News Asyl - Berner Jobmesse für Arbeitgebende und Flüchtlinge Sozialhilfe, Asylsozialhilfe und NA-BE Ab Seite 5 - KKF OCA
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Asyl News Nr. 3, September 2019 KKF Berner Jobmesse für Arbeitgebende und Flüchtlinge Seite 4 NA-BE im Fokus Sozialhilfe, Asylsozialhilfe und NA-BE NA-BE im Fokus Ab Seite 5 Fachinformationen Altersgerechte Betreuung von UMA Seite 12
Editorial Übersicht Liebe Leserinnen, liebe Leser Neues aus der KKF 3 36‘597 Namen wurden am Flüchtlingstag Mitte Juni auf kleine, weisse Papierstreifen geschrieben, die dann an der Fassade NA-BE im Fokus 5 der Heiliggeistkirche in Bern im Wind flat- terten. 36‘570 Menschen, die seit 1993 Sozialhilfe, Asylsozialhilfe und NA-BE beim Versuch, sich in Europa in Sicher- Sozialhilfe – was ist das? 6 heit zu bringen, gestorben sind. Über sie wurde, wenn überhaupt, dann meist Asylsozialhilfe unter NA-BE 8 in Randnotizen berichtet, ohne sie beim Medizinische Versorgung, Betreuung Namen zu nennen, ohne ihre Geschich- und persönliche Hilfe in der Asylsozialhilfe 10 ten zu erzählen. Nothilfe als verfassungsrechtliches 40 Menschen wurden Ende Juni von der Kapitänin Carola Minimum 11 Rackete in Lampedusa an Land gebracht – gegen den Willen der italienischen Regierung. Das Schiff «Sea Watch 3» hatte die Geflüchteten vor dem Ertrinken gerettet und während Asylwesen Schweiz gut zwei Wochen erfolglos versucht, einen sicheren Hafen Altersgerechte Betreuung von UMA 12 anzulaufen. Nach dem Anlegen wurde die Kapitänin kurzzeitig verhaftet, was ein riesiges Medienecho zur Folge hatte – und Integrationsagenda «Bern geht neue Wege» 13 die öffentliche Meinung zumindest teilweise wieder zuguns- Weniger Minderjährige in ten der Seenotrettung änderte. Das zeigt, dass die Namen, Administrativhaft 14 Gesichter und Geschichten von Geflüchteten publik gemacht werden müssen – immer wieder. Asylzahlen: Global und in der Schweiz 15 «Swiss Refugee Partnership» 16 Dies kann auch durch eine Anklage geschehen: Im Juni haben mehrere Menschenrechtsanwältinnen und –anwälte Melken, Misten, Traktor fahren – beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die EU Fresenay gibt Gas 18 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt – durch ihre Flüchtlingspolitik mache sie sich mitschuldig an der Folter und Ermordung tausender Menschen. Auch wenn International die Anklage wohl kaum zu einer Verurteilung führen wird, ist Europa streitet weiter über die Verteilung die Diskussion, die sie anstösst, wichtig. Es mag zuweilen von Flüchtlingen 20 absurd erscheinen, dennoch dürfen wir nicht aufhören, das Offensichtliche immer wieder zu sagen: Es ist nicht richtig, Menschen ertrinken zu lassen. Es ist nicht richtig, jemandem Rückkehrberatung die Tür zu weisen, der vor Folter oder Verfolgung geflüchtet ist. Es ist nicht richtig, die Verantwortung von sich zu weisen Rückkehrhilfe und Businesstrainings – – auch wenn es schwierig ist, sie zu übernehmen. eine lohnende Kombination 22 Denn wenn die EU auf der Anklagebank sitzt, sitzt die Schweiz zumindest in der zweiten Reihe. Was in der ganzen Diskussion Wissenstransfer Horizonte um Völkerrecht, Flüchtlingsverteilung und Abschottung unter- Einblicke in den Alltag im Stadtberner BAZ 24 geht, ist die Frage nach den Fluchtursachen: Die Schweiz lebt laut dem Sustainable Development Report 2019 am stärksten auf Kosten anderer Länder. Wenn unsere Wirtschafts- und Lebensweise also dazu führt, dass die Lebensgrundlagen Kurzinfos 26 andernorts fehlen, haben auch wir mit den Fluchtursachen zu tun. Auch dies müssen wir beim Namen nennen. Und Verantwortung übernehmen für diejenigen Menschen, die aufgrund der weltweiten Veränderungen bereits jetzt keine Lebensgrundlage mehr besitzen. Impressum Redaktion Lisa Schädel Gestaltung Source Associates AG Druck Druckerei Läderach Sabine Lenggenhager, Bildung und Sensibilisierung Kontakt KKF-OCA, Effingerstrasse 55, 3008 Bern AsylNews, 3/2019 2
Neues aus der KKF Weiterbildung Dienstleistungen nisse notwendig. Die Anlässe werden von interkulturellen Dolmetschenden in folgende Sprachen übersetzt: Horizonte-Kurse mit KKF-Angebotsübersicht • 26. September 2019: freien Plätzen Tigrinya und Somali Die KKF bietet eine breite Palette an • 2. Oktober 2019: Dienstleistungen in den Bereichen Wei- In den folgenden zwei Horizonte-Kursen Arabisch und Kurdisch (Kurmanci) terbildung, Integration, Beratung und sind noch ein paar Plätze zu vergeben: • 3. Oktober 2019: Information. Für eine bessere Orientie- Farsi/Dari und Tibetisch rung steht neu eine komplette Übersicht Asylsuchende aus Afghanistan – als PDF zur Verfügung, mit einer Kurz- Aktuelle Herausforderungen (19/7) www.kkf-oca.ch/infoanlass beschreibung sowie Informationen zu Donnerstag, 17. Oktober 2019 Kosten und Kontaktangaben. Die Über- 13.00 - 17.30 Uhr sicht ist nach Zielgruppen geordnet: Wahrheit oder Lüge – Fachpersonen des Asylbereichs, Perso- nen des Asyl- und Ausländerbereichs, Projekte Glaubhaftigkeit im Asylverfahren freiwillig Engagierte, Unternehmen und und im Betreuungsalltag (19/8) Berufsfachleute, sowie Schulklassen und Donnerstag, 12. Dezember 2019 Interessierte. Die Angebotsübersicht Tandemprojekt 13.00 - 17.30 Uhr liegt diesem AsylNews-Versand bei und «zusammen hier» steht auf der KKF-Website als Download Wir freuen uns über Ihre Anmeldungen. zur Verfügung. Die KKF lanciert zusammen mit der Fachstelle Migration der Reformierten www.kkf-oca.ch/horizonte Auskünfte: Daphna Paz, 031 385 18 08, Vielleicht entdecken Sie ja ein neues Kirchen Bern-Jura-Solothurn ein neues daphna.paz@kkf-oca.ch Angebot oder werden an ein altbekann- Projekt, um Geflüchtete in ihrem Inte- tes erinnert? Wir freuen uns auf die wei- grationsprozess zu unterstützen. Das tere erfolgreiche Zusammenarbeit. Tandemprojekt «zusammen hier» bringt Geflüchtete mit Personen aus der lokalen Fundamente-Grundlagen- www.kkf-oca.ch/dienstleistungen Bevölkerung zusammen, um ihnen das kurs im Oktober Ankommen und Einleben in der Schweiz zu erleichtern. In diesem Rahmen wer- Am 25./26. Oktober findet der nächste den ab Januar 2020 an drei Standorten Fundamente-Grundlagenkurs für frei- Informationsanlässe im Kanton Bern Alltags-Tandems gebil- willig Engagierte und neue Mitarbeiten- «Arbeit und Ausbildung» det und von lokalen Koordinationsper- de im Asyl- und Integrationsbereich des sonen begleitet. Das Pilotprojekt läuft Kantons Bern statt. Ziel ist die Vermitt- Im Herbst finden die nächsten Infor- während zwei Jahren. Es werden deshalb lung von grundlegenden Informationen mationsanlässe für vorläufig Aufge- Personen aus den Regionen Büren an und Instrumenten für die Begleitung von nommene und anerkannte Flüchtlinge der Aare, Konolfingen und Langnau i.E. Geflüchteten. Daneben werden aktuelle zum Thema «Arbeit und Ausbildung in gesucht, um Geflüchtete in ihrem Alltag Entwicklungen (namentlich Asylreform der Schweiz» statt. Die Teilnehmenden zu begleiten. Der Integrationsprozess und Neustrukturierung) diskutiert. erhalten grundlegende Informationen hat viele Facetten und je nach Bedürfnis Auch bietet der Kurs eine Plattform zum Integrationsprozess und zu Chan- kann beispielsweise Unterstützung beim für Austausch und stösst die Reflexion cen und Voraussetzungen für den Ein- Deutschlernen, bei administrativen Fra- über Erfahrungen in der Freiwilligen- tritt in den Arbeitsmarkt. Zudem werden gen, bei der Arbeits- oder Wohnungssu- und professionellen Arbeit an. Die auf die kantonal subventionierten Inte che, bei der Freizeitgestaltung oder beim einander aufbauenden Kursmodule wer- grationsangebote sowie das Schul- und Kontakt mit Kindergarten und Schule den von Fachpersonen der KKF geleitet. Bildungssystem der Schweiz praxisnah angeboten werden. vorgestellt. Die Informationsanlässe www.kkf-oca.ch/fundamente finden jeweils nachmittags von 14.00 – www.kkf-oca.ch/tandem Auskünfte: Daphna Paz, 031 385 18 08, 17.00 Uhr im BIZ Bern-Mittelland statt. daphna.paz@kkf-oca.ch Zur Teilnahme sind keine Deutschkennt- 3
Petition «Sterben auf dem Veranstaltungen Flüchtlingstag 2019 – «Beim Namen nennen» Mittelmeer stoppen» Aus Anlass des Flüchtlingstages wurden Die Solidaritätsnetze haben die Petition Berner Jobmesse für Mitte Juni während über 24 Stunden die «Sterben auf dem Mittelmeer stoppen» Flüchtlinge Namen von 35 597 Geflüchteten gelesen, lanciert. Die von der KKF mitgetragene die an den Aussengrenzen Europas seit Petition fordert Bundesrat und Parla- Am Freitag, 8. November findet die 1993 ums Leben gekommen sind. Hun- ment auf, umgehend Massnahmen zu Berner Jobmesse für Arbeitgebende derte von Passantinnen und Besuchern ergreifen, damit Menschen in Seenot und Flüchtlinge im Berner Generatio- schrieben die Namen der Verstorbenen auf dem Mittelmeer gerettet sowie rasch nenhaus statt. Die Jobmesse richtet sich auf weisse Bänder, welche an der Fassa- und dezentral aufgenommen werden. an anerkannte Flüchtlinge und vorläu- de der Heiliggeistkirche befestigt wur- Die Schweiz soll sich am Aufbau eines fig aufgenommene Personen (Ausweise den. Während zwei Wochen flatterten europäisch organisierten und finan- B und F), die auf der Suche nach einer diese im Wind und erinnerten als stilles zierten zivilen Seenotrettungssystems Stelle im Ersten Arbeitsmarkt sind und Mahnmal an die erschütternden Folgen beteiligen und sich für die Verteilung Kontakte zu Arbeitgebenden knüpfen der restriktiven Grenzpolitik Europas. von Menschen einsetzen, die aus See- möchten. Unternehmen auf der Suche Die KKF beteiligte sich an der von der not gerettet werden. Ausserdem sollen nach neuen Mitarbeitenden können sich Offenen Kirche lancierten Aktion. die rechtlichen Grundlagen geschaffen an der Jobmesse präsentieren, geeignete werden, die eine rasche und dezentrale Stellensuchende treffen und an Work- Ein berührender Film des afghani- Aufnahme von Bootsflüchtlingen in der shops teilnehmen. Eine Anmeldung für schen Filmemachers Mortaza Shahed Schweiz ermöglichen. Die Petition kann Geflüchtete und interessierte Unterneh- dokumentiert die Aktion. online unterzeichnet werden. men ist via Online-Formular möglich. Film: https://www.youtube.com/ https://www.change.org/p/bundesrat- watch?v=VLU5UuM6vxQ&t=157s Freitag, 8. November 2019, 9.00 - 19.00 Uhr das-sterben-auf-dem-mittelmeer-stoppen Berner Generationenhaus www.jobs4refugees.ch/jobmesse Foto: Jürg Curschellas Die Heiliggeistkirche wurde zum stillen Mahnmal für die über 35'000 Menschen, die an den Grenzen Europas ihr Leben gelassen haben. AsylNews, 3/2019 4
NA-BE im Fokus Sozialhilfe, Asylsozialhilfe und NA-BE Neben Änderungen im Bereich der Unterbringung und der Integrationsför- derung bringt NA-BE auch verschiedene Neuerungen im Bereich der (Asyl-) Sozialhilfe mit sich. Der vorliegende Fokus bietet eine kurze Einführung in die Grundprinzipien der Sozialhilfe, die Besonderheiten der Asylsozialhilfe sowie die Nothilfe als letztes Auffangnetz. Die Neustrukturierung des Asylbereichs im Kanton Bern die Artikelserie mit einer Übersicht zur Nothilfe als letztes (NA-BE) tritt ab Mitte 2020 in Kraft. In den letzten zwei Auffangnetz, sowie zur geplanten Einführung von Rückkehr- AsylNews-Ausgaben berichteten wir über Änderungen in den zentren für Nothilfebeziehende ab voraussichtlich März 2020. Bereichen Unterbringung und Integration, die im Rahmen von NA-BE umgesetzt werden sollen. In der vorliegenden Ausgabe widmen wir uns abschliessend dem letzten der drei grossen SOZIALVERSICHERUNGEN Themenbereiche von NA-BE, der (Asyl-)Sozialhilfe und der (z.B. AHV, IV, ALV) Nothilfe. Sozialhilfe ist in aller Munde, sie ist immer wieder Gegen- stand politischer Diskussionen, auf kantonaler Ebene zuletzt im Rahmen der Abstimmung über die Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe. Doch was ist Sozialhilfe eigent- lich genau? Was unterscheidet sie von anderen Systemen der sozialen Sicherheit, etwa der Arbeitslosenversicherung? Wer hat Anspruch auf Sozialhilfe und wie hoch fällt sie aus? Und worin unterscheidet sich die Asylsozialhilfe von der regulären Sozialhilfe? Für ein besseres Verständnis der aktuellen Diskussion und zur SOZIALHILFE Einordnung der geplanten Neuerungen im Rahmen von NA-BE, möchten wir Sie auf den nächsten Seiten auf eine kurze Tour d’horizon zum Thema Sozialhilfe mitnehmen. In einem ersten Teil legen wir die Grundprinzipien der Sozial hilfe dar und definieren die wichtigsten Begriffe. A nschliessend gehen wir näher auf die Asylsozialhilfe ein, mit besonderem Fokus auf den Kanton Bern und NA-BE. (Zu beachten ist, dass der Gesetzgebungsprozess zur Ausgestaltung der Asylsozi- NOTHILFE alhilfe ab Mitte 2020 auf kantonaler Ebene noch nicht abge- (Art. 12 BV) schlossen ist und deshalb lediglich die Grundzüge aufgezeigt werden können.) Ein Kastentext informiert über die medizini- sche Versorgung, die Betreuung und die persönliche Hilfe als integrale Bestandteile der (Asyl-)Sozialhilfe. Abgerundet wird 5
NA-BE im Fokus Sozialhilfe – was ist das? sorgung sowie persönliche Hilfe in Form von Beratung und Betreuung. Ergänzt wird der Grundbedarf für den Lebens- unterhalt mit situationsbedingten Leistungen (SIL), wenn Sozialhilfe ist in aller Munde. Doch was ist besondere gesundheitliche, wirtschaftliche und familiäre Sozialhilfe eigentlich genau? Nach welchen Umstände sie rechtfertigen (z.B. Kinderbetreuung, Gesund- Prinzipien funktioniert sie? Und worin heitskosten, berufsbedingte Kosten). Dabei bleibt oft auch ein liegen die Unterschiede zur Asylsozialhil- Ermessensspielraum für die Sozialarbeitenden bestehen. Die effektiv ausbezahlten Leistungen können deshalb variieren, fe? Der folgende Text gibt einen Überblick da die Sozialhilfe gemäss dem Individualisierungsprinzip dem über die der Sozialhilfe zugrunde liegenden individuellen Bedarf angepasst wird. Regeln und Prinzipien. Mitwirkung und Hilfe zur Selbsthilfe Das schweizerische System der sozialen Sicherheit ist mehrstu- Nebst der Existenzsicherung soll die Sozialhilfe auch die wirt- fig aufgebaut. Das System geht dabei von der grundsätzlichen schaftliche und persönliche Eigenständigkeit fördern und die Ausübung einer bezahlten Erwerbstätigkeit aus und kennt soziale und berufliche Integration unterstützen. Hierzu gelten «anerkannte Risiken», welche durch die Sozialversicherungen in der Sozialhilfe die Paradigmen des Förderns und Forderns abgedeckt werden. Dazu gehören beispielsweise Krankheit, sowie der Hilfe zur Selbsthilfe. Betroffene Personen sollen Unfall, Invalidität, Alter oder Arbeitslosigkeit. Um Leistungen soweit unterstützt werden, dass sie wieder in der Lage sind, beziehen zu können, muss die betroffene Person zuvor Beiträge ihre Existenz eigenständig zu sichern. Es wird eine aktive bezahlt haben, sie muss also versichert sein (Versicherungs- Grundhaltung erwartet und Sozialhilfebeziehende sind ver- prinzip). Zusätzlich zu den Versicherungen kennt die Schweiz pflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, in einigen Fällen situationsabhängige Bedarfsleistungen, wel- che allen Personen in den betreffenden Situationen zustehen Die Sozialhilfe ist eine Bedarfsleis- (z.B. Opferhilfe oder individuelle Prämienverbilligung in der tung und nicht abhängig von zuvor Krankenversicherung). bezahlten Beiträgen. Prinzipien der Sozialhilfe um ihre persönliche Situation zu verbessern. Gleichzeitig Die Sozialhilfe deckt hingegen als zweites Auffangnetz all haben sie auch Zugang zu «persönlicher Hilfe», welche in diejenigen Situationen ab, auf welche die Sozialversicherun- Form von Beratung, Betreuung, Vermittlung und Information gen nicht ausgerichtet sind. Dazu gehören beispielsweise gewährt wird. Langzeitarbeitslosigkeit, Kinder- und Familienarmut oder verminderte Leistungsfähigkeit aus Gründen, welche nicht Trotz der obgenannten Verpflichtungen ist es nicht zuläs- durch eine Versicherung abgedeckt werden. Im Gegensatz sig, Sozialhilfe gänzlich zu verweigern, wenn Auflagen und zu den Sozialversicherungen ist die Sozialhilfe eine Bedarfs- Bedingungen nicht eingehalten werden. Ist die Bedürftigkeit leistung und nicht von zuvor bezahlten Beiträgen abhängig: effektiv nachgewiesen, müssen Sozialhilfeleistungen gemäss Alle in der Schweiz wohnhaften, bedürftigen Personen haben dem Finalprinzip unabhängig von der Ursache gewährt wer- Anrecht auf Sozialhilfe, wenn sie nicht in der Lage sind, für den. Es ist jedoch zulässig, die Leistungen zu kürzen, wenn auf sich selbst zu sorgen und Dritthilfe nicht oder nicht rechtzeitig kantonaler Ebene eine gesetzliche Grundlage dazu vorliegt. verfügbar ist. Dieser Vorrang der Selbst- und Dritthilfe wird unter dem Begriff der Subsidiarität zusammengefasst und Gesetzliche Grundlagen beinhaltet sowohl Erwerbstätigkeit, Vermögen, Leistungen Mit Art. 115 der Bundesverfassung überträgt der Bund die Ver- von Sozialversicherungen, zivilrechtliche Verpflichtungen antwortung für die Unterstützung Bedürftiger an die Kantone. wie Unterhaltsbeiträge und Alimente als auch freiwillige Leis- Im Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung tungen Dritter. Vom Recht auf Sozialhilfe ausgenommen sind Bedürftiger (ZUG) werden die Richtlinien für die Zuweisung an Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus (u.a. abgewiesene den Aufenthalts- oder Wohnkanton definiert und Ausnahme- Asylsuchende und Sans-Papiers), sie können Nothilfe beantra- fälle geregelt. Die Modalitäten zur Ausrichtung der Sozialhilfe gen (vgl. Artikel S. 11). und deren Höhe regelt jeder Kanton in einer eigenen Sozial- hilfegesetzgebung mit zugehörigen Verordnungen. Vielerorts Mit der Sozialhilfe soll die Existenz bedürftiger Personen wird der Vollzug an die Gemeinden delegiert. Praktisch alle gesichert werden. Dazu gehören nebst der wirtschaftlichen halten sich dabei in den Grundzügen an die Empfehlungen (finanziellen) Hilfe auch ein Obdach, die medizinische Ver- AsylNews, 3/2019 6
NA-BE im Fokus der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), welche Die Ausrichtung und der Vollzug der Sozialhilfe im Asyl- und Richtlinien zur Bemessung und Ausgestaltung der Sozialhil- Flüchtlingsbereich wird im Kanton Bern an Dritte übertragen. feleistungen vorgibt. Das sozialhilferechtliche Existenzmini- Aktuell sind dies die Asylsozialhilfestellen und Flüchtlings- mum wird dabei anhand der einkommensschwächsten zehn sozialdienste, welche ab 1.7.2020 durch die neuen regionalen Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung errechnet. Partner abgelöst werden. Unterschiede zur Asylsozialhilfe Wenn die Abgeltung der Sozialhilfekosten durch den Bund Etwas anders sieht es im Bereich der Asylsozialhilfe aus. Unter an die Kantone nach fünf oder sieben Jahren endet, gehen die Regelungen der Asylsozialhilfe fallen Asylsuchende im lau- Personen, welche noch nicht finanziell selbständig sind, in fenden Verfahren sowie vorläufig aufgenommene Ausländerin- die Zuständigkeit der Gemeinden über. Ab diesem Zeitpunkt nen und Ausländer, welche seit weniger als sieben Jahren in der werden sie nach kantonalem Sozialhilfegesetz und damit in der Regel nach SKOS-Richtlinien unterstützt. Eine Ausnahme Die Ausrichtung und der Vollzug bilden dabei vorläufig aufgenommene Personen, welche bei der Sozialhilfe im Asyl- und Flücht- fehlender Kooperation und fehlenden Integrationsbemühun- gen nicht an die Gemeinde übertragen werden. lingsbereich wird im Kanton Bern an Dritte übertragen. Höhe und Bemessung der Asylsozialhilfe Die Kantone kennen jeweils eigene Gesetzeswerke und Ver- Schweiz sind (vgl. Tabelle S. 9). Für die Ausrichtung der Asyl- ordnungen für die Ausrichtung der Asylsozialhilfe. Im Kanton sozialhilfe sind zwar auch die Kantone zuständig, doch der Bern werden die Grundlagen zur Bemessung der Sozialhilfe- Bund gibt finanzielle Leitplanken vor: Das Asylgesetz (AsylG) leistungen für Personen des Asylbereichs in der entsprechen- und das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) schreiben den Direktionsverordnung der Polizei- und Militärdirektion vor, dass der Ansatz für die Unterstützungsleistungen unter geregelt. Die Höhe und Ausgestaltung der Asylsozialhilfe vari- demjenigen für die einheimische Bevölkerung zu liegen habe iert von Kanton zu Kanton beträchtlich. Eine normgebende (Art. 82 Abs. 3 AsylG und Art. 86 Abs. 1 AIG). Bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen sowie anerkannten Flüchtlingen (FL) muss hingegen aufgrund der Genfer Flüchtlingskonventi- Die Höhe und Ausgestaltung der on die Gleichbehandlung mit der einheimischen Bevölkerung Asylsozialhilfe variiert von Kanton gewährleistet werden. Dies gilt auch im Bereich der Sozialhilfe. zu Kanton beträchtlich. Sie erhalten deshalb Unterstützungsleistungen im Rahmen der üblichen Sozialhilfe. Institution wie die SKOS fehlt im Asylbereich gänzlich. Die zuvor erwähnten Prinzipien der Sozialhilfe weisen hingegen Abgeltung durch den Bund übergeordneten Charakter auf und gelten grundsätzlich auch Eine weitere finanzielle Steuerung der Asylsozialhilfe nimmt im Asylbereich. der Bund über das System der Globalpauschalen vor: Er vergü- tet den Kantonen die Unterbringungs- und Sozialhilfekosten Faktenblatt SEM zu Bundesabgeltungen: https://www.sem.admin. sowie teilweise die medizinische Versorgung und die Betreu- ch/dam/data/sem/asyl/beschleunigung/infoveranstaltungen/ themen/8-bundesabgeltung-d.pdf ungs- und Verwaltungskosten mittels einer monatlichen Pauschale pro asylsuchender Person (Globalpauschale 1). Für Asylsuchende gilt dies während der gesamten Verfahrensdau- er bis zu einem rechtskräftigen Entscheid. Bei rechtskräftigem Negativentscheid erfolgt der Ausschluss aus der Asylsozial- hilfe. Bei vorläufiger Aufnahme (VA) oder Asylgewährung übernimmt der Bund bis maximal sieben Jahre nach Einreise (VA) oder fünf Jahre nach Einreise (FL) die Sozialhilfekosten. Für Personen mit Flüchtlingsstatus gilt dabei eine leicht verän- derte Globalpauschale, in welcher die Gesundheitskosten nicht berücksichtigt sind (Globalpauschale 2). Zusätzlich wird den Kantonen pro vorläufige Aufnahme und pro Anerkennung als Flüchtling eine einmalige Integrationspauschale ausgerichtet. Diese wurde 2019 von 6‘000 auf 18‘000 Franken erhöht. 7
NA-BE im Fokus Asylsozialhilfe unter NA-BE und konsequenten Vollzug» von abgewiesenen Asylsuchenden dar, während die Ausrichtung der Sozialhilfe an Personen des Asyl- und Flüchtlingsbereiches für die Dauer der Zuständigkeit Mit NA-BE geht ein Systemwechsel in der des Kantons im neu geschaffenen SAFG geregelt wird. Asylsozialhilfe einher. Dabei soll in der Ausrichtung der Asylsozialhilfe verstärkt Beide Gesetze wurden in der Junisession vom Grossen Rat in mit Anreizen und Sanktionen gearbeitet erster Lesung beraten und befinden sich aktuell wieder bei den vorberatenden Kommissionen, welche eine bereinigte Version werden. Die entsprechenden Rechtsgrundla- für die zweite Lesung vorbereiten. Dabei stehen unter anderem gen sind noch in Ausarbeitung. zwei Themen nochmals im Fokus: Der Kanton wird aufgefor- dert, Regelungen zu erlassen, welche es ermöglichen, den Im Rahmen der Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlings- Spielraum für Härtefallgesuche von «gut integrierten», abge- bereiches im Kanton Bern (NA-BE) geht auch die Gesamtver- wiesenen Asylsuchenden auszunutzen, welche voraussicht- antwortung für die Ausrichtung der Asylsozialhilfe von der lich nicht in ihr Heimatland zurückgeschafft werden können. Polizei- und Militärdirektion (POM) an die Gesundheits- und Gemeint sind dabei bereits länger anwesende Asylsuchende Fürsorgedirektion (GEF) über. Einzig der Vollzug der Weg- mit einer Erwerbstätigkeit. Das Kapitel II des SAFG wurde weisung und damit zusammenhängend die Ausgestaltung mit der Auflage an die vorberatende Kommission zurückge- und Ausrichtung der Nothilfe für rechtskräftig abgewiesene wiesen, die Situation von vorläufig aufgenommenen Personen Asylsuchende bleibt bei der POM. sieben Jahre nach Einreise (VA7+) nochmals zu prüfen. Aktuell werden VA7+ wie Schweizer Sozialhilfebeziehende nach SKOS- Die GEF hingegen mandatiert zukünftig regionale Partner in Richtlinien unterstützt. Ein Teil des Rates befürwortet tiefere fünf Regionen mit der Ausrichtung der Asylsozialhilfe und Sozialhilfeansätze für diese Personengruppe, wie sie auch in gibt die entsprechenden Leitplanken vor. Die Partner werden der kürzlich abgelehnten Sozialhilfegesetzesrevision vorgese- sowohl Sozialhilfe nach kantonalem Sozialhilfegesetz und hen gewesen wären. Wie lange der Prozess der Gesetzgebung noch dauern wird, ist unklar, da nach der zweiten Lesung allenfalls noch ein Referendum ergriffen werden kann. Die Fehlende Integrationsbemü Gesetzgebung wurde jedoch in den Grundzügen von einer gro- hungen können zur Kürzung der ssen Mehrheit des Kantonsparlamentes gutgeheissen, weshalb Sozialhilfe führen. die grundsätzliche Ausrichtung beibehalten werden dürfte. SKOS-Richtlinien für die anerkannten und vorläufig aufgenom- Anreiz- und Sanktionssystem menen Flüchtlinge (FL) ausrichten, wie auch Asylsozialhilfe Diese Ausrichtung beinhaltet eine enge Koppelung der Sozial für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer hilfeleistungen an den Integrationsstand und das Erreichen (VA) oder Asylsuchende ohne rechtskräftigen Entscheid. Asyl- von Integrationszielen. So wird im Zweckartikel des SAFG defi- sozialhilfe beinhaltet dabei nicht nur die Unterbringung und niert, dass «gezielte Anreize und Sanktionen bei der Sozialhilfe Integrationsförderung (vgl. AsylNews 1/2019 und 2/2019), und der Unterbringung sowie nach dem Grundsatz Fordern sondern insbesondere auch die Ausrichtung der finanziellen und Fördern» für eine rasche berufliche, sprachliche und sozi- Hilfe, die persönliche Hilfe in Form von Beratung und Betreu- ale Integration geschaffen werden sollen. Das sozialhilferecht- ung und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung (vgl. liche Motto «Fördern und Fordern» wird explizit neu gewichtet Kasten S.10). und dem Fordern mehr Bedeutung beigemessen. Dazu gehört unter anderem, dass Asylsuchende verpflichtet sind, an den Neue Gesetze zur Umsetzung von NA-BE bereitgestellten Angeboten zur sprachlichen Integration sowie Obwohl der Prozess der Neustrukturierung des Asyl- und im Rahmen ihrer Möglichkeiten an gemeinnützigen Beschäf- Flüchtlingsbereiches bereits weit fortgeschritten ist, fehlen tigungsprogrammen teilzunehmen. noch die gesetzlichen Grundlagen, um die gemäss Detailkon- zept vorgesehenen Änderungen umzusetzen. Diese sollen mit Präzisierungen auf Verordnungsstufe der Totalrevision des Einführungsgesetzes zum Ausländer- Mit VA und FL wird systematisch ein individueller Integra- und Integrationsgesetz sowie Asylgesetz (EG AIG und AsylG) tionsplan mit entsprechenden Integrationszielen erstellt. und mit dem neuen Gesetz über die Sozialhilfe im Asyl- und Werden die Ziele ohne triftige Gründe nicht eingehalten oder Flüchtlingsbereich (SAFG) geschaffen werden. Dabei stellt das nur mangelhaft erreicht, kann dies nach Art. 23 SAFG Leis- EG AIG und AsylG die Grundlage für Nothilfe und den «raschen tungskürzungen zur Folge haben. Auch fehlende Integrations AsylNews, 3/2019 8
NA-BE im Fokus bemühungen oder ungenügende Mitwirkung können zur Kür- in Zukunft einen Teil des Lohnes als Einkommensfreibetrag zung der wirtschaftlichen Hilfe führen. Allerdings müssen behalten dürfen. viele Aspekte des Gesetzes wie beispielsweise die Anforderun- gen an die Integrationsziele und Integrationsbemühungen, Das System der Anreize durch Zulagen und Sanktionen Mitwirkungspflicht und Ausnahmen vom Erreichen der Inte- m ittels Leistungskürzungen wird die bisher geltenden grationsziele durch den Regierungsrat auf Verordnungsstufe Unterstützungsstufen «normal», «plus» und «minus» in der noch weiter konkretisiert werden. Auch der effektive Umfang Asylsozialhilfe ersetzen. So können Kürzungen auch besser im der finanziellen Leistungen sowie die Ausrichtung von situa Verhältnis zur Pflichtverletzung abgestuft werden, und es wird tionsbedingten Leistungen sollen – wie bis anhin in der Direk- nicht, wie bis anhin, in jedem Fall die maximale Rückstufung tionsverordnung der POM – in einer ergänzenden Verordnung auf die Stufe Minus verfügt. der GEF geregelt werden. «Offensichtlich nicht integrierte» VA7+ Auf der Gegenseite der Sanktionen stehen die Motivationszula- Einen weiteren Aspekt der Koppelung der Sozialhilfeleistun- gen, welche für bestimmte Integrationsleistungen ausgerichtet gen an das Erreichen von Integrationszielen stellt der geplante werden sollen. Im Gegensatz zu den im Gesetz aufgelisteten Umgang mit VA7+ dar. Vorläufig aufgenommene Personen, die Kürzungsgründen fehlen im SAFG konkrete Angaben, in länger als sieben Jahre in der Schweiz sind, gehen in der Regel welchen Fällen effektiv eine Motivationszulage auszurichten in die Zuständigkeit der Gemeinde über und erhalten somit ist. Gemäss erläuterndem Bericht sollen aber beispielsweise höhere Sozialhilfeleistungen. Sind sie «offensichtlich nicht Integrationsbemühungen und das Erreichen von Integra integriert», kann diese Übertragung verwehrt werden und sie tionszielen mit Motivationszulagen belohnt werden. Personen, bleiben in der Zuständigkeit des Kantons. Während dies bis- welche einer Erwerbstätigkeit nachgehen, deren Lohn aber lang relativ selten und ausschliesslich auf Personen angewandt nicht ausreicht, um finanziell selbständig zu sein, sollen auch wurde, welche offensichtlich keine Integrationsbemühungen Unterstützungsansätze in der Sozialhilfe, Asylsozialhilfe und Nothilfe im Kanton Bern Finanz. Unterstützung Aufent- Unterstützungs Aufenthaltsstatus für 1-Personenhaushalt Zuständigkeit haltsdauer ansätze gemäss (pro Monat) SchweizerInnen, Nieder- gelassene und Aufenthal- Kantonalem Sozialhilfe- ter sowie EU/EFTA-Bürge- 977 CHF (32.50 pro Tag) Kanton/Gemeinden gesetz und SKOS rInnen nach mind. 1 Jahr Arbeit in der Schweiz < 5 Jahre in Flüchtlingssozialdienste, Anerkannte Flüchtlinge der Schweiz Kantonalem Sozialhilfe- ab 1.7.2020 regionale Partner mit Asyl 977 CHF (32.50 pro Tag) gesetz und SKOS (Ausweis B-Flüchtlinge) > 5 Jahre Kanton/Gemeinden < 7 Jahre in Flüchtlingssozialdienste, Vorläufig aufgenommene der Schweiz Kantonalem Sozialhilfe- ab 1.7.2020 regionale Partner Flüchtlinge 977 CHF (32.50 pro Tag) gesetz und SKOS (Ausweis F-Flüchtlinge) > 7 Jahre Kanton/Gemeinden Kollektivunterkunft: 285 CHF Vorläufig aufgenommene < 7 Jahre in (9.50 pro Tag) Asylsozialhilfe Asylsozialhilfestellen, ab 1.7.2020 Ausländerinnen und der Schweiz Indiv. Unterkunft: 375 CHF regionale Partner Ausländer (12.50 pro Tag) (Ausweis F-Ausl.) Kantonalem Sozialhilfe- > 7 Jahre 977 CHF (32.50 pro Tag) Kanton/Gemeinden gesetz und SKOS Kollektivunterkunft: 285 CHF Asylsuchende (9.50 pro Tag) Asylsozialhilfestellen, ab 1.7.2020 Asylsozialhilfe (Ausweis N) Indiv. Unterkunft: 375 CHF regionale Partner (12.50 pro Tag) Abgewiesene Asylsozialhilfestellen, ab März 240 CHF (8.00 pro Tag) Nothilfe Asylsuchende 2020 Trägerschaft noch offen 9
NA-BE im Fokus zeigten oder gar wiederholt gegen Auflagen und Weisungen ver- Mehr Rechtssicherheit durch Verfügungen stiessen, wird im erläuternden Bericht zum SAFG ausgeführt, Neben dem dargelegten strikten Integrationsprimat bringt dass entscheidend sein dürfte, ob die VA die Integrationsziele das Gesetz auch Verbesserungen in Bezug auf den Rechtsschutz für einen Transfer in die 2. Phase erreicht haben. Bleibt diese mit sich. So gelten für den Bezug von Leistungen der Asylso- Klausel ohne Präzisierung der Umsetzung auf Verordnungs- zialhilfe explizit die gemäss Sozialhilfegesetz vorgesehenen stufe, besteht die Gefahr, dass Personen mit erschwerten Verfahrens- und Rechtsschutzgarantien. Der Entscheid über Voraussetzungen für einen Eintritt in den Arbeitsmarkt der die Ausrichtung der Asylsozialhilfe muss gemäss Art. 25 SAFG Übertritt an die Gemeinde systematisch verwehrt wird. Dies grundsätzlich in Form einer beschwerdefähigen Verfügung dürfte der Stossrichtung der Mehrheit des Grossen Rates ent- erfolgen. Auch Leistungskürzungen sind dementsprechend zu sprechen, welche grundsätzlich die Bemessung der Sozialhil- begründen und zu verfügen, womit für die betroffenen Perso- feleistungen für VA7+ nach SKOS-Richtlinien in Frage stellt. nen die Rechtsweggarantie gewährleistet wird. Medizinische Versorgung, Betreuung und persönliche Hilfe in der Asylsozialhilfe Medizinische Versorgung Zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung sollen Asylsuchende und vorläufig aufgenommene Personen auch in Zukunft kollektiv bei einer durch das Sozialamt ausgewählten Leistungserbringerin versichert werden, wodurch die Grund- versorgung gemäss Krankenversicherungsobligatorium gewährleistet wird. Bei vorläufig aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen dürfte die in der kantonalen Sozialhilfe geltende Regelung der Einschränkung der Wahl des Versicherers auf eine der fünf günstigsten Kassen zur Anwendung kommen. Am aktuell geltenden Erstversorgerarzt-Modell für Personen des Asylbereiches dürfte sich deshalb kaum etwas ändern. Vorgegeben ist zudem in jeder Region die Einstellung mindestens einer Pflegefachperson, welche für medizinische Erstkonsultationen zuständig ist und die medizinische Erstversorgung in den Kollektivunterkünften sicherstellt. Betreuung Die Verfügbarkeit einer medizinischen Fachperson in Kollektivunterkünften stellt eine der wenigen Vorgaben hinsichtlich der Einstellung von Betreuungspersonal dar. Weitere Vorgaben bezüglich Ausbildung des Personals oder Betreuungsschlüs- sel erhalten die regionalen Partner im Detailkonzept NA-BE nicht. Ein Antrag im Kantonsparlament, der im zukünftigen «Gesetz über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich» (SAFG) festhalten wollte, dass die regionalen Partner genügend qualifiziertes Fachpersonal anstellen müssten, wurde mit grosser Mehrheit abgelehnt. So bleibt es den regionalen Partnern überlassen, welche Mittel sie für die vorgegebene «angemessene Betreuung» verwenden. Zur Erfüllung der vielfältigen Aufgaben wie beispielsweise der Bedarfsabklärung der wirtschaftlichen Hilfe, der individuellen Situationsanalyse und Erstellung von Integrationsplänen oder der Abklärung von Situationen, welche besondere Unterbringungsformen oder behördliche Massnahmen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde bedingen, ist ausreichend qualifiziertes Personal unabdingbar. Persönliche Hilfe Die persönliche oder auch immaterielle Hilfe ist integraler Bestandteil der Sozialhilfe. Sie umfasst die individuelle, ziel- gerichtete Beratung, Betreuung, Vermittlung und Information der Sozialhilfebeziehenden. Im Detailkonzept NA-BE und im SAFG werden darunter einerseits generelle Massnahmen wie die Gewährleistung der Betreuung und Sicherheit und die Organisation einer Tagesstruktur in den Kollektivunterkünften zusammengefasst. Zusätzlich sind Informations- und Vermittlungsaufgaben der regionalen Partner definiert, welche allen betreuten Personen zu Gute kommen müssen, beispiels- weise Information über Infektionskrankheiten, Vermittlung von Dienstleistungen zur Alltagsbewältigung, Information und Beratung zum schweizerischen Schulsystem oder Information über die Abläufe zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Die persönliche Hilfe kann nicht abschliessend definiert werden, sondern richtet sich in jedem Fall nach dem individuellen Bedarf der unterstützten Person. AsylNews, 3/2019 10
NA-BE im Fokus Nothilfe als Änderungen ab Mitte 2020 Dies soll sich mit der Neustrukturierung im Kanton Bern verfassungsrechtliches ändern, da ab Juli 2020 die Zuständigkeit für Personen des Minimum Asylbereichs zur Gesundheits- und Fürsorgedirektion über- geht, Personen in der Nothilfe aber nach wie vor in die Zustän- Im Gegensatz zu den Sozialversicherungen und zur (Asyl-)Sozi- digkeit der Polizei- und Militärdirektion (POM) fallen. Daher alhilfe, die nicht allen in der Schweiz wohnhaften Personen sollen Personen, die Nothilfe beziehen, nicht mehr in den automatisch zusteht, ist die Nothilfe an keine Bedingungen gleichen Strukturen untergebracht werden wie Personen, die bezüglich Aufenthaltsstatus gebunden. Gesetzliche Grundlage Asylsozialhilfe beziehen, sondern in sogenannten Rückkehr- für die Nothilfe ist Art. 12 der Bundesverfassung, der besagt, zentren. Zurzeit sieht der Kanton vier Rückkehrzentren an ver- dass «wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu schiedenen Standorten vor, deren Betrieb von einer externen sorgen, […] Anspruch [hat] auf Hilfe und Betreuung und auf Organisation übernommen werden soll. Die Ausschreibung für die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich den Auftrag wurde Mitte August 2019 publiziert. Die Zentren sind.» Auch bei der Nothilfe gilt jedoch, dass alle anderen Mit- sollen ihren Betrieb gestaffelt zwischen März und Juni 2020 tel der Unterstützung ausgeschöpft sein müssen. Unwichtig aufnehmen. hingegen ist, warum die betroffene Person in eine Notlage geraten ist. Die Ausplatzierung aus der Kollektivunterkunft in ein Rück- kehrzentrum erfolgt innert fünf Tagen nach einem rechts- Die Ausgestaltung der Nothilfe obliegt den Kantonen und kann kräftigen negativen Entscheid. Diese Frist gilt jedoch nicht je nach Kanton unterschiedlich ausfallen. Für Personen, deren für Familien mit schulpflichtigen Kindern. Eine Motion, die Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt wurde, erhält jeder Kan- Familien mit Kindern auch bei negativem Asylentscheid in ton eine einmalige Nothilfepauschale pro Person. Die Höhe den Strukturen der Asylsozialhilfe belassen wollte, wurde im Grossrat in der Sommersession behandelt und zurückgezogen. Die Ausgestaltung der Nothilfe In den Rückkehrzentren werden also Familien mit Kindern obliegt den Kantonen und kann und Alleinreisende gemischt untergebracht sein. je nach Kanton unterschiedlich Die Betreuung in den Rückkehrzentren beschränkt sich laut ausfallen. Detailkonzept NA-BE auf das verfassungsrechtliche Mini- mum. Vorgesehen ist die Präsenz einer Person zur Klärung dieser Pauschale hängt vom Verfahren ab, welches die Person von Fragen sowie zur Gewährung der Sicherheit. Weiter soll durchlaufen hat: Für Personen aus einem Dublin-Verfahren eine strikte Hausordnung gelten, die unter anderem tägliche erhält der für den Vollzug und die Wegweisung zuständige Präsenzkontrollen beinhaltet. Kanton CHF 400.-, bei einem beschleunigten Verfahren sind es rund CHF 2’000.-, bei einem erweiterten Verfahren rund CHF 6’000.- Spätestens ab Juli 2020 sollen Personen, die Nothilfe beziehen, Nothilfe im Kanton Bern in so genannten Rückkehrzentren Einige Kantone richten Nothilfe ausschliesslich in Form von untergebracht werden. Sachabgaben aus, andere zahlen einen Minimalbetrag, wobei auch dieser unterschiedlich hoch ausfallen kann. Die Nothilfe Der Fokus für Personen mit einem rechtskräftigen negativen ist aber laut Asylgesetz (Art. 82 Abs. 4 AsylG) tiefer anzusetzen Entscheid liegt laut Detailkonzept auf einem raschen und als die Asylsozialhilfe. Im Kanton Bern erhält eine Einzelper- konsequenten Wegweisungsvollzug. Hierfür soll einerseits die son, die auf Nothilfe angewiesen ist, zurzeit CHF 8.- pro Tag Rückkehrberatung intensiviert werden, andererseits sollen ausbezahlt. Bei einer Haushaltsgrösse von zwei oder mehr auch Zwangsmassnahmen konsequent angewendet werden. Personen sinkt dieser Betrag erneut, in einem Vier-Personen- Haushalt sind es noch CHF 6.50 pro Person. Auch eine minima- le medizinische Versorgung ist in der Nothilfe gewährleistet; Nothilfebeziehende sind kollektiv krankenversichert. Die Unterbringung erfolgt aktuell in Kollektivunterkünften der Asylsozialhilfestellen. 11
Fachinformationen Asylwesen Schweiz Mehr Geld, weniger UMA Aufgrund der prioritären Behandlung der Asylgesuche von UMA werden die Kinder und Jugendlichen meist innert ein bis zwei Monaten einem Kanton zugewiesen. Die Kantone sind Altersgerechte Betreuung folglich schon früh für die Unterbringung, Betreuung und Integration der Minderjährigen verantwortlich. Seit dem 1. von UMA Mai erhalten die Kantone dafür eine höhere Pauschale, um die aufgrund der besonderen Verletzlichkeit höheren Kosten für die Unterbringung und Betreuung der unbegleiteten Min- Künftig werden unbegleitete minderjährige derjährigen im Asyl- und Flüchtlingsbereich besser zu decken. Asylsuchende in allen Bundesasylzentren Neu beträgt die Tagespauschale 86 Franken pro Person (früher von sozialpädagogischen Fachpersonen 50 Franken). Parallel zu dieser Erhöhung der Globalpauschale betreut. Im Kanton Bern wurde indessen die Betreuung und Unterbringung von Minder- An der separaten Unterbringung jährigen per 1. Juli 2020 neu ausgeschrieben. von UMA wird auch unter NA-BE festgehalten, der Auftrag für Im Rahmen eines Pilotprojekts wurde in den Bundesasyl- ihre Unterbringung wurde neu zentren (BAZ) in Zürich und Basel ein neues Betreuungs- und ausgeschrieben. Unterbringungskonzept für unbegleitete minderjährige Asyl- suchende (UMA) getestet. Seit Mitte 2017 wurden alle UMA, für UMA erhöhte der Bundesrat die einmalige Integrations- die in der Schweiz Schutz suchten, diesen zwei BAZ zugewiesen pauschale für alle anerkannten Flüchtlinge und vorläufig auf- und dort getrennt von erwachsenen Asylsuchenden unterge- genommenen Personen von 6‘000 auf 18‘000 Franken, diese bracht. Zusätzlich zum regulären Betreuungspersonal waren gilt auch für alle minderjährigen Personen (vgl. S.13). Während Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen angestellt, ausser- die Kantone somit neu mehr Geld für die Betreuung von UMA dem wurde durch einen tieferen Betreuungsschlüssel eine eng- erhalten, sind gleichzeitig die Gesuche von unbegleiteten UMA maschigere Betreuung gewährleistet. Das Pilotprojekt wurde stark zurückgegangen. Im Jahr 2018 stellten rund 400 UMA von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ein Asylgesuch, verglichen mit über 2‘700 UMA im Jahr 2015. (ZHAW) wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Das Dem Kanton Bern wurden letztes Jahr neu 56 unbegleitete Staatssekretariat für Migration SEM prüfte anschliessend die minderjährige Asylsuchende zugewiesen, Ende Juli 2019 leb- im Evaluationsbericht genannten Empfehlungen und gab Mitte ten insgesamt 118 unbegleitete Minderjährige des Asyl- und Mai bekannt, dass es diese mehrheitlich umsetzen werde. Flüchtlingsbereichs im Kanton Bern. Sozialpädagogische Betreuung Ausschreibung im Kanton Bern Gemäss Aussagen des SEM in der NZZ vom 12.6.2019 sollen Im Kanton Bern werden minderjährige Asylsuchende aktuell sich in Zukunft in allen BAZ zusätzlich zum Betreuungsper- getrennt von den übrigen Asylsuchenden in separaten Unter- sonal je drei Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen um künften oder in Pflegefamilien untergebracht und betreut. Im die Minderjährigen kümmern. Das Betreuungsverhältnis der Auftrag des Kantons ist die Zentrum Bäregg GmbH seit 2015 für regulären Betreuenden soll bei 1:15 liegen (verglichen mit 1:50 die Unterbringung und Betreuung sowie die Ausrichtung der Sozialhilfe zuständig. An der separaten Unterbringung wird In Zukunft sollen unbegleitete im Rahmen der Neustrukturierung des Asylwesens (NA-BE) Minderjährige in allen BAZ von weiterhin festgehalten, um dem Kindesschutz und Kindeswohl Rechnung zu tragen. Der Auftrag für die Unterbringung und Sozialpädagoginnen und Sozialpä- Betreuung von UMA wird aber neu ausgeschrieben: Nachdem dagogen betreut werden. eine erste Ausschreibung aufgrund einer Beschwerde abgebro- chen wurde, erfolgte Anfang August die Neuausschreibung. Bis bei erwachsenen Asylsuchenden), Dolmetschende werden die Anfang September konnten interessierte Organisationen ihre Kinder und Jugendlichen bei Betreuungsgesprächen begleiten Angebote einreichen, am 1. Juli 2020 soll die Umsetzung mit und es wird eine unabhängige Aufsichtsbehörde eingesetzt. In dem mandatierten Partner starten – zeitgleich mit den übrigen Bezug auf die Unterbringung folgt das SEM den Empfehlungen Neustrukturierungen im Rahmen von NA-BE. der ZHAW hingegen nur bedingt. Diese hatte im Evaluations- bericht unter anderem separate Räumlichkeiten für UMA Medienmitteilung SEM: https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/ gefordert, zu denen erwachsene Asylsuchende keinen Zutritt aktuell/news/2019/2019-06-11.html haben. Dies ist offenbar aus baulichen Gründen nicht überall NZZ vom 12. Juni 2019, S. 15, https://www.nzz.ch/schweiz/ möglich. Das neue Betreuungs- und Unterbringungskonzept asylsuchende-jugendliche-und-kinder-werden-kuenftig-besser- betreut-ld.1488158 für UMA wird ab 1. Januar 2020 in allen sechs Asylregionen umgesetzt. AsylNews, 3/2019 12
Fachinformationen Integrationsagenda «Bern geht neue Wege» Mit Inkrafttreten der neuen Integrations agenda am 1. Mai erhalten die Kantone mehr Mittel für die Integration von Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen. In einem Umsetzungskonzept müssen die Kantone darlegen, wie sie die zusätzlichen Mittel einsetzen wollen. Bund und Kantone haben sich letztes Jahr auf eine gemeinsame Integrationsagenda (IAS) geeinigt, deren Ziel die raschere und nachhaltige Integration von Flüchtlingen und vorläufig aufge- nommen Personen ist. Die Umsetzung der IAS erfolgt im Rah- men der Umsetzung der kantonalen Integrationsprogramme KIP. Insgesamt wurden fünf Wirkungsziele in den Bereichen Sprache, berufliche Grundbildung, Arbeitsmarktintegration und soziale Integration vereinbart (vgl. AsylNews 2/18). Zur Erreichung dieser Ziele wird die vom Bund an die Kantone errichtete einmalige Integrationspauschale von 6‘000 auf 18‘000 Franken pro Person erhöht. Kantonale Umsetzungskonzepte Um von der erhöhten Pauschale profitieren zu können, müssen die Kantone ihre Umsetzungskonzepte beim Staatssekretariat für Migration (SEM) zur Prüfung einreichen. Im Juni hat der Das Berner Konzept zur Umsetzung der Integrations agenda wurde dem SEM zur Prüfung vorgelegt. Regierungsrat das Berner Konzept zur Umsetzung der IAS («Bern geht neue Wege») genehmigt, dieses wurde nun den verantwortlichen Stellen beim SEM zur Prüfung vorgelegt. Der Abschluss der Zusatzvereinbarung mit dem SEM wird bis Ende September erfolgen. Geplante Massnahmen Zur Erreichung der fünf Wirkungsziele sieht der Kanton Bern eine Vielzahl von Massnahmen vor, die der Stossrichtung von NA-BE entsprechen. Ein Fokus wird auf die Integration in den ersten Arbeitsmarkt gelegt, wobei auf bestehende Angebo- te aber auch auf neue Lösungsansätze gesetzt wird. Da das Umsetzungskonzept aufgrund der vorgängigen Prüfung durch das SEM noch nicht in seiner definitiven Fassung vorliegt, ver- zichten wir an dieser Stelle auf eine Übersicht zu den geplanten Neuerungen – dies wird im kommenden AsylNews von Mitte Dezember nachgeholt. Die vorläufige Version des Konzepts steht bereits jetzt zum Download bereit. Geschäftsnummer Regierungsrat: 2018.GEF.755 https://bit.ly/2KJ54ri 13
Fachinformationen Weniger Minderjährige in der Bundesrat ergriffen hat. Dieser hatte festgehalten, dass eine Inhaftierung nicht gesetzeskonform ist und hat die Kan- Administrativhaft tone entsprechend angewiesen, ihre Praxis anzupassen und für den Wegweisungsvollzug von Familien alternative Mög- Mehrmals im letzten Jahr hat sich die Politik lichkeiten zu prüfen. Sie kündigte jedoch an, die kantonalen mit der Administrativhaft von Minderjähri- Entwicklungen genauestens weiter zu beobachten, nachge- rade deshalb, weil sie bei der Praxis der Anordnung und dem gen auseinandergesetzt. Nun hat sowohl die Vollzug von Administrativhaft nach wie vor grosse kantonale Nationale Kommission zur Verhütung von Unterschiede festmacht. Die bisher ergriffenen Massnahmen Folter wie auch die Geschäftsprüfungskom- (Fachtagungen, Schulungen und Weisungen des SEM) r eichten mission des Nationalrats das Thema erneut nicht aus, um eine tatsächliche Harmonisierung herbeizufüh- ren. Die GPK-N fordert den Bundesrat deshalb auf zu prüfen, aufgegriffen. Die GPK-N macht bei der Anord- Im Juni letzten Jahres hat die Geschäftsprüfungskommissi- nung und dem Vollzug der Admi- on des Nationalrats (GPK-N) einen Bericht veröffentlicht, in dem sie die Praxis einzelner Kantone, Minderjährige unter 15 nistrativhaft nach wie vor grosse Jahre zusammen mit ihren Eltern in Administrativhaft zu neh- kantonale Unterschiede fest. men, scharf kritisierte (vgl. AsylNews 3/2018). Nachdem der Bundesrat im September 2018 zum Bericht der GPK-N Stellung inwiefern es möglich ist, die Kompetenzen über die Anordnung genommen und einige der Empfehlungen bereits umgesetzt und den Vollzug der Administrativhaft dem Bund zu übertra- hatte, veröffentlichte die GPK-N im Juli dieses Jahres nun einen gen. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesrat auf diese Auf- erneuten Bericht, in dem sie zur Antwort des Bundesrates Stel- forderung reagiert. lung nimmt. Weiterreichende Forderungen Mehr Kompetenzen für den Bund? Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), Bezüglich der Inhaftierung von Minderjährigen unter 15 Jah- die ebenfalls im Juli ihren jährlichen Bericht betreffend aus- ren zeigt sich die GPK-N zufrieden mit den Massnahmen, die länderrechtliches Vollzugsmonitoring veröffentlicht hat, Foto: Regionalgefängnis Thun Eine Mutter-Kind-Zelle im Regionalgefängnis Thun, die bis Juni 2018 für Mütter mit Kindern in Administrativhaft benutzt wurde. AsylNews, 3/2019 14
Fachinformationen geht noch etwas weiter. In ihrem Bericht widmet sie sich Asylzahlen: Global und in der nebst der Evaluation von zwangsweisen Rückführungen mit Sonderflügen auch der Anordnung und Durchführung von Schweiz Die NKVF zeigt sich zufrieden mit Weltweit waren 2018 erneut mehr Menschen der Tatsache, dass drei Kantone auf der Flucht als je zuvor. Gleichzeitig errei- seit dem letztjährigen Bericht auf chen immer weniger Geflüchtete Europa und die Inhaftierung von Minderjähri- die Schweiz. Eine grosse Mehrheit der neuen gen verzichten. «Asylgesuche» in der Schweiz ist zudem auf Geburten und Familienzusammenführun- Administrativhaft. Lobend erwähnt sie dabei, dass mehrere gen zurück zu führen. Kantone keine Administrativhaft von Minderjährigen vorse- Die Zahl der weltweit Vertriebenen hat im letzten Jahr einen hen würden, in den Kantonen Genf und Neuenburg ist dies erneuten Rekord geschlagen und wird auf 70,8 Millionen gar per Gesetz untersagt. Ebenfalls zufrieden zeigt sich die Menschen beziffert – vor 10 Jahren waren es noch 43 Milli- NKVF mit der Tatsache, dass drei Kantone (AG, VS, ZH) seit onen Menschen. Täglich werden 37‘000 Menschen durch dem letztjährigen Bericht auf die Inhaftierung von Minder- Verfolgung, gewaltsame Konflikte und Menschenrechtsver- jährigen verzichten. Eine entsprechende Motion im Kanton letzungen in die Flucht getrieben. Aus Sicht Europas scheint Bern wurde im vergangenen Juni vom Grossen Rat abgelehnt die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 hingegen überwun- (vgl. AsylNews 2/2019). Obwohl in der Schweiz die Admi- den. Während 2015 rund 1,4 Mio. Menschen in Europa um nistrativhaft bei 15-17jährigen Jugendlichen gemäss Gesetz Asyl ersuchten, waren es 2018 noch lediglich 664‘480, was erlaubt ist, empfiehlt die NKVF allen zuständigen Behörden, ungefähr dem Niveau von 2014 entspricht. Die erstinstanz- Minderjährige – ob unbegleitet oder im Familienverbund – lichen Asylentscheide haben in der gleichen Zeitspanne eine nicht in Administrativhaft zu nehmen. In seiner Antwort auf deutliche Verschärfung erfahren: Während 2015 noch 47,8% den Bericht der NKVF hielt der Fachausschuss Rückkehr und der Entscheide negativ ausfielen, wurden 2018 61,8 % der Wegweisungsvollzug des Bundes jedoch an dieser Praxis fest, Asylgesuche abgelehnt. mit der Begründung, dass solche Fälle sehr selten seien und vom Gesetz gestützt würden. Schweiz: Rückläufige Zahlen – unterbesetzte Zentren Diese rückläufigen Tendenzen bestätigen sich auch in der Stellungnahme des Bundesrats: https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/ home/aktuell/news/2018/2018-10-02.html Statistik des ersten Halbjahres 2019 der Schweiz. Von Januar Kurzbericht der GPK-N: https://www.parlament.ch/centers/docu- bis Juni 2019 wurden 7‘029 Asylgesuche in der Schweiz einge- ments/de/bericht-gpk-n-2019-07-02-d.pdf reicht, was einem Rückgang von rund 10 Prozent gegenüber Bericht der NKVF: https://www.nkvf.admin.ch/nkvf/de/home/publi- kationen/newsarchiv/2019/2019-07-04.html dem Vorjahr entspricht. Eritrea hat sich mit 1‘474 Asylgesuchen in diesem Jahr wieder an den ersten Platz der wichtigsten Her- kunftsländer gestellt, wobei diese Zahl trügerisch ist: Bei über 40 Prozent dieser «Asylgesuche» handelte es sich um Geburten von Kindern, deren Eltern sich im Asylprozess befinden. Wei- tere rund 40 Prozent kamen durch Familienzusammenfüh- rungen zustande. Die rückläufigen Zahlen wirken sich auch auf die Unterbringungsstrukturen aus, die unterbesetzt sind, was teilweise zu unverhältnismässig hohen Betriebskosten führt. Das Staatssekretariat für Migration liess nun verlauten, dass das Besondere Zentrum (BesoZ) in Les Verrières (NE) vorü- bergehend von September bis Dezember 2019 geschlossen werde, gleichzeitig wird die Suche nach einem zweiten BesoZ in der Deutschschweiz sistiert. Im BesoZ wurden Asylsuchende untergebracht, die den ordentlichen Betrieb der Bundeszent- ren stören. Seit der Eröffnung im Dezember 2018 wurden dem Zentrum lediglich 33 Personen zugewiesen. UNHCR Global Trends: https://www.unhcr.org/5d08d7ee7.pdf Asylstatistik SEM: https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publi- service/statistik/asylstatistik/archiv/2019/06.html EASO Annual Report on the Situation of Asylum in the EU: https:// www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-annual-report-2018- web.pdf 15
Sie können auch lesen