Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung - Arbeitspapier 52 Ausgewählte ...

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Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung - Arbeitspapier 52 Ausgewählte ...
Januar 2021

     Arbeitspapier 52

     Auswirkungen der Corona-Pandemie
     auf gesundheitsbezogene Belastungen
     und Ressourcen der Bevölkerung
     Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz

Mit Unterstützung von:
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird.
 Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der
 Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes.
 Oberstes Ent­scheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern
 und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten
 von Gesundheits­förderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.
 Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch

 In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung
 Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in
 Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio-
 nellen Ver­antwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere
 liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor.

Impressum
Herausgeber
Gesundheitsförderung Schweiz und Bundesamt für Gesundheit BAG
Autorinnen
– Claudia Kessler, Public Health Services (PHS) (Hauptautorin)
– Lisa Guggenbühl (Gesundheitsförderung Schweiz)
Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz
Lisa Guggenbühl, Leiterin Wirkungsmanagement
Begleitgruppe
Folgende Expertinnen und Experten trugen als Mitglieder der Begleitgruppe zum Arbeitspapier bei
(alphabetische Reihenfolge nach Nachname):
– Prof. Dr. Dr. Thomas Abel, Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern
– Prof. Dr. Dominique J.-F. de Quervain, Universität Basel / Fakultät für Psychologie
– Catherine Favre Kruit, Gesundheitsförderung Schweiz
– Dr. Alexia Fournier Fall, CLASS/ CPPS – Commission de Prévention et de Promotion de la santé du GRSP
– Karin Gasser, Bundesamt für Gesundheit
– Dr. Marc Höglinger, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
– Dr. Claudio Peter, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium
– René Rüegg, Berner Fachhochschule / Soziale Arbeit
– Dr. Corina Salis Gross, Public Health Services
– Silvia Steiner, Geschäftsführerin der Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheits-
   förderung (VBGF)
Den Mitgliedern der Begleitgruppe sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Reihe und Nummer
Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 52
Zitierweise
Kessler, C. & Guggenbühl, L. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene
Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung. Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz.
Arbeitspapier 52. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.
Fotonachweis Titelbild
© iStock
Auskünfte/Informationen
Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04,
office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch
Originaltext
Deutsch
Bestellnummer
01.0349.DE 01.2021
Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar
(Bestellnummern 01.0349.FR 01.2021 et 01.0349.IT 01.2021).
Download PDF
www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen
© Gesundheitsförderung Schweiz, Januar 2021
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 3

Inhaltsverzeichnis
Executive Summary                                                                                          4

1   Einleitung                                                                                             6
    1.1 Fokus der Analyse                                                                                  6

2   Allgemeine Lebensqualität                                                                              8
    2.1	Auswirkungen des Lockdowns auf das Zusammen­leben in den Familien                                 9
    2.2	Auswirkungen des Lockdowns auf die Work-Life Balance                                              9
    2.3	Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Generationenbeziehungen                                  9
    2.4	Auswirkungen der Pandemie auf die Schweizer Gemeinden                                            10

3   Psychische Gesundheit                                                                                 11
    3.1	Psychische Gesundheit und Einsamkeits­gefühle der Allgemeinbevölkerung                           11
    3.2	Psychisch besonders belastete Bevölkerungs­gruppen                                               14
    3.3	Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten von Corona                                                  15
    3.4	Entwicklung des Suchtverhaltens                                                                  15

4   Bewegung und Ernährung                                                                                17
    4.1 Bewegungsverhalten                                                                                17
    4.2 Ernährungsverhalten                                                                               18

5	Sozial benachteiligte und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen                                        19
   5.1	Auswirkungen auf Familien mit besonderen Herausforderungen                                        19
   5.2	Auswirkungen des Lockdowns auf betreuende Angehörige und Young Carers                             20

6   Fazit und Ausblick                                                                                    22

7   Quellenverzeichnis                                                                                    23

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Für die Analyse relevante Phasen der Corona-Krise im Jahr 2020                                  7
Abbildung 2 Allgemeine Gesundheit und Lebensqualität                                                        8
Abbildung 3 Negative und positive Auswirkungen von Corona auf die Gemeinden                               10
Abbildung 4	Lebensqualität, Stress und psychische Belastung nach psychiatrischer Diagnose                 13
Abbildung 5	Physische Inaktivität                                                                         18
Abbildung 6 Erleben der Corona-Krise und der Isolation im Lockdown durch betreuende Angehörige            21
4   Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

Executive Summary
Dieses Arbeitspapier vermittelt einen Überblick               Ausgewählte Schlüsselergebnisse in Zahlen:
über Ende 2020 vorliegende Forschungsergebnisse               • Im Lockdown und in der zweiten Welle Anfang
zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das                     November stuften jeweils mindestens 85 % der
Wohlbefinden, die psychische Gesundheit sowie auf                   Befragten ihre Lebensqualität und das «aktuelle
das Bewegungs- und Ernährungsverhalten der Be-                      Befinden» als gut oder sehr gut ein. 15 % der
völkerung in der Schweiz. Im Fokus der Analyse ste-                 Bevölkerung fühlten sich «schlecht» bis «sehr
hen die Zielgruppen Kinder und Jugendliche, ältere                  schlecht». Diese Werte weichen nur geringfügig
Menschen sowie sozioökonomisch benachteiligte                       von den analogen Werten zur Zeit vor Corona ab.
und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen. Mit                • Rund 47 % der Befragten berichteten in der
den vorliegenden Studien kann die Pandemiephase                 Swiss Corona Stress Study im November über
bis etwa Spätherbst 2020 abgebildet werden. Zu den              eine Zunahme, 12 % über eine Abnahme des
letzten Monaten des Jahres liegen erst wenige Pub-              ­empfundenen Stresses im Vergleich zur Situa-
likationen vor.                                                  tion vor der zweiten Welle im September. Die
Aus den Forschungsergebnissen geht hervor, dass                  ­Zu­nahme von Stress ging gemäss derselben
die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz mit                   ­Studie mit einer Zunahme von depressiven Symp-
den Auswirkungen der aktuellen Krise auf die all-                  tomen einher.
gemeine Gesundheit bis im Herbst 2020 gut zurecht-            • Wie die Swiss Corona Stress Study zeigt auch
kam. Gleichzeitig ist festzustellen, dass sich die                  der COVID-19 Social Monitor, dass Befragte mit
Pandemie und die damit einhergehenden Massnah-                      ­vorbestehenden psychiatrischen Diagnosen
men sehr unterschiedlich auf verschiedene Bevöl-                     ­signifikant stärker betroffen sind. Anfang Novem-
kerungsgruppen auswirken. Einerseits führte die                       ber gaben 21 % der Befragten mit psychiatri-
veränderte Situation bei vielen Menschen zu einer                  scher Diagnose eine «hohe psychische Belastung»
erhöhten Belastung. Andererseits konnten viele                     an; bei den Befragten ohne psychiatrische Prog­
Menschen dank Anpassungsleistungen und Mobili-                     nose waren es 6 %.
sierung von Ressourcen der Situation auch positive            • Gemäss einer Studie aus Deutschland berichte-
Aspekte abgewinnen.                                                   ten im Frühsommer 2020 15 % der betreuenden
Gegen Ende des Jahres zeichnete sich jedoch eine                      und pflegenden Angehörigen über depressive
Abnahme der psychischen Resilienz ab, wobei ins-                      Symptome – mehr als doppelt so viele wie 2017.
besondere vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie                         Frauen waren besonders betroffen, da sie im
Personen mit psychiatrischen Vorerkrankungen,                         Lockdown die Hauptlast der zusätzlichen infor-
Personen mit finanziellen Problemen oder betreu-                      mellen Unterstützung und Pflege schulterten.
ende Angehörige, überdurchschnittlich stark be-               • Im Lockdown berichteten besonders junge (unter
troffen sind. Junge Erwachsene unter 30 und Ju-                       30-jährige) und ältere (über 65-jährige) Men-
gendliche fühlen sich durch die Auswirkungen der                      schen über Einsamkeitsgefühle. Bei älteren Men-
Pandemie psychisch stärker belastet als ältere                        schen dauern diese Gefühle an: Im November
Menschen über 65. Alleinlebende, Alleinerziehende,                    gaben über die Hälfte der Befragten an, wegen
sozial isolierte Personen und sozioökonomisch be-                     fehlender Gesellschaft zu leiden. Knapp 40 %
nachteiligte Personen zählen zu weiteren Bevölke-                  ­fühlten sich isoliert.
rungsgruppen, die sich besonders im Lockdown1                 • 22 % der erwachsenen Befragten berichteten,
mit grossen Herausforderungen konfrontiert sahen                      dass sie und ihre Kinder sich zu Beginn des Lock-
und teils bis heute stark belastet sind.                              downs weniger bewegt hatten als zuvor. 7 % be-

1 Mit «Lockdown» wird in diesem Arbeitspapier die Phase der ausserordentlichen Lage bezeichnet (Mitte März bis Anfang
   Mai 2020).
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 5

  wegten sich während dieser Zeit mehr. Bereits         Vorbelastung verstärkt. Die spezifischen Lebens-
  im Laufe des Lockdowns und über den Sommer            umstände (z. B. die Familien- oder Wohnsituation
  ­glichen sich die Werte jedoch rasch wieder           sowie die finanzielle Situation) scheinen dabei
   an das Bewegungsverhalten von vor Corona an.         von höherer Relevanz zu sein als die eigentlichen
• Es liegen keine Hinweise vor, die auf eine signi-     soziodemografischen Faktoren (wie Alter oder Ge-
   fikante Änderung der Essgewohnheiten der             schlecht).
   Bevölkerung während oder nach dem Lockdown           Viele der gesundheitlichen Auswirkungen der Pan-
   schliessen liessen.                                  demie werden sich erst mittel- und langfristig be-
                                                        merkbar machen. Für die Gesundheitsförderung
Der Analyse der Auswirkungen auf die Bevölkerungs­      stellt sich die zentrale Frage, wie die bisher in allen
mehrheit muss eine differenzierte Analyse nach          Bevölkerungsgruppen festgestellte hohe Resilienz
Subgruppen der Bevölkerung gegenübergestellt            über die Dauer der Pandemie und in den folgenden
werden. Die Corona-Krise wirkt als «Brennglas»,         Jahren erhalten und gestärkt werden kann.
weil sie bestehende Tendenzen von Ungleichheit und

 Methodisches Vorgehen

   Die in diesem Dokument aufgezeigten Fakten           Nach Möglichkeit wurden verschiedene Quellen
   basieren auf der Analyse der Ende 2020 vor­          und Zeiträume trianguliert, um aussagekräftigere
   liegenden Studien und ­Publikationen (Samm-          Angaben zu den ­jeweiligen Fragestellungen zu
  lung und Recherchen im Zeitraum zwischen              erhalten. Ebenfalls wurden möglichst Quellen mit
  30. November und 27. Dezember 2020). Rele-            nationaler Aussagekraft respektive ­Studien aus
  vante Publikationen wurden der Autorin von            verschiedenen Landesteilen einbezogen. Wo sinn-
  den Trägerorganisationen und den am Prozess           voll, wurden internationale Studien beigezogen,
  beteiligten Expertinnen und Experten zur              um die ­Evidenzlage abzurunden.
  ­Verfügung gestellt. Auftragsgemäss ohne              Dieses Arbeitspapier erhebt keinen Anspruch auf
 ­s ys­tematische Lite­r atur­recherche ergänzte        Vollständigkeit. Es liegen viele weitere Studien­
  die A­ utorin die Quellen bei Bedarf (Internet­       ergebnisse vor. Die ­Selektion der ausgewerteten
  recherche, Quellenverzeichnisse von ausge­            Publikationen erfolgte aufgrund der Beurtei-
  werteten Studien).                                    lung ihrer Relevanz für die Akteurinnen und Ak-
                                                        teure der Gesundheitsförderung und Prävention.
6   Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

1 Einleitung
Am 25. Februar 2020 bestätigte das Bundesamt für            Das vorliegende Arbeitspapier wurde im Auftrag der
Gesundheit (BAG) den ersten Fall einer Infektion mit        Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz und des
SARS-CoV-2 in der Schweiz. Vieles hat sich seither          Bundesamts für Gesundheit (BAG) für die Akteurin-
verändert: für die Menschen, die Gesellschaft, das          nen und Akteure der Gesundheitsförderung und
Gesundheitssystem, die Wirtschaft und viele andere          Prävention erarbeitet.
Lebensbereiche. Akteurinnen und Akteure der Ge-
sundheitsförderung und Prävention sind deshalb
gefordert, neue Zugänge zu den Zielgruppen zu er-           1.1   Fokus der Analyse
schliessen und die Arbeit mit kreativen Anpas­
sungen weiterzuführen. Mit grossem Engagement               Der Fokus der Analyse wurde gemäss den Hand-
wurde seit dem Frühjahr viel geleistet. Gesammel-           lungsfeldern der Stiftung Gesundheitsförderung
tes Erfahrungswissen zu neuen Lösungsansätzen               Schweiz eingegrenzt. Es werden Auswirkungen der
und zum Handlungsbedarf wurde im Bereich der                Corona-Pandemie 2 auf folgende Bereiche analy-
Gesundheitsförderung im Alter in einem separaten            siert:
Bericht publiziert. [1] Aus der empirischen For-            • Allgemeine Lebensqualität (Kapitel 2)
schung liegen Ende 2020 unzählige veröffentlichte           • Psychische Gesundheit (Kapitel 3)
Ergebnisse vor. Es wird zunehmend schwierig, sich           • Bewegung und Ernährung (Kapitel 4)
einen Überblick über die Vielzahl der Studien zu ver-       • Sozial benachteiligte und andere vulnerable
schaffen.                                                     Bevölkerungs­gruppen (Kapitel 5)
Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist, einen fun-
dierten Einblick in relevante Forschungsergebnisse          Forschungsergebnisse, die sich spezifisch auf die
für den Bereich Gesundheitsförderung und Präven-            Corona-Pandemie, also auf Inzidenzen, Morbidität,
tion zu geben. Der Schwerpunkt liegt auf der Evi-           Mortalität und den damit verbundenen Bevölke-
denz aus publizierten Arbeiten aus der Schweiz              rungsschutz beziehen, sind anderweitig publiziert
­bezogen auf das Jahr 2020. Wo Forschungslücken             und werden hier nicht aufgeführt.
 bestehen, wurden vereinzelt Publikationen aus dem          Die Analyse fokussiert auf die Zielgruppen der
 Ausland beigezogen. Viele Studien werden erst in           Gesundheitsförderung und Primärprävention, das
                                                            ­
 den kommenden Monaten und Jahren publiziert. Im            heisst auf die «Allgemeinbevölkerung» und ver-
 aktuellen Kontext, der von Un­sicherheit und raschen       schiedene in diesem Kontext relevante Bevölke-
 Veränderungen geprägt ist, erhebt das vorliegende          rungsgruppen.
 Arbeitspapier keinen Anspruch auf eine umfassen-           Bis im Dezember 2020 liess sich der Verlauf der
 de Analyse. Dennoch lässt sich aufgrund der aus-           Corona-­Pandemie für die Schweiz in verschiedene
 gewerteten Publikationen ein breit abgestütztes            Phasen einteilen, welche für die Analyse von Inte­
 erstes Bild zu den aufgeworfenen Fragestellungen           resse sind (Abbildung 1).
 zeichnen.

2 Es gibt unterschiedliche Begriffe zur Bezeichnung der Pandemie. In diesem Dokument werden zur besseren Lesbarkeit
   die Begriffe «Corona-Pandemie» oder kurz «Pandemie» verwendet. «COVID-19» wird verwendet, wenn von der Krankheit
   die Rede ist.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 7

ABBILDUNG 1

Für die Analyse relevante Phasen der Corona-Krise im Jahr 2020

  Zeitraum ausgewertete Forschungsergebnisse

                             «1. Welle»                                      «2. Welle»
  vor Corona                  Lockdown            Lockerungen über            regionale, nationale Verschärfungen
                                                  den Sommer                                             Impfungen …

   2019                                                2020                                                2021

               25.2.       16.3.          11.5.                           Oktober
            Erster Fall
           von COVID-19
          in der Schweiz

Eigene Darstellung

Da Studien in der Regel retrospektive Informa-                 sich dieser Einschränkungen bezüglich der Studien-
tionen liefern, bilden die Ende 2020 vorliegenden              ergebnisse bewusst zu sein. So wird in einem Fak­
Forschungsergebnisse noch nicht alle Phasen des                tenblatt des BAG darauf hingewiesen, dass Per­
bisherigen Pandemieverlaufs ab. Dieses Arbeits­                sonen, denen es körperlich oder seelisch nicht gut
papier reflektiert vorwiegend die Situation zwischen           geht – und dies womöglich verstärkt durch die
März und Anfang November 2020. Die Ergebnisse                  Corona-­Krise –, oft nicht die Energie haben, an Be-
können teilweise mit der Zeit «vor Corona» vergli-             fragungen teilzunehmen. [2] Gleichzeitig arbeiten
chen werden. Gegen Ende des Jahres spitzte sich                einige Studien mit ­  einer Selbsteinschreibung der
die Corona-Krise in der Schweiz und anderswo er-               Teilnehmenden und sind dadurch nicht statistisch
neut stark zu. Erste Forschungsberichte, in welchen            repräsentativ.
sich diese Veränderungen abzeichnen, wurden in die             Ebenfalls gilt es zu bedenken, dass im Arbeitspapier
Analyse einbezogen.                                            statistische Durchschnittswerte angegeben wer-
Viele der Studien geben die Resultate von Bevölke-             den. Wie immer gelten diese nicht pauschal für alle
rungsbefragungen wieder. Befragungsdaten kön-                  Zugehörigen der jeweiligen Gruppe. Deshalb wurde,
nen ein verzerrtes Bild zeichnen: manchmal zu                  soweit möglich, versucht, ein differenziertes Bild zu
­positiv, manchmal auch zu negativ. Es ist wichtig,            erstellen.
8   Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

2 Allgemeine Lebensqualität
Die Gesundheit und die Lebensqualität der Bevöl­           Wetter und die Jahreszeit, welche die Verletzlichkeit
kerung werden durch vielfältige Determinanten              und die Ressourcen im Umgang mit den gegebenen
beeinflusst. Im Kontext der Pandemie kommen spe-           Belastungen beeinflussen.
zifische Faktoren hinzu, so zum Beispiel die emp-          Die meisten Studien kommen zum Schluss, dass
fundene Bedrohung durch die Ausbreitung des Virus          die veränderte Situation bei vielen Menschen zu
und die Schwere der COVID-19-Erkrankungen oder             mehr Belastungen führte; gleichzeitig konnten sie
die Auswirkungen der angeordneten Massnahmen.              ihr jedoch auch positive Aspekte abgewinnen. Be-
Während der Pandemie wirken sich die individuelle          lastungen und Entlastungen können sich je nach
Lebenssituation sowie die persönlichen und die so-         den individuellen Merkmalen einer Person stark
zialen Ressourcen stark auf das Wohlbefinden der           unterscheiden. Die Bandbreite und die Vielfalt der
Menschen aus. In diesem Kapitel wird anhand aus-           Effekte werden im Folgenden anhand ausgewählter
gewählter Aspekte aufgezeigt, wie unterschiedlich          Beispiele dargestellt.
sich die Corona-Pandemie auf die Lebensqualität
der befragten Personen ausgewirkt hat.
Gemäss dem COVID-19 Social Monitor bewegte sich            ABBILDUNG 2
die Lebensqualität der befragten Erwachsenen trotz
Corona-Krise bisher bei einer Mehrheit auf hohem           Allgemeine Gesundheit und Lebensqualität,
Niveau (Abbildung 2). Im Lockdown und in der zwei-         Anfang April bis Anfang November 2020

ten Welle Anfang November gaben jeweils mindes-
tens 85 % der Befragten sowohl einen (sehr) guten                                             88,1
                                                           6. April
allgemeinen Gesundheitszustand als auch eine gute                                          85,8

oder sehr gute Lebensqualität an. Nach einer Erhö-                                            89,6
                                                           6. Mai
hung dieses Anteils auf etwa 90 % im Sommer lässt                                             87,2
sich seit Ende September eine leicht sinkende Ten-
                                                                                              87,9
denz in der subjektiven Lebensqualität beobachten.         22. Juli
                                                                                              89,7
[3] Zum Vergleich: In der Schweizerischen Gesund-
                                                                                              88,7
heitsbefragung (SGB) schätzten im Jahr 2017 rund           27. August
90 % der Befragten ihre Lebensqualität als gut bis                                            89,9

sehr gut ein. [4]                                                                         84,7
                                                           19. November
Gleichzeitig zeigt sich für eine kleinere, aber nicht                                     84,7
zu vernachlässigende Gruppe (rund 15 % bei der
                                                                        0%    20 %     40 %          60 %   80 %   100 %
Erhebung im November) eine weniger gute oder
­
gar schlechte Lebensqualität. Allerdings gilt es da-         nteil der Befragten mit einem (sehr) guten
                                                            A
bei nicht nur die analogen Werte vor der Pande-             allgemeinen Gesundheitszustand
mie zu beachten, sondern auch den Stellenwert von           A nteil der Befragten mit einer momentan (sehr) guten
                                                             Lebensqualität
pandemieunabhängigen Faktoren, wie zum Beispiel
psychische oder körperliche Erkrankungen, das
­Alter oder Geschlecht, die finanzielle Situation, den     Quelle: COVID-19 Social Monitor [5]

 Bildungsstand, die Berufsgruppe, aber auch das
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 9

2.1	Auswirkungen des Lockdowns auf                     es sich um eine Momentaufnahme handelt, die keine
     das Zusammen­leben in den Familien                 Generalisierung auf alle Bevölkerungsgruppen zu-
                                                        lässt. Nach dem Lockdown sanken die Werte wie-
Im Rahmen des COVID-19 Social Monitors wurden           der, blieben jedoch über dem Ausgangswert. [7] Ver-
Personen über 18 Jahre zu den Auswirkungen des          schiedene Branchen waren unterschiedlich stark
Lockdowns auf ihr Familienleben befragt. [6] Im         von Entlastungen respektive Belastungen betroffen.
Lockdown empfanden 15 % der Befragten das Zu-           Zu den arbeitstätigen Personengruppen, welche vor
sammenleben in der Familie bzw. Partnerschaft           allem negative Auswirkungen auf ihre Work-Life
als starke oder sehr starke Herausforderung. Die        Balance erlebten, gehörten insbesondere auch Per-
Pflege von Beziehungen schätzten in dieser Phase        sonen mit Betreuungsaufgaben im Haushalt, wie
35 % als herausfordernd ein. Insgesamt gaben 11 %       zum Beispiel Familien mit kleineren Kindern oder
an, während des Lockdowns unter Einsamkeits­            betreuende Angehörige, sowie Alleinerziehende. Sie
gefühlen gelitten zu haben. Für die Befragten mit       waren während des Lockdowns einer starken Mehr-
Kindern im eigenen Haushalt stellte bei 35 % die        fachbelastung ausgesetzt. [8, 9]
Kinderbetreuung und bei 40 % das Homeschooling
eine Herausforderung dar. Die Kombination von
Arbeit und Privatleben erlebten 21 % der Erwerbs­       2.3	Auswirkungen der Corona-Pandemie auf
tätigen als herausfordernd. Abgesehen von den Ein-           die Generationenbeziehungen
samkeitsgefühlen, welche seither nur wenig zurück-
gingen, zeigte sich für die erwähnten Belastungs-       Die aktuelle Ausgabe der Studie «Generationen­
faktoren nach Aufhebung des Lockdowns bereits im        barometer» basiert auf einer nationalen Befragung
Frühsommer wieder eine klare Abnahme. Angaben           von Anfang September 2020. [10]
zu positiven Auswirkungen auf Familien im Lock-         Die Ergebnisse zur Lebenszufriedenheit decken sich
down finden sich in den anderen Kapiteln.               mit denen anderer Studien aus den Zeiten vor
                                                        ­Corona: Die heute über 75-Jährigen, die sogenannte
                                                         Baby­  boomer-Generation, gaben von allen Alters-
2.2	Auswirkungen des Lockdowns auf                      gruppen die grösste Lebenszufriedenheit an. Der ak-
     die Work-Life Balance                               tuelle Generationenbarometer zeigt ein Hoffnungs-
                                                         defizit unter den jungen Erwachsenen: 42 % gaben
Eine Längsschnittstudie, welche die erhobenen           im September 2020 an, dass es ihnen in ihrem Le-
Werte mit Voruntersuchungen aus dem Jahr 2019            ben an Hoffnung und Zuversicht mangle. Allerdings
vergleichen konnte, kam zum Ergebnis, dass sowohl        ist die Pandemie bei weitem nicht die alleinige Ur­
die Work-Life Balance generell als auch die Aspekte      sache für diese Gefühlslage. Sie verstärkt diese
berufliches Engagement und berufliche Zufrieden-         ­Gefühle aber gemäss den Angaben der Befragten.
heit sich während des Lockdowns verbesserten – und        Die Auswirkungen der Pandemie auf das Generatio-
zwar nicht nur für die Personen, die im Homeoffice        nenverhältnis werden unterschiedlich eingeschätzt.
arbeiteten, sondern insgesamt. Arbeitsbelastungen         Ein Drittel (32 %) der Befragten ging davon aus, dass
wie Zeitdruck oder Überforderung konnten vielfach         sich die Pandemie eher negativ auf das Generatio-
reduziert und Arbeitsressourcen wie Autonomie,            nenverhältnis auswirke, 16 % sahen vor allem posi-
soziale Unterstützung und Entwicklungsmöglich-            tive und 26 % neutrale Auswirkungen der Pandemie
keiten gestärkt werden. Allerdings wird betont, dass    auf das Verhältnis zwischen den Generationen. [10]
10 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

2.4	Auswirkungen der Pandemie auf                            deutliche «Mehr an Solidarität in den Gemeinden»
     die Schweizer Gemeinden                                  in den ersten Monaten der Pandemie fällt auf. Der
                                                              beobachtete «Ansturm auf die Natur» stellt für
Im August 2020 stellte die Zeitschrift «Schweizer             gewisse Gemeinden ein Problem im Hinblick auf
                                                              ­
Gemeinde» sämtlichen Gemeinden im Land Fragen                 unerwünschte Menschenansammlungen dar und
                                                              ­
zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Aus                  belastet die lokale Umwelt. Gleichzeitig bedeutet
den über tausend eingegangenen Antworten gehen                diese Entwicklung im positiven Sinne auch mehr
sowohl Herausforderungen als auch positive Aus-               ­Bewegung und Begegnung an der frischen Luft.
wirkungen hervor (Abbildung 3). Insbesondere das

ABBILDUNG 3

Negative und positive Auswirkungen von Corona auf die Gemeinden

In welchem Bereich hat Corona in Ihrer Gemeinde negativ gewirkt?

     Mehr Arbeitslosigkeit/Sozialhilfebeziehende

                    Konkurse (lokales Gewerbe)

                          Mehr häusliche Gewalt

                  Mehr Nachbarschaftskonflikte

                          Ansturm auf die Natur

                                  Mehr Littering

                                        Anderes

                                              0%           20 %          40 %          60 %          80 %          100 %

Vor allem von kleineren Gemeinden werden der Ansturm auf die Natur und mehr Littering beklagt. Auch Arbeitslosigkeit
und Sozialhilfe steigen (918 Teilnehmende).

In welchem Bereich hat Corona in Ihrer Gemeinde positiv gewirkt?

                     Mehr Nähe zur B
                                   ­ evölkerung

       Mehr Wertschätzung aus der Bevölkerung

                Mehr Solidarität in der Gemeinde

                                     Mehr Ruhe

                      Weniger Umwelt­belastung

                               Weniger Littering

                                        Anderes

                                              0%           20 %          40 %          60 %          80 %          100 %

Positiv vermerkt werden Werte wie mehr Solidarität in der Gemeinde und mehr Nähe zur Bevölkerung (956 Teilnehmende).

Quelle: «Schweizer Gemeinde 10/2020» [10]
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 11

3 Psychische Gesundheit
Im aktuellen Kontext stellt sich die zentrale Frage     hoch war. Es existiere jedoch kein einheitliches
nach den Auswirkungen der Pandemie auf die psy-         ­psychisches Reaktionsmuster auf die Krise. Wie in
chische Gesundheit der Bevölkerung. Es liegen dazu       ­Kapitel 3.2 weiter ausgeführt, bewegen sich die Indi-
bereits viele publizierte Studien aus der Schweiz         katoren zur psychischen Gesundheit je nach Perso-
vor. Diesem Schwerpunktthema der Gesundheitsför­          nengruppe auf unterschiedlichem Niveau. Beispiels-
derung und Prävention wird auch im vorliegenden           weise haben Frauen oder Personen mit Migrations-
Arbeitspapier ein hoher Stellenwert eingeräumt.           erfahrung im Kontext der Pandemie im Durchschnitt
Im Folgenden wird zuerst auf die Auswirkungen             ein höheres Stressempfinden und Alleinlebende
der Pandemie auf die psychische Gesundheit der            eine tiefere Lebensqualität. [8]
Allgemeinbevölkerung eingegangen. Danach wird             Zusätzlich zur Bedeutung absoluter/relativer Zah-
analysiert, welche Bevölkerungsgruppen gemäss             len zu einem bestimmten Zeitpunkt sind vor allem
den vorliegenden Forschungsergebnissen psychisch          Trends über die Zeit von Interesse, speziell dann,
überdurchschnittlich stark belastet sind. Es folgen       wenn sie innerhalb von Studien festgestellt werden,
Angaben zu Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten           die periodisch mit denselben Fragestellungen wie-
von Corona und abschliessend ausgewählte For-             derholt werden.
schungsergebnisse zur Entwicklung des Suchtver-           Erste Pandemiewelle: Eine nationale Befragung
haltens im Kontext der Pandemie.                        im Rahmen der Swiss Corona Stress Study ergab,
                                                        dass sich im Lockdown knapp die Hälfte der Teil­
                                                          nehmenden gestresster fühlte als vor der Corona-­
3.1	Psychische Gesundheit und Einsamkeits­               Krise. Zu den Haupttreibern der Stresszunahme
     gefühle der Allgemeinbevölkerung                     zählten Belastung durch Veränderungen bei der
                                                          Arbeit oder Ausbildung sowie Belastung durch das
Bevölkerungsdaten vor Corona: Obgleich wegen              eingeschränkte Sozialleben und durch die Kinder-
unterschiedlicher Erhebungsmethoden kein direk-           betreuung. Gleichzeitig fühlten sich 26 % der Be-
ter Vergleich möglich ist, sollten die während der        fragten im Lockdown weniger gestresst als vor der
Pandemie erhobenen Zahlen in Bezug zu den Zahlen          Krise. [12]
vor 2020 gesetzt werden. So gaben zum Beispiel            Zweite Pandemiewelle: Gemäss einer anderen
2017 im Rahmen der Schweizerischen Gesundheits-           ­Bevölkerungsbefragung stuften die Teilnehmenden
befragung rund 15 % der Bevölkerung eine mitt-             ihr «aktuelles Befinden aufgrund der aktuellen Situ-
lere bis starke psychische Belastung an. Spezifisch        ation» im Zuge der zweiten Pandemiewelle auf einer
nach Depressionssymptomen gefragt, berichtete              Skala von 1 bis 10 im Mittel bei 6,4 ein. Rund 15 % der
im selben Jahr über ein Drittel der Bevölkerung            Befragten fühlten sich Ende Oktober schlecht bis
von Symptomen: rund 3 % (eher) schwere, 6 % mit-           sehr schlecht. Damit befand sich die Stimmungs­
telschwere und 26 % leichte Symptomatik. Ebenso            lage nach einer Verbesserung über die Sommer­
gaben 5 % der Befragten «ziemlich oder sehr häu­           monate wieder auf ähnlichem Niveau wie zu Beginn
fige» Einsamkeitsgefühle an. Zu Zeiten vor Corona          der Pandemie im März 2020. [13]
litten junge Menschen häufiger unter Einsamkeits-          Dass die psychische Resilienz einer Mehrheit der
gefühlen als die älteren. [4]                              Bevölkerung zwar über den bisherigen Pandemie-
Im Kontext von Corona: Ein im November publizier-          verlauf auf hohem Niveau blieb, gegen Ende des
ter Synthesebericht zum Einfluss der Pandemie auf          Jahres aber schwächer wurde, zeigt auch die
die psychische Gesundheit der Bevölkerung kam              ­neueste Erhebung der Swiss Corona Stress Study
zum Schluss, dass die Mehrheit der Bevölkerung              vom November 2020. Rund 47 % der Befragten
in der Schweiz die Krise bis dahin gut zu bewälti-          ­berichteten über eine Zunahme, 12 % über eine Ab-
gen schien und die Lebenszufriedenheit insgesamt             nahme des empfundenen Stresses im Vergleich zur
12 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

Situation vor der zweiten Welle im September. Der               zwischen April und Mitte November bei Personen
Anteil ­derer, die ihren Stresslevel als «sehr hoch»            mit und ohne psychiatrische Diagnose. Bei den Be-
einstuften, hat sich bei den Befragten dieser Studie            fragten mit einer psychiatrischen Diagnose sind die
im Vergleich zum Lockdown beinahe verdoppelt (von               Indikatoren zur psychischen Gesundheit über die
11 % im April auf 20 % im November). Gleichzeitig               ganze Pandemiedauer schlechter und der Trend
gab knapp ein Viertel der Befragten im November                 gegen Ende Jahr ist ausgeprägter. In der ersten
                                                                ­
während der zweiten Pandemiewelle keinen oder                   November­  hälfte, nach der Verhängung von ver-
geringen Stress (Level 1) 3 an. Ihr Anteil sank im Ver-         schärften Massnahmen am 29. Oktober, gaben 26 %
gleich zum Frühjahrs-Lockdown. Zu den Stressoren                der Befragten mit psychiatrischen Diagnosen an,
der ersten Welle kamen gemäss dieser Studie in der              (sehr) häufig gestresst zu sein, im Vergleich zu 9 %
zweiten Welle eine Zunahme der Konflikte zu Hause               bei den Befragten ohne psychiatrische Diagnose.
und Zukunftsängste hinzu. [14]                                  Über hohe psychische Belastung berichteten 21 %
Über den Verlauf der Pandemie berichtete ein stei-              der Befragten mit und 6 % der Befragten ohne psy-
gender Anteil von Befragten über schwere depres-                chiatrische Diagnose. [3]
sive Symptome («moderately severe» plus «severe»:               Einsamkeit gilt als Risikofaktor für die psychische
9 % im April, 18 % im November). Allerdings verteilt            Gesundheit. Sie stellt, wie zu Beginn des Kapitels
sich dieser Anteil nicht homogen über die Bevölke-              erwähnt, auch unter normalen Bedingungen ein
rung. Er wird besonders durch eine Verschlechte-                Problem dar. Während der Pandemie haben sich die
rung der psychischen Gesundheit in den folgenden                Einsamkeitsgefühle verstärkt. Sie korrelieren stark
Subgruppen erklärt: Personen mit vorbestehenden                 mit dem Ausmass der jeweils geltenden Einschrän-
psychiatrischen Erkrankungen; junge Menschen                    kungen und den individuellen Lebenssituationen.
zwischen 14 und 24 Jahren, welche die höchste Prä-              Während des Lockdowns gaben mehr als 8 % der
valenz aller Altersgruppen aufwiesen; Personen mit             Befragten an, sich (sehr) häufig einsam zu fühlen.
geringen finanziellen Reserven respektive starken              In den Sommermonaten sank dieser Anteil auf 3 %.
finanziellen Einbussen durch die verhängten Mass-              Im Herbst zeigte sich gemäss den Ergebnissen des
nahmen; Personen aus der französischsprachigen                 ­COVID-19 Social Monitors erneut eine Zunahme auf
Schweiz, welche zu Beginn der zweiten Pandemie-                 7 %. [3] Die meisten Menschen haben jedoch einen
welle stärker betroffen war als die übrige Schweiz              vertrauten Menschen, mit dem sie in der Krise spre-
[14] (siehe auch Kapitel 5.2 mit Angaben zu den be-             chen können. Auch würde die grosse Mehrheit eine
treuenden Angehörigen).                                         Person in ihrem Umfeld darauf ansprechen, wenn
Befragungsergebnisse des COVID-19 Social Moni-                  diese verzweifelt wirkt. [2] Speziell bei den Einsam-
tors bestätigen den auch in der Swiss Corona Stress             keitsgefühlen sagen diese allgemeinen Zahlen je-
Study beobachteten Einfluss von vorbestehenden                  doch wenig aus. Sie werden auch durch pandemie­
psychischen Problemen. Abbildung 4 präsentiert                  unabhängige Faktoren, wie zum Beispiel saisonale
den Verlauf der Faktoren Lebensqualität, Stress und             Effekte, beeinflusst und belasten verschiedene Be-
hohe psychische Belastung über die Pandemie­dauer               völkerungsgruppen unterschiedlich stark.

3 Gemäss Abbildung 2a, «Stress levels before and during each pandemic wave», S. 22 in Quelle [14].
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 13

        ABBILDUNG 4

   Lebensqualität, Stress und psychische Belastung nach psychiatrischer Diagnose gemäss Befragungsergebnissen
   des COVID-19 Social Monitors zwischen Anfang April und Mitte November 2020

                                                                          (Sehr) hohe Lebensqualität

                                                                                           92             92        91       92
                  90                                                        91
                                         90          90       89                                                                      90
                            87                                                                                                                 87

                  80
% der Befragten

                                                                                                                    76

                                         73          73
                  70                                          71                           71             71                          69
                                                                            70
                               69
                                                                                                                             65
                                                                                                                                               64
                  60

                  50
                          14           15          16        18           20             22              25        29       34       40       46
                                                                                    Kalenderwochen

                                                                               (Sehr) häufig gestresst
                  40

                  30
                               28
% der Befragten

                                                                                              24                                                   26
                                                              21                                              22
                  20                                                                                                                  21
                                         17
                                                                               18
                                                                                                                             16
                               11                       14
                                                                                                                    13
                  10
                                            8
                                                                                                                                                   9
                                                                               7              6               6         7    7            7
                                                        6     6

                   0
                          14           15          16        18           20             22              25        29       34       40       46
                                                                                    Kalenderwochen

                                                                       Hohe psychische Belastung (MHI-5)

                  30

                                                                  24
                            21              21                                             21                                                  21
                                                                                                          20                 20
% der Befragten

                  20
                                                                            19
                                                        17                                                                            17
                                                                                                                    16

                  10

                            6
                                            5                                                                                                      5
                                                                  5         5              4                            4                 5
                                                        4                                                     4                  4
                   0
                          14           15          16        18           20             22              25        29       34       40       46
                                                                                    Kalenderwochen

                  Ohne psychiatrische Diagnose (N = 1778)    Öffnung Schulen/Läden am 11. Mai
                  Mit psychiatrischer Diagnose (N = 212)     Verschärfte Massnahmen am 29. Oktober

   Quelle: COVID-19 Social Monitor [3]
14 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

3.2	Psychisch besonders belastete                         ­ rössere Schwierigkeiten gehabt zu haben; zum
                                                           g
     Bevölkerungs­gruppen                                  anderen wurde vor allem kurz nach dem Lock-
                                                           down von Schwierigkeiten und Verhaltensauffäl-
Verschiedene Studien kommen zu ähnlichen Schlüs-           ligkeiten der Kinder berichtet. Insgesamt, so
sen bei der Frage nach den Bevölkerungsgruppen,            schliessen die Autorinnen der Studie, konnte die
deren psychische Gesundheit in Zeiten der Pande-           Mehrheit der Kinder die Situation rund um die
mie besonders verletzlich ist.                             Corona-Pandemie jedoch gut bewältigen. [16]

Psychisch besonders belastete Bevölkerungs-              Aus mehreren Befragungen geht hervor, dass sich
gruppen                                                  jüngere Personen (insbesondere die unter 30-Jähri-
• Personen aus sozial benachteiligten und ande-          gen) durch die Auswirkungen der Pandemie stärker
  ren vulnerablen Bevölkerungsgruppen sind               psychisch belastet fühlen als die älteren Menschen
  überdurchschnittlich stark belastet (weitere An-       (65+). [8, 14, 15, 17]
  gaben in Kapitel 5).                                   • Jugendliche und junge Erwachsene: Mehrere
• Generell ein höheres Stressniveau und erhöhte             Studien berichten von starken Auswirkungen
  psychische Belastung finden sich bei Personen             der verhängten Massnahmen auf das psychische
  mit vorbestehenden psychiatrischen Diagnosen              Wohlbefinden von jüngeren Menschen. Als Ur­
  (weitere Angaben in Kapitel 3.1 und Abbildung 4).         sache werden unter anderem die Schulschlies-
• Alleinlebende und sozial isolierte Personen               sungen, Ausgangsbeschränkungen, fehlende
  sind in der Pandemie psychisch stärker belastet.          Freundschaftsbeziehungen während des Lock-
  Personen, die alleine leben, waren im Lock-               downs oder unsichere schulische und beruf-
  down besonders stark von Einsamkeit betroffen:            liche Perspektiven angeführt. Besonders im
  19 % gaben an, sich (sehr) häufig einsam zu               Lockdown waren die emotionalen Probleme
  ­fühlen, im Vergleich zu 5 % bei den nicht Allein­        bei Jugendlichen ausgeprägt, während jüngere
  lebenden. [3]                                             Erwachsene im Alter zwischen 18 und 29 Jah-
• Betreuende und pflegende Angehörige und                   ren gemäss den Ergebnissen des COVID-19 Social
   Young Carers (weitere Angaben in Kapitel 5.2).           Monitors mit 16 % besonders häufig von Einsam-
• Zu weiteren Bevölkerungsgruppen mit mögli-                keit betroffen waren. [3] In der November-Erhe-
   cherweise erhöhter psychischer Belastung                 bung der Swiss Corona Stress Study berichteten
   liegen aus der Schweiz noch keine empirischen            überdurchschnittlich viele der über 14-jährigen
   Ergebnisse vor. In der Literatur und durch Ex­           Schülerinnen und Schüler, Studierenden und
   pertinnen und Experten werden unter anderem              Ler­nenden über einen «sehr hohen» Stresslevel,
   folgende Bevölkerungsgruppen genannt: die                Tendenz zunehmend seit dem Lockdown. [14]
   durch COVID-19 «besonders gefährdeten Perso-             Zu beachten gilt es bei dieser Altersgruppe, dass
   nen», Personen in Quarantäne, Angehörige von             gemäss einer noch unveröffentlichten Studie
   an C
      ­ OVID-19 Erkrankten, Personen mit Behinde-          fast die Hälfte (45 %) der 15- bis 25-Jährigen keine
   rungen, Obdachlose oder Personen in Flücht-             ­Anlaufstelle kennen, an die sie sich in Notlagen
   lingsunterkünften, Personen in Heimen oder Ge-           wenden können. [18] Gemäss einer Studie aus dem
   fängnissen usw. [8]                                      Kanton Zürich hat der Lockdown nach Angaben
                                                            der befragten Jugendlichen neben vielen Belas-
Belastung nach Altersgruppen                                tungen auch zu positiven Auswirkungen g   ­ eführt.
• Kinder: Befragte Eltern gaben im Lockdown er-             Sie berichteten über eine Zunahme der elterli-
 höhte Unruhe und Hyperaktivität sowie häufigere            chen Zuwendung und mehr gemein­same Unter-
 Wutanfälle und Gereiztheit bei Kindern an. [15]            nehmungen mit der Familie. [19]
 Die Studie «Kinderleben zu Corona-Zeiten» kam           • Ältere Menschen: Bei hochaltrigen Menschen
 zum Ergebnis, dass ein bedeutender Teil der                spielen gesundheitliche Vorerkrankungen,
 ­Kinder während des Lockdowns Schwierigkeiten              fehlende soziale Einbettung und Isolation sowie
  hatten, die auch für die Familien belastend wa-           das Befürchten einer schlechten Behandlungs­
  ren. Dabei fielen vor allem zwei Befunde auf: Zum         qualität bei Versorgungsengpässen eine wichtige
  ­einen scheinen ältere Kinder (über 9 Jahre)              Rolle für das Ausmass der empfundenen psy­
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 15

 chischen Belastung. Ältere Menschen unter 75            Individuelle Risikofaktoren für die psychische Ge-
 fühlten sich hingegen besonders belastet durch          sundheit während der Pandemie [8, 12, 17]:
 die zu Beginn der Pandemie gebräuchliche und            • Angst vor dem Virus;
 aus ihrer Sicht undifferenzierte Klassifizierung        • prekäre finanzielle Situation;
 aller über 65-Jährigen als «Risikogruppe». [8]          • Unsicherheiten in Zusammenhang mit der
 39 % der im Generationenbarometer befragten               Arbeits­stelle;
 65- bis 74-Jährigen gaben an, dass sie sich in          • Probleme mit der Vereinbarkeit zwischen Familie
 der ersten Pandemiewelle durch die verhängten             und Beruf während des Lockdowns;
 Massnahmen aufgrund ihres Alters diskriminiert          • Abwesenheit der unten genannten Schutz­
 fühlten. [10] Der COVID-19 Social Monitor zeigt,          faktoren.
 dass Einsamkeitsgefühle bei älteren ­Menschen
 nicht nur während des Lockdowns, sondern                Individuelle Schutzfaktoren für die psychische Ge-
 auch gegen Ende des Jahres ein grosses Problem          sundheit während der Pandemie [8, 12, 17]:
 darstellten. Die Ergebnisse aus der Befragungs-         • körperliche Aktivität;
 runde Anfang November zeigen4: über 50 % gaben          • positives Denken, Gefühl von Selbstwirksamkeit,
 an, dass ­Gesellschaft fehle, etwa 25 % hatten            Autonomie, hohe Kontrollüberzeugung;
 das Gefühl von Ausgeschlossensein und knapp             • hohe Anpassungsfähigkeit/psychische Flexibilität;
 40 % fühlten sich isoliert. [5]                         • empfundene (soziale) Unterstützung durch
                                                           die Familie, Freundinnen und Freunde, Organi­
Unterschiedliche Belastung in den verschiedenen            sationen und Behörden;
Sprachregionen                                           • Ausüben von Hobbys oder Umsetzung eigener
Aus den vorliegenden Studien­   ergebnissen lassen         Projekte;
sich keine eindeutigen Schlüsse bezüglich signifi-       • Vertrauen in die staatlichen Institutionen.
kanter Unterschiede der psychischen Belastung in
der Pandemie zwischen den Sprachregionen ziehen.
Während in einigen Studien gewisse Unterschiede          3.4	Entwicklung des Suchtverhaltens
festgestellt wurden [13, 14], wird mehrfach darauf
hingewiesen, dass die psychische Belastung auch          Surfen im Internet, Gamen und Online Gambling
im Zusammenhang mit den regionalen Fallzahlen            Gefragt nach einer Verhaltensänderung im Lock-
steht. Zudem bestehen auch in normalen Zeiten            down im Vergleich zur Zeit vor Corona gab rund ein
­Unterschiede bei der angegebenen psychischen Be-        Fünftel der im Rahmen des COVID-19 Social Moni-
 lastung je nach Sprachregion. [4]                       tors Befragten einen deutlich höheren Informa­
                                                         tionsmedienkonsum und ein Zehntel einen erhöhten
                                                         Unterhaltungsmedienkonsum an. Dies wird auf
3.3	Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten                das erhöhte Informationsbedürfnis und die einge-
     von Corona                                          schränkte Mobilität zurückgeführt. Ein Viertel der
                                                         Kinder konsumierte während des Lockdowns ge-
Die psychische Gesundheit steht auf der individuel-      mäss den Auskünften ihrer Eltern mehr Unter­
len Ebene in einem dynamischen Gleichgewicht zwi-        haltungsmedien. Eine Mehrheit der Befragten be-
schen Belastungen einerseits und inneren und äus-        richtete jedoch von keinen deutlichen Veränderungen
seren Ressourcen andererseits. [20] Neben den            in den Bereichen Internet Surfing, Gamen und On-
schon gut untersuchten Risiko- und Schutzfaktoren        line Gambling. 10 % der Erwachsenen gaben an, im
für eine gute psychische Gesundheit [4] und den          Lockdown deutlich mehr im Internet gesurft zu ha-
in Kapitel 3.2 aufgezeigten Belastungsfaktoren wer-      ben – diese Veränderung war am ausgeprägtesten
den im Zusammenhang mit der Pandemie und ins-            bei der Altersgruppe der unter 30-Jährigen. [3, 6, 21]
besondere der Situation im Lockdown die folgenden        Zwischen Ende Mai und Anfang Oktober fanden sich
Faktoren hervorgehoben:                                  relativ konstante Verläufe bei den Werten für mehr-

4 Antwortoptionen «manchmal» und «häufig» zusammengezählt.
16 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

mals täglich «Surfen im Internet» und «Gamen»            ton Zürich, welche das Ergebnis von sinkendem
und mehrmals wöchentlich «Online Gambling».              ­Alkohol- und Drogenkonsum bei den Befragten mit
Allerdings wird ein Zusammenhang zwischen deut-           der Tatsache in Verbindung brachte, dass Jugend­
lich mehr Gaming und einer hohen psychischen Be-          liche im Lockdown weniger Zeit mit Peers verbrach-
lastung beobachtet [21], wobei keine Aussagen zur         ten und die Erwachsenenkontrolle höher war. [19]
Wirkungsrichtung gemacht werden können.                   Die Studie von M.I.S. Trend berichtet über einen An-
                                                          stieg des Zigarettenkonsums im Lockdown bei den
Suchtmittelkonsum                                         erwachsenen Rauchenden. [22] Nach dem Lock-
Der Suchtmittelkonsum (Tabak, Alkohol und «an­            down verstärkte sich bei den Befragten des C
                                                                                                     ­ OVID-19
dere») sank im Lockdown gemäss Angaben des                Social Monitors der Trend zu reduziertem Sucht­
­COVID-19 Social Monitors bei 18 % der erwachsenen        mittelkonsum weiter. [6] Gemäss aktuellen Ergeb-
 Befragten, während er lediglich bei 2 % anstieg. [6]     nissen dieser Studie gibt es zudem keine Hinweise
 Dies dürfte unter anderem auf die starke Abnahme         darauf, dass die Pandemie die regelmässige Ein-
 von sozialen Aktivitäten und Veranstaltungen zu-         nahme von Beruhigungs- oder Schlafmitteln ver-
 rückzuführen sein. Zu einem ähnlichen Ergebnis           stärkt hätte. [21]
 kam auch die Befragung von Jugendlichen im Kan-
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 17

4 Bewegung und Ernährung
Neben der psychischen Gesundheit stellen die Be-              völkerung (etwa 3 %) verliess zu Beginn des Lock-
reiche Bewegung und Ernährung Schwerpunkt­                    downs die Wohnung innerhalb einer Woche nie. Zu-
themen der Gesundheitsförderung dar. Hierzu liegen            dem stieg der Anteil der physisch Inaktiven 5 in jener
aus der Schweiz bisher vor allem Forschungsergeb-             Phase auf 19 %. [3] Die Schliessung von Fitness­
nisse mit Relevanz zum Thema Bewegung für die                 zentren und fehlende Club-Aktivitäten trugen mit
Altersgruppe der über 18-Jährigen sowie für den               zur beobachteten Abnahme der Sportaktivitäten
Zeitraum des Lockdowns vor.                                   bei. [15] Das Bewegungsverhalten der Kinder verän-
Die Studie von M.I.S. Trend untersuchte das Ver­              derte sich im Lockdown analog demjenigen der Er-
halten der Bevölkerung während des Lockdowns. In              wachsenen. 22 % der Kinder bewegten sich gemäss
dieser Phase wurden Veränderungen im Bereich                  Einschätzung ihrer Eltern deutlich weniger, 7 %
der körperlichen Aktivität und der Essgewohnheiten            deutlich mehr als vor dem Lockdown. [6]
vor allem bei den unter 45-Jährigen beobachtet.               Im Laufe des Lockdowns und vor allem seit den
Die ältere Bevölkerung (in dieser Studie die über             ­Lockerungen Ende Mai verbesserte sich die Situa­
60-Jährigen) änderte ihre Lebens­gewohnheiten ver-             tion ­jedoch rasch. [3] In der zweiten Pandemiewelle
gleichsweise wenig. Zudem wurden kaum signifi-                 im Herbst stieg die körperliche Inaktivität erneut
kante Unterschiede zwischen den Sprachregionen                 leicht an (auf etwa 16 %), was aber auch auf saiso­
gefunden. Allerdings wird auf ein Stadt-Land-Gefälle           nale Effekte zurückgeführt wird [3] (Abbildung 5).
hingewiesen. In urbanen Zentren hat sich die Pan-              Eine Online-Befragung bei älteren Menschen zwi-
demie gemäss Angaben der Befragten deutlich ne-                schen 65 und 87 Jahren untersuchte das Nutzungs-
gativer auf die Lebensweise ausgewirkt als in länd-            verhalten von Frei- und Grünräumen während des
licheren Regionen. Dies galt insbesondere für die              Lockdowns. Bei rund 35 % der Befragten reduzierte
Essgewohnheiten, die verminderte körperliche Ak-               und verkürzte sich deren Nutzung, während sie bei
tivität sowie den erlebten Stress. [22]                        29 % zunahm. Die Mobilität verschob sich von den
                                                               sonst populären entfernteren Ausflugszielen ins nä-
                                                               here Wohnumfeld. Die Befragung ergab, dass die
4.1   Bewegungsverhalten                                       ältere Bevölkerung die Schliessung der Ausflugs­
                                                               lokale als eine der stärksten Einschränkungen
Gemäss Angaben des Bundesamts für Statistik wa-                empfand. Befragte hoben gleichzeitig hervor, dass
ren vor Corona etwa 8 % der Bevölkerung körperlich             der Besuch der Frei- und Grünräume ihnen helfe,
inaktiv. [23] Im COVID-19 Social Monitor gaben 22 %            positive Gefühle zu schaffen und den Tag abwechs-
der erwachsenen Befragten an, sich im Vergleich                lungsreich zu gestalten. Die Intensität der Natur­
zur Zeit vor Corona während des Lockdowns weni-                erlebnisse, wie zum Beispiel das Erleben von Düf-
ger bewegt zu haben. Gleichzeitig gaben 7 % einen              ten, die neu entstandene Ruhe oder die bessere Luft
gegenteiligen Effekt an: sie bewegten sich mehr als            wurden im Lockdown ebenfalls häufig als positive
vorher. [6] Ein kleiner, aber relevanter Anteil der Be-        Auswirkungen erwähnt. [24]

5 Physisch Inaktive: an keinem Tag einer Woche «insgesamt 30 Minuten oder länger körperlich aktiv, sodass Sie zumindest
   etwas stärker atmen mussten».
18              Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung

        ABBILDUNG 5

   Physische Inaktivität während der letzten 7 Tage zwischen Anfang April und Mitte November 2020, erwachsene Befragte

                                                                Physische Inaktivität (letzte 7 Tage)

                  20

                              19
% der Befragten

                                       16
                                                                                                                                    16
                  15                              14
                                                           13
                                                                                                                        14
                                                                        13                                     13
                                                                                                12

                                                                                    11
                                                                                                         11
                  10

                         14          15         16        18       20             22          25        29    34      40       46
                                                                             Kalenderwochen

                  Öffnung Schulen/Läden am 11. Mai
                  Verschärfte Massnahmen am 29. Oktober

   Quelle: COVID-19 Social Monitor [15]

   4.2                 Ernährungsverhalten                                         schieben. Dies wirkte sich gemäss der Studie von
                                                                                   M.I.S. Trend auf die tatsächliche oder wahrgenom-
   Während des Lockdowns ergaben sich gemäss Ein-                                  mene Gewichtszunahme der Befragten während
   schätzungen der im COVID-19 Social Monitor Be-                                  des Lockdowns aus. Als positive Entwicklung wird
   fragten sowohl bei den Erwachsenen als auch bei                                 in dieser Studie erwähnt, dass viele im Lockdown
   deren Kindern keine markanten Veränderungen im                                  ihre «Kochkünste» entdeckt oder vermehrt genutzt
   Ernährungsverhalten. Eine Mehrheit behielt ihre                                 haben. Die Befragten kochten öfters zu Hause und
   Essgewohnheiten bei. [6] Konstatierte kleinere Ver-                             widmeten der Zubereitung der Mahl­     zeiten mehr
   änderungen betrafen gemäss einer anderen Studie                                 Zeit. Gemäss der Befragung wurden während des
   zum Beispiel die Tendenz, grössere Portionen zu                                 Lockdowns gesunde Lebensmittel wie Früchte und
   konsumieren, häufiger Snacks zwischen den Mahl-                                 Gemüse, genauso wie süsse und sal­zige Snacks, so-
   zeiten einzunehmen sowie die Essenszeiten zu ver-                               wie hausgemachtes Brot vermehrt gegessen. [22]
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung 19

5	Sozial benachteiligte und andere
   vulnerable Bevölkerungsgruppen
Verschiedene Studien aus dem In- und Ausland wei-         stützung bei Schularbeiten, die Unmöglichkeit,
sen darauf hin, dass sich die Pandemie auf ver­           den anderen Elternteil zu besuchen, oder durch
letzliche Subgruppen der Bevölkerung besonders            eine erhöhte Gefährdung bei einer COVID-19-
belastend auswirkt. Gleichzeitig wird auch aus die-       Erkrankung des erziehenden Elternteils.
sen Bevölkerungsgruppen vereinzelt von positiven        • Fremdplatzierte und sonderpädagogisch ge­
Auswirkungen berichtet. In diesem Kapitel wird der        förderte Kinder: Die Pandemie hat erhebliche
Fokus auf zwei dieser Gruppen gerichtet: auf sozio­       Auswirkungen auf fremdplatzierte und sonder­
ökonomisch benachteiligte Familien – mit und ohne         pädagogisch geförderte Kinder. Die Umstellung
Migrationshintergrund – sowie auf die betreuenden         des Alltags und die aktuelle Unsicherheit kön-
Angehörigen und Young Carers. Viele der Angaben           nen schwerwiegende Folgen für junge Menschen
beziehen sich auf die Phase des Lockdowns, da für         haben und zu Spannungen führen [27], sowohl
die Zeit danach noch wenig publiziert wurde. Zum          in den Heimen als auch mit den Eltern. Fachper-
Themenbereich der betreuenden Angehörigen wur-            sonen bemängeln, dass bei den Corona-Mass-
den Studien aus dem Ausland beigezogen, da noch           nahmen zum Schutz vor Infektionen deren Kon-
keine Forschungsergebnisse aus der Schweiz vor-           sequenzen auf der sozialen und psychischen
liegen.                                                   Ebene zu wenig mitbedacht wurden. In diesem
                                                          Zusammenhang wird unter anderem das Be-
                                                          suchsverbot von Menschen mit Behinderungen
5.1	Auswirkungen auf Familien mit besonderen             in Heimen als problematisch angesehen. [8]
     Herausforderungen                                    Da viele Tages­einrichtungen und Förderangebote
                                                          während des Lockdowns geschlossen wurden,
Bei sozioökonomisch benachteiligten Familien sind         waren zudem viele zu Hause lebende Kinder mit
Belastungsfaktoren wie prekäre Lebens- und Ar-            Beeinträch­tigungen von der gewohnten schuli-
beitsverhältnisse, eine schwierige finanzielle Situa-     schen Förderung ausgeschlossen.
tion, fehlende soziale Unterstützung und beengte        • Kinder aus armutsbetroffenen Familien: Rund
Wohnverhältnisse besonders ausgeprägt. Kinder             70 000 Kinder und Jugendliche in der Schweiz
und Jugendliche aus benachteiligten Familien sind         ­waren 2014 von absoluter Armut betroffen. [26]
deshalb tendenziell stärker von der Pandemie und           Kinder aus armutsbetroffenen Familien leben
deren negativen Auswirkungen betroffen. [8] Ein            häufiger in beengten Wohnverhältnissen und ihre
Bericht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung             Eltern arbeiten vielfach in instabilen Arbeits­
weist in diesem Zusammenhang auf potenzielle Dis-          verhältnissen. Viele armutsbetroffene Familien
kriminierungsfallen im Kontext der Pandemie hin.           haben weniger Zugang zu elektronischen Kom-
[25]                                                       munikationstechnologien, was zur schulischen
Familiensituationen mit besonderen Herausforde-            Benachteiligung führen kann. In Kapitel 3 wurde
rungen während der Pandemie:                               aufgezeigt, dass eine prekäre finanzielle Situa-
• Alleinerziehende: In der Schweiz leben 14 %              tion im Kontext der Pandemie zu den wichtigsten
  der Kinder in einer Einelternfamilie – meist (12 %)      Belastungsfaktoren für die psychische Gesund-
  mit der alleinerziehenden Mutter, im Vergleich           heit gehört.
  zu 2 %, die beim Vater leben. [26] Diese Kinder       • Familien der Migrationsbevölkerung: Die be-
  können speziell in Lockdown-Phasen benachtei-            schriebenen Auswirkungen auf armutsbetrof-
  ligt sein, zum Beispiel durch ein höheres Armuts-        fene Familien treffen auch für einen Teil der Mig-
  risiko bei Alleinerziehenden, höheres Konflikt-          rationsbevölkerung zu. Die Armutsgefährdungs­
  potenzial und Stresslevel der Familienmitglieder,        quote bei Personen mit Migrationshintergrund
  schwächere Beaufsichtigung und weniger Unter-            aus der ersten Generation lag im Jahr 2018 mit
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