DIE NILGANS Dr. Frank G. Wörner - Notizen zu einem Afrikaner an deutschen Gewässern - Tierpark Niederfischbach
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-- 1 -- Ebertseifen Lebensräume e.V. Tierpark Niederfischbach e.V. ________________________________________________________ Dr. Frank G. Wörner DIE NILGANS Notizen zu einem Afrikaner an deutschen Gewässern Niederfischbach, April 2021 © fwö 04/2021
-- 2 -- Ebertseifen Lebensräume e.V. Tierpark Niederfischbach e.V. ____________________________________________________ Dr. Frank G. Wörner DIE NILGANS 1. Einleitung ……. 3 2. Merkmale und Systematik der Gänsevögel ……. 4 2.1 Systematische Einordnung der Nilgans …….. 5 3. Die Nilgans 3.1 Erscheinungsbild und Merkmale …….. 5 3.2 Verbreitung der Nilgans …….. 5 3.2.1 Natürliches Verbreitungsgebiet …….. 7 3.2.2 Anthropogen bedingte Verbreitung …….. 7 3.2.3 Ansiedlung und Vorkommen in Deutschland …….. 8 3.3 Bestand und Gefährdung …….. 10 4. Lebensweise der Nilgans …….. 10 4.1 Fortpflanzung und Jungenaufzucht …….. 10 4.2 Nahrung …….. 12 4.3 Ist die Nilgans übermäßig aggressiv? …….. 13 5. Problem(?)vogel Nilgans 5.1 Eine Gans macht Schlagzeilen …….. 14 5.2 Konfliktfeld Landwirtschaft - Gans …….. 15 5.3 Bekämpfung der Nilgans …….. 16 6. Bejagung der Nilgans …….. 16 6.1 Deutschland …….. 17 6.2 Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz …….. 18 6.3 Jagdmethoden …….. 19 7. Sind invasive Arten eine Bedrohung? …….. 20 8. Quellen …….. 22 8.1 Abbildungen …….. 23 8.2 Literaturhinweise …….. 23 9. Anhang 9.1 INFO „Ebertseifen Lebensräume e.V.“ …….. 25 9.2 INFO „Tierpark Niederfischbach e.V.“ …….. 26 9.3 Essays …….. 28 Tierpark Niederfischbach e.V. & Lebensräume Ebertseifen e.V. Konrad Adenauerstr. 103 57572 Niederfischbach Tel. 02734 / 571 026 mail: info@ebertseifen.de Niederfischbach April 2021 © fwö 04/2021
-- 3 -- PROLOG Minder anziehend ist ihr Wesen. Sie gehört zu den herrschsüchtigsten und boshaftesten Vögeln, welche es gibt, und lebt trotz der Vereinigungen, welche sie mit ihresgleichen eingeht, nicht einmal mit ihresgleichen in Frieden. Während der Paarungszeit kämpfen die Männchen buchstäblich auf Leben und Tod mit einander, thun dies wenigstens in Gefangenschaft, verfolgen sich, unter lebhaftem Schelten, wüthend und unablässig, verbeißen sich in einander, schlagen sich mit den Flügeln und erschöpfen sich gegenseitig bis zum Umsinken. Einzelne Ganserte unterjochen nicht nur die Enten des Weihers, auf welchem sie sich befinden, sondern beugen auch größere Gänse unter ihr Scepter, werden immer kühner und tolldreister, wagen sich schließlich an andere Thiere und gehen unter Umständen selbst dem Menschen zu Leibe (BREHM, 1882) 1. Einleitung „Tiervater“ Alfred Brehm musste als junger Mann eine fünfjährige gefährliche und entbehrungsreiche Reise unternehmen, um Nilgänse in Freiheit beobachten zu können, was wir heute bei einem Spaziergang in den nächsten Park können. - Und hierin sehen viele um die Zukunft unserer heimischen Fauna Besorgte ein Problem, denn die Nilgans gehört zu den berühmt-berüchtigten Neozoen, also Neubürgern in unserer Tierwelt und wird zu den „invasiven Arten“ gezählt. Man ist schnell dabei, eine neu eingewanderte von Menschenhand ausgesetzte Tierart an Stammtischen als „Schädling“ oder gar „Bedrohung für die einheimische Fauna“ zu diskriminieren, oft entsprechen diese Vorwürfe aber kaum der Realität in der Wildbahn (vgl. Kapitel 7.). Ebenso erstaunlich, dass gewisse Teile der Jägerschaft sich nur allzu gerne bei einer ganzen Reihe von heimischen Tierarten zur „Schädlingsbekämpfung“ einsetzen lassen, Beispiele lassen sich schnell anführen (Rabenvögel, Kormorane), es sei auch an den kontraproduktiven Versuch einer Ausrottungskampagne des Rotfuchses in den 1970er Jahren erinnert. Es verwundert z.B. immer wieder, dass die Jägerschaft ( immer noch) mit allen Mitteln versucht, u.a. die Anzahl der Füchse als vierbeinigen „Konkurrenten“ zu dezimieren (regulieren in der grünen Zunftsprache), jetzt behauptet, diese vor dem Marderhund schützen zu müssen. Auch die Art, wie von der Nilgans gesprochen und wie man teilweise mit ihr umgeht, beweist, dass man auch in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts nicht gewillt ist, sich von einer längst antiquierten Einteilung der Wildtiere in Nützlinge und Schädlinge zu trennen. Unbestreitbar haben in der Vergangenheit in eine fremde Region eingeführte Tiere die einheimischen verdrängt, Paradebeispiele sind Inseln, auf denen Seeleute Katzen oder Ziegen absichtlich ausgesetzt haben bzw. Ratten unbeabsichtigt eingeschleppt wurden, aber … „In Mitteleuropa muss man die ökologische Gefährdung anders einschätzen. Hier konnte noch kein Fall nachgewiesen werden, dass eine einheimische Tier- oder Pflanzenart durch eine eingeschleppte Tier- oder Pflanzenart ausgerottet wurde. … Das eigentliche Problem bei vielen Tier- und Pflanzenarten ist, dass nicht sachlich und fachlich, sondern oft ideologisch diskutiert wird. Wir müssen aber auch erkennen, dass unsere Ökosystem nie statisch, sondern immer dynamisch mit ständiger
-- 4 -- Veränderung zu sehen sind“ (SCHMIDT, 2004). Andererseits ist unsere Natur vielerorts (noch) robust, und die meisten Neubürger fanden - trotz aller Unkenrufe - ihre Nische. 2. Merkmale und Systematik der Entenvögel „Die Entenvögel sind in ihrem Artenreichtum so bunt und vielgestaltig, als sei in einer übersprudelnden Schöpferlaune ein ganzes Füllhorn voll Phantasie ausgeschüttet worden“ (KLÖS & KLÖS, 1980). In der Ordnung der Gänsevögel mit ihren mehr als 150 Arten wird eine größere Anzahl gänse- und hühnerähnlicher Vogelarten zusammengefasst, die allesamt in Gewässernähe leben und wenigstens saisonal ins Wasser gehen. Wir finden kleinere Formen wie die Afrikanische Zwergglanzente (Nettapus auritus Körperlänge < 30 cm bei 200 Gramm Gewicht) bis hin zu den Großformen wie dem Trompeterschwan (Cygnus buccinator mit einem Gewicht von > 13 Kilogramm bei einer Gesamtlänge von < 180 Zentimetern und einer Spannweite von 210 cm ). Ihr Flugbild - die Gänsevögel sind trotz ihrer manchmal etwas plumpen Gestalt allesamt gute Flieger - mit dem lang ausgestrecktem Hals ist charakteristisch. Alle Gänsevögel sind Schlagflieger, d.h. sie können nicht segeln; einige Arten wie z.B. die patagonische Dampfschiffente (Tachyeres pteneres) sind flugunfähig. Die Färbung kann innerhalb der einzelnen Arten stark variieren, von der braungrauen bis dunkelbraunen Saatgans bis hin zu den maximal gefärbten Prachtenten. Während die Weibchen der Gänsevögel oft ganzjährig ein unauffällig schlichtes „Tarnkleid“ tragen, legen viele der Männchen (Erpel bei Enten, Ganter bei Gänsen) vor Beginn der Paarungszeit ein „Prachtgefieder“ an. Große Luftmengen im Federkleid erleichtern den Entenvögeln das Schwimmen; nach Experimenten von HEINROTH (in: KLÖS & KLÖS, 1980) an toten Enten beträgt das spezifische Gewicht eines gefiederten Erpels = 0,6, das eines gerupften Exemplars = 0,91. Typisch für Wasservögel ist eine gut entwickelte Bürzeldrüse (Glandula uropygialis), die einzige Hautdrüse der Vögel, mit deren öligen und teils unangenehm riechenden Sekret das Gefieder eingefettet wird und somit vor Wasser geschützt ist. Ein weiteres typisches Merkmal der Entenvögel ist ihr breiter mit einer weichen Hautschicht überzogener Schnabel, der im vorderen Bereich von Ober- und Unterschnabel in einer harten hornigen Platte endet, dem „Nagel“. Am Schnabelrand befinden sich Hornlamellen (vgl. Abb. 3), die bei den Gänsen zum Festhalten und Abschneiden von Gras dienen, hingegen bei den Enten gemeinsam mit der Zunge einen Seihapparat („Reuse“) darstellen. In dem Schnabel befinden sich neben den großen Riechhöhlen im Schnabelinnern die sehr tastempfindlichen Nervenenden mit den als Druckrezeptoren fungierenden „Herbstchen Körperchen“, die z.B. bei Stockenten eine Dichte von 27/mm² erreichen. Als Besonderheit innerhalb der Vogelordnungen haben die Gänsevögel einen in der Kloake einen großen aufrichtbaren Penis. Dieser ist ausstülpbar (Penis protrudens) und von der Form her innerhalb der Wirbeltiere auffällig, er ist nämlich korkenzieherartig aufgerollt und passt somit zu der spiraligen Vagina der Weibchen. Hierdurch wird vermieden, dass Erpel einer anderen Art die Weibchen erfolgreich decken können. Bei den meisten anderen Vogelgruppen pressen beide Partner bei der Kopulation ihre Kloaken aufeinander. Die Begattung erfolgt meist auf dem Gewässer und kann so heftig ablaufen, dass gelegentlich das Weibchen versehentlich ertränkt wird, wenn sie nicht in Paarungsstimmung ist. Alle Gänsevögel sind Nestflüchter, die mit einem dichten Dunenkleid schlüpfen; die Jungen werden lange von dem Elternpaar geführt, wobei das Männchen seinen Nachwuchs gegen vermutete und tatsächliche Feinde vehement verteidigt.
-- 5 -- Gänsevögel findet man, mit Ausnahme der Antarktis, in allen Kontinenten; ihre nächsten Verwandten sind die Flamingos und die Schreitvögel. Rezent sind die beiden Familien der im Habitus hühnerähnlichen Wehrvögel (Anhimidae) - die zwar gute Schwimmer sind, aber zwischen den Zehen keine Schwimmhäute haben - und die der bekannten und allgemein beliebten Entenvögel (Anatidae), die mit ihren Helden Donald Duck und anderen die Comicwelt bevölkern. 2.1 Systematische Einordnung der Nilgans Ordnung Gänsevögel (Anseriformes) Familie Wehrvögel (Anhimidae) Familie Spaltfußgänse (Anseranatidae) Familie Entenvögel (Anatidae) Unterfamilie Pfeifgänse (Dendrocygninae) Unterfamilie Ruderenten (Oxyurinae) Unterfamilie Gänse,Schwäne (Anserinae) Unterfamilie Enten, Säger, Halbgänse (Anatinae) Tribus Dampfschiffenten (Merganettini) Tribus Meerenten, Säger (Mergini) Tribus Tauchenten (Aythyini) Tribus Halbgänse (Tadornini) Gattung Alopochen STEJNER, 1885 Art Nilgans A. aegyptiaca (Linnaeus, 1766) WINKLER (et al., 2016) und CARBONERAS (2017) Als Halbgänse wird ein „Tribus“ bzw. Gattungsgruppe (Tadornini) in der Unterfamilie der Entenvögel bezeichnet, da sie vom Habitus her zwischen den Gänsen und den „eigentlichen“ Enten stehen; bekannteste Vertreter sind Brandgans und Nilgans. Im Gegensatz zu den Enten halten sich die Halbgänse mehr an Land auf, sie sind auch wegen ihrer längeren Beine geschicktere Läufer. Sie alle besitzen zwischen den Zehen Schwimmhäute. 3. Die Nilgans Die rezente Nilgans ist eine monotypische Art und der einzige lebende Vertreter der Gattung Alopochen. Sie ist als häufigster Entenvogel ein Charaktertier und brütet an praktisch allen Gewässern des tropischen Afrikas bis zu 4.000 Meter über NN (Äthiopien). Es sind keine Unterarten bekannt. Weitere Vertreter der Gattung Alopochen kamen auf Inseln des Indischen Ozeans vor (A. kervazoi auf Réunion, A. mauriatianus auf Mauritius und A. sirabensis auf Madagaskar); alle drei Arten sind in den letzten 500 Jahren ausgestorben bzw. durch europäische Kolonialisten ausgerottet worden. 3.1 Erscheinungsbild und Merkmale Die hochbeinige Nilgans ist mit einer Körperhöhe von ca. 65 bis < 75 Zentimetern bei einem Maximalgewicht von rund 2.200 Gramm und bei einer Flügelspannweite von 135 bis 155 Zentimetern etwas kleiner als eine Graugans und somit der größte Vertreter der Gattungsgruppe der Halbgänse. Sie wird deshalb gerne als „große Ente von gänseähnlicher Gestalt” charakterisiert, besonders auffällig sind ihre langen rötlichen Beine und der dunkle Augenfleck, sie ist kaum mit einem anderen einheimischen Vogel zu verwechseln (Abb. 1), ähnelt allerdings im Flug der bei uns gelegentlich als Irrgast auftauchenden Rostgans
-- 6 -- (Tadorna ferruginea), die jedoch erkennbar kleiner ist. Aus der Entfernung macht sieht sie eher grau-beige aus, aus der Nähe betrachtet ist sie deutlich bunter: Ihr Gefieder leuchtet in einer Farbmixtur aus rötlichen und grünen sowie verschiedenen braunen Farbtönen; ihr Rücken ist dunkelbraun, während die Brustpartie blass-ockerfarben ist und einen dunklen Fleck aufweist, dessen Konturen variabel sind und sich nach dem Flüggewerden der Jungvögel bildet. Ein deutlicher Geschlechtsdimorphismus ist - mit Ausnahme von Größe und Gewicht - nicht vorhanden: die Ganter sind allerdings kräftiger im Bau sind ( 1.900 bis 2.200 Gramm / 1.500 bis 1.800 Gramm), bei großen individuell verschiedenen Farbvariationen sind beide Geschlechter fast gleich gefärbt. Im Flugbild zeigt sie ihre großen weißen Flügelfelder, den Spiegel. Dieses Flügelfeld dient vermutlich auch als Signalgeber zum Zusammenhalt der in Gruppen fliegenden Tiere (Abb. 2) und macht die Nilgans unverwechselbar. Ihr Schnabel ist rötlich mit einem dunklen Rand und schwarzem Nagel. Hornleisten am Schnabelrand erleichtern das Festhalten und das Abrupfen von Gras (Abb. 3). Abb. 2: Flugbild der Nilgans Abb. 1: Habitus der Nilgans Abb. 3: Schädel der Nilgans - deutlich erkennbar ist der „Nagel“, und die großen Riechhöhlen sowie die Hornleisten mit Lamellen am Schnabelrand
-- 7 -- Nach Beendigung der Jungenaufzucht setzt bei den Adulten die Vollmauser ein; nachdem das Kleingefieder gewechselt ist, werden Schwung- und Steuerfedern abgeworfen; hierdurch wird die Nilgans für einige Zeit fast flugunfähig. Der Ablauf der Mauser ist nicht synchronisiert, d.h. einer der beiden Altvögel bleibt meist flugfähig. Die Mauser findet bevorzugt an den gleichen Plätzen statt, an denen die Nilgänse sich in z.T. großen Gruppen versammeln. Etwa drei Monate nach dem Schlupf beginnt die Erstmauser der Jungtiere, wobei zuerst der braune Augenfleck und zwei Monate später der Brustfleck durchgemausert wird. Die Nilgans hat eine ganze Reihe von Lautäußerungen, die man einem entsprechenden Anlass zuordnen kann (Zusammenfassung bei SCHRAMM, 2000). „Gereihte“ Rufe „honk- honk-honk“ erinnern ein wenig an die Stimme von Kolkraben, sind aber in ihrer Klangfarbe höher; bei Erregung und bei aggressivem Verhalten gegenüber Artgenossen zischen sie gänsetypisch. Vor der Brutzeit kommunizieren sie mit überkreuzten Hälsen - ohne aber den Partner zu berühren - mit einem leisen „chä-chä-chä“ als einem Teil des Balzrituals. Frisch geschlüpfte Gössel äußern zunächst ein hohes Piepsen, das später scharf und schrill wird. 3.2 Verbreitung 3.2.1 Natürliches Verbreitungsgebiet Das ursprüngliche und natürliche Verbreitungsgebiet der Nilgans ist der Afrikanische Kontinent mit Ausnahme der großen Trockengebiete von Sahara und Sahel (Abb. 4); man findet sie dort in den Feuchtsavannen und an den großen Flussläufen, vor allem im Osten. Die Nordgrenze der Verbreitung liegt im südlichen Oberägypten bis zum Sudan. Am Mittel- und Unterlauf des Nils ist sie selten geworden, obwohl wir von dort frühe Belege (Knochenfunde aus der Zeit der 1. Dynastie 2830 bis 2600 v.Chr. ) ihres Vorkommens haben: Die dem Schöpfergott Amun gewidmete Nilgans wurde im Alten Ägypten aus religiösen Gründen als Opfer-, aber auch als Speisetier gehalten; Hinweise auf Domestikationsversuche wurden bislang nicht gefunden (BENECKE, 1994). Nach einer Zusammenfassung von Literaturangaben (DÖRRIE, 2014) soll sie bis ins 17. Jahrhundert auch als Brutvogel auf dem Balkan vorgekommen sein, wobei es unbekannt ist, ob sie dort als eingewanderter Brutvogel lebte oder von den osmanischen Eroberern wegen ihres auffälligen Federkleides eingebürgert wurde. Die Nordgrenze ihrer Verbreitung verlief damals durch Ungarn und Rumänien. 3.2.2 Anthropogen bedingte Verbreitung Der heute mitteleuropäische Bestand der Nilgans beruht ausschließlich auf menschlichen Aktivitäten. Die ersten Nilgänse im nördlichen Europa kamen als Ziergeflügel vermutlich schon im 17. Jahrhundert nach England, wo sie in den Parkanlagen des Adels gehalten wurden. Bereits Ende des 17. Jahrhundert bildeten in England aus menschlicher Obhut entflogene Exemplare Brutkolonien, die ein Jahrhundert später eine bis zu fünfhundert kopfstarke stabile Population bildeten. Aus den Niederlanden (1967: erste freifliegende Population) erfolgt eine seit den 1970er Jahren starke Ausbreitung von wohl aus Liebhaberhaltung entflogenen Nilgänsen, die sich zunächst in den Niederlanden und Belgien etablierte und dann entlang des Rheins (1981 erster Brutnachweis am Niederrhein) und seiner Nebenflüsse die Schweiz erreichten und im Osten der Donau entlang bis nach Österreich gelangten und von dort voraussichtlich den Balkan wieder besiedeln werden. Brutkolonien der Nilgans außerhalb Europas finden wir in den USA (Florida, Texas, Kalifornien), im Nahen Osten (Israel) und den Küstenregionen des Persischen Golfs (Oman,
-- 8 -- Dubai, Bahrain), die dort für jagdliche Zwecke ausgewildert wurden. Große Bestände gibt es in Südafrika, wo der Staudämme und bewässerte Felder ihre Zahl schnell ansteigen lässt. Abb. 4 & Abb. 5: Verbreitung der Nilgans grün: natürliches Verbreitungsgebiet Deutschland (Stand: 2017). gelb:ganthropogene Verbreitung (Europa) rote Punkte: Brutnachweise 2005 - 2015 3.2.3 Ansiedlung und Vorkommen in Deutschland „Ob diejenigen Nilgänse, welche man in Nord- und Westfrankreich, in Belgien und Deutschland erlegte, zu den Irrlingen gezählt werden dürfen oder der Gefangenschaft entflogen waren, steht dahin“ (BREHM, 1882). Die ersten Nilgänse kamen 1832 nach Deutschland, wo sie in einer Menagerie auf der Pfaueninsel in Berlin ausgestellt wurden (NEHRING et al., 2015). Ein Erstnachweis in freier Wildbahn wurde 1866 durch die Erlegung eines aus dem Park Reinhardsbrunn/Thüringen entflogenen Exemplars erbracht. In Deutschland brütete die Nilgans in freier Wildbahn erstmals 1970 in Sachsen, sodann 1981 in Rheinland-Pfalz; weitere Brutnachweise frühe für die Mitte der 1980er Jahre liegen für Niedersachsen vor, von wo aus eine schnelle Ausbreitung erfolgte - bundesweit ist die Nilgans diejenige Brutvogelart mit der höchsten Zuwachsrate. In Nordrhein-Westfalen brütete die Gans im Freiland erstmals 1986, und zwar am Niederrhein. Inzwischen ist die Nilgans fast an allen deutschen Gewässern anzutreffen (Abb. 5), allerdings zeichnen sich regionale Schwerpunkte ab, so weist ihre Verbreitung im Osten und Süden Deutschlands noch Lücken auf. Kernbereich des Vorkommens sind die Bundesländer Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (NDS und NRW: Vorkommen in 25% aller Jagdreviere), Hessen und Rheinland-Pfalz, wo sie in je 15% aller Jagdreviere erfolgreich brütete (Abb. 6). Deutschlandweit war die Nilgans in > 70% der Jagdreviere Brutvogel (Abb. 7); als letztem Bundesland konnte 2015 in Berlin ein erfolgreiches Brutvorkommen nachgewiesen werden. Innerhalb der letzten acht Jahre hat die Nilgans in Deutschland ihr Verbreitungsgebiet um 70% ausgedehnt (Quelle: dpa 11/05/2020), Schwerpunkt hierbei sind die halboffenen Kulturlandschaften Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens. Einhergehend mit den durch den Klimawandel bedingten Temperaturerhöhungen ist mit einem weiteren Anstieg der Population zu rechnen. Die robuste und wehrhafte Nilgans ist sehr anpassungsfähig, auch relativ kälteunempfindlich, und kann so in vielen Regionen und deren Landschaftsteilen überleben, wichtigste Voraussetzung ist die Nähe eines Gewässers - wahrscheinlich der Hauptgrund für ihre
-- 9 -- Abb. 6: Hauptverbreitungsgebiet in Abb. 7: Ausbreitung der Nilgans Deutschland erfolgreiche schnelle Ausbreitung: Man findet sie in Feuchtwiesen, am Ufer von verschiedensten Fließgewässern wie Flüssen und Bächen sowie in deren Flussauen, sie lebt an den großen Kanälen für die Schifffahrt und an Baggerseen, in Kiesgruben und natürlichen Seen und Teichen in der Landschaft (Fischteiche), an den Gräben zwischen den Feldern sowie an den Gewässern in unseren Parkanlagen, auf Golfplätzen ebenfalls wie an Rieselfeldern, Regenrückhaltebecken und den Talsperren der Mittelgebirge. Ihr Hauptnahrungshabitat sind jedoch Agrarflächen. Im Unterschied zu der Graugans sucht die Nilgans geradezu die Nähe des Menschen und verursacht deshalb Probleme: Sie bevölkert neben den städtischen Parks auch Liegewiesen der Freibäder, wo sie immer noch - trotz striktem Verbot - von den Besuchern gefüttert werden. So wurden im Freibad Oberwerth/Koblenz schon bis zu 120 Nilgänse gezählt (Quelle: welt.de 27/07/2019). Nilgänse sind bei weitem nicht so oft auf dem Wasser anzutreffen wie unsere einheimischen Entenvögel, ein Verhalten, was sich vermutlich in ihrer Heimat entwickelt hat, wo auch für die Adulten im Wasser Gefahren durch Nilkrokodil und Nilwaran lauern (SCHRAMM, 2000). Nilgänse fallen auf größeren Wasserflächen nur dann ein, wenn sich dort bereits andere Vogelarten aufhalten. 3.2.3.1 Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz kommt die Nilgans vor allem entlang der beiden großen Ströme Rhein und Mosel sowie deren Nebenflüssen vor. Nimmt man die Jagdstrecken als Indikatoren für die Häufigkeit der Nilgans, so wurden im Jagdjahr 2019/20 von insgesamt 2.195 in Rheinland-Pfalz erlegten Nilgänsen 827 Exemplare (= 37,7%) im südlichen Landesteil in der Nähe des Rheins geschossen (Stadt Germersheim sowie die Landkreise Mainz-Bingen und Rhein- Pfalzkreis). Im Westerwald gibt es seit rund zwanzig Jahren (KUNZ, 2002; SCHIEFENHÖVEL, 2010 und andere) immer wieder Beobachtungen von brütenden Paaren (Westerwälder Seenplatte) und von Überflügen zur Nahrungssuche und zu den Schlafplätzen. Regelmäßig werden Nilgänse im Siegtal gesehen, an der Nister und an der Lahn. Weitere Vorkommen sind neben dem Gebiet am Rhein zwischen Bingen und Germersheim im südlichen Rheinland-Pfalz im nördlichen Landesteil insbesondere das Neuwieder Becken mit seinen aufgelassenen Kiesseen im „Engerser Feld“ bei Neuwied und dem Naturschutzgebiet auf der gegenüberliegenden Rheininsel „NSG Urmitzer Werth“.
-- 10 -- 3.3 Bestand und Gefährdung Der Bestand der weit verbreiteten Nilgans wird auf weit mehr als eine halbe Million Individuen geschätzt (Quelle: zootierlexikon.org); während ihre Anzahl in ihrer afrikanischen Heimat zwar rückläufig ist, verhält sie sich in Europa invasiv. Somit ist der Fortbestand der Art nicht gefährdet und die IUCN (International Union for Conservation of Nature) führt sie auf ihren Roten Listen als „least concern“ (nicht gefährdet). „Seit Juli 2017 ist die Art auf der ‚Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung‘ aufgeführt und darf, wenn es nach der EU-Kommission geht, vorbehältlich einer Ausnahmegenehmigung in Zukunft weder erworben noch gehalten oder gezüchtet werden“ (Quelle: zootier-lexikon.org - download 07/03/2021). Der Bestand in Deutschland wird aktuell auf mehr als 12.000 Brutpaare geschätzt (Quelle: swrfernsehen.de 21/10/2019), anderen Quellen zufolge auf rund 10.000 (Quelle: Christian DIETZEN in swr.de 22/10/2019). 4. Lebensweise der Nilgans In Mitteleuropa sind Nilgänse Stand- oder Strichvögel, die einen Aktionsradius von bis zu 1.000 Kilometern haben. Sie sind territorial und verteidigen ihr Brutareal gegen Artgenossen und andere Eindringlinge, insbesondere während der Fortpflanzungsperiode. Höchste Brutdichten wurden in den Niederlanden mit 25 Brutpaaren / 100 Hektar beobachtet. Die Nächte verbringen sie auf Bäumen, die sie am frühen Morgen verlassen, um ihre Weidegründe aufzusuchen, eine weitere Nahrungsaufnahme erfolgt abends. Tagsüber findet man sie bevorzugt auf den Kiesbänken an Gewässerrändern, aber auch in städtischen Parkanlagen, wo sie immer noch illegal gefüttert werden. 4.1 Fortpflanzung und Jungenaufzucht Auf die Besonderheit des Kopulationsorganes bei den Entenvögeln wurde bereits eingegangen (vgl. 2.1); Nilgänse sind in der Regel monogam und reviertreu. Einer der Gründe für das schnelle Anwachsen der Nilgansbestände kann mit ihrer Brutökologie erklärt werden: Die Nilgans legt eine größere Anzahl von Eiern und kümmert sich intensiv um ihre Nachkommen, was in einer relativ geringen Sterblichkeit der Juvenilen resultiert. Weiterhin ist sie enorm anpassungsfähig, auch was ihre Nahrung betrifft ( vgl. 4.2) und nicht zuletzt verschafft ihr aggressives Verhalten anderen Wasservögeln gegenüber (v.a. kleinere Arten wie Stockenten) Vorteile gegenüber potentiellen Konkurrenten. Weiterhin profitiert die Nilgans von der Renaturierung einer Fülle von Kiesgruben und in der freien Natur angelegten Tümpeln, die für sie mit ihrer naturnahen Vegetation gute und versteckte Nistplätze bieten. Gelegentlich werden sogar Nisthilfen für andere Vögel, wie z.B. den Weißstorch, von ihr besetzt (Abb. 8 & Abb. 9). Abb. 8: Nilgänse vertreiben Weißstorch
-- 11 -- Abb. 9: Von Nilgans okkupiertes Weißstorchnest im Kreis Höxter Im westdeutschen Verbreitungsgebiet brütet die Nilgans vor allem im März bis August, die ganze Brutzeit kann aber auch sehr viel länger andauern und sich über das ganze Jahr erstrecken, es findet aber überwiegend nur eine Jahresbrut statt. Wird das Gelege zerstört, legt die Nilgans nach. In ihrer afrikanischen Heimat wird die Fortpflanzungszeit durch die beginnende Regenzeit in den Monaten von Juni bis September ausgelöst. In der Wahl ihres Nistplatzes ist sie sehr flexibel, sie kann am Boden im Schilfdickicht oder zwischen großen Steinen brüten, genauso wie an Gebäuden, Felsen und aufgelassen Nestern von Weißstörchen, Greifvögeln (Abb. 10) oder Rabenkrähen. Es werden Nester in Baumhöhlen Abb. 10: Nilgans brütet in Bussardhorst angelegt oder auf Bäumen bis in Höhen von zwanzig Metern. Die Nester werden gerne versteckt angelegt und sind nicht zwangsläufig in unmittelbarer Nähe zu einem Gewässer wie bei anderen Wasservögeln, sondern können bis zu einigen Hundert Metern entfernt liegen. Während der Brut sind die Nilgänse - wie andere Entenvögel auch - sehr territorial und verteidigen vehement ihr Nest und dessen Umgebung, insbesondere gegen Artgenossen; während das Weibchen alleine brütet, bewacht der Ganter das Nest und verteidigt es. Die Nilgans polstert ihr Nest mit Dunen aus und legt fünf bis acht weiße schwach glänzende Eier, die in der Mehrzahl erfolgreich 28 bis 30 Tage lang bebrütet werden. Auch haben die geschlüpften Gössel (Ø Gewicht 54 Gramm) keine hohe natürliche Todesrate, so dass die meisten von ihnen das Erwachsenenalter erreichen. Die Nilgansküken sind - gänsetypisch - Nestflüchter und können somit ihren Eltern schon nach kurzer Zeit folgen. Beide Elterntiere führen die Gössel (Abb. 11) und ziehen sie bevorzugt in Seichtwasserzonen und den daran anschließenden Grasflächen auf. Während die Adulten praktisch keine Fressfeinde haben, können die Küken Opfer von Fuchs, Steinmarder, Rabenkrähe und Greifvögeln werden.
-- 12 -- Abb. 11: Nilganspaar mit Küken Den Bruterfolg von zehn Brutpaaren der Nilgans in städtischen Parkanlagen (Wiesbaden) schildert WEIRICH (et al., 2020): „Die Verfügbarkeit der heftig umkämpften Aufzuchtreviere war offensichtlich der begrenzende Faktor der Nilgans-Reproduktion. Von 101 Gösseln überlebten 50 die erste Woche, von diesen 50 wurden wahrscheinlich 46 flügge“. Sind die Jungtiere zu groß, als dass sie von der Mutter gewärmt werden könnten, kuscheln sie sich piepsend gerne zu einem Klumpen zusammen, der in ständiger Bewegung ist, sodass die an dem Rand frierenden Jungen stets versuchen, in die warme Mitte zu gelangen. Die Jungen sind mit neun bis zehn Wochen ausgewachsen und flügge, sie verbleiben im Familienverband bei ihren Eltern bis weit in den Herbst hinein, aber nicht - wie bei den „richtigen“ Gänsen aus der Unterfamilie Anserinae - über den Winter. Die Geschlechtsreife erlangen sie im Alter von zwei Jahren. Flugübungen: Die jungen Nilgänse beginnen zunächst mit einem hektischen Flattern, das allmählich in ein Rennen mit Flügelschlägen übergeht. Nach einigen Tagen bereits heben sie ab und fliegen in geringer Höhe bis zu zwanzig Meter weit, wenn Muskulatur und Körpergewicht aufeinander abgestimmt sind. Als nächstes müssen die Jungen lernen, auf höhere Ansitze wie Bäume und Pfosten zu gelangen; hierzu werden sie von den vorfliegenden Elterntieren animiert. Flugfähigkeit und Flugtüchtigkeit sind verschiedene Fertigkeiten: Während sie mit neun Wochen bereits fliegen können, muss die Flugtüchtigkeit (Auffliegen, Flugmanöver, Landen) mühsam trainiert werden. Das ganze Jahr über gibt es mehr oder weniger große Trupps von nicht brütenden jungen Exemplaren, die sich teilweise im Spätwinter wieder auflösen. 4.2 Nahrung Ihre Nahrung ist überwiegend vegetarisch und besteht aus Gräsern, Samen, Blättern und Stielen von Pflanzen; sie dringt in Gemüsegärten ein, frisst eingemietete Kartoffeln und Getreidekörner. Generell profitiert sie, wie viele andere Wildtiere auch, von der fortschreitenden Nährstoffanreicherung in der Landschaft, die dem Vegetarier Nilgans eiweißreiche pflanzliche Nahrung im Übermaß zur Verfügung stellt. Sie weiden auf abgeernteten Agrarflächen der immer mehr sich ausbreitenden Maisproduktion für Biogas und suchen als Grasfresser Felder mit auskeimendem Getreide auf. Regelmäßig werden bei Nahrungsverknappung auch die Kartoffel- und Rübenmieten aufgesucht. Im Frühsommer gründelt die Nilgans in Flachwasserbereichen und weidet die Rhizome von Wasserpflanzen ab. Insekten werden vermutlich nur von den Küken und Jungvögeln als
-- 13 -- Nahrungsergänzung verzehrt. Nahrungsquellen werden gelegentlich aggressiv verteidigt, so beobachtete ZUHRT (zit.n. SCHRAMM, 2000), dass eine Nilgans „ … einen Damhirsch attackierte, als er Brotkrumen aufnehmen wollte. In der drohenden Positur von Imponiergehabe mit angehobenen Flügeln und vorgestrecktem Schnabel näherte die Gans sich dem Hirsch und zischte ihn an. Dieser gab auf und überließ dem Vogel den begehrten Brocken“. Nicht zuletzt profitiert die Nilgans von der Tierliebe einer naturentfremdeten städtischen Bevölkerung, die Nilgänse immer noch Füttern und dabei das Risiko einer Ordnungsstrafe ignorieren: In Parkanlagen werden sie mit Brot gefüttert, aber ebenso mit Pommes und ähnlichem Fastfood. 4.3 Ist die Nilgans übermäßig aggressiv? Die Nilgans hat allgemein wegen des ihr nachgesagten hohen Aggressionsverhaltens einen schlechten Ruf, und in der Presse wird immer wieder über ihren angeblich schädlichen Einfluss auf andere Vogelarten beklagt. „Urheberin solcher Meldungen ist zumeist die organisierte Jägerschaft. Sie sieht in der verstärkten Bekämpfung fremdländischer Arten ein neues Betätigungsfeld, auf dem sie bei der Normalbevölkerung, die ihrer Passion zunehmend kritisch gegenübersteht, zu punkten hofft. … Dass die Nilgans andere Vogelarten auf Populationsebene beeinträchtigt, ist durch nichts belegt“ (Hervorhebung durch Verf.) (DÖRRIE, 2014). Inzwischen, nach einigen Jahren mehr mit Erfahrungen im Umgang mit der Nilgans, beruhigen Ornithologen. Aggressive Verhaltensweisen zeigt die Nilgans vornehmlich in bestimmten Situationen und zeitlich begrenzt, und das ist für alle Gänse typisch und unterscheidet sich deutlich vom Verhalten der „braveren“ Enten. Situationen, in denen die Nilgans aggressiv reagiert, sind bekannte Verhaltensweisen wie - Konkurrenz um Nahrung, besonders an Futterstellen - Schutz des Nestes und der Nachkommen - Unterschreiten des Individualabstandes (< 30-50 cm) Bevor die Nilgans zum Angriff geht, droht sie deutlich durch Recken des Kopfes, Aufplustern des Gefieders mit geöffneten Flügeln - erst wenn diese Warnungen nicht beachtet werden, wird sie mit Beißen und Schnabelhacken reagieren. Gegenüber anderen Wasservögeln verhalten sie sich kaum anders wie Höckerschwan, Kanada- oder Graugans. Hierbei spielt vermutlich die Größe der Wasserflächen eine Rolle, die in den städtischen Parkanlagen oftmals hohe Konzentrationen von Wasservögeln aufweisen. Hier kann die Nilgans durchaus gesteigerte Aggressivität zeigen, vor allem den eigenen Artgenossen gegenüber. Für bedrohte andere Vogelarten stellen sie kein Problem dar, negative Einflüsse sind praktisch nur an naturfernen Gewässern, wie z.B. in Parkanlagen, zu beobachten. Aggressives Verhalten von Nilgänsen wurde auch von WEIRICH (et al., 2020) nicht beobachtet: „In sechs Parkanlagen in Wiesbaden wurden von März bis Dezember 2019 wöchentlich die Nilgänse und die Jungvögel aller Wasservogel-Familien gezählt. … Die Verfügbarkeit der heftig umkämpften Aufzuchtreviere war offensichtlich der begrenzende Faktor der Nilgans-Reproduktion. … Gegenüber den Küken der einheimischen Arten Stockente, Teich- und Blässhuhn verhielten sich die Nilgänse im Untersuchungsgebiet stets neutral. Regelmäßig hielten sich Küken aller drei Arten und deren Eltern völlig entspannt in unmittelbarer Nähe der Nilgänse auf. Aggressive Aktionen gegenüber adulten Stockenten (einmal auch Teichhuhn) wurden sehr selten beobachtet und hatten nie Verletzungen zur Folge. Alle drei einheimischen Arten pflanzten sich in Gegenwart der Nilgänse erfolgreich fort“. Auch DÖRRIE (2014) bezweifelt die oft beschworene Gefahr, die von der Nilgans für die einheimische Vogelwelt ausgehen soll: „Die Mutmaßungen über einen schädlichen Einfluss
-- 14 -- auf andere Vogelarten entbehren, wie oben gezeigt, zumeist der Substanz. … Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass (wieder einmal) eine Vogelart als Sündenbock oder Alibi herhalten muss, weil man im Natur- und Artenschutz nicht weiterkommt. … Man muss die Nilgans ja nicht gleich lieben und ihre Ansiedlung bejubeln. Teilnehmendes Beobachten reicht völlig aus.“ Auch das Bundesamt für Naturschutz (Quelle: BfN-Skripten 409, 2015) erklärt über den Einfluss der Nilgans auf die „Gefährdung der Biodiversität“ eindeutig: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gefährdung heimischer Arten“. 5. Problem(?)vogel Nilgans 5.1 Eine Gans macht Schlagzeilen „Nur wenige Vogelarten erhalten derzeit so viel mediale Aufmerksamkeit wie die nicht heimische Nilgans, die sich bei uns ausbreitet“ (nabu.de). Regional wird die Nilgans nicht nur in den jagdrelevanten Medien durchaus wahrgenommen, wenn auch oft übertrieben dargestellt und vielleicht Ängste schürend, wo nur zur Vorsicht geraten werden sollte - einige neuere Beispiele als Pressespiegel (Quelle: wikipedia.org): KÖLNER STADT-ANZEIGER (08/07/2012) - Die Nilgans erobert Köln BADISCHE ZEITUNG (14/02/2017) - Die Nilgans macht sich in Freiburg breit OSTTHÜRINGER ZEITUNG (05/10/2017) - Gans vom Nil gefällt es an der Saale GEO (17/04/2018) - Wird die Nilgans zur Plage? FRANKFURTER ALLGEMEINE (18/04/2018) - Nilgänse: Minder anziehend ist ihr Wesen FRANKFURTER ALLGEMEINE (05/07/2018) - Nilgänse trüben Badespaß FRANKFURTER NEUE PRESSE (16/12/2019) - Nilgans-Problem: Lösung in Sicht? MAIN POST (07/04/2020) - Nilgänse in Main-Spessart: Töten oder nicht? FULDAER ZEITUNG (13/08/2020) - Problem oder nicht? Nilgans bevölkert … Haselsee RHEIN-ZEITUNG (15/01/2021) . Große Gänsegruppen versammeln sich am Rhein. Droht Koblenz eine Invasion? Besonders in urbanen Gebieten wird die Nilgans von der Bevölkerung als unerwünschter Neuling empfunden, da sie auf Radwegen, den Liegewiesen der Freibäder und in Parkanlagen neben den Erholungssuchenden die Rasenflächen okkupiert (Abb. 12), wobei und Abb. 12: Nilgänse auf den Neckarwiesen / Stuttgart sie gelegentliches Drohverhalten zeigt, was aber nur dem naturentfremdeten Städter bedrohlich erscheint. Viele Probleme mit der Nilgans ließen sich allein schon durch ein konsequent durchgesetztes Fütterungsverbot lösen; unbestritten ist das Problem der Verschmutzung des Rasens durch den Kot: Hier drohen vor allem für Kleinkinder die
-- - 15 - -- Gefahren einer Infektion mit Salmonellen oder Kolibakterien. Im Wasser von Badeseen bohren sich auf der Suche nach einem Zwischenwirt die Larvenstadien von Saugwürmern (Zerkarien von Trichobilharzia sp.) in die Haut der Badenden und verursachen die an Pusteln und Quaddeln erkenntliche, aber harmlose Badedermatitis. Angemerkt sei, dass Bakterien- und Zerkarien nicht nur von der Nilgans ausgeschieden werden, sondern gleichfalls von allen anderen Gänse- und Entenvögeln auch - ein Infektionsrisiko für den Menschen ist durch Hundekot sehr viel höher. 5.2 Konfliktfeld Landwirtschaft - Gans Die Nilgans tritt gelegentlich in großen Scharen auf, KONRAD (2017) listet einige beobachtete Maximalwerte der Konzentration auf: - 630 Individuen bei Lampertheim (Kreis Südliche Bergstraße) - 06/10/2016 - 570 Individuen bei Ladenburg (Rhein-Neckar-Kreis) - 29/12/2013 - 400 Individuen bei Reilingen (Rhein-Neckar-Kreis) - 25/12/2012 - 260 Individuen bei Mannheim - 01/01/2015 Es werden seitens der Landwirtschaft immer wieder Klagen darüber geführt, dass Gänse bei größeren Ansammlungen allgemein - nicht nur die Nilgans - große Schäden anrichten können, nicht nur durch Wegfraß landwirtschaftlicher Produkte (Weide und Feldfrüchte) und Verschmutzung durch ihren reichlichen Kot (< zwei Kilogramm / Tag und Gans! ), sondern auch durch das Platttreten der Vegetation. BERGMANN (2011, in: Nilgans - Management- und Maßnahmenblatt zu VO (EU) Nr. 1143/2014) betont „ … landwirtschaftliche Schäden möglich, aber nicht höher als bei anderen Gänsearten“. Größter Problemvogel hierbei ist an der Nordküste von Schleswig-Holstein sowie in Ostfriesland die 2021 zum Vogel des Jahres gekürte Nonnengans (Branta leucopsis), deren Schwärme bis zu 50.000 Individuen umfassen können. 5.2.1 Wer bedroht die Artenvielfalt? Die Nilgans wird von der Europäischen Union in der Liste der invasiven und gebietsfremden Arten geführt. Ihre Ausbreitung wird als Bedrohung für europäische Ökosysteme und die Artenvielfalt eingestuft: Es ist aber nicht die viel gescholtene Nilgans, die eine Gefahr für unsere heimische Tierwelt und allgemein die Biodiversität darstellt, sondern auch eine direkte und teils bis heute betriebene Verfolgung/Bejagung, die eine ganze Reihe von Tieren in der deutschen Wildbahn (fast) aussterben ließen: Greifvögel (See- und Steinadler), Uhu, Kormoran, Kolkrabe, Raufußhühner, Biber, Fischotter, Luchs und Wildkatze, nicht zuletzt der Wolf. Die oft gehörte Behauptung, dass die „ … Jagd keine Tiere ausrottet“, entspricht nicht den Tatsachen. Umweltgifte in Form von Fungiziden, Insektiziden, Herbizide und anderen mögliche -iziden vernichten nicht nur diejenigen Organismen, für die sie entwickelt wurden, sondern entziehenm dadurch anderen Tieren die Nahrungsgrundlage (Bsp. Insekt/Insektivor, Insekt/Singvgel). Die Eutrophierung der Gewässer durch unkontrollierte landwirtschaftliche Aktivitäten lässt die Artenvielfalt unserer Gewässer sinken. Ein kompletter Umbau der Landschaft läßt für viele Arten keinen Lebensraum mehr über: Ungehemmte Überbauung und Versiegelung immer größerer Flächen, Intensivierung der Landwirtschaft - von kleinflächigen strukturreichen vielfältigen Landschaftstypen hin zu einer lebensfeindlichen Agrarsteppe mit dem Anbau von Energiepflanzen in großem Stil, tödliche Fallen wie Windenergieablagen - und nicht zuletzt der alles beeinflussende Klimawandel. Dies alles lässt den durch unzählige Verkehrswege schon ohnehin zerschnittenen Lebensraum weiter schrumpfen.
-- 16 -- 5.3 Bekämpfung der Nilgans Neben dem Abschuss werden in verschiedenen Städten, wo sie mit ihrem Kot Parkanlagen und die Liegewiesen der Schwimmbäder verunreinigen, in der Literatur verschiedene mögliche Tötungsmethoden und/oder diverse Vergrämungsmaßnahmen vorgeschlagen (u.a. KONRAD, 2017), wie folgt: - Vergasung: In einem Umkreis von 20 Kilometern um den Flughafen Shiphol (Amsterdam) wurden nicht flugfähige Jungvögel und mausernde Altvögel zusammengetrieben und mit CO 2 getötet. Diese Methode ist seit dem 01/06/2015 in den gesamten Niederlanden erlaubt, in Deutschland hingegen - begrüßenswerter Weise - nicht umzusetzen. Der Deutsche Jagdverband (djv.de 05/08/2015) kommentiert hierzu: „Der Deutsche Jagdverband (DJV) lehnt die Vergasung von Wildgänsen zur Bestandsentwicklung vehement ab, die Methode ist nicht vereinbar mit den Grundsätzen des Tierschutzes (und wie war das mit den Füchsen? - Anm.d.Verf.). Für Deutschland fordert der DJV eine weiterhin nachhaltige Bejagung von Gänsen, um eine Situation wie in den Niederlanden zu vermeiden“. - Manipulation am Gelege: Es können, wie bei anderen Vögel auch schon lange praktiziert, die Eier dem Gelege entnommen und durch untergeschobene künstliche Eier (Beton) ersetzt werden. Man kann ebenfalls die Eier kräftig schütteln und hiermit den Embryo abtöten, um sie in das Nest zurückzulegen. In beiden Fällen wird hiermit verhindert, dass die Gans neue Eier nachlegt. - Fütterungsverbot: Die Grünflächen öffentlicher Parks werden gerne von der Nilgans wegen des kurze gemährten Rasens angenommen, und gleichzeitig sind tierliebe Städter immer wieder versucht, die zutraulichen Wasservögel zu füttern. Hierdurch werden wiederum weitere Exemplare angelockt. Wiederholte Verstößen gegen das Fütterungsverbot werden z.B. in Stuttgart mit Bußgeldern bis in Höhe von 5.000 € sanktioniert (Quelle: weather.com 11/05/2020). - Vergrämung: Die bei anderen Vogelarten vorgeschlagenen Vergrämungsmethoden wie Böllerschüsse oder der Einsatz von Drohnen bringen nach kurzem Vertreiben der Vögel keinen dauerhaften Erfolg, außerdem sind hiervon auch alle anderen Vogelarten betroffen. An von Tonbändern abgespielte Warnschreie von Nilgänsen gewöhnten sich die Tiere nach zwei bis drei Tagen, aufgestellte Fuchsattrappen verloren genauso schnell ihre Schreckwirkung. Ebenso wirkungslos erweisen sich - Zäune, die die Tiere einfach überflatterten: „Er war DIE Lachnummer des vergangenen Jahres: der Nilgans-„Schutzzaun“ im Ostpark kostete 6500 Euro, hinderte keinen Vogel am Überflug Richtung Liegewiese – und war potthässlich. Geht's noch sinnloser? Aber hallo! - Ein Jahr nach dem Gaga- Vorstoß von Umweltdezernentin Rosemarie H. (62, Grüne) steht jetzt Zaun Nummer zwei: Halb so hoch (60 cm statt 1,20 m), mit 48 000 Euro sieben Mal so teuer und mindestens genauso sinnlos“ (Quelle: BILD 02/07/2019). 6. Bejagung der Nilgans Die Nilgans ist keine bedrohte Art und kann deshalb (vorbehaltlich der jagdrechtlichen Bestimmungen incl. der Schonzeiten während der Brut und der Jungenaufzucht ) wie jedes andere Stück Wildbejagt werden, Voraussetzung ist jedoch die Nachhaltigkeit der Jagd, d.h. dass weder die Nilgans noch andere Arten in ihrem Fortbestand bedroht werden und weiterhin eine sinnvolle Nutzung des erlegten Tieres erfolgt.. Die Bejagung invasiver Arten wie der Nilgans mit den herkömmlichen Methoden hat mit dem Ziel einer Bestandsredzierung („Regulation“) kaum einen Einfluß auf die Entwicklung des Bestandes und ist aus derzeitiger Sicht kein Lösungsweg: Ebenfalls die Bejagung des einheimischen Schalenwildes (vor allem Reh- und Schwarzwild) kann ein stetiges Anwachsen der Bestände mit der damit verbundenen Problematik nicht verhindern. Deutschlandweit werden heute etwa 15.000 bis 20.000 Nilgänse geschossen – eine
-- 17 -- enorme Zahl im Vergleich zum Brutbestand von nur bis zu 7.500 Paaren im Jahr 2009. Die Jägerschaft betont immer wieder, dass die Nilgans bejagt und nicht bekämpft werden soll (vgl. 5.3), besonders da, wo sie im Jagdrecht als „Federwild“ aufgeführt wird. Von Adolf *) Oskar RIESENTHAL (1830 - 1898) stammen die früher in jagdlichen Kreisen gern zitierten Verse „ … des Jägers Ehrenschild, dass er beschützt und hegt sein Wild, waidmännisch jagt, wie sich’s gehört, den Schöpfer im Geschöpf ehrt“. Unter diesem Aspekt verkommt die Bejagung der Nilgans, die in vielen Fällen unterschwellig eher einer Ausrottung vergleichbar ist, nicht gerade zum Ruhme der „grünen Zunft“ zur Schädlingsbekämpfung. Sie wird von den „schwarzen Schafen im grünen Rock“ leider auch als lebende Zielscheiben einer pervertierten Hobbyjagd missbraucht, die mit großem Aufwand teils paramilitärisch ausgeführt wird (vgl. 6.1) und in einigen Fällen sogar als „Naturschutz mit der Waffe“ versuchsweise legitimiert wird. Hier tun sich offensichtlich Widersprüchlichkeiten auf, die - vor allem städtische - Bevölkerung füttert trotz striktem Verbot die Nilgänse und fördert somit direkt über das erhöhte Nahrungsangebot ein Anwachsen der Bestände in der jeweiligen Region, opponiert aber auch vehement und oft inadäquat gegen die Bejagung. Die Europäische Union erweiterte den Katalog der invasiven Arten (Quelle: Pressemittlg. des Jagdverbandes djv.de vom 30/06/2017), in dem auch die Nilgans gelistet ist, die Mitgliedstaaten der EU sind somit verpflichtet, die weitere Ausbreitung dieser Art zu stoppen. Nach dem Bundesjagdgesetz (BJagdG) gehört die Nilgans nicht zu den jagdbaren Arten (Federwild), wegen ihrer starken Ausbreitung legten neun Bundesländer jedoch Jagdzeiten zwischen drei und sechs Monaten fest. Sie genießt aufgrund ihrer Herkunft als Neozoe nicht den besonderen Schutz von Bundesnaturschutzgesetz oder den Vogelschutzrichtlinien der Europäischen Union, allerdings ist sie in Deutschland durch den allgemein gültigen Artenschutz vor Fangen oder Töten dieser Tiere ohne vernünftigen Grund hinreichend geschützt. Das „Komitee gegen den Vogelmord“ kommentiert hierzu: „Es gibt keinen vernünftigen Grund, wildlebende Vögel zu bejagen. Angebliche Fraßschäden von Wildgänsen und einigen wenigen anderen Arten auf landwirtschaftlichen Nutzflächen können angesichts der europaweiten Überproduktion im Agrarsektor kaum zur Begründung herhalten. Zudem kommt es so oft zur Verwechslung jagdbarer mit geschützten und gefährdeten Arten“ (BÖRNECKE, 2020). 6.1 Deutschland Die Streckenstatistiken des Deutschen Jagdverbandes geben nur summarisch die Anzahl der erlegten Wildgänse des jeweiligen Jagdjahres wieder, Nilgänse sind hierin mit enthalten, aber nicht gesondert aufgeführt, obwohl der Deutsche Jagdverband die Führung von artengenauen Streckenstatistiken empfiehlt (Quelle: DJV-Empfehlung zur „guten fachlichen Praxis“ bei der Jagd auf Wildgänse), da dies die obligatorische Voraussetzung für Managementmaßnahmen ist! In den elf Jahren 2009/10 bis 2019/20 stieg die Wildgansstrecke um um das 1,8fache (von 62.012 - auf 111.944 Exemplare) (Abb. 13), wobei der Anteil der Nilgänse in Nordrhein- Westfalen (2009/10 - 2016/17 / vom Landesjagdverband gesondert gelistet) relativ konstant bei rund einem Drittel liegt (Abb. 14 Ø = 34,9: min 33,1- max 36,8). *) Riesenthal war ab 1871 für kurze Zeit in Altenkirchen als Revierförster tätig
-- 18 -- 120000 100000 80000 60000 40000 20000 0 Abb. 13: Jahresstrecken Wildgänse 2009/10 - 2019/20 in Deutschland 38 36 34 Abb. 14: Prozentualer Anteil der Nilgansstrecke [%] von der Gesamt- 32 strecke an Wildgänsen in NRW 30 6.2 Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz In Nordrhein-Westfalen werden von allen Bundesländern bei der Wildgänsejagd die höchsten Strecken erzielt, so betrug z.B. der Anteil der Wildgans am Jagdergebnis 2019/20 27,8% der Bundesrepublik. Die Streckenergebnisse verdoppelten sich fast von der Jagdzeit 2009/10 (n = 15.686 Exemplare) auf 31.102 erlegte Wildgänse in der Saison 2019/20, was für diesen Zeitraum einem jährlichen Durchschnitt von 23.530 erlegten Tieren entspricht. Die Nilgans unterliegt zwar nicht dem Bundesjagdrecht, wird in Nordrhein-Westfalen aber durch eine Landesjagdzeitenverordnung in der Zeit vom 16. Juli bis zum 31. Januar bejagt; in ausgewiesenen Schutzgebieten am Niederrhein und in der Weseraue gilt eine um drei Monate verkürzte Jagdzeit (15/10 bis 31/01). Die Nilgans hat in Rheinland-Pfalz verschiedene Jagdzeiten für Adulte (01. November bis 15. Januar) und für Jungtiere (ganzjährig) außerhalb von Vogelschutzgebieten. Zur Schadensabwehr dürfen erwachsene Exemplare auf landwirtschaftlichen Nutzflächen schon vom 01. September an geschossen werden. Die Jahresstrecke nahm in den letzten elf Jahren (mit Ausnahme des Jagddjahres 2013/14) kontinuierlich von 510 auf 2.195 erlegte Exemplare zu, was einem Anstieg um das 4,3fache enttspricht (Abb. 15).
-- 19 -- 2500 2000 1500 1000 500 0 Abb. 15: Jagdstrecken Nilgans in Rheinland-Pfalz 2009/10 - 2019/20 6.3 Jagdmethoden Die Nilgans ist ein sehr vorsichtiger Vogel mit hervorragender Sehschärfe, der sich nur dann gerne niederlässt, wo bereits die Anwesenheit anderer Artgenossen die Ungefährlichkeit des Rastplatzes signalisiert; dies wird bei der Bejagung mit „Lockvögeln“ imitiert (Abb. 16). Der DJV empfiehlt, gut getarnt morgens an den Äsungsflächen, vorzugsweise an abgeernteten Getreide- und Maisfeldern anzusitzen (Abb. 17). Die Schussentfernung ist durch die Munition (bleifreier Schrot) auf 25 bis 30 Meter vorgegeben. Eine zeit- und personalaufwändige Bejagung ist der Fang mit Netzen, wo ein Abschuss nicht möglich ist (geschlossene Ortschaften, Schutzgebiete), hierzu bedarf es in Bundesländern, in denen die Nilgans nicht dem Jagdrecht unterliegt, einer Ausnahmegenehmigung (§ 4 Abs. 3 BArtSchG.). Durch eine verstärkte Bejagung entlang der Ausbreitungsgrenzen hätte die Geschwindigkeit der Ausbreitung der Art verlangsamt werden können, ist aber nun sinnlos, da die Nilgans inzwischen fast flächendeckend in Deutschland vorkommt. Abb. 16: „Lockvogel“ für die Nilgans Abb. 17: Bejagung(?) von Nilgänsen oder (fast schon) der Versuch einer Ausrottung
-- 20 -- 7. Sind invasive Arten eine Bedrohung? „Die globale Fauna ist schon jetzt völlig vom Menschen geprägt und dies erst recht in der Zukunft“ (Quelle: ÖKOJAGD Dezember 2000) In den letzten Jahrhunderten, und eigentlich bis heute, gelangten - unbeabsichtigt, fahrlässig oder vorsätzlich - eine immer größer werdende Anzahl von Tierarten aus anderen Faunenkreisen in die deutsche Wildbahn und etablierten sich hier erfolgreich; fast alle werden mit Argwohn betrachtet und mit (meist unberechtigten) Vorurteilen belegt. Diese „Neubürger“ werden unter dem Begriff „Neobiota“ zusammengefasst, wobei pflanzliche als „Neophyten“, die tierlichen als „Neozoen“ bezeichnet werden (das Gegenteil hiervon sind die Archäozoen, Tiere, die teilweise schon in der Antike bei uns eingeführt wurden; bekanntestes Beispiel hierfür ist das Damwild). Definitionen 1.) „Neozoen, Bez. für Tierarten, die unbeeinflusst oder beeinflusst durch den Menschen in ein Gebiet gelangt sind, in dem sie ursprünglich nicht beheimatet waren und die längerfristig wild in diesem Gebiet leben. …. Während viele N. keine Bedrohung für die heimische Fauna darstellen, haben sich einige Arten sehr stark vermehrt und schädigen einheimische Lebensgemeinschaften (Faunenverfälschung). (spektrum.de 12/06/2018) 2.) „Bei invasiven Arten handelt es sich um, einmal eingeschleppt, sich schnell verbreitende und ökologisch, ökonomisch oder gesundheitlich bedenkliche Arten. Nicht jede gebietsfremde Art ist „invasiv“. Viele Arten werden eingeschleppt, verschwinden aber bald nach ihrem Auftreten wieder oder fügen sich in das Ökosystem ein. Andere jedoch gefährden durch Lebensraumveränderungen, Verdrängen heimischer Arten, oder auch durch Hybridisierungen und Einkreuzen fremden genetischen Materials die heimische Natur“ (SCHMIDT, 2004) Der Mehrheit der gewollt in die freie Natur ausgesetzten oder ungewollt aus einer Haltung entkommenen Arten ist es gelungen, sich mit überlebensfähigen Populationen in unsere heimischen Ökosysteme einzunischen, und keiner dieser oft kritisch betrachteten „invasiven“ Tierarten entwickelte sich beispielsweise zu einem solch gravierenden Schadensfaktor für Land- und Forstwirtschaft wie ausgerechnet das endemische und verhätschelte Schalenwild (Reh-, Rot- und Schwarzwild). „Es wird für Naturschützer Zeit zu schauen, ob eingewanderte Arten eine produktive Rolle spielen – und sich nicht an ihrer Fremdheit festzubeißen. Dass Fremdarten heimische vernichten, ist ein Mythos. Meist, abgesehen von Inseln, tritt das Gegenteil ein: Neuzugänge machen einen Lebensraum vielfältiger“ (DAVIS, in: ANONYMUS, 2014). Aber in der Öffentlichkeit werden Neubürger in der Tier- und Pflanzenwelt kritisch betrachtet, viele Besorgte wollen die Natur auf einem definierten „status quo“ erhalten, der dann als klassischer „Naturschutz“ deklariert wird, vergessen dabei aber, dass Tiere, die sich bei uns in freier Natur etablieren und über mehrere Generationen erfolgreich fortpflanzen, auch schon als „einheimische Arten“ (Bundesartenschutzverordnung § 1) gelten, wenn sie auch weiterhin als „Neozoen“ eingestuft werden. Zu den Neozoen zählt man nicht die einstmals einheimischen und nun wieder bei uns lebenden Tiere wie Luchs und insbesondere den derzeit in heftiger Diskussion stehenden Wolf, ebenfalls den in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gelegentlich auftauchenden Elch. Weiterhin sind Biber und Kormoran (oft ungeliebte) Rückkehrer. Diskussionen um invasive Arten geraten schnell - oft auf Stammtischniveau - auf eine emotionale Ebene, wo gerne rassistische Vergleiche gezogen werden („Deutschland den Deutschen“), nicht zuletzt deshalb, weil oberflächlich in der deutschen Sprache die Begriffe wie „fremd“ mit negativen Assoziationen verbunden sind, wobei letztendlich oft eine Xenophobie zutage tritt.
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