Brief aus Moritzburg an die Mitglieder und Freunde des Vereins Ev.-Luth. Diakonenhaus Moritzburg e.V.
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Brief aus Moritzburg an die Mitglieder und Freunde des Vereins Ev.-Luth. Der Umgang mit Krisen Diakonenhaus Moritzburg e.V. Ev.-Luth. Diakonenhaus Morizburg e.V. - 01468 Moritzburg - Schlossallee 4 Frühjahr 2021
Inhalt S. 3 - Editorial S. 4 - Das gute Wort - zur Jahreslosung - Diakon Klaus Tietze Impressum Brief aus Moritzburg ˝ ˝ S. 5 - Theologischen Gedanken zum Begriff Krise Herausgeber und Verleger: Ev.-Luth. Diakonenhaus Moritzburg e.V. - Prof. Dr. Thomas Knittel, Vorsteher Schlossallee 4 - 01468 Moritzburg S. 10 - Selbstfürsorge in Zeiten der Krise - Diakon Matthias Unger Tel.: 035207 83-0 - Fax: 035207 83-250 E-Mail: sekretariat@diakonenhaus-moritzburg.de S. 18 - Gemeinde in der Krise!? - Pfarrerin Almut Klabunde Homepage: www.diakonenhaus-moritzburg.de S. 21 - Kirchenmusik in Coronazeiten - Kantorin Barbara Albani Fotos: Die jeweiligen Autoren, Titelbild und S. 7 Pixelio, S. 4, 9, 21, 28, und Dr. Matthias Albani 33 freepik.com, S. 23 youtube, S. 26 dpa S. 26 - Telefonseelsorge: Bei Einsamkeit Anruf Redaktionskreis: Friedemann Beyer, Stefanie Tatz, - Diakon Gerald Demmler Evelyn Winkelmann S. 29 - Erfahrungen in der Notfallseelsorge - Diakon Christoph Jung Redaktionsschluss: 28. Februar 2021 S. 32 - Corona auf dem Diest-Hof Seyda - Diakon Andreas Gebhardt Druck: Druckerei Thieme Meißen GmbH S. 35 - Das Diakonenhaus, seine Krisen und der Umgang damit Spendenkonto: - Diakon Christoph Wolf Ev.-Luth. Diakonenhaus Moritzburg e.V. S. 39 - Treffen zur 2.Weg-Rüstzeit - Renate Köhler Bank für Kirche und Diakonie - LKG Sachsen eG S. 41 - Einsegnung on tour - Diakon Friedemann Beyer Kto-Nr. 16 11 220 053, BLZ 350 601 90 S. 42 - Das Schulleben an der ESM in der Pandemiezeit IBAN DE11 3506 0190 1611 2200 53 - Schüler des 1. Ausbildungsjahrgangs BIC GENODED1DKD 2 S. 48 - Die neuen Kandidaten stellen sich vor ...
Editorial Liebe Schwestern und Brüder, ßen wurden. Aber auch, welche kreativen Ideen entwi- liebe Freundinnen und Freunde ckelt wurden, um aus der Not die sprichwörtliche Tugend des Diakonenhauses Moritzburg! zu machen und welche neuen Projekte entstanden sind, die es ohne die Krise niemals gegeben hätte. Und wenn wir eines in dieser Zeit gelernt haben, dann ist es, wie In den Tagen, als dieser Brief aus Moritzburg entsteht, er- wichtig die Gemeinschaft ist und wie sehr wir unsere Mit- leben wir ein fragwürdiges Jubiläum. 1 Jahr Corona-Pan- menschen brauchen, um glücklich zu sein. demie. Jeder hat diese Zeit anders erlebt und doch ist es Wir laden Sie ein zu lesen, wie es an- eine große Krise, die uns alle betrifft. Zwischen Hygiene- deren Menschen ergangen ist und konzepten, Homeoffice, der Kinderbetreuung zu Hause wie sie die Zeit erlebt haben. und so manchem Zoom-Meeting haben wir uns gefragt: welche Auswirkungen haben all diese Einschränkungen auf die Menschen, speziell in unserer Gemeinschaft? Wie groß sind die Sorgen und wie können wir damit umgehen? Viel Freude mit der Lektüre wünscht Stefanie Tatz In dieser Ausgabe erfahren Sie, in welch manch große (Öffentlichkeitsarbeit Krise einige von uns durch die Corona-Pandemie gesto- Diakonenhaus Moritzburg) 3
Das gute Wort Nun, wie ist das erste habe ich ja viel zu tun, das bekomme ich nicht gebacken! Vierteljahr gelaufen? Habt Und da merke ich gleich, dass ich mich in einen Wider- Ihr Euch an den Jahres- spruch verstricke. Ist doch das, was mir vom „Vater“ be- plan gehalten? Ich meine richtet wird, nicht auf maximalen Einsatz und Perfektion den Auftrag, der mit Wor- angelegt. Das ist doch der Vater, der auf den vermeintlich ten der Jahreslosung aus- verlorenen Sohn wartet. Und das ist doch derselbe, der gelöst wurde: dem Kurz-Arbeiter einen vollen Tagelohn spendiert. Und „Seid barmherzig, wie auch der, welcher mit Vehemenz versucht, seine guten auch euer Vater barmher- Gaben an den Mann zu bringen, als Plätze an der Fest- zig ist!“ „Barmherzigkeit“ tafel frei bleiben, und der immer wieder das Verlorene ist unser Element, das sucht und ganz happy ist, wenn er‘s findet … gehört zur diakonischen „Vom Umgang mit dem Nächsten“, so steht in meiner Bi- DNA! Wenn nur dieser belausgabe über dem Abschnitt, der mit unserem Jah- Nachsatz nicht wäre … res-Auftrag beginnt. Im Einzelnen geht es dann darum, Da wird doch die Mess- was wir anderen abverlangen. Besser: es geht darum, latte ziemlich hoch gelegt dass wir anderen nicht zu viel abverlangen. Da wird eher 4 – denke ich so bei mir. Da Gelassenheit als Anstrengung gepredigt, Großzügigkeit
Theologische Gedanken zum Begriff Krise statt Kleinkariertheit - im Umgang mit „dem Nächsten“ Die Krise – von einem Theo- (mit der Nächsten freilich auch!), ganz gewiss auch im logen betrachtet Umgang mit mir selbst. In einem Lied von Max Raa- So gelesen ist unsere Jahreslosung viel mehr Zuspruch be heißt es: „Ich hab‘ sie gar als Anspruch. Mit solchem Zuspruch können wir die rest- nicht kommen sehen, plötz- lichen drei Viertel dieser „Spielzeit“ getrost angehen und lich stand sie da, groß wie ein täglich Barmherzigkeit üben. Wie sagt doch der Volks- Riese. Sie sagte: ‚Hallo, guten mund (dem ja auf‘s Maul zu schauen sei): Übung macht Tag, mein Name ist Krise‘.“ den Meister. Und wer „wie ein Weltmeister“ übt, dem Ja, wenn das immer so ein- geht sein Metier in Fleisch und Blut über. So wird aus dem fach wäre. Sie stellt sich an „Barmherzigkeit-Üben“ ein „Barmherzig-Sein“. Dass am der Tür vor, und ich weiß: Aha, jeweiligen Ist-Zustand noch nicht alles perfekt ist, steht die Krise. Oft ist es eher undeutlich, was genau eigentlich außer Frage. Selbst Meister üben weiter. Mindestens ein eine Krise ist. In meinem Theologiestudium gab es keine dreiviertel Jahr lang (erst einmal). Gutes Gelingen beim Vorlesung darüber, worin das Wesen der Krise besteht. Eher Barmherzig-Sein mit anderen und Euch selbst wünscht kriegte man sie, als dass man sie begriff. Die mir gestellte Diakon Klaus Tietze, Aufgabe, einige theologische Überlegungen zum The- derzeit Pfarrer in und um Geringswalde ma Krise anzustellen, ist also gar nicht so leicht lösbar. 5
Theologische Gedanken zum Begriff Krise Wenn die Theologen um eine Antwort verlegen sind, sa- auch das griechische krinein, das Verb zu krisis, es bedeu- gen sie häufig: Schauen wir erst mal, was im Urtext steht. tet scheiden, unterscheiden, trennen). Solches tut natürlich Krisis – ein griechisches Wort. Im Neuen Testament hat es auch ein Richter, aber bei weitem nicht nur er. Der Begriff durchgehend eine rechtliche Bedeutung und wird dann krisis wurde in der Antike, und von da aus bis in die Neu- mit dem deutschen Wort „Gericht“, manchmal auch „Ur- zeit hinein, z. B. auch in medizinischen Zusammenhängen teil“, wiedergegeben. Ist es also dann eine Krise, wenn ich gebraucht: Die Krise ist der Höhe- oder Wendepunkt in angeklagt werde und ein Urteil über mir gesprochen wird? einem Krankheitsverlauf. In der Krise entscheidet sich die Ich glaube, das ist nicht die Bedeutung, in der wir das Wort zukünftige Existenz, ob der Weg in Richtung Gesundung Krise gewöhnlich verwenden. Und es hilft uns, die wir nach geht oder nicht. Möglichkeiten des Umgangs mit Krisen fragen, vermutlich Nehmen wir also diese Begrifflichkeit auf und stellen sie noch nicht so viel weiter. Der Begriff Gericht suggeriert ein nun wieder neu in den Kontext der Theologie, dann können abschließendes Urteil. Wir aber fragen eher danach, was wir vielleicht so sagen: Die Krise (im umgangssprachlichen wir ändern können bzw. sollen, damit es gar nicht erst zur Sinn des Wortes) ist weniger ein Urteil Gottes, sondern großen Katastrophe kommt. vielmehr eine auferlegte Entscheidungssituation. Dabei Verfolgen wir den Begriff Krisis also noch etwas weiter zu- gebrauche ich das Wort auferlegt sehr bewusst, denn ich rück. Er meint nämlich ursprünglich im antiken Sprach- gehe davon aus, dass es kein Widerfahrnis gibt, welches 6 gebrauch das Treffen einer Entscheidung (dazu passt dem Wirken Gottes entzogen wäre. Nicht alles ist von ihm
gewollt, aber doch geschieht nichts gegen seinen Willen. Chef. Es bleibt in dieser Gleichniserzählung merkwürdig in Mit dem, was Gott wirkt oder eben auch geschehen lässt, der Schwebe, ob denn die Vorwürfe eigentlich zutreffen. fordert er uns zur Überprüfung unserer „Zukunftstauglich- Für den Arbeitgeber scheint es keine Frage zu geben. Zwar keit“ heraus. Die Krise kann in die Katastrophe führen, sie fordert er Rechenschaft, aber doch hat er sich bereits ent- kann aber auch zum Wendepunkt werden. schieden: Du wirst hier nicht länger arbeiten können. Dass es dabei nicht mit einfachen Antworten getan ist Eine bedrohliche Situation. Dass es noch einmal werden und die Krise somit durch- würde wie früher, scheint eher ausgeschlossen. „Was aus irritierend, verunsichernd soll ich tun?“ spricht der Verwalter. Immerhin, tun kann und furchteinflößend wirkt, er noch etwas. Die Lage ist offenbar nicht aussichtslos. zeigt ein Bibeltext, der auf Beim „Ich kann nicht mehr“ ist er längst nicht angekom- der Oberfläche gar nicht von men. Was kann ich denn? Graben? Körperliche Arbeit. Als dem Wort Krise spricht. Ein Bürotyp eher nicht mein Ding. Betteln? Da würde ich mich Verwalter wird beschuldigt, schämen. Verbündete für die Zukunft suchen? Ja. den Besitz seines Arbeitge- Zugegeben, ich habe das jetzt recht positiv ausgedrückt. bers veruntreut zu haben (Lu- Er sucht die Verbündeten nicht so richtig auf legalen We- kas 16,1ff). „Du kannst hinfort gen. Er geht nämlich zu den Schuldnern seines Herrn. nicht Verwalter sein.“, sagt der „Du, was bist Du meinem Chef schuldig? - Hundert Fass 7
Theologische Gedanken zum Begriff Krise Öl? Schreibe Fünfzig.“ Zum nächsten sagt er: „Hundert Sack den? Was sind überhaupt die Sachen, die ich in Zukunft Weizen? Schreibe besser: Achtzig.“ Mehr sagt er nicht, aber wirklich brauchen werde? Wo liegen die Gefahren, wenn er hat ein klares Ziel: Wenn ich dann bald entlassen bin, ich nichts unternehme? Wo liegen die Gefahren, wenn ich brauche ich Verbündete. etwas unternehme? An welchen Punkten gibt es heimliche Es gibt dafür den Begriff „Chuzpe“ – Unverfrorenheit, Dreis- Chancen, und mögen sie gleich gar nicht wie solche aus- tigkeit, Unverschämtheit. Und doch finden wir ein Lob die- sehen? Nachdenkenswert finde ich auch, dass nicht so viel ser Dreistigkeit in der von Jesus erzählten Geschichte: „Der Augenmerk auf die Erklärung der Herkunft der Situation Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehan- gerichtet wird. Das „Warum nur ist es so gekommen?“ hö- delt hatte.“ Wie kann das sein? Ich denke, es geht dabei ren wir vom Verwalter nicht. Vielleicht hat er vor, das später nicht um die moralische Beurteilung der Erzählung, es geht noch einmal aufzugreifen. Aber aktuell ist es nicht von Be- um die Entschlossenheit. Ich kann etwas tun, ich prüfe die lang. Er hat offenbar auch nicht vor, den Chef umzustim- Möglichkeiten, ich orientiere mein Handeln am Bedarf, den men. (Trotzdem besteht die Möglichkeit, dass dieser am ich für die Zukunft vermute. Ende über die Schlitzohrigkeit seines Verwalters schmun- Es wäre jetzt platt, diese Geschichte etwa als Krisenthera- zeln muss. Es bleibt nämlich in der Erzählung letztlich offen, pie anzupreisen. Aber doch könnte sie nachdenkenswerte wer am Ende den Verwalter lobt, Jesus als der Erzähler der Ansichten auf eine Krisensituation eröffnen. Welches Geschichte, oder der Arbeitgeber als beteiligte Person. Es 8 Zukunftspotential ist in der aktuellen Situation vorhan- heißt nur: der Herr lobte den Verwalter.)
Der Verwalter empfindet eine bedrückende Situation, in der er nach neuen Handlungsmöglichkeiten Ausschau hält. Eine Geschichte, die von Chancen erzählt. Ist die Krise damit schöngeredet? Ich glaube nicht. Denn in der Haut des Ver- walters stecken, möchte ich trotzdem nicht. Aber in der Rolle als Zuschauer denke ich: irgendwie clever! Und das meine ich jetzt im Sinne von zukunftsfreudig. Der Verwalter hält daran fest, dass es geeignete, gangbare und sogar dien- liche Wege in die Zukunft gibt. Die Mittel sind damit nicht geheiligt. Es geht um die Offenheit für die Situation und die Entschlossenheit im Blick auf eine risikoreiche Zukunft. Das sollte nun keine „Lehre von der theologischen Beurtei- lung der Krise“ sein, aber das hat vielleicht jetzt auch kei- ner erwartet. Wenn eine solche überhaupt möglich wäre, bekäme, wer sie lösen könnte, gewiss den Nobelpreis für Theologie. Thomas Knittel, Vorsteher 9
Selbstfürsorge in Zeiten der Krise - eine seelsorgerliche Hilfe Für diesen Artikel haben wir einen Seelsorger gefragt. Der • Ein Mangel an Information: Der in die Krise gekommene muss sich da ja auskennen – dachten wir. Diakon Mat- Mensch kennt sich in dem, was ihn ereilt hat, nicht aus. Er thias Unger ist therapeutischer Seelsorger und Mitbe- weiß oft nicht, was abgeht, kennt die neue Situation nicht. gründer des Institutes für Seelsorge und Beratung in Aber das passiert ja öfters im Leben. Sachsen (Plauen). Und er redet nicht wie der Blinde von • Allein ein Mangel an Information reicht noch nicht aus, der Farbe, sondern hat schon mehrere große Krisen in um in eine Krise zu stürzen. Wenn jedoch dazu kommt, seinem Leben erlebt: Als er 20 Jahre alt ist, stirbt seine dass der Betreffende keine Möglichkeit findet, das Unbe- Freundin an Blutkrebs. In seiner Ehe werden ihm zwei Kin- kannte zu interpretieren, wird es kritisch. Was man nicht der geboren, eins davon schwer behindert. Und im ver- einordnen kann, macht Angst. gangenen Jahr starb seine Frau bereits mit 65 Jahren an • Und schließlich kennzeichnet eine Krise, dass es keine ALS. Er weiß, was es heißt, durch Krisen zu gehen und gibt positiven Alternativen gibt, keine Hoffnung. Es sind keine uns hier Anteil, an seinen Erfahrungen. Wir haben seinen Auswege in Sicht. Wer Auswege sieht, für den ist die Krise Bericht ein wenig gekürzt. Er schreibt u.a. Folgendes: auch zu bewältigen, bzw. der Höhepunkt ist überschritten. Viele Krisen entstehen also, wenn uns Ereignisse von au- Menschen in Krisen sind emotional geschockt und fühlen ßen überraschen, auf die wir nicht vorbereitet sind. Drei sich überrumpelt. Sie können nicht mehr rational denken, 10 Dinge kennzeichnen Krisensituationen. anfangs jedenfalls. Sie erleben einen Zusammenbruch in
ihrem bisherigen Wertesystem und bekommen ein Gefühl für das Lebensende. Sie begreifen die Situation nicht und verlieren mindestens zum Teil den Sinn in ihrem Leben. Es gibt so viel verschiedene Krisen, wie es Lebensbereiche gibt. Die Trotzphasen bei Kindern, Pubertät, Beziehungskri- sen, Midlifecrisis, fehlende Selbstannahme, Berufskrisen, Krankheiten, Burnout, Arbeitslosigkeit, Rentner werden, finanzielle Krisen, Depression. Viele Krisen werden uns von außen aufgezwungen. Aber es gibt auch selbst verschul- dete Krisen, die vermeidbar gewesen wären. (…) In der Krise der fortschreitenden Krankheit meiner Frau habe ich meine Arbeit als Therapeutischer Seelsorger eingeschränkt, um Martina zu pflegen. So wie sie mir frü- her in der Jugendarbeit den Rücken freigehalten hat und als gelernte Krankenschwester zu Hause blieb, so 11
Selbstfürsorge in Zeiten der Krise - eine seelsorgerliche Hilfe wollte ich jetzt für Martina da sein. Dennoch mussten wir Ablauf der Trauer- auch einen Pflegedienst mit ins Boot holen. Martina hat feier besprochen, versucht, die ihr noch zur Verfügung stehende Zeit gut zu die Lieder festge- nutzen. Sie hat sich viel mit dem Himmel beschäftigt durch legt. „Dankbarkeit“ Bücher, Predigten und entsprechende Musik. Wir haben sollte der Tenor je- bewusst unsere Freundschaften gepflegt und Freunde ein- nes Tages werden. geladen. Ein befreundetes Ehepaar hat uns in dieser Zeit (…) 14-tägig am Montagabend besucht. Wir haben uns aus- An einem Sonntag getauscht, gesungen und gebetet. Das waren sehr wert- Mitte Juni 2020 war volle Abende zu viert. Aber sie wurden auch zunehmend es dann soweit. Ihr anstrengender. (…) Körper konnte nicht mehr. (…) 200 Trauergäste waren gekommen. Der Trauergottesdienst Im Frühjahr 2020 schließlich haben wir unseren Pfarrer war von Dankbarkeit und Glaubenszuversicht geprägt. So gebeten, mit uns das Trauergespräch zu führen. Das fühl- wollte es Martina auch – es sollte ein Dankgottesdienst te sich total unwirklich an, als noch Lebende über die Be- werden. Ich selbst war an diesem Tag nicht fähig, auch erdigung zu sprechen. Aber das ist auch eine Chance. nur wenige Worte mit jemand zu sprechen. Aber ich durfte 12 Gemeinsam haben wir die Grabstelle ausgesucht, den einen Beitrag leisten zu diesem Fest der Dankbarkeit. Ich
habe aus vielen Fotos ein Video produzieren lassen, habe Kann ich die Nachrichten hören, Zeitung lesen? Wie lange selbst das Drehbuch geschrieben und die Musik ausge- halte ich ein Telefongespräch aus? Kann ich eine Einladung sucht. Es wurde auf zwei Riesenbildschirmen eingespielt. annehmen? Und vom wem. Ich habe versucht, entschleu- Das war mein Abschiedsgeschenk an meine Frau. (…) nigt zu leben. Wenn nach einem Telefonat das Telefon wie- der klingelte, bin ich erst mal nicht rangegangen, sondern Seit Juni 2020 sind viele Monate vergangen. Wenn ich nun habe mindestens fünf Minuten gewartet. Ich konnte auch darüber berichte, was mir geholfen hat in meiner sehr per- nicht wieder arbeiten und andere Menschen beraten. Vier sönlichen Krise, so möchte ich damit keine Tipps verteilen. Wochen Urlaub zu Hause haben mir geholfen, wieder Ich beschreibe in erster Linie, wie ich weitergelebt habe halbwegs Boden unter die Füße zu bekommen. Es war ja und was ich in den vergangen Monaten getan habe - oder noch so viel zu erledigen und zu bedenken. auch nicht getan habe. Und wenn sich daraus jemand eine persönliche Anregung nimmt, dann hätte ich diesen Vor allem habe ich die viele Trauerpost mehrmals mit An- Beitrag nicht umsonst geschrieben. Wie also habe ich mich dacht gelesen. 250 Briefe und Karten hatte ich bekommen. in dieser speziellen Krise verhalten? Und darunter waren nur wenige förmliche Beileidsbekun- In erster Linie habe ich versucht, auf mein Herz zu hören. dungen. Allermeist kam eine sehr persönliche Anteilnah- Wieviel kann ich mir in meiner geschwächten Lage zumu- me zum Ausdruck. Und so fasste ich den Entschluss, ten? Will ich Musik hören oder soll es erst mal still sein. jeden Brief und jede Karte zu beantworten. In einem 13
Selbstfürsorge in Zeiten der Krise - eine seelsorgerliche Hilfe sehr persönlichen Rundbrief habe ich mein Ergehen und bügeln. Es sind Gelegenheiten zu Kontakten und Gesprä- das von Stephanie, unserer behinderten Tochter, be- chen. schrieben. Und hab für jeden Absender am Schluss einen Und ich habe mich entschieden, ein öffentliches Tage- persönlichen Satz darunter geschrieben. (…) buch zu führen. Unser Sohn hatte mich darauf gebracht, ich könnte mich über den Status von WhatsApp mittei- Was hat mir noch geholfen? Mich mitzuteilen und mich len. Seitdem verbringe ich jeden Abend eine gute Stunde nicht darauf zu verlassen, dass Bekannte und Freunde damit, mich auf diesem Wege mitzuteilen. Ich versuche von sich aus auf mich zukommen. Das lässt erfahrungs- sehr persönlich und offen zu sein, teile mit, wie mein Tag gemäß mit jedem Monat nach. Anfangs brauchte ich die war, wie es mir heute ergangen ist. Zwischen Ewigkeits- Zurückgezogenheit. Aber nach und nach habe ich mich sonntag und Weihnachten gab es auch Tage, wo ich dazu an die Angebote zu Besuchen erinnert und sie angenom- nicht in der Lage war. Dann gab es schon mal besorg- men: „Jetzt bin ich soweit.“ Und ich habe meine Freund- te Rückfragen. … Nach und nach merkte ich, dass diese schaften ganz bewusst gepflegt, habe Termine bei mir abendlichen Mitteilungen vor allem zwei Auswirkungen zu Hause oder Freunden arrangiert. Manche Gemeinde- hatten. Zum einen komme ich mit Menschen, die ich im glieder hatten mir auch praktische Hilfe angeboten. Und Alltag treffe, schneller und persönlicher ins Gespräch. Sie die habe ich ganz bewusst in Anspruch genommen haben durch den Status viele Dinge von mir gelesen und 14 – Gartenarbeit in Martinas Blumenbeet oder Hemden gesehen. Dadurch ist weniger Abstand da und die Rück-
fragen kommen viel gezielter: „Na, haben die Krautwickel Was hat das alles mit Selbstfürsorge zu tun? Ich sehe das am Sonntag geschmeckt?“ Und die zweite Auswirkung so: Alles, was mir in einer Krise hilft - alles, was mir das ist, dass ich meine Erlebnisse und auch die Trauer viel Leben leichter macht und mir gut tut, ist Selbstfürsorge. intensiver bedenken muss. Jeden Abend reflektiere ich Nicht jeder schafft das. Ich bin Menschen begegnet, die dadurch meinen Tag viel bewusster. Was war mir heute sich scheuten, für sich selbst zu sorgen. Das sei Egoismus. wichtig? Was will ich mitteilen? Wie lange will ich das so Oder jemand tut sich selbst etwas Gutes – aber mit einem beibehalten? Ich weiß es auch noch nicht. Jedenfalls wür- schlechten Gewissen. Dann kann die Selbstfürsorge leider de mir momentan etwas fehlen, wenn ich es nicht täte. nicht ihre positive Wirkung entfalten. Selbstfürsorge ist (…) nur dann Selbstfürsorge, wenn sie mit gutem Gewissen geschieht. Mir hat geholfen, auch über das Gegenteil In meiner persönlichen Morgenandacht hat mir das Spra- von Egoismus nachzudenken. Das ist der Altruismus, die chengebet enorm geholfen. Denn ich war im Gebet oft Selbstaufopferung. Beide lassen Menschen zu kurz kom- sprachlos. Es fiel mir schwer, mein Befinden Gott gegen- men. Der Egoismus lässt andere zu kurz kommen. Der über in Worte zu fassen. Das Sprachengebet ist eine di- Altruismus lässt mich selbst zu kurz kommen. In meiner rekte Verbindung vom Herz zur Zunge, ohne erst über den seelsorgerlichen Praxis lese ich oft mit Betroffenen das Verstand gehen zu müssen. Ich habe diese Gabe noch nie Dreifachgebot der Liebe aus Matthäus 22 Vers 39. „Du so viel genutzt wie in den letzten Monaten der Krise. (…) sollst den Herrn, deinen Gott lieben ... und du sollst 15
Selbstfürsorge in Zeiten der Krise - eine seelsorgerliche Hilfe deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Wir können un- • In einem zweiten Stadium steigt oft Ärger hoch. Ärger auf sere Nächsten nicht lieben, wenn wir nicht auch für uns die Anderen, die Umstände oder Ärger auf sich selbst. Das selbst sorgen. Tun wir es nicht, werden wir mit Neid und Kämpferische dieses Stadiums hat Potential für wichtige Unzufriedenheit zu kämpfen haben. Veränderungen. Je mehr sich ein Mensch mit seiner Krise auseinandersetzt, desto größer sind die Chancen, gestärkt Zum Schluss möchte ich noch zu den Stadien kommen, die daraus hervorzugehen. Darum ist es wichtig, Menschen zu wir in einer Krise durchmachen. haben, denen man sich gut mitteilen kann. Von der locke- ren Freundschaft bis zu einem Pfarrer oder Therapeuten. • Ein erstes Stadium ist oft der emotionale Schock. Der Wer in dieser Phase stecken bleibt, verbittert. kann bis zu sechs Wochen dauern. Das Verhalten und die Gefühlsäußerungen machen den Anderen Angst. Betrof- • In einem dritten Stadium müssen wir dem Schmerz fene sind manchmal gelähmt, manchmal aber auch auf- Raum geben. Dafür brauchen wir uns nicht zu schämen. gekratzt. Dann besteht die Gefahr von Kurzschlusshand- Dieses Stadium dauert am längsten und kann gut ein Jahr lungen. Wir können helfen, dass Betroffene weinen oder dauern. Tränen, Niedergeschlagenheit, Vermeidung, Zer- klagen können. Oder mindestens dazu, über den Schmerz streuung oder andere psychische Symptome dürfen als zu sprechen. Zeichen der Hoffnung angesehen werden, dass das Ende 16 in Sicht ist.
Danach kann eine Neuorientierung beginnen. Ich selbst mich zutraf und noch zutrifft. Woran merke ich schließlich, habe mich erst im Nachhinein mit der Theorie über Kri- dass ich bald durchs dunkle Tal durch bin? Ich merke es sen beschäftigt. Dabei habe ich erkannt, wie vieles auf an einer gewissen Freude, die Zukunft zu gestalten. Zum Beispiel habe ich auf unserer geliebten Insel Rügen für diesen Sommer ein Hotelzimmer gebucht. Und ich habe Verwandte und Freunde eingeladen, mich in diesen vier Wochen jeweils für ein paar Tage zu besuchen. Denn die Einsamkeit ist mein größtes Problem. Niemand mehr zu haben, mit dem ich meinen Alltag teilen kann. Ich brauchte immer jemanden, weil ich die schönen Dinge des Lebens nicht allein genießen kann. Die Schweizer Psychotherapeutin Rosemarie Welter-Enderlin sagt: „Ich verstehe Krisen grundsätzlich als nützliche Vor- boten von fälligem Wandel, nicht als Quittung für falsch gelebtes Leben.“ Diakon Matthias Unger 17
Gemeinde in der Krise!? Heiligabend 2020, auf der Grünfläche vor der Kirche ste- und Kürzung von Stellen, mühsame Debatten um hen zwei offene Zelte - eins für die Musik, das andere Strukturveränderungen, Verlust von Eigenständigkeit, für das Krippenspiel. Dazu mit Abstand verteilt Stühle und Zunahme von Bürokratie - und dazu Corona. Da ist es ein Bänke für die Besucher*innen der Open Air Christvesper. Wunder, dass es Lust am Mitgestalten des Gemeinde- Der Wind ist kalt an diesem Nachmittag, dunkle Wolken lebens gibt und gute Erfahrungen von Gemeinschaft und jagen über den Himmel. Die Christvesper, Gottesgegenwart. zum größten Teil von Ehrenamtlichen vorbe- Die Leben weckende Kraft der biblischen reitet und gestaltet, wärmt Herz und Gemüt, Botschaft wirkt. Allerdings trifft sie schon eine Dreiviertelstunde zum Staunen und seit langer Zeit auf ungünstige Rahmen- zum Freuen. Man musste sich halt nur warm bedingungen. Immer schneller aufeinander anziehen. Sieht sie so aus, die Gemeinde in folgende Veränderungen - wirtschaftlich, der Krise? politisch, technologisch, kulturell, geistig - In anderen Gemeinden hat das Thema überfordern viele. Auch die Kirchen tun sich „Weihnachtsgottesdienste unter Pandemie- schwer damit. Zentralistische Bürokratien bedingungen“ zu Zerwürfnissen geführt. verwalten und bewahren, die Gestaltung Haupt- und Ehrenamtliche sind erschöpft: neuer Lösungen fällt ihnen schwer. Dafür 18 rückläufige Mitgliederzahlen, Streichung braucht es Freiräume zum Ausprobieren
und Abgabe von Kompetenzen. Kirchgemeinden sind so feiern, dass die Feiernden selbst mit Freude dabei mitbetroffen von komplexen, schwer durchschaubaren sind, weil ihr Glück, ihre Ratlosigkeit, ihre Trauer und ihre Prozessen, die kaum mehr steuerbar erscheinen. Bloßes Hoffnung - also ihr wirkliches Leben - Ausdruck finden. Festhalten am Gehabten führt erkennbar in Sackgassen. Gemeinde agiert, statt mit großer Kraftanstrengung auf Aber was dann? Wie kommen Gemeinden gut durch die widrige Verhältnisse zu re-agieren. Sie feiert das, was sie Krise? Einzelne wie Organisationen können Krisen über- selbst befreit und belebt, wird zum Resonanzraum für Be- stehen, wenn sie bereit sind sich zu wandeln. Wandlung gegnungen mit Lebenskräften, die größer sind, als wir es ist mehr als Strukturanpassung, sie beginnt mit neuen sind. Das er-leichtert und wirkt anziehend. Perspektiven. Drei Beispiele: 2. Vielfalt als Reichtum sehen 1. Mehr Leichtigkeit zulassen Zu den großen Umbrüchen gehört, dass sehr viele Men- In vielen Gemeindeberatungsrunden habe ich erlebt, wie schen ohne Kirche und Bezug auf Gott leben. Der in sehr sich Haupt-und Ehrenamtliche mühen, Menschen für manchen Gemeinden erbittert geführte Streit zwischen die Gemeinde zu gewinnen. Manchmal entstehen dar- unterschiedlichen theologischen Sichtweisen ist auch aus angestrengte und anstrengende Projekte. Aktivismus ein Zeichen von Ratlosigkeit und Verunsicherung ange- als Fluchtversuch aus der Krise? Die neue Perspektive sichts dieser Situation. Eine neue Perspektive könnte könnte heißen: Mehr Leichtigkeit zulassen. Gottesdienste sein: Vielfalt als Reichtum sehen. Die eine richtige 19
Gemeinde in der Krise!? Antwort kann es nicht geben - auch unter Christen nicht. weltweite Krisen hervorgerufen hat, die mit den bishe- Aber Christen können auf Gottes Wirken in gemeinsamen rigen Mitteln nicht mehr lösbar sind. Die Bereitschaft, Suchprozessen vertrauen. Die Standpunkte anderer mit um des gemeinsamen Lebens auf der Erde willen auch Interesse und Respekt aufzunehmen, auch Meinungen auf Privilegien zu verzichten, braucht stärkere Motive auszuhalten, die ich aus guten Gründen nicht teile, ist Aus- als wohlverstandenen Eigennutz. Die Fokussierung auf druck christlicher Hoffnung mitten in unüberschaubarem Funktionieren bindet auch in Gemeinden oft sehr viele Gelände. Verschiedenheit muss nicht zur Zerreißprobe Kräfte (Stichwort Gebäudeerhalt). Aus dem Überschuss werden. Es lohnt sich, die Kunst des respektvollen Dialogs leben, aus dem unverdienten göttlichen Überschuss an zu üben - für das Gespräch innerhalb der Gemeinde und Liebe und Schöpferkraft - das ist der Perspektivwechsel darüber hinaus. der Botschaft Jesu. In Gemeinden können Menschen mit diesem „Mehr als alles“ in Berührung kommen und 3. Aus dem Überschuss leben Lebens-Überschuss erfahren, der nicht auf Kontoauszü- Kirchliche Arbeit wird in der Pandemie offiziell nicht als gen erscheint. Gemeinden, die so auf sich selbst und systemrelevant anerkannt. Das kränkt. Es kennzeichnet ihre Möglichkeiten sehen, sind mitten in der Krise mehr das vorherrschende Denken, dass vor allem Funktio- als systemrelevant. Sie eröffnen starke Motivationen der nieren zählt. Unberücksichtigt bleibt, dass gerade Krisenbewältigung - für sich selbst und für andere. 20 das aufs bloße Funktionieren gerichtete Handeln Pfarrerin Almut Klabunde, Dresden im Februar 2021
„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ - Kirchenmusik in Coronazeiten? „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ (Psalm 150,6) Das ist unser kirchenmusikalischer Auftrag. Doch genau der Alles, was „Odem“ (= Atem) ist unser aktuelles Hauptproblem, da durch das Atmen, wie wir inzwischen alle wissen, Aero- Odem hat, sole mit den gefährlichen Coronaviren schnell verbreitet werden, besonders intensiv leider beim Singen oder Musizieren mit Blasinstrumenten. Durch diese betrübliche Tatsache ist der Kirchenmusik im vergangenen Jahr im wahrsten Sinne des Wortes allmählich „die Puste ausge- gangen“ – nicht nur in Moritzburg, sondern überall! Das gemeinsame Singen war zwar in der warmen Jahreszeit mit Abstand und Maske zeitweise möglich, momentan lobe ist es jedoch komplett verboten. Die gesprochenen und den Herrn! gesungenen Worte des Glaubens in persönlicher Begeg- nung sind nicht mehr möglich. Damit ist das Zentrum, so- (Psalm 150,6) zusagen die Seele, christlicher Gemeinschaft bedroht! Das hebräische Wort für „Atem“ bedeutet tatsächlich 21
„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ - Kirchenmusik in Coronazeiten? auch „Seele“. Durch die Coronakrise ist uns bewusst haben wir diese technischen Möglichkeiten, die uns infek- geworden, wie wenig selbstverständlich die scheinbar tionssichere Kontakte erlauben. Was hätten wir vor 30 oder selbstverständlichen Dinge unseres Lebens sind, wie gar 40 Jahren in einer Pandemie gemacht, als die meisten sehr wir von unserem Schöpfer abhängen, der uns den Leute noch nicht einmal ein eigenes Telefon hatten? Leider Lebensatem eingehaucht hat (1. Mose 2,7). Hoffentlich funktioniert echter gemeinsamer Chorgesang nicht über kommt unsere moderne atemlos-hektische Konsumge- Telefon oder Computer, da durch leichte digitale Zeitver- sellschaft durch die zwangsweise „Atempause“ wieder zögerungen schnell eine vokale Kakophonie statt Harmo- etwas zur Besinnung, was wirklich wichtig im Leben ist. nie entsteht. Daher haben wir für Chormitglieder immer Es ist nur traurig, dass dies so viele Opfer fordert. Aber mal Lieder zum Mitsingen ins Netz gestellt oder einfach wir erleben trotz allem viel Ermutigendes, viel Kreativität nur miteinander telefoniert bzw. uns in „Internet-Räumen“ und Engagement im Miteinander der Menschen hier vor (z.B. in Zoom, Jitsi) online getroffen, uns Musikvideos, An- Ort und hoffen, dass 2021 ein Jahr des Aufatmens wird. dachten und Gottesdienste zugeschickt, die uns gefallen haben, usw. „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ Wir haben trotz- dem versucht, das Beste aus der schwierigen Situation Regelmäßig wurden und werden Gottesdienste gemein- zu machen – sozusagen nach dem Motto „Alles, was sam mit unserem neuen Radebeuler Kirchspiel aufge- 22 Telefon und Computer hat, lobe den Herrn“. Zum Glück nommen und auf die Homepage der Kirchgemeinden
bzw. auf „Youtube“ gestellt (bei youtube zu finden unter „Kirchspiel Radebeul – Reichenberg – Moritzburg“). Das war immer sehr zeitaufwändig, aber wir haben mit Herrn Liebig und seinem Team echte Profis, die das immer wie- der sehr schön digital in Bild und Ton brachten. Die musi- kalische Ausgestaltung wurde mit verschiedenen kleinen vokalen und instrumentalen Gruppen realisiert. Da haben wir mit Freude viel experimentiert. Vom März bis Juni spiel- ten zwei kleine Gruppen des Posaunenchores und auch einzelne Bläser fast täglich Choräle und Blasmusik „Open- Air“ in Moritzburg, was auf sehr positive Resonanz bei den Moritzburgern getroffen ist. Auch wurden CDs mit unserer Konzert - Radebeuler Orgel- und Musiksommer vom 21. Juni 2020 Kirchenmusik aufgenommen und in der Gemeinde verteilt. Anmerkung d. Redaktion: diese Videos sind sehr hörens- aber auch Von Juni bis Oktober konnten wir in Reichenberg und sehenswert. Es werden u.a. sehr schöne Bilder aus der Lutherkirche Radebeul gezeigt. Moritzburg unter strengen Auflagen sogar kirchen- musikalische „Präsenzveranstaltungen“ mit Abstand 23
„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ - Kirchenmusik in Coronazeiten? durchführen, also Kirchenchöre, Gospelchor, Posaunen- chor, Kindergruppen, Instrumentalgruppen. Aber die zwei- te Coronawelle hat diese Aktivitäten leider wieder „hin- weggespült“. Besonders schade war es natürlich, dass wir ausgerechnet in der Advents- und Weihnachtszeit, die ja normalerweise ganz von der Kirchenmusik geprägt ist, nur so wenig gemeinsam singen und musizieren konnten. Alle Planungen (z.B. Christvesper am Schloss Moritzburg oder auf dem Reitplatz) wurden immer wieder aufgrund neuer restriktiverer Bestimmungen hinfällig. Besonders am Heilig Abend und Weihnachten war es dann wirklich „Stille Nacht“ bzw. Stille in den Kirchen. Aufgrund von Co- ronafällen in der Kirchgemeinde und der Mitarbeiterschaft mussten die geplanten Christverspern kurzfristig abgesagt werden. Doch wir haben am Hl. Abend zusammen mit ei- Kirche Moritzburg nigen Instrumentalisten aus der Gemeinde in der Zeit 24 von 15 bis 21 Uhr nonstop weihnachtliche Musik in den
Kirchen erklingen lassen, während Besucher in der Kir- „Gott gab uns Atem, damit wir leben“ (EG 432): che den Klängen lauschen, die Krippe betrachten und die 1. Gott gab uns Atem, damit wir leben. Er gab uns Augen, dass Weihnachtsgeschichte hören konnten. Ein Ehepaar sag- wir uns sehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf te uns, dass sie die Weihnachtsbotschaft am Hl. Abend ihr die Zeit bestehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass noch nie so intensiv erlebt haben wie dieses Jahr, ohne wir auf ihr die Zeit bestehn. Hektik und Trubel in der Kirche. 2. Gott gab uns Ohren, damit wir hören. Er gab uns Worte, Außerdem hatten wir einen Weihnachtsbrief vorbereitet, dass wir verstehn. Gott will nicht diese Erde zerstören. Er schuf womit alle selbständig ihren Weihnachtsgottesdienst zu sie gut, er schuf sie schön. Gott will nicht diese Erde zerstören. Hause halten konnten, Musik gab es über einen QR-Code Er schuf sie gut, er schuf sie schön. oder man konnte eine CD mit der Musik bekommen. 3. Gott gab uns Hände, damit wir handeln. Er gab uns Füße, Abschließend ende ich jedoch mit einem tiefen „Seufzer- dass wir fest stehn. Gott will mit uns die Erde verwandeln. Wir atmen“, denn das Singen und die Begegnungen mit den können neu ins Leben gehn. Gott will mit uns die Erde verwan- Gemeindegliedern fehlen mir sehr! Ich hoffe natürlich wie deln. Wir können neu ins Leben gehen. alle inständig, dass wir bald wieder ohne Hilfe digitaler Medien gemeinsam in „Präsenz“ singen und musizieren In diesem Sinne, ein gesegnetes Jahr 2021 – können zur Ehre Gottes. Auf ihn wollen wir unsere Hoff- Ihre Kantorin Barbara und Matthias Albani nung setzen, ganz im Sinne des Liedes: 25
Oberlausitz Telefonseelsorge: Bei Einsamkeit Anruf Wenn das Telefon klingelt, weiß Thomas Meier nie, was ihn Anspruchsvolles Ehrenamt erwartet. Seit 10 Jahren ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter Über 12.000 mal klingelte es im vergangenen Jahr bei der bei der Telefonseelsorge Oberlausitz und immer noch ist Telefonseelsorge Oberlausitz und fast 9600 Gespräche er jedes Mal gespannt, wer ihn anruft. Will jemand einfach wurden geführt. „Diese Zahl ist seit einigen Jahren recht nur reden, ist er krank oder trauert um ein Familienmit- konstant geblieben.“ sagt Gerald Demmler. Er leitet seit glied? Namen spielen bei den Anrufen keine Rolle, alles ist mehr als 27 Jahren die Telefonseelsorge, die ein Arbeits- streng anonym. Deshalb will Thomas Meier seinen richti- gen Namen auch nicht öffentlich machen. Nur so viel: Er ist in den 50ern und arbeitet im sozialen Bereich. Spiegel der Gesellschaft Für Meier ist die Telefonseelsorge auch ein Spiegel der Ge- sellschaft. Denn eigentlich wäre es ja normal, bei Sorgen und Problemen gute Freunde anzurufen und ihnen zu er- zählen, was einen bedrückt, meint er. Doch leider sei dies eben häufig nicht mehr der Normalfall. Viele zögen die 26 Anonymität des Telefons vor.
bereich des Diakonischen Werkes Bautzen e.V. ist. Etwa 90 ja so etwas Sinnvolles tun.“ Bevor er sich jedoch ans Telefon Ehrenamtliche teilen sich die 8760 Dienststunden, wobei setzen durfte, musste Thomas Meier wie jeder ehrenamtli- eine Schicht 4 Stunden dauert. Das Telefon ist jeden Tag im che Mitarbeiter eine einjährige Ausbildung absolvieren. In Jahr rund um die Uhr besetzt. Der größte Teil der Mitarbei- insgesamt 180 Stunden hat er dort unter anderem gelernt, tenden steht noch voll im Berufsleben. „Dass sie trotzdem wie man die Gespräche führt und mit den Problemen der Zeit für ein solch anspruchsvolles Ehrenamt finden, dafür Anrufer umgeht. Neben einem Einstiegs- und Abschluss- sind wir sehr dankbar. Es ist eine ganze Reihe von Leuten wochenende müssen sich die Teilnehmer an vier Samsta- dabei, die sagen: Uns geht es an vielen Stellen gut, des- gen und 18 Wochentagsabenden für die Ausbildung Zeit halb möchten wir anderen auch etwas zurückgeben.“ nehmen. Im Anschluss an den Kurs wird eine mindestens Thomas Meier hat sich nach einem für ihn schweren Jahr zweijährige ehrenamtliche Mitarbeit erwartet. Sie umfasst entschieden, bei der Telefonseelsorge mitzuarbeiten. zwei bis drei Dienste zu je vier Stunden im Monat. Damals waren kurz hintereinander seine Oma und seine Mutter gestorben. Über eine Anzeige suchte die Telefon- „Viel über mich selbst gelernt“ seelsorge wieder Verstärkung für das Team und Thomas Es ist eine durchaus anspruchsvolle Ausbildung. Es geht Meier bewarb sich. Dabei habe auch eine Rolle gespielt, im Kurs auch um die Teilnehmer selber, um ihre Stär- dass er schon längere Zeit Hartz IV bekam. „Ich habe mir ken und Schwächen. Neben der Selbsterfahrung ste- gesagt: OK, du nimmst Geld vom Staat, vielleicht kann ich hen Gesprächsführung, Entwicklungspsychologie, 27
Oberlausitz Telefonseelsorge: Bei Einsamkeit Anruf psychische Erkrankungen, oder weinen zunächst erst einmal. „Wenn man dann nach der Bereich Suizid, sowie einer Dreiviertstunde auflegen kann und zum Schluss mit Sinn- und Glaubensfra- ihnen sogar noch über einige Sachen gelacht hat, dann ist gen auf dem Plan. Tho- man motiviert für den nächsten Dienst.“ Dass er nicht weiß, mas Meier ist froh, dass was aus den Anrufern und ihren Problemen geworden ist, er diese Ausbildung ma- damit hat Meier gelernt umzugehen. Er könne am Telefon chen konnte. Sie sei das vor allem zuhören und darauf verweisen, wo sie sich wei- Beste gewesen, was ihm tere Hilfe holen können. passiert sei: „In dem Jahr Dazu Gerald Demmler: „So oder ähnlich könnte ich von habe ich sehr viel über vielen ehrenamtlich Mitarbeitenden berichten. Es ist ein mich selbst gelernt.“ Geschenk, über so viele Jahre mit Menschen gemeinsam auf dem Weg zu sein. Die Gemeinschaft, die durch eine Vom Weinen zum Lachen besondere Aufgabe verbunden ist, trägt und lässt auf Am Krisentelefon bekommen die TelefonSeelsorger so diese Weise auch etwas von dem erfahrbar werden, was manches vom Alltagsleben der Anrufer mit aber auch unser Auftrag in der Nachfolge Jesu ist.“ schwere Schicksale zu hören. Manchmal trauen sich die 28 Menschen gar nicht richtig, ein Gespräch zu beginnen Diakon Gerald Demmler, Leiter Telefonseelsorge
Erfahrungen in der Notfallseelsorge Das Handy klingelt, auf dem Display die Nummer der diesen Umständen ist das für mich besonders schwer zu Leitstelle. Erfolglose Reanimation. Ein junger Erwachsener ertragen. Ich atme auf, als sich die Tür hinter dem Arzt öffnet die Tür, der Sohn des Verstorbenen. Im Wohnzimmer endlich schließt. Wir finden einen guten Abschluss. treffe ich auf die Mutter. Sie ist in den frühen Morgenstun- den Witwe geworden. Die Begegnung mit dem Tod wirft Wenn ich als Notfallseelsorger hinzugezogen werde, immer Fragen auf, besonders wenn sie so plötzlich kommt. bedeutet das fast immer die Begegnung mit dem Tod. Dabei war die länger anhaltende Erkältung so gut wie Diesmal ist es anders. Ein Mann soll betreut werden, weil überstanden. – Auch wenn es komisch klingt. Zu diesem ihm die Situation über den Kopf wuchs. Das Gespräch Zeitpunkt bin ich froh, dass ich einen Mund-Nasenschutz findet auf dem Balkon statt. In einer lauen Sommernacht trage. – Es klingelt. Eigentlich sollte heute die Schrankwand kommen bedrückende Erfahrungen zur Sprache. Die abgebaut werden. Undenkbar, mit einem Verstorbenen Nachbarn haben die Polizei angefordert, weil es nebenan im Raum. Terminpläne und Prioritäten verschieben sich sehr laut zuging. Inzwischen befindet sich die Partnerin von einer Sekunde zur anderen. Der später eintreffende des Mannes im Krankenhaus. Sie wurde handgreiflich Hausarzt hält nichts von Maskenpflicht, reicht die Hand zur unter Alkoholeinfluss, nicht zum ersten Mal. Wohnung Begrüßung. Er soll den endgültigen Totenschein ausstel- und Lebensgefährte sind in Mitleidenschaft gezogen, eine len. Schnell wird deutlich, dass auch gebildete Menschen deutliche Grenzüberschreitung. Hier braucht es zukünf- Verschwörungstheorien zum Opfer fallen können. Unter tig klare Vereinbarungen, auch um der Liebe willen. Als 29
Oberlausitz Telefonseelsorge: Bei Einsamkeit Anruf mein Gegenüber aus seinem Berufsalltag erzählen kann, native für Einsätze mit Corona-Indikation. Mein Gegenüber blüht er auf. Menschen brauchen Wertschätzung, beson- reagiert alles andere als freundlich. Schnell wird klar, er ders in solchen Momenten. braucht Hilfe und zwar vor Ort. Als ich die Wohnung betre- te, bleibt mein Blick an einer Sauerstoffflasche hängen. Ich Mitten in der Dienstberatung klingelt das Handy. Ich höre prüfe den Sitz meines Mund-Nasen-Schutzes. Kurze Zeit es nicht, da es auf meinem Schreibtisch liegt. Diesmal später trägt auch mein Gegenüber eine Maske. Es kom- stehe ich nicht im Dienstplan. Ein jahrzehntelanger Nach- men Traurigkeiten und Zukunftspläne zur Sprache. Am barschaftsstreit endet tödlich. Ein zweiter Seelsorger wird Nachmittag wird der Neffe vorbeikommen. nötig. Nach der Ermordung des Opfers begeht der Täter Suizid. Seine Frau hört die Schüsse und alarmiert die Ret- Besonders schlimm wird es, wenn der Tod eines Kindes tung. Natürlich kommt hier jede Hilfe zu spät. Kaum zu verkraftet werden muss. Einsätze mit derartiger Indikation glauben? Wenigstens in diesen Zeiten könnte man doch stehen unter besonderer Spannung, für alle Einsatzkräfte. zur Vernunft kommen. Ein Junge im Teeniealter wird gesucht. Der Hubschrauber kreist. Hundestaffeln werden angefordert. Bis in die Nacht Im Rahmen einer späteren Alarmierung sind sich die Retter wird alles versucht. Eine halbe Kleinstadt ist auf den Bei- unschlüssig. Ich nehme deshalb zuerst telefonischen nen. Während Vater und Bruder mitsuchen, betreue ich 30 Kontakt zum Hinterbliebenen auf, ggf. auch eine Alter- die Mutter. Sie fragt mich, wie es weitergehen soll. Seit
Mittag gibt es keine Spur von dem Jungen. Es muss das Trauernde bewegen. In meiner Schlimmste befürchtet werden. Dennoch darf die Hoff- Funktion als Notfallseelsorger nung zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegeben werden. hatte ich auch schon vor Corona Nach Mitternacht wird der Einsatz heruntergefahren. Am Abstand zu halten, natürlich in nächsten Tag steht fest, der Junge ist einem tragischen einem ganz anderen Sinn. Ohne Unglück zum Opfer gefallen. Darauf kann man sich nicht die notwendige Distanz würde vorbereiten. Beim Anblick der verzweifelten Mutter stehen ich meine eigene Handlungsfä- einer Polizistin Tränen in den Augen. Die Mutter will ihren higkeit und den Respekt vor den verlorenen Sohn wiederhaben. Angehörige und Freunde Angehörigen aufs Spiel setzen. treffen ein. Die Mutter bittet mich, gemeinsam mit ihnen zu Maske und Einmalhandschuhe beten. Wir suchen nach Wegen, wie es für die Hinterblie- empfinde ich allerdings als benen weitergehen kann. Wieder im Auto muss auch ich störend im Einsatz. Dennoch tief durchatmen. gibt es keine Alternative. Die Angehörigen haben dafür In den Extremsituationen des Lebens brauchen Menschen Verständnis. Sie wären in einer akuten Krisensituation auf Begleitung, Zuspruch und Orientierung. Trauer, Ängste sich allein gestellt. Auf diesem Hintergrund erscheint auch und Wut müssen zur Sprache kommen. So sind es in mir die Maske als das kleinere Übel. Pandemiezeiten keine grundsätzlich anderen Fragen, die Diakon Christoph Jung 31
Der Diest-Hof Seyda und der Corona-Ausbruch im Dezember 2020 Bewohnern besuchen 22 die Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Jessen. Weitere 63 Bewohnerinnen und Bewohner erhalten eine Tagesstruktur in den verschiede- nen Bereichen der Tagesförderung. Diese reicht von Land- wirtschaft, Tierhaltung, Gartenbau bis zur Kleiderkammer und verschiedenen Kreativgruppen. In eine dieser Grup- pen wurde am 4. Dezember 2020 das Corona-Virus durch eine Mitarbeiterin eingetragen, die mit Erkältungssympto- men erkrankt und durch eine eingewiesene Mitarbeiterin per SARS-2-Corona-Schnelltest positiv getestet wurde. Mit dem Gesundheitsamt des Landkreises Wittenberg wurde 2 Wochen vorher eine Testkonzeption mit monatlich 2000 Der Diest-Hof ist eine Wohnstätte der Diakonie für 100 Schnelltests abgeschlossen. Sofort wurde der bereits erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung. Die im Frühjahr 2020 installierte Pandemie-Krisenstab des Bewohnerinnen und Bewohner leben – je nach Wunsch Diest-Hofes einberufen und Maßnahmen festgelegt. Es und Möglichkeit – in Wohneinheiten mit 2 bis 12 wurden alle Bewohnerinnen und Bewohner sowie alle 32 Personen in 8 Häusern auf dem Gelände. Von den Mitarbeitenden durch eingewiesene Mitarbeitende per
Schnelltest getestet. Dabei war festzustellen, dass die fektion, FFP-2-Masken, Visiere und Schutzkittel. Durch Mitglieder der Gruppe besagter Mitarbeiterin und wei- das Gesundheitsamt wurden in den weiteren Tagen tere Mitarbeitende der Tagesförderung Covid19-positiv und Wochen regelmäßig PCR-Tests bei Bewohnern und waren. Mitarbeitenden in der Einrichtung durchgeführt. Eine Daraufhin wurde die Tagesförderung – einschließlich effektive Absonderung und Trennung von positiv und Kleiderkammer – geschlossen, ein vollständiges Be- negativ getesteten Bewohnern ist uns jedoch nicht gelun- suchsverbot verfügt (auch für Therapeuten), Zusammen- gen – innerhalb weniger Tage künfte aller Art (auch zu Andachten/Gottesdiensten in der hat sich das Virus in allen Hauskapelle) abgesagt und die Arbeiten an der Scheu- Wohn- und Arbeitsbereichen ne, die aktuell zu einem Saal umgebaut wird, eingestellt. ausgebreitet. Menschen mit Durch das Gesundheitsamt wurde außerdem verfügt, geistiger Behinderung ist dass auch die Heimbewohner Mund-Nase-Schutz-Mas- nicht so leicht zu vermitteln, ken tragen müssen, wenn sie mit anderen Bewohnern dass sie für einen Zeitraum oder mit Mitarbeitenden zusammenkommen. von mehreren Tagen im Zim- Die Mitarbeitenden erhielten aus Beständen des Sozial- mer bleiben sollten. Aufgrund ministeriums Sachsen-Anhalt in Magdeburg zusätzlich der Covid19-Erkrankung von zu den vorhandenen Handschuhen und Händedesin- immer mehr Mitarbeitenden 33
Der Diest-Hof Seyda und der Corona-Ausbruch im Dezember 2020 – darunter die gesamte Einrichtungsleitung sowie 4 von Havelberg und der Kreiskantor, welcher vor vielen Jahren 5 Hauswirtschafterinnen und weiterer Absonderung von seinen Zivildienst auf dem Diest-Hof geleistet hatte, als Mitarbeitenden als Kontaktperson 1. Grades – wurde aktive Helfer gewonnen werden. Die verbliebenen Mitar- neben dem Landrat auch das Kuratorium (einschließlich beitenden waren überall dort im Einsatz, wo viele Lücken der Superintendentin) – auch der Ortspfarrer um Unter- entstanden sind. stützung gebeten. Es konnte u. a. eine Reinigungsfirma Insgesamt waren 62 Bewohnerinnen und Bewohner beauftragt, 10 Soldaten der Elbe-Havel-Pionierkaserne sowie 34 Mitarbeitende an Corona erkrankt. Dankbar dürfen wir sein, dass kein Sterbefall zu beklagen war. Die Gebete wurden erhört. Wenn es wieder möglich ist, werden wir eine Dankeschön-Veranstaltung im Saal der sanierten Scheune durchführen. Diakon Andreas Gebhardt Vorstand im Diakoniewerk „Gustav von Diest“ Seyda/Jessen e. V. 34
Das Diakonenhaus, seine Krisen und der Umgang damit Vorbemerkung: Vermutlich haben die Verantwortlichen im Jahr 1868 die- Krisen sind per Definition schwierige bzw. gefährliche ses Lied nicht auf den Lippen gehabt, als die Forderung Lagen, in denen es um Entscheidungen geht. Wer auf laut wurde: „Wir müssen Brüder haben“ und damit die eine 150jährige Geschichte zurückblickt wird nicht daran Sache in Gorbitz ihren Lauf nahm. Aber sie müssen das zweifeln, dass es in dieser langen Zeit auch manche Versprechen des Liedes im Herzen getragen haben. Ohne Krise gegeben hat. An solche Krisen erinnert schon die diese Grundlage wäre die Gründung einer Brüderanstalt Chronik. Einiges will ich hier kurz erwähnen und ergän- ohne ausreichende Mittel mehr als abenteuerlich, viel- zen. Entscheidend ist aber, wie man mit diesen Krisen leicht sogar leichtsinnig gewesen. umgegangen ist und was durch die Krisen hindurchge- holfen hat. Die erste Krise ließ ja auch nicht auf sich warten: „Fast entmutigend klein, primitiv und schwierig hatte 1872 Die Sach’ ist Dein, Herr Jesu Christ alles begonnen: zwei Männer, ein Häuschen, ein Tisch und zwei Stühle – das war der Anfang. Und ein Jahr spä- „Die Sach ist Dein, Herr Jesu Christ, ter erschien alles noch hoffnungsloser: zwei der ersten die Sach, an der wir stehn. Diakonenschüler ertranken in der Elbe. Kaum begonnen Und weil es Deine Sache ist, kann sie nicht untergehn.“ schien alles bereits am Ende.“ So formuliert es Rektor Ihmels 1972. 35
Das Diakonenhaus, seine Krisen und der Umgang damit Andere Krisen folgten. Vielleicht kann man sie unterteilen in die großen, sprich offensichtlichen Krisen, und die mehr verborgenen, also nicht für alle sichtbaren Krisen. Zu den Offensichtlichen gehören zweifellos: • die zwei Weltkriege, die ihre inneren und äußeren Spuren hinterließen • die Unterzeichnung des Zwangskaufvertrages der An- stalt am 06.11.42 • die erfolglosen Bemühungen, das Verlorene zurückzube- kommen • die Drohung, die Brüderschaft und die Diakonenschule aufzulösen, weil sie als Privatschule galt und Privatschulen nach dem Krieg nicht erlaubt waren • der Brand des Vater-Höhne-Hauses am 20. Mai 1970 • die Beendigung der Kooperation der Diakonen- 36 häuser der DDR 1985 nach 15 Jahren Zusammenarbeit
Zu den Krisen, die nicht für alle sichtbar waren, zählen kein Problem, die Aufnahme in die Brüderschaft aber für zum Beispiel: manche dennoch eine Krise. (1975 stellte der Brüderrat ja • 70.000 Mark Schulden, die der Jahresbericht 1881 aus- noch fest: „grundsätzlich keine Mädchen in keine Brüder- weist schaft der Diakonenhäuser aufzunehmen“.) • der Brüdertag 1905 der wegen einer Scharlachepidemie ausfallen musste Die entscheidende Frage: Wie ist man am Diakonenhaus • ein Hilferuf 1907, weil sich keine jungen Männer für die mit den Krisen umgegangen? Meine ganz persönlichen Ausbildung meldeten Gedanken beschreiben, wie ich es erlebt habe und was • die Verfolgung der Jungen Gemeinde Anfang der 50er ich für nachdenkenswert halte. Jahre, in deren Folge auch Diakone verhaftet wurden und Um in den unterschiedlichen Krisen am Diakonenhaus unter Beobachtung der Stasi standen bestehen zu können, brauchte es in der Vergangenheit • Krisen zwischen Schülern und Lehrern, die sich oft an und sicher auch in der Zukunft: theologischen Fragen entzündeten - 1967 von Rektor Appel im Brüderbrief einmal offen angesprochen 1. Verbündete im Land • das Ende des Sendungsprinzips 1997, weil die Landes- Viele von denen, die in Moritzburg ihre Ausbildung hatten kirche nicht ausreichend Stellen vorhalten kann und eingesegnet wurden, bezeichnen Moritzburg als • die Aufnahme von Frauen in die Ausbildung 1992 war ihre zweite Heimat. Dass dies nicht nur so ein Spruch ist, 37
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