BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV

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BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
BergwaldprojektJournal
             für Fördermitglieder | Frühjahr 2021

                                    Ausgabe 25
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
EDITORIAL                                                                                                                                                                                DRAUßEN

Liebe Wald-Verliebte,

für das Bergwaldprojekt ist ein lang gehegter Traum
in Erfüllung gegangen: Wir haben Ende letzten Jah-
res gemeinsam mit der Umweltstiftung Greenpeace
einen Wald gekauft. Das Gebiet ist 200 ha groß
und liegt am malerischen Rennsteig-Wanderweg im
Thüringer Wald bei Unterschönau. Auch in unserem
Wald sind die Folgen der letzten Dürrejahre, von
Klimakrise und Schädlingskalamitäten deutlich zu
sehen. Dem Wald gehts nicht gut. So werden wir alle
in den nächsten Jahren viel Zeit und Herzblut in das
neue Projekt stecken und gemeinsam mit zahlreichen
Freiwilligen auch dort die naturnahe Waldwirtschaft
voranbringen. Diese Wirtschaftsweise im Einklang

                                                                                                   Unser Zukunftswald
mit natürlichen Prozessen soll dann auch Vorbild sein
für viele andere WaldbesitzerInnen.
Wir dürfen derzeit coronabedingt keine Einsätze

                                                                                                   in Unterschönau
durchführen und sehnen uns nach dem Leben in der
Natur, den handfesten Arbeiten mit vielen tatkräf-
tigen Menschen und dem inspirierenden Austausch
und hoffen, dass wir bald wieder loslegen können. Bis
                                                        Impressum                                  oder was Wald mit Quantenphysik zu tun hat – von Hendrik von Riewel
es soweit ist, soll das vorliegende Journal schonmal
Lust machen auf den neuen Einsatzort in unserem
                                                        Herausgeber:
eigenen Wald. Wir schauen uns in diesem Zuge u.         Bergwaldprojekt e.V.
a. das Konzept zur naturnahen Waldbewirtschaftung       Veitshöchheimer Str. 1b
vor Ort an, blicken bei der Waldinventur über die       97080 Würzburg                             Das Bergwaldprojekt e.V. und die Umwelt-       Beispiel wichtige Ökosystemleistungen wie
Schulter, haben ein Interview mit Melanie Stöhr,        Tel: 0931 - 45 26 26 1                     stiftung Greenpeace haben Ende letzten         Trinkwassergenerierung, Bodengesundheit,
Vorständin der Umweltstiftung Greenpeace, zum           info@bergwaldprojekt.de                    Jahres 200 Hektar Wald im Thüringer Wald       Artenvielfalt etc., werden nicht ermittelt
gemeinsamen Projekt vorbereitet und betrachten die      www.bergwaldprojekt.de                     bei Unterschönau gekauft. Vor dem Hinter-      und in den Kosten-Nutzenrechnungen nicht
historischen Wälder um Unterschönau.                                                               grund der aktuellen Waldschäden wollen wir     berücksichtigt, werden als kostenlos und un-
                                                        Redaktion: Lena Gärtner (V. i. S. d. P.)
Was ist sonst los im Bergwaldversum? Wir sind im        Layout: Annegret Range
                                                                                                   versuchen, ein Modell der Waldbewirtschaf-     begrenzt wiederholbar angesehen bei gleich-
Februar der Gemeinwohlökonomie Bayern beigetre-         Fotos (sämtliche Bildnachweise beim        tung vor Ort zu etablieren, das gemeinwohl-    zeitiger Ausbeutung und Zerstörung. Und
ten und werden dieses Jahr beginnen, eine Gemein-       Herausgeber): Matthäus Holleschovsky,      fördernd und nicht gemeinwohlschädigend        das, obwohl diese Ökosystemleistungen die
wohl-Bilanz für den Verein zu erstellen. Mehr dazu      Jan Köhl, Hendrik von Riewel und           ist. Denn auch die Wirtschaft im Wald wird     Lebensgrundlage für uns Menschen und un-
in diesem Heft. Und dann steht im Herbst noch die       Barbara Ritzkowski u. a.                   heute wesentlich von kapitalistischen Zielen   zählige Arten auf unserem Planeten darstel-
Bundestagswahl an, die einmal mehr eine Klimawahl                                                  wie Zuwachs- und Gewinnmaximierung,            len und damit auch die Grundlage der Wirt-
                                                        Die hier vertretenen Standpunkte sind
ist, und deren Ausgang essenzielle Weichen für die      die Standpunkte der AutorInnen und
                                                                                                   Arbeitseffizienz, Produktivitätssteigerung,    schaft sind – mit negativen Auswirkungen
Entwicklung unserer Lebensgrundlagen stellen wird.      müssen nicht identisch sein mit den        Marktkonkurrenz etc. bestimmt.                 für das Gemeinwohl.
Setzen wir also wache und beherzte Kreuzchen und        Ansichten unserer Mitglieder und           Dabei werden in der Preisfindung von           Ein Beispiel dafür ist die Holzernte mit
mischen wir uns deutlich ein!                           FörderInnen. Zum regelmäßigen Bezug        Produkten, also der Marktgleichung von         schweren Maschinen. Die Zerstörung von
                                                        dieser Publikation genügt es, Fördermit-   Angebot und Nachfrage, vorwiegend die          Boden durch diese Maschinen wird nirgend-
                                                        glied zu werden: www.bergwaldprojekt.      Elemente berücksichtigt, die sich monetär      wo in das Produkt Holz mit eingepreist.
                                                        de/foerdern.
                                                                                                   bewerten lassen. Die Werte von Gütern, die     Im Gegenteil, das Produkt wird durch den
                                                        Mit freundlicher Unterstützung der         schwer zu bewerten sind oder als frei von      hocheffizienten Ernteprozess sogar günstiger.
Lena Gärtner                                            Rolle-Stiftung.                            der Natur verfügbar angesehen werden, zum      Vielleicht ist das Problem aber noch grund-

2   BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                 BergwaldprojektJournal   3
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DRAUßEN

                                                                                               Schnell wachsende Fichtenmonokulturen werden von der Klimaveränderung be-
                                                                                               sonders hart getroffen, da sie eine geringere Resilienz als Mischwälder aufweisen.

                                                                                               tionshiebe hatten massiven Einfluss auf den        heute im Ansatz der naturnahen Waldnut-
                                                                                               Wald. Entwaldung und Devastierung wa-              zung. Damit sind wir nicht die Ersten, wie
                                                                                               ren die Folge. Die damalige Forstwirtschaft        beispielsweise das Modell im Stadtwald Lü-
                                                                                               setzte für die Aufforstung weiter Kahlflächen      beck zeigt. Auf großer Fläche durchgesetzt
                                                                                               auf schnellwüchsige, Freiflächenklima ertra-       hat sich die naturnahe Waldnutzung in
                                                                                               gende, wirtschaftlich interessante und viel-       Deutschland bisher nicht.
                                                                                               fältig nutzbare Baumarten mit ausreichender        Unser Wald, in seiner Naturferne repräsenta-
                                                                                               Verfügbarkeit an Saat- und Pflanzgut. Im           tiv für viele naturferne Wälder Deutschlands,
                                                                                               Mittleren Thüringer Wald war das die Fich-         soll ein weiteres, reproduzierbares Beispiel
                                                                                               te. Noch heute wird das Waldbild des Mittel-       für einen nachhaltigen, naturnahen Um-
                                                                                               gebirges davon geprägt.                            gang mit unseren Waldökosystemen liefern.
Die Wasserversorgung im Zukunftswald ist im Vergleich zu vielen anderen Standorten noch gut.
                                                                                               Die flächige Wiederaufforstung des Thürin-         So vielfältig der Wald ist, so viele Modelle
                                                                                               ger Waldes stellt eine durchaus beachtliche        und Versuche einer naturnahen Nutzung
legender: Was, wenn gar nicht alle Kompo-        zu den naturfernen Wäldern Deutschlands,      Leistung dar. Das Problem jedoch ist ein an-       bräuchte es. Zentral geht es hier um das Zu-
nenten in die Preisfindung eines Produktes       denn die Fichte kommt im Thüringer Wald       deres und zwar die Welt- und Natursicht der        lassen oder Fördern natürlich ablaufender,
mit einfließen können, weil sich lebendige       kaum natürlicherweise vor. Ohne mensch-       damaligen Gesellschaft und ergo der Förste-        Jahrmillionen alter Prozesse und der daran
Systeme in ihrer Komplexität der vollstän-       lichen Einfluss würde ein Buchenwald mit      rInnen, die dieser zu Grunde lag. Eine Welt-       gekoppelten Artenvielfalt.
digen Erklärbarkeit entziehen? Aber dazu         Beimischungen von Weißtanne, Bergahorn        sicht, die bis heute dominiert, die die Natur
später mehr.                                     und anderen Laubhölzern die Höhenzüge         als mechanisches Uhrwerk sieht, frei durch         Leitlinien einer naturnahen Waldnutzung
                                                 (zwischen ca. 500 bis 800 Meter über NN)      den Menschen beinfluss- und formbar. Eine          sind z. B.:
                                                 um Unterschönau bedecken. Die Fichte ist      Weltsicht, die dem Satz „Macht euch die
Waldbilder                                                                                     Erde untertan“ entspringt. Der naturferne          >   Minimumprinzip bei forstlichen Maß-
                                                 und war nie an die dortigen Standortsbe-
                                                                                               Wald wird hier zum Sinnbild einer aus dieser           nahmen für möglichst große Stö-
Das Bergwaldprojekt setzt sich seit seinem       dingungen angepasst. In der Folge der sich
                                                                                               mechanistischen Sicht (Natur = Maschine)               rungsfreiheit in naturnahen Struk-
Bestehen für den Schutz und die Pflege un-       klimatisch verschärfenden Rahmenbedin-
                                                                                               resultierenden Waldwirtschaft, deren Schei-            turen (Reduzierung der Eingriffsstär-
serer natürlichen Lebensgrundlagen und ins-      gungen (v. a. Wassermangel während der        tern uns von der Natur aufgezeigt wird.                ke und -frequenz)
besondere für den Wald ein. Ganz wesent-         Vegetationszeit) wird sie nun zunehmend                                                          >   Geringere Holzerntemenge und Vor-
lich werden wir dabei von dem Gedanken           geschwächt, kränkelt, wird von Schädlingen    Ein neues Waldbild:                                    ratsaufbau
geleitet, dass naturnahe Strukturen immer        befallen und stirbt ab. Bisher zum Glück      Die naturnahe Waldnutzung                          >   Referenzflächen ohne forstliche Nut-
ökologisch wertvoller, stabiler, stärker ge-     noch nicht flächig wie in großen Teilen                                                              zung (Lernflächen) sowie Biotop- und
meinwohlfördernd und letztlich damit auch        Deutschlands bereits geschehen.               Warum haben wir einen naturfernen, kran-               Totholzkonzept (Förderung der Biodi-
ökonomisch nachhaltiger sind als naturferne      Wie bei so vielen Wäldern deutscher Mittel-   ken Wald gekauft? Wir wollen den Versuch               versität)
Forste. Bestätigt wird diese Überzeugung         gebirge ist auch die Geschichte des Thürin-   wagen, ein auf einem anderen Naturver-             >   Einzelbaumnutzung nach Zielstärke
durch das flächige Absterben vornehmlich         ger Waldes grundlegend geprägt vom Ein-       ständnis beruhendes Modell der Waldbewirt-             ohne Kahlschläge und über Dauer-
naturferner Monokulturen während der letz-       setzen der Industrialisierung und dem damit   schaftung zu etablieren. Ein Modell, dessen            waldwirtschaft altersgemischte und
ten drei Dürrejahre.                             rapide steigenden Holzbedarf für z. B. die    Leitplanken das Ökosystem Wald vorgibt                 strukturreiche Wälder
Tatsächlich gehört auch unser Wald mit           Eisen- und Glasverhüttung. Auch die beiden    und nicht primär unsere menschlichen An-           >   Vorrang von Naturverjüngung mit
einem Flächenanteil von ca. 70 % Fichte          Weltkriege und die darauffolgenden Repara-    sprüche. Solcher Art Bestrebungen münden               standortheimischen Baumarten
4   BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                   BergwaldprojektJournal   5
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DRAUßEN

                                                                                                             Was demnächst zu tun ist:
> Bei Fehlen entsprechender Ausgangs-
  bestockung Überführen naturferner
  und instabiler Strukturen hin zu na-                 Die ökologisch ausgerichtete Jagd                                                    Bau von Hordengattern ...
  turnahen Strukturen (z. B. Initiierung               reguliert waldverträgliche Bestän-
  von Baumartenwechsel, auch über                      de von Reh- und Rotwild.
  künstliche Verjüngungsmethoden)
> Schutz der natürlichen Ressourcen
  (v. a. auch Boden) bei allen Maßnah-
  men durch Einsatz schonender Verfah-
  ren und Techniken
> Integrierte Förderung der Sozialfunk-
  tion des Waldes (z. B. Erholung, Wald-                                                                                                                                ... und Jagdeinrichtungen
  Ästhetik, gesundheitsfördernde Wir-
  kung des Waldes, Umweltbildung etc.)
> Ökologisches Jagdmanagement zum                                                     Das Holzrücken mit
  Erhalt waldbaulich tragbarer, gesund-                                               dem Pferd schont die
  er und angepasster Wildbestände                                                     sensiblen Waldböden.
> Verbot des Einsatzes von Pestiziden
  jeglicher Art
                                                 sultierende Aussagekraft über die Fauna der                         Jahres erhoben. Dabei wurden an festen
Der Mensch als Teil der Ökosphäre kann           Meere ist sehr begrenzt. Das bedeutet nicht,                        Aufnahmepunkten von mehreren Aufnah-
dem Ökosystem Wald auch eigene, wert-            dass Wissenschaft keine wertvollen Erkennt-                         meteams des Bergwaldprojekt e.V. über drei
volle, vorher nicht existierende Komponen-       nisse über die Zusammenhänge in der Natur                           Wochen verschiedene waldökologische Para-
ten hinzufügen: Die ökologisch wertvollen        liefern kann, das tut sie. Man sollte sich nur                      meter erhoben, die jetzt ausgewertet werden.
Bewirtschaftungsformen Nieder- oder Mit-         immer über die begrenzte Aussagefähigkeit                           Beispiele solcher Parameter sind z. B. das
telwald würde es ohne den Menschen so            ihrer Erkenntnisse im Klaren sein.                                  Totholzvorkommen, Biotopmerkmale an                Initialpflanzungen von standortheimsichen Baumarten
nicht geben. Im Gegensatz dazu bereichern        Das hat Auswirkungen für unser Wirtschaf-                           Bäumen, die Vitalität der Bäume, die Ver-
wir unsere Ökosysteme heute jedoch nur           ten im Wald. Wenn man ein System nicht                              jüngung etc.
selten, überformen sie aber häufig bis zur       vollumfänglich kennt, sollte man vorsichtig                         Der Vorteil einer permanenten Stichprobe
Unkenntlichkeit oder zerstören sie gar völlig.   sein im Umgang mit ihm und sich an den                              ist, dass an den Stichprobepunkten exakt ge-       mit wissenschaftlichen Institutionen wird
Die naturnahe Waldnutzung folgt dem Pri-         natürlich vorgegebenen Rahmen halten.                               messen wird und diese für eine wiederholte         angestrebt. Wir hoffen, dass darüber und
mat der ökologischen Funktionsfähigkeit          Aus wissenschaftlichen Studien resultieren-                         Messung in Zukunft wieder auffindbar sind.         über weitere Modellbetriebe ein lernendes
vor dem der menschlichen ökonomischen            de Maßnahmenempfehlungen „bieten“ wir                               Auf Basis dieser Erhebung wird es möglich          Netzwerk im Sinne einer nach ökologischen
Interessen und zwar aus folgenden Gründen:       der Natur an, überprüfen die Maßnahmen                              sein, Veränderungen im Waldökosystem zu            Gesichtspunkten ausgerichteten, naturnahen
Waldökosysteme sind sich selbst regulieren-      hinsichtlich ihrer Einbettung in den ökolo-                         erfassen und so Rückschlüsse auf die getäti-       Waldnutzung entsteht.
de, sich an ständig ändernde Umweltein-          gischen Kontext, prüfen verschiedene Varian-                        gten Maßnahmen zu ziehen. Steigt mit dem           Wie gesagt, die Ersten sind wir nicht, die
flüsse anpassende Lebensgefüge mit einer         ten und dokumentieren unser Vorgehen. An-                           Totholz die Artenvielfalt? Entwickelt sich der     eine naturnahe Waldnutzung in Deutsch-
Jahrmillionen alten Evolutionsgeschichte.        dere WaldbesitzerInnen wiederum können                              Wald hin zu einer naturnäheren Artenzu-            land umsetzen wollen. Im Mainstream an-
Die Komplexität der Zusammenhänge von            das nutzen und eigene Erkenntnisse gene-                            sammensetzung? Orientierungsmaßstab für            gekommen ist die damit verbundene Sicht
Ursache und Wirkung in diesen Systemen           rieren. Es entsteht eine Art Kommunikation                          unser Handeln ist ein gesundes, naturnahes         auf die Natur und ihre Nutzung aber noch
entzieht sich einer voll umfänglichen Be-        mit der Natur, für die neben einem Reinden-                         Waldökosystem. Eine solche Erstinventur,           lange nicht. Um unsere Überzeugungen wei-
schreibbarkeit. Wissenschaft stößt hier mit      ken auch ein Reinfühlen wesentlich ist.                             wie wir sie jetzt durchgeführt haben, über-        ter bekannt zu machen und andere Waldbe-
reduktionistischen Methoden an ihre Gren-                                                                            steigt von der Konzeption über die Durch-          sitzerInnen von einer ökologisch denkenden
ze. Das heißt, das große Ganze kann nicht        Kommunikation und Allianzen                                         führung bis zur Auswertung den Rahmen              Waldwirtschaft zu überzeugen, war es nahe-
durch die Zerlegung in seine Einzelteile                                                                             üblicher Inventuren bei weitem. Insofern ist       liegend, dass wir uns mit Gleichgesinnten
erklärt werden. WissenschaftlerInnen mit         Mit unserem Wald gingen wir zunächst mit                            so etwas nicht durch jedeN WaldbesitzerIn          zusammenschließen. So ist die Waldallianz
ihren Messinstrumenten sind hier ein we-         der Frage nach seinem momentanen Zu-                                reproduzierbar. Als Modellbetrieb werden           entstanden, ein Zusammenschluss von Or-
nig wie FischerInnen mit ihren Netzen, mit       stand in Kontakt. Mittels einer aufwändigen                         wir die Resultate der Erhebungen der inte-         ganisationen, Firmen und Einzelpersonen,
einer bestimmten Maschengröße fange ich          Erst-Inventur wurde dieser Zustand als eine                         ressierten Öffentlichkeit natürlich zugäng-        denen das öffentliche Werben für eine na-
auch nur bestimmte Fische. Die daraus re-        der ersten Maßnahmen am Anfang dieses                               lich machen. Auch die Zusammenarbeit               turnahe Waldnutzung am Herzen liegt. Wir
6   BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                                          BergwaldprojektJournal   7
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
den kann, aus der Quantenphysik. Auf der
                                                Suche nach dem kleinsten unteilbaren Teil-
                                                chen, nach der Frage, was die Welt im In-
                                                nersten zusammenhält, war die Physik lange
                                                selbst reduktionistisch unterwegs. Mit dem
                                                Atom dachte man, dieses unteilbare Teilchen
                                                gefunden zu haben. Doch dem war nicht
                                                so; man entdeckte Elektronen, Protonen,
                                                Quanten etc. Noch viel tiefgreifender jedoch
                                                war die Entdeckung, dass sich auf dieser
                                                subatomaren Ebene die Teilchen nicht mehr
                                                nach den klassischen Gesetzen der Physik                                                   Waldästhetik
                                                verhielten. Die klassische Physik steht für                                  beflügelt unser Gefühl von Verbundenheit.
                                                die Teilgebiete der Physik, die ohne die Kon-
                                                zepte der Quantenphysik auskommen und
                                                vorwiegend physikalische Vorgänge auf ma-
                                                kroskopischer Ebene untersuchen und be-
                                                schreiben, z. B. die Schwerkraft. So werden
                                                diese Teilchen der Quantenwelt erst zu dem,        lichen Prozesse in unserer Welt gibt, über       Vielmehr sind wir ein untrennbarer Teil von
                                                was sie sind, indem man sie misst.                 unsere Welt aus? Vielleicht, dass sie nicht      ihr und somit, wie alle anderen Lebewesen
                                                Bekannt ist das als Welle-Teilchen-Dua-            so ist, wie sie uns scheint? Uff, harter To-     auch, in der Lage, uns mit ihr zu verbinden,
                                                lismus. Klassische Wellen breiten sich im          bak! So beschreibt Dürr lebendige Prozesse       uns in sie einzufühlen. Diese Verbundenheit
Aufwendige Erstinventur: Digitale Er-           Raum aus, überlagern sich und können sich          als hochsensibilisierte, instabile Zustände,     ist zutiefst in uns angelegt und elementarer
fassung des aktuellen Bestands, sei-            so gegenseitig verstärken oder abschwächen.        die dynamisch über die Zufuhr von Ener-          Bestandteil unserer Erfahrungswelt. Der
nes Zustands und der Totholzmenge.              Das kennt jedeR, der / die schon mal einen         gie (Sonnenenergie), Information bezüglich       Mensch ist nicht zufällig in der Lage, sich in
                                                Stein in einen Teich geworfen hat. Eine Wel-       der Nutzung dieser Energie und Vernetzung        andere Menschen oder auch in seine Umwelt
                                                le kann gleichzeitig an mehreren Stellen im        der Organismen (Ökosystem) stabilisiert          einzufühlen. Neben dem wissenden Men-
brauchen eine gesamtgesellschaftliche Wen-      Raum sein, wie die Ringe des vom Stein auf-        werden. Diese Funktionsweise erkennen wir        schen gewinnt der empathische Mensch in
de, um die sich im Klimawandel, dem Arten-      geworfenen Wassers. Teilchen hingegen kön-         auch, wenn wir Waldökosysteme betrachten.        dieser Weltsicht stark an Bedeutung.
sterben etc. abzeichnenden Katastrophen für     nen zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an           Sonnenenergie wird über die Photosynthese        Naturferne Wirtschaftsweisen funktionieren
unseren Planeten abzuwenden. Ein Baustein       einem bestimmten Ort sein. Auch das ken-           nutzbar gemacht, die unzähligen Lebewesen        nicht, weil sie den Grundprinzipien, auf de-
davon ist eine Waldwende, eine Wende be-        nen wir. Ein Gegenstand bleibt an seinem           verfügen über die Information / Erfahrung,       nen die lebendige Welt fußt, zuwiderläuft:
züglich unserer Sicht auf den Wald und un-      Ort und kann nicht einfach verschwinden.           diese zu nutzen und sind über unzählige Be-      „Probleme kann man niemals mit dersel-
seres Umgangs mit ihm. Für diesen Wandel        Diese beiden Eigenschaften, die Eigenschaft        ziehungsgefüge miteinander verbunden. Es         ben Denkweise lösen, durch die sie ent-
setzt sich die Waldallianz ein.                 einer Welle und die Eigenschaft eines Teil-        entsteht das Bild einer hochgradig vernetzten    standen sind“ (Albert Einstein, einer der
                                                chens, scheinen sich also eigentlich gegen-        und damit im Kern kooperativen Welt, die         BegründerInnen der Quantenphysik). Dies
Ein neues Weltbild: Quantenphysik               seitig auszuschließen und unsere makrosko-         mehr ist als die Summe ihrer Teile.              sollte zu denken geben, wenn im Zuge des
                                                pische Erfahrungswelt scheint das auch zu                                                           Waldsterbens heute nach exotischen, fremd-
Und auch ein Wandel unseres Denkens und         bestätigen. Ein Stein ist ein Ding, und Licht      Verbundenheit mit der Natur                      ländischen Baumarten zur Lösung der Krise
unserer Glaubenssätze ist teilweise vonnö-      ist eine Welle. Die Teilchen der Quantenwelt                                                        gerufen wird.
ten: Z. B., um den Gedankengang von vor-        besitzen jedoch beide Eigenschaften, je nach-      Die lebendige Natur stellt sich in der Fol-      Unsere durch maßlose Übernutzung und
her nochmal aufzugreifen, sind rein reduk-      dem, was ich messe, also mir anschaue. Mes-        ge also nicht als eine Maschine mit vielen       unreflektierte Zerstörung gebeutelte Welt
tionistische Ansätze eines mechanistischen      se ich, ob sie Teilchen sind, sind sie Teilchen,   Rädchen dar, eine Maschine, die sich voll-       braucht Heilung. Ein Weltbild, in dem Wer-
Weltbildes denkbar ungeeignet, um allge-        messe ich, ob sie Welle sind, sind sie Welle.      ständig beschreiben und dann vollständig         te wie Verbundenheit, Empathie, Kooperati-
mein gültige Aussagen über Natur und ihre       Das scheint für uns unbegreiflich, fast schon      kontrollieren lässt. Sie ist vielmehr kreativ,   on etc. zentral sind, würde einen wichtigen
Funktionsweise treffen zu wollen. Nach dem      märchenhaft. Das Deterministische, das fes-        offen, chaotisch und für uns Menschen nicht      Beitrag zu einer solchen Gesundung liefern.
deutschen Physiker Hans-Peter Dürr (1929–       te Gesetz, verliert seine Gültigkeit. An seine     vollständig durchdring- und verstehbar. Be-      Ein Waldkonzept, das diese Werte verinner-
2014) erwächst die revolutionäre Erkenntnis,    Stelle treten Möglichkeiten, tritt Offenheit,      schränktes Wissen bedeutet aber nicht, dass      licht, mag hoffentlich zur Gesundung einer
dass unsere Welt nicht „dinglicher Natur“ ist   man könnte fast sagen, tritt Kreativität. Was      wir orientierungslos im Dunkeln tappen           durch den Menschen stark geschädigten Na-
und nicht deterministisch beschrieben wer-      sagt die Tatsache, dass es solche wunder-          in unserer Beziehung zur lebendigen Welt.        tur beitragen.

8   BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                   BergwaldprojektJournal   9
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
DRAUßEN                                                                                                                                                        PARTNER DES BERGWALDPROJEKTS

                                                Die Zusammenarbeit der Umweltstiftung mit             einzigartige Arten- und Naturreichtum un-      lose Gegenden mit natürlichem Mischwald
                                                dem Bergwaldprojekt in anderen Projekten              serer Erde bewahrt wird. Ein so langfristig    wieder aufgeforstet. Ähnlich wie bei den
                                                hat eine lange Tradition. Wie kam es dazu und         angelegtes Projekt wie der Zukunftswald        Bergwaldprojekt-Wochen geht es auch hier
                                                welche Synergien werden hier frei?                    Unterschönau passt daher ganz wunderbar        darum, mit einem pädagogischen Ansatz
                                                Von Anfang an sind wir eng mit dem Berg-              zur Philosophie der Umweltstiftung Green-      Jugendliche und Erwachsene für den Wald-
                                                waldprojekt e.V. verbunden. Beide Organi-             peace.                                         schutz zu begeistern.
                                                sationen stehen für dieselben Ziele und sind                                                         In Deutschland fördern wir die Aktivitäten
                                                aus einer Greenpeace-Idee geboren. Für uns            Welche anderen Waldprojekte unterstützt ihr    einiger WaldökologInnen zur Ausweitung
                                                lag es daher auch nah, das Bergwaldprojekt            noch?                                          von Schutzflächen im „Märchenwald Ein-
                                                um das Pflanzen unserer Stifterbäume zu               Zurzeit fördern wir die Waldschutzarbeit       beck“ in Niedersachsen. Auch wenn der Zu-
                                                bitten. Von Beginn an pflanzt die Umwelt-             von Greenpeace Kanada und der kana-            kunftswald Unterschönau kein Schutzgebiet
                                                stiftung Greenpeace für jede neue Stifterin           dischen David Suzuki Foundation. Auch          werden soll, geht es ja auch dort um eine na-
                                                und jeden neuen Stifter zum Dank einen                hier geht es um eine Wende von einer in-       türliche Waldentwicklung. Und ein Teil der
                                                Baum. Einmal im Jahr werden diese Stifter-            tensiven Forstindustrie mit verheerenden       Waldfläche in Unterschönau wird sich selbst
                                                bäume im Rahmen von Freiwilligenwochen                Kahlschlägen hin zu einer verträglichen, na-   überlassen, um die natürliche Entwicklung
                                                des Bergwaldprojekts gepflanzt. So ent-               turnahen Waldnutzung. Und um die Stär-         zu beobachten und daraus zu lernen.
                                                standen in Forbach im Schwarzwald unser               kung der Rechte indigener Gemeinschaften,
                                                Streuobstwiesenprojekt „Stifterhain“ und              die seit Jahrhunderten im Einklang mit und     Haben sich die Förderschwerpunkte der Um-
                                                im Tierpark Arche Warder in Schleswig-                von den Wäldern leben.                         weltstiftung seit der Gründung z. B. wegen der
                                                Holstein die „Allee der Stifter“. Wir freuen          Ein weiteres Projekt, das wir unterstützen,    sich dramatisch verschlimmernden Klimakrise
                                                uns über diese lange partnerschaftliche Zu-           ist das Aufforstungsprojekt „Kids for Fo-      verschoben?
                                                sammenarbeit.                                         rests“ von Greenpeace Russland. Hier ziehen    Wir arbeiten zum Thema Wald- und Klima-

Melanie Stöhr                                   Was hat euch an dem Projekt Zukunftswald
                                                Unterschönau in Zusammenarbeit mit dem
                                                                                                      Schülerinnen und Schüler unter Anleitung
                                                                                                      von Greenpeace und ehrenamtlichen Trai-
                                                                                                      nerInnen Baumsetzlinge in ihren Schulgär-
                                                                                                                                                     schutz, aber auch zu anderen Themen wie
                                                                                                                                                     dem Meeres- oder Artenschutz, ökologischer
                                                                                                                                                     Landwirtschaft oder der Friedensforschung.
Melanie Stöhr ist Geschäftsführerin und von     Bergwaldprojekt begeistert?                           ten. Diese werden einmal im Jahr bei einem     Wir unterstützen jährlich etwa 30 Projekte
Beginn an Vorstand der 1999 errichteten Um-     Angesichts der momentanen Waldkrise                   großen Pflanzevent mit hunderten Freiwil-      aus diesen Bereichen. Die Zahl der geför-
weltstiftung Greenpeace. Sie war viele Jahre    ein gemeinsames Projekt ins Leben zu ru-              ligen ausgepflanzt. So werden heute baum-      derten Waldschutzprojekte ist seit einigen
ehrenamtlich in der Berliner Greenpeace-        fen, finden wir großartig. Die Wälder in                                                             Jahren deutlich gestiegen. Aber uns liegen
Gruppe und bei Greenpeace-Aktionen aktiv,       Deutschland befinden sich in einem alar-                                                             auch die anderen genannten Themen am
bevor sie vor 20 Jahren als Fundraiserin den    mierenden Zustand. Wir betrachten das mit                                                            Herzen. Letztlich hängt ja vieles zusammen.
Bereich Großspenden- und Erbschaftsfund-        großer Sorge. Uns begeistert, dass wir mit                                                           Auch Meeresschutz hat mit Klimaschutz zu
raising beim Greenpeace e.V. mit aufbaute.      unserem Projekt ganz konkret neue Wege                                                               tun, Waldschutz mit Artenschutz und auch
Melanie Stöhr ist u. a. Dozentin und Studien-   im Umgang mit unseren Wäldern aufzeigen                                                              Friedensprojekte werden in Zeiten der Kli-
gangsleiterin an der Fundraising Akademie       und unser Wissen weitergeben können. Wir                                                             makrise immer wichtiger.
Frankfurt. Sie lebt mit ihrem Mann, fünf Kat-   wollen einen Beitrag für eine ökologische
zen und zwei Islandpferden am Stadtrand von     Waldwende und mehr naturnahe Waldnut-           Die Umweltstiftung Greenpeace gehört zur             Was wünschst du dir für unseren gemein-
Hamburg.                                        zung leisten, schätzen die hohe Kompetenz       internationalen Greenpeace-Familie. Sie              samen Wald in Thüringen?
                                                des Bergwaldprojekt-Teams und verfolgen         widmet sich dem Schutz der Umwelt und                Einem so stark vom Menschen geprägten
                                                dieselben Ziele.                                Natur und fördert die Friedensforschung.             und übernutzten Wald die Chance zu geben,
                                                                                                Sie will den einzigartigen Naturreichtum             sich zu regenerieren und sich wieder natür-
Was ist deine Lieblingsbaumart?                 Welche Werte sind der Umweltstiftung Green-     unseres Planeten erhalten. Die Stiftung ar-          lich zu entwickeln, ist keine leichte, aber
Mein Lieblingsbaum ist der Ginko, der ei-       peace wichtig und wie wollt ihr diese gemein-   beitet international, denn Naturzerstörung           eine wunderbare Aufgabe. Ich wünsche mir,
nen zentralen Platz in meinem Garten hat.       sam mit dem Bergwaldprojekt im Zukunfts-        kennt keine Grenzen. In einer globalisierten         dass unser Vorbild und die Erkenntnisse, die
Mich fasziniert diese uralte Baumart, die       wald Unterschönau umsetzen?                     Wirtschaft wirkt das Stiftungskapital mit            wir im Verlauf des Projekts gewinnen, viele
uns hoffentlich noch lange überlebt. Sie ist    Eine Stiftung ist für die Ewigkeit angelegt.    ethischen, sozialen und ökologischen Stan-           Interessierte und NachahmerInnen finden.
unheimlich anpassungsfähig und quasi ein        Auch das Kapital bleibt dauerhaft erhalten.     dards im Sinne des Gemeinwohls. Die Um-              Dass unser Projekt noch mehr Öffentlich-
lebendes Fossil. Diese Fakten beeindrucken      Mit unserer Arbeit wollen wir dafür sorgen,     weltstiftung Greenpeace ist überparteilich           keit für die naturnahe Waldnutzung schafft
mich. Auch Blatt und Form finde ich ein-        dass kommende Generationen eine gesi-           sowie politisch und finanziell unabhängig.           und wir so einen Beitrag zu der dringend
fach toll.                                      cherte Lebensgrundlage vorfinden und der        Mehr Infos: umweltstiftung-greenpeace.de.            nötigen Waldwende leisten.

10 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                     BergwaldprojektJournal   11
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
FÖRSTERLATEIN

                                                                                                bewirtschaften sowie einen hinreichenden
                                                                                                Anteil standortheimischer Forstpflanzen
                                                                                                einzuhalten. Diese Vorgaben bleiben sehr
                                                                                                offen.
                                                                                                Vor diesem Hintergrund wurde 2003 das
                                                                                                Gutachten „Naturschutz und Forstwirt-
                                                                                                schaft – Kriterienkatalog zur guten fach-
                                                                                                lichen Praxis“ vom vom Bundesamt für
                                                                                                Naturschutz beauftragten Institut für Forst-
                                                                                                politik der Universität Freiburg vorgestellt.
                                                                                                Das Ergebnis ist mit 17 Kriterien ausgespro-

Gute fachliche Praxis
– von Christoph Wehner
                                                                                                chen weich formuliert und traf trotzdem auf
                                                                                                massive Kritik der VertreterInnen privater
                                                                                                WaldbesitzerInnenverbände. Es beschreibt
                                                                                                lediglich die zuvor bereits erwähnte natur-
                                                                                                schutzfachliche Mindestanforderung an die
                                                                                                WaldbesitzerInnen auf der Basis der Sozial-
Auf der Suche nach vorhandenen Regeln           wie Förderungen oder Zuschüsse für die          pflichtigkeit des Eigentums und bildet einen
für die forstliche Praxis findet sich im Bun-   WaldbesitzerInnen finanziell ausgegli-          Sockel der Anforderungen des integrativen
deswaldgesetz und in den Waldgesetzen der       chen werden müssen.                             Naturschutzes an die Forstwirtschaft.
Länder der Verweis auf die ordnungsgemäße       Im deutschen Recht bezeichnet die gute          So ist die oft zitierte gute fachliche Pra-
bzw. sachgemäße Forstwirtschaft. Allerdings     fachliche Praxis die Einhaltung gewisser        xis der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft
wurde der unbestimmte Rechtsbegriff „ord-       rechtlich verankerter ökologischer und na-      durch die Blockade verschiedener Forst-
nungsgemäß“ gesetzlich nicht abschließend       turschutzfachlicher Mindestanforderungen        und Holz-Interessensgruppen bis heute
definiert. Die Einhaltung der Regeln der        in der Forst-, Land- und Fischereiwirtschaft.   nicht gesetzlich bindend definiert. Es gibt
ordnungsgemäßen Forstwirtschaft sind aber       Sie kann als ein Handlungsrahmen verstan-       in Forstkreisen zwar einen breiten inhalt-
                                                                                                                                                     Stadtwald von Lübeck: Mehr Artenvielfalt, Bäu-
ein Bewirtschaftungsstandard, der zwingend      den werden und umfasst Maßnahmen, die           lichen Konsens über Eckpunkte einer guten
                                                                                                                                                     me aller Altersklassen, hohe Holzvorräte, weni-
und ohne Entschädigungsanspruch von je-         >> in der Wissenschaft als gesichert gelten,    fachlichen Praxis, sie lassen aber doch einen
                                                                                                                                                     ger Rückegassen und erhöhte Totholzmengen
dem / jeder WaldbesitzerIn im Rahmen der        >> aufgrund praktischer Erfahrungen als         weiten Interpretationsspielraum.
                                                                                                                                                     prägen das Waldbild auch im Wirtschaftswald.
Sozialbindung des Eigentums einzuhalten         geeignet, angemessen und notwendig aner-        Eine Rolle spielt aber auch noch die Haltung
ist.                                            kannt sind,                                     zum Wald. In der Fortwirtschaft weit ver-
Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)          >> von der amtlichen Beratung empfohlen         breitet ist die Gleichrangigkeit und Gleich-
regelt zudem, dass die Forstwirtschaft nicht    werden und                                      wertigkeit von Nutz-, Schutz- und Erho-         bilden einen Entwicklungskorridor, der un-
als Eingriff anzusehen ist, wenn dabei die      >> den sachkundigen AnwenderInnen be-           lungsfunktion der Wälder, basierend auf den     bedingt zu beachten ist. Nur innerhalb die-
Ziele des Naturschutzes und der Land-           kannt sind.                                     drei Dimensionen der schwachen Nachhal-         ses Korridors besteht ein Spielraum zur Um-
schaftspflege berücksichtigt werden und         Ohne eine Präzisierung bleibt dieser Rah-       tigkeit – ökonomisch, ökologisch und sozial.    setzung wirtschaftlicher und sozialer Ziele.
vermutet, dass Forstwirtschaft in der Regel     men für die forstliche Praxis sehr weit.        Verbindliche und konkrete Handlungsopti-        Das Naturkapital, von dessen Nutzung
nicht den Zielen des Naturschutzes wi-          Erstmals klare Regeln der guten fachlichen      onen sind aus diesem Modell aufgrund un-        alles Wirtschaften vital abhängt, muss
derspricht. Allerdings sind die genannten       Praxis wurden für die Landwirtschaft Mit-       genauer Definitionen auch nicht ableitbar.      langfristig erhalten bleiben. Die natür-
Regeln abstrakt und können wegen ihrer          te der 1980er Jahre in den Vorschriften         So führte die Substituierbarkeitsannahme        lichen Ressourcen werden als nicht aus-
Unverbindlichkeit auch nicht durch be-          des Pflanzenschutz- und später des Dünge-       zwischen den drei Säulen seit Jahrzehnten       tauschbar angesehen und müssen deshalb
hördliche Anordnungen konkretisiert und         mittelrechts gesetzt. Unter dem Eindruck        meist zur vorrangigen Durchsetzung öko-         unter allen Umständen geschützt werden.
durchgesetzt werden. Eine Vereinbarkeit         massiver Umweltbelastungen durch die            nomischer Ziele, die auch immer mit den         Ihre Leistungsfähigkeit soll dauerhaft er-
von Forstwirtschaft mit den Zielen des          Entwicklungen in der Landwirtschaft wur-        Zielen der Forstwirtschaft begründet werden     halten oder wieder regeneriert werden, wo
Naturschutzes ist also nicht automatisch        de die gute fachliche Praxis im Sinne einer     konnten.                                        sie vermindert wurde. Diese Haltung zum
sichergestellt. Daher ist es nötig, über die    Grundsatzregelung 2002 in die Neufassung        Die starke Nachhaltigkeit als Gegenent-         Wald führt zu anderen Vorstellungen und
ordnungsgemäße Forstwirtschaft hinaus-          des BNatSchG aufgenommen. Für die               wurf zum Drei-Säulen-Modell legt den            Waldbildern der guten fachlichen Praxis.
gehende ökologische, naturschutzrele-           Forstwirtschaft formuliert das BNatSchG         Schwerpunkt auf Ökologie. Die ökolo-            Ganz praktisch zu sehen in Lübeck, Augs-
vante Leistungen als gute fachliche Praxis      nur das Ziel, naturnahe Wälder aufzubau-        gischen Parameter, die langfristig stabile      burg oder in unserem Zukunftswald in Un-
zu definieren, welche durch Instrumente         en, diese ohne Kahlschläge nachhaltig zu        Lebensbedingungen auf der Erde sichern,         terschönau.

12 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                 BergwaldprojektJournal   13
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
RESTROSPEKTIVE

    Zur historischen Situation rund um
    den Zukunftswald Unterschönau
    von Cai-Olaf Wilgeroth
                                                   Geschäft erfolgreicher Landesherrschaft –
                                                   gerade um Bestandsaufnahme zu machen.
                                                   Dementsprechend zuverlässig waren solche
                                                   Übersichten.
                                                   Zunächst fällt auf: Die „Bergen, thalen, ...
                                                   Gehöltzen“ sind verschieden dargestellt –
                                                   hellgrün und dunkelgrün eingefärbt, dicht
                                                   und locker schraffiert. Die Farben könnten
                                                   Laub- oder Nadelholz unterscheiden; das
                                                   wäre nicht unüblich. Hier trennen hell und        Ausschnitt Wahrhafter Abriss und eigentliche Beschreibung des Amtes Schmalkalden von Joist Moers anno
                                                   dunkel aber Hoheitsbezirke. Im Wald ha-           1589; Quelle: Hessisches Staatsarchiv Marburg HStAM Karten P II 10391.
                                                   ben wir noch überall von Laubholz mit nur
                                                   beigemischtem, randständigen Nadelholz                    stände doch selbst aus. Zum anderen besaß        den.“ Man war im 19. Jh. wie andernorts
                                                   auszugehen. Wichtiger sind die Schraffuren:               Unterschönau, wie viele Dörfer, gar keinen       den schnellen Weg der Nadelholzsaat gegan-
                                                   Dicht bewaldete Berge stehen locker be-                   eigenen Wald. Die Menschen verschafften          gen. Daher würden „seit den letzten Jahr-
                                                   stockten Hängen gegenüber. Das entsprach                  sich notgedrungen Zugang zum Staatswald.         zehnten ... gefällte Bäume geschält, um der
Cai-Olaf Wilgeroth ist Umwelthistoriker und seit   den Tatsachen. Schon 1474 zeigt eine Berg-                Ihre Existenz hing davon ab.                     Ausbreitung des Fichten-Borkenkäfers ent-
2008 als Gruppenleiter beim Bergwaldprojekt e.V.   ordnung an, wie sehr der Wald im Mittel-                  1894 schrieb der Steinbacher Apotheker           gegenzutreten“; und „der fast ausschließliche
                                                   alter im Dienste von Bergbau, Köhlerei, Ei-               Dr. Alexander Köbrich die „Geschichte            Bestand der Wälder mit Nadelholz (habe)
                                                   senhütten, Hammerschmieden stand. Hinzu                   von Steinbach und Amt Hallenberg“. Da-           den Kindern Flora‘s nur einen mageren Ti-
                                                   kam siedlungsnah der Bedarf an Hausbrand,                 rin behandelt er auch das „Forstwesen“: An       sche hergerichtet, da die sich aufhäufenden,
                                                   Bauholz, Nutzholz und Waldweide. Das er-                  der Situation im Wald hatte sich nach Joist      der Verwesung schwer zugänglichen Nadeln
    2021 findet der erste Einsatz des Bergwald-    klärt die lichten, kahlen Flächen unserer Ab-             Moers nichts geändert. „Der Hüttenbetrieb        erstickend für das Aufkommen der zarteren
    projekts im eigenen Wald statt. In Unter-      bildung. Der Wald stellte sich als „devastiert“           beschäftige Fuhrleute, Holzhauer, Köhler,        Pflanzen wirken.“ Monokultur um 1900.
    schönau am Rand des Thüringer Waldes.          (verwüstet) dar.                                          Schmelzer, Hammerschmiede ...“ in 17 Gru-        Mit all ihren Nachteilen schon damals.
    Schauen wir uns daher zur Einstimmung          In den nächsten vier Jahrhunderten war die                ben, 5 Schmelzhütten, 44 Schmieden. „Die         Damit endet der historische Streifzug durch
    und Orientierung ein wenig genauer um in       Geschichte des Waldes von widerstreitenden                starke, einstens (!) bis zur Thalsole herabge-   die Wälder um Unterschönau. Es war nur
    den historischen Wäldern zwischen Schmal-      Waldbildern bestimmt: Denn BürgerInnen                    hende Bewaldung“ ging weiter zurück. Und         eine Stippvisite. Die letzten rund 100 Jahre
    kalden, Steinbach und Oberhof.                 und BäuerInnen brauchten andere Wälder                    die Landwirtschaft trug stets ihr Übriges bei.   sahen aus wie überall: Die Fichte war „Brot-
    Einen frühen Einblick gewährt uns der          als Bergmänner, Köhler und Hüttenleute.                   Ackerbau ging kaum, das Vieh weidete im          baum“ einer Forstwirtschaft geworden, die
    „Warhaffte Abriss und eigentliche Beschrei-    Mancher Landesfürst hingegen wollte ei-                   Wald. So sehr die Forstverwaltung immer          zuvorderst der Logik knapper Ressourcen
    bungk des Ampts Schmalkalden ... mit ihren     gentlich nur jagen. Und alles sollte der eine             wieder Waldverbote erließ: Mensch und Tier       folgte.
    ingelegenen und zu gehorigen nahmhafften       Wald liefern. Der erstarkende Staat zog die               mussten sich ernähren. Ab 1850 entschärf-        Am Schluss seines Buches kehrt unser Chro-
    Stetten, Schlossen, Torffen, Meierhöven,       Wälder immer mehr an sich, beschränkte                    te die Eisenbahn dann manches Problem:           nist noch einmal in den Wald zurück: „Die
    Muelen, Halsgerichten, Bergen, thalen,         bisherige Nutzungen der Bevölkerung oder                  Erst brachte sie günstige Lebensmittel, dann     erfrischende Luft dieser Wälder, ihre herr-
    Brunquellen, Wasserflüssen, Gehöltzen und      verdrängte sie ganz. Versperrte Wälder! Eine              Steinkohle, dann billiges Eisen. Der Berg-       lichen Trinkwasserquellen bieten neben
    Felder“ von Joist Moers aus dem Jahr 1589.     lange Liste staatlicher Forstordnungen be-                und Hüttenbetrieb ging bei dieser Konkur-        dem Erhabenen des Naturgenusses das Er-
    Das bunte Kartenbild (auf der rechten Sei-     gründete dies immer wieder mit dem Schutz                 renz zusehends ein.                              quicklichste für den ermüdeten und ner-
    te oben) ist ein typisches Dokument jener      des Waldes. Forsthoheit im Staatswald –                   Dem Wald nutzte es. Allerdings sind nun          venschwachen Kulturmenschen. … Da lie-
    Zeit. Moers war Landvermesser und Karto-       Ruhe, Ordnung, Holzwachstum. Klingt toll,                 seine „Forstorte fast ausnahmslos mit Nadel-     gen in den weltabgeschiedenen herrlichen
    graph der Landgrafen von Hessen-Kassel.        funktionierte aber noch lange nicht. Kein                 holz bestanden, worunter zuerst die Fichte       Waldungen mächtige Reize, die den Besu-
    Die herrschten damals über das Gebiet um       Wunder, bedenkt man zum einen das finan-                  zu nennen ist, zwischendurch die Edeltanne,      cher immer wieder und immer mehr an-
    Unterschönau, und im 16. Jh. gehörten          zielle Interesse notorisch klammer Landes-                die Kiefer, auch die Lärche. (Und) nur kleine    ziehen und ihm Ruhe und Frieden geben.“
    Grenzkarten und Gebietsrisse zum täglichen     herren an „ihrem“ Wald. Beuteten sie die Be-              Haine sind mit Buchen und Birken bestan-         Irgendwie klingt das bemerkenswert aktuell.

    14 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                          BergwaldprojektJournal   15
BergwaldprojektJournal - Bergwaldprojekt eV
BERICHT DES VORSTANDS

Liebe Freundinnen                                                                                „Der Kronenzustand hat sich bei
und Freunde des                                                                                  vielen Baumarten weiter ver-
                                                                                                 schlechtert. Auch 2020 sind der

Waldes,                                                                                          Anteil der deutlichen Kronenver-
                                                                                                 lichtung und die mittlere Kro-
                                                                                                 nenverlichtung gegenüber dem
                                                                                                 Vorjahr gestiegen. Die mittlere
                                                                                                 Kronenverlichtung ist im Durch-
die Weltgemeinschaft ist nun über ein Jahr                                                       schnitt aller Baumarten mit 26,5
damit beschäftigt, sich vor einem Virus zu               Stephen Wehner,                         % so hoch wie noch nie. Nur
schützen. Die trotz aller kostspieligen Maß-             Geschäftsführer und Vorstand            noch 21 % aller Bäume weisen
nahmen fast 3 Millionen registrierten To-                des Bergwaldprojekt e.V.                keine Kronenverlichtungen auf.
desfälle weltweit und die laut Statistischem                                                     Außerdem zeigt sich eine stark
Bundesamt um bis zu 24 % über dem Mit-                                                           zunehmende Absterberate. Vor
tel erhöhten bundesweiten Sterbefallzahlen      Laut Waldzustandserhebung 2020 der Bun-          allem unsere älteren Wälder über
machen deutlich, dass die Situation für viele   desregierung sind jetzt bei 80 % aller Bäume     60 Jahre sind von Absterbe-
Menschen eine sehr fordernde und unsere         Kronenverlichtungen erkennbar. Wenn die          erscheinungen betroffen. Doch
Sicherheit empfindlich in Frage stellende       Anpassungsfähigkeit der Lebensgemein-            auch die jüngeren Bäume zeigen
neue kollektive Erfahrung darstellt.            schaft Wald überschritten wird, stirbt dieser.   einen negativen Trend.“ Waldzu-
Eine mögliche Schlussfolgerung dieser Er-       Dies ist in vielen Regionen in Deutschland       standserhebung 2020
fahrung könnte sein, dass wir angesichts un-    Realität.
serer vielfältigen Bedürfnisse nicht nur auf    Mit schwindendem Skeptizismus steigt die
unser eigenes Wohlergehen achten können,        Bereitschaft zur gesellschaftlichen Anpas-
sondern dass dies vollkommen aussichtslos       sung. Die findet in den hochrelevanten Sek-
ist, wenn wir nicht das Wohl anderer achten.    toren wie Mobilität und Energieversorgung
Gegenüber kollektivem Wegschauen, wie           im Bereich technischer Anpassungen statt.
von VertreterInnen eines erneuerten Skep-       Diese kann aber die große sozial-ökolo-                     weltstiftung Greenpeace 200 Hektar Wald         Unternehmen diskutieren wir ihre Anstren-
tizismus gefordert wird, ist das Virus nicht    gische Transformation weder ersetzen noch                   in der Gemarkung Unterschönau in Stein-         gungen zur Einhaltung der Klimaschutz-
nur „immun“, sondern es beflügelt dieses        verhindern. Auch der vorläufige Entwurf der                 bach-Hallenberg in Thüringen kaufen, den        Ziele von Paris und der 17 Ziele für nachhal-
direkt.                                         Waldstrategie 2050 der Bundesregierung er-                  wir naturnah bewirtschaften und kleineren       tige Entwicklung der Vereinten Nationen.
Die Epidemie hat auch unsere Projekte mit       kennt die Notwendigkeit einer Waldwende                     Privat- und KommunalwaldbesitzerInnen           Projekte zur Kompensation von Treibhaus-
Freiwilligen und somit einen wesentlichen       und hebt den Erhalt der Wälder als bedeu-                   als nachhaltige Alternative zur Waldnutzung     gasemissionen bieten wir nicht an. Wir hal-
Teil unserer Arbeit erneut zum Erliegen         tende CO2-Senke hervor, ohne sich jedoch                    vorstellen wollen.                              ten den Dialog mit Wirtschaftsunterneh-
gebracht. Seit dem geplanten Start unserer      zu den wesentlichen Elementen der Trans-                    Auch die Bereitschaft vieler kleiner und auch   men für sinnvoll, um die ökologisch-soziale
31. Projektsaison mit einem Neihaufescht        formation der Waldbewirtschaftung zu be-                    einiger großer Unternehmen, unsere Arbeit       Transformation zu unterstützen.
in Eußenheim am 30.01. mussten wir von          kennen und auf die dringenden Herausfor-                    zum Schutz und Erhalt der Wälder, Moore         In der Umweltbewegung ist die Idee tief ver-
den insgesamt 150 von unserem Team orga-        derungen der Biodiversitäts- und Klimakrise                 und Biotope und unseren damit verbun-           wurzelt, dass wir Menschen ein Problem auf
nisierten Projektwochen 51 Einsatzwochen        einzugehen. Diese Beispiele zeigen, dass                    denen Bildungsauftrag zu unterstützen, ist      diesem Planeten sind und die Natur zerstö-
mit Freiwilligen und 11 Projektwochen           trotz vieler Erkenntnisse um die globalen                   in den vergangenen 48 Monaten erkennbar         ren. Dabei sollten wir nicht übersehen, dass
der Waldschule absagen oder in die zweite       ökologischen Krisen unser Bewusstsein                       gestiegen.                                      wir selbst Teil der uns immer und überall
Jahreshälfte verlegen. Im vergangenen Jahr      für die Tiefe und Bedeutung des notwen-                     Dadurch konnte trotz der entgangenen Pro-       umschließenden und durchdringenden Na-
hatten wir insgesamt 56 von 123 geplanten       digen Wandels fehlt.                                        jekteinnahmen ein Haushaltsdefizit vermie-      tur sind.
Wochen absagen müssen.                          Krisen und Herausforderungen sind aber                      den werden. So konnten wir neue Projekte
Während die Zahl der Corona-Skeptike-           auch Antrieb für Entwicklung und öffnen                     in die Jahresplanung aufnehmen und der          Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen und Ihre
rInnen in Deutschland zunimmt, verlieren        uns für neue Erfahrungen. Dank eines groß-                  erfreulichen Bereitschaft vieler Menschen,      vielfältige Unterstützung,
die Klimawandel-SkeptikerInnen angesichts       en Vermächtnisses aus dem Familienkreis                     sich für die Natur zu engagieren, zusätzliche
der weltweit im Anpassungskampf kollabie-       einer privaten Stiftung konnten wir zum                     Möglichkeiten anbieten.                         Ihr Stephen Wehner,
renden Ökosysteme ihre AnhängerInnen.           Jahresende 2020 zusammen mit der Um-                        Im Rahmen der Kooperationsgespräche mit         Vorstand Bergwaldprojekt e.V.
16 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                           BergwaldprojektJournal   17
BLÄTTERRAUSCHEN                                                                                                                                                                                                                                     SPRINGBOARD

                                                                                                        lig unterschiedliche Menschen. Man fragt
                                                                                                        sich beim Lesen anfangs, wie aus diesen
                                                                                                        so verschiedenen Geschichten und den so
                                                                                                                                                                                       Her mit der UTOPIE!
                                                                                                                                                                            Das Bergwaldprojekt erstellt eine Gemeinwohl-Bilanz – von Jakob Reuter
                                                                                                        gänzlich unterschiedlichen Menschen eine
„Die Wurzeln des Lebens“
                                                                                                        Handlung werden soll, aber bereits nach
                                                                                                        wenigen Zeilen ist man eingetaucht in die
                                                                                                        verschiedenen Leben und ihre Schicksale.
                                                                                                                                                                   Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) be-                 der gesamten Wertschöpfungskette über die
                                                                                                        Denn alles wird mit einem so gefühlvoll
                                                                                                                                                                   zeichnet ein Wirtschaftsmodell, welches           eigenen Organisationsgrenzen hinaus) ver-
                                                                                                        und poetisch gesponnenen Band verwoben
                                                                                                                                                                   das Ziel verfolgt, ein gutes Leben für alle –     pflichtend. Die abschließende Bewertung
                                                                                                        und mit der Magie, Kraft und Ausdauer des
                                                                                                                                                                   Mensch, Tier und Natur – zu ermöglichen.          und Überführung in die GWÖ-Bilanz erfol-
                                                                                                        Baumes verbunden. Egal ob alt, klein, groß,
                                                                                                                                                                   Damit stellt die GWÖ das vorherrschende,          gen durch externe AuditorInnen.
                                                                                                        als Gebüsch, alleine oder in der Gruppe, je-
                                                                                                                                                                   auf Wachstum und individuellen Wohl-              Seit Februar 2021 ist der Bergwaldprojekt
                                                                                                        dem verschiedenen Baum haucht Powers das
                       ein Buchtipp von Friederike Zingler-Methner

                                                                                                                                                                   stand ausgerichtete System in Frage. Auf          e.V. GWÖ-Mitgliedsorganisation. Wir wol-
                                                                                                        in ihm wohnende Leben auf so wundervolle
                                                                                                                                                                   verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen soll      len dieses Jahr nutzen, um die Arbeit an un-
                                                                                                        Weise ein, dass man spürt, wie groß seine
                                                                                                                                                                   durch die Etablierung partizipativer, demo-       serem ersten Gemeinwohlbericht zu begin-
                                                                                                        Ehrfrucht vor dem Lebewesen ist, das mit
                                                                                                                                                                   kratischer und ergebnisoffener Prozesse eine      nen. Eine besondere Rolle wird dabei unser
                                                                                                        uns diesen Planeten bewohnt und doch so
                                                                     Richard Powers: „Die Wurzeln                                                                                          Justierung des Wert-      Zukunftswald Unterschönau einnehmen.
                                                                                                        oft nicht als solches erkannt wird.
                                                                     des Lebens“, Fischer Verlag, 624                                                   „Das Wohl von Mensch und Um- schöpfungsbegriffes             Wir stehen am Anfang eines spannenden
                                                                                                        Auch die Menschen in Powers Geschich-
                                                                     Seiten, Taschenbuch,                                                               welt wird zum obersten Ziel des vorgenommen wer-             und erkenntnisreichen Lernprozesses, an
                                                                                                        ten sehen nicht alle von Beginn an, wie eng
                                                                     15,00 Euro                                                                           Handels und Wirtschaftens.“      den – die Werte der       dem wir wachsen und durch den wir zum
                                                                                                        unser aller Leben mit dem der Bäume ver-
                                                                                                                                                                                           Gesellschaft werden       ermutigenden Vorbild für die notwendige
                                                                                                        knüpft ist und wie sehr unsere Schicksale zu-
                                                                                                                                                         Christian Felber, Initiator der   so zu den Werten          Transformation in Gesellschaft, Politik und
                                                                                                        sammenhängen. Manch eineR muss sich erst
                                                                                                                                                            Gemeinwohlökonomie             der Wirtschaft und        Wirtschaft werden wollen. Nun gilt es, An-
                                                                                                        entwickeln, muss Gutes und auch Schlech-
                                                                                                                                                                                           gesellschaftliche Inte-   spruchsgruppen zu definieren und Gemein-
                                                                                                        tes erleben, Verlust und Freude, ebenso wie
                                                                                                                                                                                           ressen die Grundlage      wohlwerte mit Leben zu füllen. Damit ste-
                                                                                                        das auch vielen von uns vielleicht ergangen
                                                                                                                                                                                           unternehmerischer         hen wir übrigens nicht allein da, über 2.000
                                                                                                        ist, bis in ihm oder ihr die Erkenntnis um
                                                                                                                                                                   Entscheidungen. In eben einem solchen Pro-        Organisationen unterstützen die GWÖ be-
                                                                     Mir wurde vor einiger Zeit ein     die großen Zusammenhänge reift, bis sich
                                                                                                                                                                   zess wurden die Indikatoren festgelegt, nach      reits weltweit – wir steigen freudig mit ein!
                                                                     Buch empfohlen, und ganz ge-       die eigenen Schwerpunkte neu sortieren und
                                                                                                        am Ende alle Lebenswege zusammenlaufen                     denen Organisationen aller Größen und
                                                                     gen meine sonstige Gewohn-                                                                                                                      Zum Weiterlesen:
                                                                                                        und einander treffen. Quasi wie die Wurzeln                Rechtsformen ihren Beitrag zum Gemein-
                                                                     heit habe ich mir das Buch                                                                                                                      https://web.ecogood.org/de/
                                                                                                        vieler Bäume einander treffen und dann zu-                 wohl bilanzieren können.
                                                                     tatsächlich gekauft. Seitdem                                                                                                                    Felber, Christian: „Gemeinwohl-Ökonomie“,
                                                                                                        sammenwirken können und sich der großen                    Die Gemeinwohlmatrix besteht aus 20 Fel-
                                                                     habe ich es schon viele Male                                                                                                                    überarbeitete Neuauflage, Pieper 2018.
                                                                                                        Gemeinsamkeit bewusst werden, die ein Le-                  dern (Gemeinwohl-Themen), mit Hilfe de-
                                                                     weitergeschenkt, denn meine
                                                                                                        ben auf diesem Planten bedeutet.                           rer eine Evaluierung der Beziehung zu den
                                                                     Bekannte lag absolut richtig,
                                                                                                        Powers Buch ist für mich eine Ode an die                   wichtigsten Berührungsgruppen (Lieferan-
                                                                     als sie meinte, ich müsse es
                                                                                                        Natur, aber auch ein Appell an die Fähigkeit               tInnen, EigentümerInnen und Finanzpart-
                                                                     unbedingt lesen. Und vom er-
                                                                                                        der Menschen, zu erkennen, zu verstehen                    nerInnen, Mitarbeitende, KundInnen und                               ÖKOLOGIE
                                                                     sten Moment an hatte ich den
                                                                                                        und dann gemeinsam etwas zu bewegen.                       Mitunternehmen, gesellschaftliches Umfeld)
                                                                     Gedanken, dass es ein Muss                                                                                                                                      lebensfähige Welt
                                                                                                        Und gleichzeitig ist es ein Hilferuf im Na-                anhand der Gemeinwohlwerte (Menschen-
                                                                     für jedeN Bergwaldprojektle-
                                                                                                        men der Natur, im Namen der großen Ma-                     würde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökolo-
                                                                     rIn ist.
                                                                     In „Die Wurzeln des Lebens“        jestäten des Waldes, im Namen aller Bäume                  gische Nachhaltigkeit und Transparenz und                   ÖKONOMIE
                                                                                                        und Pflanzen, sie als Lebewesen wahrzuneh-                 Mitentscheidung) erfolgt. Die bilanzieren-
                                                                     von Richard Powers geht es um
                                                                                                        men und einzutauchen in das besondere                      de Organisation erhebt den Status quo von            gerechte Welt
                                                                     „unser“ Thema: Bäume. Bäu-
                                                                                                        Gefühl, das auch mich immer überkommt,                     Ethik und Nachhaltigkeit in Bezug auf die
                                                                     me unterschiedlicher Arten.
                                                                                                        wenn ich mir das Werden und Wachsen                        Gemeinwohl-Themen und fasst diesen in                                    lebenswerte Welt
                                                                     Sie übernehmen eine zentrale
                                                                                                        eines Baumes vorstelle, mich an seinen                     einem Gemeinwohlbericht zusammen. Da-
                                                                     Rolle, bekommen eine ganz                                                                                                                                 SOZIALLES
                                                                                                        Stamm setze und mir seiner Beständigkeit                   bei ist die Identifikation von und Stellung-
                                                                     spezielle Bedeutung, stehen als
                                                                                                        und gleichzeitig der großen Verletzlichkeit                nahme zu Negativaspekten (beispielsweise
                                                                     Symbol in neun verschiedenen
                                                                                                        bewusst werde.                                             Missachtungen der Menschenwürde entlang
                                                                     Geschichten über neun völ-

  18 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                                                                                    BergwaldprojektJournal   19
HOLZWEG

                                               7000 Eichen mit Fettecken
                                                                                                                                                                         ren fällt seine berühmte Capri-Batterie ein          Fragen der Ökologie zum Gegenstand seiner
                                                                                                                                                                         (die Glühbirne, die aus der sonnengereiften          Arbeit machte. Während der Holzschneider
                                                                                                                                                                         Zitrone mit Energie gespeist wird). Neben-           HAP Grieshaber Anfang der 1970er-Jahre
                                               oder weshalb Joseph Beuys das Bergwaldprojekt lieben würde – von Eberhard Stett                     Aufbäumen !           bei gründete er noch seine eigene Akade-             aktionistisch mit dem Kauf von Wachol-
                                                                                                                                                                         mie, die „Freie Internationale Universität“,         derheideflächen auf der Schwäbischen Alb
                                                                                                                                                                         und forcierte durch Denken und Taten die             versuchte, seine Wahlheimatlandschaft vor
                                                                                                                                                                         Gründungswehen der Partei „Die Grünen“,              „zivilisatorischen Fortschrittsschäden“ zu
                                                                                                                     Leben erschaffen. Mit so                            musste aber schnell erkennen, dass er nicht          schützen, entwickelte Beuys 1971 in Düs-
                                                                                                                     einer Vita lässt sich gut                           zum Realo taugte.                                    seldorf das Konzept der Baumbesetzung.
                                                                                                                     Philosoph und Künstler                                                                                   Zusammen mit StudentInnen kämpfte er
                                                                                                                     werden, und was für einer.                           Mit großen Ausstellungen und allerhand gegen die Erweiterung einer Tennisanlage
                                                                                                                     Ein aufsässiger Hochschul-                           virtuellen Events ist er 2021 anlässlich seines zulasten eines Waldstücks: „Sollte je einer
                                                                                                                     lehrer, ein umtriebiger                              100. Geburtstags im Mai mal wieder in aller versuchen, diese Bäume abzusägen, dann
                                                                                                                     Schamane, ein                                        Munde. Eine Chance,                                                        werden wir in den Kro-
                                                                                                                     getriebenes Ge- „Das können sie (die                 ihn und sein vielschich- „Also es ist wie alles, was Menschen tun, nen sitzen!“
                                                                                                                     nie, ein Freak,      großen negativen                tiges Werk kennenzu-           ein Experiment, allerdings ein Experi-      Als im Juni 1987 der
                                                                                                                     der allen stau- Geister) nicht ertragen:             lernen. Glücklich, wer ment, was auf jeden Fall seine positiven letzte der 7000 Bäume
                                                                                                                     nend erklärte:        einen lachenden                ihn dabei in seiner Viel-      Wirkungen in der Zeit behalten wird.“       in Kassel gepflanzt wur-
                                                                                                                     „Jeder Mensch            Menschen.“                  gestaltigkeit erkennen                    (Joseph Beuys)                   de, war Beuys bereits ein
                                                                                                                     ist ein Künst-         (Joseph Beuys)                und verstehen wird oder                                                    Jahr tot. Die Idee und
                                                                                                                     ler.“ Eine For-                                      seine Ideen für radikale Ökologie entdeckt.         das Dauerprojekt der Verwaldung hat ihn
                                                                                                                     mel, die Beuys aus seiner                                                                                überlebt und wird ihn noch viele weitere
                                                                                                                     Beschäftigung mit der An-                            Um sein nachhaltigstes Werk und eine seiner Jahre überleben. Zufall, dass in seinem Ster-
© documenta archiv / Foto: Dieter Schwerdtle

                                                                                                                     throposophie entwickelte                             Glanzleistungen zu erkunden, führt der Weg bejahr auch der erste Bergwaldprojekteinsatz
                                                                                                                     und die auch jedeR Wal-                              nach Kassel: zur immerwährenden Aktion in der Schweiz stattfand. Ersonnen in einer
                                                                                                                     dorfschülerIn lebt.                                  „7000 Eichen“. Das dynamisch-wachsende Hamburger WG von Menschen, die unbe-
                                                                                                                     Weitere Pfeiler seiner Ar-                           Projekt wurde zum Symbol der Beuys-Mar- wusst und ungewollt die Ideen von Beuys in
                                                                                                                     beit resultieren dagegen                             ke „Soziale Plastik“. Plusminus 7000 Bäume das neue Bergwaldprojekt einbrachten. Ge-
                                                                                                                     aus der Naturwissenschaft                            verschiedener Arten wachsen im Kasseler meinsam in und für die Natur wirken, um
                                                                                                                     und seinem intensiven Stu-                           Stadtgebiet neben Basaltblöcken, die 1982 nebenher geistige Prozesse für gesellschaft-
                                                                                                                     dium der Bienenzucht und                             zu documenta7-Beginn als Aktion „Stadt- liche Veränderung in Gang zu setzen. Beuys
                                                                                                                     des Biens, dem Superor-                              verwaldung statt Stadtverwaltung“ zu einem würde das Bergwaldprojekt lieben.
                                                                                                                     ganismus als Bienenstock,                            großen Keil auf Kassels Friedrichsplatz auf-
                                                                                                                     der ihn zu seiner Idee von                           geschichtet waren. Rund 30 verschiedene
                                                                                                                     Plastik führte. Das „orga-                           Baumarten bilden die „weltweit einmalige
                                                                  Joseph Beuys und seine Eichen                      nische Bilden von innen                              Raum-Zeit-Skulptur“. Eine Stiftung, die
                                                                                                                     her“, das aus dem Lebens-                            Bürgerschaft und die Stadt Kassel kümmern
                                                                                                                     prozess des Bien resultiert,                                                   sich um die Bäume
                                               Filz und Fett, Wachs und Honig, Kojoten            führte zur „Sozialen Plastik“ als universellem                 „Ideen leben im Menschen fort, und          notwendige                                 Verlosung: Als Einsteiger-
                                               und tote Hasen: bevorzugte Materialien im          Begriff, um mittels der Kunst auf die Trans-                     während sie in Kunstwerken       Neupflanzungen,                                     lektüre zu Beuys verlost das

                                                                                                                                                                                                                                © Willi Blöss Verlag
                                               Werk des Joseph Heinrich Beuys. Der Mann           formation der Gesellschaft zu wirken. Wie                          erstarren und schließlich      wenn bestehende                                     Bergwaldprojekt drei Comic-
                                               mit grauem Hut und Sportanglerweste.               die einzelne Biene nicht für den Bien re-                        absterben.“ (Joseph Beuys)       Bäume aufgrund                                      Biographien „Joseph Beuys.
                                               Unterm Hut ein Schädel mit Silberplatte,           levant ist, so ist mit der „Sozialen Plastik“                                                     von Dürre, Krank-                                   Der lächelnde Schamane“.
                                               Kriegsfolge. Seine selbst überlieferten Bio-       auch die Vorstellung eines nur von einem                                heit oder Bautätigkeiten der wachsenden
                                                                                                                                                                                                                                                        Teilen Sie uns einfach den
                                               grafieanteile sind Tataren-Legende: im zwei-       Künstler geschaffenen Kunstwerks passé.                                 Skulptur abhandenkommen.
                                                                                                                                                                                                                                                        Nachnamen des Kasseler
                                               ten Weltkrieg als Kampfflieger (ausgebildet
                                               vom späteren Tierfilmgott Heinz Sielmann)          Viele denken bei Beuys zunächst aber eher                               Die Kasseler Pflanzjahre Beuys‘ waren nicht                Oberbürgermeisters    mit, der 1982 den Beginn
                                               in Russland abgeschossen und anschließend          an seine Fettecken, verbinden sein Tun mit                              seine erste Umweltschutzaktion, auch war er                der  Pflanzungen von  7000 Bäumen mit ermög-
                                               von Krimtataren in Filz und Fett gepackt           der zum Postkartenspruch mutierten Frage                                nicht der einzige Künstler, der sich konkret               licht hat und Kassel damit zu viel Grün verhalf.
                                               und mit wochenlanger Pflege zu neuem               „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Ande-                                um den Erhalt der Natur kümmerte und                       E-Mail mit dem Lösungswort als Betreff bis 8.
                                                                                                                                                                                                                                     Juni an es@bergwaldprojekt.de.
                                               20 BergwaldprojektJournal                                                                                                                                                                                   BergwaldprojektJournal   21
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