Bestandesaufnahme historischer Verkehrswege am Beispiel der Schweiz
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Bestandesaufnahme historischer Verkehrswege am Beispiel der Schweiz Auftrag, Methode und Forschungsergebnisse des Inventars historischer Verkehrswege der Schweiz – Cornel Doswald tigsten linearen Landschaftselemente erfasst, würde Dieser Aufsatz erschien erstmals mit anderer verbindend neben den beiden anderen grossen Kultur- Paginierung in: Mensch–Wirtschaft–Kulturland- landschaftsinventaren des Bundes stehen, dem „Bun- schaft. Mitteilungen zur Geographie, Landes- und desinventar der Landschaften und Naturdenkmäler Volkskunde, Band 3: Räume–Wege–Verkehr – his- von nationaler Bedeutung (BLN)“ und dem „Inventar torisch-geographische Aspekte ländlicher Ver- der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS)“, kehrswege und Transportmittel. Agrar- und Frei- die flächenhaften Landschaftselementen gewidmet lichtmuseum Schloss Blankenhain, 2000. sind. (Über BLN und ISOS orientieren die Beiträge Er ist Klaus Aerni aus Anlass seines bevorste- von Erich Kessler und Sibylle Heusser in Bulletin IVS henden Abschieds als Auftragnehmer des IVS in 91/1, S. 6-16, 43-45. Die Rechtsgrundlagen des IVS Dankbarkeit gewidmet. Cornel Doswald, 2003 sind ausführlich von Robert Munz im Bulletin IVS 92/2, S. 6-10, und von Klaus Aerni 1989, S. 117-122 diskutiert worden.). Der in der heutigen Kulturlandschaft überlieferte Be- Nach längeren methodischen Vorbereitungsarbeiten stand historischer Verkehrswege stellt ein wertvolles wurde das Geographische Institut der Universität Bern kulturhistorisches Erbe dar, das stark bedroht ist. Die 1983 beauftragt, das „Inventar historischer Verkehrs- fortschreitende Bautätigkeit und Motorisierung, ver- wege der Schweiz (IVS)“ zu erarbeiten. Aus diesem bunden mit einem grundlegendem Wandel im Wohn-, Auftrag heraus entstand das IVS als Institution und, Arbeits- und Freizeitverhalten der Bevölkerung, haben als Ergebnis der Arbeit des IVS, der hier dargestellte in den letzten Jahrzehnten sowohl einen beängstigen- Forschungsansatz, dem methodisch-geographische den Kulturlandverlust als auch tiefgreifende Verände- und methodisch-historische Verfahren zu Grunde lie- rungen unseres Landschaftsbildes nach sich gezogen. gen. Beide Aspekte liessen sich nur in einem langen Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die soge- Prozess vereinigen; dass diese Diskussion immer noch nannten Strukturverbesserungen wie Wegebau, Melio- nicht abgeschlossen ist, gehört durchaus zu den Be- rationen und Güterzusammenlegungen, die gemeinsam gleitumständen wissenschaftlicher Reflexion und zu- mit anderen Faktoren wie z.B. der Intensivierung der nehmender Erfahrung (nach IVS-MHB Kap. 1.1; vgl. Landwirtschaft und der Ausdehnung der Siedlungs- Aerni / Schneider 1984, S. 119-122; Aerni 1993, S. flächen zum Verlust von unzähligen Landschaftsele- 332f.). menten, darunter linearen Feinstrukturen wie Hecken, Bachläufen und eben auch alten Wegen geführt haben Der Auftragnehmer, Prof. Klaus Aerni (Geographisches und immer noch führen (vgl. Aerni / Schneider 1984, Institut der Universität Bern), und Prof. Heinz E. Her- S. 119-122, Flury / Aerni 1999). zig (Historisches Institut der Universität Bern) als sein Um die Gefahr der weiteren Zerstörung historischer Stellvertreter hatten sich bereits durch frühere Arbei- Verkehrswege und mit ihnen in Beziehung stehender ten als Fachleute der Altstrassenforschung ausgewie- Objekte zu reduzieren, beschloss das frühere Bun- sen (Aerni 1975, 1979, 1984; Herzig 1974, 1983). Aus desamt für Forstwesen und Landschaftsschutz (BFL, ihren Lehrveranstaltungen der frühen 1980er Jahre, die heute Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft = der Einführung in die Altstrassenforschung dienten, BUWAL) 1980, ein Inventar der schützenswerten his- gingen einige der ersten Mitarbeiterinnen und Mitar- torischen Verkehrswege zu erstellen, das den mit der beiter des IVS hervor. Ebenso entstanden verschiedene Raumplanung betrauten Behörden Entscheidungshil- Abschlussarbeiten, die leider unveröffentlicht geblie- fen zur Verfügung stellt. Dieses Inventar, das die wich- ben sind. Ausserdem wurde im Rahmen der Projekt- –1–
vorbereitung von MitarbeiterInnen die „Bibliographie zeptionelle Arbeiten zur längerfristigen Anwendung IVS 1982“ als Dokumentation der damals greifbaren des Inventars entwickelt. In zunehmendem Mass zeig- strassengeschichtlichen Literatur der Schweiz zusam- te sich auch die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit und mengestellt, die 1983 erschienen ist; Barraud / Herzig die direkten Bezugspersonen über die Gestalt, die Ge- (1983) haben die methodischen Grundlagen und die fährdung, die Sicherung und den besonderen Reiz der Systematik des Werks an anderer Stelle auch kommen- historischen Verkehrswege zu informieren und ihnen tiert. die Resultate der Arbeit zugänglich zu machen. Trotzdem steht das IVS als Produkt nach wie vor im Gemäss dem aktuellen, 1993 ergänzten Auftrag erhebt Mittelpunkt des Auftrags. Und wie bereits angedeutet das IVS die nachweisbaren und im Gelände feststell- wurde, ist das IVS – als Organisation ebenso wie als baren historischen Kommunikationsanlagen, die dem Produkt – in dynamische Zusammenhänge eingebun- Personen- und Warentransport dienten; darin einge- den, sowohl von den Ansprüchen der Grundlagenfor- schlossen sind neben Strassen und Wegen sowie ihren schung als auch von der Seite der Auftraggeber und Kunstbauten und Wegbegleitern, auf denen der Schwer- Anwender her. Die Fertigstellung des Inventars kann punkt der Arbeit liegt, am Rande auch die Wasserwege daher nur eine Etappe auf dem Weg seiner Inwertset- und stillgelegte Eisenbahnlinien. Die Erhebung erfolgt zung sein. einerseits aufgrund der Analyse historischer Karten, edierter Quellen und der Sekundärliteratur, andererseits durch gezielte Feldbegehungen, die der Bestandesauf- Zur Methodik des IVS nahme, insbesondere der Kartierung, der historischen Historische Verkehrswege sind für das IVS „Wegver- Verkehrswege dienen. Als Ziel des IVS wird ausdrück- bindungen früherer Zeitepochen, die durch historische lich gefordert, die Wegformen, Wegoberflächen und Dokumente nachweisbar und teilweise auch aufgrund Wegbegleiter in Bezug auf ihre historische, morpho- ihres traditionellen Erscheinungsbildes im Gelände logische und planerische Bedeutung in einem für das auffindbar sind“. Entscheidend ist hierbei das Sicht- Zielpublikum genügenden Masse zu dokumentieren barkeitskriterium: es werden demgemäss nur Ver- und in ihrem räumlichen Zusammenhang darzustellen. kehrswege bearbeitet, die wenigstens teilweise – sei Gegenüber dem ursprünglichen Ansatz ergeben sich es in traditioneller, sei es in überprägter Form – noch aus dieser Umschreibung einige Einschränkungen, sichtbar sind. Ein historischer Verkehrsweg gilt dann sah dieser doch eine umfassende Inventarisierung al- als im Gelände sichtbar, wenn er ler nachweisbaren und auffindbaren Objekte vor; be- – entweder aufgrund seines morphologischen Er- absichtigt waren einerseits eine systematische und scheinungsbildes oder seiner baulichen Substanz flächendeckende Begehung des Geländes, andererseits als solcher im Gelände erkennbar ist – unabhängig eine weitgehende Aufarbeitung unveröffentlichter Ar- davon, ob er historisch belegt werden kann oder chivquellen, während insbesondere der Sekundärlitera- aktuell noch als Verkehrsweg benutzt wird, tur ein geringerer Stellenwert zukam (Aerni / Schnei- – oder historisch belegt werden kann und gleichzei- der 1984, S. 124f.; Aerni 1986, S. 268-272). Es hat sich tig als Verkehrsweg mit identischem Verlauf in der aber in der Folge gezeigt, dass eine derart umfassende heutigen Landschaft noch existiert. Grundlagenforschung weder mit vertretbarem finanzi- Diese Umschreibung des Gegenstands ergibt sich aus ellem Aufwand durchführbar ist, noch einen – im Hin- dem raumplanerischen und landschaftsplegerischen blick auf die Umsetzung in der Raumordnung – zeit- Anwendungszweck des Inventars. Sie schliesst daher gerechten Abschluss finden kann (vgl. Aerni 1993, S. sämtliche Verkehrswege aus, die zwar historisch be- 332f.). zeugt sind, die jedoch keines der beiden Sichtbarkeits- kriterien erfüllen. Aus diesem Auftrag entstand auch eine Organisation, die mit der Erarbeitung des Inventars betraut worden, In dieser Gegenstandsbestimmung spiegelt sich die für aber nicht allein auf diese ausgerichtet ist. Von Anfang das IVS charakteristische methodische Verschränkung an war die direkte Mitwirkung in Umsetzungs- und der Geländebefunde mit der Diskussion ihrer Histo- Planungsfällen, von denen historische Verkehrswege rizität und der Verpflichtung zur differenzierenden betroffen sind, als kurzfristige Schutzmassnahme ein Behandlung ihrer historischen und morphologischen Bestandteil des Auftrags; daraus haben sich dann kon- Bedeutung. Im Hinblick auf die Nutzung und Inwert- –2–
setzung der inventarisierten Verkehrswege baut darauf deren aktuelles Erscheinungsbild beschreibt. Dabei eine denkmalpflegerischer Bewertung auf. wird nach dem Grundsatz vorgegangen, dass jede Weg- form und jeder Wegverlauf und ihre Beziehung zum Kombination von geographischer Querschnitts- Relief, ebenso wie zu den Nutzflächen und Siedlungen, und historischer Längsschnittsanalyse bedeutsam ist; funktionslos gewordene Reliktformen Das für den Auftraggeber zentrale Schutzziel bestimmt wie die weit verbreiteten Hohlwege werden mit einbe- sodann auch weitgehend den methodischen Ansatz: zogen, stehen jedoch gleichwertig neben allen gegen- Die Gewichtung der IVS Dokumentation liegt nicht wärtig benutzten, teilweise stark von den Ansprüchen auf früheren Siedlungsepochen in ihrem historisch- heutiger Verkehrsmittel überprägten Wegformen. geographischen Bestand und Eigenwert, sondern auf dem in die Gegenwart tradierten, in der heutigen Land- Um die geschichtliche Bedeutung der einzelnen Ver- schaft noch sichtbaren Bestand an Elementen früherer kehrswege bzw. ihrer Relikte zu beurteilen, müssen de- Verkehrswege (vgl. IVS-MHB Kap. 1.2). ren Entwicklungen aber gesamthaft betrachtet und die Als Untersuchungszeitraum gilt grundsätzlich die Zeit Geschichten der einzelnen Strecken in der Form eines bis zum Erscheinen der Erstausgabe des Topographi- Längsschnitts dargestellt werden. Es ist zu erforschen, schen Atlas der Schweiz (TA), der um 1870/80 veröf- in welchen Epochen welche Kommunikationsbezie- fentlicht worden ist. Aufgrund der Aufnahmemassstäbe hungen zwischen welchen Orten, Siedlungsräumen von 1:25›000 (Mittelland und Jura) bzw. 1:50›000 (Al- und Landschaften bestanden, welche Entwicklungen, penraum) bildet er die erste kartographisch homogene Konjunkturen und Verlagerungen die Entwicklung und hinreichend detailgenaue Aufnahme der ganzen und das Erscheinungsbild der einzelnen Verkehrswege Landesfläche. Es werden in der Regel nur Verkehrswe- prägten und wann die heute noch erhaltenen Verläu- ge inventarisiert, die ihm TA wiedergegeben wurden fe der einzelnen Verkehrswege zum erstenmal durch oder aufgrund ihrer Morphologie oder früherer Belege Quellen bezeugt werden. als gleich alt oder älter gelten können. In einigen Kan- Die Methodik der Inventarisierung ebenso wie die tonen, die über ältere, gleichwertige Kartengrundlagen Darstellung der Ergebnisse besteht also aus einer Kom- verfügen (vgl. Cavelti / Cavelti Hammer 1989), dienen bination von geographischer Querschnitts- und histori- diese als Ausgangspunkt, und der TA wird lediglich scher Längsschnittsanalyse. beigezogen, um die Fortentwicklungen, Ergänzungen und Verlagerungen des Strassen- und Wegenetzes zu Strecke – Linienführung – Abschnitt dokumentieren. Den Raster für die Erfassung der inventarisierten Ob- Jüngere Verkehrswege werden nur inventarisiert, so- jekte bildet die durchgehende Gliederung der Aufnah- fern diese men und Beschriebe in die Kategorien Strecke, Lini- – ein in qualitativer und / oder quantitativer Hinsicht enführung und Abschnitt. (Vgl. den Beitrag von Han- hohes Mass an traditioneller Wegsubstanz aufwei- speter Schneider zur IVS Dokumentation im Bulletin sen (wie z.B. viele der im Zeitraum zwischen 1870 IVS 90/1, S. 27f. – Die grundsätzliche, über die doku- und 1940 angelegten Ersterschliessungsstrassen mentierende Darstellung hinaus auch den heuristischen im Alpenraum); Zugang und die Strukturierung der Quellenaussagen – besondere Kunstbauten aufweisen oder eine inge- prägende Bedeutung dieses Rasters hat Eric Vion in nieurmässige Pionierleistung darstellen (wie z.B. verschiedenen Veröffentlichungen kommentiert.) die Brücken des Ingenieurs Robert Maillart); – oder einen besonderen historischen Gehalt ver- Eine Strecke definiert die Verbindung zwischen zwei körpern (z.B. einzelne von polnischen Internierten Orten, sie ist Ausdruck einer bestehenden Verkehrs- während des 2. Weltkriegs erbaute Fahrstrassen). spannung. Sie umfasst damit alle konkreten Wegver- läufe zwischen den zu bestimmenden Anfangs- und Im Sinn des Schutzziels handelt es sich bei der Inven- Endpunkten. Die Anfangs- und Endpunkte sind in der tarisierung im Gelände um eine Querschnittsanalyse. Regel durch einen historischen zentralen Siedlungs- Als Grundlage des Inventars wird eine durchgehende punkt (Kirche, Alpsäss etc.) bestimmt oder durch eine Bestandesaufnahme vorgenommen, welche die in der historisch-topographische Verkehrswegsituation vor- gegenwärtigen Kulturlandschaft noch ablesbaren Be- gegeben (Abzweigungsstelle, Strassenkreuzung, Brü- standteile früherer Verkehrswege herausarbeitet und cke, Landestelle). –3–
Abb. 1: Die Entwicklung der Quellenbelege für Verbindung und Wegverlauf über den Gemmipass (Aerni 1999, Abb. 20). Können bei einer Strecke mehrere nebeneinander Ordnungskriterien für die Bildung von Linienführun- verlaufende Verkehrswege unterschieden werden, die gen sind: nachweislich die gleichen Endpunkte miteinander ver- – Zugehörigkeit zu unterscheidbaren Epochen banden, wird die Strecke in sogenannte Linienführun- (Weggenerationen, z.B. Linienführung 1: Saum- gen unterteilt. Erst die Linienführungen beschreiben weg, Linienführung 2: Kunststrasse von 1825, Li- die konkreten Wegverläufe, durch welche eine Verbin- nienführung 3: Fahrstrasse von 1890); dung im Gelände hergestellt wird. Quellen, die Auf- – topographische Alternativen; schluss über den Verlauf eines Verkehrsweges geben, – Funktion (Wegtypen, z.B. gleichzeitig benutzter und Quellen, die nur eine Verkehrsbeziehung bezeu- Fuss- und Fahrweg). gen, sind deshalb immer mit dieser Differenzierung zu interpretieren (vgl. IVS-MHB Kap. 5.2.2.2). Am Beispiel der historischen Dokumentation des Gem- Bei den Linienführungen kann es sich sowohl um mipasses hat Klaus Aerni (1999) eine instruktive Darle- durchgehende, d.h. vom Anfangs- bis zum Endpunkt gung der Entwicklung der historischen Belege für eine reichende Wege handeln, als auch um Teilstücke, die Strecke gegeben. Wie es in aller Regel der Fall ist, lässt alternativ zu einer auf der ganzen Strecke durchlau- sich die Gemmi zunächst nur als Ort nachweisen, der fenden Linienführung bestehen; ausserdem werden im Spannungsfeld einer Verkehrsbeziehung stand. Eine auch Wegfragmente, deren Zusammenhang mit dem Verbindung wird erst im Lauf von Jahrhunderten dank durchgehenden Verlauf verloren gegangen ist, als Li- dem Einsetzen der kartographischen Überlieferung zu- nienführungen behandelt. (Wenn die Verbindung zwi- nächst als schematische Strecke, dann zunehmend ver- schen Anfangs- und Endpunkt einer Strecke über einen laufsgetreu in ihrer Linienführung fassbar. Schliesslich einzigen nachweisbaren Verkehrsweg verläuft, werden erlaubt es die vollständig erfasste Überlieferung auch, selbstverständlich keine Linienführungen gebildet. die im Gelände nachweisbaren Wegverläufe zu datie- Dies ist am ehesten im lokalen Bereich der Fall.) ren und in ihrer Abfolge zu beschreiben (Abb. 1). –4–
Abb. 2: Bildung von Abschnitten aufgrund von Unterschieden in der Wegsubstanz. Auf der Strecke SZ 331 werden zwei Abschnitte ausge- schieden, die durch ihre homogene Substanz gekennzeichnet sind; Ab- schnitt SZ 331.0.1 verläuft über einen Prügelweg, im Abschnitt SZ 331.0.2 wechseln sich in einem Feuchtgebiet längere gepflästerte Teilstücke mit kürzeren unbefestigten Partien ab. Die Abschnitte sind durch sog. Kellen begrenzt. (Ausschnitt aus der IVS Geländekarte 1153 Klöntal, proviso- rische Fassung. Im Original farbig.) Ein Abschnitt ist ein Teilstück innerhalb einer Strecke Wegnetz aus, durch welche Teilen von Linienführun- oder einer Linienführung. Abschnitte werden in erster gen neue Funktionen zugewiesen werden. Linie im Hinblick auf die Erfassung der Geländebe- funde in der Inventardokumentation gebildet: Wenn Nicht zu übersehen ist, dass erst das gesamte Verkehrs- der Substanzgrad eines Wegstückes oder eines Wegbe- netz die Strecken in einen funktionellen Zusammen- standteils wie z.B. einer Brücke denjenigen der übri- hang bringt und eine kohärente Beschreibung im Kon- gen Linienführung bzw. Strecke übersteigt, so kann ein text erlaubt. Querbezüge zwischen den Strecken und Abschnitt gebildet werden (Abb. 2). Wenn ein Weg- Linienführungen werden im historischen Beschrieb des stück oder ein Wegbestandteil eine höhere Bewertung Inventars wo immer möglich hergestellt. (Dazu trägt erfährt als die restliche Linienführung bzw. Strecke, oft die Analyse der Verläufe im Gelände Wesentliches so muss ein Abschnitt gebildet werden (zur Bewer- bei. Bahnbrechend in dieser Hinsicht sind die Arbei- tung vgl. unten). In zweiter Linie kann ein Abschnitt ten von Planta 1979, 1985-90; vgl. die Würdigung von definiert werden, wenn zu einem Teilstück historische Hansjürg Gredig in Bulletin IVS 97/1, S. 24-25. Eben- Informationen in einen Beschrieb eingebracht werden so hat Aerni 1979 die Geländeanalyse in die histori- müssen, die sich, etwa aufgrund des Detailreichtums sche Interpretation einbezogen.) Ein Fortschreiten zur oder der präzisen topographischen Lokalisierung, nur morphologischen Analyse des Wegnetzes und seiner schlecht in den übergeordneten Linienführungs- oder Entwicklung ist auf dieser Grundlage möglich (Vion Streckenbeschrieb integrieren lassen. 1989, 1990, 1991), aber im Rahmen des Auftrags nicht Die Bildung von Abschnitten erlaubt es, eine Linien- zu bewältigen. führung gemäss der überlieferten Substanz zu gliedern, also etwa aufgelassene, extensivierte, intakte traditio- Die historische Untersuchung: Vorgehen und nell geprägte und modern überprägte Teilstücke des Erhebungstiefe Verlaufs deutlich zu markieren. In solchen unterschied- Bei dem im IVS angewandten historischen Verfahren lichen Entwicklungen von Teilen einer Linienführung handelt es sich um eine rückschreibende (regressive) drücken sich ja in der Regel unterschiedlich intensive Methode. Wir gehen von einem späteren Zustand eines historische Nutzungen, aber auch zeitlich aufeinander Objektes – meist eines Wegverlaufes, der in einer to- folgende bauliche Eingriffe und Verschiebungen im pographischen Karte aus dem 19. Jahrhundert bezeugt –5–
ist – aus und versuchen, die Genese dieses Zustands len und überlokalen Netzen (vgl. Vion 1989, 1990, bzw. die vorgehenden Zustände mit Hilfe von Quellen 1991), die für die historische Deutung, aber auch zu rekonstruieren. für die Bewertung (vgl. unten) von grosser Bedeu- Grundlage der Arbeit, insbesondere der Festlegung des tung ist. im Gelände zu untersuchenden Streckennetzes, bildet eine Kartenrückschreibung. Auf der Basis des Über- Hauptsächlich aber stellt die Kartenrückschreibung trags der ältesten verfügbaren, detaillierten topographi- aufgrund ihres topographischen Bezugs die unerlässli- schen Karte (die auch den Untersuchungszeitraum be- che enge Verschränkung von historischem Befund und grenzt, vgl. oben) in die aktuelle Landeskarte 1:25›000 Geländebefund her (zu den Problemen der Altkarten- werden die älteren Karten und Pläne in chronologischer auswertung im IVS vgl. den Beitrag von Arne Hegland Reihenfolge untersucht und übertragen. Dieses Verfah- im Bulletin IVS 95/1, S. 9-14, sowie zuletzt ausführ- ren bringt insbesondere bei frühen Karten mit schwa- lich von Cranach 2000). cher oder fehlender geodätischer Grundlage die Gefahr einer pseudopräzisen Lokalisierung und Datierung von Ergänzend zur Kartenrückschreibung werden die Se- Wegverläufen mit sich. Es hat aber auch verschiedene kundärliteratur und edierte Quellen beigezogen. Aus Vorteile, hauptsächlich die folgenden: der Sekundärliteratur werden hauptsächlich die Infor- – Die ex-ante-Datierung von Wegverläufen lässt mationen über die historische Kommunikationsbedeu- sich durch eine Kartenrückschreibung über das tung von Strecken und Linienführungen gezogen. Zu- Datum der Basiskarte hinaus zurückverschieben. dem lässt sich je nach Umfang der dort ausgewerteten Dies ist insbesondere wichtig, um etwa Einflüsse verkehrs- und weggeschichtlichen Quellen auch die auf das Weg- und Strassennetz zu erkennen, die Belegdichte für die einzelnen Strecken und Linienfüh- sich aus der Modernisierung der Forstwirtschaft, rungen im kartographisch untersuchten Netz erhöhen. der Auflösung der mittelalterlich-frühneuzeitli- Diesem Zweck dient auch die Auswertung der edierten chen Flurordnungen, der Anlage von Industriebe- Quellen, wobei diese aber oft nur schwierig zu loka- trieben, dem Bau von Chausseen oder von Eisen- lisierende Nachweise liefern, deren Verortung in vie- bahnlinien ergeben haben. len Fällen eine genaue Kenntnis des Flurnamenbildes – Die selektive Darstellung von Strecken, oft auch einer Örtlichkeit oder Region voraussetzen. In jedem Linienführungen, in älteren kleinmassstäbigen Fall ist aber, wie erwähnt, genau festzuhalten, was be- Karten lässt aufgrund der unterschiedlichen Be- schrieben und allenfalls datiert wird: die Strecke, die legdichte ihre relative Bedeutung erkennen, inbe- Linienführung oder ein bestimmter Abschnitt. sondere dann, wenn eine grössere Anzahl solcher Karten sich überlagern. Die historische Tiefe und der inhaltliche Reichtum der – Die Auswertung grossmassstäbiger Karten und historischen Darstellungen sind aber schliesslich nicht Pläne erlaubt es, in kleineren Räumen annähernd nur von der – je nach Landschaft unterschiedlichen vollständige Wegnetze zu erkennen und liefert – Überlieferungsdichte (Karten, Pläne und Primärquel- durch Wegbezeichnungen oft auch Hinweise auf len) und den schnell verfügbaren Belegen (Sekundär- die Funktion (z.B. „Landstrasse nach X“, „Kirch- literatur und edierte Quellen), sondern auch vom Stel- weg“), das relative Alter einer Linienführung (z.B. lenwert der Strecke abhängig, der sich aus der Bewer- häufig „Altweg“, seltener auch „Neuweg“) und tung ergibt (vgl. unten). gelegentlich auch auf eine frühere übergeordnete Verkehrsstellung (z.B. „Heerweg“, „Hochstrasse“). Selektion der Objekte – Durch den systematischen Kartenvergleich, der Da die finanziellen Rahmenbedingungen eine flächen- mit der Kartenrückschreibung verbunden ist, kön- deckende Bearbeitung nicht erlauben, aber auch, weil nen sich auch aus topographisch „ungenauen“ Alt- die Geländeaufnahme in der Regel weder das Alter karten Hinweise auf abgegangene Verlaufslinien eines Verkehrsweges noch seine frühere Kommunika- ergeben, die im Gelände dann zumindest gesucht, tionsbedeutung erkennen lässt, erfolgt vor der Gelän- öfters aber auch nachgewiesen werden können. deaufnahme eine Vorselektion der aufzunehmenden – Die synoptische, morphologische Analyse des Strecken, bei der die historische Analyse die Hauptrol- Wegnetzes, das sich insgesamt aus der Kartenü- le spielt. berträgen ergibt, erlaubt eine Trennung von loka- –6–
Aus der Kartenrückschreibung (bei Bedarf ergänzt schliessungen der wichtigen Alpen erfasst. Es durch weitere Quellen) wird eine provisorische In- können aber aus historischen wie aus morphologi- ventarkarte abgeleitet, entweder unmittelbar oder unter schen Gründen auch Wege ins Inventar aufgenom- Einschaltung einer historischen Routenkarte, die noch men werden, die im TA nicht erscheinen. keine Festlegungen von Streckenendpunkten enthält. Für die übrigen, selektiv zu bearbeitenden Verbindun- Komplementär zur provisorischen Inventarkarte wird gen, gilt auch in den Streusiedlungsgebieten und im auch bereits eine provisorische Streckenliste erstellt, in Alpenraum die Regel, dass sie nur aufgenommen wer- der diese Festlegungen enthalten sind. den, wenn sie entweder prägende Substanz oder einen Aussschlaggebend für die Aufnahme von Strecken in speziellen historischen Gehalt aufweisen. Karte und Streckenliste ist ihre historische Kommuni- kationsbedeutung. Ohne Ausnahme werden die Wege Es liegt auf der Hand, dass diese Vorselektion nicht bearbeitet, die eines der folgenden funktionalen Krite- ohne Berücksichtigung der morphologischen Informa- rien erfüllen: tionen möglich ist, die aus den verfügbaren topogra- – Überregionale Verbindung; phischen Karten und Plänen gezogen werden können – Regionale Verbindung; (Landeskarte 1:25›000, Übersichtspläne der Vermes- – Verbindung zwischen zwei Ortschaften. sungsämter 1:5‘000/1:10‘000, Orientierungslaufkarten Selektiv werden ausserdem noch bearbeitet: 1:10‘000/ 1:15‘000). Dies gilt nicht nur im Hinblick – Hauptverbindungen zwischen den Fraktionen ei- auf die zu erwartende traditionelle Substanz aktuell be- ner Gemeinde; nutzter Wege und Strassen, sondern besonders auch für – Wichtige kommunale Wirtschaftsverbindungen die Erfassung von Verkehrswegrelikten (Abb. 3). (z.B. Alperschliessung, Mühleweg usw.); – Kommunale Verbindungen mit besonderer Funkti- Die Geländeaufnahme on (z.B. Kirchweg, Totenweg usw.). Die Geländeaufnahme entspricht, wie erwähnt, einer Hier besteht ein Ermessensspielraum, der es erlaubt, Bestandesaufnahme des Ist-Zustandes der selektierten im Rahmen der Aufarbeitung der Geländebefunde auf- Strecken und Linienführungen. Dabei entsteht eine grund der vorhandenen Wegsubstanz über die definiti- kombinierte Dokumentation; die kartographische Auf- ve Aufnahme solcher Verbindungen in die IVS Doku- nahme, aus welcher die Geländekarte hervorgeht, wird mentation zu entscheiden. durchwegs mit Beschreibungen im Fliesstext sowie bei Bedarf durch Fotografien ergänzt. Darüber hinaus müssen für verschiedene Teilgebiete der Schweiz aus Gründen der Siedlungsstruktur und Über den Inhalt der Geländekarte gibt am besten Abb. 4 der Dichte des Verkehrsnetzes diese Regeln zusätzlich Auskunft. Es werden in jedem Fall folgende Wegbe- differenziert werden: standteile als Signaturen aufgenommen: – Im Mittelland, dem Gebiet der Gruppensiedlungen – Wegform (Hohlweg, Hangweg, Dammweg, ...); (Städte und Dörfer) werden Wege, die funktional – Wegoberfläche (Pflästerung, Lockermaterial, unterhalb einer Verbindung von Dorf zu Dorf ein- Schotter, ...); zuordnen sind, nur dann berücksichtigt, wenn sie – Wegbegrenzende Elemente (Baumreihen, Hecken, entweder prägende Substanz oder einen speziellen Zäune, freistehende Mauern, Kolonnensteine, ...); historischen Gehalt aufweisen (z.B. ein spezieller – Kunstbauten (Brücke, Tunnel, Galerie, Furt, …); Wegtypus, wie ein Fabrikweg). – Wegbegleiter (Wegkreuze, Distanzsteine, Kapel- – In den Einzelhof- oder Streusiedlungsgebieten sind len, Gasthäuser, ...). die Verbindungen zu den wichtigeren Siedlungs- Der Aufnahmemassstab hängt dabei stark von der kammern, Hofgruppen und Weilern, insbesondere Dichte der morphologischen Substanz ab. In vielen den Standorten von Kirche und/oder Gasthaus zu Gebieten reicht der generelle Massstab 1:25›000 für berücksichtigen. die Beschreibung aus; ergänzend werden aber je nach – Im Alpenraum gilt die Faustregel, dass alle Rou- Topographie und Befunddichte auch Feldaufnahmen in ten, die im Topographischen Atlas der Schweiz den Massstäben 1:2›500 – 1:10›000 erstellt. die Klassifikation „Saumpfad“ oder höher erhal- ten haben, auf ihre Inventarrelevanz hin überprüft Zusätzlich zu den fotografischen und schriftlichen Ge- werden müssen. Ausserdem werden auch die Er- ländenotizen, welche die kartographisch aufgenom- –7–
Abb. 3A: Ein Hohlwegsystem bei Niederweningen, Kanton Abb. 3B: Dasselbe Hohlwegsystem im Höhenkurvenbild Zürich, im Höhenkurvenbild der Landeskarte 1:25‘000. des Übersichtsplans 1:5‘000. (Ausschnitt aus dem Über- (Ausschnitt aus der LK 1070 Baden, 1994, auf 1:12‘500 sichtsplan des Kantons Aargau, Blatt 34 Siglistorf-Süd, auf vergrössert. Im Original farbig.) 1:10‘000 verkleinert.) menen Wegbestandteile näher beschreiben, werden Streckendefinition und der Einordnung in Stre- weitere Befunde schriftlich festgehalten, die nicht nur cken und Linienführungen; Beobachtungen zu re- den Beschrieb ergänzen, sondern teilweise auch bei der lativen und evtl. absoluten Chronologien, v.a. auch Bewertung berücksichtigt werden: von Linienführungen). – Nutzung (aktuelle Nutzungen; mögliche Hinweise – Kritik der kartographischen Quelle, wo die Dar- auf frühere Nutzungen und Funktionen; planerisch stellung eines Wegverlaufes aufgrund der Situa- wünschenswerte Nutzungsänderungen). tion im Gelände als ungenau oder gar morpholo- – Beeinträchtigungen, mögliche und/oder sichtbare gisch unmöglich beurteilt werden muss. Gefährdungen. – Allgemeine Charakteristik (Verlauf und Einpas- Im Geländebeschrieb wird zwar primär das aktuelle sung ins Gelände; landschaftsprägende Kraft eines Erscheinungsbild beschrieben. Aus den Beobachtun- Weges als Kulturlandschaftselement; Anmerkun- gen können sich aber auch weiterführende, historische gen zum Längenprofil, soweit nicht aus der Karte Hypothesen ergeben. Ausserdem sind dem Geländebe- ersichtlich, wie z.B. besondere Steilstellen u.ä.; fund gelegentlich handfeste Informationen über die Ge- Anmerkungen zum Querprofil, wie z.B. Engpäs- schichte eines Weges zu entnehmen: Wir treffen etwa se). datierte Inschriften im abgearbeiteten Fels, auf Brü- – Allgemeine Geländebeobachtungen, die Auswir- cken oder an Wegbegleitern an. Spezielle Konstellati- kungen auf den Wegverlauf oder die Art eines We- onen – z.B. wenn sich die verschiedenen Trassen eines ges haben können, wie z.B. sumpfiges Gelände, Weges überlagern – erlauben Rückschlüsse bezüglich Steinschlag, besondere topographische Schwie- der relativen Chronologie einzelner Weggenerationen. rigkeiten, die möglicherweise erst mit den tech- Solche Geländebefunde werden im Geländebeschrieb nischen Hilfsmitteln einer jüngeren Epoche über- dargestellt und diskutiert; alle historischen Schluss- wunden werden konnten. folgerungen und Hypothesen, die von ihnen abgeleitet – Seltenheit des Objekts für eine Region; exempla- werden, sind aber auch im historischen Beschrieb zu rischer Wert als Vertreter eines verbreiteten Weg- berücksichtigen und zu verarbeiten. typs; besonderer wissenschaftlicher Dokumentati- Sofern die Substanz nicht vorselektionierter Wege es onswert. rechtfertigt, können und sollen provisorische Inventar- – Hypothesen aufgrund der Geländebefunde (evtl. karte und Streckenliste aufgrund von Geländebefunden nicht erhaltene Fortsetzungen; Überprüfung der ergänzt werden. Umgekehrt kann der Geländebefund –8–
und der morphologische Befund unabhängig vonein- ander bewertet, um dem ideellen Eigenwert der histo- rischen Kommunikationsbedeutung ebenso wie dem Bau- und Unterhaltsaufwand, dem Zeugniswert und der landschaftlichen Prägekraft jedes einzelnen Objek- tes gerecht zu werden. Die Bewertung der historischen Kommunikationsbe- deutung bezieht sich auf die Strecke als Ganzes; d.h. alle Linienführungen und Abschnitte einer Strecke ha- ben denselben historischen Wert. Die historische Kommunikationsbedeutung einer Stre- cke ist mit der Reichweite der Verkehrsbeziehungen, denen sie dient, primär durch einen historisch-geogra- phischen Faktor bestimmt. Berücksichtigt wird zudem die Dauer der kontinuierlichen Benutzung (Persis- Abb. 3B: Dasselbe Hohlwegsystem im Höhenkurvenbild tenz) als wichtigster chronologischen Faktor. Beurteilt des Übersichtsplans 1:5‘000. (Ausschnitt aus dem Über- werden aber ebenso die Verkehrsfrequenzen und das sichtsplan des Kantons Aargau, Blatt 34 Siglistorf-Süd, auf Transportvolumen sowie eine Vielzahl von herrschaft- 1:10‘000 verkleinert.) lichen, strategischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Erschliessungsfunktionen, woraus sich auch zur Eliminierung substanzloser vorselektierter auch die Stellung der Strecke im Verkehrsnetz – ihre Strecken im Rahmen des oben erwähnten Ermessens- Vernetzung – ergibt (vgl. Bulletin IVS 90/1, S. 17-24, spielraums führen. Grundsätzlich wird dabei auf eine IVS-MHB Kap. 4.3.2). Gleichbehandlung der Verkehrswege von gleicher Die zu beurteilenden geographischen und historische Qualität geachtet, wobei aber durchaus auch Platz für Faktoren sind auf vielfältige Weise miteinander ver- eine exemplarische Selektion gegeben ist (Aufnahme knüpft; sie ergeben deshalb ein komplexes Wirkungs- einer einzigen, typischen Strecke als exemplarischer gefüge, das in seiner Gesamtheit beurteilt werden muss. Vertreter eines bestimmten Wegtyps der Region). In diesem Zusammenhang sind auch die konjunkturel- len und politischen Entwicklungen zu beachten, welche Bewertung Verkehrsverlagerungen und damit Veränderungen der Gemäss dem Bundesgesetz über den Natur- und Hei- Reichweite, Frequenz und Vernetzung der einzelnen matschutz sind die in Bundesinventaren erfassten Ob- Strecken nach sich ziehen können: Strecken, die eine jekte nach ihrer nationalen, regionalen oder lokalen grössere Reichweite nur kurzfristig als Ausweichsrou- Bedeutung zu unterscheiden (NHG Art. 4). Damit soll ten oder infolge einer zeitlich begrenzten Konjunk- eine stufengerechte Einordnung der Objekte gewähr- turschwankung erhalten, sind deshalb sorgfältig von leistet werden, um bei der Interessenabwägung im Strecken zu unterscheiden, die während Jahrhunderten Konfliktfall eine handhabbare Gewichtung zu ermög- oder während ganzer Epochen vom überregionalen lichen. Die dafür notwendige Bewertung ist auch aus Verkehr frequentiert werden – erstere sind eher tief, der Sicht der Raumplanung und Umsetzung zu fordern, letztere eher hoch zu werten. da die planerischen Festsetzungen, die Festlegung der Zuständigkeiten und die Vorbereitung von angepass- Im Hinblick auf den Geländebefund werden, im Ge- ten Schutz-, Nutzungs- und Aufwertungsmassnahmen gensatz zur historischen Bewertung, die einzelnen Li- der Bedeutung der Objekte entsprechen müssen (vgl. nienführungen oder Abschnitte separat bewertet. Sie grundsätzlich Egli 1991, S. 74f., 1997, S. 66f.). können dabei höher eingestuft werden als die Strecke Grundlage der Bewertung bilden die historische Unter- bzw. die Linienführung, zu der sie gehören. suchung und die Geländeaufnahme; es wird gefordert, Dabei werden der kulturgeographische und kulturhis- dass sie auf dieses Ziel hin erarbeitet werden und die torische Wert einer Weganlage, also die menschliche erfolgte Bewertung inhaltlich nachvollziehbar machen. Leistung, die zu ihrer Errichtung notwendig war, sowie Grundsätzlich werden dabei der historische Befund das Zusammenspiel des Weges mit der umgebenden –9–
Landschaft bewertet, nicht etwa die – meist sowieso Zur Ermittlung des ausschlaggebenden morphologi- nur vermutete – Authentizität oder Ursprünglichkeit. schen Wertes werden zusätzlich zu den Substanzele- Eine Pflästerung wird beispielsweise höher gewichtet menten folgende weitere Elemente oder Kriterien ein- als eine gewordene Wegoberfläche im Lockermateri- bezogen: al, eine trocken geschichtete Stützmauer höher als eine – Kunstbauten wie Brücken, Tunnels, Galerien, grasbewachsene Wegböschung. Daraus ergibt sich Wasserdurchlässe etc.; folgende Grundregel zur Substanzbewertung: Je hö- – profane und sakrale wegbegleitende Bauten (Weg- her der «human input» an traditioneller Wegbau- und begleiter); Unterhaltstechnik bei einer Weganlage ist, desto höher – die regionale Seltenheit oder aber die Exemplarität fällt seine substanzmässige Bewertung aus. einer Weganlage; Dabei werden zwei Werte einer Strecke, einer Linien- – der Zustand der traditionellen Wegsubstanz; führung oder eines Abschnittes ermittelt, nämlich zu- – die Art der Anlage, ihre Einbettung in die Land- nächst der Substanzgrad, und dann, darauf aufbauend, schaft bzw. ihre „landschaftsprägende Kraft“. der morphologische Wert. – Zusätzlich kann ein herausragendes Einzelelement besonders gewichtet oder ein im Bewertungssche- In Anlehnung an die „Legende Gelände“ (Abb. 4) wird ma nicht systematisch berücksichtigter Punkt (z.B. der Substanzgrad anhand der Wegform (unter Berück- der exemplarisch-wissenschaftliche Wert einer sichtigung der Wegbegrenzungen) und der Wegober- Weganlage) speziell bewertet werden. fläche ermittelt. Es werden drei Substanzgrade unter- schieden: Grundsätzlich muss die Begründung für die jeweilige – historischer Verlauf, Einstufung in eine der drei Bedeutungskategorien des – historischer Verlauf mit Substanz, Natur- und Heimatschutzgesetzes implizit oder expli- – historischer Verlauf mit viel Substanz. zit aus den Inventarbeschrieben der einzelnen Objekte „Historischer Verlauf“ bedeutet, dass ein historischer hervorgehen und inhaltlich für alle Anwender nach- Verkehrsweg als Verlaufslinie noch zu erkennen ist, vollziehbar sein. Die beschreibende Dokumentierung dieser Verlauf aber keine oder nur geringe Elemente in der Geschichte und des Geländebefundes der Strecken, traditioneller Form mehr aufweist. Die Signatur „histo- Linienführungen und Abschnitte steht daher nicht für rischer Verlauf“ wird deshalb einerseits für historische sich alleine da. Den Beschrieben kommt eine begrün- Wege verwendet, die überhaupt nie bedeutende bau- dende Funktion zu: Aus ihnen muss hervorgehen, wa- liche Wegsubstanz aufwiesen, wie beispielsweise ein rum ein bestimmter Verkehrsweg überhaupt als schüt- böschungsloser Erdweg. Andererseits verwendet man zenswertes Kulturgut betrachtet und als IVS-Strecke diese Signatur auch für historische Wege, deren traditi- inventarisiert worden ist. onelle Wegsubstanz zerstört oder überprägt wurde, wie z.B. für einen Weg, dessen frühere trocken geschichte- Entstehungsprozess und Anwendungsbereich der te Stützmauern durch Betonmauern ersetzt wurden. Methodik „Mit Substanz“ bedeutet, dass – neben dem histori- Neben den hier selbstverständlich mitverwendeten schen Verlauf – der Weg noch durchschnittliche tradi- internen technischen Handbüchern – IVS-MHB, IVS- tionelle Wegsubstanz besitzt. „Mit viel Substanz“ be- THB – bestehen verschiedene frühere Darstellungen deutet, dass der Weg durch überdurchschnittliche tradi- der Methode, die veröffentlicht worden sind (Bulletin tionelle Wegsubstanz charakterisiert wird. Die Begriffe IVS 90/1 „IVS-Methodik“; Aerni 1993; Bösch / von „durchschnittlich“ und „überdurchschnittlich“ enthal- Cranach / Doswald 1994). Wie eingangs erwähnt, wur- ten sowohl einen quantitativen wie auch einen quali- den sie im Lauf einer langjährigen Reflexion über die tativen Aspekt. Es ist deshalb etwa durchaus möglich, eigene Tätigkeit erarbeitet, ohne dass die Diskussion einem zwar ausgedehnten, sich über eine grosse Fläche – bei aller Verpflichtung zu geregeltem, nachvollzieh- erstreckenden Hohlwegbündel, dessen einzelne Spuren barem Arbeiten – als abgeschlossen betrachtet werden nur schwach ausgeprägt sind, den Grad „mit Substanz“ dürfte. (Wann wäre sie es je?) zuzuordnen. Anderseits kann auch einem nur kurzem Wegstück, das z.B. eine traditionelle Pflästerung und Im Prozess der Inventar-Erarbeitung waren zentrale traditionelle Trockenmauern aufweist, der Grad „viel methodische Aufgaben zu lösen, um ein zielgerichte- Substanz“ zugeordnet werden. tes interdisziplinäres Arbeiten zu ermöglichen. „Der – 10 –
Abb. 4: Die „Le- gende Gelände“ definiert die kartographisch aufzunehmenden Wegbestandteile, Kunstbauten und Wegbegleiter (verkleinerte Abbildung). – 11 –
Aufbau des Forschungskonzeptes und der Arbeits- Unterstützende Massnahmen zur Homogenisierung der methodik verlief nicht bruchlos. War am Anfang die Anwendung der Methodik (Aufnahme und Bewertung) integrale Bearbeitung eines Kartenblattes durch ei- und der Darstellung der Resultate in der Inventardoku- nen Bearbeiter das Ziel, so wurde durch den Wunsch mentation bewährten sich umso mehr, als die inven- nach spezialisierter Forschung danach in der Regel pro tarisierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „vor Kartenblatt je ein Bearbeiter für die Bereiche Gelände Ort“ sehr dezentral eingesetzt werden und weitgehend und Geschichte eingesetzt. Da wir die wissenschaftli- selbständig arbeiten müssen. Damit eng verbunden ist che Bearbeitungstiefe aus Kostengründen reduzieren die Schulung während der Erarbeitung des Inventars mussten und zudem die Synthesearbeiten sich schwie- (fachliche Beratung im Bereich Geschichte und Be- rig gestalteten, versuchen wir heute bei der Anstellung gleitungen im Feld während der Geländeaufnahmen) neuer Mitarbeiter wiederum auf die integrale Bearbei- und die Qualitätskontrolle (Fachlektorat Gelände und tung zurückzukommen.“ (Aerni 1993, S. 332) Geschichte, sprachliches Lektorat) vor dem Abschluss Grundsätzlich sind beide Arbeitsweisen gangbar und der Dokumentationen. Dass dabei die Ansprüche an werden auch heute noch im IVS praktiziert. Sie stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lauf der Jahre allerdings entsprechende Ansprüche an die Ausfüh- trotz der Einschränkung des Auftrags und der finanzi- renden: Die Denk- und Sichtweise der hauptsächlich ellen Mittel deutlich gewachsen sind, sei nur am Rand beteiligten Fächer Geschichte und Geographie müssen bemerkt. zumindest verstanden und als gleichwertig akzeptiert werden. Querschnitt- und Längsschnittanalyse sind in Grundsätzlich ist die IVS-Methodik über das Inventar ihrer Bedeutung für die Beschreibung und Bewertung hinaus gültig anwendbar. Eine an der Entwicklung des der Objekte gleichzeitig anzuwenden. Und schliesslich Verkehrsnetzes orientierte Grundlagenforschung ist als erfordert der Bezug auf das Anwendungsziel die Bereit- Ausweitung ebenso möglich wie eine Fortschreibung schaft, anwendungsorientierte Forschung zu betreiben in früh- und vorgeschichtliche Epochen (zumindest auf und ihre Ergebnisse bereitwillig zu kommunizieren. der Ebene der Strecke, unter Einbezug von Siedlungs- struktur und Landschaftsgestalt). Auch präjudiziert die Für die methodische Integration der unterschiedlichen Vorselektion der aufzunehmenden Strecken eine Aus- Arbeitsweisen erwies sich das systematische Zusam- dehnung späterer Aufnahmen auf untergeordnete Kate- menführen von historischem Befund und Geländebe- gorien von Verkehrswegen nicht. Und schliesslich lässt fund als entscheidend. Von Seiten der historischen Be- sich die Bewertungsmethode bei Bedarf auch auf Wege arbeitung ist dabei die systematische rückschreibende anwenden, die (noch) nicht im Inventar enthalten sind. Kartenauswertung von zentraler Bedeutung, da sie es erlaubt, dieselbe Ausgangsbasis für die morphologi- sche und die historische Erfassung zu definieren und Die IVS Dokumentation kartographisch nicht dokumentierte Geländebefunde in das historische Siedlungs- und Verkehrsnetz eines Nachdem anfangs die Inventardokumentationen kar- Untersuchungsgebiets weitgehend zu integrieren. Von tenblattweise erstellt wurden – im Blattschnitt der Seiten der Geländebearbeitung war der Übergang von Landeskarte 1:25›000, vgl. letztmals den aktuellen Ar- der anfangs praktizierten Kartierung von (mehr oder beitsstand im Bulletin IVS 97/2, S. 51 –, werden seit weniger funktionslosen) Relikten hin zur Bestandes- 1993, dem Abschluss des neuen Vertrags, ganze Kan- aufnahme von durchgehenden Wegverläufen der damit tone bearbeitet und verabschiedet; lediglich die Verab- korrespondierende Schritt. schiedung der beiden flächengrössten Kantone Bern Nur durch diese methodische Integration der Ansät- und Graubünden wird in zwei Etappen durchgeführt. ze kann das Inventar schliesslich auch der Forderung nach einer anwendungsorientierten Dokumentation ge- Das Schutzziel bestimmt auch die Art, in der die Ergeb- nügen: Die historischen Verkehrswege werden als Zeu- nisse präsentiert werden: Die Ergebnisse der Erhebun- gen der Geschichte in ihrer gegenwärtigen Gestalt als gen werden in streckenbezogener Form auf Karten und Siedlungs- und Kulturlandschaftselemente beschrieben in Beschrieben dargestellt, die den mit Raumplanung und bewertet. betrauten Behörden einen raschen Zugriff ermöglicht. Eine IVS Dokumentation besteht daher aus den folgen- den Bestandteilen: – 12 –
– 13 – Abb. 5: Die Inventarkarte 1:25‘000 ist aufgrund ihrer lagegetreuen Festlegungen das rechtlich Abb. 6: Die Geländekarte 1:25‘000 enthält die gemäss der Legende Gelände darstellbaren und planerisch wichtigste Dokument des IVS. (Ausschnitt aus der IVS Inventarkarte 1090 Woh- Befunde. Sie bildet die kartographische Grundlage für die Erstellung der Inventarkarte. (Aus- len, provisorische Fassung. Im Original farbig.) schnitt aus der IVS Geländekarte 1090 Wohlen, provisorische Fassung. Im Original farbig.)
– der Inventarkarte, sich um Krokis, die eine detailliertere Geländedarstel- – der Geländekarte, lung in den Massstäben 1:2›500 – 1:10‘000 bieten, – und den Beschrieben. sowie Fotos, die den Weg und seine Umgebung zei- Die beiden Karten werden im Massstab 1:25›000 her- gen und auch wichtige Kunstbauten und Wegbegleiter gestellt und veröffentlicht; sie erlauben damit eine darstellen. übersichtliche, hinreichend lagegetreue und detaillierte Darstellung. Hinter dieser Gliederung der Inventardokumentation steht die Systematik des Planungsinstruments. Gelän- Der Inhalt der Inventarkarte (Abb. 5) ist für die recht- dekarte, Texte und Illustrationen beschreiben den Be- liche Wirkung des Inventars und für die planerische fund in einer Form, der die Bewertung nachvollziehbar Umsetzung entscheidend. Sie wird daher nicht nur in macht; Inventarkarte und Beschriebköpfe verorten das digitaler Kartographie produziert, sondern auch in ein Objekt in seiner Bedeutung nach dem Natur- und Hei- Geographisches Informationssystem überführt, so dass matschutzgesetz. sie von den zuständigen Planungsämtern leicht über- nommen und in ihre Planungsinstrumente eingebettet werden kann. Rahmenbedingungen und wissen- Auf der Inventarkarte sind erstens die Verkehrswege schaftlicher Wert des Inventars und Brücken gemäss den Kategorien des Natur- und Das IVS ist ein Planungsinstrument. Der planerische Heimatschutzgesetzes als Objekte von nationaler, re- Anwendungsbereich, die auftragsgemässe Bindung an gionaler und lokaler Bedeutung in unterschiedlichen das Sichtbarkeitskriterium und die materiell mögliche, Farben dargestellt. Dabei handelt es sich um eine syn- eingeschränkte Bearbeitungstiefe bilden aus der Sicht thetische Darstellung der Bedeutung, d.h. es wird nicht der Grundlagenforschung beschränkende Rahmenbe- unterschieden, ob ein Verkehrsweg aufgrund seiner dingungen für den wissenschaftlichen Aussagewert historischen Kommunikationsbedeutung oder aufgrund des Inventars. (Auf den Bereich, der durch die In- seiner morphologischen Ausprägung eine bestimmte ventardokumentation schliesslich abgedeckt wird, hat Bewertung erfahren hat. ausserdem auch der Geltungsbereich des Natur- und Zweitens umschreibt die Inventarkarte die vorhandene Heimatschutzgesetzes Auswirkungen, vgl. dazu unten historische oder traditionelle Substanz des Verkehrs- unter „Umsetzung“.) weges. Einfache Striche zeigen, dass nur noch der his- torische Verlauf vorhanden ist, dünne Doppelstriche Mit der Frage der Wissenschaftlichkeit des Inventars bedeuten, dass noch Substanzelemente vorhanden sind, haben sich öffentlich zuerst Herzig / von Cranach und dicke Doppelstriche markieren viel Substanz. (1997) auseinandergesetzt. Sie gingen aus von der doppelten Kritik, laut welcher das Inventar einerseits Die Geländekarte (Abb. 6) enthält in Form von Signa- aus der Sicht der Fachhistoriker als Kompilation von turen (vgl. Abb. 4) alle im Gelände erhobenen Befunde Informationen weiterreichenden Ansprüchen nicht an den historischen Verkehrswegen. Hier sind auch die genüge, andererseits aber aus der Sicht der Planer die Wegbegleiter als Orientierungsinhalt angegeben. Sie verarbeiteten Informationen und Nachweise in ihrer spielen für die Bewertung von Strassen und Wegen Ausführlichkeit das Inventar überlasteten und den Zu- zwar eine Rolle, werden aber selbst nicht bewertet; gang für die Anwender erschwerten; zudem seien die dies gehört ins Fachgebiet der Denkmalpflege. Dokumentationen (zumindest nach dem damaligen Stand der provisorischen Veröffentlichung) infolge Die Beschriebe (Abb. 7, im Anhang zu diesem Beitrag) der gestaffelten Herausgabe inhaltlich und methodisch sind gegliedert; sie enthalten: zu heterogen. In ihrer Erwiderung wiesen Herzig und – einen Beschriebkopf, der Strecke, Linienführung von Cranach darauf hin, dass der Anspruch des Inven- und Abschnitt sowie ihre NHG-Bedeutung angibt, tars auf Wissenschaftlichkeit und Anwendbarkeit die – die Beschriebrubriken ”Geschichte” und ”Gelän- Nachprüfbarkeit der Ergebnisse und der Bewertungen de”, bei Bedarf ausserdem eine Rubrik ”Ziele und voraussetze, mithin ein Apparat unverzichtbar sei. Aus- Massnahmen” mit planerischen Hinweisen. serdem habe das Inventar durchaus auch Forschungs- Die Geländebeschriebe können ausser dem Text noch lücken aufgezeigt und eigentliche Forschungsresultate zusätzliche Informationen enthalten. Dabei handelt es erbracht, wie sie an einzelnen Beispielen erläuterten. – 14 –
Schliesslich lasse die Fortentwicklung der Methodik Erlebnisraum einen Beitrag an die Gewährleistung der eine vollständige Homogenisierung der veröffentlich- Ablesbarkeit der historischen Entwicklung von Land- ten Dokumentationen nicht zu. schaften und Ortsbildern leisten. Und es soll schliess- Wie Herzig / von Cranach (1997, S. 110) aufgezeigt lich durch seine Methodik und durch seine Festset- haben, bestehen die auf die Bedürfnisse der Raumpla- zungen eine zuverlässige Grundlage für Ausweitung nung zugeschnittenen IVS Dokumentationen deshalb, und Vertiefung durch alle nachfolgenden Forschungen vom Standpunkt des Historikers aus betrachtet, aus ei- bilden. ner Sammlung von „Mikro-Strassengeschichten“, die für weiter gehende Untersuchungen wirtschafts- und verkehrsgeschichtlicher, aber auch heimatkundlicher Ansätze zur historischen und denkmalpflegerischer Fragestellungen eine wert- Grundlagenforschung volle Grundlage darstellen (vgl. IVS-MHB Kap. 1.2, Da die verkehrsgeschichtliche und kulturlandschaftli- 1.3 ; ein über den Dokumentationsstandard hinaus aus- che Grundlagenforschung nicht Bestandteil des Auf- geführtes Beispiel hat etwa Flückiger 1994 veröffent- trags bilden, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbei- licht). ter des IVS im Rahmen ihrer Inventarisierungsarbeit zahlreiche der erwähnten „Mikro-Strassengeschich- Tatsächlich ist das IVS seit 1993 – durch die finanziell ten“ verfasst, doch konnten daraus nur wenige zusam- bedingte Reduktion der Bearbeitungstiefe – nicht mehr menfassende Darstellungen hervorgehen. Neben zwei als Instrument der historischen Grundlagenforschung knappen Übersichten (Aerni 1991, Aerni / Egli 1991) konzipiert. Trotzdem sind Rückgriffe auf Fragestellun- bestehen einführende Zusammenfassungen für drei gen der Grundlagenforschung notwendig. Sie ergaben Kantone, die das Inventar für ihr Gebiet voll mitfinan- sich zwingend in zwei Bereichen: Einerseits bestand ziert haben (Bischofberger / Frei 1998: Genf; Schiedt die Notwendigkeit, eine konsistente, der Fragestel- 2000b: Zug; Doswald: Aargau, in Vorbereitung). lung angemessene Methodik zu entwickeln (wie oben gezeigt). Andererseits zwang das Bedürfnis nach kri- Von Anfang an erfolgte aber eine Vertiefung an Ein- tischer Behandlung der in der Sekundärliteratur über- zelthemen. Diese geht in der Regel auf individuelle lieferten Informationen zur Auseinandersetzung mit Initiativen und Forschungsinteressen zurück, gelegent- Forschungslücken und Schlüsselfragen der schweize- lich verbunden mit laufenden Hochschularbeiten der rischen Verkehrsgeschichte (wie noch zu erläutern ist), betreffenden ForscherInnen. Dabei sind die Ansätze dies nicht zuletzt, um die Bewertung der historischen regelmässig an wichtigen Forschungsdefiziten orien- Kommunikationsbedeutung inhaltlich so gut wie mög- tiert und lassen einige klare Schwerpunkte erkennen, lich abzusichern. um welche sich meist Arbeiten verschiedener AutorIn- Das Inventar bildet daher eine Schnittstelle zwischen nen bewegen: Grundlagenforschung und angewandter Forschung (Egli 1991). Es wird ein Produkt der anwendungsori- – Eric Vion (1989, 1990, 1991) widmete sich in den entierten Forschung sein, einerseits eingebunden in die achtziger Jahren Studien zur Morphologie von Forderung der Grundlagenforschung nach Klärung der Wegnetzen und ihrer Entwicklung im lokalen und methodischen Grundlagen, andererseits eingebunden regionalen Rahmen. Aufbauend auf der für das in das Bedürfnis der Anwender nach Bereitstellung IVS grundlegenden Systematik von Strecke, Lini- zuverlässiger, gut zugänglicher Ergebnisse (auch wenn enführung und Abschnitt und auf der Differenzie- diese nie als endgültig betrachtet werden können). rung lokaler Erschliessungsnetze und überlokaler Transitnetze, gehen sie im Anspruch bereits über Die Bedeutung des Inventars liegt daher nicht zuletzt im das durch das Inventar Einlösbare hinaus. Bereich der Möglichkeiten, die es für seine Weiterent- – Die Untersuchungen zu den römischen Strassen wicklung und Umsetzung eröffnet: Es soll Grundlagen in der Schweiz sind in erster Linie orientiert an bereitstellen für die Erhaltung, Einbettung, Nutzung der kritischen Sichtung der bisherigen Annahmen, und Pflege von linearen Feinstrukturen der Kulturland- an der Methodik der Identifikation zuverlässiger schaft, wie sie alte Wege, Strassen und Brücken dar- Befunde und an der Entwicklung weiterführen- stellen. Es soll durch die unmittelbare Inwertsetzung der Hypothesen (Barraud / Herzig 1983; Herzig der historischen Wege im alltäglichen Erfahrungs- und 1983, 1995 sowie seine Beiträge in Aerni / Herzig – 15 –
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