Broschüre 2021 - Ableism Rassismus und - Studierendenwerk Darmstadt
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tik Israelkri oder e lb ezo g ener Ableism Isra n tis em itismus und A Rassismus Rassismus gegenüber Sinti und Roma Anti- feminismus und Sexismus im Web 2.0 Broschüre 2021 Anti- muslimischer Rassismus
Vorwort Zweite Intersektionale Diversity Woche (InDiWo) Vorwort 03 vom 22. – 26. November 2021 Israelkritik oder Israelbezogener Antise- 04 Wir befinden uns im zweiten Jahr der Corona-Pan- mitismus: Kriterien und Mechanismen in demie und diese wirkt wie Zündstoff in unserer historischer Kontinuität Gesellschaft. An allen Ecken brechen Konflikte auf, die bereits lange schwelen. Der Ton auf den Straßen und im Netz wird rauer. Die Unterschiede in unserer Ableism und Rassismus als institutionali- 08 auseinanderdividierten Gesellschaft sind spürbar; sierte Differenzierungs- und Diskriminie- zwischen Arm und Reich, zwischen Alt und Jung, rungspraxis in der Dominanzgesellschaft zwischen Menschen, die zu marginalisierten Gruppen gehören und der Dominanzgesellschaft. Quo vadis? Wohin führen uns diese Entwicklungen? Werden wir Gleichzeitig konnte jede:r sich darüber klarwerden, Rassismus gegenüber Sinti und Roma 12 aufstehen und gegen jedwede gruppenbezogene dass wir selbst unbewusst oder bewusst diskrimi- Menschenfeindlichkeit Haltung beziehen? Werden wir nieren. Da, wo wir uns ertappt fühlen, kann dies allen Menschen in unserem Land den gleichen Schutz „Braucht es das Reden über zunächst zu Abwehr führen. Im Idealfall können aber Antifeminismus und Sexismus im Web 16 gewähren und Pluralismus als Selbstverständlichkeit 2.0 - Ziele & Strategien rechtsalternativer Diskriminierung und deren gerade solche unangenehmen „Aha-Momente“ ein der Demokratie anerkennen? Werden wir Diskriminie- Denkanstoß sein, um sich weiter mit Diskriminierung Akteur:innen rungen entschlossen entgegentreten? Verwobenheit?“ auseinanderzusetzen und unser eigenes Verhalten Jede einzelne Diskriminierungsform muss immer im stetig zu reflektieren und zu korrigieren. Kontext und in ihrer eigenen Geschichte gedacht wer- Ja, denn der Ton in öffentlichen Auseinandersetzun- Wir können uns im Perspektivwechsel üben. Wir kön- Antimuslimischer Rassismus 20 den. Diskriminierungsformen sind jedoch auch ver- gen ist rauer geworden und wir erleben zunehmend nen das Gespräch und den Kontakt suchen, um uns schränkt und stabilisieren sich gegenseitig. Dies wird ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. mit den Lebensrealitäten, die anders sind als unsere Kurzreflektion der Woche 24 als systemische Intersektionalität bezeichnet. Häufig Im Hochschulumfeld wollen wir als Studierendenwerk eigenen, auseinanderzusetzen. Danksagung 26 wird diese nicht wahrgenommen und dadurch werden den Weg zu einer Gesellschaft ebnen, die offen und Für unser demokratisches Zusammenleben spielt die verschiedene Diskriminierungen erneut bedingt und interessiert aneinander ist, die es aushält, wenn mit Achtung der Menschenrechte eine zentrale Rolle. Wir Reichweite & Feedback 27 verstärkt. Manchmal kommt es gar zu Hierarchisierun- Menschen gleichwertig umgegangen wird und deren sollten Haltung beziehen, wenn unsere offene und Anti-Diskriminierungs-Anlaufstellen an 28 gen unterschiedlicher Diskriminierungsformen. Lebensgestaltungen, Werte und Ausdrucksweisen plurale Gesellschaft beispielsweise von rechts außen den Darmstädter Hochschulen Das Studierendenwerk Darmstadt will Diskriminierun- vielfältig sind. bedroht wird. Das bedeutet für uns, dass wir selbst- gen entgegenwirken. Daher rief der Bereich Interkul- Als Geschäftsführer möchte ich an dieser Stelle die verständlich auch Diskriminierungen ansprechen, die turelles des Studierendenwerks im Jahr 2020 die Erste demokratische Grundhaltung des Studierendenwerks von der Mitte der Gesellschaft ausgehen. Intersektionale Diversity Woche (InDiWo) ins Leben, unterstreichen, die sich u.a. in der Durchführung von Trotz der realen Gefahr des Auseinanderdriftens – die in deren Rahmen Diskriminierungen sichtbar gemacht gesellschaftsrelevanten Angeboten wie der Intersek- ich oben genannt habe – können wir auch positive und angesprochen wurden und Vorträge zum Nach- tionalen Diversity Woche (InDiWo) zeigt. Die Phase Entwicklungen in unserer Gesellschaft beobachten: und Umdenken anregten. des Studiums ist eine Zeit des Ausprobierens, des Menschen suchen Gespräche, treten füreinander und Vom 22. bis 26. November 2021 konnte die On- Entdeckens und neu Erfahrens. Das Hochschulumfeld für Werte ein, die auf ein wertschätzendes Mitein- line-Veranstaltungsreihe mit der Zweiten InDiWo als offenen Raum für Debatten gilt es zu schützen, ander zielen, benennen Diskriminierungen als solche fortgesetzt werden: Fünf Tage mit fünf Referent:innen kritische und vielfältige Perspektiven zuzulassen. und zeigen, was für eine diskriminierungskritische und fünf Vorträgen hatten wir diesmal für Sie geplant. Kommunikation und Austausch sollen vor allem die Gesellschaft nötig wäre. Wir beschäftigten uns mit Themen aus den Spektren Menschen stärken, die demokratisch debattieren Eine wichtige Voraussetzung ist Diskriminierung zu- von Israelbezogenem Antisemitismus, Rassismus und wollen. nächst wahrzunehmen, um aktiv dagegen vorzugehen Ableism, Rassismus gegenüber Sinti und Roma, Sexis- Die jährliche Veranstaltungsreihe der InDiWo legt und sich für eine plurale Gesellschaft einzusetzen, mus und Antifeminismus im Web 2.0 sowie Antimusli- einen Schwerpunkt auf das Sichtbarmachen von die alle Menschen miteinschließt statt sie aufgrund mischem Rassismus. Diskriminierungen. Wir hatten als Teilnehmer:innen verschiedener willkürlicher Merkmale auszugrenzen. Viele Themen der genannten Spektren sowie ande- alle die Möglichkeit, Einblicke in unterschiedliche Diesen Weg müssen wir nicht alleine bestreiten, re Diskriminierungsformen konnten wir noch nicht Diskriminierungsformen, deren Verwobenheit sowie dabei dürfen wir uns auch anleiten und begleiten behandeln – die Auswahl der Themen stellt keinesfalls deren Auswirkungen auf Betroffene zu bekommen. lassen. Z.B. von den engagierten Referent:innen und eine Wertung dar. Es gibt noch Vieles, was themati- Die Vorträge zeigten mitunter sehr belastende Äuße- Expert:innen auf ihrem Gebiet, die wir für die zweite siert werden muss und was wir Ihnen gern in nachfol- rungen, Zuschreibungen, Anfeindungen und Ausgren- InDiWo gewinnen konnten. Impressum Inhalt: Louisa Frenzel, Gabriela Mayungu genden InDiWos offenlegen möchten. zungen auf, die Angehörige marginalisierter Gruppen Berichte: Yan Yi Leung, Büșra Gawlik, Dixon Wong Wir als Studierendenwerk Darmstadt wollen ein klares alltäglich erfahren. Dadurch hatten auch diejenigen, Redaktion: Louisa Frenzel, Gabriela Mayungu, Ursula Lemmertz Zeichen für eine offene und plurale Gesellschaft der die zur Dominanzgesellschaft gehören und sich ihrer Wolfgang Rettich Layout: Susanne Schuckmann Teilhabe und Inklusion setzen. Das digitale Format Privilegien nicht immer bewusst sind, eine Gele- Logo InDiWo: Dixon Wong Geschäftsführer des Studierendenwerks Darmstadt Darmstadt Februar 2022 sollte möglichst vielen Menschen die Teilnahme genheit ansatzweise zu erahnen, was es bedeutet, ermöglichen. Diskriminierungen ausgesetzt zu sein. 2 3
Israelkritik oder Israelbezogener Antisemitismus: Kriterien und Mechanismen in historischer Kontinuität Julia Bernstein Der Einstieg zum Vortrag erfolgt über mehrere Zitate faktenbasiert vertraut sind, den Begriff „Israelkritik“ heit“ verbergen, sich als Mensch einen faktenbasierten Erfassung und justiziellen Bearbeitung antisemitisch aus Forschungsbefunden im Kontext von Schule, die scheinbar als neutral verwenden und mit ihrem eigenen Wissensstand anzueignen. Hierbei wird der Anspruch motivierter Straftaten hin. Bis heute liegt keine rechts- mit Israelbezogenem Antisemitismus verbunden sind. Anspruch auf Reflektiertheit, Engagement, Zivilcourage erhoben, jegliche Meinung, die auf den eigenen zu bindende Definition zum Phänomen des Antisemitismus Der Israelbezogene Antisemitismus ist heutzutage die und eigener Meinungsfreiheit verbinden. respektierenden und wertschätzenden Eindrücken oder in Deutschland vor. dominierende Erscheinungsform des Antisemitismus. Gefühlen beruht, einen entsprechend wertvollen Platz Im Fokus des Vortrags steht vor allem die Perspektive der Betroffenen und die Wirkmächtigkeit der Kulisse, Wie wird israelbezogener in der Kommunikation einzuräumen. Um die Mechanismen und Kriterien in historischer Kontinuität zu veranschaulichen, stellt Julia Bernstein denen Juden:Jüdinnen in Deutschland ausgesetzt sind. Antisemitismus legitimiert? Neben erschreckenden Daten und Fakten aus der For- aus Forschungsbefunden einige gegenwärtige sowie Julia Bernstein betont die Wichtigkeit der Unterschei- schung zum gegenwärtigen Antisemitismus, die vor vergangene stereotype Darstellungsweisen vor (anti- dung zwischen einer jüdischen Perspektive und einer Zum tieferen Verständnis führt Julia Bernstein die allem eine Diskrepanz zwischen der jüdischen und der semitische Bilder in Form von Karikaturen, Fotografien nicht-jüdischen Perspektive, die es entsprechend zu Prämissen an, die den Zeitgeist charakterisieren und nicht-jüdischen Bevölkerung in Deutschland verdeutli- und Plakaten). Sie zeigt auf, wie sich die Kontinuität des berücksichtigen gilt. Neben Zitaten aus dem schulischen antisemitische Gewalt scheinbar legitimieren bzw. chen, weist Julia Bernstein auch auf Probleme bei der Antisemitismus in der Entstehung und Verfestigung der Kontext zieht die Referentin zur Veranschaulichung der rechtfertigen. Erscheinungsform des Israelbezogenen Antisemitismus Wirkmächtigkeit des Themas auch Beispiele polizeili- als Erbe der vorigen, in der Vergangenheit dominie- chen Fehlverhaltens sowie negative Beispiele aus der Eine Prämisse lautet, dass Antisemitismus vor allem als renden Erscheinungsformen mit rassistischer Prägung, medialen Berichterstattung in Deutschland heran. physische Massenvernichtung in der Shoa stattgefun- Daten und Fakten aus der abbildet. Daran wird nicht nur deutlich, wie die antise- den hat und seit dem zweiten Weltkrieg in Deutschland mitischen Feindbilder über die Zeit bestehen, sondern Aus ihrer Forschung geht hervor, dass die Form des als ein überwundenes Phänomen gilt, das der Ver- Forschung zum gegenwär�gen auch, wie sie über verschiedene Narrative hinweg Israelbezogenen Antisemitismus nicht alleine existiert, gangenheit angehört. So ist es heute verpönt, sich zur An�semi�smus allgegenwärtig auf Israel übertragen werden. Es wird sondern jedes Mal parallel mit anderen Formen von Judenfeindschaft zu bekennen, oder schlicht undenk- sehr deutlich, dass Israelbezogener Antisemitismus ein Antisemitismus 1 auftritt. Die Formen gehen fließend bar, ein negatives Gefühl gegenüber Juden:Jüdinnen 90% der Juden:Jüdinnen in Deutschland gesamtgesellschaftliches Problem ist und nicht – wie z.T. ineinander über. überhaupt einzugestehen – für die meisten Menschen sehen An�semi�smus als großes oder argumentiert – importiert ist. liegt hier eine Assoziation mit nationalsozialistischem sehr großes Problem an. Israelbezogener Antisemitismus wird als Teil einer politi- Gedankengut nahe, von dem sie sich deutlich distanzie- 70% der Juden:Jüdinnen in Deutschland schen Debatte unter dem Deckmantel der „Israelkritik“ betrieben. Dadurch werden antisemitische Aussagen ren wollen. haben Anfeindungen erlebt. „3D-Test“ nicht als solche angesehen und israelbezogener Antise- Eine zweite Prämisse betrifft den Anspruch auf Gerech- Zum Erkennen von Antisemitismus mit Israelbezug stellt mitismus heruntergespielt. So werden beispielsweise tigkeit und geschichtliche Pflicht. Darunter wird ver- 60% der Juden:Jüdinnen in Deutschland die Referentin den „3D Test“ nach Natan Sharansyk Juden:Jüdinnen in Deutschland vermehrt auf israelische standen, dass sich Menschen im Namen von Schuld und vermeiden es, bes�mmte Stad�eile zu vor, welcher Hilfestellung gibt, prüfen zu können, ob Politik angesprochen und müssen sich rechtfertigen, Scham bspw. beim Thema Nahostkonflikt auf die Seite betreten oder haben bereits über im Zusammenhang mit Israel ein Doppelter Standard, weil ihnen eine Repräsentant:innenrolle zugeschrieben der „Palästinenser:innen“ positionieren, um somit eine Auswanderung nachgedacht. eine Dämonisierung oder eine Delegitimierung des wird. Problematisch ist hierbei, dass nicht-jüdische Art des Tabubruchs herbeizuführen – die Menschen Staates Israel vorliegt. Zur Identifizierung sollen darüber Menschen, die bspw. nicht mit dem Nahostkonflikt möchten sich dabei selbst als Aufständische verstehen, 40% der nicht-jüdischen Bevölkerung hinaus u.a. noch folgende Punkte Beachtung finden: die für etwas „Gutes“ einstehen. denkt, dass bei der Poli�k, die Israel eindimensionale Reduktion der Komplexität – Dekon- führt, verständlich ist, dass man etwas textualisierung zur Feindbildkonstruktion – Irrationalität Die dritte Prämisse beinhaltet den hohen Stellenwert gegen Juden hat – nicht gegen 1 Weitere Informationen zu Antisemitismus sind in der und Vehemenz – sprachliche Manipulation – Neutrali- Broschüre zur Ersten InDiWo in den Zusammenfassungen der eigenen Meinungsfreiheit in einer demokratischen irgendwelche israelische Akteur:innen tätsanspruch. der Vorträge von Marc Schwietring und Deborah Krieg zu Gesellschaft. Besonders in Bezug auf Israelkritik kann sondern gegen Juden allgemein. finden: https://studierendenwerkdarmstadt.de/wp-content/ hierbei oft ein anderer psychologisch zu erklärender uploads/2021/02/Vortraege-InDiWo.pdf?x16341 Wunsch versteckt sein oder im Sinne von Adorno „Faul- 4 5
In der abschließenden Diskussion wird von Seiten der Reaktionen der Teilnehmenden Referentin deutlich, dass neben einer Sensibilisierung zu israelbezogenem Antisemitismus, die u.a. besonders 60% der nicht-jüdischen „Ich nehme mit, dass wir alle einen wichtigen Anteil des Problems darstellen und dass das Problem nicht in Israel liegt, bei Akteur:innen in Bildungs- und Beratungsinstitutio- Bevölkerung denkt heute, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft. Die Bedeutung der eigenen Solidarität und das aktive Handeln in unserer nen relevant ist, auch jede:r Einzelne in unserer Gesell- dass die deutsche Bevölkerung Gesellschaft.“ schaft sich im Hinblick auf eine Solidarisierung mit der keine besondere Verantwortung jüdischen Minderheit angesprochen fühlen sollte. „[Es hat mich] erschreckt, mich in den Beschreibungen auch wiederzuerkennen“ für die jüdische Bevölkerung hat. Sehr eindringlich gibt Prof. Julia Bernstein den Teilneh- menden am Ende folgenden Denkanstoß mit auf den Weg: „Bei Israelkritik sollte Sie alle als Deutsche vielmehr die Frage beschäftigen, dass Juden und Jüdinnen in Deutschland sicher leben. Das ist nicht der Fall. Das scheint Menschen nicht so zu beschäftigen, aber im Gegensatz dazu wollen alle wissen, wie man Israel kritisieren kann, ohne antisemitisch zu agieren – ich meine, der Fokus ist falsch: Es ist nicht falsch, weil man irgend- Literaturempfehlungen welche Eingrenzungen oder Verbote aufstellt, es ist falsch, weil es hier in Deutschland eine katastrophale Situation ist.“ • Bernstein, Julia (2021): Israelbezogener Antisemitismus. Erkennen - Handeln – Vorbeugen, Weinheim: Beltz Juventa. • Bernstein, Julia/ bpb (2020): Israelbezogener Antisemitismus an Schulen. https://www.bpb.de/politik/extremismus/ Bericht: Büşra Gawlik antisemitismus/321604/israelbezogener-antisemitismus-an-schulen. • Geisel, Eike (2015): Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Essays und Polemiken, Berlin: Edition Tiamat. • Giesel, Linda (2015): „Kriegstreibende Zionisten“ und „Pro-Israel-Lobby“ – Verbaler Antisemitismus in Kommentar- beiträgen des Neuen Deutschlands und der Taz. In: Monika Schwarz-Friesel (Hg.): Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft, Baden-Baden: Nomos, S. 135 – 154. • Glöckner, Olaf/ Jikeli, Günther (Hg.) (2019): Das neue Unbehagen - Antisemitismus in Deutschland heute, Hildes- heim: Olms. • Messerschmidt, Astrid (2018): Selbstbilder in der postnationalsozialistischen Gegenwart. In: Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart, Ausgabe 4, Nr. 2 Gegenwartsbewältigung, S. 38-46. Kurzbiografie Referent:in • Rensmann, Lars / bpb (2021): Israelbezogener Antisemitismus. Formen, Geschichte, empirische Befunde. https:// Julia Bernstein ist seit April 2015 Professorin für soziale Ungleichheiten und Diskriminierungserfahrungen im Fach www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/326790/israelbezogener-antisemitismus. Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences. Von 2017-2019 leitete sie das Projekt „‘Mach mal • Salzborn, Samuel (2013): Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung. In: Kirche und Isra- keine Judenaktion!‘: Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen el. Neukirchener Theologische Zeitschrift, 28 (1). Online verfügbar unter http://www.salzborn.de/txt/2013_Kir- Antisemitismus“. Zuvor übernahm sie die Leitung des qualitativen Teils des Forschungsprojekts „Jüdische Perspektiven che-und-Israel.pdf . auf Antisemitismus“ interdisziplinäres Institut für Gewalt- und Konfliktforschung mit Prof. Andreas Zick im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. • Schubert, Kai (2019): Aktueller Antisemitismus in deutschen Qualitätsmedien. In: Olaf Glöckner/ Günther Jikeli (Hg.): Das neue Unbehagen - Antisemitismus in Deutschland heute, Hildesheim: Olms. • Schwarz-Friesel, Monika (Hg.) (2015): Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesell- schaft, Baden-Baden: Nomos. • „Die Sachen mit den Juden“, Dokumentationsreihe des BR, abrufbar unter: https://www.ardmediathek.de/. • The Middle East Union Festival (in Berlin): https://middle-east-union.de/de/. 6 7
Silencing ist die bewusste oder Ableism und Rassismus als unbewusste Ausgrenzung bes�mmter S�mmen und Gruppen. Sie ist eine Form von Gewalt, wodurch Meinungen von institutionalisierte Differenzie- Minderheitsangehörigen ak�v „verstummt“ werden. Eine Folge ist nicht nur die Angst vor sozialer Aus- rungs- und Diskriminierungs- grenzung, sondern auch Einschücht- erung und fehlende Anerkennung und Toleranz gegenüber den Meinungen von praxis in der Dominanzgesell- Minderheitsangehörigen. Ein Beispiel hierfür wäre, dass Betroffenen Diskriminierungserfahrungen nicht schaft geglaubt oder sogar abgesprochen werden. Robel Afeworki Abay „Wenn ich hier von behinderten Menschen spreche, ist es ein selbstbewusst „Wir sprechen nie über Wir, sondern im Bei dem Begriff Othering (engl. other = "andersar�g" mit der ausgewählter Begriff – weil eben auch darüber viel Diskurs besteht und „be- Diskurs immer über die Anderen – was Endung -ing", um das Substan�v bzw. hinderte Menschen“ eben nicht meint, dass Menschen behindert sind, son- eigentlich normal bedeutet, wissen wir Adjek�v zu einem handelnden Verb zu dern von der Dominanzgesellschaft behindert werden – […] wenn diskrimi- auch heute nicht.“ machen) handelt es sich um einen nierende Strukturen im Alltag so dominant sind, dass die Betroffenen nicht R. A. A. permanenten Akt der Grenzziehung, bei dem Menschen mi�els Stereotypisierung in der Gesellschaft leben und teilhaben können – […] werden Menschen Intersektionale Diskriminierung zeichnet sich in der zu den „Anderen“ gemacht werden. behindert. Und das ist wichtig, im Hintergrund zu haben.“ Dominanzgesellschaft konkret durch Vulnerabilisierung, „Die Anderen“ werden dabei als nicht- R. A. A. Kulturalisierung, Silencing, Paternalisierung, Infantili- zugehörig und abweichend kategorisiert sierung, Dämonisierung und Othering aus. und abgewertet. Der Prozess des Gerade in Bezug auf Intersektionalität versucht Robel Otherings geschieht häufig innerhalb eines (gesellscha�lichen) Machtgefälles. Der Referent eröffnet den Vortrag, indem er erläutert, Soziale Praxis der Differenzierung Afeworki Abay aufzuzeigen, dass bei Rassismus und Ableism die Praxis des Othering eine ganz zentrale dass er den englischsprachigen Begriff Ableism im Vor- Gemeinsamkeit darstellt. Diese äußert sich zumeist in h�ps://www.ikud.de/glossar/othering- trag benutzt, um diesem Konzept auch im deutschspra- Wird bei Ableism und Rassismus die Annahme ver- defini�on.html chigen Diskurs gerecht werden zu können, wo es keine Form von Binarität, bspw. über die Konstruktionen von h�ps://www.kulturglossar.de/html/o-begriffe.html folgt, dass es sich jeweils um ein Herrschaftsverhältnis passende Übersetzung gäbe. weiß/nicht-weiß; behindert/nicht-behindert; normal/ handelt, dann haben beide Herrschaftsverhältnisse nicht-normal. gemeinsam, dass sie als soziale Praxis der Differen- Im Fokus seines Vortrags geht es um die Ähnlichkeiten zierung, Hierarchisierung und Diskriminierung einer und Gemeinsamkeiten von Ableism und Rassismus und Die Folge ist, dass Ausgrenzungs- und Exklusionsmecha- kapitalistischen Leistungsgesellschaft fungieren, folglich dessen Einbettung in eine intersektionale Perspektive, nismen auf der intersubjektiven, diskursiven, insti- strukturgebend sind. Weiß bezeichnet ebenso wie Schwarz mit dem Ziel die dahinterstehenden diskriminierenden tutionellen und strukturellen Ebene, ausgehend von Strukturen in der Gesellschaft aufzuzeigen. Konkret keine biologische Eigenscha� und keine Rassismus ist eine Praxis der Unterscheidung zwischen reelle Hau�arbe, sondern eine poli�sche handelt es sich bei Ableism und Rassismus um zwei Menschen und Menschengruppen, welche die konstru- dominante soziale Differenzkategorien, die auch als Be- und soziale Konstruk�on. Mit Weißsein ierten Unterschiede auf differente „biologische Abstam- ist die dominante und privilegierte hinderung und Migration verstanden werden können. Kulturalisierung bedeutet, dass bei mung“ von Menschen und/oder „kulturelle Differenzen“ Posi�on innerhalb des Machtver- Unter der Berücksichtigung, dass Unterdrückung und einem Individuum seine (vermeintliche) zurückführt. Hierunter fallen bspw. die rassistischen hältnisses Rassismus gemeint, die sonst Hierarchien postmodernen Gesellschaften sehr subtil Kultur als Begründung seines Handelns Erscheinungsformen von Anti-Schwarzem-Rassismus, zumeist unausgesprochen und unbe- ablaufen und komplex sind, wird im Vortrag aufgezeigt, stark hervorgehoben wird. Ebenso wie Rassismus gegenüber Sinti und Roma, Anti-asiati- nannt bleibt. Weißsein soll auf die dass es nach wie vor Herrschaftsverhältnisse gibt, bei bei Rassismus oder Ethnisierung werden schem-Rassismus und Anti-Muslimischem-Rassismus. sozialen, poli�schen und kulturellen der bestimmte Gruppen ausgeschlossen werden und Menschen(gruppen) in diesem Fall auf Ableism funktioniert ähnlich wie Rassismus ganz zentral Privilegien von Menschen hinweisen, die eine andere Gruppe privilegiert wird. Die privilegierte Grund ihrer vermeintlichen kulturellen über die Herstellung von vermeintlich natürlicher nicht Rassismus ausgesetzt sind und sich Gruppe wird hierbei als Dominanzgesellschaft aufge- Zugehörigkeit, (nega�ve) Eigenscha�en Differenz, bezieht sich in Abgrenzung dazu jedoch auf deshalb in einer machtvolleren fasst. zugeschrieben. eine Logik der Fähigkeiten (ability) von Menschen. Es gesellscha�lichen Posi�on befinden. herrscht hierbei eine klare machtvolle Konstruktion von h�ps://www.migra�onsrat.de/glossar/ Differenz. Das hat zur Folge, dass eine natürliche Diffe- kulturalisierung/ h�ps://www.br.de/puls/themen/leben/ renz hergestellt wird. Es herrscht ein klares „Normali- h�ps://www.ikud.de/glossar/ rassismus-in-der-sprache-100.html kulturalisierung-defini�on.html h�ps://www.amnesty.de/2017/3/1/ tätsverständnis“ von einer klar definierten „normalen“ glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache Gruppe ausgehend von der Dominanzgesellschaft. 8 9
gesellschaftlich vorherrschenden Normalitätsvorstellun- deutlich, dass die Bekämpfung von Rassismus und Ab- Kurzbiografie Referent:in gen mittels konstruierter Unterschiede von „kultureller leism als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstan- Differenz“ und/oder der „biologischen Abstammung“ den werden sollte. Robel Afeworki Abay positioniert sich als afro-deutscher und queer-feministischer Aktivist. Zurzeit promoviert er an produziert werden. Dies erschwert eine gendergerechte der Humboldt-Universität zu Berlin am Institut für Rehabilitationswissenschaften. Zuvor studierte er Soziologie und sowie eine diskriminierungs- und rassismussensible Ableism stellt nicht nur eine Behinderten-Feindlichkeit, Politikwissenschaften an der Addis Ababa University, Äthiopien und Cardiff University, Wales, UK sowie Soziale Arbeit Teilhabe für alle in der Gesellschaft. sondern vielmehr ein strukturelles Ausbeutungsver- an der Universität Kassel. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich und politisch-aktivistisch mit den The- hältnis dar. Daher besteht auch hier gesellschaftlich men: Intersektionalität; Rassismus und Ableism; Disability Studies; Partizipative Forschung; Postkoloniale Theorien und Trotz vielfältiger Gemeinsamkeiten, die Rassismus und die Aufgabe, „Ableism“ in kapitalistischen Strukturen Dekoloniale Ansätze; Klimagerechtigkeit; Migration, Diversity und Community Studies. Ableism in Bezug auf strukturell verankerte Aus- wahrzunehmen und mehr Menschen für dieses Thema grenzungs- und Exklusionsmechanismen aufweisen, zu sensibilisieren und zu erreichen. grenzt der Referent im Vorfeld ein, dass Ableism und Rassismus zwar Gemeinsamkeiten aufweisen, jedoch Bericht: Büşra Gawlik Reaktionen der Teilnehmenden dadurch, dass unterschiedliche politische Kämpfe sowie unterschiedliche Diskriminierungsformen dahinterste- „Herrschaftsverhältnisse sind intersektional wirkmächtig.“ hen, nicht miteinander gleichzusetzen sind. „Durch den Vortrag ist mir bewusstgeworden, dass unterschiedliche Diskriminierungsformen gleichwertig behandelt und nicht hierarchisiert werden sollten, da es nicht um einen Konkurrenzkampf zwischen den beiden Formen geht, Die Verschränkung von verschiedenen Diskriminierungs- sondern darum, sich kritisch und reflektiert mit den aktuellen Diskursen auseinander zu setzen. Nur so kann Solidarität formen (Intersektionalität) führt dazu, dass Chancen gezeigt werden.“ in der Gesellschaft nicht immer gleich verteilt sind. Der Begriff Klassismus ist in Anlehnung Deshalb ist es gefährlich, Intersektionalität additiv zu an Begriffsbildungen wie Rassismus „Dass bei Ableism und Rassismus die gleichen Exklusionsmechanismen stattfinden und es trotzdem bisher meist ge- verstehen, da die Gefahr besteht, bestimmte Lebens- oder Sexismus eine Bezeichnung für trennt diskutiert wird.“ realitäten in Bezug auf Diskriminierungserfahrungen Systeme von sozialen Unterdrückungen, unsichtbar zu machen. die sich an Klassenzugehörigkeit und Klassenherkun� von Menschen orien�eren (A. Meulenbelt 1984; C. Baron 2000), d.h. Klassismus ist die „…[es ist] grundlegend problematisch, dass wir in der Diskriminierung von Menschen Gesellschaft eine Empathielücke haben. Ich glaube, aufgrund ihrer sozialen Herkun�. Literaturempfehlungen dass es ziemlich wichtig ist, dass wir uns von dem ganzen dominanten Diskurs etwas distanzieren […], die Heteronorma�vität ist ein zentraler • Afeworki Abay, R. (2021): Rassismus und Ableism: Same, same but different? Intersektionale Perspektiven und jeweiligen Kämpfe anzuerkennen und gemeinsam Begriff der Queer Theory, mit dem die konviviale Visionen auf Erwerbsarbeit in der Dominanzgesellschaft. In: B. Konz/ A. Schröter (Hg.): Dis/Ability in solidarisch gegen [Diskriminierung] anzugehen.“ Privilegierung von Heterosexualität und der Migrationsgesellschaft. Betrachtungen an der Intersektion von Behinderung, Kultur und Religion in Bildungs- Zweigeschlechtlichkeit gesellscha�lich kontexten, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 93-109. R. A. A. in Frage gestellt wird. Das bedeutet, dass nicht nur die Annahme, es gäbe • Afeworki Abay, R./ Schülle, M./ Wechuli, Y. (2021): Decolonizing Disability: Eine postkoloniale Reflexion auf Behin- zwei gegensätzliche Geschlechter und derung für die deutschsprachige Fluchtmigrationsforschung unter Berücksichtigung der intersektionalen Lebensre- diese seien sexuell aufeinander bezogen, alitäten. In: M. Bach/ L. Narawitz/ J. Schröder/ M. Thielen/ N.-M. Thönneßen (Hg.): FluchtMigrationsForschung im Kontinuität von rassistischen und kri�siert wird, sondern auch die mit Widerstreit. Über Ausschlüsse durch Integration, Münster: Waxmann, S. 117-130. Zweigeschlechtlichkeit und Hetero- ableistischen Strukturen sexualität einhergehenden Privile- • Akbaba, Y./ Buchner, T. (2019): Dis_ability und Migrationshintergrund. Differenzordnungen der Schule und Analogi- en. In: Sonderpädagogische Förderung heute, 64 (3), S. 240-252. gierungen und Marginalisierungen. Robel Afeworki Abay zeigt in seinem Vortrag auf, dass Der Begriff Heteronorma�vität dient • Amirpur, D. (2016): Migrationsbedingt behindert? Familien im Hilfesystem. Eine intersektionale Perspektive, Biele- die Kontinuität von rassistischen und ableistischen der Analyse und Kri�k der Verflechtung feld: transcript. Strukturen in Deutschland immer noch Realität ist und von Heterosexualität und Geschlechter- • Campbell, F. K. (2009): Contours of ableism: The production of disability and abledness. Basingstoke: Palgrave Mac- reale Konsequenzen für die Betroffenen hat. Zeitgleich normen, mit denen Macht-, Ungleich- millan. ist es jedoch auch wichtig, intersektional zu betrachten, heits- und Herrscha�sverhältnisse was es bedeutet, von Sexismus, Klassismus, Heteronor- einhergehen. • Erevelles, N. (2011): Disability and difference in global contexts: Enabling a transformative body politic. London/New mativität, Ableism oder Rassismus betroffen zu sein. York: Palgrave Macmillan. Es gilt die Perspektive so auszurichten, dass Menschen h�ps://gender-glossar.de/h/item/ 55-heteronorma�vitaet • Gummich, J. (2015): Verflechtungen von Rassismus und Ableism. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Diskurs. nicht immer nur von einer Diskriminierungsform, In: I. Attia/ S. Köbsell/ N. Prasad (Hg.): Dominanzkultur reloaded. Neue Texte zu gesellschaftlichen Machtverhältnis- sondern zeitgleich auch von mehreren betroffen sein sen und ihren Wechselwirkungen, Bielefeld: transcript, S. 143-154. können. Im abschließenden Exkurs zu hegemonialer Forschung und Widerstandspraxen macht er nochmals • Roig, E. (2021): Why We Matter: Das Ende der Unterdrückung. Aufbau Verlag, Berlin. 10 11
Rassismus gegenüber Sinti und Roma Gianni Jovanovic Gianni Jovanovic thematisiert in seinem Vortrag die Zur Wirkmächtigkeit stereotyper Im gesellschaftlichen Diskurs über Diskriminierung und dass rassistische Strukturen immer noch in unserer Ge- in unserer Gesellschaft strukturell verankerten Diskri- Rassismus muss betroffenen Menschen Gehör ge- sellschaft vorherrschen. Diese Rassismen und die davon minierungen und Rassismen. Der Referent leitet mit Bilder und Vorstellungen schenkt werden. Wenn sich bspw. mehr vulnerable Per- betroffenen Menschen müssen deshalb auch benannt der Fluchtvergangenheit seiner Roma-Familie ein und sonen in oberen Machtpositionen befinden, dann kann werden. spricht über schmerzvolle Erfahrungen der Sinti:zze Sinti:zze und Rom:nja werden von der Mehrheitsge- auch eine andere Sicht auf die Thematik eingenommen Der beste Weg ist die Gestaltung einer Gesellschaft, die und Rom:nja, die auch seiner Familie widerfahren sellschaft mit Stigmata versehen, um das Narrativ über werden. Erst so könne es gelingen, vorherrschende ALLE, auch die von der Mehrheitsgesellschaft margina- sind. Gianni Jovanovic und seine Verwandten gehörten diese Minderheit aus ihrer Perspektive rechtfertigen Strukturen aufzubrechen. lisierten Menschen zusammen an einen Tisch bringt, zu den Roma-Familien, auf deren Wohnhaus 1982 in zu können, erklärt der Referent. Sinti:zze und Rom:nja erklärt der Referent. Die verschiedensten Lebensrealitä- Darmstadt ein rechtsextremer Sprengstoffanschlag werden als Bevölkerungsgruppe oft objektiviert und exotisiert, ihre Kunst und Kultur werden für stereotype Rassismus als soziale Konstruktion ten sollen anerkannt werden. Wir müssen uns selber in verübt wurde. Ein Jahr später ließ der damalige Ober- unseren Privilegien und Vorurteilen gegenüber margi- bürgermeister das Haus abreißen – die Familien wurden Bilder und Vorstellungen ausgenutzt. nalisierten Gruppen hinterfragen. Wenn wir divers sein Rassismus ist ein Konstrukt, welches von weißen aus Darmstadt vertrieben1. Menschen geschaffen worden ist, um eine moralische wollen, dann brauchen wir auch diverse Perspektiven. Zudem werde der strukturelle Rassismus gegenüber Wir müssen Begegnungsräume schaffen, um schmerz- Legitimierung dafür zu haben, im Zuge des Kolonialis- Es wird aufgezeigt, welcher strukturelle Rassismus Sinti:zze und Rom:nja in der Mehrheitsgesellschaft hafte Themen benennen und darüber sprechen zu mus durch die Unterwerfung von Menschen ökono- gegenüber Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland vor- „anders geduldet“ als der gegenüber anderen Minder- können. misch Ressourcen an sich reißen zu können. Dies hatte herrscht. Zudem wird beschrieben, worauf im Denken heiten. Im Sprechen über den Völkermord zur NS-Zeit zur Folge, dass sich eine weiße christliche Dominanz- und Sprechen über Rassismus Acht gegeben werden wird diese Gruppe oftmals degradiert2, so Jovanovic. Gianni Jovanovic führt in seinem Vortrag einen anre- gesellschaft etablierte, die über bestimmte Privilegien muss, um gegen Formen der Mehrfachdiskriminierung Der Referent appelliert an eine Veränderung vorherr- genden Gedanken aus: verfügt. Der Kolonialismus ist daher entscheidend dafür, anzukämpfen. schender gesellschaftlicher Strukturen, besonders auch von Seiten der Medienschaffenden. In den öffentlichen Gianni Jovanovic erläutert, dass der Rassismus ge- Medien lassen sich kaum positive Berichte über die Be- genüber Sinti:zze und Rom:nja tief in ihrer Geschichte völkerung der Sinti:zze und Rom:nja vorfinden, vielmehr Das Wort „Roma“ bedeutet zu Deutsch „Mensch“. Dreht man dieses Wort verankert und Teil ihrer Identität ist. Seit dem späten werden sie oft mit negativen Bildern in Verbindung um, entsteht daraus „Amor“, also die „Liebe“. Und daraus sind wir alle ge- Mittelalter wurden Sinti:zze und Rom:nja zunehmend gebracht. macht: aus Menschlichkeit und Liebe. ausgegrenzt und unterdrückt. Ende des 15. Jahrhun- derts wurde diese Minderheit als „vogelfrei“ erklärt, Gianni Jovanovic leitet thematisch weiter zur Inter- worauf viele Verbote, Verfolgungen und ungestrafte sektionalität, also der Mehrfachdiskriminierung von Tötungen erfolgten. Auch der historische Völkermord Minderheiten. Er beschreibt, dass das Zusammenkom- an Sinti:zze und Rom:nja in der Zeit des Nationalsozialis- men von mehreren verschiedenen Faktoren – sei es der Bericht: Dixon Wong mus darf keinesfalls unerwähnt bleiben. kulturelle Hintergrund, die sexuelle Orientierung, die geschlechtliche Identität, eine körperliche Behinderung, die Zugehörigkeit zu einer Konfession oder der Bil- dungsgrad der eigenen Familie – eine Person vulnerab- ler machen. Wenn über Rassismus gesprochen wird, so der Refe- rent, dann muss das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen (Intersektionen) mehr in den Fokus gebracht werden. 1 https://www.sintiundroma.org/de/ausgrenzung-nach-1945/zentral- rat-deutscher-sinti-und-roma/behoerdlicher-rassismus-darmstadt/ 2 Infobox auf Seite 14 12 13
Kurzbiografie Referent:in Der Holocaust war ein tiefer Einschnitt in der Ge- Angesichts dieser weiterbestehenden Diskrimi- Gianni Jovanovic wurde als Sohn einer Roma-Familie in Rüsselsheim geboren. Mit 14 Jahren verheirateten ihn seine schichte der Sinti:zze und Rom:nja. Auf Grundla- nierung begannen sich die deutschen Sinti:zze Eltern, bevor er sich mit Anfang 20 als homosexuell outete. Der inzwischen dreifache Großvater ist seit über 15 Jahren ge einer rassistischen Ideologie wurden unzählige und Rom:nja politisch zu organisieren und mit seinem Ehemann zusammen. Als Aktivist engagiert er sich für die Rechte von Roma & Sinti und ist Gründer der Familien entrechtet, deportiert und ermordet. machten in Form einer Bürgerrechtsbewegung Initiative „Queer Roma“. Gianni Jovanovic ist zudem Unternehmer, Moderator, Autor und Bühnenperformer. Seit 2019 Mehr als 500.000 Angehörige der Minderheit aus diese Kontinuitäten zum Gegenstand öffentlicher holt er als Host BIPoC mit der Event-Reihe „Kultur im Salon“ auf die Bühne. Die Sendung „Die beste Instanz“, in der ganz Europa fielen diesem zielgerichteten Völ- Debatten. In langwierigen Auseinandersetzun- Gianni Jovanovic als Talkgast teilnahm, wurde kürzlich mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. kermord zum Opfer . In der Roma-Sprache wird gen gelang es ihnen, einen Bewusstseinswandel diese Vernichtung mit dem Wort „Porajmos“ in Politik und Gesellschaft herbeizuführen. Im bezeichnet, welches mit „Verschlingen“ übersetzt Februar 1982 wurde in Heidelberg der Sitz des wird. Zentralrats Deutscher Sinti und Roma als Dach- verband gegründet, welcher seither die Interes- sen der in Deutschland lebenden Sinti:zze und Die Überlebenden verloren in der Zeit der Rom:nja vertritt. Verfolgung und der Inhaftierung in Konzentra- Doch trotz dieser gesellschaftlichen Erfolge blei- Reaktionen der Teilnehmenden tionslagern ihr gesamtes Hab und Gut. In den ben tief verwurzelte Vorurteile gegenüber Sin- ersten Jahren nach der Befreiung mussten sich „Wichtiges über meine Heimatstadt und neue, sehr persönliche Einblicke“ ti:zze und Rom:nja bis heute bestehen. In vielen viele Sinti:zze und Rom:nja eine komplett neue Staaten Europas waren und sind Angehörige der „sich selbst zu[…]fragen, was ich ändern kann“ Existenz aufbauen. Doch die neu gegründete Minderheit immer noch Opfer von rassistischer Bundesrepublik verweigerte ihnen die moralische „Hinterfragen eigener Weltbilder, Selbstfortbildung“ Gewalt und Übergriffen. und rechtliche Anerkennung als Opfer des Natio- nalsozialismus. Die rassistischen Feindbilder aus 2012 wurde in Berlin das nationale Denkmal für der NS-Propaganda blieben nach 1945 weiterhin die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti:zze bestehen und über Jahrzehnte hinweg blieb der und Rom:nja eingeweiht. Über dieses Denkmal Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja vom wurde über zwanzig Jahre lang politisch ge- öffentlichen Gedenken ausgeschlossen. Eine rungen. Mit diesem zentralen Erinnerungsort juristische Aufarbeitung fand sehr verspätet erst bekennt sich die Bundesrepublik nachdrücklich in Ansätzen statt. zu ihrer besonderen historischen Verantwortung gegenüber den Sinti:zze und Rom:nja. Literaturempfehlungen https://www.sintiundroma.org/de/ausgrenzung-nach-1945/ • Jovanovic, Gianni (2022): Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit, Berlin: Blumenbar (erscheint am 14.03.2022). • Abdollahi, Michel (2020): Deutschland schafft mich: Als ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin, Hamburg: Hoff- mann und Campe. • Czollek, Max (2020): Desintegriert euch!, München: btb. • Hasters, Alice (2019): Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten, München: hanserblau. • Kuhnke, Jasmina (2021): Schwarzes Herz, Hamburg: Rowohlt. • Ogette, Tupoka (2017): EXIT RACISM — rassismuskritisch denken lernen, Münster: Unrast-Verlag. • Ogette, Tupoka (2022): Und jetzt du. Rassismuskritisch leben, München: Penguin (erscheint am 08.03.2022). • Podcast: „Feuer & Brot“ https://feuerundbrot.de/. 14 15
Antifeminismus und Sexismus im Web 2.0 - Ziele & Strategien rechtsalternativer Akteur:innen Una Titz Der Vortrag fand am Gedenk- und Aktionstag zur Be- Dabei drücken sich die Angriffe in einem Eskalations- te Begriffe und Meinungen so oft zu wiederholen, bis kämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form muster von Ironisierung bis hin zur Gewalt aus. die gesellschaftliche Mitte erreicht wird, was auch als gegenüber Frauen und Mädchen statt, auf den die Verschiebung des Meinungskorridors bezeichnet wird. Organisator:innen aufmerksam machten. Una Titz betont die Wechselwirkungen von Antifeminis- LGBTQIA+ mus mit anderen Formen von Menschenfeindlichkeit „LGBTQIA+ ist eine Abkürzung der Antifeminismus und Sexismus als Phänomen patriar- wie z.B. Rechtsextremismus. Die extreme Rechte orga- Antifeministische und englischen Wörter Lesbian, Gay, chaler Strukturen richten sich aber auch gegen queere Menschen, insbesondere gegen trans-Personen. nisiert sich seit Jahrzehnten, teilweise mit transnatio- nalen Verstrickungen im Internet, um so ihre Ideologie queerfeindliche Angriffe Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Im Rahmen ihres Vortrags ging Una Titz insbesondere durchzusetzen. Verbreitete Hassbotschaften zirkulieren Fallbeispiele zeigen illustrativ und dennoch genauso Es ist also eine Abkürzung für lesbische, auf drei Unterthemen ein: antifeministische Subkultu- online in verschiedensten Netzwerken: Reddit, 4Chan belastend auf, wie sich antifeministische oder andere schwule, bisexuelle, transsexuelle/ ren, Fallbeispiele, sowie Methoden der Gegenrede. oder Drachenschanze sind oft die Zentren, aus denen menschenfeindliche Angriffe verbreiten. Dabei be- Transgender-, queere, intersexuelle die Hassbotschaften mit der größten Reichweite weiter dient man sich mit Narrativen aus unterschiedlichen und asexuelle Menschen.“ Antifeministische Subkulturen in andere Netzwerke wie Telegram, Facebook und den öffentlichen Debattenraum wandern. Die Verbreitung Milieus, die darauf abzielen, Angst zu verbreiten sowie Menschenhass zu beflügeln, wobei die Angriffe weit h�ps://www.zdf.de/kinder/logo/ ist keinesfalls rein zufällig, sondern eine koordinierte das-bedeutet-lgbtqia-100.html Um antifeministische Subkulturen nachzuvollziehen, über die rechtsextreme Szene hinausgehen und eine und abgesprochene Attacke, die das Ziel hat, bestimm- wird auf die Genese und Definition von Antifeminismus Schnittstelle in den Mainstream erhalten. Angriffe auf eingegangen. Antifeminismus entsteht als Abwehr- z.B. Politiker:innen und Aktivist:innen haben das Ziel, ih- reaktion aus einigen Teilen der Gesellschaft auf die ren gesellschaftlichen Einfluss klein zu halten. An dieser gesellschaftliche Modernisierung, wobei in Zeiten des Stelle ist klar zu betonen, dass es sich bei diesen digita- Umbruchs besonders oft Antifeminismus aufzufinden „rechts-alterna�v“ len Angriffen um eine Form der Gewalt handelt, die für ist. Die Referentin weist darauf hin, dass wir am Beginn Der Begriff „rechts-alterna�v“ lehnt die betroffenen Personen traumatische Folgen haben eines Wandels des gesellschaftlichen Diskurses und sich an das Englische „Alt-Right“ an, das kann. Sie sind andauernden Einschüchterungsversuchen Derailing der zunehmenden Bereitschaft für zivilgesellschaftliche als Abkürzung für die US-amerikanische mit einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Außerdem „Eine Tak�k, um die Aufmerksamkeit Aufklärung stehen. „alterna�ve Rechte“ steht. Die alter- kann es auch so weit gehen, dass ihnen nahestehende weg von einer Aussage hin zur Person na�ve Rechte ist eine ideologische Personen (z.B. Familie) ebenfalls bedroht werden, was zu lenken, von der sie kommt. Häufig wird Antifeminismus in rechtsalternativen, ver- Gruppierung, der extrem konserva�ve eine zusätzliche psychische Belastung bedeuten kann. Die Ansprache eines Problems oder ein schwörungsideologischen und rechtsextremen Milieus und reak�onäre Ansichten zugeordnet Vorwurf wird mit einem Gegenvorwurf gefördert und ist ein fester Bestandteil rechtsextremer werden, die die Mainstream-Poli�k Die Referentin macht darauf aufmerksam, dass Angriffe beantwortet, sta� sich tatsächlich mit Ideologie. Rechtsalternative Argumente beruhen auf: ablehnt und Online-Medien zur auf LGBTQIA+ Personen eine besondere Gefährdung dem Inhalt zu befassen. binärer Geschlechterstruktur, Heterosexualität und tra- Verbreitung von bewusst kontroversen einer bereits gefährdeten Gruppe darstellen. Queere Das Gegenargument ist im Grunde: ditioneller oder reaktionärer Geschlechterordnung. Die Inhalten nutzt. Die Bezeichnung „rechts- und queer gelesene Personen werden unter anderem "Selber (noch schlimmer)!" Angriffe richten sich u.a. gegen Feminist:innen, FLINTA/ alterna�v“ wendet diese Zuordnung auf Misgendering oder Gewaltandrohung ausgesetzt, um Eine sachliche Diskussion wird so LGBTQIA+1 Personen und Politiker:innen. den deutschen Raum an. Konkret gehören ihnen das Existenzrecht abzusprechen. verhindert.“ hierzu rechtspopulis�sche und rechts- h�ps://www.amadeu-antonio-s��ung.de/ Des Weiteren lässt sich ein enges Verhältnis von extreme Teile der Medienlandscha� debate-dehate/glossar/ Antifeminismus und Antisemitismus beobachten, da abseits des Mainstreams (z.B. Blogs), es miteinander verwobene Motive und Narrative gibt. Wor�ührer:innen in den Sozialen Medien Die Äußerung des Antifeminismus kann man mit den (besonders auf Facebook und Twi�er) und Misgendering Mechanismen der „Doppelten Valenz“ erläutern, in de- poli�sche Bewegungen wie auch rechts- Misgendering bedeutet, mit dem nen eine ständige Wechselwirkung zwischen Drohung/ radikale Poli�ker:innen der AfD. falschen Pronomen angesprochen zu Derailing/ Angriff/ Gewalt und Verteidiger/Beschützer werden oder mit Worten angesprochen von Frauenrechten stattfindet. h�ps://www.amadeu-antonio-s��ung.de/ zu werden, die nicht die eigene monitoring-bericht-2020-54251/ Geschlechteriden�tät widerspiegeln. 1 Der Begriff wird auf Seite 17 erläutert. 16 17
Als weiteres Fallbeispiel führt die Referentin Pick-up Artists Im letzten Teil des Vortrags geht Una Titz auf Methoden Reaktionen der Teilnehmenden und Incels2 auf, die über eine aktive Internet-Community und Gegenrede bei der Begegnung mit Antifeminismus Misogynie und Sexismus verbreiten. Die Hasskommentare, ein. Bei der Gegenrede ist es wichtig, Antifeminismus zu „Die Rhetorik der rechten Seite darf man nicht unterschätzen. Im Gegenteil, darauf baut ihr System auf.“ Chiffren und Codes aus den extrem rechten digitalen Sub- benennen und nicht zu schweigen. Als Takeaway-Message kulturen werden wiederum aus der digitalen in die reale bei der Kommunikation gibt sie weiter: „das[s] es eine Verbindung von verschiedenen Diskriminierungsformen gibt, und was die Strategien der Akteure sind.“ Welt weitergetragen. „Diskussionen und Debatten mit gefestigten Rechtsradikalen 2 Pick-Up-Artist (PUA) sind selbst ernannte „Verführungskünstler“, sind sinnlos“. deren erklärtes Ziel es ist, Frauen durch emotionale und psychische Manipulation zum Sex zu bewegen. Incel steht für „Involuntary celibate“ Denn Kommunikation sollte Menschen stärken, die demo- (unfreiwillig sexuell enthaltsam). Weitere Informationen zu Incels sind in kratisch debattieren möchten. der Broschüre zur Ersten InDiWo bei der Zusammenfassung der Lesung von Veronika Kracher zu finden: https://studierendenwerkdarmstadt.de/ wp-content/uploads/2021/02/Vortraege-InDiWo.pdf?x16341 Bericht: Yan Yi Leung FLINTA ist ein queerfeministischer Kampfbegriff. N für nicht-binäre Menschen: Als nicht-binär, Die einzelnen Buchstaben stehen für folgendes: non-binary oder enby bezeichnen sich Men- schen, die sich weder als Mann noch als Frau F steht für Frauen und damit sind nicht nur identifizieren, sondern als weder noch, beides cis-Frauen (also Frauen, die sich mit dem ihnen gleichzeitig oder ihre Identität zwischen männlich bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identi- fizieren) gemeint, sondern alle, die sich als Frau und weiblich verordnen. Literaturempfehlungen definieren. T spricht trans-Personen an: Trans steht für tran- sident, transgender oder auch transgeschlecht- • Blum, Rebekka (2019): Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminis- L steht für Lesben. Es gibt auch Menschen, die lich und ist ein Überbegriff für Menschen, die mus, Hamburg: Marta Press. sich nicht als Frauen definieren, aber als Lesben – sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das etwa nicht-binäre Personen. • Drüeke, Ricarda / Klaus, Elisabeth (2014): Öffentlichkeiten im Internet. Zwischen Feminismus und Antifeminismus, ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. I meint inter-Personen: Intergeschlechtliche In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 23 (2), S. 59-72. A steht für agender Personen: Sie haben kein Ge- Menschen werden mit körperlichen Merkmalen • Ebner, Julia (2019): Radikalisierungsmaschinen. Wie Rechtsextremisten die neuen Technologien nutzen, Frankfurt: schlecht, fühlen sich keinem Geschlecht zugehö- geboren, die medizinisch als „geschlechtlich Suhrkamp Nova. rig oder lehnen das Konzept von Geschlecht ab. uneindeutig“ gelten. Inter-Personen können sich binär als weiblich oder männlich, aber auch als • Fritzsche, Christopher / Lang, Juliane (2018): Backlash, neoreaktionäre Politiken oder Antifeminismus? Ein Versuch nicht-binär und/oder als inter identifizieren. zur begrifflichen Fassung aktueller Angriffe auf Geschlechterpolitiken und Geschlechterforschung, In: Feministische Studien. 36 (2), S. 335-346. • Hentges, Gundrun /Nottbohm Kristina (2017): Die Verbindung von Antifeminismus und Europakritik. Positionen der Parteien „Alternative für Deutschland“ und „Front National“. In: G. Hentges, K. Nottbohm, HW. Platzer (eds): Europä- ische Identität in der Krise?, Wiesbaden: Springer. • Kováts, Eszter/Põim, Maari (Hg.) (2015): Gender as Symbolic Glue. The Position and Role of Conservative and Far Kurzbiografie Referent:in Right Parties in the Anti-gender mobilizations in Europe, Budapest: Foundation for European Progressive Studies/ Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2021 arbeitet Una Titz im Projekt „de:hate“ der Amadeu Antonio Stiftung1 als Monitoring-Referentin für Digitales. • Lang, Juliane / Peters, Ulrich (Hg.) (2018): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexu- Im Rahmen des de:hate Projektes beschäftigt sie sich mit der systematischen Erfassung von HateSpeech im Netz und elle Vielfalt, Hamburg: Marta Press. ordnet dieses in gesellschaftliche Entwicklungen ein. • Manne, Kate (2019): Down Girl. Die Logik der Misogynie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Una Titz hat Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Hamburg studiert. Sie war Redaktionslei- tung der feministischen NGO Pinkstinks Germany e.V. und konzipierte in Kooperation mit dem BMFSFJ Aufklärungskam- • Scheele, Sebastian (2015): Das trojanische Zombie-Pferd. Fünf Thesen zu einer diskursiven Verschiebung im gegen- pagnen gegen Alltagssexismus mit dem Ziel der Steigerung der digitalen Teilhabe. wärtigen Antifeminismus, In: Friedrich Burschel (Hg.): Aufstand der ‚Wutbürger‘. AfD, christlicher Fundamentalismus, Pegida und ihre gefährlichen Netzwerke. Berlin: RLS-Papers, S. 32-46. • Stegemann, Patrick / Musyal, Sören (2019): Die rechte Mobilmachung, Berlin: Econ. 1 Die1998 gegründete Amadeu Antonio Stiftung hat das Ziel „die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextre- mismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“. Die Aufgaben der Stiftung sind u.a. Stärkung der Zivilgesellschaft, Förderung lokaler Akteur:innen und deren Projekte, um aktuelle gesellschaftliche Diskurse aufzugreifen und auf sie aufmerksam zu machen. 18 19
Antimuslimischer Rassismus Nava Zarabian Nava Zarabian geht in ihrem Vortrag auf die Bedeutung, Antimuslimischer Rassismus in der rellen Ebene statt, wie z.B. Benachteiligungen im Schul- Mechanismen und Erscheinungsformen von antimus- und Bildungssystem sowie bei der Wohnungs- und limischem Rassismus ein, welche sie mit Beispielen Popkultur Jobsuche oder bei verdachtsunabhängige Kontrollen Racial Profiling aus dem Alltag und insbesondere aus der Popkultur durch Polizist:innen. Es handelt sich um kollektive Menschen stehen aufgrund von veranschaulicht. Zarabian geht auf zahlreiche Beispiele ein, wie sich Erfahrungen der Ausgrenzung und Stigmatisierung von antimuslimischer Rassismus in Cover-Bildern bekannter bes�mmten Merkmalen, wie Haut- Muslimen, Muslimas und muslimisch gelesenen Men- farbe, Religion, Sprache oder Sie geht bei der Definition von antimuslimischem Ras- Magazine, auf Video- oder anderen bekannten Medien- schen. Die Referentin betont die Verschränkung von plattformen sowie in Gewalttaten wie dem Anschlag in ethnischer Herkun� im Visier polizei- sismus auf ein Zitat von Yasemin Shooman ein: „Musli- anti-muslimischem Rassismus mit anderen Formen von lichen Handelns. me und Menschen, die als Muslime markiert werden, Hanau 2020 finden lässt. In der Popkultur bedient man Rassismus und dass oft Mehrfach-Diskriminierungen sich auch zahlreicher Stereotype über Muslim:innen Rassis�sche Polizeikontrollen gehören werden als homogene und essentialistische Gruppe stattfinden. zum Alltag vieler Muslim:innen und konstruiert, im Verhältnis zur ebenfalls konstruierten Ei- oder muslimisch gelesener Menschen. Zu der Darstel- lung von muslimischen Personen im Film und Fernse- muslimisch gelesener Menschen. gengruppe als weniger zivilisiert, weniger emanzipiert, weniger frei und weniger fortschrittlich.“ Rassismus ist hen wird der „Riz Test“ (auf riztest.com) genannt, der Positivbeispiele und Häufig davon betroffen sind vor allem männliche oder männlich gelesene eine soziale Ausschlusspraxis, die sich in ihrer Logik der anhand von fünf Kriterien bestimmt, ob muslimische Handlungsempfehlungen Personen. Zuschreibung und Abwertungen bedient. Stereotype angewandt werden. Des Weiteren zitiert Zarabian Studien zum gesellschaftlichen Klima, aus wel- Diese rassis�sche Praxis in Form der In ihrem Vortrag geht sie zudem auf die Veränderungen Willkür und Ausübung ins�tu�oneller Die Referentin zeigt anhand von Cover-Bildern bekann- chen hervorgeht, dass der Islam von vielen Befragten ein, die in der Medienlandschaft bereits erkennbar sind. als bedrohlich empfunden wird. Gleichzeitig nimmt sich Gewalt nennt man Racial Profiling. ter Magazine, wie antimuslimischer Rassismus nicht Sie wendet ein, dass es in der Popkultur auch immer Anlasslose Personenkontrollen allein nur Muslim:innen, sondern auch muslimisch gelesene die weiße christliche Mehrheitsgesellschaft als beson- mehr Positivbeispiele gibt, in welchen eine Sensibili- ders tolerant gegenüber anderen Religionen wahr. aufgrund der oben beschriebenen Personen betrifft. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich sierung im Umgang mit muslimischen Personen und Merkmale verstoßen gegen das um eine Form des kulturellen Rassismus handelt, der Leben hingearbeitet wird. Hierzu gehören Beispiele von Grundgesetz (Art 3 Abs. 3 GG.), keine biologistischen Argumentationen benötigt. Es fiktiven und realen Charakteren, die weniger stereotypi- das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz findet eine Zuordnung von Menschen zu einem einheit- Studienergebnisse sierend sind, sondern aus der Perspektive von Mus- (AGG) sowie gegen das in der Euro- lichen „Kulturkreis“ statt und Personen/Gruppen sowie Bertelsmann-S��ung (2019): lim:innen und muslimisch gelesenen Personen Einblicke päischen Menschenrechtskonven�on zugeschriebene Eigenschaften werden naturalisiert1. 52% der Befragten in Deutschland in ihre Lebensrealitäten geben. Durch das Erzählen und und das in der interna�onalen An�- Es lassen sich verschiedene Schritte herausarbeiten wie empfinden den Islam als bedrohlich. die Visualisierung dieser Geschichten wird deutlich, Rassismus-Konven�on angelegte Verbot antimuslimischer Rassismus funktioniert: Homogenisie- dass auch im Islam Vielfalt vorherrscht. Folglich können der rassis�schen Diskriminierung . rung (Muslim:innen werden als ein Kollektiv betrach- Bielefelder Studie „Mi�e“ (2019): positive Beispiele in der Popkultur zur Normalisierung tet), Essentialisierung (Muslimsein wird als Haupt- 36% der Deutschen s�mmen der des Islams als Bestandteil unserer pluralen Gesellschaft h�ps://www.bpb.de/gesellscha�/migra�on/ merkmal der Identität eines Muslims, einer Muslima Aussage zu: "durch die vielen Muslime beitragen. kurzdossiers/308350/racial-profiling- oder einer muslimisch gelesenen Person definiert) und ins�tu�oneller-rassismus-und- hier fühle ich mich manchmal wie ein interven�onsmoeglichkeiten schließlich Dichotomisierung (Muslim:innen werden Fremder im eigenen Land.“ Zum Schluss gibt Zarabian einige Handlungsempfehlun- als die „Anderen“ bezeichnet und vom Mehrheits-Wir gen, um antimuslimischem Rassismus entgegenzutre- ausgeschlossen). ten. Eine kritische Wahrnehmung von antimuslimischen Diskursen und Bildern ist wichtig, um solidarisch mit Betroffenen zu sein und ihre Ausgrenzungserfahrungen anzuerkennen. Die Entwicklung einer rassismuskriti- Antimuslimischer Rassismus wird in gesellschaftlichen schen Perspektive ist ein Prozess der kontinuierlichen Diskursen, insbesondere in der Politik in Aussagen von Selbstreflexion der eigenen Beteiligungen. Die Ver- führenden Politiker:innen oder von Werbeplakaten breitung von demokratischen Gegen-Narrativen soll bestimmter Parteien beflügelt, die die Wahrnehmung helfen, die Normalität des Islams und von Muslim:innen des Islams in der Gesellschaft prägt. Die Auswirkungen darzustellen. für Betroffene sind nicht nur persönlich und individuell, 1 Zu den Begriffen „kultureller Rassismus“, „biologistisch“ und natu- sondern finden auf einer institutionellen und struktu- ralisiert siehe bitte die Infoboxen auf S.23 Bericht: Yan Yi Leung 20 21
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