Budgetpolitik vor großen Herausforderungen - em.o.Univ.Prof. Dr. Christoph Badelt - WKO
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Budgetpolitik vor großen Herausforderungen em.o.Univ.Prof. Dr. Christoph Badelt Steuertag der WKOÖ Linz 29.03.2022
Aufbau des Vortrags ▪ Teil I Ausgangssituation ▪ Teil II Kurzfristige Entwicklungen und Herausforderungen ▪ Teil III Langfristige Herausforderungen ▪ Teil IV Schlussfolgerungen
I. Ausgangssituation
Fiskalische Ausgangsposition Finanzpolitische Ausgangslage Österreichs vor der Corona-Krise war stabil (2019: Fiskalischer Überschuss iHv 0,6% des BIP; Schuldenstand iHv 70,6% des BIP) Corona-Pandemie hat danach direkt und indirekt die Entwicklung der fiskalischen Kennzahlen geprägt (Gesamtkosten 2020 bis 2022: 68,9 Mrd EUR) BIP-Automatismus Diskretionäre Maßnahmen führten zu Mehrausgaben/Mindereinnahmen Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung fördert die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte – die „Post-Corona-Phase“ könnte und müsste beginnen Allerdings: Unsicherheiten aufgrund aktueller Entwicklungen: vor allem Inflation, Kriegsgeschehen – Reduktion der Wachstumsprognose; neue Ausgaben notwendig 4/25
Öffentliche Verschuldung 2019 und deren Veränderung bis Ende 2021 im Euroraum laut Europäischer Kommission Euroraum in % des BIP Estland 8,6 18,4 Luxemburg 22,3 25,9 Litauen 35,9 45,3 Stand der öffentlichen Verschuldung Ende Lettland 36,7 48,2 2019 in % des BIP Zuwachs der Schuldenquote bis Ende 2021 Irland 57,2 55,6 Niederlande 48,5 57,5 Malta 40,7 61,4 Stand der öffentlichen Verschuldung Slowakei 48,1 61,8 Ende 2021 in % des BIP Finnland 59,5 71,2 Deutschland 58,9 71,4 Slowenien 65,6 77,7 Österreich 70,6 82,9 Euro-19 85,5 100,0 Zypern 91,1 104,1 Belgien 97,7 112,7 Frankreich 97,5 114,6 Spanien 95,5 120,6 Portugal 116,6 128,1 Italien 134,3 154,4 Griechenland 180,7 202,9 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 Quelle: Herbstprognose 2021 der Europäischen Kommission (November 2021). 5/25
FISK-Herbstprognose 2021 (inklusive Lockdown IV) 2021 2022 2023 2024 2025 in % des BIP FISK FISK FISK FISK FISK Finanzierungssaldo -6,2 -2,0 -1,0 0,0 0,6 Schuldenquote 83,1 78,9 75,9 72,3 69,1 Quelle: FISK-Herbstprognose 2021 inklusive Lockdown IV. Kleinere Veränderungen in den Rahmenbedingungen würden das grundsätzliche Muster nur nach hinten verschieben Ausgeglichenes Budget wäre 2024 erreichbar Bei stärkeren Schocks wären stärkere Effekte unvermeidbar 6/25
II. Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen
Veränderung der fiskalischen Rahmenbedingungen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen Neue Maßnahmen (Effekt auf die Herbstprognose) in Mio EUR 2022 2023 Teuerungsausgleich (Februar) Teuerungsausgleich Energiekostenausgleich -760 -560 0 0 verschlechtert Teuerungsausgleich -200 0 Finanzierungssaldo Energiepaket -1.376 -563 um 0,8 Mrd Euro Senkung Energieabgabe Gas und Strom Entlastung für Pendler und Negativsteuer -540 -316 -360 -83 Energiepaket (März) Preissenkung und Ausbau Öffis Entlastung KMU mit hohem Treibstoffverbrauch -150 -60 0 -60 belastet Unterstützung für Betriebe zum Umstieg auf alternative Antriebsformen -60 -60 Finanzierungssaldo Unterstützung für Investitionen in Photovoltaik und Windkraft Anpassung Ökosoziale Steuerreform -250 -321 190 0 mit 1,9 Mrd Euro 50% Reduktion Insolvenz-Entgelt-Fonds -125 -125 Summe -2.582 -498 in % des BIP -0,6 -0,1 Fn: Aussetzung der Ökostrompauschale und Ökostromförderbetrag (gesamt 900 Mio Euro) nicht berücksichtigt, da diese bisher von Statistik Austria nicht im Sektor Staat berücksichtigt wurde Quelle: RIS, Medien und eigene Abschätzung. Finanzierungssaldo verschlechtert sich 2022 und 2023 um -0,6% bzw. -0,1% des BIP 8/25
Bessere Entwicklung der Steuereinnahmen 2021 als erwartet Realisierung der Cash-Daten für 2021 implizieren höhere erwartete Staatseinnahmen 2021 FISK-Herbstprognose Erwartete Steuer 2021 in mio EUR Anpassung Lohnsteuer 30.826 ↑ Umsatzsteuer 30.423 ↓ Körperschaftsteuer 9.457 ↑↑ Veranlagte Einkommenssteuer 5.389 ↑ Mineralölsteuer 3.979 ↑ Quelle: FISK. Um 0,4% des BIP höhere Staatseinnahmen 2021 als in der FISK-Herbstprognose 9/25
Budgetäre Effekte des Kriegs in der Ukraine BIP-Reduktion: Beispiel: Rückgang um 1%-Punkt führt in AT zu etwa 0,4%-Punkten Verschlechterung des Finanzierungssaldos (rund 1,6 Mrd Euro pro Jahr); Effekt ist in neuer Makroprognose des WIFO enthalten Budgetäre Belastung durch Flüchtlingszuwanderung aus der Ukraine mit ~-0,1% des BIP 2022 und 2023 voraussichtlich gering (v.a. Grundversorgung) Annahmen: Anzahl der Flüchtlinge: 100.000 Flüchtlinge befinden sich im Durchschnitt in AT Altersstruktur: 50% der Flüchtlinge sind Kinder; eher geringes Partizipationspotenzial am Arbeitsmarkt (u.a. wegen Sprache, Alter) Höhere USt auf Energie: 2022 ca. 0,1% des BIP Sberbank: rd. 950 Mio. Euro oder 0,24% des BIP werden von AT-Einlagensicherung ausbezahlt und belasten den Finanzierungssaldo 10/25
Neue Makroökonomische Rahmenbedingungen WIFO-Mittelfristprognose März 2022 Aktuelle WIFO-Konjunkturprognose Veränderung zum Vorjahr in % (sofern nicht anders angegeben) 2021 2022 2023 2024 2025 2026 (25. März 2022): nominelles BIP- Bruttoinlandsprodukt Nominell 6,3 7,5 5,6 4,4 3,8 3,5 Wachstum: 2022 niedriger, 2023 Real 4,5 3,9 2,0 1,8 1,6 1,4 höher gegenüber FISK- Private Konsumausgaben, nominell 1) Preise 5,8 9,7 5,6 4,9 4,0 3,5 Herbstprognose: Verbraucherpreisindex BIP-Deflator 2,8 1,8 5,8 3,5 3,2 3,5 2,5 2,6 2,3 2,2 2,2 2,1 2022: von +7,7% → +7,5% Einkommen 2023: von +4,6% → +5,6% Daraus ergibt sich bei Lohn- und Gehaltssumme, brutto 5,5 5,8 6,1 4,4 3,9 3,7 Arbeitnehmerentgelte 5,5 5,7 6,1 4,4 3,9 3,7 Betriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen 5,5 2,7 3,8 4,5 3,9 3,5 Arbeitsmarkt „durchschnittlichem“ Schock Unselbstständig aktiv Beschäftigte (Veränderung in 1.000) 2) 90,4 80,0 45,0 41,4 41,0 34,8 Vorgemerkte Arbeitslose (Veränderung in 1.000) 3) -77,9 -55,0 -5,0 -6,4 -6,2 -1,0 2022: leichte Verschlechterung des Arbeitslosenquote, nationales Konzept 4) (in %) 3-Monatszinssatz (in %) 8,0 -0,5 6,7 -0,4 6,5 6,3 0,3 0,5 6,1 0,8 6,0 1,0 Finanzierungssaldos um 0,1% des 10-Jahreszinssatz für Staatsanleihen (UDRB) 5) (in %) -0,1 0,6 1,0 1,1 2,1 3,1 BIP 1) Einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 2) Veränderung zum Vorjahr in 1.000 laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. 2023: Verbesserung des 3) Veränderung zum Vorjahr in 1.000 laut Arbeitsmarktservice Österreich. 4) In % der unselbstständigen Erwerbspersonen laut AMS. Finanzierungssaldos um ca. 0,4% 5) Umlaufgewichtete Durchschnittsrendite für Bundesanleihen (10 Jahren). Quellen: Statistik Austria, WIFO. des BIP 11/25
Prognose-Update Finanzierungssaldo 2022 und 2023 Cash Daten Entwicklung bei Steuern: Einnahmen +0,4% des BIP p.a. Neue diskretionäre Maßnahmen : -0,6% des BIP 2022 und -0,1% des BIP 2023 Budgetäre Belastung durch den Ukraine Krieg (ohne Makroeffekt): -0,2% und -0,1% des BIP 2022 und 2023 Budgeteffekt der nominellen BIP-Wachstumsänderung: 2022: -0,1% des BIP; 2023: 0,4% des BIP Grobes Update der FISK-Herbstprognose (24.März 2022) 2021 2022 2023 in % des BIP FISK FISK FISK Finanzierungssaldo -5,8 -2,5 -0,4 Schuldenquote 82,7 79,1 74,8 Quelle: FISK-Update Prognose der Schuldenquote 2023 bleibt nahezu unverändert (v.a. Basiseffekt 2021, geringer nom. BIP-Einbruch 2022 und nom. BIP-Wachstumserhöhung 2023) 12/25
Verbliebene Unsicherheitsfaktoren Basisrevision aufgrund realisierter Fiskaldaten für das Jahr 2021 Makroökonomische Rahmenbedingungen (Dauer des Krieges, Entwicklung der Rohstoffpreise, Ausmaß und Dauer der Wirtschaftssanktionen, Verfügbarkeit von Rohstoffen, Lieferkettenproblematik etc.): Revision der BIP-Wachstumsaussichten Wirtschaftspolitische Gegensteuerungsmaßnahmen Ausmaß und Nachhaltigkeit der Flüchtlingsbewegungen Infektionsgeschehen der Corona-Pandemie Aufstockung der Militärausgaben: medial wird von einer Aufstockung auf 1% bis 1,5% des BIP (+0,5% bis 1% des BIP) gesprochen. Ausgabenerhöhung aufgrund der Befüllung der Gasspeicher: Medienberichte sprechen von 2 Mrd Euro Erwartete Reklassifikation der Einnahmen aus Ökostrompauschale und –beitrag verbessert Finanzierungssaldo 2023 13/25
III. Langfristige Herausforderungen
Langfristprobleme der öffentlichen Haushalte Unabhängig von aktuellen Problemen haben die demographischen Veränderungen merkbare Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben, weil große Ausgabenblöcke unter anderem durch die Altersstruktur einer Bevölkerung bestimmt werden. Aufbauend auf den vorliegenden demographischen Prognosen hat der Fiskalrat in seinem Nachhaltigkeitsbericht die budgetären Effekte des demographischen Wandels unter transparenten Annahmen berechnet. Langfristig entsteht eine „fiskalische Lücke“. Diese muss durch Maßnahmen der Wirtschaftspolitik geschlossen werden. 15/25
Demographische Prognosen in Prozent der Bevölkerung 2019 2020 2025 2030 2035 2040 2050 2060 2070 Bevölkerung (absolut in 1.000) (rechte Achse) 8.880 8.908 9.080 9.220 9.340 9.445 9.604 9.685 9.791 Anteil 65+ an Bevölkerung 18,9 19,1 20,8 23,2 25,3 26,4 27,6 28,5 28,9 Anteil 80+ an Bevölkerung 5,2 5,4 6,2 6,7 7,2 8,4 11,2 11,3 12,1 Verhältnis Anteil 65+/Anteil 20-64 (in %) 30,7 30,9 34,6 40,3 45,4 48,0 51,3 54,0 55,0 Verhältnis Anteil 0-19/Anteil 20-64 (in %) 31,4 31,4 32,2 33,5 34,3 34,3 34,4 35,5 35,7 Quelle: FISK-Berechnungen. 16/25
Demographische Prognosen: Grundaussagen Bevölkerung Anteil in % in 1.000 Anteil 65+ an Bevölkerung 60 Anteil 80+ an Bevölkerung 10.000 Verhältnis Anteil 65+/Anteil 20-64 (in %) Verhältnis Anteil 0-19/Anteil 20-64 (in %) 50 Bevölkerung in 1.000 (rechte Achse) 9.800 40 9.600 30 9.400 20 9.200 10 9.000 0 8.800 2019 2020 2025 2030 2035 2040 2050 2060 2070 17/25
Beispiel: Prognose der Pensionsausgaben Pensionsausgaben steigen bis 2070 um 1,2% des BIP 18/25
Nachhaltigkeitsüberlegungen - konzeptuell Nachhaltigkeitsindikator: Fiskalischer Spielraum: mögliche Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen, um Schuldenquote gegenüber Vorjahr konstant zu halten Unterschiedliche Wirkungsweise temporärer und permanenter Maßnahmen Temporäre Maßnahmen: keine Auswirkung auf Folgejahre Permanente Maßnahmen: verändern Budgetlücke der Folgejahre 19/25
Langfristig Budgetlücke, mittelfristig fiskalischer Spielraum Primärsaldo + BIP-Nennereffekt - Zinsausgaben = Fiskalischer Spielraum - Rückführung Schuldenquote (1/20 Regel) = Spielraum für zusätzliche Maßnahmen Lücke (Konsolidierungsbedarf) 20/25
Demographiebedingte Verschlechterung der Pensions-, Gesundheits-, Pflege- und Bildungsausgaben 2019 2019 2030 2040 2050 2060 Veränderung in % des BIP bis bis bis bis bis bis 2070 2030 2040 2050 2060 2070 Pensionsausgaben 1,2 1,0 0,1 0,2 0,1 -0,2 Gesundheitsausgaben 2,8 0,5 0,8 0,7 0,4 0,4 Pflegeausgaben 1,8 0,3 0,3 0,5 0,3 0,4 Bildungsausgaben 0,0 0,0 0,0 0,0 0,1 -0,1 Quelle: FISK-Nachhaltigkeitsbericht 2021. Hohe Dynamik demographieabhängiger Ausgaben (Gesundheit, Pflege, Pensionen, Bildung): +5,8% des BIP bis 2070 Gesundheitsausgaben steigen bis 2070 um 2,8% des BIP und damit stärker als in vergleichbaren Langfristanalysen (BMF/WIFO, EK) 21/25
Bewertung des FISK-Nachhaltigkeitsberichts Robustes Ergebnis (auch bei Alternativannahmen): auf mittelfristige fiskalische Spielräume folgt langfristige Budgetlücke Österreich profitiert kurz- und mittelfristig deutlich vom Niedrigzinsumfeld, d. h. das negative Zinswachstumsdifferenzial verschiebt die Entstehung der fiskalischen Lücke um rund 10 Jahre Demographiebedingte Verschlechterung des Primärsaldos dreht fiskalischen Spielraum ab 2048 in eine Budgetlücke Innerhalb der demografieabhängigen Ausgaben besitzen Gesundheitsausgaben gefolgt von Pflegeausgaben die stärkste Dynamik Anstieg der Pensionsausgaben durch Rückgang der Großzügigkeit des Systems deutlich abgeschwächt 22/25
IV. Schlussfolgerungen
Langfristige und kurzfristige Reaktionen sind kongruent Die langfristige Budgetstabilität darf nicht aus den Augen gelassen werden. Die fiskalische Lücke kommt früher/wird größer, wenn permanent wirkende Ausgaben beschlossen werden. Bei Ausgaben dieser Art ist besonders restriktiv vorzugehen. Die notwendigen Strukturreformen (insbesondere im Bereich demographie - bedingter Ausgaben) sind rasch anzugehen. Dazu gehört auch der Themenbereich der föderalen Strukturen. Wenn kurzfristige Notsituationen ein Eingreifen des Staats notwendig machen, dann sind auch zusätzliche Schulden akzeptabel – bei Ende der Notsituation ist eine Rückkehr zum nachhaltigen Budgetpfad geboten. Internationale Gefahren könnten dazu führen, dass Budgetsalden sich für einige Jahre verschlechtern. 24/25
DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! Präsident des Fiskalrates em.o.Univ.Prof. Dr. Christoph Badelt office@fiskalrat.at www.fiskalrat.at +43-1-40420/7470
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