BAURECHT UND BAUSTANDARDS

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BAURECHT UND BAUSTANDARDS
TAGUNGSBAND

J A H R E S TA G U N G 2 0 1 9
BAURECHT UND
BAUSTANDARDS
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

Die vorliegende Publi-       IMPRESSUM
kation ist der Tagungs-
band zur Jahrestagung        Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
2019 für Baurecht und        Alle Rechte vorbehalten. Fotos: © Austrian Standards/
Baustandards, die am 5.      Peter Tuma (Sehstern), 2019, andere Bildrechte sind bei
Dezember 2019 im Mee-        den betroffenen Bildern angeführt.
ting Center von Austrian
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Standards stattgefunden
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war eine Kooperation von
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                             gestattet.
der Geschäftsstelle Bau
der Wirtschaftskammer        Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorg-
Österreich. Sie wurde        fältiger Bearbeitung ohne Gewähr und eine Haftung des
unterstützt vom Hauptmedi-   Herausgebers, des Autors, des Bearbeiters oder des
enpartner a3BAU und dem      Verlages ist ausgeschlossen. Aus Gründen der besseren
Medienpartner Österrei-      Lesbarkeit wird in vorliegendem Werk die Sprachform
chische Bauzeitung.          des generischen Maskulinums angewendet.

                             Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die
                             ausschließliche Verwendung der männlichen Form
                             geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

Idee, Design, Text           © Austrian Standards plus GmbH, Wien 2019
und Redaktion:               Die Austrian Standards plus GmbH ist ein Unternehmen
Herbert Hirner, h2p_         von Austrian Standards International.
Büro für Kommunikation       Austrian Standards Plus GmbH
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                             T +43 1 213 00-300

              JAHRESTAGUNG 2019
              BAURECHT UND BAUSTANDARDS
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
INHALT

Erste Schritte sind getan,                                 3
viele weitere werden folgen!
DDr. Elisabeth Stampfl-Blaha

Bewegung bei Bauregeln!                                    4
Zusammenfassung der zweiten Jahrestagung
für Baurecht und Baustandards.

Grußbotschaft
Dipl.-Ing. Dr. Rainer Pawlick                              7
Innungsmeister der Landesinnung Bau Wien

Das Dialogforum entfaltet Wirkung                          10
Vier Jahre nach dem Start gibt es konkrete Fort-
schritte bei der Normung und einen Wandel in
den Diskussionen, doch es bleibt noch viel zu tun.
Andreas Kovar

Eindrücke von der Jahrestagung                             16

Diskussionsrunde zu Haftungsfragen                         18

Die Norm richtig interpretieren                            20
Die ÖNORM B 1300 und die ÖNORM B 1301 können
bei der Organisation erforderlicher Objektsicherheisprü-
fungen helfen. Mag. Doris Wirth

                                               JAHRESTAGUNG 2019
                                     BAURECHT UND BAUSTANDARDS     1
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                INHALT

                Baurecht und Verkehrssicherheitspflicht                     22
                Praxiserfahrungen aus der Sicht eines Sachverstän-
                digen. Arch. Dipl.-Ing. Christoph Geisler

                Sanierungsbedarf bei Bauregeln                              24
                Problemstellungen und Lösungen moderner Denk-
                malpflege. Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg

                Die Kostentreiber bei Bauprojekten                          26
                Die wichtigsten Einflussfaktoren in der Kostenentwick-
                lung. Dipl.-Ing. Architekt Dietmar Walberg

                Normungsroadmap als Kostensenker                            28
                Ziele und Status quo der Normungsroadmap Bauwerke.
                Dr.-Ing. Matthias Witte und Dipl.-Ing. Roland Jörger.

                Mobilfunker frühzeitig einbeziehen!                         31
                Die Möglichkeiten von 5G bestmöglich nutzen.
                Dipl.-Ing. Thomas Sigl

                Kostendruck durch höhere Ansprüche                          32
                Trotz stabiler Preise steht der öffentliche Wohnbau unter
                Druck. Dipl.-Ing. Herwig Pernsteiner .

                Der Stand der Technik ist zu definieren!                    34
                Problemstellungen und Haftungsfragen aus Sicht
                des Flughafen Wien.
                Dipl.-Ing. Judith Engel MBA, MSc

     JAHRESTAGUNG 2019
 2   BAURECHT UND BAUSTANDARDS
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
Erste Schritte
sind getan,
viele weitere
werden
folgen!
                                                DDR. ELISABETH STAMPFL-BLAHA

2016 hat Austrian Standards die Initiative      men sich dem Problem paralleler Standards
                                                                                                      DIALOGFORUM
ergriffen und gemeinsam mit der Bundes-         und der systematischen und nachhaltigen
                                                                                                      BAU ÖSTERREICH
innung Bau der Wirtschaftskammer Ös-            Weiterentwicklung der Normung.
terreich das „Dialogforum Bau Österreich
                                                                                                      Das Dialogforum Bau Öster-
– gemeinsam für klare und einfache Bau-         Die zweite Jahrestagung Baurecht und
                                                                                                      reich wurde Anfang 2016
regeln“ aus der Taufe gehoben. Ein wesent-      Baustandards hat sich drei großen Themen
                                                                                                      ins Leben gerufen, um Bau-
liches Ergebnis der Initiative ist die – 2019   im „reality check“ gewidmet: der korrekten
                                                                                                      regeln (ÖNORMEN, Gesetze,
bereits zum zweiten Mal stattfindende Jah-      Anwendung von Bauregeln, dem Umgang
                                                                                                      Richtlinien, Verordnungen
restagung Baurecht und Baustandards.            mit Bestandsbauten und der Frage der Haf-             etc.) zu vereinfachen. In
Als Mitinitiatorin freue ich mich besonders     tung. Wie sich gezeigt hat, sind auch hier            einer ersten Phase wurde
über die beeindruckend hohe Beteiligung         schon erste Schritte getan. Um ans Ziel zu            in offener Diskussion die
und die Fülle von Reaktionen. Die teilneh-      kommen, müssen aber noch viele weitere                Problematik analysiert, seit
menden Institutionen und Persönlichkeiten       folgen. Im vorliegenden Tagungsband ha-               Mai 2017 wird in 5 Hand-
bilden einen unglaublich vielfältigen und       ben wir die Vorträge und Diskussionsbei-              lungsfeldern an der Vereinfa-
spannenden Mix, der die Vielfalt des heimi-     träge für Sie zusammengefasst.                        chung von Baunormen und
schen Bauwesens repräsentiert. Allen Be-                                                              baurelevanten gesetzlichen
teiligten danke ich bei dieser Gelegenheit      Ich lade Sie ein, sich auch an den weiteren           Regelungen gearbeitet.

sehr herzlich für das Engagement.               Aktivitäten des Dialogforum Bau Österreich            Lösungsansätze für klare
                                                zu beteiligen und ihr Wissen einzubringen.            und einfache Bauregeln
Um Normen besser von anderen Regelwer-          Gelegenheit dazu bietet ein Workshop am               unter:
ken abzugrenzen, haben wir bereits konkre-      27. Jänner 2020 – mit der Zielsetzung – Wi-
                                                                                                      www.dialogforumbau.at
te Schritte gesetzt. Die Geschäftsordnung       dersprüche in bestehenden regulativen Do-
von Austrian Standards wurde überarbei-         kumenten aufzuspüren. Sie können sich
tet und der „Ausschuss für Bauregeln“ als       auch online unter www.dialogforumbau.at
ständige Einrichtung beim Präsidialrat an-      einbringen.
gesiedelt. Dieses Gremium diskutiert Nor-
men und Gesetze aus ganzheitlicher Sicht        Elisabeth Stampfl-Blaha
und gibt konkrete Empfehlungen zu Baure-        Managing Director, Austrian Standards International
geln ab. Weitere konkrete Aktivitäten wid-      Mitinitiatorin Dialogforum Bau Österreich

                                                                                            JAHRESTAGUNG 2019
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BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

Bewegung bei
Bauregeln
                            Die zweite Jahrestagung für Baurecht und Baustandards
                            war mit mehr als 160 Teilnehmenden restlos ausgebucht.
                            Das große Interesse erklärt sich auch aus den Themen:
                            Baukosten, Haftungsfragen und die Anwendung von
                            Bauregeln wurden einem „Reality Check“ unterzogen.

     Erste strategische    Ein einfacherer und rechtssicherer Rah-     wesen tätigen Akteure dabei nicht immer
        Empfehlungen       men für das Bauen in Österreich – das war   klar zu überblicken. Das Dialogforum Bau
          zu konkreten     auch das Ziel der zweiten Jahrestagung      hat sich daher zum Ziel gesetzt, für einfa-
     Problemen wurden      für Baurecht und Baustandards, die am       che und rechtssichere Rahmenbedingun-
      bereits erarbeitet   5. Dezember 2019 auf Einladung der Bun-     gen zu sorgen. DDr. Elisabeth Stampfl-
                           desinnung Bau der WKO und von Austrian      Blaha, Managing Director von Austrian
                           Standards stattfand. Auf dem Programm       Standards, zeigte sich erfreut über die re-
                           standen aktuelle Problemstellungen im       ge Beteiligung unterschiedlichster Stake-
                           Spannungsfeld zwischen Regulierung und      holder an der 2016 aus der Taufe geho-
                           (Eigen-)Verantwortung. In drei Themenblö-   bene Initiative. Sie verwies auf die bereits
                           cken debattierten die anwesenden Exper-     umgesetzte Verankerung des Ausschus-
                           tinnen und Experten Baukosten, Haftungs-    ses für Bauregeln im Präsidialrat von Aus-
                           fragen und die Anwendung von Bauregeln      trian Standards und die Jahrestagung, die
                           im Hinblick auf ihre Praxistauglichkeit.    2019 bereits zum zweiten Mal stattfand.

                                                                       Der Vorsitzende des Ausschusses, Dipl.-
                           Beeindruckender Wert
                                                                       Ing. Dr. Rainer Pawlick, wies in seiner
                           Mit einem Wert von etwa 386 Milliarden      Grußbotschaft darauf hin, dass bereits
                           Euro repräsentiert der Immobilienbestand    strategische Empfehlungen zu konkre-
                           in Österreich ein eindrucksvolles Vermö-    ten Problemen erarbeitet wurden. Um
                           gen. Zahlreiche Gesetze, Regulierungen      die Rechtssicherheit zu erhöhen, gebe es
                           und auch Standards sind für die im Bau-     aber weiteren Handlungsbedarf.

      JAHRESTAGUNG 2019
 4    BAURECHT UND BAUSTANDARDS
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DDR. ELISABETH STAMPFL-BLAHA                   ANDREAS KOVAR

Dialogforum zeigt erste Wirkung                te Kovar. Die identifizierten Probleme sei-
                                               en thematisch geclustert und abgestimmt
Im heimischen Bauwesen herrsche eine
                                               worden, die unterschiedlichen gesetzlichen
hohe Regelungsdichte, die von unter-
                                               Regelungen      (Zivilrecht,   Ordnungsrecht)
schiedlichen Institutionen ausgehe, – fasste
                                               würden die Materie aber verkomplizieren.
Andreas Kovar, der Moderator des Dialog-
forum Bau, die Ausgangslage zusammen.
                                               Unterschiedliche Interessenslagen
Wenn eine Verschlankung der Zuständig-
keiten nicht möglich sei, müsse man se-        Die Frage, wie welche Bauregeln richtig
hen, dass die Kommunikation funktioniert,      auf unterschiedliche Objekte anzuwenden
erklärte er. Die bislang in dieser Richtung    sind, stand am Beginn des ersten Themen-
vom Dialogforum Bau Österreich gesetzten       blocks. Mag. Doris Wirth von Bluesave
Maßnahmen zeitigten erste Erfolge, beton-      Consulting wies dabei auf unterschiedliche      »

                                                                                        JAHRESTAGUNG 2019
                                                                              BAURECHT UND BAUSTANDARDS     5
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                      MAG. DORIS WIRTH                                    DIPL-ING. CHRISTOPH GEISLER

               »     Interessen in der Kundensphäre hin. Die             sation der Aufgaben unterstütze, so Wirth.
                     Haftungssituation habe sich verändert und           Der Architekt Dipl.-Ing. Christoph Geisler
                     es bedürfe einer völligen Neuordnung der            beschrieb die Anwendung der Standards in
                     technischen Hausverwaltung, so die Sach-            der Praxis. Aus der Sicht des Sachverstän-
                     verständige. Die Anwendung der ÖNORM                digen erklärte er die Eckpfeiler der Objekt-
                     B 1300 und der ÖNORM B 1301 stifte hier             sicherheitsprüfung im Spannungsfeld von
                     eindeutigen Nutzen, da sie bei der Organi-          Baurecht    und   Verkehrssicherheitspflicht

                                            Zivilrecht
                                                                                           Gesetzgeber
                                            Gewährleistungen
                                                                                           Behörden
                                            Haftungsrecht
                                                                                           Gerichte, Sachverständige
                                            Strafrecht

                   Verträge                                                                 Ordnungsrecht

                                                           Eigentümer, Nutzer
                                                           Planer, Ausführende
                                                           Berater, Verwalter

                              Fachkunde
                              in diversen
                              Unterlagen                                                            Forschung,
                                                                                                    Entwicklung
                                                                                                    Normung

                                                                     Freiwillige
                                                                     Normen

                      Abbildung 2: Stakeholder, interessen, Regeln

     JAHRESTAGUNG 2019
 6   BAURECHT UND BAUSTANDARDS
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DR. GEORG SPIEGELFELD-SCHNEEBURG                DIPL-ING. DIETMAR WALBERG

und beschrieb die Einstufung festgestellter     Dipl.-Ing. Roland Jörger (Bilfinger Infra-                     Manche Kosten-
Mängel entsprechend ihrer Dringlichkeit.        structure) und Dr.-Ing. Matthias Witte                         steigerungen der
                                                vom DIN-Normenausschuss Bauwesen                               letzten Jahre sind
Die Verkehrssicherungspflicht beschäftigt
                                                (NABau) stellten die für Deutschland er-                       ursächlich auf Dere-
auch den Immobilienunternehmer Dr. Georg
                                                stellte Normungsroadmap als Baukos-                            gulierungsmaßnah-
Spiegelfeld-Schneeburg. Als Vorstands-
                                                tensenker vor. Dipl.-Ing. Herwig Pern-                         men zurückführbar
mitglied des Vereins Historische Gebäude
                                                steiner vom Österreichischen Verband
Österreich und Besitzer denkmalgeschütz-
                                                gemeinnütziger Bauvereinigungen wies
ter Objekte wies er auf die kulturelle Bedeu-
                                                auf soziale Aspekte des Wohnbaus hin
tung von Denkmalen hin. Es gehe darum,
                                                und betonte, dass sich die anteilsmä-
die rund 38.000 österreichischen Baudenk-
                                                ßigen Ausgaben für das Wohnen – rund
male in sauberer Verwendung – und nicht
                                                30% – in den letzten 40 Jahren kaum ver-
Verwertung – in die Zukunft zu führen. Dazu
                                                ändert hätten.
brauche es Lösungen, die moderner Denk-                                                                   »
malpflege angepasst seien. Hier sei auch
die Politik gefordert, so Spiegelfeld-Schnee-
                                                   GRUSSWORTE RAINER PAWLICK
burg, denn zahlreiche Regelungen seien für
denkmalgeschützte Objekte nur bedingt an-         Wir wollen mit dem Ausschuss für Bauregeln den erfolgreichen
wendbar. Wie bei der Plenumsdiskussion            Weg der mit Dialogforum Bau begonnen wurde, konsequent
klar wurde, haben die zahlreichen Stakehol-       und effizient fortsetzen. Der Ausschuss erarbeitet strategische
der mitunter stark divergierende Interessen.      Empfehlungen zu spezifischen Problemen.

Kostentreiber Qualitätsansprüche                  In der jüngsten Sitzung – der bereits dritten – wurde konkret
                                                  eine Empfehlung zum Thema Handlungsbedarf zur Erhöhung
Als wesentliche Kostentreiber bei Baupro-
                                                  der Rechtssicherheit im Bauwesen verabschiedet. Auch wei-
jekten machte der Architekt Dietmar Wal-
                                                  tere Themen wie die bessere Nutzung der ÖNORM-Vorworte
berg die hohen Qualitätsansprüche aller
                                                  oder die Interpretation und Formulierung von Anmerkungen
Beteiligten verantwortlich. Kostensteige-
                                                  werden berarbeitet.
rungen der letzten Jahre führt Walberg ur-
sächlich auf Deregulierungsmaßnahmen
                                                  Dipl.-Ing. Dr. Rainer Pawlick
zurück, da sie zusätzliche Kosten für Be-
                                                  Innungsmeister der Landesinnung Bau Wien und Vorsitzender des
rater, Gutachter und Sachverständige zur          Ausschusses für Bauregeln beim Präsidialrat von Austrian Standards
Folge hätten.

                                                                                               JAHRESTAGUNG 2019
                                                                                     BAURECHT UND BAUSTANDARDS                        7
BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                                                                                     DIPL.-ING. ROLAND JÖRGER                              DR.-ING. MATTHIAS WITTE

                                                                                             »       Haftung unklar, Eigenverantwortung
                                                                                                     wünschenswert

                                                                                                     Der Kostenfrage folgt fast zwangsläufig               Die Verantwortung sei aber letztlich unklar
                                                                                                     die Frage nach der Haftung. Dipl.-Ing. Ju-            und liege in letzter Konsequenz beim Flug-
                                                                                                     dith Engel schilderte ambivalente Erfah-              hafen als Eigentümer. In der anschließen-
                                         Die Politik will helfen,                                    rungen aus Sicht des Wiener Flughafens.               den Diskussionsrunde mit den National-
                                            Forderungen sollten                                      Mit 130 unterschiedlichen Gebäudearten                ratsabgeordneten Josef Muchitsch (SPÖ),
                                                aber akkordiert an                                   – von Hangars und Terminals bis zu Büros              Mag. Philipp Schrangl (FPÖ) und Mag. Ge-
                                                         sie herangetra-                             und Fitnesscenter – hat das Unternehmen               rald Loacker (Neos) zeigten sich die Po-
                                                                 gen werden.                         zahlreiche Immobilien zu managen. Für                 litiker willens, aktiv zu werden. Allerdings
                                                                                                     Probleme sorge immer wieder die Klas-                 sei es dazu notwendig, die Forderungen
                                                                                                     sifizierung aller Gebäude als „Flughafen“             akkordiert an sie heranzutragen. Darüber
                                                                                                     sowie die unklare Definition des „Standes             hinaus wurde von den Diskutanten mehr
                                                                                                     der Technik“. Auch wenn Sachverständige               Eigenverantwortung von Entscheidungs-
                                                                                                     beigezogen werden, könne es passieren,                trägern und Privatpersonen eingefordert
                                                                                                     dass sie zwei gegensätzliche Ansichten                und die Rolle von Sachverständigen kont-
                                                                                                     bekäme, so Engel.                                     roversiell diskutiert.

                                     !

                                                                                                      AKTUELLER BERICHT
BILD: © DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                                                                                      Lesen Sie den aktuellen Bericht „Handlungsbedarf
                                     Dialogforum Bau Österreich
                                     Handlungsbedarf zur Erhöhung der Rechtssicherheit im Bauwesen    zur Erhöhung der Rechtssicherheit im Bauwesen“ als
                                                                                                      Zwischenergebnis des Handlungsfeldes 4 „Review
                                     Im Auftrag der Bundesinnung Bau,
                                     des Fachverbands der Bauindustrie,
                                     der Wirtschaftskammer Österreich,
                                     der Bundesinnungsgruppe Baunebengewerbe und
                                     des Fachverbands der Stein- und keramischen Industrie

                                                                                                      und Änderungen baurelevanter Regelungen“.
                                                                                                      Download unter www.dialogforumbau.at

                                                   JAHRESTAGUNG 2019
                                     8             BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIPL.-ING. HERWIG PERNSTEINER                   DIPL.-ING. JUDITH ENGEL

Resüme: Änderungen müssen
gemeinsam herbeigeführt werden

„Das Dialogforum entfaltet bereits Wirkung.
Wurden früher noch gesetzliche Regulie-
rungen und auch Standards pauschal kriti-
siert, so haben wir es heute mit wesentlich
differenzierteren und durch Faktenwissen
unterfütterten Fragestellungen zu tun. Das
unterstreicht einmal mehr, wie wichtig es
für alle Stakeholder ist, das ganze Regel-
werk zu kennen. Denn nur wenn wir Proble-
me detailliert beschreiben können, kommen
wir auch zu Lösungen. Diese Lösungsvor-
schläge werden wir in weiterer Folge akkor-
diert an die Politik herantragen, damit es zu
konkreten Änderungen kommt“ resümiert
Andreas Kovar, der Moderator des Dialog-
forum Bau Österreich.                      «

                                                                                    JAHRESTAGUNG 2019
                                                                          BAURECHT UND BAUSTANDARDS     9
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

      Dialogforum Bau
      entfaltet Wirkung
      Vier Jahre nach dem Start gibt es konkrete Fortschritte bei der Normung
      und einen Wandel in den Diskussionen, doch es bleibt noch viel zu tun.

      ANDREAS KOVAR

                             Das Dialogforum Bau
                             Österreich entfaltet be-
                             reits Wirkung! Wurden
                             gesetzliche Regulierun-
           Es ist wichtig,   gen und Standards frü-
     dass alle Beteiligten   her – auch bei unserer
      Zusammenhänge,         ersten    Jahrestagung
         Dokumente und       – noch pauschal kriti-
     Regelwerke kennen       siert, so haben wir es
                             ein Jahr später mit we-
                                                                                den politischen Programmen einigermaßen
                             sentlich differenzierteren Diskussionen zu tun,
                                                                                vertraut sein, um weitergehende Maßnahmen,
                             wenn es um Lösungen für Bauregeln geht.
                                                                                Trends und politische Forderungen beurtei-
                             Dazu kommt, dass sich die Auseinanderset-
                                                                                len zu können. Denn nur, wenn wir Problem-
                             zung mit dem Thema deutlich mehr auf Fak-
                                                                                stellungen kennen und detailliert beschreiben
                             tenwissen stützt, als das in der Vergangenheit
                                                                                können, sind wir auch in der Lage, qualifiziert
                             der Fall war.
                                                                                und konstruktiv darüber zu diskutieren. Und
                             Das unterstreicht, wie wichtig es für die Sache    erst dann lässt sich – in enger Zusammenar-
                             ist, dass alle Beteiligten einen Überblick über    beit zwischen Fachleuten und Entscheidungs-
                             die laufenden Diskussionen haben und die           trägern in der Gesetzgebung – an konkreten
                             Zusammenhänge, Dokumente und Regelwer-             Verbesserungen arbeiten.
                             ke, um die es geht, auch kennen. Man muss
                                                                                Konkrete Fortschritte bei Normung
                             einfach mit den aktuellen Entwicklungen, mit
                             den konkreten Massnahmen zur Harmonisie-           Vier Jahre nach dem Start des Dialogfo-
                             rung der bautechnischen Vorschriften in Ös-        rums wurden Verbesserungen bei Baunor-
                             terreich – etwa die Richtlinien des Österreichi-   men und bei der Normung realisiert. Von
                             schen Instituts für Bautechnik (OIB) – und mit     den im ersten Jahr erarbeiten Verbesse-

       JAHRESTAGUNG 2019
10     BAURECHT UND BAUSTANDARDS
ERFOLGREICHE
                                                                                                   INITIATIVE
                                                                                                   Das „Dialogforum Bau
                                                                                                   Österreich” wurde auf
                                                                                                   Initiative von Austrian
                                                                                                   Standards International in
                                                                                                   Zusammenarbeit mit der
                                                                                                   Bundesinnung Bau gegrün-
rungsvorschlägen für Normen wurden zwei        Thema und befindet sich in einem Prozess
                                                                                                   det. Mittlerweile haben sich
Drittel bereits fertig umgesetzt. Den Anre-    ständiger Entwicklung. Neue und verbes-
                                                                                                   die wesentlichen für den
gungen für Änderungen in der Normung           serte Materialien, Technologien und Lösun-
                                                                                                   Bausektor repräsentati-
wurde bei der Reform der Geschäftsord-         gen finden praktische Anwendung und wer-
                                                                                                   ven Institutionen,
nung von Austrian Standards International      den zum sogenannten „Stand der Technik“,
                                                                                                   Interessensvertretungen,
Rechnung getragen. Ein ständiger „Aus-         der die Baubestimmungen beeinflusst und
                                                                                                   Unternehmen, Mitarbeiter/
schuss für Bauregeln“ wurde beim Präsidi-      sich in technischen Standards widerspie-
                                                                                                   innen aus der Verwaltung
alrat von Austrian Standards angesiedelt. Er   gelt. Je schneller diese Entwicklung statt-
                                                                                                   und Wissenschaftler/innen
diskutiert Normen und Gesetze aus ganz-        findet, umso schwieriger wird es für die Ge-
                                                                                                   der Initiative angeschlos-
heitlicher Sicht und gibt konkrete Empfeh-     setzgebung, damit Schritt zu halten. Der
                                                                                                   sen und beteiligen sich
lungen zu Bauregeln ab. Mit der Koordinie-     Gesetzgeber greift berechtigterweise erst
                                                                                                   an der Ausarbeitung
rungsgruppe Brandschutz wurde ein neues        ein, wenn ein Regulierungsbedarf tatsäch-
                                                                                                   von Lösungsansätzen.
Gremium zur horizontalen Abstimmung von        lich zu erkennen ist. Schließlich will man
Normen, Gesetzen und Regeln mit dem            Schnellschüsse verhindern und für Sach-
Ausschuss für Bauregeln ins Leben geru-        lichkeit und Berechenbarkeit bei den recht-
fen. Damit konnte sowohl das Problem par-      lichen Rahmenbedingungen sorgen.
alleler Standards angegangen, als auch die
systematische und nachhaltige Weiterent-       Zwangsläufig resultiert aus dieser Situation
wicklung der Normung initiiert werden.         eine hohe Regelungsdichte für das Bau-
                                               wesen. In die Gestaltung dieser rechtlichen
Diskussion der Rahmenbedingungen
                                               Rahmenbedingungen sind unterschiedli-
Die gesetzlichen Regelungen und der Be-        che Institutionen auf mehreren politischen
stand an Normen für das Bauen und für          Ebene involviert – von den baurechtlichen
Gebäude sind umfangreich. Schließlich          Bestimmungen der Ländere bis zu den ord-
sind Gebäude sowohl technisch, als auch        nungsrechtlichen, zivil- und strafrechtlichen
rechtlich gesehen komplexe Gebilde, auf        Bestimmungen des Bundes für die vom
die in unterschiedlichen Rechtsmaterien        Justizministerium, über das Wirtschafts-
eingegangen wird. Planer, ausführende          und Sozialministerium bis zum Bundes-
Unternehmen, Eigentümer, Käufer, Mieter,       kanzleramt mehrere Ressorts und diverse
Nutzer, Berater, Verwalter und die Öffent-     parlamentarische Ausschüsse zuständig
lichkeit haben spezifische Ansprüche an        sind. Eine Bündelung der politischen Kom-
Qualität, Ausstattung und Sicherheit. Hinzu    petenzen ist nicht machbar. Auch die For-
kommt der technische Fortschritt, mit dem      derung nach weniger Regulierung lässt
die Gebäude und das Bauen laufend tech-        sich nicht erfüllen. Gerade deswegen ist
nisch aufwändiger werden. Die Fachkunde        es wichtig, dass die Auswirkungen laufend
betreibt Forschung und Entwicklung zum         evaluiert werden und der Bestand an Re-         »

                                                                                     JAHRESTAGUNG 2019
                                                                           BAURECHT UND BAUSTANDARDS                    11
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                              Privatrecht                                      Strafrecht                   Öffentliches Recht

             Werkverträge                   Bestandsbauten                   Bestandsbauten              Behördliche Bewilligungen

            Gewährleistung,             Verkehrssicherungspflicht         Fahrlässigkeitsdelikte im        Stand der Technik direkt
             Schadenersatz               Haftung für Bauwerke,                  Strafrecht                 in den Bauordnungen,
           Verkehrsüblich: der               Verletzung von                                               Bautechnikverordnungen
          Übung des redlichen                Schutzgesetzen                                                  und Regeln für die
         Verkehrs entsprechend                                                                             Wohnbauförderung der
               ausgeführt                Vorsorgegedanken: alle                                                Bundesländer
                                           zur Abwendung der
                                          Gefahr erforderliche
                                          Sorgfalt angewendet

          Problem: In Verträgen           Problem: Heranziehen
          nicht explizit genannte          von neuen Regeln für
           Normen werden zur              alte Gebäude, die über
            Vertragsauslegung                 den Baukonsens
              herangezogen                     hinausgehen

                                                Judikatur

                   Technikklausel „Stand der Technik“, der sich in den Normen widerspiegelt

                        Problem: Gleichsetzung zwischen dem „Stand der Technik“ und                           Problem: Risiko
                       technischen Normen führt zu einer Einschränkung der Vielfalt an                    überbordender Auflagen
                                            Lösungsmöglichkeiten

                                                          Technische Normen

      Handlungsbedarf zur Erhöhung der Rechtssicherheit im Bauwesen: Konzept für mehr Planungs- und Rechtssicherheit. Ursa-
      chen der Probleme, die durch den Rückgriff der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltung auf technische Normen entstehen.

                  »     gelungen überarbeitet und angepasst wird.                 lässt, ist, dafür zu sorgen, dass die gültigen
                        Wir haben die realistische Chance, zu bes-                Gesetze und Regelungen passen – also ver-
                        seren, klareren und sehr wohl auch einfa-                 ständlich, anwendbar und widerspruchs-
                        cheren Regelungen zu kommen.                              frei sind. Um zu vermeiden, dass sie später
                                                                                  falsch oder widersprüchlich interpretiert wer-
                        Dazu brauchen wir eine umfassende öster-
                                                                                  den – etwa von Sachverständigen –, hilft nur
                        reichische bautenpolitische Strategie, die
                                                                                  die Miteinbeziehung möglichst vieler Stake-
                        von allen Entscheidungsträgerinnen und Ent-
                                                                                  holder in einem möglichst offenen Prozess.
                        scheidungsträgern mitgetragen und in ihrem
                                                                                  Und genau hier setzt das Dialogforum Bau
                        jeweiligen Zuständigkeitsbereich umgesetzt
                                                                                  Österreich nämlich an, gemeinsam für klare
                        wird. Von gemeinsamen politischen Zielset-
                                                                                  und einfache Bauregeln zu sorgen.
                        zungen abgeleitet, müsste auf allen Ebenen
                        parallel und abgestimmt an Reformen gear-                 In weiterer Folge findet am 27. Jänner 2020
                        beitet werden. Gleichzeitig müssten Erfah-                ein Workshop statt, bei dem es darum geht,
                        rungen in der Praxis systematisch gesammelt               Widersprüche in bestehenden regulativen Do-
                        werden und als Feedback in die Gesetzge-                  kumenten aufzuspüren. Hier bittet das Dia-
                        bung einfließen. Was sich in Realita machen               logforum um Mithilfe und ersucht um die Be-

     JAHRESTAGUNG 2019
12   BAURECHT UND BAUSTANDARDS
Ansätze sind,
                                                                                                   Verträge exakter
                                                                                                   abzufassen und
                                                                                                   Änderungen im
kanntgabe allfälliger Widersprüche zwischen       ko einer Haftung, die auch eine strafrecht-      Zivil- Straf- und
Gesetzen, Regeln oder Normen. Entsprechen-        liche Verurteilung nach sich ziehen kann,        Ordnungsrecht
de Informationen können online auf der Web-       weil die gessezten Sicherungsmaßnahmen           zu erwirken
site des Dialogforums eingebracht werden.         von Gerichten im Nachhinein als eben nicht
                                                  ausreichend erachtet werden können. Der
Zivilrechtliche Probleme mit                      „Stand der Technik“ ist in diesem Zusam-
Gewährleistung und Haftung                        menhang ein besonders problematischer
                                                  Fall. Denn es ist keineswegs gesichert, was
Ein wesentlicher Grund für mangelnde
                                                  darunter zu verstehen ist. Auf ein Bestands-
Rechtssicherheit und mitunter schwer kal-
                                                  gebäude bezogen bedeutet das, dass die-
kulierbare Risiken bei Bauprojekten ist die
                                                  ses lediglich in dem Zustand, in dem es einst
Wirkung des Zivilrechts. Die gesetzlichen
                                                  bewilligt wurde, erhalten werden muss, sagt
Regelungen lassen eine großen Handlungs-
                                                  das Ordnungsrecht. Geht es um Haftung –
spielraum zu, in dem die Gesellschaft Usan-
                                                  und somit um das Zivilrecht – kann und wird
zen entwickelt und die Gerichtsbarkeit zu
Entscheidungen kommr. Durch die „Freiheit“
                                                  der „Stand der Technik“ oft als diejenige Ent-   »
des Zivilrechts können bei der Vertragsge-
staltung zwischen Bauherren und Ausfüh-
renden und für Liegenschaftseigentümer
zwei sehr konkrete Probleme entstehen.
Zum einen betrifft das die „Verkehrsüblich-
keit von Leistungen“, bei der sich im Klags-
fall Sachverständige und Richter an einem
theoretischen „Stand der Techik“ orientie-
ren und in der Praxis geltende Standards
zur Beurteilung heranziehen. Auf diese Wei-
se kommt es dazu, dass Normen ein recht-
liches Gewicht und eine defacto Verbind-
lichkeit erhalten, die so rechtliche eigentlich
nicht vorgesehen ist. Zum anderen geht es
darum, aus Haftungsgründen entsprechen-
de Sicherungsmaßnahmen zu setzen. Das
bedeutet nicht zwangsläufig, alles zu tun,
was möglich ist. Die Judikatur verlangt hier
lediglich, „was wirtschaftlich zumutbar“ ist.
Allein, wie ist diese Formulierung richtig zu
interpretieren? Somit bleibt stets Unsicher-
heit und ein nicht unbeträchtliches Restrisi-

                                                                                         JAHRESTAGUNG 2019
                                                                               BAURECHT UND BAUSTANDARDS               13
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                                                   Um diesem Problem Herr zu werden, hat
                                                                   das Dialogforum Bau die Problematik in
                                                                   einem Bericht detailliert beschrieben. Und
                                                                   im Folgenden daraus mit vielen Stakehol-
                                                                   dern abgesprochene Forderungen formu-
                                                                   liert. Status: Ansätze sind bekannt, aber
               »   wicklungsstufe interpretiert, die dem gegen-    es gibt noch keine konkreten Lösungen.
                   wärtigen Stand des technischen Wissens          In der jetzt anlaufenden Gesetzgebungs-
                   entspricht. Ein kleiner Unterschied mit unter   periode werden erneut Anstrengungen
                   Umständen beträchtlichen Konsequenzen.          unternommen um hier zu Verbesserun-
                                                                   gen bei der Rechtssicherheit zu kommen.

                                                                   Objektivierte Auseinandersetzung
                                                                   Die konkreten Aktivitäten des Dialogfo-
                                                                   rums unter Einbindung einer größtmögli-
                                                                   chen Zahl von Stakeholdern hat auch zu
                                                                   einem erkennbaren Wandel in den Diskus-
                                                                   sionen geführt. Wurden bei der Jahresta-
                                                                   gung 2018 noch Standards als vermeint-
                                                                   liche Kostentreiber und damit primäre
                                                                   Ursache für kostenintensives Bauen in
                                                                   Österreich diskutiert, wurden sie bei der
                                                                   diesjährigen Tagung nur mehr als ein Teil
                                                                   des Problems, das es zu lösen gilt, iden-
                                                                   tifiziert. Für den Mangel an leistbarem
                                                                   Wohnraum machten die Vortragenden vor
                                                                   allem gestiegene Grundstückspreise, die
                                                                   hohen Qualitätsansprüche aller Beteilig-
                                                                   ten und die Folgen von Deregulierungs-
                                                                   maßnahmen als wesentliche Kostentrei-
                                                                   ber bei Bauprojekten verantwortlich.

                                                                   Fakt ist, die Kosten für die Errichtung und
                                                                   den Erhalt von Gebäuden sind sehr hoch.
                                                                   Allein der Bestand an Gebäuden in Öster-
                                                                   reich hat einen enormen schwer anzuset-
                                                                   zenden Wert. Es geht dabei um Billionen

     JAHRESTAGUNG 2019
14   BAURECHT UND BAUSTANDARDS
Euro, jedenfalls ein Mehrfaches des Brut-                 technische Entwicklung haben alle die
toinlandsproduktes, das aktuell mit 386                   Probleme noch an Schärfe gewonnen.
Milliarden Euro angesetzt wird. Subopti-
                                                          Sie sehen, es hat sich einiges getan in
male rechtliche Rahmenbedingungen ha-
                                                          Richtung klarer und vielleicht auh einfa-
ben unmittelbare Auswirkungen auf den
                                                          cherer Bauregeln. Und es bleibt noch viel
Wert dieses beeindruckende Vermögens.
                                                          zu tun. Bitte unterstützen Sie uns dabei!
Der Sachverhalt ist bekannt, bessere Rah-
                                                          Beteiligen Sie sich an der Diskussion und
menbedingungen werden beim Zivilrecht,
bei den Bauordnungen, dem Wohnrecht,
                                                          bringen Sie sie damit voran.                               «
in der Gewerbeordnung, bei der Flächen-
widmung und in anderen rechtlichen Ma-                    ANDREAS KOVAR
terien schon seit Jahrzehnten gefordert                   ist Managing Partner bei Kovar & Partners
und diskutiert. Durch die beschleunigte                   und Moderator des Dialogforum Bau Österreich

DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH - GEMEINSAM
FÜR KLARE UND EINFACHE BAUREGELN
BESTES BEISPIEL FÜR GELUNGENE DEREGULIERUNG

Als Initiative gestartet, ist aus dem Dialogforum Bau     Es wurde von Austrian Standards und der Bundesin-
Österreich ein erfolgreiches Projekt geworden. Es wird    nung Bau ins Leben gerufen. Die Wirtschaftskammer              GESTALTEN
von einer Allianz von Organisationen getragen, die Ver-   Österreich, die Bundesinnung Stein-Keramik und die             SIE MIT!
antwortung dafür übernehmen, dass Bauregeln dabei         Bundesinnung Baunebengewerbe beteiligen sich an der            Wo Sie mitmachen können,
helfen, die Arbeit sicherer zu machen, Kosten zu spa-     Finanzierung. Aktuell wird in 5 Handlungsfeldern sowohl        sehen Sie unter:
ren, Entscheidungen zu vereinfachen und ein besseres      an der Vereinfachung von Baunormen als auch bau-                www.dialogforumbau.at
Ergebnis zu erzielen.                                     relevanter gesetzlicher Regelungen gearbeitet:

   HANDLUNGSFELD 1              HANDLUNGSFELD 2             HANDLUNGSFELD 3              HANDLUNGSFELD 4                 HANDLUNGSFELD 5

   ÄNDERUNG VON                 WEITERENTWICKLUNG           DAS PROBLEM                  REVIEW UND                      HAFTUNGS-
   NORMEN                       DER NORMUNG                 PARALLELER                   ÄNDERUNG BAU-                   REGELUNGEN
   auf Basis der konkreten                                  STANDARDS LÖSEN              RELEVANTER
   Anträge aus dem Dialog-                                                               REGELUNGEN
   forum Bau Österreich

   Ziel: Umsetzung der          Ziel: systematische         Ziel: horizontale            Ziele: Befassung der            Ziel: Anpassung der
   Vorschläge und kritische     und nachhaltige             Abstimmung                   Landesregierungen;              Gesetzeslage
   Refl exion                   Verbesserungen                                           Review auf parlamen-
                                                                                         tarischer Ebene

        2/3 erledigt
                                        ✓                            ✓                   Workshop, Austrian Standards
                                                                                         27. Jänner 2020, 14:00 - 17:00 Uhr
                                                                                         www.dialogforumbau.at

                                                                                                      JAHRESTAGUNG 2019
                                                                                            BAURECHT UND BAUSTANDARDS                          15
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

Eindrücke von der Jahrestagung

                                 5

     JAHRESTAGUNG 2019
16   BAURECHT UND BAUSTANDARDS
«

          JAHRESTAGUNG 2019
BAURECHT UND BAUSTANDARDS     17
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

Diskussionsrunde zu Haftungsfragen

Was kann auf politischer Ebene gemacht
werden, um die Situation bei den Haf-
tungsfragen zu verbessern? Dieser Fra-
ge widmeten sich coram publico die Na-
tionalratsabgeordneten Josef Muchitsch
(SPÖ), Mag. Philipp Schrangl (FPÖ) und
Mag. Gerald Loacker (Neos). Die Politiker
zeigten sich dabei willens, die Anliegen
des Dialogforum Bau Österreich zu unter-
stützen. Allerdings sei es dazu notwendig,
dass etwaige Forderungen akkordiert an
sie herangetragen werden, so die Politiker.

                                              5

       JAHRESTAGUNG 2019
18     BAURECHT UND BAUSTANDARDS
Moderator Andreas Kovar mit den
Nationalratsabgeordneten
Mag. Gerald Loacker (Neos),
Josef Muchitsch (SPÖ) und
Mag. Philipp Schrangl (FPÖ)
(v.L.N.R.)

             JAHRESTAGUNG 2019
   BAURECHT UND BAUSTANDARDS      19
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

       Die Norm richtig
       interpretieren
       Die ÖNORM B 1300 und die ÖNORM B 1301 können bei der Organisation
       erforderlicher Objektsicherheisprüfungen helfen. Wichtig ist die richtige
       Anwendung der beiden Standards.

       DORIS WIRTH

                             Die Eigentümer von Gebäuden sind gesetz-      Dabei sei in Österreich mit der Veröffentli-
                             lich dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tra-   chung der ÖNORM B 1300 und der ÖNORM
                             gen, dass von ihrem Eigentum keine Gefahr     B 1301 bereits 2012 ein Sorgfaltsmaßstab
                             für die Sicherheit von Personen oder deren    für Belange der Objektsicherheit eingeführt
                             Eigentum ausgeht. Das Allgemeine Bürger-      worden, erklärt Wirth. Wenngleich das da-
                             liche Gesetzbuch, Wohnungseigentums-,         mals wohl niemand bemerkt hätte. Die bei-
             Trotz extrem
                             Wohnungsgemeinnützigkeits-     und    auch    de Dokumente bieten standardisierte Ver-
     verdichteter Rechts-
                             Mietrechtsgesetz enthalten Bestimmungen       fahrensregeln, um die erforderlichen und
      lage fehlt eine ver-
                             über die Erhaltungspflichten der Gebäude-     zumutbaren Vorkehrungen in der Objektsi-
      bindliche Definition
                             eigentümer sowie zu ihren zivilrechtlichen    cherheitsprüfung treffen zu können.
           des Sorgfalts-
                             Verkehrssicherungspflichten. So verpflich-
               maßstabs
                             tet etwa die Wiener Bauordnung Eigentü-       Schutzzielniveau entscheidend
                             mer, dafür zu sorgen, dass ihre Bauwerke
                                                                           Angesichts   der   unterschiedlichen    Nut-
                             in gutem, der Baubewilligung und den Vor-
                                                                           zungsformen (Eigen- oder Fremdnutzung)
                             schriften dieser Bauordnung entsprechen-
                                                                           und der Verschiedenartigkeit von Gebäu-
                             den Zustand erhalten werden.
                                                                           den hinsichtlich Bestandsalter, Erhaltungs-
                                                                           zustand und Nutzungszweck ergeben sich
                             An Vorschriften herrscht also kein Mangel,
                                                                           eben zahlreiche Prüf-, Kontroll- und Über-
                             Doris Wirth spricht von einer „extrem ver-
                                                                           wachungspflichten, die in Umfang und In-
                             dichteten Rechtslage“. Gleichzeitig fehle
                                                                           tensität variieren. Daraus wiederum resultie-
                             aber eine verbindliche Definition des Sorg-
                                                                           ren konkrete Haftungen für die Eigentümer
                             faltsmaßstabes, um die Haftung des Eigen-
                                                                           und die Verantwortlichen von Gebäuden.
                             tümers zu beschränken, so ihre Kritik. Die
                                                                           Die entscheidende Frage sei stets jene nach
                             Immobilienexpertin entwickelt nachhaltige
                                                                           dem Schutzzielniveau, so Wirth. Also: Wofür
                             Objekte und steht dem österreichischen
                                                                           ist ein Gebäude gedacht und welche Risiken
                             Normungsausschusses für Objektsicher-
                                                                           ergeben sich aus seiner Nutzung? Und in
                             heitsprüfungen vor.

        JAHRESTAGUNG 2019
20      BAURECHT UND BAUSTANDARDS
MAG. DORIS WIRTH

                                                                                                       ÖNORM B 1300
                                                                                                       liefert Eigentümern,
                                                                                                       Eigentümergemeinschaften,
                                                                                                       Vermietern, Verwaltern und
                                                                                                       deren Beauftragten
diesem Zusammenhang gelte es, die Norm             Absicht war, das Bauwerk als Ort der Erin-
richtig zu interpretieren. Denn mittlerweile       nerung zu erhalten. Diese Beanstandungen           • standardisierte
herrsche Konsens darüber, dass aus der An-         seien auf einen groben Fehler bei der Auf-            Verfahrensregeln
wendung der Objektsicherheitsnormen ein            tragsvergabe zurückzuführen, so Wirth.             • Anleitung zur qualitativen
eindeutiger Nutzen entsteht. Die entschei-                                                               Dokumentation der
dende Frage, die sich stelle, sei „Du lieber       „Bestellerinformation“ und FAQ                        sicherheitstechnischen
Bauherr, wo setzt du dein Schutzziel an?“                                                                Aspekte
                                                   Um hier für die Zukunft Klarheit zu schaffen,      • eine praxisorientierte
Norm hilft bei der Organsiation                    wurde in einem ersten Schritt das Vorwort der         Empfehlung zur ganz-
                                                   ÖNORM 1300 überarbeitet und um klärende               heitlichen Betrachtung
„Die ÖNORM B 1300 ist dabei im Grunde              Abschnitte ergänzt, so Wirth. Aktuell arbeite         der Objektsicherheit
nichts anderes als eine Organisationsnorm,         der Ausschuss an zwei konkreten Projekten:         • Organisationshilfe
die beschreibt, wie man an die Sache her-          an einer Art „Bestellerinformation“, bei der          für die „Technische
angehen soll“, erklärt Wirth. „Sie hilft bei der   es darum geht, wie eine Ausführung nach               Buchhaltung“
Organisation der Verantwortung. Aber orga-         ÖNORM B 1300 korrekt zu beauftragen ist.           • Checklisten für die
nisieren muss sich jeder selbst!“ Gleiches         Dazu seien wohl auch Ausschreibungstex-               praktische Anwendung
gelte für die ÖNORM B 1301. Die Normen             te, Leistungsbilder und Qualifikationsnach-
dürften nicht als Vorschriften verstanden          weise erforderlich und eine objektbezogene
werden, so die Expertin. Die in den Stan-          Organisation der Objektsicherheit sinnvoll.
dards enthaltenen Checklisten seien Hilfe-         Zum zweiten würden derzeit häufig gestell-
stellungen und vor dem Hintergrund unter-          te Fragen (FAQ) gesammelt, im Ausschuss
schiedlicher Interessen auch stets für das         beantwortet und voraussichtlich 2020 von
jeweilige Gebäude anzupassen. Diese Not-           Austrian Standards zur Verfügung gestellt.
wendigkeit illustrierte Wirth am Beispiel einer
Gedenkstätte aus den 1930er Jahren. Ein            DORIS WIRTH
Prüfer hatte dort sämtliche Abweichungen           ist Geschäftsführende Gesellschafterin
von der aktuellen Baunorm beanstandet. Die         der Bluesave Consulting GmbH

                                                                                               JAHRESTAGUNG 2019
                                                                                     BAURECHT UND BAUSTANDARDS            21
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

     Baurecht und Ver-
     kehrssicherheits-
     pflicht
     Objektsicherheitsroutinen mit ÖNORM B 1300 und ÖNORM B 1301 –
     Praxiserfahrungen aus der Sicht eines Sachverständigen.

     CHRISTOPH GEISLER

                          Basis jeder Objektsicherheitsprüfung ist der     sind. Aufgabe der oder des Prüfenden
                          Konsensplan, erklärte Christoph Geisler.         sei es nun, diese beiden Säulen „zusam-
                          Wie der Sachverständige ausführte, sei der       menzubringen“, so Geisler. Für die Prü-
                          Bauakt (die Konsenspläne) jedoch nicht im-       fung bedeute das klarerweise, dass man
                          mer vorhanden. In der Praxis komme es vor,       ein Gebäude beispielsweise nicht allein
      Konsenszustand,
                          dass diese Pläne gar nicht vorhanden sind,       nach der aktuellen OIB-Richtlinie prü-
     gesetzliche Nach-
                          sei es, weil sie in Verstoß, also verloren ge-   fen und alle darin angeführten Punkte,
      rüstverpflichtung
                          gangen – oder beispielsweise bei Gericht         die nicht erfüllt werden als Mängel be-
      und sicherheits-
                          sind. Eine Prüfung sei aber dennoch mög-         anstanden könne. Das wäre auch nicht
     relevante Adaptie-
                          lich, denn wesentliche Daten, wie etwa das       sinnvoll, so der Experte.
     rungen definieren
                          Alter eines Gebäudes, seien meist bekannt.
       den Sollzustand                                                     Konsenszustand     und      die   gesetzliche
                          Können wichtige Fragen nicht geklärt wer-
                                                                           Nachrüstverpflichtung sind bekannt. Der
                          den, so werden diese im Vorwort des Prüf-
                                                                           dritte Faktor, der den Sollzustand defi-
                          berichts vermerkt, so Geisler. Da es nicht
                                                                           niert, sind die sicherheitsrelevanten Ad-
                          möglich ist, den kompletten analogen Bau-
                                                                           aptierungen. Diese, so der Sachverstän-
                          akt ständig mit sich zu führen, werde dieser
                                                                           dige, könnten vielerlei Ursachen haben,
                          komplett digitalisiert.
                                                                           von Baugebrechen über wahrnehmbare
                                                                           Mängel, die Einschränkung der Funkti-
                          Eckpfeiler der Prüfung
                                                                           onsfähigkeit durch andere Nutzung – im-
                          Die Prüfung wird im Wesentlichen von             mer in Zusammenhang mit einer erheb-
                          zwei Pfeiler getragen. Einerseits vom            lichen Personengefährdung. Wobei die
                          Baurecht mit seinem Bestandsschutz               Norm sehr junge oder sehr alte Personen
                          und dem erwähnten Konsens. Und an-               vor Gefahren schützen wolle. Eine weitere
                          dererseits von der Verkehrssicherheits-          Randbedingung sei das Risiko, das eine
                          pflicht, bei der Mietrecht, Stand der            Gesellschaft bereit sei einzugehen. Risi-
                          Technik, OIB-Richtlinien und die „er-            ko sei also auch Teil der Bewertung von
                          forderliche Sorgfaltspflicht“ wesentlich         Mängeln, erklärte Geisler.

      JAHRESTAGUNG 2019
22    BAURECHT UND BAUSTANDARDS
Zeiträume zur
                                                                                           Behebung von Mängeln
                                                                                           (laut ÖNORM B 1300):
                                                                                           - Gefahr in Verzug
                                          ARCH DIPL.-ING. CHRISTOPH GEISLER                - gemäß Prüfer
                                                                                           Weitere Zeiträume
                                                                                           laut Prüfpraxis:
                                                                                           - sehr dringend
                                                                                           - dringend
                                                                                           - weniger dringend
                                                                                           - leichter Mangel
Ergebnis der Prüfung                      Besprechung mit Verantwortlichen
Die Standards für Objektsicherheit be-    Die Ergebnisse der Prüfung werden in der
schreiben nur noch zwei Behebungs-        Folge mit den Gebäudeverantwortlichen
zeiträume für Mängel: Gefahr in Verzug    besprochen. Als Sachverständiger oblie-
und gemäß Prüfer. In seiner Prüfpraxis    ge es ihm dabei auch, Lösungen zur Behe-
habe es sich als zweckmäßig erwiesen,     bung von Mängeln vorzuschlagen und mit-
die zusätzlichen Klassen sehr dringend,   unter auch aus Gründen der Zumutbarkeit
dringend, weniger dringend und leichter   Alternativen zu finden. Bei größeren An-
Mangel einzuführen, erklärte der Sach-    schaffungen seien die Eigentümer von der
verständige.                              Gebäudeverwaltung mit einzubinden.

Anhand anschaulicher Beispiele zeig-
                                          Abschließend wies der Experte noch auf
te der Experte, wie welche Mängel zu
                                          besondere Mängel hin, die nur mit großem
klassifizieren sind und warum. Ange-
                                          Aufwand oder gar nicht behebbar seien, wie
führt wurde die Entlüftung von Stiegen-
                                          etwa zu geringe Stiegenhausbreiten in Grün-
häusern (sehr dringend, innerhalb eines
                                          derzeithäusern. Weiters warnte der Sach-
Monats zu beheben) beschädigte Stu-
                                          verständige vor Mängeln, die erst in nähe-
fen (dringend, 3 Monate) oderunebene
                                          rer Zukunft schlagend werden. Dazu zählen
Böden im Keller (weniger dringend, 12
                                          beispielsweise Balkone aus den         1950er,
Monate). Leichte Mängel könnten et-
                                          1960er und 1970er Jahren, bei denen man-
wa Indikatoren dafür sein, dass in den
                                          gels Abdichtung der Stahl angegriffen wird.
nächsten Jahren Sanierungsmaßnah-
men erforderlich werden könnten. Wür-
den sie nicht derart klassifiziert, be-
stünde die Gefahr, allfällige Mängel
nicht zeitgerecht kommen zu sehen, so
                                          CHRISTOPH GEISLER
Geisler.
                                          Ist freischaffender Architekt

                                                                                    JAHRESTAGUNG 2019
                                                                          BAURECHT UND BAUSTANDARDS             23
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                                               Sanierungsbedarf
                                                               für Bauregeln
                                                                      Baudenkmale in sauberer Verwendung in die Zukunft zu führen. Problemstellungen
                                                                      und Lösungen moderner Denkmalpflege
                                                                      DR. GEORG SPIEGELFELD-SCHNEEBURG

                                                                                           „Wir sind gewohnt, dass Denkmale das Land-        38.000 Objekte unter Denkmalschutz
                                                                                           schaftsbild bestimmen“, erklärte Georg Spie-
                                                                                                                                             Von den rund zwei Millionen Gebäuden in
                                                                                           gelfeld-Schneeburg zu Beginn seines Vortra-
                                                                                                                                             Österreich stehen 38.000 unter Denkmal-
                                                                                           ges über Regeln für Bestandsbauten. Kaum
                                                                                                                                             schutz. Ein Drittel davon befindet sich im
                                                                                           ein Werbefilm stelle dabei nicht das Kulturelle
                                                                                                                                             Besitz der öffentlichen Hand – vorwiegend
                                                                                           in den Vordergrund. Gehe es um Wien, wer-
                                                                                                                                             die „großen“ Bauten, wie etwa die Wiener
                                                                                           de meist der Stephansdom ins Bild gerückt,
                                                                                                                                             Hofburg oder Schloss Schönbrunn, aber
                                                                                           der sicher nicht allen Baunormen entspreche.
                                                                                                                                             auch zahlreiche gemeindeeigene Gebäude,
                                                                                           Dabei gehe es nicht nur um die großen Kultur-
                                                                                                                                             die beispielsweise als Musikschulen ge-
                                                                                                                                             nutzt werden. Kirchen, Kapellen, Pfarrhöfe
                                                                                                                                             und Klöster in kirchlichem Besitz machen
                                                                                                                                             ein weiteres Drittel der Denkmale aus. Ein
                                                                                                                                             weiteres Drittel – rund 13.000 Bauwerke –
                                                                                                                                             befindet sich in Privatbesitz.
FOTO: © MICHAEL KRANEWITTER, WIKIMEDIA COMMONS, CC-BY-SA 4.0

                                                                                                                                             „Bei all diesen Objekten geht es darum, wie
                                                                                                                                             man sie nutzen und erhalten kann. Und sie
                                                                                                                                             nicht so verändert, dass sie nicht mehr les-
                                                                                                                                             bar sind“, erklärte Spiegelfeld. Man soll-
                                                                                                                                             te annehmen, dass dem Gesetzgeber die
                                                                                                                                             Wichtigkeit dieses Themas bewusst sei
                                                                                                                                             und dies in allen bezugnehmenden Verord-
                                                                                                                                             nungen entsprechend berücksichtigt wer-
                                                               Denkmalgeschützte Felsenkapelle im Gschlößtal (Matrei in Osttirol)
                                                                                                                                             de. Doch das finde nicht statt, berichtete
                                                                                                                                             der Immobilienunternehmer, der selbst ei-
                                                                                           bauten, wie den Stephansdom oder Schloss          nige denkmalgeschützte Objekte besitzt.
                                                                                           Schönbrunn. Bedeutend sind aus Sicht des          In der vertieften Auseinandersetzung mit
                                                                                           Denkmalexperten auch die vielen kleinen           dem Thema habe er Abgründe entdeckt.
                                                                                           Denkmale wie Kapellen oder Bauernhöfe,            Zum Thema Bestandsbauten würden un-
                                                                                           denn sie würden Gesellschaft und Identität        gefähr 9.000 Gesetze, Normen und Richtli-
                                                                                           repräsentieren – es gehe um ideelle Werte.        nien existieren, so Spiegelfeld-Schneeburg.

                                                                       JAHRESTAGUNG 2019
                                                      24               BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DR. GEORG SPIEGELFELD-SCHNEEBURG

Er ortet Sanierungsbedarf bei den Regeln       Normen sind für den Experten dabei ein re-
für Bestandsbauten. Es geht ihm um ein         lativ einfacher, weil klarer Teil. Als proble-
Grundprinzip und darum, auf diese Interes-     matisch beurteilt er Bestimmungen, die für
senslage aufmerksam zu machen. Die si-         denkmalgeschützte Objekte nur bedingt an-
chere Nutzung von (denkmalgeschützten)         wendbar sind. Immobilien stellen einen Wert
Bestandsbauten ist ohne Wenn und Aber zu       dar, der ein Vielfaches des österreichischen       Es geht darum,
gewährleisten, erklärte Spiegelfeld. Objekt-   BIP beträgt. Bei Denkmalen kommt zum ma-           Möglichkeiten zu
sicherheitsprüfungen nach ÖNORM B 1300         teriellen auch ein ideeller Wert, geht es doch     schaffen, Baudenkmale
seien gewiss zumutbar, Eigentümer sollten      um Kultur, Gesellschaft und Identität. In der      in sauberer Verwendung
diese auch machen. Aber, so der Denkmal-       öffentlichen Wahrnehmung werde es als völ-         – nicht Verwertung – in
experte, die Norm sollte so angewendet         lig selbstverständlich gesehen, dass diese         die Zukunft zu führen
werden, dass sie dem Denkmal nicht ent-        Identität nicht beschädigt wird, so Spiegel-
gegensteht und diesem in seiner Funktion       feld. Dazu wäre eine Sanierungsrate von 3%
als Denkmal auch gerecht wird. Nachsatz:       aller Denkmale jährlich erforderlich. In der
Und natürlich auch so, dass die Maßnah-        Realität sind es 1% – ein Objekt kommt also
men finanzierbar bleiben.                      alle 100 Jahre an die Reihe.

                                               Bedingt anwendbare Bestimmungen
Seine Ausführungen illustrierte der Denk-
malexperte mit konkreten Beispielen – ei-      Denkmalpflege sei nicht rückwärtsgewandt,
nem Kloster in Oberösterreich etwa, für        betont Spiegelfeld. Es werde vielmehr ja
dessen neues Gästehaus die vorhandenen         auch laufend interessante aktuelle Bausubs-
Fluchtwege zu lang oder Gewölbe in Vor-        tanz unter Schutz gestellt. Aber es brauche
schriften nicht vorgesehen sind. Als Da-       Lösungen, die moderner Denkmalpflege an-
moklesschwert beurteilte Spiegelfeld das       gepasst sind. „Denn es geht darum, Mög-
Thema Haftung: Eigentümer könnten zwar         lichkeiten zu schaffen, um Baudenkmale in
mit Weisungen handeln, falls aber mangels      sauberer Verwendung – nicht Verwertung –
eigener Verantwortung von Nutzern etwas        in die Zukunft zu führen“, so Georg Spiegel-
passiere, würden dem Eigentümer rechtli-       feld abschließend.
che Konsequenzen drohen. Das könne da-
                                               GEORG SPIEGELFELD-SCHNEEBURG
zu führen, dass Verantwortliche den Zugang
                                               ist Vorstandsmitglied des Vereins
zu Denkmalen lieber nicht mehr erlauben.
                                               Historische Gebäude Österreich

                                                                                             JAHRESTAGUNG 2019
                                                                                   BAURECHT UND BAUSTANDARDS         25
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

       Die Kostentreiber
       bei Bauprojekten
       Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen hat den wichtigsten
       Einflussfaktoren in der Kostenentwicklung nachgespürt.

       DIETMAR WALBERG

                           Die Lebenshaltungskosten in Deutschland       trifft die Bereiche Heizung, Lüftung Sanitär
                           sind in den letzten 20 Jahren um 50% ge-      – um beeindruckende 146%. Die Baune-
                           stiegen, erklärte Dietmar Wahlberg. Der Ge-   benkosten haben demgegenüber im Unter-
                           schäftführer der Arbeitsgemeinschaft für      suchungszeitraum um vergleichsweise mo-
                           zeitgemäßes Bauen , einer öffentlichen Ein-   derate 67% zugelegt.
                           richtung mit dem Auftrag den Wohnungsbau
                                                                         Differierende Bauwerkskosten
      Die Kosten für den   in Deutschland zu qualifizieren und zu be-
     technischen Ausbau    gleiten. Zu den Aufgaben gehört auch For-     Als problematisch sähe er die Kostenent-
      – Heizung, Lüftung   schung um die geltenden Rahmenbedin-          wicklung in den deutschen Großstädten, er-
       Sanitär – sind um   gungen festzustellen. Eine aktuelle Studie    klärte Walberg. Läge der Median der Bau-
        beeindruckende     des Hauses untersuchte die Kostenentwick-     werkskosten im Deutschland-Schnitt noch
       146% gestiegen.     lung und die dahintertehenden Kostentrei-     bei 2.100 Euro, wäre er in Hamburg bereits
                           ber bei Bauprojekten im Wohnungsbau.          auf 4.000 Euro angestiegen. Obwohl sich die
                                                                         gesetzlichen Richtlinien nicht geändert hät-
                           Untersucht wurde die Entwicklung der Bau-
                                                                         ten, seien die Baupreise in der Elbmetropole
                           werkskosten für Wohngebäude – beginnend
                                                                         in zwei Jahren um 12% angestiegen. Dabei
                           mit dem Jahr 2000 bis ins zweite Quartal
                                                                         werde in ganz Deutschland zu annähernd
                           2019. Das Ergebnis: Der Baupreisindex, aus
                                                                         den selben Kosten gebaut. Die Unterschie-
                           dem sich die Entwicklung von Materialprei-
                                                                         de erklärten sich aus der Umgebung (Stadt/
                           sen und Lohnkosten ablesen lässt, hat um
                                                                         Land) oder unterschiediche Aufwandsfakto-
                           48 Prozent zugelegt. Der Bauwerkskostenin-
                                                                         ren wie etwa der Anlieferung von Baustof-
                           dex, der auch Qualitäts- und Anforderungs-
                                                                         fen, wie beispielsweise Kalksandstein.
                           veränderungen berücksichtigt, legte um 69
                           Prozent zu. Die Ergebnisse legen nahe, dass   Wie Walberg zeigte, verursachen kosten-
                           dieser Trend sich fortsetzen wird. Um die     treibende Entwicklungen im Wohnungs-
                           Kostentreiber aufzuspüren, haben sich Wal-    bau zusätzliche Gestehungskosten. Ne-
                           berg und sein Team auch die Entwicklung       ben klassischen, bauspezifischen Faktoren
                           in den einzelnen Leistungsbereichen ange-     zeigte er auch jene Kostentreiber, die einen
                           sehen: Die Kosten für den Rohbau sind um      direkten Bezug zu Vorgaben bzw. Anforde-
                           41% gesteigen, der konstruktive Ausbau um     rungen von Bund, Ländern und Kommunen
                           72% und der technische Ausbau – das be-       ahben. Dazu zählen (nach Größe abstei-

       JAHRESTAGUNG 2019
26     BAURECHT UND BAUSTANDARDS
DIPL.-ING. ARCHITEKT DIETMAR WALBERG

gend) energetische Anforderungen, kom-         fizienz, Schallschutz, Vollkeller oder Tief-
munale Auflagen, Steuerrechtsänderungen,       garage“. Aber, so sein Fazit: „Wir werden
technische     Baubestimmungen/Normen          uns diese hohe Qualität so nicht mehr
und Qualitätsstandards sowie Baugeneh-         leisten können“. Da eine Senkung von
migungsgebühren.                               Standards nicht möglich sei, gelte mittel-
                                               fristig, dass es keine(rlei) Anhebung der
Walberg wies dabei auch auf Deregulie-
                                               Standards mehr geben könne. In Anbe-
rungsmaßnahmen hin, die zusätzliche
                                               tracht der Entwicklung von Kosten- und
Kosten für Berater, Gutachter und Sach-
                                               Mieten seien aus seiner Sicht die Grenzen
verständige zur Folge hätten. In einem ak-
                                               der Finanzierbarkeit bezahlbaren Wohn-
tuellen Schaubild zeigte er aktuell übliche
                                               raums erreicht, so Walberg.
Vertragspartner und rechtliche Beziehun-
gen eines Bauherrn. Zu Finanzierungs-
institut und möglicher Förderinstitution       DIETMAR WALBERG
gesellen sich neben Architekt, Bau- und        ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft
Subunternehmer Bauaufsicht und Prüf-           für zeitgemäßes Bauen e.V.
sachverständige sowie zahlreiche weitere

                                                                                                                         GRAFIK: © DIETMAR WALBERG/ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR ZEITGEMÄSSES BAUEN E.V.
Experten – Auditoren, Baugrundgutach-
ter, Energieberater, Projektsteuerer, Trag-
werksplaner, Vermessungsingenieure und
Zertifizierer für Nachhaltigkeit, sowie wei-
tere Fachplaner für B wie Bauphysik bis W
wie Wärmeschutz.

Qualitätsansprüche treiben Kosten
Als wesentliche Kostentreiber identifizier-
te der Bauexperte auch die hohen Qua-
litätsansprüche aller Beteiligten. „An den
Kostensteigerungen sind wir alle schuld“,
so Walberg. „Alle wollen stets die höchst-     Kostentreiber für den Wohnungsbau am Beispiel von Wachstumsregionen und
mögliche Qualität – sei es bei Energieef-      Ballungsgebieten. Bezugsjahr 2000 - Betrachtungsjahr 2014.

                                                                                           JAHRESTAGUNG 2019
                                                                                 BAURECHT UND BAUSTANDARDS          27
DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                            Normungsroadmap
                                            als Kostensenker
                                            NABau-Geschäftsführer Matthias Witte und Roland Jörger von
                                            Bilfinger Infrastructure über die deutsche Normungsroadmap
                                            - und wie sie die Baukosten senken kann.

                                            MATTHIAS WITTE UND ROLAND JÖRGER

                                                                Im Jänner 2018 wurde die deutsche Nor-                  vor dem Hintergrund, dass Normungstä-
                                                                mungsroadmap          „Bauwerke         –    Planen,    tigkeiten in diesen Schwerpunktfeldern
                                                                Bauen und Betreiben“ durch den Sonder-                  nicht nur von den Faktoren des Standes
                                                                präsidialausschuss des DIN-Präsidiums                   der Technik und der Handhabbarkeit der
                                                                veröffentlicht, berichtete der Geschäfts-               normativen Ergebnisse geprägt sind, son-
                                                                führer des DIN-Normenausschusses Bau-                   dern auch indirekt einen Einfluss auf die
                                               Die Normungs-
                                                                wesen (NABau) Matthias Witte. Mit der                   Baukosten entfalten.
                                             roadmap soll die
                                                                Umsetzung der Maßnahmen aus der Nor-
                                           Normungsarbeit im                                                            Ziele der Normungsstrategie
                                                                mungsroadmap wurde der Beirat des
                                           europäischen Rah-
                                                                DIN-Normenausschusses Bauwesen be-                      Für die Normungsstrategie wurden sieben
                                             men unterstützen
                                                                auftragt. Dabei spielen die strategischen               Ziele formuliert (siehe auch Kasten rechts).
                                          und auch Anstöße zu
                                                                Schwerpunktthemen der Bemessungsnor-                    Normung und Standardisierung sollen dem-
                                            neuen Verfahrens-
                                                                mung (Eurocodes), der zu harmonisieren-                 nach den internationalen und europäischen
                                                weisen geben
                                                                den Produktnormung sowie der Energie-                   Handel erleichtern, die staatliche Regelset-
                                                                effizienz und der Digitalisierung (BIM) eine            zung entlasten und unterstützen. Durch Ver-
                                                                herausragende Rolle. Herausragend auch                  netzung und den Aufbau offener Plattfor-
                                                                                                                        men soll Deutschland weltweit die Normung
                                                                                                                        in Zukunftsthemen vorantreiben Wirtschaft
                                                                                                                        und Gesellschaft sollen dabei die treibenden
                                                                                                                        Kräfte sein, Unternehmen sollen Normung
                                                                 NORMUNGSROADMAP
                                                                                                                        und Standardisierung als attraktives strate-
                                                                 BAUWERKE
                                                                                                                        gisches Instrument nutzen und schließlich
                                                                 Die Normungsroadmap Bauwerke soll die Normungs-        soll die öffentliche Wahrnehmung von Nor-
BILD: © DIALOGFORUM BAU ÖSTERREICH

                                                                 arbeit im europäischen Rahmen unterstützen und         mung einen hohen Stellenwert haben.
                                                                 allen „interessierten Kreisen“ Signale geben, welche
                                                                 Ansätze zu verfolgen sind sind und auch Anstöße zu     Dazu wurden Leitlinien erstellt, die auf-
                                                                 neuen oder geänderten Verfahrensweisen geben.          greifen, dass Normung noch deutlicher
                                                                 Download: DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau)         auf Europa bei CEN fokussiert werden

                                             JAHRESTAGUNG 2019
                                     28      BAURECHT UND BAUSTANDARDS
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