer schlechten Behandlungs ren. Dabei fielen vor allem zwei Befunde auf: Zum qualität bei Versorgungsengpässen eine wichtige einen scheinen ältere Kinder (über 9 Jahre) Rolle für das Ausmass der empfundenen psy
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 15 chischen Belastung. Ältere Menschen unter 75 Individuelle Risikofaktoren für die psychische Ge- fühlten sich hingegen besonders belastet durch sundheit während der Pandemie [8, 12, 17]: die zu Beginn der Pandemie gebräuchliche und • Angst vor dem Virus; aus ihrer Sicht undifferenzierte Klassifizierung • prekäre finanzielle Situation; aller über 65-Jährigen als «Risikogruppe». [8] • Unsicherheiten in Zusammenhang mit der 39 % der im Generationenbarometer befragten Arbeitsstelle; 65- bis 74-Jährigen gaben an, dass sie sich in • Probleme mit der Vereinbarkeit zwischen Familie der ersten Pandemiewelle durch die verhängten und Beruf während des Lockdowns; Massnahmen aufgrund ihres Alters diskriminiert • Abwesenheit der unten genannten Schutz fühlten. [10] Der COVID-19 Social Monitor zeigt, faktoren. dass Einsamkeitsgefühle bei älteren Menschen nicht nur während des Lockdowns, sondern Individuelle Schutzfaktoren für die psychische Ge- auch gegen Ende des Jahres ein grosses Problem sundheit während der Pandemie [8, 12, 17]: darstellten. Die Ergebnisse aus der Befragungs- • körperliche Aktivität; runde Anfang November zeigen4: über 50 % gaben • positives Denken, Gefühl von Selbstwirksamkeit, an, dass Gesellschaft fehle, etwa 25 % hatten Autonomie, hohe Kontrollüberzeugung; das Gefühl von Ausgeschlossensein und knapp • hohe Anpassungsfähigkeit/psychische Flexibilität; 40 % fühlten sich isoliert. [5] • empfundene (soziale) Unterstützung durch die Familie, Freundinnen und Freunde, Organi Unterschiedliche Belastung in den verschiedenen sationen und Behörden; Sprachregionen • Ausüben von Hobbys oder Umsetzung eigener Aus den vorliegenden Studien ergebnissen lassen Projekte; sich keine eindeutigen Schlüsse bezüglich signifi- • Vertrauen in die staatlichen Institutionen. kanter Unterschiede der psychischen Belastung in der Pandemie zwischen den Sprachregionen ziehen. Während in einigen Studien gewisse Unterschiede 3.4 Entwicklung des Suchtverhaltens festgestellt wurden [13, 14], wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die psychische Belastung auch Surfen im Internet, Gamen und Online Gambling im Zusammenhang mit den regionalen Fallzahlen Gefragt nach einer Verhaltensänderung im Lock- steht. Zudem bestehen auch in normalen Zeiten down im Vergleich zur Zeit vor Corona gab rund ein Unterschiede bei der angegebenen psychischen Be- Fünftel der im Rahmen des COVID-19 Social Moni- lastung je nach Sprachregion. [4] tors Befragten einen deutlich höheren Informa tionsmedienkonsum und ein Zehntel einen erhöhten Unterhaltungsmedienkonsum an. Dies wird auf 3.3 Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten das erhöhte Informationsbedürfnis und die einge- von Corona schränkte Mobilität zurückgeführt. Ein Viertel der Kinder konsumierte während des Lockdowns ge- Die psychische Gesundheit steht auf der individuel- mäss den Auskünften ihrer Eltern mehr Unter len Ebene in einem dynamischen Gleichgewicht zwi- haltungsmedien. Eine Mehrheit der Befragten be- schen Belastungen einerseits und inneren und äus- richtete jedoch von keinen deutlichen Veränderungen seren Ressourcen andererseits. [20] Neben den in den Bereichen Internet Surfing, Gamen und On- schon gut untersuchten Risiko- und Schutzfaktoren line Gambling. 10 % der Erwachsenen gaben an, im für eine gute psychische Gesundheit [4] und den Lockdown deutlich mehr im Internet gesurft zu ha- in Kapitel 3.2 aufgezeigten Belastungsfaktoren wer- ben – diese Veränderung war am ausgeprägtesten den im Zusammenhang mit der Pandemie und ins- bei der Altersgruppe der unter 30-Jährigen. [3, 6, 21] besondere der Situation im Lockdown die folgenden Zwischen Ende Mai und Anfang Oktober fanden sich Faktoren hervorgehoben: relativ konstante Verläufe bei den Werten für mehr- 4 Antwortoptionen «manchmal» und «häufig» zusammengezählt.
16 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung mals täglich «Surfen im Internet» und «Gamen» ton Zürich, welche das Ergebnis von sinkendem und mehrmals wöchentlich «Online Gambling». Alkohol- und Drogenkonsum bei den Befragten mit Allerdings wird ein Zusammenhang zwischen deut- der Tatsache in Verbindung brachte, dass Jugend lich mehr Gaming und einer hohen psychischen Be- liche im Lockdown weniger Zeit mit Peers verbrach- lastung beobachtet [21], wobei keine Aussagen zur ten und die Erwachsenenkontrolle höher war. [19] Wirkungsrichtung gemacht werden können. Die Studie von M.I.S. Trend berichtet über einen An- stieg des Zigarettenkonsums im Lockdown bei den Suchtmittelkonsum erwachsenen Rauchenden. [22] Nach dem Lock- Der Suchtmittelkonsum (Tabak, Alkohol und «an down verstärkte sich bei den Befragten des C OVID-19 dere») sank im Lockdown gemäss Angaben des Social Monitors der Trend zu reduziertem Sucht COVID-19 Social Monitors bei 18 % der erwachsenen mittelkonsum weiter. [6] Gemäss aktuellen Ergeb- Befragten, während er lediglich bei 2 % anstieg. [6] nissen dieser Studie gibt es zudem keine Hinweise Dies dürfte unter anderem auf die starke Abnahme darauf, dass die Pandemie die regelmässige Ein- von sozialen Aktivitäten und Veranstaltungen zu- nahme von Beruhigungs- oder Schlafmitteln ver- rückzuführen sein. Zu einem ähnlichen Ergebnis stärkt hätte. [21] kam auch die Befragung von Jugendlichen im Kan-
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 17 4 Bewegung und Ernährung Neben der psychischen Gesundheit stellen die Be- völkerung (etwa 3 %) verliess zu Beginn des Lock- reiche Bewegung und Ernährung Schwerpunkt downs die Wohnung innerhalb einer Woche nie. Zu- themen der Gesundheitsförderung dar. Hierzu liegen dem stieg der Anteil der physisch Inaktiven 5 in jener aus der Schweiz bisher vor allem Forschungsergeb- Phase auf 19 %. [3] Die Schliessung von Fitness nisse mit Relevanz zum Thema Bewegung für die zentren und fehlende Club-Aktivitäten trugen mit Altersgruppe der über 18-Jährigen sowie für den zur beobachteten Abnahme der Sportaktivitäten Zeitraum des Lockdowns vor. bei. [15] Das Bewegungsverhalten der Kinder verän- Die Studie von M.I.S. Trend untersuchte das Ver derte sich im Lockdown analog demjenigen der Er- halten der Bevölkerung während des Lockdowns. In wachsenen. 22 % der Kinder bewegten sich gemäss dieser Phase wurden Veränderungen im Bereich Einschätzung ihrer Eltern deutlich weniger, 7 % der körperlichen Aktivität und der Essgewohnheiten deutlich mehr als vor dem Lockdown. [6] vor allem bei den unter 45-Jährigen beobachtet. Im Laufe des Lockdowns und vor allem seit den Die ältere Bevölkerung (in dieser Studie die über Lockerungen Ende Mai verbesserte sich die Situa 60-Jährigen) änderte ihre Lebensgewohnheiten ver- tion jedoch rasch. [3] In der zweiten Pandemiewelle gleichsweise wenig. Zudem wurden kaum signifi- im Herbst stieg die körperliche Inaktivität erneut kante Unterschiede zwischen den Sprachregionen leicht an (auf etwa 16 %), was aber auch auf saiso gefunden. Allerdings wird auf ein Stadt-Land-Gefälle nale Effekte zurückgeführt wird [3] (Abbildung 5). hingewiesen. In urbanen Zentren hat sich die Pan- Eine Online-Befragung bei älteren Menschen zwi- demie gemäss Angaben der Befragten deutlich ne- schen 65 und 87 Jahren untersuchte das Nutzungs- gativer auf die Lebensweise ausgewirkt als in länd- verhalten von Frei- und Grünräumen während des licheren Regionen. Dies galt insbesondere für die Lockdowns. Bei rund 35 % der Befragten reduzierte Essgewohnheiten, die verminderte körperliche Ak- und verkürzte sich deren Nutzung, während sie bei tivität sowie den erlebten Stress. [22] 29 % zunahm. Die Mobilität verschob sich von den sonst populären entfernteren Ausflugszielen ins nä- here Wohnumfeld. Die Befragung ergab, dass die 4.1 Bewegungsverhalten ältere Bevölkerung die Schliessung der Ausflugs lokale als eine der stärksten Einschränkungen Gemäss Angaben des Bundesamts für Statistik wa- empfand. Befragte hoben gleichzeitig hervor, dass ren vor Corona etwa 8 % der Bevölkerung körperlich der Besuch der Frei- und Grünräume ihnen helfe, inaktiv. [23] Im COVID-19 Social Monitor gaben 22 % positive Gefühle zu schaffen und den Tag abwechs- der erwachsenen Befragten an, sich im Vergleich lungsreich zu gestalten. Die Intensität der Natur zur Zeit vor Corona während des Lockdowns weni- erlebnisse, wie zum Beispiel das Erleben von Düf- ger bewegt zu haben. Gleichzeitig gaben 7 % einen ten, die neu entstandene Ruhe oder die bessere Luft gegenteiligen Effekt an: sie bewegten sich mehr als wurden im Lockdown ebenfalls häufig als positive vorher. [6] Ein kleiner, aber relevanter Anteil der Be- Auswirkungen erwähnt. [24] 5 Physisch Inaktive: an keinem Tag einer Woche «insgesamt 30 Minuten oder länger körperlich aktiv, sodass Sie zumindest etwas stärker atmen mussten».
18 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung ABBILDUNG 5 Physische Inaktivität während der letzten 7 Tage zwischen Anfang April und Mitte November 2020, erwachsene Befragte Physische Inaktivität (letzte 7 Tage) 20 19 % der Befragten 16 16 15 14 13 14 13 13 12 11 11 10 14 15 16 18 20 22 25 29 34 40 46 Kalenderwochen Öffnung Schulen/Läden am 11. Mai Verschärfte Massnahmen am 29. Oktober Quelle: COVID-19 Social Monitor [15] 4.2 Ernährungsverhalten schieben. Dies wirkte sich gemäss der Studie von M.I.S. Trend auf die tatsächliche oder wahrgenom- Während des Lockdowns ergaben sich gemäss Ein- mene Gewichtszunahme der Befragten während schätzungen der im COVID-19 Social Monitor Be- des Lockdowns aus. Als positive Entwicklung wird fragten sowohl bei den Erwachsenen als auch bei in dieser Studie erwähnt, dass viele im Lockdown deren Kindern keine markanten Veränderungen im ihre «Kochkünste» entdeckt oder vermehrt genutzt Ernährungsverhalten. Eine Mehrheit behielt ihre haben. Die Befragten kochten öfters zu Hause und Essgewohnheiten bei. [6] Konstatierte kleinere Ver- widmeten der Zubereitung der Mahl zeiten mehr änderungen betrafen gemäss einer anderen Studie Zeit. Gemäss der Befragung wurden während des zum Beispiel die Tendenz, grössere Portionen zu Lockdowns gesunde Lebensmittel wie Früchte und konsumieren, häufiger Snacks zwischen den Mahl- Gemüse, genauso wie süsse und salzige Snacks, so- zeiten einzunehmen sowie die Essenszeiten zu ver- wie hausgemachtes Brot vermehrt gegessen. [22]
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 19 5 Sozial benachteiligte und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen Verschiedene Studien aus dem In- und Ausland wei- stützung bei Schularbeiten, die Unmöglichkeit, sen darauf hin, dass sich die Pandemie auf ver den anderen Elternteil zu besuchen, oder durch letzliche Subgruppen der Bevölkerung besonders eine erhöhte Gefährdung bei einer COVID-19- belastend auswirkt. Gleichzeitig wird auch aus die- Erkrankung des erziehenden Elternteils. sen Bevölkerungsgruppen vereinzelt von positiven • Fremdplatzierte und sonderpädagogisch ge Auswirkungen berichtet. In diesem Kapitel wird der förderte Kinder: Die Pandemie hat erhebliche Fokus auf zwei dieser Gruppen gerichtet: auf sozio Auswirkungen auf fremdplatzierte und sonder ökonomisch benachteiligte Familien – mit und ohne pädagogisch geförderte Kinder. Die Umstellung Migrationshintergrund – sowie auf die betreuenden des Alltags und die aktuelle Unsicherheit kön- Angehörigen und Young Carers. Viele der Angaben nen schwerwiegende Folgen für junge Menschen beziehen sich auf die Phase des Lockdowns, da für haben und zu Spannungen führen [27], sowohl die Zeit danach noch wenig publiziert wurde. Zum in den Heimen als auch mit den Eltern. Fachper- Themenbereich der betreuenden Angehörigen wur- sonen bemängeln, dass bei den Corona-Mass- den Studien aus dem Ausland beigezogen, da noch nahmen zum Schutz vor Infektionen deren Kon- keine Forschungsergebnisse aus der Schweiz vor- sequenzen auf der sozialen und psychischen liegen. Ebene zu wenig mitbedacht wurden. In diesem Zusammenhang wird unter anderem das Be- suchsverbot von Menschen mit Behinderungen 5.1 Auswirkungen auf Familien mit besonderen in Heimen als problematisch angesehen. [8] Herausforderungen Da viele Tageseinrichtungen und Förderangebote während des Lockdowns geschlossen wurden, Bei sozioökonomisch benachteiligten Familien sind waren zudem viele zu Hause lebende Kinder mit Belastungsfaktoren wie prekäre Lebens- und Ar- Beeinträchtigungen von der gewohnten schuli- beitsverhältnisse, eine schwierige finanzielle Situa- schen Förderung ausgeschlossen. tion, fehlende soziale Unterstützung und beengte • Kinder aus armutsbetroffenen Familien: Rund Wohnverhältnisse besonders ausgeprägt. Kinder 70 000 Kinder und Jugendliche in der Schweiz und Jugendliche aus benachteiligten Familien sind waren 2014 von absoluter Armut betroffen. [26] deshalb tendenziell stärker von der Pandemie und Kinder aus armutsbetroffenen Familien leben deren negativen Auswirkungen betroffen. [8] Ein häufiger in beengten Wohnverhältnissen und ihre Bericht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung Eltern arbeiten vielfach in instabilen Arbeits weist in diesem Zusammenhang auf potenzielle Dis- verhältnissen. Viele armutsbetroffene Familien kriminierungsfallen im Kontext der Pandemie hin. haben weniger Zugang zu elektronischen Kom- [25] munikationstechnologien, was zur schulischen Familiensituationen mit besonderen Herausforde- Benachteiligung führen kann. In Kapitel 3 wurde rungen während der Pandemie: aufgezeigt, dass eine prekäre finanzielle Situa- • Alleinerziehende: In der Schweiz leben 14 % tion im Kontext der Pandemie zu den wichtigsten der Kinder in einer Einelternfamilie – meist (12 %) Belastungsfaktoren für die psychische Gesund- mit der alleinerziehenden Mutter, im Vergleich heit gehört. zu 2 %, die beim Vater leben. [26] Diese Kinder • Familien der Migrationsbevölkerung: Die be- können speziell in Lockdown-Phasen benachtei- schriebenen Auswirkungen auf armutsbetrof- ligt sein, zum Beispiel durch ein höheres Armuts- fene Familien treffen auch für einen Teil der Mig- risiko bei Alleinerziehenden, höheres Konflikt- rationsbevölkerung zu. Die Armutsgefährdungs potenzial und Stresslevel der Familienmitglieder, quote bei Personen mit Migrationshintergrund schwächere Beaufsichtigung und weniger Unter- aus der ersten Generation lag im Jahr 2018 mit
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