SOMMER IN DER STADT - 2 Euro - Arge für Obdachlose
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Arge für Obdachlose Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten Ausgabe 194 ı JULI/AUGUST 2018 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis 2 Euro SOMMER IN DER STADT
IMPRESSUM LESERBRIEFE UND REAKTIONEN Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur meist von jungen Künstlern. Wen sollte das Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich stören? Meine Katze ist eine junge neugierige als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen. Wohnungskatze. Ab und zu, wenn ich beim Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben Lüften die Wohnungstür öffne, dann geht sie dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge- schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene auch ins Stiegenhaus und beobachtet durch bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach- das Fenster die Vögel. Ich hatte sie nie aus der lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion. Wohnung gesperrt. Ich musste nun auf Anwei- Redaktion sung des Vermieters die Plakate entfernen, sie Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020 passen scheinbar nicht in das Hausbild. Ein Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob- Nachbar meinte einmal zu mir: »Sie deppats dachlose.at, www.kupfermuckn.at Weib, ziagns do endlich amoi aus!« Ich emp- Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos: finde das als sehr schlimmes Mobbing in un- Heinz Zauner (hz), Chefredakteur serem Haus. Oft wurde die Polizei gerufen, Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion Fasten-Teilen Helfen obwohl die Beschwerde wegen lauter Musik Daniel Egger (de), Redaktion und Vertrieb Walter Hartl (wh), Layout, Technik gar nicht alleine mich betraf, sondern auch Bereits zum zweiten Mal beschenkte uns die andere Bewohner. Wegen der Katze wurde mit Redakteure: Angela, Anton, Anna Maria, August, Bertl, muslimische Jugend Österreich mit einem gu- dem Tierheim Linz alles geklärt. Es wurde Christine, Claudia, Erich, Georg, Helmut, Johannes, Manfred F., Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, ten Mahl bei der Redaktionssitzung der Kup- nachgewiesen, dass ich die Katze vernachläs- Walter; Freie Mitarbeiter: Gerald, Margit, Gabi fermuckn. Herzlichen Dank für euer Kom- sige. Das Mobbing dauert schon seit März men. Die Aktion »Fasten-Teilen-Helfen« ruft 1999. Ich weiß, dass es beim Einzug den Titelfoto (hz): Ursula im Volksgarten Auflage: 45.000 Exemplare muslimische Jugendliche dazu auf, sich der Wunsch gab, dass eine Bekannte eines Nach- Verantwortung ihren Mitmenschen gegenüber barn auch die Wohnung haben wollte. Dann Bankverbindung und Spendenkonto bewusst zu werden und dieser nachzukom- fing alles an. Ich hatte mich aber ebenso ange- Arge Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020 Linz IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L men. Infos: ramadan-helfen.at meldet und auf diese Wohnung lange gewar- tet. Bitte nur anonym veröffentlichen! Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel- Zum Thema »Mobbing« - Juniausgabe punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis Artikel zum Erwachsenenschutz-Gesetz Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen Liebe Kupfermuckn! Mir ging es genauso. Ich melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro- zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern. habe eine Katze und Kunstplakate an meiner Bei der FH-Veranstaltung zum Erwachsenen- Wohnungstür und ich bin selbst Grafik-Desig- schutzgesetz wurde auch auf den Artikel in Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel., nerin mit Diplom. Ich erhielt eine Wohnung der Kupfermuckn (Maiausgabe 2018) verwie- 0732/770805-19 Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46, über eine gemeinnützige Wohnungsgesell- sen. Es gab auch folgende positive Rückmel- 4600 Wels, Tel. 07242/290663 schaft. Drei Bewohner unseres Hauses be- dung zum Artikel von Seiten des Bundesmi- Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr, schwerten sich beim Vermieter, weil die Woh- nisteriums für Verfassung, Reformen, Deregu- Tel. 07252/50 211 Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße nungstür zu bunt ist und meine Katze angeb- lierung und Justitz: »Ein sehr toller Artikel, 102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145 lich laufend vor der Eingangstür im Stiegen- lieber Herr Mag. Norbert Krammer und ein haus sitzt und den ganzen Tag jammert. Wei- gelungenes Interview (Daniel Egger, Anm.). Medieninhaber und Herausgeber Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit- ters machten sie eine Anzeige beim Tier- Vielen Dank, Dr. Peter Barth« (Leitender zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11, schutzverein. Einerseits sind die Plakate an Staatsanwalt, Leiter der Abteilung für Perso- 4020 Linz, www.arge-obdachlose.at meiner Eingangstür Kunstplakate für Events, nen, Familien- und Erbrecht) International Die Kupfermuckn ist Mitglied beim »International Network of Street Papers« INSP Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis www.street-papers.com Liebe Leserinnen und Leser! Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn ausschließlich bei Verkäuferinnen und Verkäufern mit sichtbar getra- genem und aktuellem Ausweis. Nur so können Sie sicher sein, dass auch wirklich die Hälfte des Ertra- ges der Zielgruppe zugute kommt. Das sind Wohnungslose und Men- schen, die in Armut leben und ih- ren Lebensmittelpunkt in Ober österreich haben. 2 07/2018
Zwei-Klassen-Medizin Von manchen Ärzten werden nicht alle Menschen gleich behandelt Über die Anzahl der Krankenversicherun- An der Wartezeit merkte ich, dass auf. Da erfuhr ich, dass ich das »Kompart- gen wird heftig diskutiert. Trotz guter Ge- ment-Syndrom« habe und die Ärzte deshalb sundheitsversorgung ist nicht jeder Patient ich keine Klassen-Patientin war ein Stück meines Wadenmuskels wegschnei- bei Ärzten gerne gesehen. So verfügen den mussten. Vom Knie abwärts sind Gewebe mehr als 100.000 Menschen in Österreich Ich bin ein »Zweiter-Klasse-Patient« und und Nerven abgestorben. Dadurch spürte ich über keine Krankenversicherung. In Linz muss sagen, dass ich im Großen und Ganzen kaum mehr etwas im rechten Unterschenkel. und Wels bieten das »Help-Mobil« und ei- zufrieden bin. Ich lebe vom Existenzminimum Die ersten drei Wochen war ich kaum an- nige Wohnungsloseneinrichten eine eigene und bin daher von den Rezeptgebühren be- sprechbar, da ich sehr starke Schmerzmittel Versorgung an. Viele Geschichten von freit. Deshalb muss ich auch für all meine re- bekam. Zusätzlich versagten beide Nieren. Es Menschen am Rande der Gesellschaft zei- zeptpflichtigen Medikamente sowie für meine war für die Ärzte noch nicht klar, ob ich eine gen auf, dass es trotz Krankenversicherung Kur- und Krankenhausaufenthalte nichts be- Spenderniere bräuchte. Sie setzten knapp un- mitunter schlimme Beispiele einer Zwei- zahlen. Im Jahr 2012 wurde ich für eine Not- ter meiner linken Schulter einen Schlauch und Klassen-Medizin gibt. Andererseits gibt es operation ins LKH Steyr eingeliefert. Ich schlossen mich an ein Dialyse-Gerät an. Zu- auch Beispiele großer Menschlichkeit. wachte in der chirurgischen Intensivstation sätzlich hatte ich eine leichte Lungenembolie. 07/2018 3
dort die Zweite-Klasse-Patienten genauso gut betreut werden, wie die Erste-Klasse-Patien- ten. Sie schauen auf alle Menschen, die krank sind und behandeln sicher alle gleich. Den Ärzten ist es hauptsächlich wichtig, dass sich der Patient wohl fühlt und dass er zufrieden und gesund nach Hause gehen kann. So hatte ich es 2012, als ich im Steyrer Krankenhaus lag, wahrgenommen. Ich bin mir auch ziem- lich sicher, dass die Schwerstkranken im Hos- piz bzw. auf der Palliativstation vom Personal liebevoll in den Tod begleitet werden. Auch um die Angehörigen wird man sich auf dieser Station sicherlich liebevoll kümmern. Ich war auch schon ein paar Mal auf Entzug in Mauer bei Wien. Dort kümmerte sich das Team sehr gut um uns Patienten. Vieles wird den Sucht- kranken dort angeboten: Hallenbad, Sport- halle, Solarium, Massagesessel und vieles mehr. Ich empfand es dort immer wieder wie einen Luxus-Aufenthalt, obwohl ich keine Klassepatientin war und bin. Mir fällt eigent- lich nichts Schlechtes zur »Zwei-Klassen-Me- dizin« ein. Es werden alle Patienten vom emo- tionalen und menschlichen Gefühl her gleich behandelt. Ich finde, das ist das, was am meis- ten zählt. Denn, jeden Tag die Kronenzeitig auf das Zimmer zu bekommen und einen fet- ten TV im Zimmer zu haben, ist nicht das Wichtigste, sondern dass man gut mit dem Personal auskommt, also dass sich das Perso- nal gut um einen kümmert. Das Allerwich- tigste ist, dass man komplett gesund nach Hause gehen kann. Sandra Hans im Unglück - Herbergsuche eines Schwerkranken Zu den Kupfermucknsitzungen kann Hans, ein langjähriger Redakteur, leider nicht mehr kommen, weil es die Gesundheit nicht erlaubt. Aber der Kontakt zur Straßenzeitung bleibt bestehen und gelegentlich besuchen wir ihn. So wissen wir auch von seiner angeschlage- nen Gesundheit. Wegen starker Schmerzen sollte er sich vor einigen Wochen im Neuro- Durch regelmäßige Atemübungen am Sauer- ein TV-Gerät und einen W-LAN Zugang im med-Campus einer Operation unterziehen, die stoffgerät bekam ich diese aber wieder weg. Zimmer. Mein Cousin borgte mir seinen Lap- den Druck im Gehirn verringern sollte. Bis Ich bin den Ärzten, Schwestern, Pflegern, top. Damit verging die Zeit etwas schneller. zum Termin war noch eine Woche Zeit. Als es Physiotherapeuten und dem gesamten OP- Der Physiotherapeut kam jeden Tag zu mir ihm immer schlechter ging, wurde er vom Team heute noch sehr dankbar. Sie haben aufs Zimmer und machte Übungen mit mir. Notarzt ins Linzer AKH eingewiesen. In der mein Leben und meinen Fuß gerettet. Ich lag Für die Zeit nach meinem Krankenhausauf- Zwischenzeit wurde von seiner Wohngefähr- eineinhalb Monate auf der Intensivstation. enthalt wurde mir Heilgymnastik bei der OÖ tin und der Linzer Sozialberatungsstelle Und obwohl ich eine »Zweiter-Klasse-Patien- Gebietskrankenkasse verordnet. Diese nahm »Kompass« ein notwendiges Pflegebett für zu tin« war, hatte ich in meinem Zimmer ein Te- ich natürlich in Anspruch. Jetzt sind seit mei- Hause organisiert. Das dauerte einige Tage. lefon und einen Fernsehapparat. Einzig an der ner Erkrankung vier Jahre vergangen. Mittler- Hans war ja im Krankenhaus. Bei meinem Wartezeit für eine OP merkte ich, dass ich weile ist meine Hüfte aufgrund meines Gang- Besuch im Krankenhaus konnte er nur mit keine Klassenpatientin war. Aber wahrschein- bildes verdreht. Deshalb bewilligte die PVA dem Rollator einige Schritte gehen und war lich war das nur dann, wenn ein Notfall her- einen 29-tägigen Kuraufenthalt in Enns und sehr schwach. Leider wollte das Krankenhaus einkam. Das andere halbe Monat lag ich auf zwar ohne Selbstbehalt. Ich werde diesen den Patienten dann doch noch einen Tag vor der normalen Chirurgie. Auch dort hatte ich demnächst antreten. Ich bin mir sicher, dass der Aufnahme in dem »Neuromed-Campus«, 4 07/2018
wo schließlich die Operation stattfinden sollte, Infusionsnadel wurde gelegt. Man nahm mir zen. Es zog bis in die linke Hand hinunter. Der entlassen. Zuhause wurde gerade ummöbliert. zwei Flaschen Blut ab. Obwohl dabei auch Notarzt wurde gerufen. Die Rettungsleute ka- Es gab also gar kein Bett. Der Hinweis auf den nichts gefunden wurde und meine Schmerzen men mit Blaulicht und Sirenen. Ein Arzt Krankenhauswechsel am nächsten Tag und noch immer sehr präsent waren, musste ich spritze mir im Auto gleich ein Mittel, welches die mangelnde Versorgung zu Hause konnte danach das Krankenhaus verlassen. Ich wurde mich beruhigte. In einem Linzer Krankenhaus die Ärzte nicht umstimmen. Seine Mitbewoh- aus der Notaufnahme gefahren und sozusagen fragte man mich nach der Versicherungsnum- nerin wandte sich an die Kupfermuckn mit der vor die Tür gesetzt. Beim Gang zur Tiefgarage mer. Ich sagte ihnen, dass ich erst zugezogen Bitte um Hilfe. Schließlich reservierte und musste ich mich drei Mal setzen, weil ich vor und noch nicht krankenversichert sei. Ich ver- zahlte die Straßenzeitung Kupfermuckn ein Schmerzen nicht mehr weitergehen konnte. sprach ihnen, dass ich mich danach gleich da- Zimmer für eine Nacht in einer Linzer Pen- Irgendwie fühlte ich mich in diesem Moment rum kümmern würde. Die Ärzte blickten mich sion. Dorthin wurde Hans mit dem Taxi ge- wie ein Patient zweiter Klasse, da ich einfach verständnislos an und gaben mir nur drei bracht. Am Abend brach er dort aber wieder in eine Schublade gesteckt und nicht richtig Schmerztabletten. Von der Pritsche aus, auf zusammen. Der Notarzt musste gerufen wer- behandelt wurde. Unlängst ging es meiner der ich lag, wurde ich wieder auf die Straße den. Dieser wies ihn dann noch am gleichen Schwester nicht viel anders, als sie mit 39,8° geschickt. Mit Leuten von der Straße hätten Abend in das »Neuromed-Klinikum« ein. Zu- C Fieber ins Krankenhaus gegangen war und sie schon oft Probleme gehabt, sagten sie. Bei mindest landete er dann doch noch im Kran- nach einigen Stunden mitten in der Nacht, um einer Behandlung würden sie auf den Kosten kenhaus, wo am nächsten Tag sowieso die zwei Uhr, entlassen wurde, da sie nicht versi- sitzenbleiben. Der Arzt müsse diese sogar aus Behandlung beginnen sollte. Hans hat viele chert war. Anscheinend zählt Geld mehr als seiner eigenen Tasche bezahlen. Ohne Be- Jahre gearbeitet und hat eine eigene Pension unsere Gesundheit! Ossi handlung werde ich bestimmt bald vor die mit Krankenversicherung. Unser Verein Hunde gehen. Ich werde nun durch Schnorren »Arge für Obdachlose« unterstützt viele Men- Geld zusammen sparen, damit ich mir eine schen in Notsituationen mit Hilfe der Spen- Als nicht Krankenversicherter ordentliche Herzuntersuchung leisten kann. denfreudigkeit unserer Leser. Hier war es aber bekam ich keine Behandlung »Ein zweites Mal können die Herzklappen doch mit einem großen Ärger gegenüber dem nicht mehr ersetzt werden«, sagte mir damals Gesundheitssystem verbunden. hz Gesundheitlich bin ich stark vorbelastet. Letz- der Arzt, der mich operiert hatte. Innerhalb tes Jahr in Deutschland hatte ich eine Blutver- von zwei Monaten nahm ich 20 Kilogramm giftung. Keine Ahnung, woher sie kam. Viel- zu, da ich die Wassertablette nicht zu mir Ich wurde aus der Notaufnahme leicht von einem Zeckenbiss. Aufgrund dieser nehme. Ohne Blutverdünnungsmittel pumpt gefahren und vor die Tür gesetzt Vergiftung war jedenfalls zu viel Wasser in das Herz nicht so, wie es sollte. In meinem meinem Herzen. Das Blut konnte nicht mehr Körper sammelt sich immer mehr Wasser an. Prinzipiell bin ich ein sogenannter »harter ordentlich gepumpt werden. Ich wurde sofort Ich esse kaum, da ich mir das nicht leisten Hund«, der so gut wie nie ein Krankenhaus operiert und bekam zwei künstliche Metall- kann. Angst ist nun mein ständiger Begleiter. aufsucht. Ich habe nicht mal einen Hausarzt Herzklappen. Seitdem geht es mir nicht mehr Hoffentlich bekomme ich noch rechtzeitig und bin generell nicht als Freund von Ärzten so gut. Sobald ich mich zu schnell bewege Hilfe. Daniel zu bezeichnen. Anfang Juni, als ich mit Freun- oder viel hebe, bekomme ich kaum mehr Luft den draußen war, hatte ich plötzlich starke und es beginnt, in der Herzgegend zu stechen. Schmerzen in der Brust, Atem- und Gedächt- Auch starke Schwindelanfälle machen mir das Eine Person mit einem Titel kam nisaussetzer. Also bat ich eine Freundin, für Leben schwer. Da muss ich mich nämlich im- sofort dran. Ich musste warten mich die Rettung zu verständigen. Innerhalb mer gleich irgendwo hinsetzen und ein kaltes von fünf Minuten war diese auch da und Tuch um den Nacken legen. Blutverdünnende Sozialhilfe-Empfänger bekamen bis vor weni- brachte mich ins Krankenhaus zu den Barm- Tabletten sowie Herz- und Wassertabletten gen Jahren noch keine E-Card, sondern einen herzigen Schwestern, die an diesem Tag Auf- sollte ich zu mir nehmen. Das kann ich mir Zettel vom Sozialamt. Dieses Amt bezahlte nahme hatten. Ich sagte von Anfang an, dass aber als Obdachloser ohne Arbeit nicht leis- die Rechnungen anstandslos für den Arztbe- ich Alkoholiker sei und auch heute schon et- ten. Ich lebe seit einem Jahr als Deutscher hier such oder den Krankenhausaufenthalt. Was was getrunken hätte. Zuerst wurde mir das in Österreich auf der Straße. Letztens half ich damals jedoch nicht beachtet wurde, ist, dass EKG angehängt, bei dem aber keine Auffäl- bei einer Wohnungsräumung mit. Da spürte man sich als Nicht-Besitzer einer E-Card ligkeiten festgestellt werden konnten. Eine ich wieder ein fürchterliches Stechen im Her- ziemlich ausgegrenzt fühlt, sozusagen als 07/2018 5
gung, nur auf der meines Großvaters. Unter »normalen« Umständen hatte mir früher die- ser »Totenkult-Tag« nichts ausgemacht. Doch mit der Zeit änderte sich meine Einstellung dazu. Vielleicht auch deshalb, weil unsere im- mer kleiner werdende Familie (zurzeit besteht sie noch aus meinem Vater und mir sowie den kleinen undankbaren Stiefgeschwistern, die nur auf das Geld meines Dads aus sind) bald nicht mehr existieren wird. Naja. Jedenfalls hatte ich mir fest vorgenommen, endlich ein- mal beim Gräberbesuch dabei zu sein bezie- hungsweise das Grab meines Bruders zu se- hen. In der Früh bin ich ohnehin noch immer etwas durch den Wind. Mein Vater rief mich an und bat mich, zu ihm rüberzukommen. Er wohnt jetzt exakt 199 Schritte von mir ent- fernt bei seiner Lebensabschnittsgefährtin, die ihm ganz besonders gut tut. Den beiden kann ich alles erzählen, ohne verurteilt zu werden. Als ich drüben ankam, dachte ich, wir würden sofort losfahren, was leider nicht der Fall war. Und so kam es, wie es kommen musste. Jede Sekunde, die ich dort verbrachte, schwirrten unzählige Gedanken in meinem Kopf herum. Schließlich sagte ich zu mir selbst: »Ich kann das nicht machen, nicht in diesem Zustand.« Ich war ja komplett schweißgebadet, der Blut- druck jenseits von Gut und Böse und das Wichtigste - ich wollte meine Verwandten, vor Georg bei einer Untersuchung im Welser Krankenhaus, Foto: privat allem meinen Bruder, nicht enttäuschen oder ihn in diesem Sinne entehren (da ich selbst Mensch zweiter Klasse oder wenn es sein Benachteiligungen musste ich einstecken. beeinträchtigt und substituiert bin), indem ich musste, sogar dritter Klasse. Bei mir war das Eine Person mit einem Titel vor dem Namen dort aufkreuzte als ein psychisch kranker, me- vor acht Jahren so der Fall. Als bei mir Krebs kam beispielsweise sofort dran, und ich dikamentenabhängiger Versager. Ich will erst diagnostiziert wurde, spürte ich hautnah, was musste wieder warten, obwohl ich schon län- zu den Gräbern, wenn wieder etwas Leben in das wirklich hieß. Freilich wurde bei mir alles ger auf der Wartebank saß. Gottseidank habe mir ist, ich einen anständigen Job sowie eine gemacht, was von nöten war. Doch gewisse ich von Natur aus eine harte Schale. Manches Freundin und ein gesundes Umfeld habe, da- Dinge waren mir immer klar: Die Herzlichkeit Geschehen prallt an mir einfach ab. Mittler- mit ich den Toten, derentwegen ich mich auch der Krankenschwestern war vielleicht nicht weile ist mir das zwar ziemlich egal, weil ich schuldig fühle, entgegentreten kann. Somit die, die man sich erhofft hatte. Bei anderen weiß, dass, wenn man eine Zusatzversiche- brach ich in letzter Sekunde den geplanten Patienten hatten sie öfter ein Lächeln auf den rung hat, die ich mir nicht leisten kann, alles Gräberbesuch ab. Ein Blick in die Augen mei- Lippen oder ein freundliches Wort. Wenn es sehr viel schneller geht. Dennoch bin ich der nes Vaters und er wusste es. Es war so, als mir wieder einmal total schlecht ging und ich Meinung, dass vor einem Arzt jeder Mensch könne er meine Gedanken lesen. Er wusste ins Krankenhaus musste, war ich es, die in ein gleich sein soll, ob mit viel Geld oder nicht, ob sofort, wie ich mich erst fühlen würde, wenn Fünf-Bett-Zimmer mit einem weiteren Bett mit einem Titel vor dem Namen oder ein ganz ich dann da drüben vor dem Grab stünde, eingeschoben wurde, obwohl in einem ande- normaler Mensch. Darum, liebe Ärzte, bitte schweißgebadet, schlecht bis zum Umfallen. ren Zimmer noch ein Bett frei war. Auch ge- ich euch: »Behandelt die Menschen gleich, Das war wieder so ein Moment, wo wir uns wisse Meldungen - vom Personal her - waren soweit dies für euch möglich ist! Denn Aus- gegenseitig unterstützten. Ich sehe zu, dass nicht ganz das, was man gerne hören möchte. grenzung oder Ungleichbehandlungen können ich mindestens einmal am Tag mit ihm telefo- Okay, vielleicht war ich zu dieser Zeit über- noch mehr Schmerzen verursachen. Und zwar niere oder sogar auf einen Kaffee bei ihm empfindlich, aber für mich war das damals Schmerzen im Herzen. Das ist nicht förderlich vorbeikomme. Vor allem aber auch, weil ich meine Realität. Es gab natürlich auch andere für einen Genesungsprozess! Sonja der Frau, die er gefunden hat, so dankbar bin. Situationen. In der Schmerzambulanz bei- Angefangen hatte das Ganze nicht wirklich spielsweise wurde ich immer so behandelt, unter einem guten Stern. Sie lernten sich beide wie ich es mir eigentlich erhofft hatte. Auch Klasse vier: Substituierte Leute bei den Anonymen Alkoholikern kennen, die Herzlichkeit, die mir vom Personal dieser mit Medikamentenproblemen wozu mein Vater ja praktisch gezwungen Abteilung entgegenkam, tat mir gut. Als ich wurde, um seinen Führerschein behalten zu später das Krankenhaus wechselte, merkte ich Zu Allerheiligen hatte ich mir fest vorgenom- können. Er hatte dann auch nochmals einen wieder, dass es oft nicht das Gelbe vom Ei ist, men, endlich zu den Gräbern meiner Großel- Rückfall. Er ließ sich selbst einweisen. Diese wenn man keine E-Card besitzt. Ich wartete tern sowie zum Grab meines Bruders zu ge- Stärke bewundere ich an ihm. Ich für meinen oft mehrere Stunden auf einen Termin. Auch hen. Ich war nicht einmal auf seiner Beerdi- Teil, auch wenn ich kurz vor dem Sterben bin 6 07/2018
oder sein würde, würde nicht einmal dann diese »hochgestochene« österreichische Hilfe in Anspruch nehmen. Und wenn sich jetzt ir- gendjemand fragt, warum das so ist? Naja, die Antwort kennen alle, die als suchtkrank einge- stuft sind. Da ist man dann Mensch dritter, wenn nicht sogar vierter Klasse, wie ich es bereits oftmals am eigenen Leib schon miter- leben durfte. Ich habe euch eine kurze Auflis- tung über das Klassensystem gemacht: Erste Klasse: Politiker, Privatversicherte oder ein- fach ausgedrückt - Menschen in Machtpositi- onen und mit dem dazugehörigen Bankkonto. Zweite Klasse: Mittelschicht - Arbeiter, Ange- stellte, Beamte, auf keinen Fall arm. Dritte Klasse: Leute, die Sozialhilfe beziehen, psy- chische Erkrankungen haben oder eventuell auch beides, jedoch ein Leben am Rande der Gesellschaft an der Armutsgrenze führen. Hierzu zähle ich auch noch die Flüchtlinge. Sorry, die hätte ich beinahe vergessen. Vierte Klasse: Substituierte. Leute, die ein Medika- mentenproblem haben oder hatten. Denn, so wie ich heute behandelt wurde, wird im Aus- land nicht einmal ein Hund medizinisch be- treut. Seit letzter Woche habe ich 39,2° C Fie- ber und war heute das zweite Mal beim Arzt. Dazu möchte ich anmerken, dass ich all die 16 Jahre, die ich nun schon im Substitutions-Pro- gramm bin, nicht ein einziges Mal krank war. Also suchte ich meinen Hausarzt erneut auf. Punk Ossi bekam aufgrund seiner Alkoholkrankheit keine adäquate Behandlung, Foto: de Der sah mir die Krankheit sofort an, sagte aber, er könne mir nur noch für vier Tage die Fehlt es da am Geld oder an der men. Die gesamten Vorkommnisse in Bezug Mitgabe der Substitution verordnen. Ich ging auf die Ärzteausbildung, Dienststundendis- dann wieder zur Apotheke und gab ihnen den- sozialen Kompetenz der Politik? kussionen und die Abwanderung von Jungärz- selben Zettel wie schon die Woche davor. Die ten ins Ausland sind für mich der Beweis da- Angestellte faxte die Krankenmeldung. Eine Vergeblich versuchte ich mir zum Thema für, wie krank das System ist. Ich kann mir Minute später kam ein Anruf, es sollte noch- »Zwei-Klassen-Medizin« Klarheit darüber zu daher nur wünschen, nie auf eine Pflege ange- mal geschrieben werden und unbedingt »Bett- verschaffen, wie es wirklich abläuft mit der wiesen zu sein. Denn einige Berichte über die ruhe erforderlich« vermerkt sein. So ging ich Bevorzugung besser situierter Bürger bei der Praktiken hoffentlich weniger Pflegeinstituti- mit hohem Fieber noch einmal zum Arzt. Der Terminvergabe für Operationen oder Thera- onen und deren Personal bereiten mir einiges nahm das Ganze mit Humor. Ich fand an die- pien und Reha-Aufenthalte. Ich selbst kann Kopfzerbrechen. Im Falle unseres ehemaligen ser Geschichte nichts Lustiges. Ich lief seit beim besten Willen nicht beurteilen, wie weit Redaktionsmitarbeiters, der weg von seiner zwei Stunden von A nach B und wollte end- dies zutrifft, da ich in dieser Hinsicht keine gewohnten Umgebung hier in Linz in das lich wieder ins Bett. Dann kam der Oberham- schlechten Erfahrungen gemacht habe. Eine Salzkammergut »abgeschoben« wurde. Es mer. Eine solche Frechheit war sogar mir un- Zusatzversicherung kann ich mir bei meiner war trotz einiger Interventionen nicht mög- bekannt. Die Apothekerin, die das ärztliche Mindestpension nicht leisten und außerdem lich, ihn nach Linz zurückkehren zu lassen Attest faxte, sprach eine Minute später mit ei- habe ich keinen Grund dazu, mich über di- und ihm hier eine dauerhafte Bleibe zu ver- ner Angestellten der Amtsärztin oder mit ihr verse Krankenhausaufenthalte oder Kuren zu schaffen. Und das in einer Stadt von über höchstpersönlich. Ich bekam mit, dass sie sich beschweren. Ich fühlte mich dabei nie über- 200.000 Einwohnern, welche nicht fähig ist, darüber unterhielten, ob ich jetzt vielleicht gangen oder zurückversetzt. Ich wurde auch eine einzelne Person in einem Objekt der vorhätte, auf Urlaub zu fliegen oder solch niemals vom medizinischen oder pflegenden Sozialabteilung der Stadt oder des Landes ähnlich absurde Absichten. Ich dachte, es Personal diskriminiert. Über die Medien er- unterzubringen? Fehlt es da am Geld oder an könne sich nur mehr um Minuten handeln. fuhr ich trotzdem von Einzelfällen, in denen der sozialen Kompetenz der Politik? Da bestä- Weit gefehlt! Das Fax kam knapp eine Stunde Verfehlungen gegenüber Patienten aufgezeigt tigt sich meine Skepsis gegenüber jenen Per- später. Dann konnte ich endlich meine Medi- wurden. Aber ich ahne auch, dass hier Vorfälle sonen, die sich als so sozial wirkend bei öf- kamente nehmen und verschwinden. Was für reißerisch via Medien veröffentlicht worden fentlichen Feiern und anderen Anlässen fort- ein beschissenes System! Was mache ich, sind. Mehr Gedanken mache ich mir über den während huldigen lassen. Daher würde ich wenn ich nach den vier Tagen immer noch Missbrauch der E-Card und die übermäßige mir, falls schwer krank, in einem weit entfern- krank bin? Ja klar, im arschkalten Wetter mich Medikamentenvergabe an die Patienten über ten Kuhdorf lieber vorher die Kugel geben, als jeden Tag von der Gesellschaft mehr und mehr Rezepte. Hier geht es um horrende Beträge, ohne Bezug zur dortigen Umgebung dahinzu- erniedrigen lassen. CC (Steyr) welche unserem Sozialsystem abhanden kom- vegetieren. Georg 07/2018 7
Arzt des Vertrauens am Rande der Gesellschaft Neue medizinische Versorgung für Wohnungslose beim Sozialen Wohnservice Wels (SWS) »Viele trauen sich aus Scham nicht zu einem Arzt zu gehen oder wer- den von Ärzten schnell abgefer- tigt.« Dr. Pichler Was sind Ihre Beweggründe, sich für obdach- lose Menschen einzusetzen? Pichler: Es war keine Überzeugung nötig. Viele Klienten haben keinen Arzt, trauen sich aus Scham nicht zu einem zu gehen oder wer- den von Ärzten schnell abgefertigt. Hier in der Notschlafstelle ist ein Besuch beim Arzt in einem geschützten Rahmen möglich. Hatten Sie konkrete Vorstellungen zu der Tä- tigkeit mit den Betroffenen und was hat Sie besonders überrascht? Pichler: Ja und nein. Ich wusste, dass ich hier mit Menschen, die an der sozialen Unter- Seit 29 Jahren bietet der Verein Soziales Erkrankungen des Bewegungsapparates, Pati- grenze leben, arbeiten werde. Wie es tatsäch- Wohnservice Wels in der Eisenhowerstraße enten nach Wirbelsäulen- und Gelenksoperati- lich von der medizinischen Tätigkeit her zu 37 eine Unterbringung für wohnungslose onen sowie die Schmerztherapie. Besonders handhaben wäre, war im Vorhinein noch nicht Menschen an. Vor zwei Jahren wurden die interessant finde ich die abwechslungsreiche ganz klar. Auch die konkrete Planung hat sich Notschlafstelle und das Wohnheim neu er- Schmerzsymptomatik. erst im Laufe der Zeit ergeben. Negativ über- richtet. Nun ist es auch möglich, im eigenen rascht hat mich nichts. Positiv bin ich von der Arztzimmer medizinische Versorgung für Wie sind Sie zu ihrer neuen Tätigkeit beim Sauberkeit des Hauses überrascht. Auch bin die Welser Wohnungslosen anzubieten. Der Sozialen Wohnservice Wels gekommen? ich von den gepflegten Klienten sehr beein- praktische Arzt Hans-Peter Pichler hält re- Pichler: Die Magistrats-Abteilung für Sozia- druckt. Sehr positiv finde ich die Leitung und gelmäßige Sprechstunden zur Gesundheits- les und Frauen hat bei einer Ärztefortbildung Organisation des Hauses sowie das Engage- versorgung. Im Interview spricht er über in Bad Schallerbach einen Vortrag zu alko- ment der Mitarbeiter. seine Motivation im »E37« mitzuarbeiten holkranken Menschen gehalten. Dort haben und über seine ersten Eindrücke. Auch zwei ehemalige Alkoholkranke von ihrer Be- Gibt es Unterschiede zu Ihrer hauptberufli- seine Patienten sprechen über ihre Erfah- wältigung der Suchtproblematik erzählt. Be- chen Arbeit? rungen bei der Gesundheitsversorgung von sonders beeindruckt hat mich ihre Willens- Pichler: Ja. In meiner hauptberuflichen Tätig- Menschen, die am Rande der Gesellschaft kraft, mit der sie wieder in das gesunde Leben keit sind die Patienten durch ihre Arbeit oder gelandet sind. und zu ihrer Familie zurückfinden konnten. Pension sozial abgesichert. Dies macht es ein- Nach dem Vortrag wurde gefragt, ob jemand facher, Überweisungen oder Verordnungs- Herr Dr. Pichler, wo arbeiten Sie hauptberuf- einen Arzt kennt, der mit alkoholkranken scheine auszustellen. Durch die finanzielle lich? Menschen arbeiten möchte, die keinen Haus- Absicherung können die Patienten auch selber Pichler: Ich bin Arzt für Allgemeinmedizin arzt haben oder sich nicht trauen, mit ihrem Therapien bezahlen beziehungsweise durch und arbeite hauptberuflich in Bad Schaller- Arzt über ihre Sucht zu sprechen. Das hat Zuzahlungen bessere Therapien erhalten. Dies bach bei der Versicherungsanstalt für Eisen- mein Interesse für die Klientel geweckt. Und ist für die meisten wohnungslosen Klienten bahnen und Bergbau und bin für Kur und da ich schon bei NIKADO in Wels als Arzt nicht möglich. Sie erhalten nur das Minimum Reha zuständig. Mein hauptsächlicher Aufga- tätig bin, habe ich mich bereit erklärt, auch in an Angeboten. Das, was die GKK bietet. benbereich sind Patienten mit degenerativen der Notschlafstelle zu praktizieren. Fotos und Text: Soziales Wohnservice Wels 8 07/2018
»Bei Dr. Pichler sehe ich mich als Wie sah Ihre medizinische Versorgung aus, bevor Dr. Pichler im SWS angefangen hatte? Frau und als Patientin wahrge- Herr K: Als ich noch in Ried war, hatte ich nommen.« Frau Uli M. einen sehr netten Hausarzt. Seit dem Umzug ins Wohnheim war es für mich nicht einfach, Frau M. ist seit zwei Jahren Bewohnerin im einen Arzt aufzusuchen, da ich ständig Wohnheim. Davor lebte sie für mehrere Mo- Schmerzen hatte. Und ich habe von meinen nate in der Frauen-Wohngemeinschaft in Mitbewohnern erfahren, dass dies mitunter Wels. Obwohl sie in den letzten 17 Jahren eine Herausforderung werden könnte. immer wieder einer Erwerbstätigkeit nach- ging, ist es für sie kaum möglich, eine Woh- Was hat sich für Sie verändert, seitdem Herr nung mit eigenen Mitteln zu finanzieren – und Dr. Pichler im SWS tätig ist? das macht sie sehr traurig. Aber sie lässt den Herr K: Dr. Pichler gibt mir im Wohnheim Kopf nicht hängen und engagiert sich ehren- Sicherheit. Ich weiß, wenn ich wieder Kom- amtlich im SWS. plikationen mit meiner Wunde habe, kann ich ihn ohne Umwege kontaktieren – und das tut Wie sah Ihre medizinische Versorgung aus, gut. Er ist für mich da, wenn ich ihn brauche. bevor Dr. Pichler im SWS angefangen hatte? Er kontrolliert meine Wunde und notfalls ver- Frau M: Als meine Hausärztin in Pension bindet er sie. Ich fühle mich bei ihm sehr ging, war es für mich sehr schwierig, eine wohl. Herr Dr. Pichler ist für mich auch tele- weitere Ärztin des Vertrauens in der Stadt fonisch außerhalb seiner Ordinationszeiten Wels, zu finden. In der Not rief ich auch bei erreichbar. Treten wegen meiner Wunde kör- der Gebietskrankenkasse in Wels an und bat perliche Beschwerden auf oder ergeben sich sie bei der Suche um Unterstützung. anderweitige Fragen, ist es möglich, ihm eine E-Mail zu schreiben, die er unverzüglich be- Was hat sich für Sie verändert, seitdem Dr. antwortet. So einen Arzt hat man gerne. Pichler im SWS tätig ist? Frau M: Dr. Pichler nimmt meine Beschwer- Wie regelmäßig sollte Ihnen ein Arzt zur Ver- den und meine Sorgen sehr ernst. Ich sehe fügung stehen? mich von ihm als Frau und als Patientin wahr- Herr K: Für mich ist es wichtig, dass der Arzt genommen und nicht als Bewohnerin eines da ist, wenn man ihn braucht. Gerade zu Be- Obdachlosenheimes. Um den Alltag gut be- ginn meines Einzugs taten sich bei meiner wältigen zu können, brauche ich Sicherheit, Wunde Komplikationen auf, die mir starke Herr K. braucht intensive Gesundheitsversorgung, sogenannte Anker. Herr Dr. Pichler gibt mir Schmerzen bereiteten. Herr Dr. Pichler war da Herr A. braucht einen Arzt, der ihn versteht. Fotos: sws diese Sicherheit. Ich fühle mich bei ihm als und hat mir geholfen. Patientin gut aufgehoben. mehr weiter kann, dann ist es gut, einen Arzt im Haus zu haben. Mein Deutsch ist gut, aber Wie regelmäßig sollte Ihnen ein Arzt zur Ver- »Ich verstehe die medizinischen ich merke, dass ich noch Aufholbedarf habe. fügung stehen? Begriffe nicht. Dr. Pichler nimmt Mein Hausarzt ist bemüht, aber ich verstehe Frau M: Die Regelmäßigkeit ergibt sich nach die medizinischen Begriffe nicht. Herr Dr. sich Zeit und erklärt es mir mit Pichler nimmt sich Zeit und erklärt mir mit Absprache. Für mich ist es wichtig, dass ich meinen Hausarzt bei Beschwerden auch tele- seinen Worten.« Herr A. seinen Worten, wie ich etwas umsetzen soll. fonisch erreichen kann – und das ermöglicht mir Dr. Pichler. Werden Rezepte benötigt, Herr A. ist aus Eritrea geflohen und lebt nun Wie regelmäßig sollte Ihnen ein Arzt zur Ver- bringt er sie mir auch persönlich außerhalb seit vier Jahren in Oberösterreich. Sein positi- fügung stehen? seiner Ordinationszeiten vorbei. Diesen Kom- ver Asylbescheid erleichtert ihm die Arbeits- Herr A: Ich würde eine Regelmäßigkeit sehr fort gibt es außerhalb nicht so schnell.“ Suche. Seit Kurzem arbeitet er auch ehren- begrüßen, da ich mit Dr. Pichler sehr zufrie- amtlich im Tageszentrum des SWS. Er ist ein den bin. Er kennt mich und ich kenne ihn und begnadeter Koch. Seine Mitbewohner kom- das tut gut. »Für mich ist es wichtig, dass men in den Genuss seiner Kochkünste. Neben dem Wohnheim und der Notschlafstelle der Arzt da ist, wenn man ihn Wie sah Ihre medizinische Versorgung aus, in der Eisenhowerstraße 37 betreibt der Ver- braucht.« Herr K. bevor Dr. Pichler im SWS angefangen hatte? ein Soziales Wohnservice Wels das Tageszent- Herr A: Die Praktikantin des Wohnheims hat rum in der Salzburgerstraße 46. Dort gibt es Herr K. ist 55 Jahre alt und war 20 Jahre als mir bei der Suche eines Hausarztes geholfen. von 11 bis 13 Uhr ein warmes Mittagessen. Staplerfahrer in unterschiedlichen Betrieben Er war gleich ums Eck und zu Fuß gut erreich- Beratung, Duschen und Waschmaschinen tätig. Nach einem fast zweijährigen stationä- bar. können von 9 bis 17 Uhr (10 bis 14 Uhr an ren Krankenhausaufenthalt in Ried/Innkreis Sonn- und Feiertagen) in Anspruch genom- kam er vor einigen Monaten ins Wohnheim Was hat sich für Sie verändert, seitdem Herr men werden. Weiters bietet der Verein in 17 nach Wels. Nach wie vor prägen ständige Dr. Pichler im SWS tätig ist? Übergangswohnungen eine Wohnversorgung Krankenhaus-Kontrollen seinen Wochen- Herr A: Wenn sich körperliche Symptome - an. Weitere Informationen finden Sie unter: rhythmus. wie Schmerzen am Fuß - zeigen, und ich nicht www.sws-wels.at 07/2018 9
SOMMER IN DER STADT Spürbare Wärme am Südbahnhof-Markt Als ehemaliger Linzer – ein paar Jährchen ist es schon aus – führte mich mein Weg stets zum Markt am Südbahnhof. Ich erin- nere mich an die Sommerzeit, die kräftigen Farben der verschie- denen Blumen und jene Menschen, welche die spürbare Wärme der erstarkten Sonnenstrahlen im beschaulichen Trubel dieses Marktes sichtlich genossen. Die ehemals graue Industriestadt Linz hat sich in den vergangenen Jahren herausgemausert. Einige Stadt-Oasen lenken ab vom Trubel des Alltags, gewähren Mo- mente der Ruhe und Gelassenheit, abseits der Hektik einer pul- sierenden Stadt. Deswegen freut es mich, jeden Mittwoch zur Redaktionssitzung der Kupfermuckn durch Linz schlendern zu dürfen. Gerne würde ich hier noch leben. Da tauchen Momente vergangener Tage auf und machen mich selig in der Erinnerung an schöne Zeiten, die ich hier erleben durfte. Und ich bitte die Stadtväter darum, noch mehr Augenmerk darauf zu richten, dass Betonwüsten vermieden werden und die Grünflächen erhalten bleiben. Zum Wohle der Stadtbevölkerung und der noch existie- renden Tier- und Pflanzenwelt. Georg Beim Herrn Stelzhamer im Volksgarten Die Stadt lässt im Sommer Melodien für viele Leute erklingen. Alles blüht auf, auch die Menschen. Es ist die Zeit zum Spazie- ren gehen. Die Geschäfte werden bunter, die Ware wohlfeil. Denke ich zurück, steigt das Bild meiner damaligen Familie auf. Rollerbladen, Frisbee werfen, Federball mit Mann und Kind spielen. Mein Vater, der oft beim Brunnen auf mich wartete und die Frauenstatue »Liese« nannte. Ja, der Volksgarten! Menschen aller Art tummeln sich hier. Herr Stelzhamer aus Stein scheint etwas Besonderes zu sein. Kinder sammeln sich bei ihm, Fotos werden gemacht. Die Landstraße lebt wieder auf, Eis wird mit großer Lust geschleckt. Cafés laden zum Verweilen ein. Men- schenwege kreuzen sich in tausend Richtungen, Vögel zwit- schern ihre Lieder. Nichts ist mehr grau und farblos, die Pflan- zen zeigen ihre Kraft und erblühen in kräftigen Farben. Der sanfte Sommerwind streichelt das Haar. Kinder turnen und spielen auf den Spielplätzen, während Mütter und Väter bewun- dernd zuschauen. Sonnenstrahlen kitzeln mich sanft auf der Haut. Die Stadt pulsiert. Ja, es ist Sommer in der Stadt. Ursula 10 07/2018
Am Pichlingersee oder im Wasserwald Im Winter, wenn es kalt ist, sehne ich den Sommer herbei. Ich freue mich immer darauf, wenn die Blumen zu blühen beginnen und wenn in der Früh schon Vogel-Gezwitscher erklingt, denn dann ist es auch mit dem Sommer nicht mehr weit. Da ich in einer Wohnung ohne Balkon lebe, bin ich froh, wenn ich mich untertags in den Linzer Grünflächen erholen kann. Ich wohne in einer betreuten Wohngemeinschaft in der Nähe des Wasser- walds. Deshalb gehe ich an heißen Tagen vor allem abends gerne noch dorthin und setze mich auf eine Bank. Während der Sommertage fahre ich ganz gerne mit der Straßenbahn zum Pichlingersee, um mir etwas Abkühlung zu verschaffen. Es ist ganz angenehm dort. Man kann sich auch sehr gut verköstigen lassen, was ja auch ganz wichtig ist. Wenn ich nicht am See oder im Wasserwald bin, dann verschlägt es mich manchmal auch in ein Kaffeehaus. Auch die Linzer Gastgärten sind angenehm, man hat dort eine gewisse Ruhe und kann bei einem Getränk entspannen. Oftmals habe ich auch das Glück, über mein klei- nes Notebook gratis WLAN-Netz zu bekommen. Dann kann ich nebenher auch noch im Internet surfen. Es lässt sich also auch im Sommer mit wenig Einkommen recht gut in Linz leben. Ich liebe diese Stadt und möchte nie wieder von hier wegziehen Sonja (re.i.Bi.) Wellnessen im Hummelhof-Bad statt Urlaub »In den Urlaub fahren« - das ist für mich schon lange ein Fremd- wort. Zum einen kann ich es mir als Bezieherin der Mindestpen- sion mit meinem geringen Einkommen rein aus finanziellen Gründen schon längst nicht mehr leisten, und zum anderen geht es auch aufgrund meines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr. Deshalb verbringe ich die schöne Zeit schon viele Jahre in der Stadt. Ich bin in der glücklichen Lage, wenigstens einen Balkon zu haben. Wenn es mir dort aber zu langweilig wird, dann gehe ich zum Wellness Baden in den Hummelhof. Zu oft kann ich das aber auch nicht machen, da es dann zu kostspielig für mich wäre. Deshalb machte ich mich auf die Suche nach einem Ort in der Stadt, außerhalb meiner Wohnung. Diesen fand ich an der Donau- lände. Ein hübsches Plätzchen, an dem man gut relaxen kann. Man kann sich mit einem Buch auf die Wiese setzen oder einfach nur das Wasser und die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Nur leider gibt es keinen Schatten und an unseren heißen Sommerta- gen ist es in meinem Alter klüger, einfach zu Hause zu bleiben. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern der Kupfermuckn ei- nen schönen Sommer! Angela 07/2018 11
Erholsame Tage an der Donau Im Sommer bin ich gerne an der Donau, beim Urfahraner Markt- gelände. Da sind schattige Bäume und Bänke. Wenn ich diesen Platz aufsuche, nehme ich nur meinen MP3-Player und ein gutes Buch mit. Meistens verbringe ich dort dann den ganzen Tag. Natürlich habe ich auch Getränke und Essen bei mir. An diesem Platz habe ich auch schon einige Artikel für die Kupfermuckn geschrieben, die ich dann im Herbst der Redaktion nach unserer Sommer-Pause präsentiert habe. Die Nähe des Wassers tut mei- ner Psyche gut. Dort kann ich mich immer ganz besonders gut erholen. Meine Borderline-Erkrankung kann hier sogar heilen. Die Ärzte und Therapeuten rieten mir damals, als ich eine statio- näre Behandlung machte, ich solle so oft wie möglich die Natur und vor allem Plätze am Wasser aufsuchen. Die gibt es glückli- cherweise auch hier in Linz. Es tut mir wirklich gut. Ich spüre die Kraft, die von diesem Platz ausgeht. Auch meine Gedanken sind viel positiver, wenn ich mich dort aufhalte. Manchmal, wenn es dann wirklich schon zu heiß ist, gehe ich auch zu den umliegenden Gratis-Badeseen der Stadt. Claudia Ein kühles Bad am Pleschinger See Was tue ich an einem schönen heißen Sommertag? Richtig: ich gehe baden, baden und in der Sonne liegen – am liebsten am Ple- schinger See – ich liebe ihn. Und: Ich übernachte dann auch am liebsten am See: Sonnenuntergang, langsames Einbrechen der Dämmerung, später in der Nacht, Mond, Sterne – herrlich, ich liebe es! Und in der Früh der Sonnenaufgang, und wenn´s dann langsam wieder warm wird – wunderbar. Und wie der Zufall bzw. die Vorsehung es will, wohnt dort in der Nähe eine liebe Kollegin und Freundin Christine. Und zu ihr darf ich immer, wenn ich dort in der Nähe bin, frühstücken kommen. An Sonntagen trennen sich nach dem Frühstück dann immer unsere Wege: sie ist evangelisch, ich bin katholisch. Wir besuchen verschiedene Gottesdienste. Am Nachmittag verbringt Christine dann auch manchmal eine Zeit lang mit mir am See, an einem sehr hübschen Platz unter einem Baum, wo man auch herrlich mit der Seele baumeln kann. Liebe Christine! Ganz herzlichen Dank für deine Gastfreundschaft, die du mir schon wiederholte Male erwiesen hast! Danke für die Zeit, die du mit mir geteilt hast! Du bist mir doch – über die Jahre hin – eine liebe Freundin geworden! Vergelt‘s Gott! Gott segne Dich! Alles Liebe! Johannes 12 07/2018
Botanischer Garten und Sandstrand Es gibt in jeder Stadt Oasen, wo man sich richtig ausruhen und das schöne Wetter genießen kann. In Linz gibt es viele davon. Durch den Kulturpass »Hunger auf Kunst und Kultur« gehe ich öfters zum »Höhenrausch« und blicke über die Dächer der Stadt hinunter. Auch den »botanischen Garten« auf der Gugl, wo es eine Vielzahl an herrlichen exotischen Pflanzen gibt, besuche ich gerne. Nach dem Rundgang gönne ich mir dann ein Getränk im Café Orchidee auf der Sitz-Terasse mit Blick ins Grüne. Und nicht zu vergessen der Wasserwald. Der lädt zum Spazieren-Ge- hen ein. Die Parks im Zentrum waren früher auch immer sehr erholsam. Zurzeit aber meide ich sie, da sie etwas in Verruf gera- ten sind. Da nun aber das Alkoholverbot im Hessenpark einge- führt wurde, werde ich diese schöne Anlage im Sommer auch wieder nutzen, da man hier die heißen Tage so richtig genießen kann. Noch ein interessanter Platz ist der Sandstrand beim Bruck- nerhaus. Ich werde mir auch den einmal anschauen und dort vielleicht meine Tage genießen. Man muss ein wenig flexibel sein, wenn man kein Geld für einen Urlaub hat und gezwungen ist, hier in Linz den Sommer zu verbringen. Helmut Nach Alt-Urfahr zum Steinmetzplatzl Irgendetwas kitzelt mich durch die Jalousie. Ein neues, heller wirkendes Licht, das sich sanft über alles zieht. Eine neue Energie, die mich packt. Ich mache das Fenster auf. Warmer Wind zieht durch die Räume. Die sanfte Brise bringt mir Glück und erweckt in mir Träume. Endlich ist der langer- sehnte Sommer da. Also, nichts wie auf zu meinem sommer- lichen Wohlfühlplatz nach Alt-Urfahr, zum Badeplatz am Steinmetzplatzl. Dieser wohl gemütlichste Fleck an der Do- nau liegt zwischen der Ottensheimer Straße und der oberen Donaustraße. Große Teile wurden im Jahr 2013 vom Hoch- wasser weggespült. Danach wurde alles wieder mit reichlich Kies aufgeschüttet. Donau, Schotterstrand, Schatten spen- dende Trauerweiden und ein traumhafter Ausblick auf den Römerberg samt Schloss - Herz, was willst du mehr? Eine Wohlfühl-Oase mitten in der Stadt. Und ich darf hier bleiben, ruhen, genießen und auftanken - alles kostenlos. Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Manfred F. 07/2018 13
Wir gemeinsam Der Sozialstaat schützt und stützt die Mitte Wir alle brauchen gute Medizin, wenn wir krank sind. Wir alle brauchen ein Daheim, ein Dach über dem Kopf. Wir alle brauchen gute Schulen. Egal ob wir arm sind oder reich. Ein starkes soziales Netz macht das möglich. Machen wir uns gemeinsam mit der Kam- pagne: »Wir gemeinsam« dafür stark. »Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt«, betonen die Initiatoren. Mit Plakaten, auf Social Media und in vielen Begeg- nungen sollen die Bilder und Texte dieser Kampagne zu Gesprä- chen anregen. Vielfältige wichtige Informationen findet man unter www. wir-gemeinsam.at Der Rückgang der Mittelschicht in den westlichen Ländern ist dort am stärksten, wo der Sozialstaat geschwächt und abgebaut wurde. Ersicht- lich ist das besonders in Staaten wie den USA, Großbritannien oder Spanien. Aktuelle Daten der Österreichischen Nationalbank zeigen auf, dass es auch diesen songenannten einheitlichen Begriff der »Mitte« gar nicht wirklich gibt. Die Mitte gibt es nicht! Bezieht man nämlich neben den Einkommen auch den Konsum und die Vermögen in die Analyse ein, dann zerfällt die Mittelschicht in einen Teil mit Rücklagen und in einen ohne. Die untere Mittelschicht lebt gerade solange in relativem Wohlstand mit Mietwohnung, Auto, Ur- laub, Hobbies und Zukunftschancen für die Kinder, solange Systeme des sozialen Ausgleichs existieren. Ihre Lebensqualität wird durch den Sozialstaat möglich gemacht. Pensionsversicherung, Kranken- und Ar- beitslosenversicherung, geförderte Mietwohnungen und öffentliche Schulen sichern den Lebensstandard und verhindern gerade in unsiche- ren Zeiten ein Abrutschen nach unten. Die Mitte ist dort weniger ge- fährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt. Die untere Mitte hat kein Vermögen, um Einschnitte wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit einfach aufzufangen. Und wäre sie gezwungen, Vermögen für Alter, Bildung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit anzusparen, wäre ihr Lebens- standard und ihr Konsumniveau vernichtet. Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt. Die Stärken eines gut ausgebauten Sozialstaats 4 Sozialleistungen stabilisieren die Wirtschaft: Während Industrie- produktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise sogar gestiegen. 4 Ein stabiles Sozialsystem fördert stabile Erwartungen: Der Sozial- staat bedeutet eine Risiko-Absicherung bei Arbeitslosigkeit, Krank- heit und im Alter. Die Verlässlichkeit der sozialen Institutionen ver- hindert Angst-Sparen. 4 Der Großteil wohlfahrtsstaatlicher Leistungen stellt eine Umver- teilung im Lebenszyklus dar. Wir befinden uns im Laufe unseres Lebens auf verschieden Einkommensstufen. Die meisten Menschen wandern im Laufe des Lebens die Einkommensleiter hinauf und im Alter wieder eine gewisse Strecke zurück. Der kontinentaleuropäi- 14 07/2018 07/2018
sche Sozialstaat legt hohen Wert auf Versicherungsleistungen und Statuserhalt; daher profitiert die Mittelschicht stark von den Sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. 4 Länder mit hohen Sozialstandards entwickeln sich besser: Sämtli- che wirtschaftliche Indikatoren wie Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Armutsgefährdung und Staatsfinanzen zei- gen, dass die skandinavischen und kontinentaleuropäischen Länder die besten Ergebnisse vorweisen. 4 Monetäre Transfers tragen entscheidend zum sozialen Ausgleich bei und wirken präventiv gegen Armut: Ohne den Sozialstaat stiege die Armutsgefährdung von derzeit knapp 14 Prozent auf 44 Prozent. Am stärksten wirken Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe sowie Wohnbeihilfe und Pflegegeld. Als »erheblich materiell depri- viert« gelten Personen in Haushalten, denen es am Notwendigsten mangelt wie Ernährung, Gesundheit oder Wärme. Europäische Län- der, in denen sich weniger als vier Prozent der Bevölkerung in dieser extremen Notlage befinden sind Schweden, die Niederlande, Finn- land, Dänemark, Deutschland, Luxemburg und Österreich. Stärken optimieren, Schwächen korrigieren »Was sind die Stärken und was sind die Schwächen«, fragt man sich, wenn man etwas verbessern will. Im besten Fall führt dies dazu, dass die Schwächen korrigiert und die Stärken optimiert werden. Das gilt auch für den Sozialstaat. Dort, wo soziale Probleme steigen, müssen wir gegensteuern. Dort, wo soziale Probleme präventiv verhindert wer- den, müssen wir weiter investieren. Sonst werden die Schwächen ver- stärkt und die Stärken geschwächt. Die Kampagne »Wir gemeinsam« zeigt auch anhand von Beispielen auf, wie wichtig etwa ein funktionie- rendes Gesundheitssystem, Bildung und Arbeitsmarktintegration sind. I brauch´ an Doktor - Du brauchst an Doktor. »Ich brauche einen Rollstuhl seit meiner Geburt«, erzählt Vera Hinter- dorfer, engagiert bei der Initiative »Sichtbar Werden« der Armutskonfe- renz. »Meine Krankheit hat sich immer wieder verschlechtert. Dank einem halben Jahr Rehabilitation und acht Stunden Physiotherapie täglich, konnte ich den Weg zurück in die Arbeit dann wieder finden. Die Schmerzen aber bleiben. Ohne starkes soziales Netz könnte ich heute nicht hier sitzen. Gut, dass es einen starken Sozialstaat gibt - bei allen Lücken, die wir aufzeigen und auch schließen müssen.« I brauch´ Freunde - Du brauchst Freunde. »Ich habe einen guten Job gehabt. Aufgrund einer Erkrankung habe ich ihn dann aber verloren. Lange Zeit ist es mir sehr dann wirklich schlecht gegangen«, erzählt der Mindestpensionist Karl Frank. Er leitet die Fuß- ballgruppe bei der Sozialeinrichtung »pro mente«. »Diese Tätigkeit hat mir das Leben gerettet«, sagt er. »Sport betreiben, unter anderen Men- schen sein dürfen, Verantwortung bekommen. Gemeinsam geht das besser. Arbeitslosigkeit kann jeden treffen, wegen einer Krankheit oder auch, weil die Arbeitswelt im Umbruch ist«, meint die Betriebswirtin Judith Pühringer von »arbeit plus« – Soziale Unternehmen Österreich. »Die Konjunktur zieht an, für langzeitarbeitslose Menschen über 50 Jahre oder auch Menschen mit Behinderungen gilt das nur bedingt. Sie haben weiterhin schlechte Karten. Gerade da braucht es ein starkes so- ziales Netz mit Perspektiven.« Unterstützen Sie die Kampagne - www.wir-gemeinsam.at 07/2018 15
Wechselbäder des Lebens Wenn plötzlich alles anders wird ... vorbei! Ich sollte eigentlich meine Muskeln stärken, doch das ist mit Schmerzen verbun- den, denn mein Rücken ist schon lange ange- knackst. Die Beine machen auch nicht mehr so gut mit. Ich brauche immer mehr Hilfe und das wiederum tut meiner Seele nicht wirklich gut. So, genug gejammert. Ich kann noch mei- nen eigenen Beinen gehen (zwar mit Unter- stützung) und versuche deshalb wieder positiv zu denken. Ich wünsche allen Glück und Ge- sundheit. Vielleicht kommt etwas davon auch zu mir. Angela Ich kämpfte fast ein halbes Jahr um mein Leben Das Leben nimmt oft komische Wendungen. Bei mir war es schon früher kompliziert, einen normalen Weg zu gehen. In der Lehrzeit hat alles angefangen. Ich fühlte mich wohl, ob- wohl ich eigentlich etwas anderes machen wollte. Doch das Schicksal nahm seinen eige- nen Lauf. Da lernte ich dann den Vater meiner Kinder kennen. Im zweiten Lehrjahr wurde ich schwanger. Die Lehre konnte ich dann gar nicht mehr fertig machen. Trotz meines Kin- des ging ich aber weiter in die Schule. Als ich dann zum zweiten Mal schwanger wurde, war den meisten wohl klar, dass ich den Lehrab- schluss nicht mehr mache. Doch ich lernte wie eine Verrückte, um diesen zu schaffen, was mir dann auch gelang. Als ich mich vom Vater der Kinder trennte, war eigentlich klar, dass Vor drei Jahren hatte ich den ers- finanzielle Überleben, etwa mit guten Jobs, ich in Zukunft eine alleinerziehende Mutter andere Enttäuschungen sowie mein Krebs sein werde. Doch, so lange ich meine Kinder ten Schub der multiplen Sklerose sind zwar nicht vergessen, aber überwunden. habe und er die Alimente bezahlt - dachte ich Es ging mir wieder gut. Doch das Schicksal mir - wird alles gut. Aber meine Mutter hatte »Und plötzlich ist alles anders« - das könnte hatte etwas anderes mit mir vor. Vor drei Jah- anscheinend was dagegen und warf mich - der Titel eines Buches von mir sein, das sicher ren hatte ich meinen ersten großen Schub der selbstverständlich ohne Kinder - aus der Woh- sehr viele Kapitel hätte. Natürlich ändert sich multiplen Sklerose. Bei den unzähligen Unter- nung. Ich landete auf der Straße. Es war alles das Leben jedes Menschen ständig, doch suchungen stellte sich heraus, dass ich diese andere als leicht. Ich heiratete dann und dachte wenn die schlimmen Dinge überhand nehmen, Krankheit schon seit Jahrzehnten habe. Das mir: »Jetzt wird alles wieder gut.« Ich hatte wird man manchmal einfach zu müde, um wiederum erklärt viele körperliche Probleme, Kontakt zur Familie und konnte die Kinder positiv zu denken. Ich hatte und habe natür- die im Laufe der Zeit immer wieder kamen auch sehen. Als jedoch mein Vater verstarb, lich auch immer wieder schöne Momente mit und gingen. Aber ich konnte immer alles war es vorbei mit dem Kontakt. Harte Zeiten Freunden und vor allem mit meinen Kindern. selbst machen, wie beispielsweise tanzen und kamen auf uns alle zu. Ich lebte wieder lange Meine Jugend mit Gewalt, die Kämpfe ums eislaufen. Seit dem großen Schub ist das alles Jahre auf der Straße, bis mein Mann erkrankte 16 07/2018
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