BRSO EÖTVÖS VIZIN CSER BARTÖK - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS - Herkulessaal - Symphonieorchester des ...
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SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS BRSO EÖTVÖS VIZIN CSER BARTÖK 29.4.2021 20 / 21 Herkulessaal
MITWIRKENDE PÉTER EÖTVÖS Leitung VIKTORIA VIZIN Mezzosopran (Judith) KRISZTIÁN CSER Bariton (Herzog Blaubart) SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS KONZERT-ÜBERTRAGUNG IN SURROUND im Radioprogramm BR-KLASSIK Donnerstag, 29.4.2021 20.05 Uhr Kristin Amme im Gespräch mit Péter Eötvös 20.30 Uhr Live-Übertragung von Péter Eötvös’ Senza sangue; im Anschluss Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg in der Aufzeichnung von 18.00 Uhr ON DEMAND Das Konzert ist in Kürze auf www.br-klassik.de als Audio abrufbar. 2 Mitwirkende
PROGRAMM BÉLA BARTÓK »Herzog Blaubarts Burg« Oper in einem Akt für Mezzosopran, Bariton und kleines Orchester, Sz 48 Libretto von Béla Balázs Konzertante Aufführung in ungarischer Sprache Reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke (2019) 3 Programm
BÉLA BALÁZS »HERZOG BLAUBARTS BURG« In einer gotischen Halle auf Herzog Blaubarts Burg In der Eingangstür einer mächtigen gotischen Burghalle erscheinen Blau- bart und Judith, die ihre Familie und ihren Verlobten verlassen hat, um dem geliebten Mann zu folgen. Allen Warnungen Blaubarts zum Trotz beharrt sie darauf, bei ihm zu bleiben. Auch das Erschauern vor dem Dunkel, der Kälte und der Feuchtigkeit des fensterlosen Gemäuers vermag ihren Enthu- siasmus kaum zu trüben. Durch ihre Liebe will sie Wärme, Licht und Glück in Blaubarts dunkle Feste bringen. Sieben schwarze verschlossene Türen ziehen Judiths Blick magisch an. Auf ihr eindringliches Begehren übergibt Blaubart ihr widerstrebend einen Schlüs- Holzschnitte zu Herzog Blaubarts Burg von János Kass (1927–2010) 4 Inhaltsangabe »Herzog Blaubarts Burg«
sel nach dem anderen. Hinter der ersten Tür zeigt sich in blutrotem Schein die Folterkammer der Burg, hinter der zweiten in rötlich-gelbem Licht Blau- barts Waffenkammer. Von der Kraft ihrer Liebe überzeugt, überwindet Judith jäh aufsteigende Ängste und fordert die Öffnung der anderen Türen. Blaubart reicht ihr zögernd drei weitere Schlüssel. Die dritte Tür gibt den Blick frei auf eine von goldenem Licht durchflutete Schatzkammer mit blutbefleckten Kleinodien und Prunkgewändern. Die vierte eröffnet ein blaugrün beschie- nenes Gartenpanorama mit Wunderblumen, die aus blutigem Boden sprie- ßen. Die fünfte schließlich führt auf den Burgfried mit prachtvollem Aus- blick auf Blaubarts weite Lande, Wiesen und Wälder in gleißendem Sonnen- licht, auf die freilich blutige Wolken ihre Schatten werfen. Blaubart bittet Judith, hier innezuhalten und nicht weiter zu forschen. Er hofft auf ihre liebende Umarmung, ihren fraglosen Kuss. Judith indes dringt unerbittlich auf die Enträtselung auch der verbleibenden Geheimnisse. Beim Öffnen der sechsten Tür trübt sich das Licht ein: Vor Judiths Augen erscheint ein reglos farbloser Wasserspiegel, den Blaubart als Tränensee identifiziert. Traurig schmiegt sie sich an ihn und erwidert seinen langen Kuss. Rastloser Wahrheitsdrang aber provoziert sie zu der Frage nach den anderen Frauen, die er geliebt hat, und zur Forderung nach Öffnung der siebten Tür. Resig- niert überantwortet ihr Blaubart auch den letzten Schlüssel: Aus der mond- beglänzten Totenkammer treten nacheinander die drei früheren Frauen Blau- barts hervor, als stumme, bleiche, reich geschmückte Erinnerungsbilder an den Morgen, den Mittag und den Abend seines Lebens. Dekoriert mit Dia- mantenkrone und Sternenmantel, als Sinnbild der Nacht, folgt Judith ihnen durch die siebte Tür, die sich hinter ihr schließt. Zurück bleibt Blaubart in ewiger Finsternis. Monika Lichtenfeld 5 Inhaltsangabe »Herzog Blaubarts Burg«
MUSIKALISCHE BILDER, ERFÜLLT VON »INNERSTER GEFÜHLSWAHRHEIT« Zu Béla Bartóks Operneinakter Herzog Blaubarts Burg Susanne Schmerda Im Jahr 1911 komponierte Entstehungszeit Béla Bartók in Budapest Februar bis September 1911 Uraufführung sein modernes Seelendrama Herzog Blaubarts 24. Mai 1918 am Königlichen Burg, eine singuläre Melange aus Volksmärchen, Opernhaus in Budapest Expressionismus und artifiziellem französischem Lebensdaten des Komponisten Symbolismus. In ihm werden die Beziehungs-Ab- 25. März 1881 in Nagyszent- gründe zwischen Mann und Frau mit schillernden miklós (damals Ungarn, Orchesterfarben und einfachem Sprechgesang der heute Sânnicolau Mare, Rumänien) – 26. September zwei Protagonisten suggestiv ausgeleuchtet. Judith, 1945 in New York die vierte Frau des in sich gekehrten Herzogs, will an dessen früherem Leben teilhaben und vom Schicksal seiner einstigen Geliebten erfahren. Aus Liebe zu Blaubart hat sie ihre Heimat, ihre Eltern und ihren Verlobten verlassen und ist allen War- nungen Blaubarts zum Trotz entschlossen, bei ihm zu bleiben. Sie folgt ihm auf seine gotische fenster- lose Burg, deren Kälte, Düsternis und Feuchtigkeit sie all ihre Liebe entgegensetzen und in Wärme, Licht und Leben verwandeln möchte. Mit ihrem Wunsch, alles über ihren Geliebten zu erfahren und in die Geheimnisse seiner Seele zu dringen, wider- setzt sie sich seinem Gebot, zu schweigen und blind zu gehorchen. Fünf verschlossene Türen hat Judith bereits geöffnet in Blaubarts Burg, die Abbild seiner Selbst ist, als sie mit zwanghafter Neugier darauf drängt, noch tiefer in die Vergangenheit ihres Geliebten einzutauchen. Sie bittet Blaubart, auch die letzten beiden Türen zu öffnen. Als der Herzog ihr die Schlüssel verweigert, beruft sich Judith auf ihre Liebe, Blaubart indes kapituliert. Er erwartet eine Liebe ohne Bedingungen: »Judith, lieb’ mich, Judith, frag’ nicht«, fordert er noch un- mittelbar vor dem Öffnen der siebten Tür. 6 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
Béla Bartók (1912) Weit entfernt von einer konventionellen Operndramaturgie, wird in Bartóks knapp einstündigem Zwei-Personen-Drama letztlich nicht weniger thema- tisiert als die Utopie vom bedingungslosen Vertrauen in der Liebe. Der Hand- lungskern beruht auf einem Verbot, das der Frau vom Mann auferlegt wird und dessen Verletzung eine Strafe nach sich zieht. Im Zentrum steht dabei keine konventionelle Eifersuchtsgeschichte, sondern ein Ideendrama um den immerwährenden Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau. Zwischen den zwei Liebenden Judith und Herzog Blaubart steht ein Frageverbot, das zu Misstrauen, Entfremdung und am Ende zum Tod führt: Die ersten fünf verschlossenen Räume symbolisieren die abweisenden Züge von Blaubarts Charakter und zugleich dessen Macht und Reichtum – Folter-, Waffen- und Schatzkammer, geheimer Garten, das weite Land –, die sechste Tür gibt einen Tränensee frei, die siebte dagegen drei bleiche gekrönte Frauen in Gestalt von Morgen, Mittag und Abend – die früheren Geliebten des Herzogs. Judith ver- fällt Blaubarts Bann und muss dem Schicksal seiner anderen Frauen in Ge- stalt der Nacht folgen, die letzte Tür schließt sich hinter ihr, und die Burg verfällt wieder in Dunkelheit. Alle Handlungselemente der Oper sind als Sym- 7 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
Die Darsteller der Uraufführung, Olga Haselbeck und Oszkár Kálmán, mit Oberregisseur Dezső Zádor und Belá Bartók bole zu verstehen, Judith und Blaubart als archetypische Repräsentanten von Mann und Frau, die abweisende düstere Burg mit ihren verschlossenen Türen als Abbild der unzugänglichen Psyche Blaubarts. Dabei geht die Handlung zurück auf einen französischen Märchenstoff, den Charles Perrault 1697 in seiner berühmten Sammlung Contes de ma mère l’Oye veröffentlicht hat: Ein Chevalier tötet nacheinander seine sechs Frauen, weil sie sein Verbot missachtet und die Folterkammer betreten haben. Bartók je- doch orientierte sich weniger an dieser grausamen mittelalterlichen Sage als vielmehr an Maurice Maeterlincks symbolischer, zeittypischer Psycholo- gisierung des Sujets (Ariane et Barbe-Bleue), indem er der äußeren Hand- lung innere Seelenvorgänge entgegenstellte. Judiths gleichnishafte Erkundung von Blaubarts Burg und ihrer sieben ver- schlossenen Räume wird zu einer Konfrontation mit dem Lebenskampf des geliebten Mannes. Für jede geöffnete Tür entwirft Bartók ebenso viele musi- 8 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
kalische Bilder, »die nicht äußerlich beschreibend, sondern alle von einer innersten Gefühlswahrheit erfüllt sind«, so der Komponistenkollege Zoltán Kodály. Sämtliche Besitztümer Blaubarts aber sind mit Blut befleckt, auf das musikalisch ein Einheit stiftendes Motiv aus einer Sekund-Dissonanz ver- weist. Es durchzieht leitmotivisch in vielfältigen Varianten Bartóks konzen- trierte Musik, wobei es meist in den Bläsern erscheint und deutlich aus dem Orchesterklang hervorsticht. Nach einem gesprochenen Prolog folgt die musikalische Dramaturgie der Oper einem gewaltigen Spannungsbogen, der sich über das Öffnen der sieben Türen wölbt. Danach thematisiert ein Epilog die endgültige Entfremdung des Paares, und das Werk endet, wie es begonnen hat: Blaubarts Burg fällt wieder ins Dunkel zurück. Auch die tonale Anlage entspricht mit Tonzen- tren für die sieben Türen bzw. Handlungsstationen der bogenförmigen Kon- zeption und spiegelt damit die seelische Entwicklung des Paares von Fin- sternis zu strahlender Helligkeit und wieder zurück zur Finsternis: Die Tonarten wandern vom nächtlichen fis-Moll des Beginns aufwärts bis zur Licht- und Sonnentonart C-Dur (fünfte Tür, Das weite Land), um im rück- läufigen Prozess wieder die fis-Moll-Ebene des Beginns zu erreichen. Eine minutiös vorgeschriebene Lichtfarbenregie bis hinein in feinste Schattie- rungen von Dunkelheit und Helligkeit begleitet diesen Tonalitätsplan und damit die Stimmungsschwankungen der Protagonisten auf ihrem Weg durch die Burg: Blutrot leuchtet nach den Szenenanweisungen die Folterkammer hinter der ersten Tür, rötlich-gelb die Waffenkammer, golden die Schatz- Bühnenbild der Uraufführung von Herzog Blaubarts Burg mit den sieben Türen 9 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
Skizzenblatt zu Herzog Blaubarts Burg kammer, während aus dem Wundergarten hinter der vierten Tür blaugrünes Licht dringt und Blaubarts Ländereien hinter der fünften Tür gleißend hell erscheinen. Als Judith die Tür zum Tränensee öffnet, verdunkelt sich die Halle, und im Mondschein treten ihr schließlich Blaubarts drei frühere Frauen aus der siebten Tür entgegen. Béla Bartóks einzige Oper zeigt den ungarischen Komponisten auf der Schwelle zu einer genuin eigenen Musiksprache. Erstmals in der Geschichte der ungarischen Oper, die bis dato vor allem übersetzte Werke kannte, ent- stand mit Herzog Blaubarts Burg 1911 ein Gesangsmelos in der Sprache seines Heimatlandes, das dem natürlichen Duktus des Ungarischen aufs Engste folgt. Das Libretto des jungen ungarischen Schriftstellers Béla Balázs ver- 10 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
zichtet auf einen sukzessiven Handlungsverlauf und die Aneinanderreihung von Ereignissen, es werden lediglich sieben Türen geöffnet. So blieb der Musik fern jeder Opernschablone genügend Freiraum, um die Konturen mit Leben zu erfüllen – für Bartók eine ideale Vorgabe. Auch das poetologische Programm von Balázs’ Drama, »aus dem Rohmaterial der Szekler Volksbal- laden moderne, intellektuelle innere Erlebnisse zu gestalten«, entsprach seinen Intentionen. Bartók wollte die hochentwickelte europäische Kunstmusik mit Elementen der Volksmusik Osteuropas anreichern. Dazu dienten ihm seit 1907 ethno-musikologische Studien, denen er die Wiederentdeckung der kräf- tigen Diatonik ungarischer Bauernmusik ebenso verdankte wie die Ausbil- dung einer »polymodalen Chromatik«: »Das Studium all dieser Bauernmu- sik war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur- und Moll-Systems brachte«, resümiert Bartók. »Muskel- und Knochenstil« nannte er diese Art des Komponierens, mit der er sich auf das Substanzielle besann und romantische Weitschweifigkeit verwarf. Teil seines vielschichtigen Synthesedenkens ist dabei auch die Einbeziehung der französischen Moderne und Claude Debussys mit der Emanzipation der Klangfarbe. In Herzog Blaubarts Burg lotet Bartóks Orchester das psychologische Geschehen sub- til aus mit einer reichen, impres- sionistischen Farb-, Klang- und Empfindungspalette. Mit welch betörender Kraft die Instrumentierung die Burg zum Schauplatz der menschlichen Seele werden lässt, zeigt sich etwa beim Öffnen der sechsten Tür, die den Blick auf den Trä- nensee freigibt als Sinnbild für Blaubarts durchlittenes Leid: Pia- nissimo-Akkordbrechungen der Flöten, Klarinetten, Harfen und Celesta in Triolen und Novemo- len sowie nervöse Harfenglis- sandi deuten die sich kräuselnde Wasserfläche des Sees an und Plakat zur Uraufführung der Oper Herzog Blaubarts Burg 11 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
verweisen zugleich auf die seelische Erregung, die Judith befällt. Bartók kon- frontiert diese feinen Arpeggio- und Glissando-Bewegungen mit einem star- ren Klangteppich der Streicher, die als stehende Tonalität über viele Takte hinweg a-Moll spielen und damit die Starre des Sees symbolisieren, »Wasser seh’ ich, unbewegtes, weißes Wasser«, beschreibt Judith den Anblick. Der musikalische Kontrast dieses in sich gekehrten, zurückgenommenen Beginns des sechsten Bildes nach den gleißend hellen C-Dur-Sonnen-Klängen des fünften könnte kaum stärker sein. Eine neuartige, mysteriös-unbestimmte Klanglichkeit etabliert Bartók hier, in der die Celesta wie eine Chiffre aus einer fremden Welt erscheint und die Holzbläser (Oboe, Englischhorn, Fagott) das Blut-Motiv mit seiner markanten Sekundreibung anstimmen. Es ist der Augenblick der Desillusionierung für Judith: Alles neue Wissen über den ge- liebten Herzog bedeutet zwar einen Liebesbeweis, doch kann sie die ver- gossenen Tränen und Erinnerungen seines früheren Lebens nicht mit ihm teilen. Bartók selbst maß diesem musikalischen Bild des Tränensees, welches das eindringlichste und längste Stück der Oper ist, eine so große Bedeutung bei, dass er es mehr als 30 Jahre später in seinem Konzert für Orchester noch einmal als Elegie verewigte, dem Requiem für Natalie Kussewitzky, der ver- storbenen Gattin des berühmten Dirigenten des Boston Symphony Orchestra. In seinem Operneinakter, der von einer sich fast unmerklich steigernden Spannung bis hin zum Schluss getragen wird, lässt Bartók der Liebe keinen Raum, die für eine Opernhandlung immerhin bis zur Jahrhundertwende be- stimmend war. Es gibt kein einziges Liebesduett in Herzog Blaubarts Burg, nicht einmal ansatzweise. Schon in der Anlage der Gesangspartien artiku- lieren sich die unüberwindbaren Gegensätze des Liebespaares: Bei Blaubart dominieren pentatonische Wendungen, bei Judith überwiegt chromatisches Material. Die Partie des Blaubart ist beschränkt auf eine schlichte, an der Ballade orientierte Deklamationsart im Zwei- oder Viervierteltakt, während Judith aus diesem Muster ausbricht und sich öfter in Dreiertakte und rhyth- mische Abwechslung vorwagt – durchaus deutbar als der auskomponierte Wunsch, ihrer Umklammerung durch Blaubart zu entgehen. Mit wachsender Erkenntnis nach jeder weiteren geöffneten Tür erlöscht Judiths Liebe zusehends. Auf die prahlerische Klangpracht, die sich beim Anblick seiner weiten Lande hinter der fünften Tür ergießt, reagiert sie ton- los und wie erstarrt. Das gesamte Orchester begleitet Blaubarts Machtdemon- stration mit monumentalen Klangblöcken, Judith dagegen singt verschüch- tert, vom Orchester allein gelassen (»Schön und groß sind deine Lande«), dann entzieht sie sich Blaubarts Kuss. Dies ist der musikalische und drama- tische Höhepunkt der Oper. Auch wenn hiernach noch innige Momente auf- flackern, ist Blaubarts und Judiths Liebe an diesem Punkt doch zerbrochen. 12 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
Ritter Blaubart aus: Alte Märchen mit der Feder erzählt von Max Slevogt, Berlin 1920 Die nahende Trennung scheint auch Blaubart mit neuem, resignativem Ton vorauszuahnen. Was folgt, ist die erniedrigende Bestrafung Judiths für ihre Wahrheitssuche und Eifersucht. Sie wird, wie Blaubarts drei frühere Frauen, mit Reichtümern aus der Schatzkammer geschmückt und als Personifizierung der Nacht in Dunkelheit eingeschlossen. Danach findet die Musik langsam zum klagenden balladenhaften Volkslied-Ton des Anfangs zurück und ver- stummt – »Nacht bleibt es nun ewig, ewig« sind Blaubarts letzte Worte. Völ- lige Finsternis wie zu Beginn wird es wieder, in welcher der Herzog laut Szenenanweisung verschwindet. Dass es gerade dieses ausweglose »Mysterium in einem Akt« war, wie Béla Balázs sein Libretto nannte, in dem sich Bartóks neu gefundene Tonsprache offenbaren sollte, hat seine Gründe sicher auch in der persönlichen Faszi- nation des Komponisten für diesen alten märchenhaften Stoff. Als Künstler war Bartók in seiner Heimat isoliert und sah sich durch die ungarische Kul- turpolitik »offiziell hingerichtet«. Auch seine Oper Herzog Blaubarts Burg, obschon von Februar bis September 1911 entstanden, gelangte erst nach meh- reren Anläufen im Mai 1918 am Königlichen Opernhaus in Budapest zur Uraufführung, wobei sie allerdings weitgehend auf Unverständnis stieß. So ist zumindest denkbar, dass sich der verschlossene Komponist mit dem Schicksal des in der Einsamkeit seiner Burg lebenden Blaubart identifizierte. Schon 1905 hatte Bartók an die Mutter geschrieben: »Ich bin vollkommen allein. Und ich prophezeie, ich weiß es voraus, dass diese seelische Einsam- keit mein Schicksal sein wird.« 13 Béla Bartók »Herzog Blaubarts Burg«
14 Biographie Viktoria Vizin
VIKTORIA VIZIN Die ungarische Mezzosopranistin Viktoria Vizin studierte am Franz-Liszt- Konservatorium in Szeged. Sie war Preisträgerin bei verschiedenen Wett- bewerben wie in Cluj-Napoca / Rumänien (1996), in Budapest (1997) und beim Belvedere Singing Competition in Wien (2000). Seit ihrem Debüt an der Wiener Staatsoper 1999 ist Viktoria Vizin weltweit gefragt, so wird sie an der Metropolitan Opera in New York und an der Lyric Opera in Chicago ebenso engagiert wie an der Ungarischen Staatsoper in Budapest und am Royal Opera House Covent Garden in London. Zu ihrer wichtigsten Rolle gehört Bizets Carmen, die sie bereits 100 Mal als leidenschaftliche, freiheits- liebende Frau verkörpert hat, gefolgt von Bartóks Judith in Herzog Blau- barts Burg. Durch Viktoria Vizin erhält diese Partie in ungarischer Sprache besondere Authentizität. In dem heutigen Konzert singt Viktoria Vizin neben Bartóks Judith auch die Nina in Péter Eötvös’ Operneinakter Senza sangue nach der Novelle von Alessandro Baricco. Mit ihr entstand letztes Jahr die CD-Aufnahme dieser Oper. Viktoria Vizins Repertoire umfasst viele bedeutende Mezzosopran-Partien von der Alten bis hin zur zeitgenössischen Musik. Dazu zählen Nerone in Monteverdis L’incoronazione di Poppea, Phèdre in Rameaus Hypolite et Aricie, Dejanira in Händels Hercules, Donna Elvira in Mozarts Don Gio- vanni und in letzter Zeit Preziosilla in Verdis La forza del destino, in Wag- ners Ring-Tetralogie Floßhilde, Erste Norne, Schwertleite und Waltraute so- wie Charlotte in Massenets Werther und die Titelrolle in Puccinis Tosca. Aber auch in Lehárs Operette Die lustige Witwe überzeugte sie als begehrenswerte Hanna Glawari. Neben ihren Bühnenverpflichtungen ist Viktoria Vizin in der letzten Zeit vermehrt auch als Konzertsängerin aufgetreten, so in Beethovens Neunter Symphonie und in Händels Messiah. Eine Besonderheit in Viktoria Vizins Lauf bahn ist ihr Bühnendebüt in dem Theaterstück Carmen Disruption von Simon Stephens, in dem sie eine weltweit gefeierte Carmen-Darstellerin interpretiert, die kaum mehr zwischen ihrer Person und ihrer Rolle unter- scheiden kann. Zu ihrem vielseitigen künstlerischen Profil gehört auch ihre Leidenschaft für den Jazz. Bei einschlägigen Jazz-Festivals war sie zuletzt mit der Bohém Ragtime Jazz Band zu hören. Mit den beiden Rollen – Nina und Judith – gibt Viktoria Vizin ihr Debüt beim BRSO. 15 Biographie Viktoria Vizin
16 Biographie Krisztián Cser
KRISZTIÁN CSER Der ungarische Bariton Krisztián Cser stammt aus einer Musiker- und Künstlerfamilie und wuchs in Szeged auf. Zunächst schrieb er sich an der Universität seiner Heimatstadt im Fach Physik ein und war Werkstudent am dortigen Institut für Biophysik im biologischen Forschungszentrum. Doch nach seinem Studienabschluss in Physik zog es ihn zur Musik: Er absolvierte daher ein weiteres Studium im klassischen Gesang an der Universität in Szeged und wechselte dann zur Franz-Liszt-Akademie in Budapest, um seine Gesangsausbildung bei der Sopranistin Éva Marton zu vervollkommnen. Nach einigen Wettbewerbsteilnahmen und Preisen wurde er 1998 zunächst als Oratoriensänger mit Bachs Passionen bekannt und baute sich bald ein um- fangreiches Repertoire von der Barockmusik bis zu zeitgenössischen Werken auf. 2008 wurde er Mitglied der Ungarischen Staatsoper Budapest und er- arbeitete sich die bedeutenden Bariton- und Bass-Partien, die er unter Diri- genten wie Péter Eötvös, Helmuth Rilling, Ádám Fischer und Iván Fischer verkörperte. Eine seiner wichtigsten Rollen ist die Titelpartie in Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg, die er bereits weltweit dargestellt hat. Zum 100. Jahrestag der Uraufführung entstand mit ihm eine neue CD-Einspielung. Die englische Zeitung The Guardian war davon beeindruckt, dass der Sän- ger Krisztián Cser als Blaubart seinen »tiefen, samtigen Bass zwischen un- heimlicher Zärtlichkeit und Freud’scher Verwirrung« psychologisch nuan- cenreich einzusetzen wisse. Krisztián Csers Repertoire umfasst inzwischen 80 Rollen aus 60 Opern, u. a. Mozarts Figaro, Leporello und Sarastro, den Großinquisitor und Philipp II. in Verdis Don Carlo, Wotan in Wagners Rheingold, Colline in Puccinis La bohème, Don Basilio in Rossinis Il barbiere di Siviglia und Don Pizarro in Beethovens Fidelio. Einen besonderen Schwerpunkt legt Krisztián Cser auf die ungarische Oper. Hier hat er neben Bartóks Herzog Blaubarts Burg auch in Werken u. a. von György Ránki, György Selmeczi und Ferenc Erkel mitgewirkt. Als Krizstián Cser an einem Tag drei wichtige Partien sang – vormittags den Magier Cipolla aus Janós Vajdas Thomas-Mann-Oper Mario der Zauberer, gefolgt von Bartóks Blaubart, und abends den Fasolt in Wagners Rheingold – be- merkte eine Wiener Zeitung, dass dies nur wenige Sänger könnten und Cser daher mit diesem musikalischen Hattrick für das Guinness Book vorge- schlagen werden sollte. Mit der heutigen Interpretation des Herzogs Blau- bart gibt Krisztián Cser sein Debüt beim BRSO. 17 Biographie Krisztián Cser
MARISS JANSONS 5 CD 900157 PORTRAIT Die von BR-KLASSIK zum 75. Geburtstag des Maestros neu veröffentlichte CD- Edition bietet einen repräsentativen Querschnitt jenes Repertoires, für welches der Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks immer wieder und in besonderem Maße aufgrund seiner hervorragenden inter- pretatorischen Qualitäten gefeiert wird. Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks MARISS JANSONS SERGEJ RACHMANINOW DIE GLOCKEN – CD 900154 SYMPHONISCHE TÄNZE Die beiden Meisterwerke, die Rachmaninow als seine besten Kompositionen verstand, wurden in Münchner Konzerten im Herkulessaal der Residenz aufgezeichnet – herausragende Interpretationen von wesentlichen Kompositionen des symphonischen Repertoires des frühen 20. Jahrhunderts unter der Leitung von Mariss Jansons. © Peter Meisel Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks MARISS JANSONS br-klassik.de/label Erhältlich im Handel und im BRshop: br-shop.de
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS Mit der Saison 2023/2024 wird das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seinen neuen Chefdirigenten begrüßen können, der in der Zwi- schenzeit auch mehrfach am Pult stehen wird: Sir Simon Rattle. Er ist als sechster Chefdirigent in der Reihe bedeutender Orchesterleiter nach Eugen Jochum, Rafael Kubelík, Sir Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons eine Dirigentenpersönlichkeit von großer Offenheit für neue künstlerische Wege. Das BRSO entwickelte sich schon bald nach seiner Gründung 1949 zu einem international renommierten Klangkörper. Neben dem klassisch-romantischen Repertoire gehört im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegrün- deten musica viva die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Viele namhafte Gastdirigenten wie Leonard Bern- stein, Georg Solti, Carlo Maria Giulini und Wolfgang Sawallisch haben das Orchester geprägt. Heute sind Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Süd- amerika. Von 2004 bis 2019 hatte das BRSO eine Residenz beim Lucerne Easter Festival. Zahlreiche Auszeichnungen dokumentieren den festen Platz des BRSO unter den internationalen Spitzenorchestern. Anfang 2019 wurden die Gastkonzerte in Japan unter der Leitung von Zubin Mehta von japa- nischen Musikkritikern auf Platz 1 der »10 Top-Konzerte 2018« gewählt. 2020 setzte die Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik die CD mit Schostakowitschs Zehnter unter Mariss Jansons auf die Bestenliste 1/2020. 19 Biographie BRSO
20 Biographie Péter Eötvös
PÉTER EÖTVÖS Als Komponist ebenso wie als Dirigent und Lehrer ist Péter Eötvös eine der prägenden Künstlerpersönlichkeiten der Neuen Musik. 1944 im sieben- bürgischen Székelyudvarhely geboren, wurde er mit 14 Jahren von Zoltán Kodály an die Musikakademie in Budapest aufgenommen, wo er bis 1965 Kom- position und Klavier studierte. Anschließend kam er mit einem DAAD- Stipendium nach Köln, setzte hier seine Kompositionsstudien bei Bernd Alois Zimmermann fort und absolvierte ein Dirigierstudium. Von 1968 bis 1976 war er Pianist und Schlagzeuger im Ensemble von Karlheinz Stockhausen, von 1971 bis 1979 arbeitete er am Studio für elektronische Musik des WDR. 1978 wurde Péter Eötvös von Pierre Boulez eingeladen, das Einweihungskonzert des Ircam in Paris zu leiten, und folgte Boulez dann als Musikalischer Leiter des Ensemble intercontemporain, mit dem er zwischen 1979 und 1991 über 200 Kompositionen zur Uraufführung brachte. Auch am Pult der großen Sym- phonieorchester und Opernhäuser konnte Péter Eötvös seine Dirigentenkar- riere seit den frühen 1980er Jahren immer weiter ausbauen. Er war Erster bzw. Ständiger Gastdirigent des BBC Symphony Orchestra, des Budapest Festival Orchestra, der Göteborger Symphoniker, des Radio-Sinfonieorches- ters Stuttgart des SWR und des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. Re- gelmäßige Einladungen erhält er u. a. vom Concertgebouworkest Amsterdam, den Berliner und den Wiener Philharmonikern, dem Cleveland Orchestra, dem NHK Symphony Orchestra, der Mailänder Scala, dem Royal Opera House Covent Garden in London und dem Théâtre du Châtelet in Paris. Péter Eötvös’ eigene Kompositionen werden weltweit von allen bedeutenden Ensembles und Institutionen aufgeführt. Einen durchschlagenden Erfolg feierte er 1998 mit der Premiere seiner Oper Tri Sestri nach Anton Tschechow an der Opéra de Lyon. Seither hat Péter Eötvös mit vielen weiteren Opern Musikthea- tergeschichte geschrieben. Immer wieder findet auch sein politisches und soziales Engagement Niederschlag in seinem Schaffen: Das Orchesterstück Alle vittime senza nome, das Oratorium balbulum sowie die Opern Der goldene Drache oder Angels in America etwa sind Schlüsselwerke seiner Auseinandersetzung mit den existenziellen Themen der Gegenwart. Ein wichtiges Anliegen ist Péter Eötvös auch die Förderung des musikalischen Nachwuchses. 1991 gründete er in Budapest das International Eötvös Insti- tute und 2004 die Péter Eötvös Contemporary Music Foundation für junge DirigentInnen und KomponistInnen. Er war lange Zeit Professor an den Hochschulen in Karlsruhe und Köln, daneben gibt er sein Wissen in Meister- kursen und Seminaren weiter. Péter Eötvös ist Träger zahlreicher Auszeich- nungen und Ehrungen. Dem BRSO ist er seit vielen Jahren durch regelmä- ßige Auftritte im Rahmen der musica viva eng verbunden. 21 Biographie Péter Eötvös
LASSEN SIE UNS FREUNDE WERDEN! Freunde sind wichtig im Leben eines jeden von uns. Kontakt: Diese Überlegung machten sich musikbegeisterte Freunde des Symphonieorchesters und engagierte Menschen zu eigen und gründeten des Bayerischen Rundfunks e. V. den gemeinnützigen Verein »Freunde des Sympho- Geschäftsstelle: Ingrid Demel, Sabine Hauser nieorchesters des Bayerischen Rundfunks e. V.«. c/o Labor Becker und Kollegen Seine heute 1.400 Mitglieder fördern die herausra- Führichstraße 70 gende künstlerische Arbeit des Symphonieorchesters 81671 München und seiner Akademie nach Kräften. Der Verein trägt Telefon: 089 49 34 31 dazu bei, den Ruf dieses weltweit berühmten Orche- Fax: 089 450 91 75 60 sters weiterhin zu mehren. Mit der finanziellen Un- E-Mail: fso@freunde-brso.de terstützung der »Freunde« werden Instrumente finan- www.freunde-brso.de ziert, Kompositionsaufträge erteilt, Kammermusik- kurse abgehalten und jungen Talenten in der Akade- * Rechtsverbindliche Ansprüche bestehen jeweils nicht mie eine erstklassige Ausbildung an ihren Instrumen- ten ermöglicht. Den »Freunde«-Mitgliedern werden zahlreiche attraktive Vergünstigungen angeboten, von exklusiven Besuchen ausgewählter Proben über be- vorzugte Kartenbestellungen bis hin zu Reisen des Orchesters zu Sonderkonditionen.* Helfen Sie mit als Freund und lassen Sie sich in die Welt der klassischen Musik entführen!
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS SIR SIMON RATTLE TEXTNACHWEIS Designierter Chefdirigent Inhaltsangabe: Monika Lichtenfeld; ULRICH HAUSCHILD Susanne Schmerda: aus den Programm- Orchestermanager heften des Symphonieorchesters des (Nikolaus Pont in Elternzeit) Bayerischen Rundfunks vom 18./19. Novem- ber 2010; Biographien: Renate Ulm (Vizin; Bayerischer Rundfunk Cser); Vera Baur (Eötvös); Archiv des Rundfunkplatz 1 Bayerischen Rundfunks (BRSO). 80335 München Telefon: (089) 59 00 34 111 BILDNACHWEIS Holzschnitte von János Kass: © VG Bild- IMPRESSUM Kunst, Bonn 2021; Ferenc Bónis: Béla Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk Bartók. Sein Leben in Bilddokumenten, Programmbereich BR-KLASSIK Zürich 1981 (Bartók, Skizzenblatt, Bühnen- Publikationen Symphonieorchester bild der Uraufführung, Darsteller der Urauf- und Chor des Bayerischen Rundfunks führung, Plakat); Wikimedia Commons (Slevogt); © Viktoriavizin.com (Vizin); REDAKTION © Herman Péter (Cser); © Astrid Acker- Dr. Renate Ulm (verantwortlich) mann (BRSO); © Marco Borggreve (Eötvös); Dr. Vera Baur Archiv des Bayerischen Rundfunks. GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT Bureau Mirko Borsche AUFFÜHRUNGSMATERIAL UMSETZUNG © Universal Edition, Wien (Bartók) Antonia Schwarz, München br so.de
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