Bukarest Hauptstadt der Vielfalt - Deutsche Vertretungen in Rumänien
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Inhalt Vorwort S. 4 Auf der Suche nach dem deutschen Bukarest Wie Zuwanderer aus dem deutschen Sprachraum die rumänische Hauptstadt prägten S. 6 Spaziergang durch das jüdische Bukarest Vom prächtigen Choral-Tempel bis zum schlichten Holocaust-Mahnmal S. 14 Mit Manuc Bei durch die Hauptstadt Auf den Spuren der Armenier în Bukarest S. 20 Rund um den Universitätsplatz Im Karussell von Geschichte und Geschichten S. 26 Heimliche Hauptstadt der Kirchen Über die faszinierende Vielfalt der christlichen Gotteshäuser S. 32 Die verlorene, wiedergefundene Stadt Architektonischer Streifzug durch Bukarest zwischen alt und modern, Geschichte und Gegenwart S.40 Bukarest - mal von oben! Mit dem City Tour Doppeldecker durch die Hauptstadt S. 48
Vorwort Bukarest ist eine Hauptstadt, die „entdeckt“ werden will – und zwar in des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Eine Stadt, deren Schönheit sich dem Betrachter beson- ders dann erschließt, wenn der Blick hinter die Fassaden dringt. Dies ist zunächst ganz praktisch zu verstehen: Man muss von den großen Achsen abbiegen und in die ver- winkelten Ecken der Stadtviertel und Hinterhöfe vor- dringen, um den wahren Zauber der Stadt zu erfahren. Aber es gilt auch im übertragenden Sinne: Man sollte sich dafür die historischen Hintergründe der plurikultu- rellen, religiösen und architektonischen Vielfalt dieser Stadt erschließen. Für manche dieser Entdeckungen braucht es den Blick des „alten Bukaresters“. Für andere dagegen gerade den frischen, unbeschwerten Blick des neu Hinzugezoge- nen, der die Faszination von Dingen erkennt, die erste- rem womöglich gar nicht mehr auffallen oder dem sie zumindest als nichts Besonderes erscheinen. Durch ihre Vita verfügen Nina May und George Du- mitriu über beide Blickwinkel zugleich – sozusagen in Personalunion. Und sie haben uns daran über mehrere Jahre teilhaben lassen in einer bunten Artikelserie der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien. Mit an- regenden Titeln wie: „Architektonischer Streifzug durch Bukarest“, „Spaziergang durch das jüdische Bukarest“, „Heimliche Hauptstadt der Kirchen“ und „Auf der Su- che nach dem deutschen Bukarest“. 4
Daraus haben wir nun gemeinsam mit den Autoren ein kleines Büchlein „Bukarest – Hauptstadt der Vielfalt“ gemacht, das wir allen deutschsprachigen Bukarest- Liebhabern im Rahmen unserer diesjährigen EU-Rats- präsidentschaft 2020 präsentieren möchten. Eine Entdeckungsreise durch die Jahrhunderte auf den Spuren unterschiedlicher kultureller Wurzeln, darunter auch der deutschen – mit anderen Worten, eines kleinen Europas vor seiner Zeit! Wir wünschen viel Vergnügen auf Ihren Streifzügen mit diesem Büchlein im Gepäck. Cord Meier-Klodt Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien Foto: Julia Saßmannshausen 5
Auf der Suche nach dem deutschen Bukarest Wie Zuwanderer aus dem deutschen Sprachraum die rumänische Hauptstadt prägten Von wegen Klein-Paris: Bukarest ver- rathon architektonischer Prachtbau- dankt einen großen Teil seiner Anlagen ten - sondern vielmehr als Suche nach deutschen Architekten. Für die ersten Geschichten, die sich um historische Parks – den Cișmigiu, den König Mi- Stätten und Figuren ranken, als Appe- chael I. Park und den Botanischen Gar- tithäppchen für Kenner und Genießer… ten, der ursprünglich im Zentrum lag – rief König Karl I. deutsche Gartenge- Die Zeit geht anders stalter ins Land. Der erste Professor für in Bukarest Bildhauerei, Karl Storck, war ein Ein- wanderer aus Hanau. Auch seine Söhne Kaum ein anderer Stadtteil hat in den Frederic und Carol haben prägende letzten Jahren sein Gesicht so gewan- Spuren hinterlassen. Der Bukarester delt wie das Altstadtzentrum. Um 2000 Markt im Zentrum war vom 16. bis zum war es noch von verstaubten Antiquitä- 19. Jh. stark vom Handel mit Leipzig tenläden, Buchantiquariaten, Brautmo- geprägt. Der erste Bierfabrikant, Wil- degeschäften, einer Glasbläserei zum helm Höflich, kam aus dem schlesischen Zuschauen und Läden mit zauberhafter Oppeln und ließ sich unter seinem handgefertigter Glasware geprägt - die Spitznamen „Oppler“ hier einbürgern. jedoch abends ihre Rolläden herunter- Sein schärfster Konkurrent, der bay- ließen und die Straßen einsam und leer rische Brauer Erhard Luther, wurde der Dunkelheit überließen. Heute bro- später Hoflieferant des Königshauses. delt dort das touristische Leben. Bars, Ja, selbst die rumänische Königsdynas- Strada Smârdan, früher tie hat deutsche Wurzeln: Karl I. und deutsches Gässchen Ferdinand I. stammten aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen. Heute allerdings muss man den deut- schen Einfluss auf das Stadtbild fast mit der Lupe suchen. Schuld sind Erdbeben, Umplanung, Modernisie- rungen oder der Zahn der Zeit. So ge- staltet sich die Tour auf den Spuren des deutschen Bukarest nicht als Ma- 6
Clubs, Restaurants, internationale Ho- Lipscani-Straße im tels, exquisite Tee-Läden und Mode- Altstadtzentrum schmuckgeschäfte bevölkern die Stra- des Walachen war der Markt in Leipzig. ßen. Die bekanntesten sind Lipscani und Der Sachse aus Leipzig, ein Uhrmacher, Smârdan. Letztere hieß bis 1878 „Ulița reiste in umgekehrter Richtung. In Buka- Nemțească“ - deutsches Gässchen. Ers- rest wollte er seine Ware feilbieten und tere hingegen bezieht ihren Namen von sich mit seinem Handwerk am Handels- der sogenannten „lipscanie“, dem Groß- knotenpunkt zwischen Orient und Okzi- handel mit Waren aus Leipzig. Lipscani- dent dauerhaft niederlassen. Dort ange- Straßen gibt es daher nicht nur in Buka- kommen, musste er jedoch entdeckten, rest, sondern z. B. auch in Craiova, Slati- dass die Uhren auf dem Balkan anders na, Caracal und Râmnicu Vâlcea. gingen... Zeit hatte man in der Walachei Wie die intensive kommerzielle Bezie- massenhaft - niemand hatte Interesse an hung zwischen Leipzig und Bukarest be- den seltsamen feinmechanischen Mecha- gann? In der Zeitschrift des Bukarester nismen. Kurz vor der Verzweiflung be- Stadtmuseums, „București in 5 Minute“ gegnete er der Karawane des Walachen, (April 2018), erzählt Museumsdirektor der gerade aus Leipzig zurückgekehrt Adrian Majuru die Geschichte der bei- war. Dieser klagte ihm das umgekehrte den Händler, die gleichzeitig aus ihrer Problem: Weil die Händler aus der Wa- jeweiligen Heimatstadt fortzogen. Ziel lachei keine Uhren hatten, hatten sie den 7
Rumänische Kreditbank rer waren Händler, Glaser, Schmiede, von Oskar Maugsch Drucker, Metzger, Schlosser, Schreiner, Leipziger Markt verpasst. So wurden sie Bildhauer, Maler, sogar einen Homöopa- die ersten Kunden des Deutschen – und then gab es in Bukarest. Die Wirtschafts- dieser der erste Uhrmacher Bukarests. zeitung „România Economică“ erschien Der Kommerz zwischen den beiden zweisprachig, deutsch-rumänisch. Aus- Städten entwickelte sich zu einer neuen grabungen in der Lipscani Straße förder- Form des Handels, der „lipscanie“. Im ten die Ruinen einer „Berliner Bankge- ge- 18. Jh. führten mehrere Routen nach sellschaft“ (1910-1930) zutage. Leipzig: eine von Bukarest entlang der Donau über Wien; eine nördlich durch Deutsche Architektur Prag und Sachsen; eine von Kronstadt/ Brașov über Siebenbürgen und Ungarn, Der Spitzname „Klein-Paris“ sei un- eine über die Karpaten über Krakau und gerechtfertig, meint Architekt Adrian Breslau durch Schlesien und eine aus Crăciunescu. Vielmehr sei Bukarest dem Norden der Moldau über Ruthenien. von deutschen Baumeistern geprägt, Im 19. Jahrhundert war das gesam- wie eine Flut an Dokumenten be- te wirtschaftliche Leben in Bukarest weist. Die französische Hauptstadt deutsch geprägt. Deutsche Zuwande- sei nur Verwaltungsvorbild gewesen. 10
Auf der Suche nach deutscher Architek- insgesamt 50 Jahre wirkte und die ers- tur stoßen wir in der Strada Stavropoleos te Architektenvereinigung Rumäniens 6-8 auf das imposante Gebäude der Ru- gründete. Für die Vollendung des von mänischen Kreditbank, erbaut von Oskar Friedrich Schmidt begonnenen, durch Maugsch. Der 1857 in Jassy/Iași gebore- den Unabhängkeitskrieg unterbrochenen ne Architekt, der in Dresden studiert hat- Baus der katholischen Kathedrale zum te und 1894 die rumänische Staatsbürger- Hl. Josef (Strada Gen. H. M. Berthelot schaft erhielt, erbaute ferner die Banca de 19) wurde Benisch vom Vatikan mit dem Scont (1903) an der Kreuzung zwischen Beinamen „Carol Vallaquiensi“ - „Karl Lipscani und E. Carada, den BCR-Palast von der Walachei“ - ausgezeichnet. (1911-1913) und den Versicherungspa- last (1907-1914) am Universitätsplatz, Die Künstlerfamilie Storck die Villen von Elena G. Cantacuzino (1899) und der Direktorin der Zentra- Karl Storck aus Hanau kam 1849 als len Mädchenschule (1894), beide in der Graveur und Silberschmied nach Bu- Strada Polonă (arhivadearhitectura.ro). karest, wo er für den Juwelier Josef Der Suțu-Palast (1833-1835), Sitz des Resch arbeitete. Bald begann er, sich Bukarester Stadtmuseums, geht auf Storck-Museum Pläne der Wiener Baumeister Conrad Schwink und Johann Veit zurück. Das Museum „Theodor Aman“ (1868) in der Strada Rosetti 6 stammt vom deutschen Architekten Franz Schiller, das Außen- dekor schuf Karl Storck. „Karl von der Walachei“ Ein weiterer Name, untrennbar mit Bu- karest verbunden, ist Carol Benisch, 1822 als Karl Franz Böhnisch im heu- tigen Tschechien geboren. 1840 war der knapp 25-Jährige von Prinz Nicolae Bi- bescu-Brâncoveanu in die Walachei ge- rufen worden. Er sollte dem Schweizer Johann Schlatter bei der Restaurierung der oltenischen Klöster Arnota, Tismana, Horezu und Bistrița helfen. 1865 wurde er Chefarchitekt von Bukarest, wo er 11
für Stuckkunst zu interessieren und ließ sich für drei Jahre in München speziell dafür ausbilden. Fortan fertigte er Büs- ten und andere Bildhauerarbeiten und wurde schließlich als erster Professor für Bildhauerei an die Schule der Schö- nen Künste berufen, die sein Freund, der Maler Theodor Aman, gegründet hatte. Einige Werke Storcks sind im Mu- seums „Frederic Storck und Cecilia Cuțescu Storck“ (Strada Vasile Alecsan- dri 16) zu sehen, der ehemaligen Resi- denz seines Sohnes Frederic. Andere zieren die Hauptstadt: die Statue aus Carrara-Marmor von Mihai Cantacu- zino vor dem Colțea-Spital, der Arzt Carol Davila in Bronze vor der Uni- versität für Medizin und Pharmakolo- gie. Auch seine Söhne Frederic (Fritz) und Carol wurden namhafte Bildhauer. Im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ In deren Schatten steht der kaum be- kannte Architekt Johann Storck, der die Heutige Orte der Deutschen Fachwerk-Villa von Frederic und Cecilia Storck 1911 konzipierte. Die Friese mit Ein Stück zeitgenössisches deutsches zoomorphen und pflanzlichen Motiven Bukarest bietet das Kulturhaus „Fried- an der Fassade stammen von Frederic rich Schiller“ in der Batiștei-Straße Storck, die Skulpturen und Wandmale- 15. Dort finden nicht nur Deutschkurse reien realisierten Frederic und Cecilia. statt, sondern auch Veranstaltungen zur Die Ausstellung zeigt neben der Kunst- deutschen Sprache und Kultur. Außen sammlung des Ehepaars Arbeiten aller bröckelt die Fassade, doch die Innen- Storcks. räume der Villa bestechen mit aufwän- Zu den bekanntesten Werken Frederic digem Stuck, prächtigen Kachelöfen, Storcks gehören Porträts von König Karl riesigen Spiegeln und Kassettendecken. I. und dessen Gemahlin Elisabeth, die Am Bau des Komplexes, der einst auch Statue der „Wahrheit“ auf dem Bukares- das Nachbarhaus, ehemaliger Sitz der ter Justizpalast, die Grabdenkmäler sei- US-Botschaft, umfasste, soll Carol Be- nes Vaters (Büste) und Bruders auf dem nisch beteiligt gewesen sein. Ab dem evangelischen Friedhof, 19. Jahrhundert logierte dort die Fa- 12
milie Blaremberg, die auf Waldemar tekten A. Mohnbach im eklektischen (Vladimir) Blaremberg zurückgeht. Der Stil entworfen - wurde unter den Buka- Adlige aus Flandern (heute Belgien) rester Gemeindemitgliedern gesammelt. war zur Zeit der russischen Besetzung Bemerkenswert: Wikipedia nennt als (1828-1834) als hoher Offizier von berühmte Spender König Friedrich Wil- Odessa nach Bukarest versetzt worden. helm IV. von Preußen, aber auch Katho- 1830 heiratete er Pulcheria Ghica, die liken wie Kaiser Franz Joseph von Öster- Schwester des später von den Türken reich oder den Komponisten Franz Liszt, und Russen zum Herrscher der Walachei sowie den orthodoxen Prinzen Gheorghe ernannten Fürsten Alexandru Ghica. Bibescu. Die große Orgel (1912), ein Auch die Evangelische Stadtpfarrkir- Instrument, das in keiner evangelischen che in der Strada Luterană 2 ist ein Kirche fehlt, stammt aus der Werkstatt Treffpunkt der evangelischen deutschen E. F. Walcker in Ludwigsburg, die auch Minderheit und germanophiler Buka- die Orgel für das Bukarester Athenäum rester. Dort werden noch Gottesdienste (1932) baute. Die kleine Orgel, 1796 in deutscher Sprache abgehalten, Kon- von Johannes Prause geschaffen, wurde zerte und Ausstellungen organisiert. 1995 aus Magarei/Pelișor nach Bukarest Für den Bau der dreischiffigen Basilika gebracht. - 1851 bis 1853 vom deutschen Archi- Kathedrale zum hl. Josef 13
Spaziergang durch das jüdische Bukarest Vom prächtigen Choral-Tempel bis zum schlichten Holocaust-Mahnmal „Zusammengedrängt in kleinen Gassen scheinen sie ohne Raum und Luft zu le- ben. Im Licht einer rauchenden Lampe arbeiten sie, bemüht, ein bisschen Wohl- stand in ihre kleine Welt zu bringen. Doch abends, wenn die Büros und Lä- den schließen, wird ihr Viertel auf ein- mal sehr lebhaft. Das ganze Volk ergießt sich in die Straßen, Frauen, Kinder, Alte, sie leben miteinander, teilen das- selbe Schicksal, alle kennen sich, was ihnen eine spezielle Art von Vertrautheit verleiht... Wen zufällig spät nachts der Weg durch diese Viertel führt, der wird sehr überrascht sein über das immer noch intensive Leben, während der Rest der Stadt bereits einschläft.“ Selber Ort, andere Zeit: Infernaler Ver- kehr lähmt die Innenstadt. Gläserne Hochhausfassaden, Fußgängerauflauf Unirea-Tempel vor Mc Donalds. Ein Pizzabote schlän- gelt sich mit dem Rad durch die Blech- tel, das sich damals bis auf den Unirea- lawine. Der U-Bahn-Ausgang vor dem Platz erstreckte; die Teestuben, die sich Kaufhaus Unirea spuckt unaufhörlich ab sechs Uhr abends füllten, wo religiöse Menschen in die Straße. „Taxi?“ ruft der Lieder aus knarzenden Grammophonen Mann vor der Reihe gelber Autos den dröhnten; die Milchsammelstellen und vorbeihastenden Passanten zu. Bukarest koscheren Schlachtereien; die fliegenden ist Metropole geworden: eine parallele Händler, die nach und nach die Straßen Welt zu jener Zeit, die der 1872 bis 1907 der Altstadt eroberten – erst Gabroveni in der Hauptstadt lebende französische und Lipscani, dann Carol, Șelari und Journalist Frédéric Damé eingangs so Smârdan, zuerst mieteten sie die Läden, pittoresk beschreibt. Das jüdische Vier- dann kauften sie sie von bulgarischen, 14
griechischen und rumänischen Händ- stattfindet: Konzerte der Bukarester lern. Nichts scheint heute davon übrig Klezmer Band, Theater, Ausstellungen, zu sein. Bukarest hat sein Gesicht einer Vorträge, Buchvorstellungen. Wie die anderen Zeitdimension zugekehrt: jener jüdische Bevölkerung Rumäniens früher der Malls, Straßencafés und Nachtclubs. auf dem Land lebte, erfährt man im Bu- Doch eine Stadt gehört niemals nur einer karester Dorfmuseum „Dimitrie Gusti“: Zeit... Auf der Allee der Minderheiten steht in der nach dem jüdischen Mediziner und Tore zu einer anderen Welt Staatsmann Nicolae Cajal benannten Gasse ein bescheidenes Holzhaus aus Immer gibt es Tore, die wie Hawkings der Maramuresch. Unser Spaziergang Wurmlöcher zu parallelen Dimensionen endet in der Strada Anghel Saligny 1: führen. Hier und dort durchbohren sie Wie eine rostige Schmerzensnadel sticht das Zeitgewebe des modernen Buka- die Säule des von Peter Jacobi entworfe- rest, Nadeln aus der Vergangenheit, die nen Holocaust-Mahnmals in die Wunde von unten die Gegenwart anpieksen: der des rumänischen Kollektivbewusstseins Choral-Tempel in der Sfânta Vineri Stra- ße 9, größte Synagoge des Landes, 1864 Der heilige Schrein im Unirea-Tempel nach dem Modell des großen Tempels in Wien errichtet; die davor größte „Große Synagoge“ der aus Polen eingewander- ten Aschkenasen, 1847 in der Strada Va- sile Adamachi 11 erbaut, heute zwischen hohen Wohnblocks eingepfercht; der Unirea-Tempel in der Strada Mămulari 3, 1836 von der Schneiderzunft errichtet, er beherbergt das Museum für jüdische Geschichte; nicht zu vergessen das jüdi- sche Staatstheater, ein imposantes gelbes Gebäude in der Strada Iuliu Barasch 15, heute wichtigste Einrichtungen für die Bewahrung der jiddischen Sprache. Ein Meilenstein dort ist die weltbekannte Schauspielerin Maia Morgenstern. Kon- zentriert ist die Bukarester jüdische Ge- meinschaft mit ihren kulturellen Aktivi- täten auf dem ProEtnica Festival vertre- ten, das jährlich in Schäßburg/Sighișoara 15
- als materialisiertes Eingeständnis, dass deutscher Dialekt, doch mit hebräischen der Holocaust auch hierzulande statt- Schriftzeichen geschrieben. Die Sprache gefunden hat. 280.000 rumänische und der Sepharden nennt sich Ladino. Typi- ukrainische Juden und 25.000 Roma sche Berufe der Bukarester Juden waren wurden zwischen 1940-44 nach Transni- Arzt und Händler, ab dem 19. Jahrhun- strien deportiert, wo viele in den Lagern dert auch Schneider, Schuster, Zinngie- starben. Aus Siebenbürgen schickte die ßer und Getränkefabrikant. Erst mit dem ungarische Armee 135.000 Juden nach Aufkommen der antisemitischen Politik Auschwitz. wurden ihre Dienstleistungen geächtet. Keine andere ethnische Gruppe erlebte Das jüdische Bukarest einen so starken demographischen Nie- dergang in so kurzer Zeit wie die jüdi- In Bukarest leben heute nach Angaben sche Gemeinschaft Rumäniens: Wurden der Föderation der jüdischen Gemein- 1930 landesweit 728.115 Juden gezählt schaften in Rumänien (FCER) noch an - in Bukarest stellten sie zur Zwischen- die 3500 Bürger mosaischen Glaubens. kriegszeit sogar elf Prozent der Bevöl- Die meisten sind Nachfahren der Asch- kerung dar - waren es nach dem Zwei- kenasen, Einwanderer aus dem deutsch- ten Weltkrieg nur noch einige Tausend. sprachigen europäischen Raum, Polen Viele wanderten später nach Israel aus. und Russland, bedingt durch verschiede- Auch vom jüdischen Viertel in Buka- ne Wellen der Verfolgung. Die ersten Ju- rest ist nicht viel übrig geblieben: die den, die sich Ende des 15. Jahrhunderts in kompakte Siedlung, die sich am linken Bukarest niederließen, waren jedoch die Dâmbovița-Ufer von der Calea Văcărești aus Spanien vertriebenen jüdischen Se- bis zur Calea Dudești hinzog, war in den pharden. Weil die Aschkenasen zahlen- 80er Jahren eine der am stärksten von mäßig dominierten, wurde in Bukarest den Demolierungen Ceaușescus betrof- vor allem Jiddisch gesprochen, eine Art fenen Zonen. Zwischen 1977 und 1989 wurden über 60 jüdische Tempel und Große Synagoge Synagogen zerstört. Ein Ort, wo sich Geschichte und Gegenwart treffen, ist das jüdische Staatstheater: Hier hatte sich 1877 Avram Goldfaden mit sei- ner Theatergruppe niedergelassen. Der Schriftsteller aus Jassy/Iași gilt als Be- gründer des heute weltweit verbreiteten jüdischen Theaters. Mit seinem Ensem- ble tourte er damals durch die Städte, bis sie 1876 mit großem Erfolg in Bu- 16
karest spielten – und blieben. Einer der Choral-Tempel Zuschauer der ersten Aufführung in der turerbes, 2007-2015 umfassend restau- Hauptstadt war kein geringerer als Mihai Eminescu. Nach dem Zweiten Weltkrieg riert. Errichtet wurde er zwischen 1864 durften eine zeitlang nur rumänische und 1866 nach den Plänen des Wiener Stücke aufgeführt werden, 1949 wurde Architekten Ludwig von Forster als das Theater Kulturinstitution des Staats. Replikat der Synagoge in der Wiener Seither wurden dort über 200 Stücke ge-Tempelgasse. Mehrmals von Erdbeben spielt, sowohl auf Rumänisch als auch beschädigt oder zerstört, zuletzt von der auf Jiddisch. Das Esemble nimmt häufig Legionärsbewegung im Januar 1941, wurde er 1945 wieder instandgesetzt und an internationalen Festivals und Tourne- en teil. Das Theater und seine Vertreter gilt als Denkmal nationalen Rangs. Bis wurden 2019 von Staatspräsident Klaus heute ist der Tempel spirituelles Zent- Johannis mit hohen Kulturorden ausge- rum der jüdischen Gemeinschaft, der zeichnet. Sitz des FCER liegt auf dem Gelände. Das Innere des Tempels wirkt monu- Verborgene Pracht mental: Zwei Etagen Balkone im neu- gotischen und maurischen Stil dienten Wir beginnen unseren Spaziergang beim früher den Frauen als Betraum. Heute Choral-Tempel, dem wohl imposantes- wird wegen der geringen Anzahl der ten Teil des Bukarester jüdischen Kul- verbliebenen Gläubigen während des 17
Gottesdienstes einfach ein transparenter Vorhang zwischen der Seite der Män- ner und der Frauen aufgezogen. Wän- de und Decke sind mit Ornamenten in eklektischem Stil mit maurischem Einfluss in warmen Orangetönen reich bemalt. Das Herzstück jeder Synagoge, der heilige Schrein oder Aron Kodesch, in dem die Tora-Rollen aufbewahrt werden, ist ein wahres Schmuckstück. Weiter geht es zur Großen Synagoge, de- ren Pracht sich nur von innen erschließt. Bemerkenswert auch hier: Balkone, ornamentale Deckenbemalung, ver- zierte Leuchter und bunte Glasfenster. Ihr Bau wurde 1846 von den aus Polen eingewanderten Aschkenasen bean- tragt, als Komplex mit Tempel, Schu- le und Spital, wegen Reklamationen christlicher Nachbarn vorübergehend eingestellt und 1847 mit Genehmigung von Gheorghe Bibescu mit Ausnahme Holocaust Mahnmal des Spitals fortgesetzt. Seit 1992 be- nutzt, Besucher sind bei den Konzerten, findet sich in dem denkmalgeschütz- Buchpräsentationen oder Konferenzen ten Gebäude das Holocaust-Museum. stets willkommen. Bewusst wird eine Der Unirea-Tempel, 2014-2016 umfas- Kultur der Offenheit gepflegt: Ange- send restauriert, beherbergt das Muse- sichts der schwindenden jüdischen Ge- um der jüdischen Geschichte, benannt meinschaft soll zumindest ihr Kulturerbe nach dessen Gründer, Oberrabbiner Dr. als Erinnerung erhalten bleiben. Moses Rosen. Für Gruppen können Füh- rungen beantragt werden. Über Einwan- Ausklang derungsgeschichte, Bräuche, Religion, Feste, Speisen und andere Belange des Im Kontrast zu den prächtigen Gottes- jüdischen Lebens von einst und heute häusern steht das Holocaust-Mahnmal. erzählt Direktorin Carmen Iovițu lebhaft Rostiger Stahl, klare Formen, Monu- und beantwortet bereitwillig Fragen. mentalität und Symbolismus bestimmen Die Synagogen werden heute auch als das 2009 eröffnete Ensemble, wo am 9. interkulturelle Orte der Begegnung ge- Oktober, dem nationalen Holocaust-Ge- 18
erinnert an die Opfer aus ihren Reihen. Ein Sarg mit rohen Bruchsteinen, der Epitaph, steht für namenlose Massengrä- ber. Der gebrochene Davidstern aus zwei verkeilten Dreiecken wirft genau am 9. Oktober einen ganzen, sternförmigen Schatten. Über unregelmäßige Stufen in Serpentinen steigt man vorsichtig in die Gedenkhalle hinunter, vorbei an dem Fenster mit Grabstelen aus dem zerstör- Holocaust Mahnmal, innen ten Friedhof in der Bukarester Sevas- topol-Straße. An den Wänden in der denktag, Staatsmänner Kränze nieder- Halle lesen wir die Namen der Opfer... legen. Neben der Gedenksäule umfasst Stellen uns vor, wie sie einst aus den Lä- der Komplex weitere fünf Skulpturen: den, den Teestuben, den Werkstätten und die Via Dolorosa, eine aus rosa Gra- Büros auf die bereits belebte Straße des nit realisierte Wagenspur, sie steht für nächtlichen Viertels strömten. Und ihr die Schienen, auf denen die Waggons Bukarest wird wieder lebendig, zumin- mit den Deportierten nach Transnistri- dest für einen geträumten Augenblick. en oder Auschwitz entschwanden. Das liegende Wagenrad, Symbol der Roma, Eingang zum Holocaust Mahnmal 19
Mit Manuc Bei durch die Hauptstadt Auf den Spuren der Armenier in Bukarest Er galt als der reichste Ausländer sei- ner Zeit in der Walachei. Metropolit Dosoftei lobte ihn in den höchsten Tönen, denn er hatte die Hauptstadt und ihre Bojaren gerettet, indem er die türkischen Banden des Manav-Ibrahim vertrieb. Im Russisch-Türkischen Krieg (1806-1812) spielte der 1808 von Sultan Mustafa IV. zum Bei (Prinz) der Moldau und der Walachei ernannte Diplomat eine wichtige Rolle: geachtet von den Türken, respektiert von den Russen, Wikipedia zudem Gastgeber der Truppen des Za- ren, die sich 1810 in seiner Bukarester Karawanserei einquartieren. Wer war dieser Manuc Bei? 1769 als Emanuel Emanuel Martirosi Mârzaian, „Manuc Bei“ („Manuc“) Martirosi Mârzaian in Ruse (Bulgarien) geboren, beide Eltern in Bukarest nieder, wo er schon vor 1800 Armenier aus der Region Ararat, kam auf dem ehemaligen Gelände des alten er einst als Gehilfe eines armenischen Fürstenhofes eine Karawanserei erbaut Händlers nach Jassy/Iași.hatte: Hanul lui Manuc. Dort, in der Bukarester Altstadt, beginnen wir un- Dort lernte er erst mal Rumänisch, dann sere Tour auf den Spuren der Armenier. Französisch und Russisch. Bald sollte der als schlau, höflich und hilfsbereit Das Schicksal der bekannte junge Armenier zwölf Fremd- Karawanserei sprachen beherrschen, verrät die Beilage „Armenische Persönlichkeiten“ der Zeit- Nach Ende des Russisch-Türkischen schrift „Ararat“, herausgegeben von der Krieges (1806-1812) verlässt Manuc Bei armenischen Minderheit. Manuc träum- die Hauptstadt und zieht auf sein Anwe- te glühend von Reichtum - tatsächlich sen in Hincești. Weil nach seinem Tode gelang es ihm, ein imposantes Vermögen 1817 alle Kinder noch minderjährig sind, anzuhäufen. 1806 ließ er sich schließlich wird die Karawanserei von kirchlichen 20
Bevollmächtigten verwaltet, bis Sohn Murat 1841 das Erbe antreten kann. In- zwischen vom Erdbeben 1838 ernsthaft beschädigt, sieht sich dieser gezwungen, das stark reparaturbedürftige Gebäude zu verkaufen. Nach mehreren Wechseln der Besitzer erwirbt es 1862 Lambru Vasile- scu, investiert in den Wiederaufbau und ändert den Namen auf „Grand Hotel Da- cia“, wo bald die Reichen und Schönen Bukarests rauschende Feste feiern. 1881 von der Familie Cantacuzino erworben, steckt Nachfahre Constantin Cantacu- zino um das Jahr 2000 eine respektable Summe in die Restaurierung der alten Karawanserei und ihre Modernisierung als Gaststätte. Heute ist der Komplex mit exklusivem Restaurant, Weinstube und romantischem Gastgarten gegen- über dem alten Fürstenhof wieder eine der touristischen Hauptattraktionen Bu- Hanul lui Manuc, innen karests. Dank als Mitglied in die Rumänische Museale Kleinode Akademie aufgenommen. In dem ex- quisiten Museum in der Strada Muzeu- Ein weiterer berühmter Armenier, der lui Zambaccian 21A (Nähe Dorobanți- der Hauptstadt eine Sehenswürdigkeit hinterlassen hat, ist der Textilhändler, Hanul lui Manuc Kunstsammler, Mäzen und Kunstkriti- ker Kricor H. Zambaccian (1889-1962). Der Kunstliebhaber und Autodidakt auf diesem Gebiet förderte nicht nur bilden- de Künstler seiner Zeit, sondern auch Musiker und Schriftsteller. Für seine Sammlung – angeblich bis heute eine der wertvollsten des Landes – errichtete er um 1940 eigens ein Museum. 1947 ver- macht er dieses dem Staat und wird zum 21
berühmten armenischen Architekten Ja- kob Melik und erbte das Haus. Sie hin- terließ es der armenischen Gemeinschaft unter der Bedingung, dort ein Heim für verarmte Witwen einzurichten, was auch geschah. Heute befindet sich die Casa Melik nicht mehr im Besitz der armeni- schen Minderheit, sondern dient als Sitz des Museums des rumänischen Malers Theodor Pallady. Armenisches Leben schnuppern Das armenische Viertel besucht man am besten im August, wenn das bunte Stra- ßenfest stattfindet, das diese Minderheit in Bukarest seit drei Jahren regelmäßig organisiert. Dann duftet es nach Kaffee in Kännchen im heißen Sand, nach tra- ditionellen Speisen, Süßigkeiten und Branntwein. Musik wabert durch die Casa Melik sommerlichen Straßen, bunte Stände Platz) findet man Gemälde von heimi- reihen sich aneinander wie einst, als schen Malern wie Teodor Aman, Grigo- Armenier, Juden und Griechen dort ihre rescu, Tonitza, Pallady, Skulpturen von exotischen Waren feilboten. Heute kann Brâncuși, aber auch Werke ausländischer man Bücher, Teppiche, Schmuck und Größen wie Cezanne, Picasso, Renoir. Handarbeiten erstehen. Der Granatapfel, Ein weiteres Museums-Kleinod ist die Strada Armenească Casa Melik im armenischen Viertel in der Strada Spătarului 22. Zwischen 1750 und 1760 errichtet, gilt die Villa des ar- menischen Händlers Kevork Nazaretog- lu als ältestes Privatgebäude Bukarests. Das Schmuckstück traditioneller wala- chischer Baukunst besticht mit einem hohen Kellergewölbe, einer geräumigen Veranda und gewaltigen Holztreppen. Nazaretoglus Nichte Ana heiratete den 22
Symbol der Einheit unter den Armeni- Alter Fürstenhof ern, ziert T-Shirts, Einkaufstaschen, Ob- jekte aus Keramik oder Glas. Geboten wurden. In einem Dokument, 1281 werden auch Theater-Veranstaltungen von König Ladislaus IV. unterzeich- bis hin zu Stadtführungen durch das ar- net, ist von „Terra Armenorum“ und menische Viertel (zum Programm siehe einem armenischen Kloster die Rede. www.stradaarmeneasca.ro) . Einwanderungswellen gab es zur Zeit Alexander des Guten (1400-1431), der In Rumänien tief verwurzelt Armenier aus Polen zur Belebung des Handels in die Moldau einlud und sie Die armenische Minderheit blickt auf von Steuern befreite. Auch zur Zeit Ste- eine lange Geschichte im Raum des fans des Großen (1457-1504) kamen heutigen Rumänien zurück. Das äl- an die 10.000 Armenier in die Moldau. teste Zeugnis ihrer Anwesenheit ist Der Historiker Nicolae Iorga bezeich- ein Grabstein aus dem Jahr 967 in der net sie sogar als Mitbegründer des Für- Moldau. Zur selben Zeit erwähnt ein stentums Moldau, denn sie hatten die ungarischer Chronist eine armenische Handelswege geschaffen, auf deren Siedlung in Siebenbürgen, wo mehre- Basis es entstanden war. Moldauische ren Armeniern vom ungarischen König Herrscher armenischer Abstammung Stefan (997-1038) Adelstitel verliehen waren Garabet Ioan Potcoavă (1592) 23
und Ioan Vodă-Armeanu der Schreck- liche (1572-1574). Petru Rareș hat- te einen armenischen Berater namens Petru Vartic und Michael der Tapfere einen diplomatischen Agenten, Petru Armeanu. Erinnern wir uns auch wieder an Manuc Bei, der zum moldauisch- walachischen Prinzen (Bei) avancierte. In der Walachei siedelten die Armenier im 14. bis 15. Jahrhundert vor allem in Bukarest, Târgoviște, Pitești, Craiova und Giurgiu. Ab dem 15. Jahrhundert erreichten sie auch die Dobrudscha. Um 1700 errichten Armenier in Siebenbür- gen sogar eine eigene Stadt: Armenopo- lis bei Gherla. Für die Erlaubnis mussten Armenischer Teppich im Kirchenkomplex Museum Zambaccian sie 25.000 Gulden an Kaiser Leopold I. in Wien zahlen. Die zweitgrößte arme- nische Siedlung Siebenbürgens hieß Eli- sabethstadt, das heutige Dumbrăveni bei Schäßburg/Sighișoara. Die größte Einwanderungswelle der Armenier aber fand Anfang des 20. Jahr- hunderts statt, nach dem Völkermord von 1915 im Osmanischen Reich. Uralte Büchtertradition Wohin würde uns Manuc Bei jetzt führen, um uns armenische Kultur in Bukarest näherzubringen? Sicher zur prächtigen Kathedrale der Erzengel Mi- chael und Gabriel im armenischen Kir- chen- und Kulturkomplex, der im Kapiel 24
„Heimliche Hauptstadt der Kirchen“ reich verzierte, armenische Bibel von ausführlicher beschrieben wird, hätte er Voskan Erevanți aus dem Jahr 1666 be- deren Bau noch erlebt. Bestimmt würde staunen, die 160 Stiche von Christoffel er uns auch energisch am Ärmel in die van Sichel dem Jüngeren enthält, ein 1927 vom armenischen Historiker und Teil davon nach Vorlagen von Rafael, Orientalisten H. Siruni gegründete ar- Albrecht Dürer und anderer großer euro- menische Zentralbibliothek ziehen, die päischer Meister. Neugierig geworden? der Bei zwar auch nicht kennen kann, Dann, so flüstert mir Manuc Bei gerade doch Buchkultur war bei den Armeniern ins Ohr, lohnt sich vielleicht ein Besuch schon seit der Erfindung ihres Alpha- am Sitz der Vertretung der armenischen bets im 5. Jahrhundert groß in Mode. Minderheit, wo Zeitschriften und Bro- Der Buchdruck hat seit 1512 Tradition, schüren noch mehr über diese interes- nachdem Hakob Meghapart in Venedig santen Einwanderer verraten, die so tief die erste armenische Druckerei gegrün- mit unserem Land verwurzelt sind. det hatte. Über 1000 alte Bücher sind allein in Bukarest archiviert, ca. 400 da- von stammen von vor 1800. Im Museum „Dudian“ des Komplexes kann man die Armenische Kathedrale 25
Rund um den Universitätsplatz Im Karussell von Geschichte und Geschichten Wie dicht die Sehenswürdigkeiten in Doch als Mittelpunkt einer hypotheti- unserer Hauptstadt gesät sind! Nimmt schen Uhr, nach der wir uns in Soldaten- man einen beliebigen Platz in der In- manier orientieren, nahezu ideal: Vor uns nenstadt ein und dreht sich 360 Grad liegt im Norden „zwölf Uhr“. Bereit für um die eigene Achse, hat man praktisch eine spannende Zeitreise? ein vollständiges Sightseeing-Programm vor Augen – noch ohne einen einzigen Der Armenier, der Schritt getan zu haben! Bukarest veränderte Zitternd bleibt die Nadel auf der Stadt- Blickrichtung „fünf vor 12 Uhr“: Vor karte stecken. Getroffen: Universitäts- uns erhebt sich das Gebäude der Univer- platz. Theoretische Beobachterposition: sität für Architektur und Stadtplanung die Blumeninsel im Kreisverkehr, in der Realität natürlich nicht zu empfehlen. Blick auf Colțea-Spital 26
Nationaltheater „Ion Mincu“, 1912-27 erbaut, Werk des berühmten Architekten Grigore Cer- ten, Modelle berühmter Gebäude, chez (1850-1927), dem die Hauptstadt Fragmente von den Demolierungen gleich mehrere bedeutende Gebäude der 80er Jahre. Generationen von Stu- verdankt, unter anderem das Odeon- denten und Professoren befassten sich Theater, einen Teil des Cotroceni-Palasts hier mit dem Studium der Entwicklung oder die Fassade des Museums „Gri- der rumänischen Architektur. Eine der gore Antipa“. Der Baumeister gehör- berühmtesten Studentinnen: Anca Pe- te der armenischen Minderheit an und trescu, Chefarchitektin des zweitgröß- war Verfechter des rumänischen Bau- ten zivilen Verwaltungsgebäudes der stils, obwohl er in Paris studiert hatte. Welt, des heutigen Parlamentspalasts. In der Universität „Ion Mincu“, Nach- folgeinstitution der 1904 gegründeten Vom Bombenangriff höheren Schule für Architektur, wird zum roten „Röhrenpilz” nicht nur Baukunst gelehrt, sondern auch deren Geschichte bewahrt. Das Drehen wir uns mit dem Minutenzei- Museum verfügt über ca. 900 Expo- ger auf „zehn nach 12 Uhr“: Vor uns nate seit 1916: Projekte von Studen- liegt das moderne Gebäude des Na- 27
tionaltheaters „Ion Luca Caragiale“: Das karminrote Dach erinnert an einen überreifen Röhrenpilz – ein Hingu- cker! Davor ein Ensemble amüsanter Bronze-Figuren, der „Narrenwagen“: Der Namensgeber des Theaters, sitzend, blickt auf einen Wagen voller Charak- tere aus seinen eigenen Werken. Ihre Gesichter ähneln den Schauspielern, die sie auf der Bühne verkörperten. Die Institution datiert auf 1852 zurück, doch lag das alte Nationaltheater auf der Calea Victoriei. 1944 von deutschen Fliegern zerbombt – eigentlich sollten sie den Telefonpalast treffen - konnte es nicht mehr gerettet werden. Doch eine Replik der alten Fassade wurde in den modernen Glasbau des Novotel Hotels integriert. 1973 entstand das neue Thea- ter am Universitätsplatz, das den Beina- men Caragiales erhielt. 1978 durch einen Constantin Brâncoveanu, Stifter der Brand beschädigt, wurde es in den letz- Kirche zum hl. Georg dem Neuen ten Jahren auf internationalen Standard Schwertführer am walachischen Fürs- gebracht. tenhof, der 1704 ein Armenkrankenhaus hinter der Kirche des Klosters Colțea er- Armenspital mit öffnete – das erste Spital der Walachei! schwedischem Turm Behandelt wurden dort Bettler, Bedürf- tige und Fremde. Neben einem 24-Bet- In Blickrichtung „fünf vor halb Eins“ ten-Trakt wurden mönchszellenartige liegt das rot-weiß gestreifte Gebäude Unterkünfte und eine Schule für die ru- des Colțea-Spitals. Man kann es schon mänische und die slawonische Sprache aufgrund seiner Architektur nicht über- eingerichtet. Finanziert wurde das Pro- sehen. Nicht minder faszinierend seine jekt aus den Einkünften des Wirtshauses Geschichte: Der Name Colțea geht auf Colțea und des Klosters, beide ebenfalls eine Bukarester Familie zurück, die zur von Mihai Cantacuzino gegründet, so- Zeit Brâncoveanus (1688-1714) dieses wie aus Spenden mildtätiger Bojaren. Stadtviertel dominierte. Stifter des Spi- 1709-1714 erbauten Soldaten des tals ist Mihai Cantacuzino (1640-1716), schwedischen Königs Karl XII. ei- 28
nen Glockenturm von über 50 Me- über den Colțea-Turm: die Schweden tern, den damals höchsten der Stadt, sollen ihn aus Dankbarkeit erbaut haben. für die Kirche. Der Colțea-Turm, des- Eine andere Theorie hingegen besagt, sen Baukunst in höchsten Tönen ge- der Turm sei von den Rückkehrern des rühmt wurde, fiel leider dem Erdbeben Regiments der „Walloschen“ erbaut wor- 1802 zum Opfer. Die 1700 Kilogramm den: Walachen, die als Söldner König schwere Glocke krachte herunter und Karls XII.von Schweden an der begrub einen fliegenden Händler unter Schlacht von Poltava teilgenom- sich. Sie wurde ins Kloster Sinaia ver- men hatten. Ihr Kommandant, San- bracht - auch eine Stiftung von Mihai du Colțea, soll aus diesem Bukarester Cantacuzino. Teile des Colțea-Turms Viertel stammen. In den Bau kann er - zwei Konsolen der Balustrade - kann jedoch nicht impliziert gewesen sein, man noch im Lapidarium im Hof des denn er war für zehn Jahre in russi- Stavropoleos Klosters in der Bukarester sche Kriegsgefangenschaft geraten. Altstadt bestaunen. Die Grundmauern Der Historiker G. I. Ionnescu-Gion be- des Turms liegen heute unter der Fahr- schreibt das Colțea-Spital, basierend auf bahn des Bv. Brătianu auf der Spur in Konsole der Balustrade des Colțea-Turms Richtung Piața Unirii. Eine Zeit lang (heute in der Stavropoleos-Kirche) markierte ein Viereck aus weißen Stei- nen vor dem Șuțu-Palast den Grundriss. Warum aber wurde der Turm von schwedischen Soldaten errichtet? In „Geschichte des transalpinischen Da- ciens“ (Sulzer Verlag Wien 1787) wird erzählt, Brâncoveanu hätte die Sol- daten Karls XII. beherbergt, die sich nach der verlorenen Schlacht von Poltava auf dem Rückzug befanden. Interessant ist, dass 1712 eine schwe- dische Postlinie vom Exil König Karls XII. in Bender (Osmanisches Reich) über Jassy, Honigberg und Kron- stadt führte. 1710 besuchte eine schwe- dische Delegation Honigberg und über- brachte der dortigen Kirche als Dank eine Geldspende, von der Orgel und Altar finanziert wurden. Eine ähnliche, aber unbestätigte Geschichte gibt es auch 29
einem Dokument von 1732, als sauber und gut geführt. Jene die dort sterben, werden vom Kloster auf eigene Kosten begraben, egal welcher Religion, wun- derte er sich. Nach dem Erdbeben von 1802 bleibt auch von dem Krankenhaus nur eine Ruine. 1837-42 wird nach Plä- nen des Architekten Heinrich Feiser ein neuer Bau errichtet - mit 60 Betten, bis 1849 sogar 150. Dort entsteht die erste Schule für „kleine Chirurgie“ und 1852 schließlich die erste Fakultät für Medizin. Die Schule für Slawonisch blieb üb- rigens bis ins 18. Jh. bestehen. Gene- rationen von Diakonen und Kantoren wurden dort ausgebildet, bis endlich das Rumänische als Kultsprache anerkannt wurde. 1867-1888 wird das Spital nach Plänen des holländischen Architekten Joseph Schiffler erneut völlig umgebaut. Nur wenige Schritte vom Colțea Spital Șuțu-Palast entfernt liegt in Blickrichtung die ortho- doxe Kirche des Hl. Georg dem Neuen. nete man im Mittelalter sämtliche katho- Das von Constantin Brâncoveanu anstel- lischen Klöster und Kirchen im Süden le einer älteren Kirche neu erbaute, we- und Osten der Karpaten. Die Bukarester gen seiner prächtigen Innengestaltung Bărăția stammt aus dem 17. Jh. und gilt sehr sehensțwerte Gotteshaus, wurde als ältestes katholisches Gotteshaus der 1707 im Beisein des Patriarchen von Je- Stadt. Es wurde mehrmals von Bränden rusalem geweiht. Sechs Jahre nach Brân- und Erdbeben zerstört und von lokalen coveanus Hinrichtung in Konstantinopel Gläubigen und bulgarischen Händlern 1714 ließ seine Gattin Marica dessen wieder aufgebaut. Der aktuelle Bau da- sterbliche Überreste, von treuen Chris- tiert auf 1848. ten heimlich aus dem Bosporus gerettet und versteckt, in dieser Kirche bestatten. Rauschende Bälle Gleich daneben liegt die katholische im Haus des Griechen Bărăția-Kirche, deren merkwürdiger Name sich von „brat“ - Bruder auf sla- Auf unserer imaginären Uhr drehen wir wonisch - ableitet. Als Bărăția bezeich- auf „10 nach halb Eins“: Im Blickfeld 30
liegt nun das schmucke Gebäude des Bu- Armee, Diplomatie und Regierung: So karester Stadtmuseums, der Șuțu-Palast. nannte man byzantinische oder osma- Als eins der ältesten und am wenigsten nische Adelsfamilien im Osmanischen veränderten Bojarenhäuser hat es gut 180 Reich des 17. bis 18. Jh., die im Stadtteil Jahre auf dem Buckel. Seinen Namen Phanar von Konstantinopel die Ober- verdankt es Costache Șuțu, dem Nach- schicht bildeten. kommen einer griechischen Familie aus Die Pläne des 1833-1835 erbauten Șuțu- Epirus, dessen Ehefrau dort rauschende Palastes entstammen den Wiener Archi- Bälle gab. Sie sollen sogar denen des Kö- tekten Conrad Schwink und Johann Veit. nigspalasts Konkurrenz gemacht haben. 1956 wurde das Gebäude Sitz des Bu- Der Familie Șuțu entstammten mehre- karester Stadtmuseums und beherbergt re Fürsten der Walachei und der Mol- nicht nur eine beeindruckende Sammlung dau aus der Phanariotenzeit. In dieser zur Stadtgeschichte, sondern gehört auch - zwischen 1711 (Moldau) bzw. 1715 zu den lebhaftesten Veranstaltungsorten. (Walachei) und 1821 - hatten die einhei- Wir haben unser 360-Grad-Sightseeing- mischen Bojaren nicht mehr das Recht, Programm vollbracht. Na, schwindlig einen Fürsten aus ihren Kreisen zu wäh- geworden auf der Blumeninsel? Dann len. Statt dessen setzten die Osmanen tun jetzt vielleicht doch ein paar Schritte Phanarioten an die wichtigen Posten in zu Fuß ganz gut. „Ion Mincu“ Universität 31
Heimliche Hauptstadt der Kirchen Über die faszinierende Vielfalt der christlichen Gotteshäuser Bukarest, Stadt der Superlative: Der Einladung zur Altarweihe der höchsten orthodoxen Kirche der Welt, der Nationalen Kathedrale, waren am 25. November 2018 über 30.000 Gläu- bige und hohe Vertreter befreundeter orthodoxer Kirchen gefolgt. Die Zere- monie zelebrierten der rumänische Pat- riarch Daniel, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel und Chrysosto- mos, der griechische Erzbischof von Patras. Das 120 Meter hohe Gotteshaus sollte dem zweitgrößten zivilen Verwal- tungsgebäude der Welt, dem bis heute von den Einheimischen eher ungeliebten „Haus des Volkes“ aus dem kommunis- tischen Ceaușescu-Regime, als neues Wahrzeichen den Rang ablaufen. Sind die Bukarester glücklich über den gi- gantomanischen Bau, der bereits 120 Millionen Euro verschlang? Die Meinungen sind geteilt. Richtig Italienische Kirche traurig aber waren die Kölner: Verweist doch die weltweit größte und schwerste gehören 88 Prozent der Bürger des Lan- freischwingende Glocke der Bukarester des dieser Konfession an – gibt es eine Kathedrale den „dicken Pitter“ im Köl- ganze Reihe ungewöhnlicher christlicher ner Dom nur noch auf den zweiten Platz. Gotteshäuser zu entdecken, gegründet Doch nicht immer geht es darum, wer von ausländischen Gesandten oder hei- das Größte hat. Der wahre Charme der mischen Minderheiten. Ein beachtliches Hauptstadt verbirgt sich vielmehr in der Kulturerbe im Schatten der großen Ka- Vielfalt ihrer Kirchen. Neben unzähli- thedrale, das es verdient, auch einmal im gen rumänisch-orthodoxen – immerhin Rampenlicht zu stehen. 32
Patriarchat Moskau gehörige Gottes- haus der rumänischen orthodoxen Kir- che (BOR) übereignet und dient seit 1992 dem Lehrstuhl für Theologie an der Bukarester Uni als Hauskapelle. Die Fassade mit rosa Ziegeln und von Bögen überspannten Mosaiken ist vom russischen und georgischen Stil inspi- riert. Die Türme, einst vergoldet, be- deckt heute goldgestrichenes Blech. Die Innenmalereien im alten byzantinischen Stil mit Szenen ähnlich denen der Klös- ter auf dem Berg Athos realisierte der russische Maler N. A. Vasiljew. Die ge- schnitzte, vergoldete und ebenfalls von diesem bemalte Ikonenwand stammt aus Moskau und wurde nach dem Vorbild in der Erzengel-Michael-Kathedrale im Kreml gestaltet. Katholischer Gruß aus Mailand Ehemalige russische Kirche Für die italienische katholische Kirche Russische Zwiebeltürme am Bv. Nicolae Bălcescu 28 stand das am Uni-Platz Mailänder Gotteshaus Santa Maria del- le Grazie Modell. Erbaut wurde sie von Der Zuckerbäckerstil der ehemaligen Mario Stoppa und Giuseppe Trabosch russischen Kirche in der Ion Ghica Stra- für die italienischen Einwanderer, die ße 3, direkt gegenüber der Universität, König Karl I. als Arbeitskräfte ins Land springt ins Auge: zarte Pastellfarben, gerufen hatte. Zur Zeit des Kommunis- Gold, Zwiebeltürmchen. Erbaut wurde mus war sie meist geschlossen, nur ge- sie 1905-1909 auf Initiative des rus- legentlich konnten italienische Diploma- sischen Botschafters zur Zeit von Zar ten dort Gottesdienste feiern. Seit 1989 Nikolaus II. und ist deshalb seinem für alle Besucher geöffnet, wird sie bis Namensvetter, dem Heiligen Niko- heute von der italienischen Minderheit laus, geweiht. Hier sollten die Ange- genutzt. Auch kulturelle Veranstaltungen hörigen der russischen diplomatischen wie Konzerte der Barock-, Renaissance- Vertretung beten. 1957 wurde das zum oder Kirchenmusik finden dort statt. 33
In der Kirche im Komplex des orthodo- ein eigenes Stadtviertel hatten, besuchen xen Patriarchen ruhen die Gebeine des auch rumänische orthodoxe Kirchen. hl. Dimitrie, Beschützer von Bukarest Von Griechen gegründet wurde auch die Kirche des Klosters Stavropoleos in der Neue und alte Glaubensstätten gleichnamigen Straße des historischen der Griechen Altstadtzentrums – eines der schönsten Gebäude der Hauptstadt im Brâncovea- Die Kirche der Griechen in der Strada nu-Stil. 1720 gründete der Grieche Ioa- Pache Protopopescu kann von Nichtmit- nichie Stratonikeas aus Epirus dort eine gliedern leider nur von außen betrachtet Karawanserei, aus deren Einnahmen er werden. 1901 wurde sie auf Veranlas- 1724 im Hof die Kirche und ein Kloster sung griechischer Diplomaten nach Plä- errichtete und finanzierte – durchaus üb- nen des deutschen Architekten A. Lardel lich im damaligen Bukarest. 1726 wurde erbaut. Die Fassade bestimmen ionische er während der Herrschaft des Fürsten Säulen. Von den Erdbeben 1940 und Nicolae Mavrocordat (1719-1730), der 1977 schwer beschädigt und im Kommu- die sogenannte Phanariotenzeit einlei- nismus vernachlässigt, wurde sie nach tete, zum Metropoliten von Stauropolis der Restaurierung 2002 neu eingeweiht. gewählt – daher der Name des heute Doch die Bukarester Griechen, die nie rumänisch-orthodoxen Klosters. 34
Der armenische Kirchen- Staat der Welt. Der Heilige Gregor, der und Kulturkomplex 301 König Tiridat bekehrte, gilt als Be- gründer der Armenisch Apostolischen An der gewaltigen Kathedrale von Et- Kirche, die auch in Rumänien mehrere schimiadsin – heute Wagharschapat – in Klöster und Gotteshäuser unterhält. Der Armenien inspirierte sich Dimitrie Mai- armenische Baustil zeichnet sich durch marola, als er die Pläne für die Bukares- reichhaltiges Dekor aus. Die Fassadenor- ter armenische Kathedrale am Bv. Carol namente sind den Motiven der im 10. I. entwarf. 1911 bis 1915 erbaut und den Jahrhundert zerstörten Gregor-Kathe- Heiligen Erzengeln Michael und Gabriel drale in Zvartnoz in der zentralarmeni- geweiht, besteht sie aus einer dreischif- schen Provinz Armawir nachempfunden, figen Basilika, einem 12-seitigen Turm die mehrere Male nachgeahmt wurde. über dem Naos und einem quadratischen Zum armenischen Komplex in Bukarest Glockenturm über dem Eingangsbe- gehören ferner: die 1927 von Hagop Si- reich. Sie wird von der armenischen runi gegründete armenische Zentralbi- Minderheit genutzt, die seit fast 1000 Jahren auf dem heutigen Gebiet Rumä- Die Kirche zum hl. Georg dem Neuen am niens existiert. Immerhin rühmen sich „Kilometer Null“war früher spirituelles die Armenier mit dem ersten christlichen Zentrum des orthodoxen Landes 35
Armenische Kirche, Details bliothek mit über 1100 alten Büchern, ein Pfarrmuseum mit Gegenständen aus armenischen Kirchen in Muntenien und der Moldau, das Gebäude der ehemali- gen armenischen Schule, heute Sitz der Vertretung dieser Minderheit in Rumäni- en, sowie das Kulturhaus, benannt nach dessen Stiftern Hovsep und Victoria Du- dian. Die Armenier in Bukarest waren meist Händler, die schnell zu Wohlstand kamen. Sie brachten Textilien und Tep- piche aus dem Orient an die Fürsten- häuser der Walachei. Bekannt sind die armenischen „Paradiesfarben“, typisch ein violettes Rot, das aus Insekten, die auf einer armenischen Eichenart leben, gewonnen wurde. Armenische Kirche - Details 36
von orthodoxen Albanern frequentiert wurde, ist sie auch als „albanische Kir- che“ bekannt. Tatsächlich wurde sie je- doch 1702 von Fürstin Marica gestiftet, der Ehefrau Constantin Brâncoveanus, und spiegelt den typischen Baustil aus der Zeit des walachischen Herrschers wider. Hier wirkte für kurze Zeit der be- rühmte Albaner Theofan Stylian „Fan“ Noli (1882-1965) als Pfarrer, der 1908 als erster Priester eine Messe in albani- scher Sprache hielt und später orthodo- xer Bischof wurde. Außerdem war Noli Schriftsteller, Historiker und Politiker, 1924 bekleidete er kurz das Amt des al- banischen Ministerpräsidenten. Die Kirche der Bulgaren und Albaner Armenische Kirche - Fassadendekor Den Bulgaren und Albanern übergeben Das heute als bulgarische Kirche be- kannte Gotteshaus liegt auf dem Gelän- de des ehemaligen Klosters Colțea in der Strada Doamnei. 1725 erbaut, wurde sie dem Seher und Heiligen Ilie Tesviteanul geweiht, benannt nach der Burg Tesvi in seiner Heimat Gilead am Jordan. 1954 der bulgarischen Gemeinschaft über- geben, die am Rande Bukarests lebte, wurde sie von den Patriarchen Rumäni- ens und Bulgariens hierfür extra neu ge- weiht. Weil die Nikolaus-Kirche an der Kreuzung der Straßen Academiei und Biserica Enei zwischen 1911 und 1947 37
Schlichte reformierte Kirchen Schlichtheit zeichnet die reformier- ten Kirchen, beide in der Strada Luterană, aus. Nur der Vollständigkeit halber wird die 1972 erbaute ungari- sche Calvinistenkirche erwähnt, für den Touristen wenig spektakulär und außerdem fast immer geschlossen. Die evangelische Stadtpfarrkirche hin- gegen, Kultort vor allem der evangeli- schen deutschen Minderheit, besticht mit bunten Glasfenstern, zwei alten Orgeln und einem schönen Altar. Ar- chitektonisch verbindet das von A. Mohnbach konzipierte Gebäude auf einzigartige Weise Elemente mehrerer Evangelische Stadtpfarrkirche in Stilrichtungen: neugotisch, romanisch, der Strada Luterana 38
Stavropoleos Kloster Neorenaissance und byzantinisch. Bukarest ist eine Stadt, die das Streben nach „dem Größten“ gar nicht nötig hat. Statt dessen könnte man sich mehr mit seiner einzigartigen Vielfalt rühmen - zum Beispiel auch als „heimliche Haupt- stadt der Kirchen“. Griechische Kirche 39
Die verlorene, wiedergefundene Stadt Architektonischer Streifzug durch Bukarest: zwischen alt und modern, Geschichte und Gegenwart Bei diesem architektonischen Spa- ziergang durch Bukarest stehen nicht unbedingt die klassischen Sehenswür- digkeiten im Mittelpunkt. Es geht viel- mehr darum, einen Bogen zu schlagen zwischen alt und modern, Geschichte und Gegenwart, Bekanntem und Ent- deckenswertem. Um zwölf ausgewählte Bauwerke, die eine interessante Meta- morphose hinter sich haben, architekto- nisch oder historisch. Um das verlorene - und wiedergefundene Bukarest: Das Porträt einer lebendigen Hauptstadt, voll spannender historischer Facetten, von Bukarester Architekten im Laufe der Zeit immer wieder neu interpretiert. Die Kirche „Bucur Ciobanu” Benannt ist die Hauptstadt nach dem Kirche „Bucur Ciobanu“ Hirten Bucur – wohl von „bucurie“, auf rumänisch Freude – der auf einem Hü- Dâmboviţa ein Holzkirchlein errichtet gel im dichten Wald nahe der glitzernden haben soll. So beginnen auch wir unse- ren Spaziergang bei der Kirche „Bucur Ciobanu” în der Strada Radu Vodă Nr. 33: Archäologische Funde aus dem Jahr 2007 – drei steinerne Treppenstufen un- ter der Erde – bestätigen das Alter des Baus, der von Mircea dem Alten 1416 durch eine Steinkirche ersetzt worden war. „Hier liegt die Wiege der Festung,“ sagte Nicolae Iorga 1939, indem er sich auf Überlieferungen berief. 40
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