Bildung, Ausbildung, Fortbildung: Herausforderungen aus internationaler Perspektive - ifo Institut
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Andreas Schleicher* und Ludger Schuknecht** Bildung, Ausbildung, Fortbildung: Herausforderungen aus internationaler Perspektive Es gibt zwei internationale Megatrends, die für die Bildungspolitik in Deutschland und Europa von besonderer Relevanz sind. 1) Ein hohes Bildungsniveau bleibt der Garant für Wohlstand und Wachstum. Aber im internationalen Vergleich nehmen immer mehr asiati- sche Länder die Spitzenplätze bei den Erhebungen der OECD ein. Einige europäische Län- der fallen nicht nur relativ, sondern auch absolut zurück. 2) Der technische Fortschritt und insbesondere die Digitalisierung werden weiterhin die Arbeitswelt verändern und andere Kompetenzen als in der Vergangenheit erfordern. Gleichzeitig wird eine weiter wach- sende Lebenserwartung und Lebensarbeitszeit das lebenslange Lernen notwendiger denn je machen. Das bedeutet große Herausforderungen für die Bildungspolitik in Deutschland und international, die wir angehen müssen, um international an der Spitze zu bleiben. BILDUNG UND WOHLSTAND: SPITZE BLEIBEN ler erfasst. Darüber hinaus misst die OECD die Fähig keiten der Vorschulkinder und erfasst die Situation Die Rolle von Bildung und Kompetenzen und Motivation der Lehrer (TALIS) sowie die Kompe tenzen von Erwachsenen (PIACC). Wer Wachstum und Wohlstand von Gesellschaf Der Aus- und Aufbau der schulischen und beruf ten erklären und vorhersagen will, der kann sich im lichen Bildung und der damit einhergehende Fort Wesentlichen auf ein Thema konzentrieren, näm schritt im Bildungsniveau erklären einen erhebli lich Bildung und Kompetenzen (vgl. Schleicher 2018; chen Teil des Wachstums und des Aufholprozesses in Hanushek und Woessmann 2015).1 Auch das persön den Volkswirtschaften der Welt (vgl. Abb. 1). Hanus liche Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe hek und Woessmann nennen es Wissenskapital. Die hängen hiermit zusammen. PISA-Indikatoren für Schülerleistungen sind dafür Ohne Erkenntnis über die Stärken und Schwä besonders aussagekräftig. chen eines Bildungssystems ist es jedoch schwierig, Die Korrelation zwischen Wissenskapital und das Bildungssystem zu verbessern, und eine regel wirtschaftlicher Konvergenz zeigt sich in dieser Ab mäßige Bestandsaufnahme ist deshalb sinnvoll. bildung. Viele asiatische Volkswirtschaften kenn Dabei sind internationale Vergleichsstudien beson zeichnet ein hohes Bildungsniveau, das mit einem ders nützlich, weil wir dadurch von der Erfahrung rasanten wirtschaftlichen Aufholprozess einhergeht. anderer profitieren können, ohne nationale Beson Am anderen Ende des Spektrums liegen vor allem derheiten zu vernachlässigen. südamerikanische und einige andere Schwellen Die OECD ist deshalb von ihren Mitgliedsländern länder, die ein niedriges Bildungsniveau und wenig mit der internationalen Erhebung von Bildungs- und catching up kennzeichnet. Der größte Teil Europas Kompetenzniveaus beauftragt worden. Am bekann sowie Deutschland liegen im breiten Mittelfeld: mitt testen sind sicher die Ergebnisse der PISA-Studie, lere bis gute Bildung auf hohem Wohlstandsniveau die die kognitiven Leistungen der 15- jährigen Schü mit mäßiger Dynamik. Zu berücksichtigen ist dabei, dass bei PISA lediglich ein Teil der für wirtschaft * Andreas Schleicher ist Direktor des Direktorats für Bildung bei der OECD, Paris. lichen und sozialen Erfolg wichtigen Kompetenzen ** Ludger Schuknecht ist Stellvertretender Generalsekretär der gemessen wird. Würden weitere zentrale Bestand OECD, Paris. Wir danken Jens Fischer-Kottenstede, Manuel Loesel, Christian Luft, teile des Wissenskapitals berücksichtigt, wie z.B. Herbert Puels, Rainer Schulz und Ludger Wößmann für hilfreiche soziale Kompetenzen, Fremdsprachenkenntnisse, Kommentare und Julia Himstedt und Vincent Siegerink für ihre Un terstützung. oder politisches und wirtschaftliches Wissen, so 1 Günstige institutionelle Rahmenbedingungen und Rechtssicher wäre der Zusammenhang zwischen den PISA-Ergeb heit sind ebenfalls wichtig, weil sie tendenziell eine Voraussetzung für gute Bildung und ein hohes Kompetenzniveau sind (vgl. Acemo nissen und den wirtschaftlichen und sozialen Erträ glou und Robinson 2012). gen wahrscheinlich noch stärker. 20 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 1 Der rasante Anstieg des Wissenskapital und Wachstum Bildungs- und Kompetenz Wirtschaftswachstum niveaus in vielen Schwellen 7,0 ländern und insbesondere in SGP Asien ist mit einem ebenso 6,0 TWN rasanten Anstieg des globa KOR len Wohlstands, einem An 5,0 HKG PRT wachsen der globalen Mittel TUN THA CHN 4,0 MYS klasse und einem Rückgang CYP ITA ISL BEL IRN der extremen Armut einher- USA MAR IDN ESP FIN TUR CANIRL EGY 3,0 NOR BRA AUT FRA gegangen (vgl. Abb. 2 a–c). MEX GRC DNK AUS NLD CHE IND JPN SLV ISR GTM GBR SWE Seit 1960 hat sich das reale 2,0 PAN ZAF CHL DEU URY NZL VEN COL Pro-Kopf-Einkommen der PRY ARG GHA CRI PER ROM JOR Weltbevölkerung fast verdrei 1,0 ECU HND ZWE facht, von un ter 4 000 Dol BOL PHL 0,0 lar US-Dollar pro Kopf bis 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 auf fast 12 000 US-Dollar pro Bildungsleistungen Kopf 2017. Der Anteil der Be Anmerkung: Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in Prozent, 1960– völkerung in extremer Armut 2000. Bildungsleistungen: Leistungen in allen internationalen Mathematik- und Naturwissenschaftstests zwischen ist über den gleichen Zeit 1964 und 2003 in exponentiellen PISA-Punkten. Zusammenhang nach Herausrechnung weiterer Einflussfaktoren. Quelle: Basierend auf Hanushek und Woessmann (2015). © ifo Institut raum von 35% auf 10% gesun ken, während der Anteil der globalen Mittelklasse von ca. Abb. 2a 15% auf fast 50% gestiegen Weltweites Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist. Das sind wahrhaft ein 1960‒2017 drucksvolle Zahlen, und wei terer Fortschritt in Wohlstand Weltweites Bruttoinlandsprodukt ( 2010 in US -Dollar) 12 000 und Inklusivität bahnt sich an. Wenn man sich die 10 000 PISA-Ergebnisse noch etwas genauer anschaut, zeigen sich 8 000 viele Herausforde r ungen für Europa. Bei den mathemati 6 000 schen und naturwissenschaft 4 000 lichen Kompetenzen sind eine Reihe von asiatischen Län 2 000 dern den Europäern weit vor aus (vgl. Abb. 3). Die meisten europäischen Länder liegen 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 um den OECD-Durchschnitt. Quelle: World Bank national accounts data, and OECD National Accounts data files. © ifo Institut Es gibt zudem wenig Bewe Abb. 2b gung nach oben, wenn man Weltweite Rate der extremen Armut von Portugal absieht. 2015 lag 1981‒2015 Deutschland etwa 15 Punkte über dem Durchschnitt und Anteil der Menschen, die weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben (2011 PPPᵃ) 45 damit im europäischen obe 40 ren Mittelfeld. 35 Nach dem PISA-Schock 30 hatten sich die Ergebnisse 25 zwischen 2001 und 2006 20 deutlich verbessert. Aber vor allem seit 2012 stagnieren 15 sie oder gehen sogar 10 zurück. 2015 lag Deutsch 5 land 30 Punkte hinter Japan 0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 und 50 Punkte hinter Sin gapur. Letzteres entspricht ᵃ PPP = Purchasing Power Parity. Quelle: PovcalNet (online analysis tool), World Bank, Washington, DC, eineinhalb Schuljahren an http//iresearch.worldbank.org/PovcalNet. © ifo Institut Leistungsrückstand. ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 21
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 2c Da Wissenskapital in einer Die weltweite Mittelschicht wächst Gesellschaft aus der Summe 1950‒2030 aller Schülergenerationen Weltweite Mittelschicht als Weltweite Mittelschicht besteht und sich nur langsam Anteil der Weltbevölkerung Weltbevölkerung aufbaut, sind diese Ergebnisse % der Weltbevölkerung Personenanzahl in Billionen nicht ohne Brisanz. Wenn die 100 10 bisherigen Trends in absehba 80 8 rer Zeit so weitergehen, dann 60 6 wird Europa beim Wachs tum weiter zurückfallen und 40 4 beim Wohlstand seinen Vor 20 2 sprung einbüßen. Was das für die Zukunft von Gesellschaft, 0 0 Arbeit und Einkommen heißt, 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 ist klar: Die meisten europäi Quelle: Kharas, H. (2017), "The unprecedented expansion of the global middle class, an update", https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2017/02/global_20170228_global-middle-class.pdf. schen Länder werden nicht an Kharas, H. (2010), "The emerging middle class in developing countries", der Weltspitze bleiben. Und https://www.oecd.org/dev/44457738.pdf. © ifo Institut ob wir uns dann weiter den größten Wohlfahrtsstaat der Deutschland zählt laut PISA zu den Ländern mit Welt leisten können, ist fraglich. einem hohen Anteil an Zuwanderern und verzeichnet Es gibt weitere Herausforderungen für viele zudem seit einigen Jahren eine erneute, starke Zu europäische Länder, die nicht nur das Niveau, son wanderung mit Schwerpunkt aus den neuen EU-Mit dern auch die Leistungsspreizung betreffen. In vielen gliedsstaaten. Die daraus resultierende schnelle Ländern erreicht ein erheblicher Anteil der Jugend Zunahme der Heterogenität der Schülerschaft ist lichen nicht einmal das Mindestkomptenzniveau eine Herausforderung. Aber die Veränderungen (PISA-Kompetenzniveau 2), das für die Teilhabe an im sozioökonomischem Umfeld einschließlich des einer modernen Volkswirtschaft nötig ist (vgl. Abb. 4). Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund In Deutschland liegt der Anteil der Schüler unter dem erklären nicht den Mangel an Fortschritt. PISA-Kompetenzniveau 2 bei ca. 15%. Das ist besser Was den Abstand zur Spitzengruppe betrifft, als der OECD-Durchschnitt von 20%. Aber der Wert stimmt es, dass sich Japan von Deutschland durch ein liegt über dem Niveau der europäischen Spitzenlän sehr viel homogeneres sozioökonomisches Umfeld der Finnland und Estland und deutlich über dem von auszeichnet. In Singapur dagegen liegt der Anteil von Japan oder Teilen Chinas (ca. 5%). Der US-Anteil ist Schülern aus bildungsfernen Schichten oder Schü ähnlich wie der deutsche. Einige andere europäische lern mit Migrationshintergrund, die zuhause nicht Länder haben sogar deutlich höhere Raten von sehr die Unterrichtssprache sprechen, deutlich über dem schwachen Schülern. Aber das sollte kein Trost sein entsprechenden Anteil in Deutschland. In einigen und vergrößert nur die Herausforderung für Europa. leistungsstarken asiatischen Staaten, wie z.B. Japan Wie viel uns die hohe Zahl leistungsschwacher und Korea, leiden allerdings das Wohlbefinden der Schüler kostet, kann man ausrechnen (vgl. Hanushek Schüler, das in Deutschland im guten Mittelfeld liegt. und Woessmann 2015). Selbst in Singapur, dem Land mit den höchsten PISA-Leis Abb. 3 tungen, wäre der mögliche PisaErgebnisse Wohlstandsgewinn noch 86% Deutschland erzielt gute Testergebnisse, aber asiatische Länder sind starke Konkurrenten (PISA 15- des BIP über einen Zeitraum jährige SchülerInnen in Naturwissenschaften) von 80 Jahren, wenn auch die letzten 5% leistungsschwa Deutschland Japan Portugal OECD-Durchschnitt-34 Singapur cher Schüler auf das Mindest Punkte niveau kämen. In Deutsch 570 land, Großbritannien und 550 den USA sind die potenziel len Gewinne erheblich höher. 530 In Mexiko und der Türkei wür 510 den 4 bis 5 Jahreseinkommen 490 zusätzlich erwirtschaftet. Aber man kann den 470 Gedanken noch weiterspin 450 nen: Weil alle Schüler ein hö PISA 2006 PISA 2009 PISA 2012 PISA 2015 heres Bildungsniveau errei Quelle: OECD, PISA Database. © ifo Institut chen, würde das Angebot an 22 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 4 Anteil der Schüler ohne Mindestkompetenzniveau mehr Stabilität und Vertrauen Das Kompetenzniveau ist entscheidend für die Zukunftschancen (Pisa, Naturwissenschaften, 15-jährige SchülerInnen, 2015) entwickeln. Die positiven Beziehun Unter Level 1b Level 1b Level 1a Level 2 Level 3 Level 4 Level 5 Level 6 gen zwischen Bildung und Singapur 4 wirtschaftlichem und gesell Finnland 3 Japan 5 schaftlichem Wohlbefinden Estland 7 Irland 4 verdeutlichen einige weitere Macao (China) 12 Zahlen. Bürger mit hohem Bil Hongkong (China) 11 Deutschland 4 dungsniveau2 sind mit wesent Slowenien 7 lich höherer Wahrscheinlich Korea 8 Schweiz 4 keit in Beschäftigung und gut Russland 5 Niederlande 5 bezahlt. Das ist nicht über CABA (Argentinien) 0 raschend. Aber Bildungs Polen 9 Dänemark 11 bürger sind auch bei besse Australien 9 rer Gesundheit, gesellschaft Taiwan 15 Belgien 7 lich aktiver und effektiver Neuseeland 10 Kanada 16 und haben mehr Vertrauen in Spanien 9 Staat und Gesellschaft (vgl. Norwegen 9 Tschechische Republik 6 Abb. 5). Lettland 11 Damit zeigen sich die Her Schweden 6 Portugal 12 ausforderungen für unsere Frankreich 9 OECD-Durchschnitt 11 europäischen Gesellschaften, Island 7 um international nicht den Vereinigtes Königreich 16 Kroatien 9 Anschluss an die Spitze zu Litauen 10 verlieren: Ein Anheben des USA 16 Ungarn 10 Gesamtbildungsniveaus, die Österreich 17 Malta 2 Reduzierung des Anteils von Luxemburg 12 Schulversagern und eine stär Israel 6 Slowakische Repubik 11 kere Leistungsspitze. Was Italien 20 sollte man tun (oder nicht Griechenland 9 Rumänien 7 tun)? Moldavien 7 B-S-J-G (China) 36 Vereinigte Arabische Emirate 9 Prioritäten für Bildungs- Chile 20 Bulgarien 19 erfolg Albanien 16 Qatar 7 Vietnam 51 Überall auf der Welt sind die Montenegro 10 Lehrkräfte bemüht, durch Jordanien 14 Uruguay 28 ihren Unterricht die milieube Trinidad und Tobago 24 Türkei 30 dingte Benachteiligung eini Georgien 21 ger ihrer Schülerinnen und Kolumbien 25 Thailand 29 Schüler auszugleichen. Den FYROM 5 noch sind manche überzeugt, Costa Rica 37 Mexiko 38 dass Armut Schicksal ist. Die Tunesien 7 Peru 26 PISA-Ergebnisse zeigen aber, Brasilien 29 dass dies ein Irrglaube ist. Indonesien 32 Libanon 34 Es ist in keiner Weise vorbe Algerien 21 stimmt, wie gut oder schlecht Kosovo 29 Dominikanische Republik 32 Kinder aus unterschiedli -100% -80% -60% -40% -20% 0% 20% 40% 60% 80% 100% chen sozialen Gruppen in Anmerkung: Die Länge jedes Säulenabschnitts ist proportional zu dem Prozentsatz der 15-jährigen SchülerInnen der Schule oder im Leben der PISA-Stichprobe. Länder und Volkswirtschaften sind absteigend nach dem Anteil von SchülerInnen mit einem abschneiden. Testergebnis auf oder über Level 2 geordnet. Die Geschichte hat näm Quelle: OECD, PISA 2015 Database. © ifo Institut lich zwei Seiten. Einerseits leistungsschwacher, ungelernter Arbeit sinken und ist in allen PISA-Teil die Löhne steigen. Die Einkommensverteilung würde nehmerländern ein Zu sammenhang zwischen sich verbessern. Und wenn mit höherer Bildung dem sozialen Hintergrund der Schülerinnen und und mehr Gleichheit auch die Kriminalität ab und Schüler sowie der Schulen und den Lernergeb- die gesellschaftliche Partizipation zunimmt, dann 2 Niveau 4–5 im PIAAC Test für Bildungskompetenz der Erwachse könnte sich daraus eine positive Dynamik in Richtung nen. ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 23
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 5 und erwarten von allen Schü Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erfolg der Bildungsbürger lerinnen und Schülern, dass Wahrscheinlichkeit von positiven sozialen und wirtschaftlichen Resultaten bei Erwachsenen mit sie diesen gerecht werden. Sie hohen Bildungskompetenzen (internationaler Durchschnitt) nutzen Unterrichtsmethoden, Chancenverhältnis die es Schülerinnen und Schü 3,0 lern unabhängig von ihrem 2,8 2,6 sozioökonomischen Hinter 2,4 grund ermöglichen, auf die 2,2 für sie geeignetste und effek 2,0 1,8 tivste Art und Weise zu lernen. 1,6 Länder müssen in Bil 1,4 dung investieren, wenn ihre 1,2 1,0 Bürgerinnen und Bürger ein Hohes Hohe politische Teilnahme an Hohes Vertrauen Bestehendes Gute bis produktives Leben führen Einkommen Teilnahme ehrenamtlichen Beschäftigungs- exzellente Aktivitäten verhältnis Gesundheit sollen. Höhere Bildungsin Anmerkung: Chancenverhältnisse sind um die Faktoren Alter, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund vestitionen führen aber nicht bereinigt. Hohes Einkommen ist definiert als höhere Stundenlöhne als der Median der Stundenlöhne des Landes. automatisch zu besseren Quelle: Survey of Adult Skills (PIAAC) (2012). © ifo Institut Bildungsergebnissen. Der PISA-Studie zufolge nissen festzustellen – was für Lehrpersonal und besteht in den Ländern, die aktuell je Schüler im Schulen eine große Herausforderung darstellt Alter zwischen sechs und 15 Jahren weniger als (vgl. OECD 2016). Andererseits ist dieser Zusam 50 000 US-Doller investieren, zwischen den Aus menhang in den einzelnen Bildungssystemen gaben je Schüler und der Qualität der Lernerträge sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Dies ist ein ein starker Zusammenhang. In Ländern hingegen, Hinweis darauf, dass schlechte Noten sozial be deren Ausgaben diesen Betrag übersteigen – was auf nachteiligter Schülerinnen und Schüler nicht un die meisten OECD-Länder zutrifft –, besteht zwischen vermeidlich sind. In der PISA-Erhebung 2012 er- den Ausgaben je Schüler und den durchschnittlichen zielten die am stärksten benachteiligten 10% der Schülerleistungen kein Zusammenhang. 15-Jährigen in Shanghai bessere Mathematik- 15-jährige Schülerinnen und Schüler in Un ergebnisse als die am stärksten begünstigten 10% garn, wo je Schüler zwischen sechs und 15 Jahren der Schülerinnen und Schüler in den Vereinigten 47 000 US-Dollar aufgewendet werden, schneiden Staaten und immer noch bessere Leistungen als genauso gut ab wie Schülerinnen und Schüler in durchschnittliche Schüler in Deutschland (vgl. OECD Luxemburg, wo mehr als 187 000 US-Dollar je Schü 2013). Natürlich muss bei derartigen Vergleichen ler investiert werden, und zwar selbst nach Berei immer auch der Kontext berücksichtigt werden. In nigung von Unterschieden bei den Kaufkraftparitä einigen asiatischen Staaten leisten auch die Fami ten. Anders ausgedrückt, erzielt Luxemburg trotz der lien einen wichtigen Beitrag zu den Bildungsergeb viermal höheren Ausgaben keine besseren Bildungs nissen ihrer Kinder. ergebnisse als Ungarn. Wenn also die am stärksten benachteiligten Für den Bildungserfolg ist also nicht allein die Schülerinnen und Schüler in Estland, Shanghai und Höhe der Ausgaben maßgeblich, sondern ebenso, Vietnam genauso gute Leistungen erzielen wie der wie die bereitgestellten Mittel ausgegeben werden. Durchschnitt der Schüler in den westlichen Ländern, Dieses Ergebnis bestätigt sich aus makroöko warum sollten dann die am stärksten benachteilig nomischer Perspektive. Japan und Korea geben ten Kinder in diesen anderen Ländern nicht genauso nur etwas 3,5% des BIP für öffentliche Bildung gut abschneiden wie ihre Altersgenossen in Estland, aus. Damit erreichen sie ähnlich hohe Werte wie Shanghai und Vietnam? Kanada mit 5% oder Finnland mit 6,5% des BIP. Die Kinder aus ähnlichen so zialen Verhältnissen Bildungsausgaben sind also in diesen ostasiatischen erzielen manchmal sehr unterschiedliche Ergebnisse, Ländern wesentlich effizienter. Deutschland erreicht je nachdem welche Schule sie besuchen oder in wel ebenfalls gute PISA-Werte mit einem eher unter chem Land sie leben. Länder, in denen benachteiligte durchschnittlichen Ausgabenniveau, ist also recht Schülerinnen und Schüler in der Schule Erfolg haben, effizient. sind in der Lage, den Einfluss sozialer Ungleichheiten Der Effizienzaspekt wird oft vergessen, wenn abzuschwächen. Einigen dieser Länder gelingt es, die wir mehr Ausgaben für Bildung fordern. Aber mehr begabtesten Lehrkräfte für die schwierigsten Klassen Geld sollte auch etwas bewirken. Leider haben viele und die erfahrensten und fähigsten Schulleiterinnen Jahre des Ausgabenanstiegs kaum Auswirkungen und Schulleiter für die am stärksten benachteilig auf die Leistung gehabt, und das gilt für viele west ten Schulen zu gewinnen. Außerdem stellen sie ihren liche Länder. Ein Großteil der zusätzlichen Investi- Pädagogen die nötige Unterstützung zur Verfügung, tionen ging in kleinere Klassen. Sich für kleine Klas um erfolgreich zu sein. Sie setzen hohe Standards sen einzus etzen, kann politisch populär sein. Aller 24 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 6 Bildungsausgaben pro Schüler und PISA Ausgaben pro SchülerIn zwischen sechs und 15 Jahren und Kompetenzniveau in Naturwissenschaften Länder und Volkswirtschaften, deren kumulative Ausgaben pro SchülerIn weniger als 50 000 US-Dollar betrugen Länder und Volkswirtschaften, deren kumulative Gesamtausgaben pro SchülerIn mehr als 50 000 US-Dollar betrugen 600 Erbrachte Leistung in Naturwissenschaften (Punkteanzahl) Australien Singapur Deutschland 550 Japan Taiwan Finnland Kanada Niederlande Estland Korea Slowenien Vereinigtes Königreich R² = 0,01 Russland Neuseeland Dänemark Belgien Polen Portugal Irland 500 Norwegen Schweiz Litauen Spanien Frankreich Schweden USA Österreich Lettland Ungarn Luxemburg Kroatien Italien Israel Island Bulgarien Slowak. Republik Tschech. Republik Malta 450 Chile Uruguay Thailand Türkei Kolumbien Costa Rica Mexiko Georgien Montenegro 400 Peru Brasilien R² = 0,41 350 Dominikanische Republik 300 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Durchschnittsausgaben pro SchülerIn zwischen sechs und 15 Jahren (in 1 000 US-Dollar, PPP) Anmerkung: Nur Länder mit verfügbaren Daten sind dargestellt. Die dünne Linie stellt eine signifikante Korrelation (P < 0,10) dar. Die dicke Linie stellt eine nicht- signifikante Korrelation (P > 0,10) dar. Quelle: OECD, PISA 2015 Database. © ifo Institut dings gibt es keine internationalen Vergleichsda Lehrkräfte, Eltern und Bildungspolitiker bevorzu ten, die belegen würden, dass eine Reduzierung der gen kleine Klassen, da sie in ihren Augen der Schlüs Klassengröße der beste Weg ist, um bessere Ergeb sel zu einer besseren, stärker auf die Bedürfnisse nisse zu erzielen. Kleinere Klassen können vielmehr des Einzelnen zugeschnittenen Bildung sind. Unter bedeuten, dass hierfür Mittel ausgegeben werden, dem Druck der öffentlichen Meinung sowie demo die dann an anderer Stelle fehlen – z.B. für höhere grafischer Veränderungen wurden die Klassen- Gehälter, mit denen bessere Lehrkräfte bezahlt wer größen im Sekundarbereich I zwischen 2005 und den könnten. 2014 im OECD-Durchschnitt um 6% verringert (vgl. Es ist in der Tat so, dass die in PISA am besten OECD 2017). abschneidenden Bildungssysteme der Qualität der Die Lehrergehälter sind im Sekundarbereich I Lehrkräfte in der Regel Vorrang vor der Klassen in etwa demselben Zeitraum – zwischen 2005 und größe geben. Wenn sie zwischen kleineren Klassen 2015 – im OECD-Durchschnitt hingegen real nur und Investitionen in ihr Lehrpersonal wählen müs um 6% gestiegen. In einem Drittel der OECD-Län- sen, entscheiden sie sich für letztere. der sind sie sogar gesunken. Lehrkräfte im Sekund Es mag durchaus sein, dass Klassenverkleine arbereich I verdienen heute nur 88% dessen, was rungen Möglichkeiten für neue und effizientere andere Vollzeitkräfte mit Hochschulabschluss bezie Unterrichtsmethoden eröffnen und dass kleinere hen.3 Solange die Lehrergehälter nicht wettbewerbs Klassen bei sonst gleichen Bedingungen zu besse fähig sind, wählt so mancher potenziell gute Lehrer ren Ergebnissen führen. Diese Betrachtungsweise einen anderen Beruf. Oder die Lehrkräfte investie erweist sich aber häufig als falsch, denn schließlich ren nicht in ihre Weiterbildung. Tun sie es dennoch, kann jeder Euro oder Dollar nur einmal ausgegeben wechseln sie anschließend mit recht großer Wahr werden. Klassen verkleinern bedeutet, dass weni scheinlichkeit in andere Berufe, in denen ihr Fach ger Geld zur Verfügung steht, um die Lehrergehälter zu erhöhen, um Lehrkräften die Möglichkeit zu bie 3 Die Lehrergehälter im Verhältnis zu den Gehältern ganzjährig ten, auch anderes zu machen als nur zu unterrichten, Vollzeitbeschäftigter mit tertiärem Bildungsabschluss im Alter von oder um die Lernzeit der Schüler zu erhöhen. 25–64 Jahren werden anhand der durchschnittlichen Jahresgehälter (einschließlich Zulagen und Gratifikationen) von Lehrkräften zwi Trotz fehlender Belege für die Vorteile kleinerer schen 25 und 64 Jahren berechnet. Wegen Daten und Methoden vgl. Klassen bleiben sie in vielen Ländern eine Priorität. OECD (2017). ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 25
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 7 Lernzeit und Lernerfolg Lernzeit und Leistungsniveau in Naturwissenschaften (PISA) hängen nicht miteinander zusammen. Lernzeit nach der Schule (Stunden) Geplante Lernzeit in der Schule (Stunden) Punkteanzahl in Naturwissenschaften pro Lernzeitstunde Stunden Punkteanzahl pro Lernzeitstunde 70 16 15 60 14 50 13 40 12 11 30 10 20 9 8 10 7 0 6 Dänemark Tschech. Republik Lettland OECD-Durchschnitt Brasilien Montenegro Neuseeland Kanada Costa Rica Schweden Korea Chile Frankreich Slowak. Republik Kroatien Peru Österreich Belgien Israel Italien Schweiz Norwegen Taiwan Russland Estland Dominikanische Republik Tunesien Finnland Vereinigtes Königreich Bulgarien B-S-J-G (China) Japan Thailand Australien Slowenien Irland USA Griechenland Deutschland Niederlande Island Luxemburg Vereinigte Arab. Emirate Macau (China) Spanien Kolumbien Mexiko Portugal Uruguay Polen Litauen Ungarn Hongkong (China) Singapur Türkei Katar Quelle: OECD, PISA 2015 Database, Tabellen I.2.3, I.4.3, I.5.3, II.6.32 und II.6.41. © ifo Institut wissen besser genutzt, stärker gewürdigt und höher und Schüler hohe Standards erreichen können. Diese bezahlt wird. Überzeugungen machen sich häufig im Verhalten der Auch die Summe der Zeit, die Schüler in Unter Schüler und Lehrer bemerkbar. Es ist diesen Län- richt und Hausaufgaben investieren, ist kein guter dern gelungen, aus Systemen, die Talente sortie Indikator für hohe Bildungsleistungen. Finnische ren, Systeme zu machen, die Talente zur Entfaltung Schüler mit im Schnitt Topleistungen verbringen die bringen. geringste Zeit mit Schulbildung. Deutschland hat In vielen Bildungssystemen werden Schüle- auch eine hohe Inputeffizienz (vgl. Abb. 7). In man rinnen und Schüler mit unterschiedlichen Bedürf chen Ländern dagegen fallen schlechte Indikatoren nissen in einheitlicher Weise unterrichtet. Erst und hoher Zeitaufwand zusammen. klassige Schulsysteme begegnen den vielfältigen Bildungspolitiker können sich internationale Schülerb edürfnissen in der Regel mit differenzierten Vergleiche zunutze machen. Sie können verschie pädagogischen Ansätzen – ohne Abstriche an den dene Formen des Benchmarkings anwenden, indem Standards zu machen. Dort ist man sich bewusst, sie beispielsweise Unterschiede analysieren, die sie dass gewöhnliche Schülerinnen und Schüler außer in Bezug auf die Bildungsqualität, -gerechtigkeit und gewöhnliche Talente haben können, und der Un -effizienz gegenüber anderen Ländern beobachten. terricht wird nach individuellen Bedürfnissen ge Ferner können sie untersuchen, inwieweit die Unter staltet, so dass alle Schülerinnen und Schüler hohe schiede mit bestimmten Merkmalen der Bildungs Standards erfüllen können. Darüber hinaus rich systeme dieser Länder zusammenhängen. ten die Lehrkräfte in diesen Systemen ihre Anstren Eine erste Erkenntnis ist, dass die Politikverant gungen nicht nur auf den schulischen Erfolg ihrer wortlichen in leistungsstarken Bildungssystemen Schülerinnen und Schüler, sondern auch auf ihr ihre Bürger davon überzeugt haben, dass es sich Wohlbefinden. eher lohnt, mit Bildung in die Zukunft zu investieren, Nirgendwo ist ein Schulsystem besser als die als Geld für unmittelbare Leistungen und Konsum Lehrkräfte, die es beschäftigt. Ausgezeichnete Schul auszugeben, und dass es besser ist, in Bezug auf die systeme wählen und bilden ihre Lehrkräfte sorgfäl Qualität der Arbeit konkurrenzfähig zu sein als hin tig aus. Sie helfen Lehrkräften, die Schwierigkeiten sichtlich der Arbeitskosten. Deutschland hat in den haben, ihre Leistung zu verbessern und gestalten, letzten Jahren zu Recht die Förderung von Bildung, wie schon gesagt, die Lehrergehälter so, dass sie den Ausbildung und Fortbildung betont, um weiterhin an Berufsstandards entsprechen. Sie bieten ein Umfeld, der Spitze zu bleiben. Aber es wurde auch viel fiskali in dem die Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam an scher Spielraum für Konsum verbraucht, der uns viel guten Praktiken arbeiten, und ermutigen Lehrkräfte, leicht bald fehlen wird. sich beruflich weiterzuentwickeln. Dabei ist der hohe Stellenwert, den die Bildung Besonders leistungsstarke Schulsysteme legen genießt, nur eine Seite der Medaille. Die andere ehrgeizige Ziele fest, sie haben klare Vorstellun Seite ist die Überzeugung, dass jeder Schüler ler gen davon, wozu die Schülerinnen und Schüler in nen kann. In so unterschiedlichen Ländern wie Est der Lage sein sollten, und ermöglichen es den Lehr land, Kanada, Finnland und Japan sind Eltern und kräften herauszufinden, welches Rüstzeug sie brau Lehrkräfte davon überzeugt, dass alle Schülerinnen chen, um ihren Unterricht zu gestalten. Sie sind von 26 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 8a Leistungsschwäche und frühkindliche Bildung Verteilung von 15-jährigen SchülerInnen mit niedrigem Kompetenzniveau im Verhältnis zu verbrachten Jahren in frühkindlicher Bildung (PISA 2015) 0 bis 1 Jahr 1 bis 2 Jahre 2 bis 3 Jahre 3 Jahre oder älter % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Bulgarien Lettland Finnland Singapur Italien Island Luxemburg Tschech. Republik Katar Thailand Peru Hongkong (China) Uruguay Japan Zypern Taiwan Griechenland Slowak. Republik Russland Vereinigtes Königreich Türkei Montenegro Belgien Mexiko Schweiz Dänemark Schweden Kanada Deutschland Brasilien Tunesien Chile Norwegen Costa Rica Estland Korea Kroatien Spanien Österreich Kolumbien Vereinigte Arab. Emirate Australien B-S-J-G (China) OECD-Durchschnitt Israel Portugal Dominikanische Republik Frankreich Ungarn Irland Slowenien USA Litauen Neuseeland Macao (China) Anmerkung: Länder und Volkswirtschaften sind aufsteigend nach dem Anteil der SchülerInnen mit niedrigem Kompetenzniveau geordnet, die an keiner oder weniger als einem Jahr an frühkindlicher Bildung (ISCED 0) teilgenommen haben. Quelle: OECD (2017a), PISA online education database, OECD, Paris, http://www.oecd.org/pisa/data/. © ifo Institut administ rativer Kontrolle und Rechenschaftslegung eine qualitativ hochwertige Bildung, so dass jeder abgekommen und auf professionelle Formen der Schüler einen exzellenten Unterricht genießt. Hier Arbeitsorganisation übergegangen. für gewinnen diese Länder die besten Schulleiter für Sie ermutigen ihre Lehrkräfte dazu, innovativ zu die schwierigsten Schulen und die talentiertesten sein, ihre eigenen Leistungen und die ihrer Kollegen Lehrkräfte für die schwierigsten Klassen. zu steigern und an beruflichen Weiterbildungsmaß Besonders wichtig für die Verhinderung nahmen teilzunehmen, die ihre Unterrichtspraxis von Schulversagen oder Schulabbrechern erscheint verbessern. In besonders leistungsstarken Schulsys die frühkindliche Bildung. Der Anteil an Kin- temen geht es weniger darum, den Blick innerhalb dern, die bei PISA nicht das Mindestniveau er- der Verwaltung des Schulsystems nach oben zu rich reichen, ist wesentlich geringer, wenn Kinder ten. Vielmehr geht es darum, den Blick nach außen zu den Kindergarten besucht haben (vgl. Abb. 8a). richten, auf die Kollegen und Schulen nebenan, um Für den OECD-Durchschnitt ist die Wahrschein- eine Kultur der Zusammenarbeit und starke Innova lichkeit, ungenügende PISA-Werte mit drei Jah tionsnetzwerke zu schaffen. ren Kindergarten zu erreichen, weniger als 10%. Mehr Autonomie für Schulen und Lehrer bedeu Bei weniger als einem Jahr liegt er jedoch bei 20%, tet höhere Werte in den Naturwissenschaften. Das und in vielen Ländern ist der Unterschied noch gilt aber eher in Industrieländern als in armen Län viel größer. dern, und nur dann, wenn die Abb. 8b Anreize stimmen. Account Frühkindliche Bildung und Bildungsleistungen in Naturwissenschaften ability, also Rechenschafts Eintrittsalter in frühkindliche Bildung und Kompetenzniveau in Naturwissenschaften (PISA) pflicht gegenüber Schulträ nach sozioökonomischem Status gern, sowie Autonomie über Niedriger sozioökonomischer Status Ressourcenverwendung, den Niedriger bis mittlerer sozioökonomischer Status Lehrplan, Disziplin und Leis Leistungsniveau in Mittlerer bis hoher sozioökonomischer Status tungsbewertung scheinen Naturwissenschaften Hoher sozioökonomischer Status 580 besonders wichtig. Auch zent rale Standards und Leistungs 530 überprüfungen sind tenden ziell mit deutlich besseren 480 PISA-Ergebnissen verknüpft (vgl. Hanushek und Woess 430 mann 2013). 380 Die am besten abschnei 1 Jahr oder 2 Jahre 3 Jahre 4 Jahre 5 Jahre 6 Jahre denden Schulsysteme bie jünger Eintrittsalter in frühkindliche Bildung ten allen Schülerinnen und Schülern im gesamten System Quelle: OECD (2017a), PISA online education database, OECD, Paris, http://www.oecd.org/pisa/data/. © ifo Institut ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 27
FORSCHUNGSERGEBNISSE Allerdings scheint frühkindliche Bildung nicht dem technischen Fortschritt hervorgehen wird, auch unbedingt die sozial Schwachen überproportional wenn es historisch betrachtet bislang stets der Fall zu begünstigen. Eher steigen die Leistungen aller war. Die Kinder, die mit einem großartigen Smart Gruppen von einem unterschiedlichen Niveau um phone, aber schlechter Bildung aufwachsen, werden einen ähnlichen Wert an, nach dem Motto »early sich beispiellosen Herausforderungen gegenüber childhood education lifts all boats« (vgl. Abb. 8b). Für sehen. Uns Gedanken über die Bildung zu machen, die Gruppe von Kindern mit einem niedrigen Sozial die diese Kinder benötigen, ist das Mindeste, was wir status bedeuten drei Jahre Kindergarten ca. 60 PISA- nun tun können. Punkte mehr. Das ist enorm viel, aber der Anstieg ist Vor der industriellen Revolution spielten für die »nur« von 390 auf 450 im Schnitt. Für die Gruppe mit überwiegende Mehrheit der Menschen weder Bil hohem Sozialstatus ist der Anstieg noch ein bisschen dung noch Technik eine große Rolle. Als in jener Zeit größer, von knapp 480 auf 550. Dies entspricht der jedoch der technische Fortschritt der Bildung plötz PISA-Spitzengruppe auf Länderebene. lich davongaloppierte, blieben die Menschen in gro Nicht zuletzt ist es in allen leistungsstarken Sys ßer Zahl zurück. Unermessliches soziales Leid war temen in der Regel so, dass Bildungspolitik und Bil die Folge (vgl. Goldin und Katz 2007). Es dauerte ein dungspraxis im gesamten Schulsystem aufeinander Jahrhundert, bis die staatliche Politik mit schrittwei abgestimmt sind. Es wird gewährleistet, dass die sen Maßnahmen reagiert hatte, um jedem Kind den Maßnahmen über längere Zeiträume konsistent blei Zugang zu schulischer Bildung zu ermöglichen. Dieses ben und konsequent umgesetzt werden. Ziel ist heute für einen Großteil der Welt zum Greifen nahe. Inzwischen hat sich die Welt jedoch verändert, DIGITALER FORTSCHRITT IN ALTERNDEN und weder der Zugang zu schulischer Bildung noch GESELLSCHAFTEN: INNOVATIV UND ANPAS- ein Schulabschluss sind Erfolgsgaranten. Im Digital SUNGSFÄHIG BLEIBEN! zeitalter läuft der technische Fortschritt den Kompe tenzen der Menschen erneut davon. Bildung und Digitalisierung: Chancen und Herausforderungen Prioritäten für Digitalisierung und Bildung Seit dem Beginn der industriellen Revolution hat Wie meistern wir die Digitalisierung, und technischer Fortschritt unsere Gesellschaft und welche Rolle spielen dabei Bildung, Ausbildung und Arbeitswelt ständig verändert. Ob dies heute schnel Fortbildung? Deshalb zunächst die Frage: Was be- ler geschieht als früher, ist unklar, denn wir unterlie deutet die Digitalisierung für die Nachfrage nach gen alle dem Trugschluss, dass die Zeit schneller ver Arbeit und Kompetenzen? Es wird erwartet, dass geht, wenn man älter wird. Das Produktivitätswachs Computer in naher Zukunft vieles besser können als tum – Ausdruck des technischen Fortschritts in der Menschen mit mittlerem Qualifikationsniveau. Nur Wirtschaft – ist in den letzten Jahrzehnten eher Tätigkeiten, die hohe nicht algorithmisierbare Kom zurückgegangen. Daran hat auch die Digitalisierung, petenzen erfordern, lassen sich (noch) nicht compu eine der umwälzendsten Veränderungen seit Beginn terisieren. Unser Bildungssystem wird sich deshalb der industriellen Revolution, nichts geändert. Und darauf eistellen müssen, und unsere Anpassungs gleichzeitig altern unsere Abb. 9 Gesellschaften massiv, weil Veränderungen in der Arbeitswelt durch Digitalisierung. wir alle viel länger leben und Unsere Jobs verändern sich und erfordern mehr digitale Kompetenzen. Fast die Hälfte aller Jobs die geburtenstarken Jahr könnte von Automatisierung betroffen sein. gänge in Rente gehen. Risiko einer signfikanten Veränderung (50‒70%) Unsere Bildungssysteme Hohes Risiko der Automatisierung (> 70%) % haben mit den Veränderun 70 gen und Herausforderungen 60 50 in der Vergangenheit Schritt 40 gehalten und waren oft sogar 30 Vorreiter. Dennoch stellt sich 20 die Frage, ob das weiterhin 10 so bleibt und ob unser Sys 0 Finnland Italien Singapur Spaien Tschech. Republik Japan Niederlande Slowak. Republik Vereinigtes Königreich Belgien Slowenia Türkei Schweden Dänemark Kanada Deutschland Russian Federation Chile Norwegen Estland Korea Österreich Grichenland Australien Israel OECD Durchschnitt Frankreich Irland Polen USA Litauen Neuseeland tem aus Bildung, Ausbildung und Fortbildung den heuti gen, geänderten Anforderun gen weiter angepasst werden muss. Es gibt keine Garantie, Quelle: Basierend auf OECD (2012; 2015), Survey of Adult Skills (PIAAC) (database), www.oecd.org/skills/piaac/publicdataandanalysis/ Nedelkoska, L. und G. Quintini (2018), dass Bildung weiterhin als Automation, skills use and training, OECD Social, Economic and Migration Working Papers, No. 202, Sieger aus dem Rennen mit OECD Publishing, Paris. © ifo Institut 28 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE fähigkeit an den technischen Wandel muss sich biet weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden. verbessern. Innovative und kreative Menschen verfügen in der Computer und ICT (information and compu- Regel in einem Wissensbereich oder einem Hand ting technology) werden zunehmend kognitive und werk über ganz besondere Fertigkeiten. Beim schu manuelle Routinetätigkeiten der Menschen über lischen Erfolg geht es deshalb nicht mehr um die nehmen. Ähnlich wie Maschinen die Fließbandarbeit Wiedergabe inhaltlichen Wissens, sondern darum, verändert und ersetzt haben, werden Computer und auf der Basis unserer Kenntnisse zu extrapolie ICT so manche Routinearbeit im Büro übernehmen ren und dieses Wissen in neuen Situationen kre oder erleichtern. Die OECD schätzt, dass 15% aller ativ anzuwenden. Es geht auch um fächerüber- gegenwärtigen Jobs durch Digitalisierung bedroht greifendes Denken. Jeder kann Informationen sind und ein weiteres Drittel von ihr stark verän im Internet suchen (und in der Regel auch fin- dert werden (vgl. Abb. 9). Deutschland liegt dabei im den); honoriert werden nunmehr die Leistungen der Mittelfeld. jenigen, die etwas mit diesem Wissen anzufangen Diese Perspektive heißt jedoch nicht, dass es wissen. unbedingt weniger Arbeit geben wird. Andere Kom Die PISA-Ergebnisse zeigen, dass die vom Aus petenzen werden zunehmend nachgefragt. Jobs, die wendiglernen dominierten Lernstrategien den einen hohes Maß an ICT-Kompetenzen, sowie Aus Schülerinnen und Schülern immer weniger hel drucks- und Argumentationsfähigkeit erfordern, fen, wenn die Aufgaben, die sie lösen müssen, kom Jobs mit analytischen, kreativen und sozialen Kompe plexer werden und ihnen mehr analytische Nicht tenzen entstehen komplementär zur Digitalisierung routine-Fähigkeiten abverlangen (vgl. Nathan, und sind kaum ersetzbar. Sie sind schon heute häufig Pratt und Rincon-Aznar 2015). Lernstrategien, die auf Mangelberufe. Auf der anderen Seite werden der Erarbeitung von Inhalten ber uhen – also auf dem bestimmte Berufsbilder besonders negativ betrof- Prozess der Verknüpfung neuen Wissens mit bereits fen sein, wenn der Anteil der ICT und Nicht-Routine bekanntem, des divergierenden und kreativen Nach tätigkeiten gering ist (vgl. Abb. 10). denkens über neue Lösungen oder über Möglichkei Für Bildungssysteme besteht das Dilemma ten zur Übertragung von Wissen – helfen den Schüle darin, dass die kognitiven Routinekompetenzen, rinnen und Schülern bei der Lösung der anspruchs die sich am einfachsten vermitteln und überprü volleren PISA-Aufgaben. Und sie werden besser auf fen lassen, zugleich auch jene sind, die sich am ein die Welt von morgen vorbereitet sein. fachsten digitalisieren, automatisieren und ausla Die Arbeit der Zukunft wird die Intelligenz von gern lassen. Es steht außer Frage, dass hochaktuelle Computern mit den kognitiven, sozialen und emo Kenntnisse und Kompetenzen auf einem Fachge tionalen Kompetenzen kombinieren. Es wird dann Abb. 10 Effekt der Digitalisierung auf verschiedene Berufe Intensität von ITC und Nicht-Routinetätigkeiten je nach Berufsfeld 25. Perzentil Median 75. Perzentil 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten intensiv in Nicht-Routinetätigkeiten ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv ICT- intensiv Führungskräfte Fachpersonal TechnikerInnen Bürofachkräfte Arbeitskräfte in Fachkräfte in Fachkräfte im Fabrik- und Gering- und technische und Sach- Dienstleistungs- Landwirtschaft, Handel und im Maschinenfach- qualifizierte Facharbeitskräfte bearbeiterInnen gewerbe und Forstwirtschaft Handwerk kräfte und Beschäftigung im Verkauf und Fischeri Montagearbeiter Anmerkung: Für jede Berufsgruppe zeigt das Schaubild das 15., das 50. (Median) und das 75. Perzentil der Verteilung der nicht -routinemäßigen und ICT-intensiven Indikatoren aller Arbeitskräfte derjenigen Berufsgruppe in dem Land. Zum Beispiel hat eine Führungskraft innerhalb des 15. Perzentils eine ICT-Intensivität von 0,7, wohingegen eine Führungskraft innerhalb des 75. Perzentils eine ICT-Intensivität über 0,85 hat. Geringqualiftzierte Beschäftigung weist die geringste ICT- und Nicht-Routine-Intensität in dieser Abbildung auf. Quelle: OECD-Berechnungen basieren auf OECD (2012[1]) and OECD (2015[2]), Survey of Adult Skills (PIAAC), www.oecd.org/skills/piaac/publicdataandanalysis. © ifo Institut ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 29
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 11 lediglich Inhalte anzueignen Problemlösungsfähigkeit in technikaffinen Umgebungen, nach Alter, 2012 oder 2015 (»wissen, was«), die rasch ver Prozentsatz der 16- bis 65-Jährigen mit Testergebnissen auf Level 2 und 3 in jeder Altersgruppe alten. Im Bereich der Mathe Gesamtheit 16‒25 Jahre alt 55‒65 Jahre alt matik müssen die Schülerin % 70 nen und Schüler beispiels 60 weise wissen, wie und warum 50 wir Mathematik lernen (epi- 40 stemische Überzeugungen), 30 mathematisch denken kön 20 nen (epistemisches Verständ 10 nis) und die in der Mathematik 0 üblichen Verfahren begreifen (methodisches Wissen). Deut Kanada Estland Vereinigtes Königreich Slowenien Griechenland Korea Finnland Russische Föderation Slowak. Republik Schweden Niederlande Irland Polen Norwegen Litauen Dänemark USA Australien Tschech. Republik Österreich Deutschland Israel Chile Belgien Türkei Neuseeland Japan sche Schüler haben in letzte ren Bereichen größere Schwä chen, anders als beim mathe matischen Fachwissen. Die erwerbstätige Bevöl Quelle: OECD-Berechnungen basieren auf Survey of Adult Skills (PIAAC) Database, September 2018. © ifo Institut kerung ist sich dieses Fortbil dungsbedarfs durchaus be auf unsere Innovationsfähigkeit und unser Verant wusst. Über alle Bildungsschichten sehen 25–35% wortungsbewusstsein ankommen, um die Möglich der Beschäftigten mit wenig ICT-Bezug mehr Bedarf keiten der künstlichen Intelligenz zur Veränderung an Training. Für ICT-intensive Tätigkeiten liegt dieser der Welt zum Besseren zu nutzen. Dies wird die Men Anteil um die 40%. schen in die Lage versetzen, neue Werte zu schaffen, Leider ist jedoch die Beteiligung am Training und neue schöpferische Prozesse des Gestaltens, am geringsten, wo der Anpassungsbedarf am größ Erzeugens und Formulierens zu beherrschen. Damit ten ist. Nur 5–25% der Arbeitnehmer mit niedri können wir Ergebnisse hervorbringen, die innovativ, gem Bildungsstand nahmen im Jahr 2015 an Trai neu und originell sind und einen inhärent positiven ningsprogrammen teil, während der Anteil der Wert haben. Es setzt unternehmerische Init iative im hochgebildeten in vielen Ländern um die 50% weitesten Sinne voraus: die Bereitschaft, den Ver lag (vgl. Abb. 12a). Deutschland liegt im Mittelfeld. such zu wagen, ohne Angst vor dem Scheitern zu Fortbildung ist auch dort weniger verbreitet, haben. wo die Digitalisierungsrisiken am größten sind. In Aus diesem Blickwinkel ist es nicht über Sektoren mit niedrigen Automatisierungsrisiken raschend, dass die Beschäftigung in Europas Krea haben immerhin ca. 60% der Beschäftigten an Fort tivwirtschaft, d.h. in Wirtschaftszweigen, die sich auf bildung teilgenommen (vgl. Abb. 12b). In Sektoren die Nutzung von Begabungen für kommerzielle Zwe mit hohen Risiken liegt dieser Anteil nur bei ca. 40% cke spezialisiert haben, im Schlüsselzeitraum 2011– im Durchschnitt. Nordische und einige angelsäch 2013 ein Wachstum von 3,6% verzeichnete – zu einer Zeit, Abb. 12a als viele Wirtschaftszweige in Geringqualifizierte Arbeitskräfte nehmen mit geringerer Wahrscheinlichkeit an Europa Arbeitsplätze abbau Weiterbildungsmaßnahmen teil ten oder die Beschäftigungs Anteil der Arbeitnehmer, die an Weiterbildungsmaßnahmen innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit im vorherigen Kalenderjahr teilgenommen haben, nach Literalitätsgrad (%) quoten bestenfalls stagnier ten. In mehreren führenden Auf oder unter Level 1 Level 4/5 % europäischen Ländern über 100 holte das Wachstum bei den 80 Kreativjobs den Beschäfti gungszuwachs in anderen 60 Sektoren, darunter im Verar 40 beitenden Gewerbe. 20 Je rascher sich die Inhalte eines Fachgebiets fortentwi 0 Griechenland Slowenien Estland Frankreich Kanada OECD Durchschnitt Korea Slowak. Republik Finnland Litauen Polen Spanien Schweden Irland Niederlande Flandern (Belgien) England/N. Irland (UK) Norwegen USA Österreich Australien Dänemark Israel Tschech. Republik Türkei Deutschland Chile Singapur Neuseeland Italien Japan ckeln, desto wichtiger ist es zudem, dass die Schülerinnen und Schüler die strukturel len und konzeptuellen Grund lagen eines Fachs verstehen (»wissen, wie«), statt sich Quelle: OECD, PISA. © ifo Institut 30 ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 12b hohe Sozialleistungen genie Teilnahme an berufsrelevanter Weiterbildung für Erwachsene, nach Risiko der ßen wollen, und darauf sollten Automatisierung wir uns und unser Bildungs Anteil der Arbeitnehmer, die an Erwachsenenbildung teilgenommen haben (letzten zwölf Monaten) system einstellen. Signifikantes Risiko Geringes Risiko Was sind die größten Hin % 80 dernisse, für Bildung, Fortbil 70 dung und lebenslanges Ler 60 nen? Angebots s eitig gibt es 50 in vielen Ländern keine über 40 greifende Strategie, die die 30 verschiedenen Herausforde 20 rungen berücksichtigt. Es 10 gibt viele Akteure beim Staat, den Sozialpartnern und in 0 der Wirtschaft, deren Aktiv i Griechenland Estland Slowenien Frankreich Vereinigtes Königreich Kanada Korea Slowak. Republik Finnland Polen Zypern Schweden Irland Spanien Litauen Niederlande Norwegen USA Dänemark Österreich Israel Tschech. Republik Deutschland Chile Türkei Belgien Singapur Neuseeland Italien Japan täten oft nicht aufeinander abstimmt sind. Die Inhalte und Methoden sind oft nicht auf dem neuesten Stand. Nachfrageseitig haben Quelle: OECD. © ifo Institut OECD-Erhebungen ergeben, dass es meistens nicht die Kos sische Länder stehen am besten da, Deutschland ten sind, die Beschäftigte von der Fortbildung abhal ist überdurchschnittlich. Für einige Schwellen- und ten. Dagegen spielt der Zeitmangel eine große Rolle. Industrieländer sind die Indikatoren jedoch recht Hier zeigt sich vielleicht ein Bedarf an mehr Langfris besorgniserregend. torientierung bei vielen Arbeitgebern und -nehmern. Die Herausforderungen der Digitalisierung müs Zudem scheinen mittlere und große Unternehmen sen mit den Herausforderungen für unsere altern besser vorbereitet, wenn es um bedarfsorientierte den Gesellschaften zusammen gesehen werden. Die Fortbildung geht (vgl. OECD 2019, Skills Strategy, Notwendigkeit von Fortbildung und lebenslan- z.B. Abb. 6.5). gem Lernen wächst mit einer längeren Lebensar beitszeit. Das wäre auch ohne Digitalisierung so. POLITIKIMPLIKATIONEN Nur wenn wir unsere Produktivität weiter erhöhen und über ein längeres Arbeitsleben erhalten, blei- Was sind die wichtigsten Ergebnisse? Erstens, wenn ben unsere Sozialversicherungssysteme mit ange wir international in der wirtschaftlichen Dynamik messener Rente, Gesundheitsversorgung und Pflege und dem Wohlstand Spitze bleiben, die Chancen finanzierbar (vgl. Schuknecht und Zemanek 2018). gerechtigkeit verbessern und dabei unsere sozialen Die Dramatik der Bevölkerungsalterung zeigt Errungenschaften erhalten wollen, müssen wir uns sich besonders deutlich im internationalen Vergleich. an den besten Partnerländern orientieren. Und die Während heute in Deutschland auf jeden Bürger über sind zunehmend in Asien! 65 drei Bürger im erwerbsfä higen Alter (gemessen 15–65) Abb. 13 kommen, so sind es in 30 Jah Alterung der Bevölkerung ren nur noch knapp zwei (vgl. Altersbedingtes Abhängigkeitsverhältnis (Anteil der 65+/15‒64 pro 100 Personen) Abb. 13). Italien, Japan und 2015 2050 Korea werden eine noch dra matischere Alterung erfahren. Frankreich In Frankreich und den USA Deutschland wird die Situation nur mäßig Italien besser sein. Schon heute kom Japan men in Deutschland auf jeden Korea Rentner nur zwei Erwerbs Vereinigtes Königreich tätige. Diese Zahl könnte in USA den nächsten 30 Jahren auf China wenig über eins sinken, wenn EU 28 wir nicht alle deutlich län 0 10 20 30 40 50 60 70 80 % ger arbeiten. Bis 2050 ist die Anmerkung: Das altersbedingte Abhängigkeitsverhältnis ist als Anzahl von 65-jährigen Personen und über Rente mit 70 wahrscheinlich 100 arbeitende Personen zwischen 20 und 64 Jahren definiert. die Norm, wenn wir weiterhin Quelle: United Nations, World Population Prospects – 2017 Revision. © ifo Institut ifo Schnelldienst 15 / 2019 72. Jahrgang 8. August 2019 31
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