Beleidigungskultur - von verrohtem Diskursverhalten bis Cybermobbing
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Beleidigungskultur – von verrohtem Diskursverhalten bis Cybermobbing Schwerpunkt Verrohung und Online-Interaktion – eine enge Koalition? Konstanze Marx „Rüpel, Rowdies, Radikale. Verroht unsere Gesell- sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen, war schaft?“1, ist der Titel einer Scobel-Sendung am massiver Hetze ausgesetzt, nachdem sie bei einer 19. Mai 2016 auf 3Sat. „Busfahrer und Sanitäter nicht mit dem Präsidium und den anderen Frak- werden immer öfter Opfer von Gewalt. Täglich tionen abgestimmten durch die AfD eingeleiteten werden in Berlin Sanitäter, Busfahrer und Po- Schweigeminute interveniert hatte. Als „Kothau- lizisten attackiert. Politiker sprechen von der fen“ wurde sie auf YouTube bezeichnet: „Schade, das ,Verrohung der Gesellschaft‘. Die Opfer fühlen sich dieses respektlose inkompetente Dreckstück nicht oft alleingelassen“2 titelt der Tagesspiegel am 10. gestorben ist“ heißt es dort ebenfalls und „TheGot- März 2018. „Wir erleben eine Verrohung unserer ChA4LiFe“ (Der Name der umstrittenen Plattform Gesellschaft“3, konstatiert am 4. Januar 2019 der „4Chan“ ist in diesem Nicknamen unschwer zu Innenstaatssekretär Stephan Mayer im Interview erkennen) fordert: „An die Wand mit der!“ mit n-tv zum Thema Datenklau und Veröffentli- Es ist nicht zufällig, dass diese Beispiele nicht chung auf Twitter. Christian Lindner erklärt am aus der Bundestagsdebatte stammen, sondern 14. Juni 2018 in der FAZ „wieso er [...] im ,Merkel- von einer Internetplattform, denn die Voraus- Bashing‘ ein ,Zeichen der Verrohung‘ sieht.“4 Die setzungen für solche Versprachlichungsformen Aufzählung vergleichbarer Schlagzeilen ließe sich seien im „Internet“ besonders gut, betont Bun- mühelos noch fortführen. Es wird meines Erach- despräsident Steinmeier in seinem Memento vom tens aber bereits an diesen wenigen Beispielen April 2017, wenn er eine Verrohung der Sprache recht deutlich, dass Verrohung als ein aktuelles im Internet beklagt. Auch im Manifest des Ba- Problem unserer Gesellschaft gesehen wird. yerischen Lehrerverbandes aus dem September In der öffentlichen Wahrnehmung nun ist 2016 werden die Verrohung, Aggressivität, die Verrohung sehr eng mit Sprache assoziiert. Im Sprache des Hasses, die Geringschätzung und Juni 2018 hat Wolfgang Schäuble in seiner an die Diskriminierung, persönliche Beleidigungen, AfD-Fraktion gerichteten Rüge betont, dass die bewusste Kränkungen und Ausgrenzungen in Art der Auseinandersetzung im Parlament Anlass Wort und Handeln mit der Kommunikation in sein kann für „Hass und Hetze, für Verrohung bis den Sozialen Netzwerken in Verbindung gebracht. hin zu schlimmsten Formen von Gewalt.“5 Die Die Bundesjustizministerin Katarina Barley hebt Vizebundestagspräsidentin Claudia Roth, das die „Anonymität der sozialen Netzwerke“ hervor, 4__BPJMAKTUELL 2/2019
als sie im August 2018 vor Entgleisungen warnt, an die Thematisierung von psychischen Krank- die „zunehmend auch in der öffentlich geführten heiten, die Situation von Menschen mit Behinde- politischen Debatte“ spürbar wären.6 rung, von Pflegenden, von Alleinerziehenden etc. Die oben geschilderten Beobachtungen lassen Auf der anderen Seite zieht der Enthem- sich nun auf die folgende Formel reduzieren: Ver- mungseffekt aber eine rüde Sprache, den unre- rohung ist ein Resultat der Internetkommunika- flektierten Ausdruck von Wut, Drohungen und tion. Richtiger wäre, die Absolutheit dieser Formel Hass nach sich, Menschen konfrontieren sich abzumildern. Verrohung ist natürlich kein Phäno- mit Inhalten, wie z.B. Pornographie und Gewalt, men, das in unserer digital(isiert)en Gesellschaft zu denen es ohne das Internet vielleicht keinen erstmals spürbar wird. Verrohung manifestierte Zugang gegeben hätte. Das ist die toxische Seite sich in verschiedenen Epochen auf grausamste des Enthemmungseffekts.8 Sie steht im Mittel- Weise und zwar bis hinein in die jüngere deutsche punkt des hier vorliegenden Beitrags und scheint Geschichte. Vergegenwärtigt man sich gerade die durch drei Faktoren gekennzeichnet, die in den extreme Gewalt in der Zeit des Nationalsozialis- aktuellen Kontext gerückt werden sollen und mus, deren Fundament systematische Propagan- zugleich Anknüpfungspunkte für Präventionsü- da (also sprachliche Manipulation) war, die auch berlegungen darstellen: Anonymität, Zugänglich- in der Mitte der Gesellschaft ihren Resonanzraum keit und die kontinuierliche Grenzüberschreitung. fand, so ist es nicht nur nachvollziehbar, son- Damit werden Fragen motiviert, wie: Sollte es eine dern auch notwendig, dass die Signale sowohl als Authentifizierungspflicht in den Sozialen Medien Gefahr für einen kooperativen gesellschaftlichen geben? Wie kann der Zugang zu kindeswohlge- Diskurs als auch als Gefahr für ein friedliches fährdenden Inhalten geregelt werden? Woran Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft sind Grenzüberschreitungen festzumachen? gedeutet, benannt und Wege gesucht werden, diese Gefahr zu bannen. Anonymität als Quell allen Übels? Mit Blick auf die Frage nach einer Authentifizie- Begünstigt das Internet verrohende Tendenzen? rungspflicht ist zunächst zu sagen, dass Anonymi- Ein erster Schritt ist es, die Bedingungen zu tät nicht (mehr) das drängendste Problem ist. Aus ergründen, die Verrohung begünstigen. Oben der Cybermobbingforschung wissen wir beispiels- wurde bereits deutlich, dass im Kommunikations- weise, dass bis zu 50% der betroffenen Personen raum „Internet“ ideale Voraussetzungen für einen die Identität derjenigen kennen, die sie im Netz verrohenden Diskurs vermutet werden. Das hängt attackieren.9 Gerade auf Facebook oder aber auch zum einen damit zusammen, dass gerade in den von Berichten von von HateSpeech-Betroffenen10 Anfangsjahren der Internetkommunikation in wird klar, dass Menschen inzwischen Hass und Chats und Foren vornehmlich anonym oder pseu- Hetze auch unter ihrem Klarnamen verbreiten. donym interagiert wurde. Nutzer*innen gaben Das bedeutet, dass eine Probephase, in der im ihren Online-Identitäten sogenannte Nicknames, Schutz der Anonymität etwas ausgetestet worden das geschah zu ihrer eigenen Sicherheit, gab ihnen ist, übergeht in eine Phase, in der die gewonnene aber auch die Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, Sicherheit nicht nur das Schutzbedürfnis überla- die ohne eine solche Maskierung aus unterschied- gert, sondern damit auch das Bewusstsein für das lichen Gründen nicht vertretbar gewesen wären. eigene grenzüberschreitende Verhalten. Das kann In der Online-Forschung hat sich hierfür der Ter- deshalb passieren, weil begünstigt durch Algo- minus online disinhibition effect7 (Enthemmungs- rithmen aber auch aktiv durch das eigene Zutun effekt) etabliert, der als zweischneidiges Schwert Echokammern11 entstehen, in denen die Bestäti- betrachtet wird: Es gibt Menschen, die das Inter- gung für die eigenen Ansichten garantiert ist. Im net für besonders freundliche und großzügige Grunde handelt es sich hier um einen bekannten Gesten nutzen oder um Gefühle, Ängste, Wünsche Effekt in Sozialen Netzwerken generell, wie er be- zu artikulieren. Der Enthemmungseffekt kann reits in der frühen Netzwerkforschung formuliert also auch wohlwollend ausgelegt werden, wenn wurde: Menschen versuchen mit ihren Einstel- sich Menschen einen Sagbarkeitsraum erschlie- lungen in ein Gleichgewicht zu ihrem sozialen ßen, der eine verbesserte, ehrlichere Interaktion Umfeld zu gelangen und bewerten z.B. Objekte ermöglicht und in dem wichtige gesellschaftliche tendenziell positiv, die auch von Mitmenschen, Debatten ihren Ursprung finden. Ich denke hier die ihnen sympathisch sind, positiv bewertet 5 BPJMAKTUELL 2/2019__
werden.12 So lässt sich z.B. im Kommentarbereich Drastische Kommentare sind ein beliebtes Mittel, unter Statusmeldungen auf der Pegida-Facebook- um Aufmerksamkeit zu generieren,14 wer diese Seite systematisch nachvollziehen, wie Personen, teilt (bei Facebook) oder retweetet (bei Twitter) die sich nicht konform zur gruppeninhärenten wird Mittäter*in auch wenn er/sie sich in einem Einstellung positionieren, umgestimmt werden begleitenden Kommentar ausdrücklich dagegen sollen oder ausgeschlossen werden. positioniert. Sicherer ist es, die Urheber*innen Als Beispiel sei hier die Reaktion auf einen von Hass und Hetze nicht mit @ zu adressieren, Kommentar auf einen Facebook-Post von Lutz ihnen nicht direkt zu antworten und – falls Refe- Bachmann 3 erwähnt.13 In diesem Post wird Kanz- renzposts notwendig sind – mit Bildschirmfotos lerin Angela Merkel verhöhnt, es wird konstatiert: zu arbeiten. Voraussetzung aller Bemühungen „Zumindes (sic) in den Geschichtsbüchern ist sie um digitale Zivilcourage ist aber, dass der oder bereits fest als #KanzlerinDerSchande und des die Nutzer*in erkennt, wann eine Positionierung Niedergangs verwurzelt und das lässt sich auch oder auch eine Meldung – z.B. auf der vom Demo- nicht mehr ändern!“ Im ersten Kommentar da- kratiezentrum Baden-Württemberg unterstützten rauf fragt dann ein Nutzer mit dem Namen Gott- Seite Hassmelden.de – notwendig wird. Das ist hold: „In welchen Geschichtsbüchern ist sie schon gerade für Kinder und Jugendliche, aber auch für fest als ,Kanzlerin der Schande‘ verwurzelt? Bissl Erwachsene nicht immer leicht zu entscheiden. viel Pathos für meinen Geschmack.“ Es lässt sich Bevor ich darauf eingehe, ist es wichtig, die Ver- nun direkt darunter nachvollziehen, wie versucht knüpfung zwischen Verrohung und HateSpeech, wird, Personen, die sich nur ansatzweise kritisch die sich bislang eher implizit durch diesen Beitrag äußern, in eine Richtung „einzunorden“. So lautet zieht, auszudifferenzieren. eine Antwort (von Günter): „Ich beobachte dich und deine Kom. jetzt schon ein paar Tage, deine FB Seite erweckt zwar den Anschein als wärst Du Zum Zusammenhang zwischen Hass, Verrohung ,einer von uns‘, deine Kom. zeugen jedoch eher und Sprache vom Gegenteil! Was bezweckst Du eigentlich mit Verrohung ist kein sprachliches Phänomen, son- diesem Scheiß?“ Am Gebrauch des Ausrufezei- dern kann anhand von sprachlichen Äußerungen chens nach Gegenteil und auch am Gebrauch des transparent werden. Das Wort wird laut dem umgangssprachlichen Fäkalausdrucks Scheiß, der Eintrag im Digitalen Wörterbuch der deutschen nicht der erste Ausdruck ist, der einem in den Sprache (https://dwds.de) typischerweise in Kom- Sinn kommt, wenn man den Kommentar von bination mit Wörtern wie Abstumpfung, Brutali- Gotthold beschreiben möchte, wird emotionales sierung, Verarmung, Verwahrlosung, sittlich, schlei- Engagement deutlich. Deutlich wird auch, dass chend, Jugend, emotional, zunehmend, wachsend, Personen, die sich äußern, unter Beobachtung Gesellschaft, Gewalt, moralisch o.ä. gebraucht und stehen, dass ihre Profile überprüft werden. Eine beschreibt ein emotionales Erkalten, eine zuneh- weitere wichtige Beobachtung ist, dass Günter mende Bereitschaft zur Brutalität, die oftmals auf Unterstützung erhält, so schreibt Hans-Jürgen gewaltsame Erfahrungen zurückzuführen ist. beipflichtend: „Ob solchen Gestalten Gott wirklich HateSpeech oder auch Hassrede ist „der hold ist?“ Dabei wertet er den Schreiber Gotthold sprachliche Ausdruck von Hass gegen Personen ab, indem er über seinen Vornamen spottet, ihn oder Gruppen [...], insbesondere durch die Ver- als Person aber auch distanziert-verunglimpfend wendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung unter solche Gestalten subsumiert. und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen Vielmehr als die Anonymität muss also auch dienen.“15 die Sozialisierung in den Blick genommen wer- Während Verrohung also einen emotionalen den, die sich auf Grund der technischen Mög- Abhärtungs- oder Transformationsprozess be- lichkeiten, die Soziale-Netzwerk-Seiten bieten, zeichnet, scheint HateSpeech dazu zu dienen, effizient umsetzen lässt. So besteht die Möglich- Ergebnisse dieses Prozesses zu benennen: Ab- keit, als Nutzer oder Nutzerin selbst zu inter- grenzung, Hass, Herabsetzung anderer Personen venieren, sobald man merkt, dass Personen ins und gleichzeitige Erhöhung der eigenen Person. Visier von Hater*innen geraten. Dabei ist es aber Andererseits ist nicht sicher, ob der ausgedrückte wichtig, die plattforminhärenten Bedingungen Hass Ergebnis eines Verrohungsprozesses ist oder zu berücksichtigen, um nicht unbeabsichtigt als nicht schon – z.B. transgenerational vererbt wurde weiterverbreitendes Instrument zu funktionieren. – und ob er als Emotion wirklich existiert oder 6__BPJMAKTUELL 2/2019
nur strategisch vermittelt wird, z.B. zu politischen Hashtag wurde als eine Art Korrektiv für den Zwecken oder aus Gründen der Aufmerksamkeit- Sagbarkeitsraum Social Web ins Leben gerufen. sökonomie. Die Initiator*innen setzten ihn als Zeichen gegen Über die Wahrhaftigkeit von ausgedrückten Hetze und Fremdenfeindlichkeit ein und gewan- Gefühlen können im Rahmen einer sprachwis- nen damit viele Mitstreiter*innen. Gleichzeitig senschaftlichen Analyse keine Aussagen gemacht wurde der Hashtag aber auch von Personen werden, dieser Anspruch besteht seitens unserer geradezu „gekapert“, die im Netz Hetze und Disziplin auch nicht. Relevant ist jedoch, wie Fremdenfeindlichkeit verbreiten. So heißt es z.B. sich sprachliche Gewalt gestaltet und ob es in in einem Tweet vom 28. Februar 2019: „#CDU- der ausgeführten sprachlichen Gewalt Hinweise Politikerin ohne Studienabschluss erzählt uns, darauf gibt, welche Auslöser für Hass (oder aus- #Migration sei der Normalfall. Der Grund: ,Werte, gedrückten Hass) vorliegen könnten, weil sich Wohlstand+geograf. Lage‘. Es ist unerträglich, daraus präventive Maßnahmen ableiten lassen illegale #Einwanderer+Parallelgesellschaften als könnten. So muss Verrohung nicht zwangsläufig erstrebenswert zu verkaufen. @cducsubt #es- in diskriminierenden Äußerungen (das meint ja reicht #AfD (mit einem Screenshot, auf dem die HateSpeech im Wesentlichen) sichtbar werden, Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz sondern kann sich auch in gänzlich unpolitischen unter der Überschrift „Integrationsbeauftragte Gewaltphantasien, in persönlichen Beleidigungen, fordert Bekenntnis zur Migration“ abgebildet ist). im Verbreiten von Gerüchten etc. zeigen. Umge- Vergleichbare Dynamiken ließen sich etwa auch kehrt müssen Gewaltphantasien, Beleidigungen bei der Verwendung – oder besser Besetzung – des oder Gerüchte nicht ein Zeichen von Verrohung Hashtags #Schweden nachweisen. Hier etablierte oder Hass sein, sie könnten auch Ausdruck mo- sich neben der neutralen und geographisch zu- mentaner, impulsiver Wut sein (von der jede ordnenden Funktion auch eine hetzerische, wie Person ergriffen werden kann), sie könnten auf z.B. in einem Tweet vom 2. April 2017: „#Schwe- einen konkreten Anlass zurückführbar sein (dem den bietet nun Abenteuerurlaub für Frauen jede Person ausgesetzt sein könnte), der Wieder- an! Sie werden im Ort ausgesetzt und müssen herstellung einer emotionalen Stabilität (und unbeschadet ins Hotel zurück. #lastnightinswe- eben nicht der Transformation im Sinne einer den“. Hier wird Bezug genommen auf eine vom Verhärtung) dienen usw. Wichtig ist daher, wie die amerikanischen Präsidenten Trump verbreite- jeweiligen Äußerungen kontextualisiert sind. te Meldung eines vermeintlichen Anschlags in Schweden, der im Social Web zunächst mit Spott und Satire mit Bezug auf Trump, dann aber auch Wie lassen sich Hass und Hetze nun als solche mit Hass und Hetze gegenüber geflüchteten identifizieren? Menschen begegnet worden ist. Auf der Ebene der Die Frage scheint auf den ersten Blick vielleicht sprachlichen Oberfläche sind sowohl die Phrase es ungerechtfertigt. „Das ist doch offensichtlich“, reicht als auch das Wort Schweden unverfänglich. möchte man möglicherweise spontan antwor- Beides kann jedoch verwendet werden, um Deu- ten. Es ist aber so, dass es auch Äußerungen gibt, tungsrahmen auf Hassinhalte zu erweitern. die als HateSpeech klassifiziert werden müssen, Ich komme nun zum zweiten Fall: An der obgleich sie auf der sprachlichen Oberfläche keine sprachlichen Oberfläche verfängliche Äuße- HateSpeech-Merkmale aufweisen. Darüber hinaus rungen müssen nicht HateSpeech sein. Hier gibt es Äußerungen, die anhand ihrer sprach- möchte ich auf die Peer-to-Peer-Kommunika- lichen Oberfläche zu HateSpeech gezählt werden tion unter Jugendlichen verweisen, die gerade könnten, de facto aber nicht dazu zu rechnen sind. in WhatsApp-Chats eindrücklich sein kann. Ein drittes Problem bei der Identifikation von Adressierungen wie HURENSOHN, kackkind, du Hass und Hetze besteht darin, dass beides nicht stricher! oder du sau entstammen zweifelsohne notwendigerweise da auftritt, wo wir es vermuten. dem Repertoire an sprachlichen Ausdrücken Ich möchte das gern an einigen Beispielen aus- und Mustern, die z.B. auch für Cybermobbing- führen und beginne mit dem zuerst erwähnten Diskurse typisch sind17: derbe Beschimpfungen, Fall: HateSpeech ist nicht immer auf der sprach- entmenschlichende Metaphern, emphatisches lichen Oberfläche erkennbar. Schreiben in Großbuchstaben oder auch Degra- Das lässt sich u.a. an der Verwendung des dierungen. Es handelt sich bei der hier zitierten Hashtags #esreicht veranschaulichen.16 Der aktuellen Verwendung in einem Chat unter 7 BPJMAKTUELL 2/2019__
Freund*innen nicht um Cybermobbing oder dung von Sprache auf Sozialen-Netzwerk-Seiten HateSpeech, sondern um sogenanntes Bantering zu richten. Dabei gilt es aber, den Fokus nicht auf oder auch Dissen zur Aushandlung von Status und einzelne Wörter zu legen, sondern die jeweilige Angemessenheit unter Peers, das sich typischer- Interaktionssituation zu berücksichtigen, um be- weise jenseits von Tabugrenzen bewegt,18 aber stimmen zu können, ob HateSpeech vorliegt oder nicht per se als (sprachliche) Gewalt eingeordnet eine zwar gewöhnungsbedürftige aber harmlose werden kann. Pragmatische und soziale Aspekte Peer-to-Peer-Kommunikation. Als besondere dürfen schlicht nicht ausgeblendet werden. Es Herausforderung habe ich hervorgehoben, dass in zeigt sich, dass Metaphern wie Das Wort als Waffe online-spielbegleitenden Interaktionen diskrimi- oder die Macht der Sprache schlicht zu kurz grei- nierende und verunglimpfende Konzepte aufge- fen.19 Beide Phänomene erschweren die automati- rufen werden, die von Kindern, denen bislang ein sierte Suche nach HateSpeech oder Anzeichen für Rahmen zur Einordnung fehlt, in einen spiele- Verrohung im Netz. rischen Kontext übernommen werden (könnten). Drittens stellt sich nun die Frage, wann und Es ist daher unerlässlich, pädagogische Konzepte wie eigentlich Kinder mit Äußerungen in Berüh- zu entwickeln, mit denen Kinder frühzeitig für rung kommen, die wir dann z.B. in Cybermob- Diskriminierung und Volksverhetzung sensibili- bingdaten wiederfinden, obgleich ihr Erfahrungs- siert werden können. Dabei darf nicht außer Acht horizont normalerweise keine vergleichbaren gelassen werden, dass es zudem geeigneter, in den Konzepte umfassen kann. Ich rede von Kindern Schulunterricht integrierter Anleitungen für kon- im Grundschulalter. Fündig wird man in Online- struktive Meinungsäußerung und Kritik bedarf, Spielen mit Interaktionsfunktion, wie z.B. Clash um den Unterschied zwischen Beleidigungen of Clans. Das Nutzungsmindestalter beträgt 13 und Herabwürdigungen und berechtigten Monita Jahre, wird aber im wahren Leben deutlich un- an der Handlungsweise oder dem Vorgehen von terschritten, das merke ich immer dann, wenn Personen zu internalisieren. ich mit vierten und fünften Klassen arbeite. Hier können die Kinder auf antisemitische Clannamen, wie Judenhasser, Judenjäger, Judenklaue stoßen, auf Gamernamen, wie AdolpfH oder Himmler20, und sie können mit diskriminierender und de- spektierlicher Sprache konfrontiert werden, wie z.B. „Ich fick alle eure Mutter ihr seit hurensohne“ usw. Daran sind viele Dinge problematisch. Ich greife zwei heraus: Erstens ist der Zeitpunkt der Konfrontation zumeist dann, wenn Geschichte oder politische Weltkunde noch gar keine Un- terrichtsfächer sind oder man bei weitem noch nicht zu diesen brisanten Themen vorgedrungen ist. Die Schüler*innen haben also gar keine Folie, vor der sie solche Äußerungen einordnen können. Prof. Dr. Konstanze Marx ist Professorin für Ger- Zweitens muss mitbedacht werden, dass digitale manistische Sprachwissenschaft an der Universität Spielumgebungen für Schüler*innen der erste Greifswald. Sie wurde mit einer neurolinguistischen Zugang zu Interaktionsplattformen im Netz sind. Arbeit zum Textverstehen an der Friedrich-Schiller- Im Zweifel wird alles, was dort passiert, als Spiel Universität Jena promoviert und mit einer Arbeit zum eingeordnet, damit auch als fiktiv. Gefahren, die Diskursphänomen Cybermobbing an der Technischen von erwachsenen Spieler*innen ausgehen, kön- Universität Berlin habilitiert. Im Anschluss arbeitete nen so unter Umständen nicht bemerkt werden. sie als Professorin für die Linguistik des Deutschen an der Abteilung Pragmatik des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache Mannheim und an der Universität Kurzes Schlusswort Mannheim. Ihre Schwerpunkte liegen in der Inter- Ich habe in diesem kurzen Beitrag zu zeigen netlinguistik, der Diskurs- und Textlinguistik, der versucht, dass Zeichen der Verrohung durchaus Erforschung des Zusammenhangs zwischen Sprache- über Sprache transportiert werden und es deshalb Kognition-Emotion, der Genderlinguistik und der lohnenswert ist, das Augenmerk auf die Verwen- medienlinguistischen Prävention. 8__BPJMAKTUELL 2/2019
1 http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/186549/index.html, 14 Hier greift der ‚negative bias’, der bereits im Rahmen der 19. Mai 2016. Vigilanzforschung der 90er-Jahre festgestellt worden ist, vgl. 2 https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/schwinden- Pratto, Felicia/John, Oliver P. (1991): Automatic vigilance: The der-respekt-busfahrer-und-sanitaeter-werden-immer-oefter- attention-grabbing power of negative social information. In: opfer-von-gewalt/21045436.html, 10.3.2018. Journal of Personality & Social Psychology 61, 3, S. 380–391 3 https://www.n-tv.de/politik/Wir-erleben-eine-Verrohung- und Shoemaker, Pamela J. (1996): Hardwired for the news. der-Gesellschaft-article20797267.html, 4. Januar 2019. Using biological and cultural evolution to explain the surveil- lance function. In: Journal of Communication 46, 3, S. 32–47. 4 https://www.faz.net/aktuell/politik/christian-lindner-im-in- terview-es-ist-hoechste-zeit-fuer-eine-wende-15639817.html, 15 Meibauer, Jörg (Hrsg.) (2013). Hassrede/Hatespeech. Interdiszi- ����������� 14.6.2018. plinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion. Gießener Elek- tronische Bibliothek 2013 (= Linguistische Untersuchungen) 5 https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/re- http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9251/pdf/ den/010-560216. Hassrede Meibauer_ 2013.pdf. 6 https://www.zdf.de/nachrichten/heute/debatten-kultur- 16 Ich habe dieses Beispiel auch im folgenden Aufsatz diskutiert: barley-warnt-vor-sprachverrohung-100.html. Marx, Konstanze (2019). Von #Gänsehaut bis #esreicht – Wie 7 Suler, John (2004). The Online Disinhibition Effect. In: ���������� Cyber- lässt sich ein Territorium neuer Sagbarkeit konturieren? Psychology and Behavior, 7, 321-326. Ein phänomenologischer Zugang. In: Eichinger, L./Plewnia, A. 8 Siehe dazu ebenfalls Suler (2004). (Hg.). Neues vom heutigen Deutsch. Empirisch - methodisch- 9 Fenaughty, John/Harré, Niki (2013). Factors associated with theoretisch. Jahrbuch 2018. Berlin/New York: De Gruyter, young people’s successful resolution of distressing elec- 245–264. tronic harassment. In: Computers & Education 61, 242–250. 17 Siehe dazu ausführlich: Marx, Konstanze (2017). Diskursphä- DOI:10.1016/j.compedu.2012.08.004. nomen Cybermobbing. Ein internetlinguistischer Zugang zu 10 Nachzulesen zum Beispiel in dem Buch „Post von Karlheinz: [digitaler] Gewalt. Berlin/New York: de Gruyter. Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen 18 Schmidt, Axel (2004). Doing peer-group. Die interaktive Kon- antworte“ von Hasnain Kazim, erschienen 2018 im Penguin stitution jugendlicher Gruppenpraxis. Frankfurt/Main [u. a.]: Verlag. Lang. 11 Auch Filterbubbles, Filterblasen, siehe dazu Sunstein, Cass 19 Dazu vertiefend: Schlobinski, Peter (2017). Grundzüge von R. (2001). Echo Chambers. Bush vs. Gore. Impeachment, and Sprache und Macht. In: Networx 77. http://www.medienspra- Beyond. Princeton: Princeton University Press. che.net/networx/ networx-77.pdf. 12 Siehe dazu die Ausführungen zur Balance-Theorie, deren 20 Rüdiger, T. (2016): #NoHate. München & Hatespeech in Onli- Vertreter Fritz Heider, Dorwin Cartwright oder Frank Harary negames. Wir müssen mal reden! https://www.linkedin.com/ sind, bei Fuhse, Jan Arendt (2016). Soziale Netzwerke. Konzepte pulse/münchen-hatespeech-onlinegames-wir-müssen-mal- und Forschungsmethoden. Konstanz: UVK. reden-rüdiger. 13 Ausführlich diskutiere ich dieses Beispiel in Marx, Konstanze (2018). Hate Speech – Ein Thema für die Linguistik. In: Albers, Marion/Katsivelas, Ioannis (Hg.): Recht & Netz. Baden-Baden: Nomos, 37–57. BPJMAKTUELL 2/2019__ 9
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