BERNPUNKT - Wirtschaftsraum Bern
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HINTERGRUND STADT BERN LOREM IPSUM Ausgabe N° 11 BERNPUNKT Magazin für Stadt und Region Bern Wirtschaftsstandort Bern — wie weiter? Analysen. Ansichten. Ausblicke. SEITEN 8 | 9 WIRTSCHAFTSSTANDORT BERN Stärken und Schwächen unter der Lupe SEITE 14 | 15 DIE KREATIVWIRTSCHAFT Kulturförderung als Motor für Wirtschaftswachstum SEITE 18 | 19 BERNPUNKT-GESPRÄCH Rapper Luc Oggier von «Lo & Leduc» über Bern, Musik und Mani Matter
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EDITORIAL Ein positives Fazit Zwar prognostiziert die UBS im aktuellen kantonalen Wettbewerbsindi- kator dem Kanton Bern ein leicht unterdurchschnittliches Wachstum. Das mag auf den ersten Blick ernüchternd sein, dennoch ziehe ich ein positives Fazit aus der Studie. Nicht wenige Wissenschaftler prophezeien, die Digitalisierung werde massiv Arbeitsplätze vernichten. Was dagegen tun? Bildung ist ein probates Mittel. Vor allem Wissen und Fähigkeiten machen eine Wirtschaft widerstandsfähiger; gemäss der UBS -Studie verfügt der Kanton Bern gerade im Bereich Humankapi- tal über sehr viel Potential, sprich die Bevölkerung ist äusserst gut ausgebildet. Mit dieser Voraussetzung ist Bern für die Zukunft gut aufgestellt. Nicht zuletzt ist Bildung auch ein Treiber des Wirtschaftswachstums. Eine gut ausgebildete Be- völkerung erbringt höhere Produktivitätsleistungen und die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Arbeitskräften erhöht auch die Attraktivität des Standortes Bern für Unternehmen. Nicht zuletzt ist die Lebensqualität in Bern überdurchschnittlich hoch — auch das ist ein Wirtschaftsfaktor. Besonders repräsentativ ist die erste Bevölke- rungsbefragung der Stadt Bern, die im vergangenen Jahr durchgeführt wurde: 97 Prozent der Bernerinnen und Berner gaben an, dass sie gerne in der Stadt Bern leben. Genannte positive Aspekte sind: Die schöne Stadt mit überschauba- rer Grösse, der öffentliche Verkehr und die Lebensqualität allgemein. Die Zufrie- denheit der Menschen ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor für einen pros- perierenden Wirtschaftsstandort. Hans-Jürg Gerber, Geschäftsleiter Wirtschaftsraum Bern INHALT 04 IRTSCHAFTSSTANDORT BERN — W 12 — 13 TAUGT DAS BIP ALS INDIKATOR WIE WEITER FÜR WOHLSTAND? Analysen, Ansichten und Anregungen Eine kritische Annäherung für mehr Wirtschaftswachstum DIE KREATIVWIRTSCHAFT 14 — 15 06 — 07 I NTERVIEW MIT DEM UBS-ÖKONOM Blick auf die Kulturlandschaft ELIAS HAFNER durch die wirtschaftliche Brille Gefahren und Chancen für den Wirtschaftsstandort Bern 16 — 17 K ULTUR UND DAS GUTE LEBEN Bern und seine Kulturstrategie 08 — 09 A NALYSE:BERNS WIRTSCHAFTLICHE STÄRKEN UND SCHWÄCHEN KURZ BERNPUNKT-GESPRÄCH 18 — 19 ERKLÄRT R apper Luc von «Lo &Leduc»: Meine Sicht auf Bern 10 — 11 ER HANDELS- UND INDUSTRIEVEREIN D Sein Rezept für mehr Wirtschaftswachstum
TITELSTORY Wirtschaftsstandort Bern — wie weiter? Von Reto Liniger Analysen, Ansichten und Ausblicke zur Frage: Wie kann der Kanton Bern seine Wirtschafts- leistung steigern? Bern wird wohl auch künftig wirtschaftlich weniger schnell wachsen. Eine «ausgewiesene Wachstumsschwäche» diagnostizierte der Wirt- kussiert auf den nächsten Seiten einige Stärken und Schwächen des Kantons. schaftsgeograph Paul Messerli vor gut drei Jahren dem Kanton Bern. An der Situ- Und stellt die Frage: Was könnte der Kanton Bern tun, um wettbewerbsfähiger ation hat sich nicht viel verändert: Im Vergleich zu anderen Kantonen entwickelt zu werden? sich der Kanton Bern weniger dynamisch. Und sein Bruttoinlandprodukt pro Gemessen wird Wirtschaftswachstum mit dem Bruttoinlandprodukt Kopf der Bevölkerung liegt unter dem Wert der Schweiz. Eine neue UBS -Studie (BIP). Gleichzeitig gilt das BIP als Indikator für Wohlstand: Wächst das BIP, geht zeigt nun: Der Kanton Bern wird wohl auch künftig wirtschaftlich weniger schnell es den Menschen besser. So die Annahme. Also werden weltweit alle Hebel in wachsen als die Gesamtschweiz. Gang gesetzt, um für Wirtschaftswachstum zu sorgen: tiefe Zinsen, Konjunktur- programme und Schuldenberge. Die entscheidende Frage ist jedoch: Geht es den Menschen wirklich besser, wenn die Wirtschaft brummt? Macht uns mehr «Bern liegt im Mittelfeld. Geld glücklicher? Und gäbe es nicht geeignetere Kennzahlen als das BIP, um das Wohlergehen einer Gesellschaft zu vermessen? Die Antworten der ökonomi- Zug und Zürich führen schen Glücksforschung dazu finden Sie auf den Seiten 12 und 13 in diesem BERN- punkt. das Ranking an.» Wirtschaftswachstum und Kultur? Kultur schafft Lebensqualität und trägt zur Attraktivität einer Stadt bei; das ist die herkömmliche Sicht auf die Kul- tur. Seit gut zehn Jahren wird der kulturelle Sektor in der Schweiz jedoch auch nach wirtschaftlichen Kriterien vermessen. Die Studien der Zürcher Hochschule Gemäss dem Ende März erschienenen kantonalen Wettbewerbsindika- der Künste zeigen, dass die sogenannte Kultur- und Kreativwirtschaft sich zu ei- tor (KWI) der UBS sind Zug und Zürich die wettbewerbsfähigsten Kantone der ner beachtlichen Wirtschaftskraft entwickelt hat: Über 5 Prozent der Beschäftig- Schweiz. Der Kanton Bern liegt im soliden Mittelfeld. Die UBS -Ökonomen ver- ten in rund 10 Prozent der Betriebe der Schweiz können der Kultur- und Kreativ- gleichen im Rahmen des KWI die kantonalen Volkswirtschaften und ermitteln wirtschaft zugerechnet werden. Ihr Anteil am BIP liegt bei über 3 Prozent. ihr Potential zur Steigerung der Wirtschaftsleistung. Die Wettbewerbsfähigkeit Erstmals beziffert die Forschungsstelle CreativeEconomies der Zürcher eines Kantons wird anhand von zehn Kriterien beurteilt: unter anderem die Wirt- Hochschule der Künste für das BERNpunkt den Anteil des Kantons Bern an der schaftsstruktur, die Fähigkeit zur Innovation, das Kostenumfeld oder der Bil- Schweizer Kultur- und Kreativwirtschaft: Der Kanton Bern steht «für mehr als 10 dungsstand der Bevölkerung. Mithilfe des KWI lässt sich ein Wachstumsszenario Prozent der Schweizer Kultur- und Kreativwirtschaft». Einzelne Branchen er- für jeden Kanton modellieren. Nach Leseart der UBS -Studie haben also die Kan- reichten sogar einen Anteil von bis zu 15 Prozent. Kurz: Relativ gesehen ist das tone Zug und Zürich die besten Karten in der Hand, ihr Bruttoinlandprodukt Potential der Kultur- und Kreativwirtschaft im Kanton Bern beachtlich. In der künftig zu steigern. Dem Kanton Bern wird hingegen von der UBS ein leicht un- Förderung der Kulturproduktion in Bern liegt eindeutig Potential, um für zusätz- terdurchschnittliches Wachstum prognostiziert. liches Wirtschaftswachstum im Kanton zu sorgen. Vielleicht sogar so viel Poten- tial, um die diagnostizierte Wachstumsschwäche im Kanton Bern etwas nach HINWEISE FÜR DIE oben korrigieren zu können. WIRTSCHAFTSPOLITIK Natürlich sind solche kantonalen Vergleiche nur bedingt aussagekräf- DER KANTONALE WETTBEWERBSINDIKATOR ONLINE tig, denn der Kanton Bern hat andere Voraussetzungen als Stadtkantone oder kleine Kantone. Doch die einzelnen Bewertungskriterien des Rankings zeigen trotzdem Handlungsfelder auf. So kann der KWI Entscheidungsträgern wichtige www.ubs.com/kantonalerwettbewerbsindikator-de Hinweise für ihr wirtschaftspolitisches Handeln liefern: Gemäss dem KWI hat www.ubs.com/kantonalerwettbewerbsindikator-fr der Kanton Bern in den Bereichen Humankapital und Wirtschaftsstruktur über- durchschnittlich gut abgeschnitten. Hingegen punkto Innovation, Arbeitskräfte- potential und Kostenumfeld schneidet der Kanton unterdurchschnittlich schlecht ab. Wirtschaftsstandort Bern — wie weiter? Das aktuelle BERNpunkt fo-
PUBLIREPORTAGE V on Silvio Spichiger, Gebietsmanager Stadt Bern, Swisscom (Schweiz) AG Unternehmen sind aus Wettbewerbsgründen gezwungen, flexibel und schnell auf Märkte und wechselnde Kundenanforderungen zu reagieren. Dabei kommt Informations- und Kommunikations- lösungen (ICT) eine zentrale Bedeutung zu. Denn der richtige Ein- satz von ICT verspricht nicht nur einfachere und flexiblere Prozes- se, sondern ermöglicht auch die Gestaltung komplett neuer Geschäftsmodelle. Zauberwort ICT — Internationale Rankings bestätigen es jedes Jahr aufs Neue: Die Schweiz gehört zu den innovativsten und wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Da- der Schlüssel zu mehr mit es dabei bleibt, müssen Schweizer Unternehmen rasch auf neue Marktbe- dingungen reagieren können. Umso wichtiger ist es daher, mit der rasant voran- schreitenden Digitalisierung Schritt zu halten. Unternehmen, denen dies gelingt, werden gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen schneller und vor al- Wettbewerbsfähigkeit? lem besser meistern. Denn moderne Technologien eröffnen diesbezüglich ganz neue Möglichkeiten. EINFACHERE PROZESSE Smartphone aus möglich sind. Studien haben bewiesen, dass mobil-flexibles Arbeiten die Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden steigert. Moderne Technologien können Prozesse vereinfachen und dadurch ef- Des Weiteren können moderne Arbeitsmodelle auch ein Instrument sein, um fizienter gestalten. Die IP -basierte Festnetztelefonie ist ein gutes Beispiel. Für ei- Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden oder Neue für sich zu begeistern. nen neuen Standort oder Mitarbeitenden müssen dank IP keine neuen Telefon- leitungen mehr gelegt werden. Manuelle Eingriffe oder Techniker sind kaum INNOVATIVE GESCHÄFTSMODELLE mehr nötig. Das vereinfacht auch den Umzug: Für die Inbetriebnahme des IP - Festnetzanschlusses muss am neuen Standort lediglich der Router eingeschal- ICT-Lösungen helfen aber nicht nur, Unternehmensprozesse effizienter tet werden. Das zeigt: Eine zukunftsorientierte Kommunikations- und IT-Infra- und flexibler zu gestalten — nein, viele innovative Geschäftsmodelle werden erst struktur lässt sich einfach den Bedürfnissen anpassen und wächst mit dem Un- durch ICT möglich. Moderne Technologien erlauben, neue Ideen zu verwirkli- ternehmen mit. Darüber hinaus bieten sie Potential für Kostenoptimierungen. chen, Grenzen gibt es kaum noch. Folglich wirkt ICT als Motor für wirtschaftliche Das liegt daran, dass immer mehr ICT-Anbieter Services virtuell zur Verfügung Neuerungen und revolutioniert ganze Branchen — das zeigen prominente Bei- stellen. Office-Programme, Telefonanlagen und beispielsweise auch Server spiele wie Airbnb und Uber. Unternehmen, die sich aktiv mit modernen Techno- müssen nicht mehr gekauft und aufwendig betrieben sowie gewartet werden. logien auseinandersetzen, wird es deshalb nicht nur gelingen, sich Wettbe- Unternehmen beziehen die benötigten Leistungen, etwa Rechenpower und werbsvorteile zu sichern, sondern gar neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Speicherplatz, direkt aus der Cloud. Der Anbieter stellt die entsprechende Infra- struktur zur Verfügung und kümmert sich darum, dass die gewünschten Leis- tungen immer verfügbar sind. Swisscom beispielsweise betreibt dafür eigene Rechenzentren in der Schweiz, welche die höchsten Anforderungen an Sicher- ALL IP VERÄNDERT DIE SCHWEIZ — SIND SIE BEREIT ? heit und Verfügbarkeit erfüllen. FLEXIBLERE PROZESSE Swisscom plant, bis Ende 2017 auf die IP -basierte Festnetztelefonie umzustellen. Denn IP bildet die Basis für eine moderne Infrastruktur IP - und Cloud-Lösungen erlauben, jederzeit und unabhängig vom Auf- und treibt die Digitalisierung der Arbeitsprozesse voran. Je früher Sie enthaltsort auf geschäftliche Dokumente, Programme und Daten zuzugreifen — auf die IP -Technologie wechseln, desto eher profitieren Sie von den und das sowohl mit dem PC als auch dem Tablet oder dem Smartphone. Das Vorteilen. Swisscom begleitet Sie auf dem Weg in die digitale Welt und bietet Raum für flexibles und effizientes Arbeiten. Beispielsweise können Mitar- zeigt Ihnen neue Möglichkeiten auf. Rufen Sie uns an unter 0800 055 beitende unabhängig von ihrem Standort auf dieselbe Präsentation in der Cloud 055 oder vereinbaren Sie noch heute einen unverbindlichen zugreifen und diese gemeinsam bearbeiten; Mitarbeitende im Aussendienst ha- Beratungstermin unter www.swisscom.ch/kmu-center. ben stets die aktuellen Kundendaten zur Hand und können ihre Festnetznum- mer auch ausserhalb des Büros nutzen. Dafür stellt etwa Swisscom eine speziel- Weitere Informationen unter: www.swisscom.ch/ip le App zur Verfügung, dank welcher Anrufe mit der Festnetznummer auch vom 4|5
TITELSTORY «Den Strukturwandel nicht verhindern» Von Reto Liniger Der aktuelle kantonale Wettbewerbsindikator der UBS prognosti- ziert dem Kanton Bern ein längerfristig unterdurchschnittliches Wachstumspotential. Der UBS-Ökonom Elias Hafner erklärt im In- terview, wo er die Hauptprobleme Berns sieht und welche Entwick- lung mit der Unternehmenssteuerreform III auf den Kanton Bern zukommt. Ökonom Hafner: «Landregionen sind zwar auch gewachsen, aber deutlich unterdurchschnittlich.» Herr Hafner, Sie haben in Ihrem Ende März erschiene- Mit Blick auf diese unterschiedlichen Regionen. Es gilt: nen kantonalen Wettbewerbsindikator die Wettbe- Wo Industrie vorhanden ist, wird weitere Industrie an- werbsfähigkeit der Kantone verglichen. Dabei verglei- gezogen. Sollten strukturschwache Regionen deshalb chen Sie den grossen Kanton Bern mit dem kleinen gefördert werden? Kanton Zug. Vergleichen Sie da nicht Äpfel mit Birnen? Grundsätzlich sollte man einen Strukturwandel nicht verhindern. An Natürlich ist es grundsätzlich schwierig, alle lokalen Einzelheiten einzu- Wirtschaftszweigen festzuhalten, die längerfristig nicht selbständig überlebens- beziehen. Dennoch gibt es eindeutige Indikatoren, die Wirtschaftswachstum fähig sind, ist aus ökonomischer Perspektive nicht sinnvoll. Es gilt also, dort zu begünstigen. Diese Indikatoren haben wir ermittelt und sie fliessen in unsere investieren, wo das grösste Wachstumspotential vorhanden ist. Diese Strategie Studie ein und ergeben schlussendlich die Stärken-Schwächen-Analyse eines gilt es auch in den Bergregionen zu fahren: Auch hier gibt es Standorte mit mehr Kantons. Ziel des kantonalen Wettbewerbsindikators ist, der Politik die Stärken Potential. So sind Investitionen in Gebiete sinnvoll, die man intensiv touristisch und Schwächen eines Kantons aufzuzeigen und damit nützliche Entscheidungs- nutzen kann. Investitionen in wirtschaftsschwache «Chrachen» sind ökono- grundlagen zu liefern, um die Wirtschaftsleistung des Kantons zu erhöhen. misch jedoch wenig sinnvoll. Ihre Argumentation ist stark Kosten-Nutzen orientiert. Soll also nicht mehr jedes Tälchen mit der vollen Infra- «Das grösste Wachstums struktur ausgestattet werden? potential liegt zwischen Bern Natürlich muss man sich überlegen, ob sich eine geplante Strasse in ein entlegenes Tal lohnt oder nicht. Aus rein wirtschaftlicher Sicht braucht es zwin- und Biel.» gend eine Kosten-Nutzen-Analyse. In diese Analyse dürfen durchaus auch kultu- relle und historische Faktoren hineinspielen. Doch muss man sich schon sehr gut überlegen, wo man seine deutlich beschränkten Ressourcen investiert. Im Gegensatz zum Kanton Zug weist Bern sehr Subventionen hemmen das Wachstum? unterschiedliche Regionen auf. Wo hat der Kanton Mit Subventionen wird oft ein natürlicher Wandel verhindert. Aus öko- Bern Wachstumspotential? nomischer Perspektive sind Subventionen meist schädlich. Sie verzerren den Der Kanton hat starke Regionen. Das grösste Wachstumspotential liegt Markt und schmälern das Wachstumspotential. zwischen Bern und Biel: Dabei ist die Stadt Bern mit Abstand die wettbewerbs- fähigste Region. In Bern haben beispielsweise wertschöpfungsintensive und zu- Gemäss dem kantonalen Wettbewerbsindikator hat kunftsträchtige Branchen wie IT, Telekommunikation oder auch Versicherungen der Kanton Bern ein relativ unattraktives Kostenum- eine beachtliche Grösse. Die zweitstärkste Region im Kanton ist Biel mit ihrer Uh- feld. Wo sind die Hauptprobleme? ren-, Präzisions- und Medtech-Industrie. Ins Kostenumfeld fliessen die Büroflächen, Energiepreise und die Steu- ern. Die Preise für die Büroflächen bewegen sich im Schweizer Durchschnitt. Im Es gibt aber eindeutig schwächere Regionen Bereich der Energiepreise ist Bern jedoch sehr teuer. Der Kanton Bern ist nach im Kanton Bern. dem Kanton Basel-Stadt punkto Energiepreise der zweitteuerste Kanton in der Ja, die Land- und Bergregionen sind zwar auch gewachsen, aber deut- Deutschschweiz. Das ist für einen Industriekanton natürlich Gift. Und dann lich unterdurchschnittlich. Diese Regionen leiden typischerweise an der Dein- sind da natürlich die hohen Steuern. Einerseits die hohen Steuern für die natür- dustrialisierung sowie teilweise an einer Abwanderung und Überalterung der lo- lichen Personen und andererseits gehört der Kanton Bern bei den Unterneh- kalen Bevölkerung. Zusätzlich stellt der starke Franken die hier übervertretene menssteuern zu den teuersten Kantonen; während andere Kantone wie Jura, MEM -Industrie und Tourismusbranche vor grosse Herausforderungen. Neuenburg oder Aargau reagiert haben, hat sich Bern punkto Besteuerung nicht gross bewegt.
Besteht Gefahr, dass in der nächsten Zeit viele Firmen werden im Kanton Zürich pro Kopf dreimal mehr Patente angemeldet als in Bern, den Kanton Bern verlassen werden? in der Waadt viermal und im Kanton Basel-Stadt gar zehnmal mehr. Die Gefahr ist nicht so riesig, weil in Bern nicht viele sehr mobile Unter- nehmen ansässig sind. Wo sehen Sie die Gründe dafür? Forschungsintensive Branchen sind in Bern untervertreten. Anderer- Bei der Unternehmenssteuerreform III stehen gerade seits verfügen die anderen zwei Grosskantone Zürich und Waadt über eine Eid- die mobilen Unternehmen im Fokus, welche Entwick- genössische Technische Hochschule, in deren Umfeld viel Innovation entsteht. lung sehen Sie diesbezüglich auf den Kanton Bern zu- An der Universität Bern haben hingegen Geisteswissenschaften nach wie vor ein kommen? relativ hohes Gewicht. Und Fächer wie Psychologie, Germanistik oder Ethnolo- Generell kann man sagen, dass der Druck zur Steuersenkung in einem gie tragen nun mal weniger zur Innovationsstärke bei. Natürlich kann man nicht Kanton grösser ist, wenn er stark von Statusgesellschaften abhängig ist. So ge- einfach eine ETH ansiedeln, aber man kann versuchen, das auszubilden, was die sehen ist der unmittelbare Steuersenkungsdruck für den Kanton Bern nicht sehr Berner Wirtschaft braucht. Und man sollte versuchen, mehr Studierende für die hoch, weil in Bern unterdurchschnittlich wenige Statusgesellschaften ansässig MINT-Fächer zu begeistern. Also: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft sind. Nur rund sechs Prozent der Steuereinnahmen im Kanton Bern stammen und Technik. Potential für Innovation schafft man im Kanton Bern eher in den von diesen Statusgesellschaften. Die Westschweizer Kantone Freiburg, Waadt technischen Disziplinen, dort sollte man einen Schwerpunkt setzen. Es muss und Genf haben bedeutend mehr Statusgesellschaften als der Kanton Bern. Im nicht immer über die Universität, sondern kann auch über eine geeignete Be- Kanton Freiburg stammen rund 20 Prozent der Steuereinnahmen von diesen rufsbildung gehen. Statusgesellschaften, in den Kantonen Waadt und Genf sind es rund 30 Prozent. Diese Kantone haben ein grosses Interesse, dass ihre Statusgesellschaften nicht abwandern; deshalb werden sie ihre Steuern senken. Ebenfalls spricht man in So- lothurn davon, die Steuern zu senken. Passen nun alle Nachbarkantone ihre Steu- «Forschungsintensive Branchen ern an, würde Bern vom Kostenumfeld her schon bald weit und breit der teuers- te Kanton sein. Die im Rahmen der neuen Steuerstrategie vorgesehene Senkung der Unternehmenssteuern ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. sind in Bern untervertreten.» Wo sehen Sie die Hauptgründe, warum der Kanton Mit dem Standort Biel ist der Kanton Bern nun Teil des Freiburg über viel mehr Steuersubstrat von Status neu geschaffenen Innovationsparks. Sehen Sie da Po- gesellschaften verfügt als der Kanton Bern? tential für den Kanton Bern? Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Mitunter ist dies aber Die erfolgreiche Bewerbung als Netzwerkstandort zeigt schon mal, durch eine deutlich aktivere Ansiedelungspolitik für internationale Unterneh- dass die Region Biel bzw. der Kanton Bern als Innovationsstandort wahrgenom- men des Kantons Freiburg über die letzten Jahre zu begründen. men wird. Mit der Ausrichtung des Parks auf die High-Tech-Industrie wird aus unserer Sicht dort angesetzt, wo die regionale Wirtschaft ein hohes Potential zur Senkt Bern die Steuern nicht, wird der Kanton seine Steigerung der Wertschöpfung besitzt. Positiv zu werten ist ebenfalls die starke wenigen Statusgesellschaften noch verlieren? Anwendungsorientierung und die hohe privatwirtschaftliche Trägerschaft des Von dem ist auszugehen. Vor allem wird es keine neuen Ansiedelungen Projektes durch kleinere und grössere Unternehmen. Die öffentliche Hand soll- mehr geben. Würde Bern zum teuersten Standort der Schweiz, erzeugt das si- te sich hingegen zunehmend zurückziehen und auf ihre Kernaufgaben in der In- cher keine zusätzliche Dynamik. novationspolitik fokussieren, wie die Bildungspolitik und die Bereitstellung von guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Denn schlussendlich kann Inno- Steuersenkungen sind nicht gratis. vation nicht von oben angeordnet werden, sondern muss in den einzelnen Fir- Ja. Das ist klar, Steuersenkungen kosten immer — zumindest in der kur- men geschaffen werden und marktfähig sein. zen Frist. Doch was für Steuersenkungen im Kanton Bern spricht, ist, dass sie we- niger kosten als in anderen Kantonen. Im Kanton Bern stammen nur rund 10 Pro- zent der Fiskalerträge von juristischen Personen. Also fallen Senkungen der Un- ternehmenssteuern für den Kanton Bern weniger ins Gewicht. Beispielsweise im Kanton Solothurn macht der Anteil am Fiskalertrag von Statusgesellschaften 15 – 20 Prozent aus, im Kanton Zug sind es bis 30 Prozent. Bern ist als Arbeitsstandort mit der Verwaltung und den staatsnahen Betrieben sehr attraktiv. Viele Men- schen, die in Bern arbeiten, leben jedoch im Kanton Freiburg oder Solothurn. Müsste es ein Ziel sein, die- sen Menschen auch den Kanton Bern als Wohnort schmackhaft zu machen? Ja, natürlich wäre es super, wenn Bern die Steuereinnahmen der natür- lichen Personen hätte, die in Bern arbeiten. Zwar gehören Freiburg und Solo- thurn nicht gerade zu den Tiefsteuerkantonen, aber die Abgaben für natürliche Personen sind dort deutlich tiefer als in Bern. Ob eine Steuersenkung für natür- ZUR PERSON liche Personen sich aber für den Berner Fiskus auszahlen würde, ist zu bezwei- feln, da dies mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Positiv für Bern wäre es, wenn in diesen Kantonen die Pendlerabzüge deutlich reduziert würden. Elias Hafner ist hauptverantwortlicher Ökonom der UBS für den KWI und generell für die Analyse der Schweizer Regionen verantwortlich, Ihre neue Studie kommt zum Schluss, dass der Kanton darunter auch deren Wirtschaft und Immobilienmarkt. Bern eine relative Innovationsschwäche hat. Wie kom- men Sie zu diesem Ergebnis? Wir messen die Innovationsstärke anhand von verschiedenen Indikato- ren wie beispielsweise Patentanmeldungen, Venture-Capital-Investitionen oder Neugründungen von Unternehmen. Der Kanton Bern schneidet im Vergleich mit den anderen Kantonen durchwegs unterdurchschnittlich ab. Beispielsweise 6|7
TITELSTORY Von Kaspar Meuli Bern steht als Wirtschaftsstandort solide da, wie der neuste Kan- tonale Wettbewerbsindikator der UBS zeigt. In einigen der zehn untersuchten Bereiche schneidet der Kanton gar überdurch- schnittlich ab — in anderen hingegen hat er klar Verbesserungs- potential. BERNpunkt wollte von Experten wissen, wie sich diese besonderen Stärken und Schwächen erklären lassen. Einen Spitzenplatz belegt Bern im kantonalen Vergleich beim Ausbil- dungsstand seiner Bevölkerung. Unter dem Stichwort «Humankapital» ver- gleicht der Wettbewerbsindikator das Bildungsniveau. Dies anhand des Bevöl- kerungsanteils mit einem Hoch- oder Fachhochschulabschluss oder mit höherer Berufsbildung. Aussagekräftig für die Wettbewerbsfähigkeit eines Kantons ist dieser Indikator, da der gute Ausbildungsstand einen «bedeutenden Treiber des Wirtschaftswachstums» darstelle, so die Studie. Eine besser ausgebildete Bevöl- kerung erbringe in der Regel höhere Produktivitätsleistungen, und die lokale Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften steigere die Attraktivität des Kantons für Unternehmen. Die gute Rangierung Berns beim Bildungsniveau deckt sich mit den Er- fahrungen von Andri Rüesch, Leiter Next Generation bei der Swisscom. Er ist für die rund 850 jungen Leute zuständig, die im Tele- komunternehmen eine Lehre absolvieren. «Im Vergleich zu anderen Standor- Zuverlässiger Spieler ten», sagt er, «ist es für uns in Bern relativ einfach, Lernende zu finden, die unse- ren hohen Ansprüchen genügen.» Die Swisscom suche Leute, die in der Lage sei- en, in der Lehre den Notenschnitt einer Fünf zu erreichen. im Mittelfeld «In Bern ist es für uns relativ einfach, Lernende zu finden, lung von juristischen Personen entscheiden. Dabei beziehen sie ihre persönliche die unseren hohen Ansprü- Steuersituation stark mit ein.» Will heissen: Manager fällen Standortentscheide nicht zuletzt mit Blick aufs eigene Portemonnaie. chen genügen.» Andri Rüesch, Swisscom Für den Berner PWC-Chef ist der Kantonale Wettbewerbsindikator nicht nur bei der Finanzsituation «sehr aussagekräftig». Obwohl sich über die Gewich- tung der Faktoren oder zusätzliche Indikatoren bestimmt streiten lasse, gebe die Studie einen guten Überblick über die Stärken und Schwächen einer kantonalen Volkswirtschaft. Die Stärke des Bildungsstandorts Bern erklärt sich der Lehrlingsverant- Wo genau aber besteht in Bern bei den Standortkosten Handlungsbe- wortliche der Swisscom nicht zuletzt durch das breite Angebot: In allen Bal- darf? Hanspeter Gerber: «Der Kanton muss seine Strukturen unbedingt kosten- lungsräumen gäbe es Gymnasien. Bern sei ein etablierter Universitätsstandort günstiger organisieren oder zumindest konsequent Kosten eliminieren. Nur so inklusive Universitätsspital und Pädagogischer Hochschule. Und auch die Fach- erhält er den finanzpolitischen Spielraum, um über Steuersenkungen auch für hochschulen trügen zur Vielfalt an Ausbildungsmöglichkeiten bei. Zudem hält natürliche Personen wieder attraktiv zu werden. Heute wird zu viel Energie dar- Andri Rüesch einen gesellschaftlichen Erklärungsansatz für das hohe Bildungs- auf verwendet, die bestehende Kostenstruktur zu rechtfertigen, anstatt zum niveau bereit: «Bern zieht durch seine guten Arbeitsmöglichkeiten und die hohe Beispiel aufzuzeigen, was mit zehn Prozent tieferen Ausgaben möglich wäre.» Lebensqualität viele Menschen mit höherer Bildung an, denen es wichtig ist, dass auch ihre Kinder eine gute Ausbildung erhalten.» Attraktive Arbeitgeber DIVERSIFIKATION VERHINDERT KLUMPENRISIKO seien neben Schweizer Traditionsunternehmen wie Swisscom, SBB und Post auch die öffentliche Verwaltung und das gut ausgebaute Gesundheitswesen. Besonders gut schneidet der Kanton hingegen mit Blick auf die Diversi- fikation seiner Wirtschaft ab. Hinter der Waadt belegt Bern in diesem Punkt des KNACKPUNKT IST DIE STEUERBELASTUNG Ratings Rang Nummer zwei. Von Bedeutung sei die Wirtschaftsstruktur eines Kantons deshalb, so die Wettbewerbsstudie, da sie nicht nur die Wachstumsdy- Deutlich weniger rosig sieht es für Bern gemäss Kantonalem Wettbe- namik beeinflusse, sondern auch allfällige Risiken für die künftige wirtschaftli- werbsindikator bei den ortsgebundenen Kosten für Firmen aus. Die Standort- che Entwicklung. Sei das Wachstumspotential nur durch wenige Industriezwei- kosten, zu denen die Studie das Mietpreisniveau für Geschäftsflächen, die Ener- ge getrieben, bestehe ein Klumpenrisiko. Breit abgestützte, diversifizierte kanto- giepreise sowie die Höhe der Steuersätze für Firmen und deren hochqualifizier- nale Volkswirtschaften hingegen könnten den Rückgang in einer Branche oder te Mitarbeiter zählt, seien sowohl für die Neuansiedlung wie für den Verbleib be- auch eine Krise in einer Exportdestination besser auffangen. stehender Unternehmen wichtig. Im Bereich «Kostenumfeld» belegt Bern im Tatsächlich verfügt im Kanton Bern jede Region über ihr eigenes wirt- kantonalen Vergleich einen der hintersten Plätze. schaftliches Profil, das sich vom kantonalen Durchschnitt unterscheidet. Im Mit- Dies sehr zum Verdruss von Hanspeter Gerber, dem Leiter der Ge- telland dominiert der Dienstleistungssektor mit der öffentlichen Verwaltung schäftsstelle Bern des Beratungsunternehmens PWC . Die hohen Berner Stand- und dem Gesundheitswesen; im Oberland der Tourismus und die Landwirt- ortkosten, so seine Erfahrung, wirken sich tatsächlich negativ auf die Neuansied- schaft; im Emmental-Oberaargau sind es Landwirtschaft und Industrie — insbe- lung von Firmen aus. Im Vordergrund stehe dabei die Steuerbelastung: «Der sondere der Maschinenbau —, und in den Regionen Seeland und Berner Jura hat ausschlaggebende Faktor ist, dass immer natürliche Personen über die Ansied- die exportorientierte Metall-, Präzisions- und Uhrenindustrie eine starke Stel-
INNOVATIVE SCHWEIZ Laut einer Mitteilung des Europäischen Patentamtes (EPA ) von anfangs März sind im vergangenen Jahr 7088 Patentanmeldungen aus der Schweiz eingegangen. Das sind 2 ,6 Prozent mehr als im Jahr 2014 und das entspricht 873 Patentanmeldungen pro Million Einwohner. Kein anderes Land hat mehr Patentanmeldungen pro Million Einwohner als die Schweiz: Mit grossem Abstand folgen die Niederlan- de (419), Schweden (392 ), Deutschland belegt den 6 . Rang (307 ). Der erste aussereuropäische Staat ist Japan (169). Die grössten Schweizer Patentanmelder waren: Roche, ABB , Nestlé, Novartis, die ETH in Zürich und Lausanne. (rli) Bern ist ein etablierter Universitätsstandort inklusive Universitätsspital und Pädagogischer Hochschule. lung. Die Region Bern-Mittelland ist mit 49 Prozent der Arbeitsplätze das eigent- sichtigte Zahl der Unternehmensgründungen und die der neu geschaffenen liche Wirtschaftszentrum des grossen und heterogenen Kantons. Einzig bei den Stellen gäben Aufschluss über die Fähigkeit einer kantonalen Volkswirtschaft, Exporten liegt das Seeland vor dem Mittelland. sich zu erneuern. Für den Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann von der Universität Zü- rich erklärt sich die stark diversifizierte Wirtschaft des Kantons vor allem durch seine Grösse. «Die Tatsache, dass Bern wirtschaftlich so breit aufgestellt ist», sagt er, «wirkt sich heute natürlich positiv aus.» Historisch gesehen jedoch sei «Eine Ausgangslage, wie der Kanton durch seine Grösse in der Entwicklung gebremst worden. Bern hatte mit diversen strukturellen und geographischen Hypotheken zu kämpfen. Die es sie in den vergangenen grossen, ertragreichen Höfe im Mittelland etwa verzögerten die industrielle Ent- wicklung, da der wirtschaftliche Druck hier viel kleiner war als in der Ostschweiz, wo die Bauern gezwungen waren, sich durch Heimarbeit ein Zubrot zu verdie- 100 Jahren nie gab.» nen und schliesslich ganz zu Industriearbeitern wurden. Aber auch die geogra- phische Lage an der Aare war für Bern ein Nachteil. Im Vergleich zu Städten wie Für eine weitere Stärkung der Innovationsfähigkeit sieht Marcel Aeschli- Basel und Genf jedenfalls, die mit Rhein und Rhone als Transportwege über eine mann den Kanton auf dem richtigen Weg. Dass Biel zu einem von lediglich fünf viel bessere Ausgangslage für die Entwicklung des Handels verfügten. Standorten des im Januar 2016 eröffneten «Innovationsparks Schweiz» gewählt wurde, sei extrem wichtig und werde weit über die Region hinausstrahlen. «Wir WEICHEN FÜR INNOVATIONSFÖRDERUNG haben mit dem Innovationspark eine Ausgangslage, wie es sie in den vergan RICHTIG GESTELLT genen 100 Jahren nie gab.» Zentral für den Erfolg des Projekts zur Innovationsför- derung seien der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Fachhochschu- Ebenfalls mit Grösse und geographischen Gegebenheiten hat womög- len und Unternehmen, und dazu seien die Voraussetzungen in Biel optimal. In lich das schlechte Abschneiden des Kantons beim Wettbewerbsindikator «Inno- der Seelandmetropole ist einerseits die innovationsgetriebene Präzisions- und vation» zu tun. Dies jedenfalls glaubt Marcel Aeschlimann, Geschäftsführer der Uhrenindustrie stark verankert, und andererseits entsteht hier in den nächsten Bieler Firma Creaholic und Verwaltungsrat des Innocampus Biel. «Dass Bern bei Jahren der neue Technik und Architektur Campus der Berner Fachhochschule. der Innovationsfähigkeit im Hintertreffen liegt, erklärt sich durch die Struktur des Kantons», sagt er. «In den stark industrialisierten Regionen wie am Jurasüd- fuss ist die Innovationskraft durchaus gross.» In der durch Verwaltung, Bildung und Gesundheitswesen geprägten Stadt Bern hingegen würden eher wenige Pa- tente angemeldet, weshalb der Kanton als Ganzes mit Blick auf die Innovationen unterdurchschnittlich abschneide. Tatsächlich stützt sich der Wettbewerbsindikator zur Berechnung der Innovationsstärke auf die Anzahl der Patentanmeldungen und die Höhe der ge- tätigten Venture-Capital-Investitionen. Diese Faktoren zeigen laut der Untersu- chung, ob Innovationen zu Wettbewerbsvorteilen würden. Die ebenfalls berück- 8|9
TITELSTORY Bern: Ein Kanton mit Potential — aber … V on Dr. Adrian Haas, Direktor Handels- und Industrieverein Der Kanton Bern ist eine Schweiz im Kleinen. Er hat Potential. Dennoch hinkt er den anderen Kantonen hinten nach. Ein Kulturwandel weg vom Obrigkeitsdenken hin zu mehr Unterneh- mergeist täte Not. Wachstum lässt sich eben nicht verordnen. Auch den grossen Befreiungsschlag gibt es nicht. Vielmehr müs- sen mit Beharrlichkeit und Priorität die Standortbedingungen verbessert werden. Ein Plädoyer des Handels- und Industrie vereins für Wachstum und Realitätssinn. Starke und schwache Regionen: Der Kanton Bern ist eine Schweiz im Kleinen. Die Schweiz ist trotz einiger politischer Wirren in der jüngsten Vergan- Die Politik redet solche Fakten meist schön, indem sie zunächst entschuldigend genheit nach wie vor ein Garant für soziale, politische und wirtschaftliche Stabi- auf die Lasten eines «Flächenkantons» hinweist, die Finanzausgleichsbeiträge lität. Unsere Hochschulen ziehen die besten Köpfe aus dem In- und Ausland an auf den einzelnen Bürger herunterbricht oder kompensierend die hohe Lebens- und das Berufsbildungssystem sorgt für Fachkräfte mit Wissen und Praxiserfah- qualität in unserem Kanton betont (als wäre dies nicht ein gesamtschweizeri- rung, welche ihr Know-how in die Unternehmen tragen und die Produktivität sches Asset). hochhalten. Die Unternehmen wiederum können durch die Personenfreizügig- keit (noch!) und den flexiblen Arbeitsmarkt schnell auf wirtschaftliche Entwick- DENNOCH: ES GIBT PERLEN lungen reagieren. Die Infrastruktur in der Schweiz ist gut ausgebaut, das Stras IN DER WIRTSCHAFT sennetz und der öffentliche Verkehr sind flächendeckend (wenn auch in der letz- ten Zeit vielerorts überlastet). Diese positiven Rahmenbedingungen finden Un- Die fehlende Dynamik unseres Kantons kann nicht den ansässigen Un- ternehmen grundsätzlich auch im Kanton Bern als Teil des «Erfolgsmodells ternehmen angelastet werden. Landauf landab sind nämlich auch hier viele in- Schweiz». novative Betriebe am Werk, die sogar international für Furore sorgen. Zu denken Der Kanton Bern ist eine Schweiz im Kleinen. Er weist wie die Schweiz in- ist etwa an die zahlreichen Premium-Uhrenmanufakturen, an die CSL-Behring nerhalb seiner Grenzen grosse regionale Unterschiede auf. Wirtschaftlich starke AG , an Lantal-Textiles, Glas Troesch, Haag-Streit Group, Emmi, Camille Bloch Regionen stehen strukturschwachen Gebieten gegenüber. Alles in allem müsste und viele mehr. Insgesamt ist die Wirtschaftskraft des Kantons Bern aber trotz der Kanton also hinsichtlich seiner Kennzahlen ungefähr dem schweizerischen zahlreichen «Perlen» und innovativen KMU eher tief. Aufgrund der Hauptstadt- Durchschnitt entsprechen. Das ist jedoch nicht der Fall. funktion dominiert hier die öffentliche Verwaltung, welche im Vergleich mit der Privatwirtschaft wenig unter Wettbewerbs- und Anpassungsdruck steht, was mitunter einen Grund für die fehlende Dynamik darstellt. Überdies schärft die Profilierung als Politzentrum das Image eines trägen Verwaltungskantons, in «Wachstum lässt sich nicht welchem lieber Geld ausgegeben als erwirtschaftet wird. Eines ist klar: Wachstum lässt sich nicht staatlich verordnen. Staatswirt- staatlich verordnen.» schaft und Staatseingriffe in die private Wirtschaft bringen keinen Erfolg. Viel- mehr muss die Politik dafür sorgen, dass die Unternehmungen in unserem Kan- ton ein vorteilhaftes Umfeld antreffen, welches ihre Tätigkeit erleichtert. Wie eine Pflanze, so braucht auch eine Unternehmung fruchtbaren Boden. Wachsen muss sie selber. FEHLENDE DYNAMIK KULTURWANDEL NÖTIG Im Vergleich zu anderen Kantonen entwickelt sich Bern leider weniger dynamisch. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung wie auch pro Er- In Bern denkt man gerne in theoretischen Potentialen, Visionen, Kon- werbstätigem liegt unter dem Wert der Schweiz. Das Bevölkerungswachstum ist zepten oder Szenarien und verfasst akribisch Strategiepapiere. Politiker, Medien, deutlich unterdurchschnittlich und die Zahl der Erwerbstätigen und der Arbeits- Universitätsforen und Organisationen aller Art wälzen in technokratischer Ma- plätze nimmt weniger stark zu als in der Schweiz insgesamt. Der Kanton Bern er- nier hochtrabende Gedanken darüber, wie Bern wirtschaftlich genesen könnte. hält mittlerweile aufgrund seiner Ressourcenschwäche aus dem nationalen Fi- Dabei dominiert die Vorstellung, bestehende Probleme könnten mit einem gros nanzausgleich NFA rund 1 ,2 Milliarden Franken — so viel wie kein anderer Kanton. sen Wurf von oben gelöst werden. Dies ist letztlich Ausdruck eines Obrigkeits-
STANDORTQUALITÄTEN DER KANTONE IM VERGLEICH denkens und einer Staatsgläubigkeit, wie sie leider für Bern typisch sind. Es feh- len der Unternehmergeist und die Erkenntnis, dass eine Verbesserung der Standortbedingungen nur mit einer Priorisierung der Anstrengungen unter ZG 2.0 Wachstumsoptik und mittels kleiner, aber sehr beharrlicher Schritten vorwärts ZH 1.5 erfolgen kann. Letzteres erscheint zunächst wenig spektakulär und niemand kann sich damit ein Denkmal setzen. 1.0 BS SZ NW AG LU 0.5 OW AR BL WO ANSETZEN? TG SH 0 AI SO Während etwa die Topographie oder die geographischen Distanzen zu 0.5 SG GE anderen Standorten unveränderbar sind, kann die Politik einen Teil der Rahmen- BE UR GL 1.0 VD TI bedingungen für Unternehmen durchaus positiv beeinflussen. Sie kann die Aus- FR NE GR 1.5 bildung stärken, indem sie zum Beispiel die Forschung an den Hochschulen för- VS dert, sie kann die Erschliessung mit dem öffentlichen und dem privaten Verkehr 2.0 JU verbessern oder die Steuerbelastung für juristische Personen und für Kader er- träglicher gestalten. Auch kann sie dafür sorgen, dass sich Unternehmen nicht An attraktiven Standorten investieren Firmen, schaffen Arbeitsplätze und Wohlstand — Zug und im Dickicht von Vorschriften verirren. Zürich führen das Ranking an. Quelle: CS. In fast allen genannten Bereichen besteht im Kanton Bern Nachholbe- darf, vielleicht abgesehen vom Bildungsbereich, wo sich die Politik in den letzten Jahren sehr bemüht hat, die Akzente richtig zu setzen. Bedauerlich ist zudem, dass die Stadt Bern als grundsätzlich bester Wirtschaftsstandort ihr Potential zum Nachteil des gesamten Kantons zu wenig nutzt und mit oft kleinkarierter Po- litik im Verkehrsbereich und bei baulichen Vorgaben Betriebe und Investoren vergrault. Wenn das Herz (des Kantons) nicht genug pumpt, sind auch die weite- ren Organe nicht ausreichend mit Blut versorgt. Selbstverständlich sind Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktu- ren und ins Steuerklima nicht gratis zu haben. Eine Priorisierung der Staatsaus- gaben und -aufgaben nach Wachstumsoptik tut not. Auf lange Sicht dürfte sich aber eine Verbesserung des Ressourcenpotentials volkswirtschaftlich auszah- len, selbst wenn ein Teil davon via Reduktion der nationalen Finanzausgleichs- gelder wieder kompensiert wird. Der Kanton Bern ist zwar verhältnismässig gross und vielfältig, eben eine Schweiz im Kleinen, aber Hopfen und Malz sind deshalb nicht verloren. Schritt für Schritt in die richtige Richtung in beharrlicher Abfolge führen zum Ziel. Den grossen Befreiungsschlag gibt es nicht. 10 | 11
TITELSTORY Unser illusionärer Wohlstand Von Reto Liniger Das Bruttoinlandprodukt gilt verbreitet als Indikator für Wohl- stand. So ist das BIP zum Kompass für die Wirtschaftspolitik ge- worden. Doch taugt das BIP dafür? Macht mehr Wirtschafts- wachstum die Menschen wirklich zufriedener? Die Antworten der Glücksforschung. Die Glücksforschung zeigt eindeutig: Arbeit macht glücklich. Aus der Wirtschaft zieht eine Zahl alle Aufmerksamkeit auf sich: das Aber fragen wir die ökonomische Glücksforschung: Sind die Menschen Bruttoinlandprodukt (BIP). Das BIP steht für den Wert aller während eines Jahres wirklich zufriedener, wenn das BIP steigt und sie mehr Geld in der Tasche haben? im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen. Gleichzeitig gilt es verbrei- Die Ökonomie hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dieser Thematik befasst. tet als Wohlfühlmesser der Gesellschaft. Die Annahme geht so: Wächst das BIP, Sorgfältige empirische Studien zeigen eindeutig: Menschen, die in reicheren nimmt der Wohlstand zu; da mehr Jobs geschaffen werden können und die Ländern wohnen, sind im Durchschnitt glücklicher als solche in armen Ländern. Menschen mehr Geld in den Taschen haben. Sinkt es, droht hingegen Unge- Ist allerdings ein mittleres Einkommen erreicht, erhöht zusätzliches Einkommen mach. Wohlstand ist gemäss dieser Leseart vor allem eines: materieller Reich- das Glück nicht mehr. Daniel Kahneman und Angus Deaton, beide Träger des tum. So wird heute über Washington bis Frankfurt und Tokio alles unternom- Wirtschaftsnobelpreises, haben genau dazu 2010 an der Universität Princeton men, um Wachstum zu schaffen. Der Weltwirtschaft wird massiv Doping verab- eine spannende Studie vorgelegt. Sie haben 45 000 Datensätze ausgewertet, die reicht: Historisch tiefe Zinsen, riesige Schuldenberge und milliardenschwere Informationen über Einkommen und Wohlbefinden von US -Amerikanern Konjunkturprogramme sollen die Wirtschaftsleistung ankurbeln. enthielten. Sie stellten fest, dass das Wohlbefinden tatsächlich mit dem Einkom- Doch wie gut taugt das BIP als Indikator für Wohlstand? Die Zweifel an men wachse, «aber nicht mehr jenseits eines Jahreseinkommens von ungefähr der Aussagekraft des BIP sind nicht neu. Bereits 1968 witzelte der ehemalige US - 75 000 Dollar.» Dem damaligen Wechselkurs zufolge entspricht dieser Betrag Senator Robert Kennedy:«Das Bruttoinlandprodukt nimmt keine Kenntnis von etwa 75 000 Schweizer Franken, was ein monatliches Bruttoeinkommen von un- unserem Mut, unserer Anständigkeit, unserer Intelligenz und Weisheit. Es misst gefähr 5800 Franken ausmacht. alles ausser dem, was das Leben lebenswert macht.» Das BIP hatte auch nie den Anspruch, ein Wohlstandsindikator zu sein. Konzipiert wurde es in den 1930 er Jahren, um das Einkommen einer gesamten Volkswirtschaft zu messen. Bald er- lebte diese Kennzahl eine ungemeine Anziehungskraft. Politik, Wirtschaft und «Das BIP misst alles ausser Journalisten stürzten sich auf sie; und fortan ging es in den wirtschaftspoliti- schen Debatten fast nur noch um die Frage, wie sich das BIP steigern lässt. Denn dem, was das Leben lebens- besonders in den harten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Wirtschafts- wachstum, und damit materieller Wohlstand, in Verbindung mit Glück gebracht. Das BIP wurde zur wichtigsten Kennzahl der Volkswirtschaft und diente fortan wert macht.» einer breiten Öffentlichkeit als Hinweis, ob es einem Land gut geht. Zum selbigen Ergebnis kommt der renommierte Schweizer Glücksfor- DER KAMPF UMS BIP scher und Ökonom Bruno S. Frey. In seinem Aufsatz Macht Geld allein glücklich? ALS SELBSTZWECK? schreibt Frey: «Personen mit höherem Einkommen bewerten ihr subjektives Wohlbefinden eindeutig höher als ärmere Personen. Diese positive Korrelation Ein entscheidender Aspekt ist vergessen gegangen: Das BIP ist nur eine zwischen Einkommen und Glück ist statistisch gut gesichert.» Doch auch Frey Zahl, welche die Produktion von Gütern und Dienstleistungen misst. Eine ein- stellt fest, dass mehr Geld ab einer bestimmten Schwelle nicht glücklicher ma- deutige Verbindung zum Wohlergehen der Menschen gibt es nicht. Es kann dem che. Er spricht vom abnehmenden Grenznutzen und vergleicht Geld mit Pizza. Wohlergehen der Menschen sogar abträglich sein: So sorgen Verkehrsunfälle Das erste Stück Pizza stiftet einen hohen Nutzen, das zweite Stück ist auch will- und Naturkatastrophen für ein wachsendes BIP, weil sie Kosten verursachen; kommen, macht aber schon weniger zufrieden. Beim fünften Stück ist der Hun- ebenfalls Krankheiten durch Stress, denn sie sorgen für höheren Umsatz der ger bereits gestillt — so verhält es sich auch mit dem Geld. Pharmaindustrie.
Mit Blick auf diese Ergebnisse drängt sich eine Frage auf: Ist es in der PIONIERARBEIT IN BERN Schweiz noch sinnvoll, dem BIP solche Aufmerksamkeit zu schenken? Lassen wir die Frage unbeantwortet und wenden uns lieber der Frage zu: Welche Faktoren Ist das BIP also der richtige Kompass für die Wirtschaftspolitik? Ist es beeinflussen sonst die Zufriedenheit — oder anders ausgedrückt: den Wohl- nicht zu eindimensional? Die momentanen Wohlstandsmasse seien für die stand — eines Menschen? Entscheidend sei die Arbeit, schreibt Frey in seinem neue Zeit nicht mehr so geeignet und bildeten nicht mehr richtig ab, was wirklich Aufsatz Wachstum, Wohlbefinden und Wirtschaftspolitik. «Wer arbeitslos ist, ist passiere, sagte nicht irgendein ewiger Nörgler, sondern die Chefin des Internati- wesentlich unglücklicher als ein Beschäftigter.» Das Gefühl, nutzlos zu sein, onalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Der Kanton Bern leistet mit seinem macht unglücklich; also sind Arbeitsplätze enorm wichtig. Arbeit macht glück- Wohlstandsindex schon mal Pionierarbeit. Bern ist der erste Kanton, der einen lich. In dieser Hinsicht hat der Wirtschaftsstandort Bern gute Karten in der Hand, Index zum Wohlstand präsentiert, der über das BIP hinausgeht. Der Wohlstands die Arbeitslosenquote ist hier gering. Und die starke Diversifikation der Wirt- index misst in vier Dimensionen unter anderem das frei verfügbare Einkommen schaftsstruktur macht den Wirtschaftsstandort Bern konjunkturresistent. der Menschen, die Erreichbarkeit der Zentren, die Abfallmenge pro Einwohner oder die Arbeitslosen- und Sozialhilfequote. Sprich: Wohlstand bedeutet für SOZIALE KONTAKTE den Kanton Bern nicht nur materiellen Reichtum. MACHEN ZUFRIEDEN Bereits 2009 legten die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen einen Alternativen Wohlfahrtsindikator vor. Einkommen und Konsum, Ein weiterer entscheidender Faktor sei die Einkommensverteilung. Die Heimarbeit und ehrenamtliche Arbeit sollen einfliessen. Zum Wohlergehen je- Ergebnisse der Glücksforschung zeigten, «dass verstärkte Einkommensunter- des Einzelnen zählen die Ökonomen auch die Gesundheitsvorsorge, Freizeit- schiede die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung in den meisten Ländern möglichkeiten, den Zugang zu Bildung und die Freiheit, sich politisch zu engagie- schmälern.» Also macht Ungleichheit die Menschen eher unzufrieden, während ren. Und Ende vergangenen Januar haben die Grünen in Deutschland einen Ge- die Aussicht auf sozialen Aufstieg dem Glück förderlich ist. Eine gute Ausbildung genentwurf zum herkömmlichen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung mache die Menschen glücklich, so Frey. Je besser eine Person ausgebildet sei, vorgelegt. Sie fordern einen Wohlstandsbericht mit Indikatoren wie Umwelt, Ein- desto eher kann sie ihr Potential verwirklichen. kommensverteilung, Lebenszufriedenheit oder Bildungsabschlüssen. «Bisher Nicht erstaunlich ist, dass soziale Kontakte die Menschen glücklich ma- haben wir den Wohlstand in Deutschland gemessen wie kurz nach dem Zweiten chen. «Je intensiver die sozialen Beziehungen eines Menschen sind, desto glück- Weltkrieg», sagte ein Studienautor gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der licher ist er.» Die Förderung von Familie und Freunden muss folglich ein sozialpo- Spiegel. Das BIP bilde viele Dimensionen des Wohlstandes nicht ab und gaukle litisches Ziel sein. Die Lebenszufriedenheit der Menschen kann aber auch geför- daher einen «illusionären Wohlstand» vor. dert werden, indem man Städte so konzipiert, dass sie enge Kontakte zwischen den Einwohnern fördern. In diese Richtung hat sich die Stadtplanung in den letz- ten Jahren entwickelt. Es gebe weniger Betonburgen und auch die Dominanz des Autoverkehrs sei in den letzten Jahren eingeschränkt worden, so Frey. Glück ist letztlich nicht nur ein Ziel, sondern auch eine wichtige Voraussetzung, um ande- res zu erreichen. Der Einfluss des Glücks auf die Gesundheit ist immens: Wer glücklich ist, hat eindeutig eine längere Lebenserwartung. Glückliche Menschen leben rund 14 Prozent länger als solche, die sich als unglücklich bezeichnen — in der Schweiz seien dies rund 10 Jahre. 12 | 13
TITELSTORY Creative Economies in Bern oder: globale Phänomene lokal diskutieren V on Christoph Weckerle, Direktor Departement Kulturanalysen und Vermittlung, Zürcher Hochschule der Künste Die Wertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein- drücklich. Weltweit steht dieser Branchenkomplex für knapp 30 Millionen Beschäftigte. Eine erstmalige grobe Erhebung zeigt: Im Kanton Bern weist die Kultur- und Kreativwirtschaft im schweizweiten Vergleich überzeugende Werte auf. Der Kanton Bern steht für mehr als 10 Prozent der Schweizer Kultur- und Kreativwirtschaft; einzelne Branchen erreichen gar einen Anteil von bis zu 15 Prozent. Seit Beginn der 1990 er Jahre wird auf internationaler Ebene über die … NATIONAL ZUNEHMEND Creative Industries debattiert und die Diskussionen und Berichte zu diesem STRATEGISCH … Branchenkomplex haben nach wie vor Konjunktur. Das Wissen über dessen Wirtschaftskraft sowie über die Implikationen für die Kultur und Gesellschaft ist Auch in der Schweiz hat sich die Diskussion zur Kultur- und Kreativwirt- in den letzten Jahren gewachsen und hat sich aus dem Feld der Wissenschaft schaft intensiviert. Im Unterschied zu anderen Ländern wird die Debatte auf na- vermehrt ins Feld der Politik verlagert, weil erkannt wurde, welch eindrückliche tionaler Ebene primär von Seiten der Kultur und weniger von Seiten der Wirt- Wertschöpfung durch die Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschaftet wird. schaft geführt. So sind es in erster Linie das Bundesamt für Kultur und Pro Hel- Dies belegt auch die jüngst veröffentlichte Studie der CISAC — The International vetia, die das Thema diskutieren. Beim Staatssekretariat für Wirtschaft, SECO, Confederation of Societies of Authors and Composers — des weltweit bedeu- oder bei verwandten Dachverbänden figuriert das Thema kaum auf der Agenda. tendsten Dachverbands der Verwertungsgesellschaften mit rund 230 Mitglie- In der Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2016 – 2020 derverbänden in 120 Ländern. CISAC vertritt rund vier Millionen Künstler welt- (Kulturbotschaft), dem zentralen Strategiedokument der Schweiz für Kulturpoli- weit in den Bereichen Musik, audiovisuelle Künste, Drama, Literatur und bilden- tik und Kulturförderung, gehört der Bereich zu einem dem vordringlichen Ziele: de Kunst. Die Botschaft aus der Studie «Cultural times. The first global map of «Kultur hat ein grosses Potential, positiv auf die Kreativität und Innovationskraft cultural and creative industries» ist eindrücklich: Die Kultur- und Kreativwirt- eines Staates wie auch auf dessen Wahrnehmung im Ausland einzuwirken. So ist schaft generiert weltweit Einnahmen in der Höhe von US $ 2250 Milliarden und das Kunst- und Kulturschaffen ein wichtiges Experimentier- und Erprobungsla- ist verantwortlich für 29,5 Millionen Arbeitsplätze; dies entspricht 1 % der welt- bor für Fragen der Zukunft und kann Innovations- und Erneuerungsprozesse weit aktiv beschäftigten Bevölkerung. auslösen.» Für die Förderperiode 2016 – 2020 hat der Bund im Kulturbereich fol- gende Massnahmen definiert: «Vertiefung der erprobten Zusammenarbeit zwi- schen Kulturförderung, Industrie und Wirtschafts- sowie Innovationsförderung «Kultur hat grosses Potential, in den Sparten Design und interaktive digitale Medien; Einführung einer Stand- ortförderung im Bereich der Filmherstellung». positiv auf die Innovations- Abgesteckt wird hier ein Feld, das einerseits die Akteure — Künstler, De- signerinnen, Filmer, … — bzw. deren Praxen und Prozesse ins Zentrum stellt, und kraft zu wirken.» welches andererseits gemeinsame Dimensionen von Kultur- und Wirtschafts- förderung genauer beleuchten will. … UND REGIONAL MIT Die Studie, zu der auch die Generaldirektorin der UNESCO ein Geleit- ENTWICKLUNGSPOTENTIAL. wort beigesteuert hat, weist nebst harten Zahlen und Fakten auch auf weiche Faktoren hin: Kreative Aktivitäten tragen substantiell zur Jugendbeschäftigung Auf kantonaler und regionaler Ebene kann ein steigendes Interesse am bei und berufliche Laufbahnen in der Kultur- und Kreativwirtschaft sind grund- Thema festgestellt werden. Lange waren einzig die Standort- bzw. Wirtschafts- sätzlich offen für Personen unterschiedlichster Altersgruppen und sozialer Hin- förderungen von Stadt und Kanton Zürich mit dem Thema befasst und haben in tergründe. Auch wird bestätigt, dass der Frauenanteil höher ausfällt als in den Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) seit 2005 Kreativ- traditionellen Industrien. Wichtig ist den Verfassern der Studie der Hinweis auf wirtschaftsberichte erstellt. Die Stadt Zürich hat das Thema «Kultur- und Krea- die kleinteiligen Strukturen der Kultur- und Kreativwirtschaft, welche innovative tivstadt Zürich» zum Legislaturschwerpunkt für die Amtsperiode bis 2014 ge- Geschäftsmodelle favorisieren und für einen hohen Anteil an Selbständigkeit setzt. Die gesteigerte Anzahl von Anfragen einzelner Städte oder Kantone bei der stehen. Für die USA wird bspw. ein mehr als drei Mal so hoher Wert ausgewiesen Forschungsstelle für Creative Economies an der Zürcher Hochschule der Künste wie für die gesamte Volkswirtschaft.
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