BUNDESTAGSWAHL 2013: WAHLPROGRAMME DER PARTEIEN IM VERGLEICH

 
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StandpunktE 11 / 2013

                          Cornelia Hildebrandt/Jochen Weichold

                          Bundestagswahl 2013:
                          Wahlprogramme der Parteien
                          im Vergleich
                          Welche identifizierbare Programmatik unterscheidet die Parteien substanziell, fragte kürzlich der Sozialpsychologe und
                          bekennende Nicht-Wähler Harald Welzer in einem Spiegel-Essay (Nr. 22/2013) mit dem Blick auf die Bundestagswahl
                          2013. Und mit einem Nein auf der Zunge: «Will DIE LINKE etwas anderes als die SPD, als die CDU, als DIE GRÜNEN?»
                             Wir gehen im Folgenden dieser Frage nach, kommen aber – um das gleich vorwegzunehmen – zu einem anderen Re-
                          sultat als der wortradikale Vertreter der Postwachstumsgesellschaft. Auch wir wissen, dass Programme und reale Politik
                          nicht identisch sind. Dennoch lässt sich an Wahlprogrammen die inhaltliche Verfasstheit der Parteien ablesen, zumal vor
                          allem SPD, GRÜNE und LINKE zur Erarbeitung der Programme zunehmend auf partizipative Verfahren (Bürgerforen, Regi-
                          onalkonferenzen) setzen, die auf gesellschaftliche Integration ausgerichtet sind.
                             Ein Vergleich der Programme lässt Rückschlüsse auf die inhaltlichen Positionen auf den einzelnen Politikfeldern zu, die
                          über die Schwerpunkte des Wahlkampfs hinausgehen und die gegebenenfalls wichtig für die Beurteilung künftiger politi-
                          scher Auseinandersetzungen oder sich neu entwickelnder Kooperationen beziehungsweise Allianzen sind. Wir behandeln
                          im Folgenden nicht alle, aber wichtige ausgewählte Politikfelder.

                          Die Botschaften der Parteien                                    tungsgerechtigkeit. Nur die FDP würde garantieren, lautet
                          Die im Bundestag vertretenen Parteien gehen mit unter-          die neoliberale Botschaft der Partei, dass Deutschland und
                          schiedlichen Botschaften in den Wahlkampf. CDU und CSU          Europa «richtig» auf die aktuelle Krise reagieren: nämlich mit
                          verweisen auf die positive Entwicklung Deutschlands als         «mehr wirtschaftlicher Leistungskraft und weniger Staat».
                          «Stabilitätsanker und Wachstumsmotor» inmitten der Krise        Auch die FDP heftet sich die Erfolgsgeschichte Deutschlands
                          Europas und geben dies als Erfolg ihrer Regierungspolitik       in den Krisen Europas auf ihre Fahnen, präsentiert sich als
Rosa Luxemburg Stiftung

                          aus. Diese Politik «von Maß und Mitte» soll fortgesetzt wer-    Verfechterin einer konsequenten Politik der Geldwertstabili-
                          den, ist die Botschaft der CDU/CSU. Damit Deutschland ein       tät und als Hüterin der Interessen des Mittelstands (Stichwor-
                          Land bleibt, das den künftigen globalen Herausforderungen       te: «Steuerbremse», Abschaffung der «Kalten Progression»).
                          erfolgreich begegnen kann, müsse es zu einer wettbewerbs-       Ebenso wie die CDU/CSU verbindet die FDP die sich verän-
                          fähigen «Chancengesellschaft» entwickelt werden. Zu den         dernde ökonomische Stellung Deutschlands innerhalb der
                          Hauptzielen der Union in der nächsten Legislaturperiode ge-     Europäischen Union (EU) und im globalen Wettbewerb mit
                          hören die Sicherung solider Finanzen als Grundlage für stabi-   dem Ziel der Erschließung neuer aufstrebender Märkte in Asi-
                          le wirtschaftliche Verhältnisse und nachhaltiges Wachstum       en, Lateinamerika und Afrika und mit der Erklärung, Deutsch-
                          und damit die Umsetzung des Dreiklangs aus «Neuverschul-        land sei bereit, globale Verantwortung zu übernehmen.
                          dung stoppen, Schulden zurückzahlen und in die Zukunft in-        Die SPD hält sich zugute, in ihrer Regierungszeit mit einer
                          vestieren». Deutschland als führender Industrie- und Export-    aktiven Industriepolitik und mit den neoliberalen Reformen
                          nation gehe es auf Dauer nur gut, wenn es auch Europa gut       der «Agenda 2010» den Grundstein für die relativ erfolgrei-
                          gehe. Daher will die Union, dass Europa gestärkt aus der Kri-   che wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands gelegt zu ha-
                          se kommt. Insgesamt bietet die CDU/CSU mit ihrem Wahl-          ben. Nun müssten allerdings einige Fehlentwicklungen wie
                          programm einen gut sortierten Gemischtwarenladen, der al-       der Missbrauch von Leiharbeit, Minijobs und Niedriglohn-
                          le Wählerschichten bedienen will.                               beschäftigung korrigiert werden. Generell gelte es, so die
                             Die FDP mausert sich in ihrem Wahlprogramm von der           Botschaft der SPD, «Deutschland besser und gerechter [zu]
                          Steuersenkungspartei zur Partei der Sparsamkeit und Leis-       regieren» und für «ein neues soziales Gleichgewicht in un-
serem Land» zu sorgen. Die SPD strebt deshalb eine «Neu-          ritätspolitik ohne jeden Wachstumsimpuls gezwungen habe.
begründung der sozialen Marktwirtschaft» an und will dies –       Sie will dagegen den Weg zu soliden Staatsfinanzen durch
gestützt auf ein gerechteres Steuersystem – mit dem Abbau         Impulse für Wachstum und Arbeitsplätze begleiten.
der öffentlichen Schuldenlast, mit wirtschaftlicher, sozialer        DIE GRÜNEN konstatieren, dass die gegenwärtige Krise
und ökologischer Nachhaltigkeit verbinden.                        eben nicht einfach eine Staatsschuldenkrise sei. Die ökono-
   Im Unterschied zu CDU/CSU, FDP und SPD beziehen sich           mischen Ungleichgewichte in der Europäischen Union hät-
DIE GRÜNEN nicht primär auf die bisherigen Erfolge Deutsch-       ten ihre Ursache sowohl in den Defizit- als auch in den Über-
lands und insofern auf den Erhalt des Status quo, sondern         schussländern. Die von der Bundesregierung betriebene
stellen vielmehr die Fragen künftiger Entwicklung ins Zent-       einseitige Exportorientierung Deutschlands habe zu massi-
rum ihres Wahlprogramms. Energiewende und Ökologie, Ge-           ven Ungleichgewichten in der Europäischen Union beigetra-
rechtigkeit und eine moderne Gesellschaft seien für DIE GRÜ-      gen. Statt nur auf einseitige Sparpolitik in den Krisenländern
NEN die zentralen Orientierungen ihrer Politik. Nur mit starken   zu setzen, die Europa immer tiefer in die Krise führe und den
GRÜNEN werde es 100 Prozent sichere Energie ohne Atom             sozialen Zusammenhalt gefährde, gelte es, eine Balance in
und ohne fossile Energieträger geben, werde die Wirtschaft        einer Politik der Solidität, Solidarität und Nachhaltigkeit zu
besser und sparsamer mit unseren natürlichen Ressourcen           finden. Eine europäische Wirtschaftspolitik müsse mehr da-
umgehen, vermittelt die Öko-Partei als Botschaft. Sie for-        für tun, dass sich die Wirtschaftskraft der Mitgliedsstaaten
dert deshalb «Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen!» als       gleichmäßiger entwickelt. Dazu müsse die Binnenkonjunk-
Grundlage für einen grünen Wandel in Politik und Gesellschaft     tur in den Überschussländern gestärkt werden. DIE GRÜ-
für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr demokratische Betei-     NEN streiten in diesem Kontext für einen ökologisch-sozi-
ligung, für «mehr Frieden» durch mehr zivile Krisenprävention     alen Umbau Europas. Erforderlich sei eine Erneuerung der
und Abrüstung, für ein «besseres Morgen».                         europäischen Wirtschaft im Sinne eines europäischen Green
   DIE LINKE rückt unter dem Titel «100 Prozent sozial» ihr       New Deal.
Kernthema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres             DIE LINKE sieht die maßgebliche Ursache der größten Kri-
Bundestagswahlkampfes: «Soziale Gerechtigkeit ist das Pro-        se der Weltwirtschaft seit 80 Jahren in den Ungleichgewich-
gramm der LINKEN.» Nur mit der LINKEN gebe es eine Kraft,         ten in der Außenwirtschaft in Europa und weist darauf hin,
die konsequent gegen Hartz IV, gegen die Rente ab 67 Jahre,       dass die Rettung der Banken die Staatsverschuldung in die
für einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro pro Stun-        Höhe getrieben habe. Am Anfang jeder Krisenlösung müsse
de und für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afgha-         stehen: «Abbau der Ungleichgewichte, steigende Löhne und
nistan ist. Nur wenn DIE LINKE im Bundestag vertreten sei,        sozial-ökologische Investitionsprogramme, die Nachfrage
würden die anderen Parteien eine sozialere Politik betreiben,     steigern, Finanzmärkte regulieren und Vermögende besteu-
lautet die Botschaft der Partei. Wer Reichtum nicht umvertei-     ern.» Deutschland habe durch Kürzungsdiktate eine zentrale
len wolle, der könne den Politikwechsel nicht bezahlen. DIE       Rolle bei der Verschärfung der Krise gespielt und die Krisen-
LINKE lege den Finger in die Wunden. Sie gebe denen eine          länder wie Europa insgesamt destabilisiert. DIE LINKE will
Stimme, die in der großen Politik keine Lobby finden.             dagegen (1) einen Schutzschirm für Menschen statt für Ban-
                                                                  ken schaffen und die Profiteure der Krise zur Kasse bitten, (2)
Auswege aus Europas Krisen                                        eine stabile, nachhaltige und sozial gerechte wirtschaftliche
Die Ursachen für die europäischen Krisenprozesse werden           Entwicklung in Europa einleiten und (3) eine langfristig trag-
von den einzelnen im Bundestag vertretenen Parteien un-           fähige Perspektive für die europäische Einigung schaffen.
terschiedlich eingeschätzt, und folglich unterscheiden sich          Exemplarisch für die unterschiedlichen Positionen hin-
auch ihre Antworten auf die Frage nach den Auswegen aus           sichtlich der Auswege aus Europas Krisen ist die Haltung der
Europas Krisen. Zwar ist auch CDU/CSU und FDP bewusst,            Parteien zur «Europäischen Jugendgarantie». Während sich
dass die internationale Finanzmarktkrise Grund für die Kri-       SPD, GRÜNE, LINKE und selbst CDU/CSU für ein solches
se der Staatshaushalte insbesondere südeuropäischer Mit-          Sofortprogramm in der EU aussprechen, um die hohe Ju-
gliedsstaaten der Europäischen Union war, doch reduzieren         gendarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern zu be-
sie das Krisengeschehen auf eine Staatsschuldenkrise, um in       kämpfen, lehnt es die FDP ab: Staatlich finanzierte Beschäf-
den betroffenen Staaten neoliberale Reformen auf dem Ar-          tigungsprogramme seien ordnungspolitisch falsch, und ihre
beitsmarkt und in den Sozialsystemen nach dem Modell der          Ausgaben würden die Staatsfinanzkrise weiter verschärfen.
deutschen «Agenda 2010» durchzudrücken. CDU/CSU und                  Zwar sind sich alle Bundestagsparteien darin einig, dass
FDP wollen die bisherige Austeritätspolitik in Europa fortset-    es zur Vermeidung eines neuen Finanzmarkt-Crashs einer
zen: «Damit der Euro eine starke und stabile Währung bleibt,      Regulierung der Finanzmärkte und einer Rücknahme der
brauchen wir weitere Anstrengungen und Reformen vor al-           Entkoppelung von Risiko und Haftung Bedarf, doch hin-
lem in den Staaten, die Hilfe in Anspruch nehmen», schrei-        sichtlich der geeigneten Instrumente gibt es gegensätzliche
ben die Unionsparteien in ihrem Wahlprogramm. Und die             Positionen. Während SPD und GRÜNE für die Schaffung ei-
FDP fordert: «Der Reformdruck muss erhalten bleiben.»             nes Schuldentilgungsfonds und DIE GRÜNEN auch für die
  Die SPD betont, dass die unverantwortlichen Spekulatio-         Einführung von Eurobonds eintreten, um die Handlungsfä-
nen auf den Finanzmärkten zu einer dramatisch gestiegenen         higkeit aller Mitglieder in der Währungsunion sicherzustel-
Staatsverschuldung in Europa geführt haben. Durch eine ge-        len, lehnen dies FDP und CDU/CSU mit Vehemenz ab und
rechte Besteuerung der Finanzmärkte müsse der Finanzsek-          wenden sich gegen eine «Vergemeinschaftung der Schul-
tor jetzt auch dazu beitragen, diese Schulden wieder abzutra-     den». Die SPD argumentiert, nachdem durch den Fiskalpakt
gen. Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt, kein Markt       und andere europäische Kontrollmechanismen strenge und
dürfe in Zukunft unreguliert sein. Die SPD kritisiert, dass die   wirkungsvolle Auflagen zur Gewährleistung der nationalen
Politik der konservativen deutschen Bundesregierung alle          Haushaltsdisziplin aufgestellt worden seien, dürfe das The-
Länder Europas zeitgleich in eine reine Kürzungs- und Auste-      ma der gemeinsamen Haftung kein Tabu mehr bleiben.                2
Während SPD, GRÜNE, LINKE und auch CDU/CSU für eine               deutschen Umweltwirtschaft und -technologie weiter aus-
    Finanztransaktionssteuer plädieren, wendet sich die FDP in-       bauen und Wachstum vom Rohstoffverbrauch entkoppeln.
    direkt dagegen: «Neue Steuern können die Aufsichts- und              Die SPD betont, dass Deutschland bei aller Bedeutung des
    Regelungslücken im Bereich der Finanzmärkte nicht schlie-         Dienstleistungssektors auch ein erfolgreicher und starker
    ßen.» Während die CDU/CSU für eine wirksame europäische           Standort einer vielfältigen Industrie und des produzierenden
    Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) für         Gewerbes bleiben müsse. Deshalb will die SPD durch die Er-
    die großen, systemrelevanten Banken eintritt, lehnt DIE LIN-      neuerung der Infrastruktur, durch Investitionen in Bildung,
    KE dies ab, weil es der EZB an unmittelbarer demokratischer       Ausbildung und Qualifizierung und vor allem durch eine ech-
    Legitimation fehle. Auch FDP, SPD und GRÜNE plädieren für         te Energiewende den Produktions- und Industriestandort
    eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht, verlangen             Deutschland sichern und stärken. Sie will eine Erneuerung
    aber eine strikte institutionelle Trennung zwischen Zentral-      der klassischen Industrien und die Erschließung neuer Leit-
    bank- und Aufsichtsfunktionen. Als einzige Bundestagspar-         märkte (Mobilität, Gesundheit, Energie, Infrastruktur) voran-
    tei fordert DIE LINKE, dass die EZB die Staaten in der Eurozo-    treiben. Wachstum und Ressourcenverbrauch seien absolut
    ne in einem festgelegten Rahmen direkt finanziert.                zu entkoppeln.
       Keine der Bundestagsparteien stellt die EU in ihrem Wahl-         DIE GRÜNEN setzen auf eine nachhaltige Wirtschaft als
    programm grundsätzlich in Frage, keine beabsichtigt, aus          Leitbild und wollen der Ressourcen- und Materialeffizienz
    der Gemeinschaftswährung Euro auszutreten, doch hin-              zum Durchbruch verhelfen. Sie erklären: «Wir müssen un-
    sichtlich der Art und Weise der weiteren europäischen Integ-      sere Marktwirtschaft sozial und ökologisch neu begründen.»
    ration zeichnen sich deutliche Unterschiede ab. Für CDU und       Wirtschaftswachstum sei nicht das Maß aller Dinge. Zu den
    CSU sind die Nationalstaaten und die Regionen prägende            Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität müssten auch
    Bestandteile eines Europas der Einheit in Vielfalt. Sie wollen    soziale und ökologische Aspekte gehören, um «der wirt-
    «kein zentralistisch organisiertes und regiertes Europa» und      schaftlichen Entwicklung eine grüne Richtung [zu] geben».
    betonen die «christlich-abendländischen Wurzeln» Europas.         Die Öko-Partei möchte den Märkten mit einer werteorientier-
    Die FDP will den Weg der Vertiefung der europäischen Inte-        ten Ordnungspolitik klare soziale und ökologische Grenzen
    gration hin zu einer «politischen Union mit festen föderalen      setzen.
    Grundsätzen, demokratischen Strukturen und einer klaren              DIE LINKE plädiert für eine aktive staatliche Industriepoli-
    subsidiären Ordnung» gehen.                                       tik, die nicht weiter auf Kostensenkung, Arbeitsplatzabbau
       SPD und GRÜNE wollen die Wirtschafts- und Währungs-            und Verdrängungskonkurrenz setzt, sondern dem Gemein-
    union um eine politische Union ergänzen. Sie plädieren für        wohl verpflichtet ist. Sie will Wirtschaft und Gesellschaft
    eine stärkere Demokratisierung Europas und für eine stärke-       ökologisch umbauen, mit der Energiewende Ernst machen
    re Harmonisierung von europäischer Arbeits-, Wirtschafts-,        und dabei die soziale Frage ins Zentrum des Umbaus rü-
    Finanz-, Steuer- und Investitionspolitik. Eine Währungsunion      cken. Ein Instrumentenmix aus Anreizen, Geboten, Verboten
    brauche auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik.                  und Transparenz soll die Schonung von Ressourcen beloh-
       DIE LINKE tritt für ein soziales, demokratisches und solida-   nen und deren Verschwendung bestrafen oder ganz unter-
    risches Europa ein, das dem Klammergriff der Finanzmärkte         binden. Als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien
    entzogen wird: «DIE LINKE steht für einen Neustart der Eu-        will DIE LINKE strukturbestimmende Großunternehmen in
    ropäischen Union.» Die Partei fordert eine grundlegende Ver-      gesellschaftliche Eigentumsformen überführen. In Deutsch-
    änderung der vertraglichen Grundlagen der EU, um die Vo-          land sei ein Strukturwandel erforderlich – von der Exportori-
    raussetzungen für eine demokratische, soziale, ökologische        entierung hin zu einer deutlichen Stärkung der Binnenwirt-
    und friedliche Europäische Union zu schaffen. DIE LINKE will      schaft mit gut abgesicherten und vergüteten Arbeitsplätzen.
    eine EU, die Wohlstand und Wohlfahrt für alle fördert. Sie           In der Arbeitsmarktpolitik ficht die FDP für eine weitere De-
    fordert eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen.     regulierung des Arbeitsmarktes, während CDU und CSU auf
    Soziale Grundrechte und die Tarifautonomie müssten Vor-           diesem Politikfeld nur wenig Handlungsbedarf sehen. Dage-
    rang vor den Binnenmarktfreiheiten haben.                         gen wollen die SPD, DIE GRÜNEN und vor allem DIE LINKE
                                                                      der Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse Ein-
    Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik                              halt gebieten. Exemplarisch für die Differenzen ist die Hal-
    Auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sieht die FDP zu Recht        tung der Bundestagsparteien zum Mindestlohn. Während
    «die entscheidende Auseinandersetzung der kommenden               die FDP einen allgemeinen, flächendeckenden Mindestlohn
    Jahre» zwischen dem von ihr vertretenen und fälschlich als        strikt ablehnt und die CDU/CSU lediglich für einen «tarifli-
    «Soziale Marktwirtschaft» bezeichneten neoliberalen Markt-        chen Mindestlohn» votiert, fordern SPD, GRÜNE und LIN-
    radikalismus und einer eher keynesianischen Wirtschafts-          KE einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Nach
    politik mit Interventionen des Staates in die Wirtschaft. Das     den Vorstellungen von SPD und GRÜNEN soll seine Höhe
    Motto der FDP lautet kurz und knapp: «Weniger Staat!» Sie         mindestens 8,50 Euro betragen, nach denen der LINKEN
    kämpft gegen «planwirtschaftliche Tendenzen» und will mit         zehn Euro und zum Ende der kommenden Wahlperiode min-
    ihrer Wirtschaftspolitik vor allem den Mittelstand stärken        destens zwölf Euro.
    und «Bürger, Selbständige und Unternehmer von Steuern                Die FDP bekämpft staatliche Eingriffe in die «Soziale Markt-
    und Bürokratie» entlasten.                                        wirtschaft» und will den Arbeitsmarkt «flexibel und offen»
       Die Unionsparteien sehen Deutschlands Chancen in einer         halten. In diesem Kontext plädiert die FDP für «flexible Be-
    nachhaltigen und international wettbewerbsfähigen Wirt-           schäftigungsformen» und für Lockerungen bei den befris-
    schaft, deren Kern auch weiterhin eine moderne, industriel-       teten Arbeitsverhältnissen. Auch die Unionsparteien wollen
    le Produktion sein müsse. Sie plädieren für ein nachhaltiges      prekäre Arbeitsverhältnisse wie Zeitarbeit, befristete Arbeits-
    Wachstum, das Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinan-           verhältnisse, Minijobs, Teilzeitbeschäftigungen und Werkver-
3   der verbindet. CDU und CSU wollen die führende Rolle der          träge als wichtige Instrumente am Arbeitsmarkt beibehalten.
Im Unterschied zu FDP und CDU/CSU plädieren SPD, GRÜ-            Während die FDP eine Vermögensabgabe expressis verbis
NE und LINKE in ihren Wahlprogrammen für eine aktive Ar-         ablehnt, wollen DIE GRÜNEN eine zeitlich befristete Ver-
beitsmarktpolitik und für die Schaffung eines öffentlich ge-     mögensabgabe erheben, die 100 Milliarden Euro einspielen
förderten Beschäftigungssektors (bzw. eines «verlässlichen       und dazu dienen soll, Bundesschulden zu tilgen, die aus den
sozialen Arbeitsmarktes») mit Angeboten sozialversiche-          Konjunkturpaketen und aus der Bankenrettung resultieren.
rungspflichtiger Beschäftigung, der auch durch den Trans-        Aus dem gleichen Grund möchte DIE LINKE eine einmali-
fer von passiven in aktive Leistungen finanziert werden soll.    ge Vermögensabgabe einführen, die 300 Milliarden Euro er-
Alle drei Parteien greifen die Forderung der Gewerkschaften      bringen soll. Diese Abgabe soll in der Höhe gestaffelt sein:
nach «guter Arbeit» auf und wollen das Tarifvertragssystem       10 Prozent ab einem persönlichen Freibetrag von einer Milli-
stärken. Sie möchten die Möglichkeit der sachgrundlosen          on Euro (bei Betriebsvermögen zwei Millionen Euro), 20 Pro-
Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen und den Miss-         zent ab 10 Millionen Euro, 30 Prozent ab 100 Millionen Euro.
brauch von Praktika durch die Einführung von Mindeststan-        DIE LINKE will zudem eine Reichensteuer einführen, nach
dards wirkungsvoll bekämpfen. Sie verlangen gleichen Lohn        der jeder Euro, der – nach Abzug der Sozialversicherungs-
für gleiche oder gleichwertige Arbeit und wollen dieses Prin-    beiträge – über einer Million Einkommen liegt, mit 75 Pro-
zip auch für Leiharbeitsbeschäftigte und Stammbelegschaf-        zent besteuert werden soll.
ten durchsetzen. Nach dem Willen der GRÜNEN und der                Die Unionsparteien und die FDP wollen das bestehende
LINKEN sollen Leiharbeiter zusätzlich einen Flexibilitätsbo-     Ehegattensplitting erhalten und (vonseiten der CDU/CSU)
nus erhalten. DIE LINKE strebt längerfristig ein Verbot der      sogar um ein Familiensplitting ergänzen. Im Gegensatz dazu
Leiharbeit an.                                                   streben SPD, GRÜNE und LINKE an, das Ehegattensplitting
  SPD und LINKE fordern, dass die Vergabe von öffentlichen       abzuschmelzen oder ganz abzuschaffen. Ausdrücklich lehnt
Aufträgen an die Tariftreue geknüpft wird. SPD und GRÜNE         die SPD ein Familiensplitting ab. Während die FDP die Ab-
verlangen, mit einem Entgeltgleichheitsgesetz die struktu-       geltungsteuer auf Kapitalerträge beibehalten will, planen DIE
relle Lohnbenachteiligung von Frauen zu beenden. DIE GRÜ-        GRÜNEN und DIE LINKE, die Abgeltungsteuer abzuschaf-
NEN und DIE LINKE plädieren für ein Gleichstellungsgesetz        fen und Einkünfte aus Kapitalvermögen wieder gemäß dem
für die Privatwirtschaft und verlangen, den Missbrauch von       individuellen Einkommenssteuersatz zu besteuern. Die SPD
Werkverträgen zu verhindern. DIE GRÜNEN wollen Minijobs          möchte in einem ersten Schritt die Abgeltungsteuer unter
ersetzen, DIE LINKE will ihre Umwandlung in voll sozialver-      Beibehaltung des Optionswahlrechtes von 25 Prozent auf
sicherungspflichtige Arbeitsplätze von der ersten Stunde an.     32 Prozent erhöhen, schließt aber für die Zukunft nicht aus,
                                                                 die Abgeltungsteuer innerhalb von drei Jahren abzuschaffen
Steuerpolitik                                                    und die Kapitalerträge wieder der synthetischen Besteue-
In der Steuerpolitik vertreten CDU/CSU und FDP einerseits        rung zu unterwerfen.
und SPD, GRÜNE und LINKE andererseits konträre Auffas-             Um Geringverdiener zu entlasten, wollen DIE GRÜNEN
sungen. Während CDU/CSU und FDP Steuererhöhungen                 das steuerfreie Existenzminimum für alle von 8.130 auf min-
generell ablehnen, halten die derzeitigen Oppositionspar-        destens 8.700 Euro anheben. Dem gegenüber zielen die
teien Steuererhöhungen für unumgänglich, um Investitio-          Entlastungsvorschläge von CDU/CSU und FDP auf den Mit-
nen in Bildung, in die ökologische Transformation und in die     telstand. Sie wollen die sogenannte Kalte Progression ab-
Armutsbekämpfung finanzieren zu können. Explizit wollen          mildern. Die FDP plädiert gar für eine «Steuerbremse» und
SPD und GRÜNE den Spitzensteuersatz von derzeit 42 Pro-          will im Grundgesetz einen Halbteilungsgrundsatz verankern,
zent auf 49 Prozent und DIE LINKE ihn wieder auf 53 Pro-         denn mehr als die Hälfte des Einkommens über Ertragsteu-
zent (wie in der Regierungszeit von Helmut Kohl) anheben.        ern an den Staat abzuführen, sei unverhältnismäßig und leis-
Nach den Vorstellungen der SPD soll der Spitzensteuersatz        tungsfeindlich.
ab 100.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen (bzw.
200.000 Euro bei Eheleuten), nach denjenigen der GRÜ-            Sozialpolitik
NEN ab 80.000 Euro und nach denjenigen der LINKEN ab             In der Sozialpolitik geht es vor allem um die Gesundheits-
65.000 Euro greifen.                                             politik, um die Rentenpolitik und um das Arbeitslosengeld
  Während sich CDU/CSU und FDP ausdrücklich gegen ei-            II (ALG II). Die FDP kämpft «gegen alle Schritte in Richtung
ne Wiedereinführung der Vermögenssteuer und gegen ei-            auf Einheitslöhne, Einheitskassen und Einheitsrenten» und
ne Erhöhung der Erbschaftssteuer wenden, wollen SPD,             setzt stattdessen auf mehr Wettbewerb und auf eine Stär-
GRÜNE und LINKE die Einnahmen aus der Erbschaftssteu-            kung der Kapitaldeckung in den Solidarsystemen. CDU und
er deutlich erhöhen. Die SPD möchte eine Vermögenssteu-          CSU erklären: «Linke Umverteilungs- und Bevormundungs-
er einführen, «die der besonderen Situation des deutschen        politik lehnen wir ab.» Die SPD hält generell an der Politik der
Mittelstandes, von Personengesellschaften und Familienun-        «Agenda 2010» fest, verspricht aber, Fehlentwicklungen zu
ternehmen Rechnung trägt und ihre zukunftssichernde Ei-          korrigieren. DIE GRÜNEN wollen «das Auseinanderfallen un-
genkapitalbildung sichert sowie ihre Investitionsspielräume      serer Gesellschaft in drinnen und draußen, in arm und reich,
nicht belastet». Hohe Freibeträge für Privatpersonen sollen      oben und unten» stoppen. DIE LINKE fordert einen Kurs-
sicherstellen, dass das normale Einfamilienhaus nicht von        wechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, der konse-
der Vermögenssteuer betroffen sein wird. DIE GRÜNEN wol-         quent mit der Hartz-IV-Logik bricht.
len die Vermögenssteuer mittelfristig verfassungskonform            Auf dem Feld der Gesundheitspolitik möchten die SPD, DIE
wiederbeleben. DIE LINKE fordert eine Vermögenssteuer für        GRÜNEN und DIE LINKE das Zweiklassensystem von gesetz-
Millionäre, bei der die erste Million des Vermögens steuerfrei   licher und privater Krankenversicherung ablösen. Sie streben
bleibt und danach ein Steuersatz in Höhe von fünf Prozent        eine Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege an, in die
auf Privat- und Betriebsvermögen erhoben wird (unter Ab-         alle BürgerInnen einbezogen und zu deren Finanzierung alle
zug der darauf lastenden Schulden).                              Einkommensarten herangezogen werden. Die paritätische Fi-          4
nanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitgeber und         men in die Rentenversicherung eingehen – auch die von
    Arbeitnehmer soll wiederhergestellt werden.                      Selbstständigen, BeamtInnen und PolitikerInnen. Die Partei
       Nach den Vorstellungen der LINKEN werde mit der Einfüh-       fordert in diesem Kontext die Aufhebung der Beitragsbemes-
    rung «einer Kasse für alle» die private Vollversicherung über-   sungsgrenzen und die Abflachung der Rentenhöhe.
    flüssig und abgeschafft und die private Krankenversicherung         Während CDU/CSU, FDP und GRÜNE den Anstieg des
    auf Zusatzleistungen beschränkt. DIE LINKE fordert darüber       Renteneintrittsalters auf 67 Jahre für notwendig halten,
    hinaus die Abschaffung jeglicher Zuzahlungen und Zusatz-         schweigt die SPD in ihrem Wahlprogramm zu diesem The-
    beiträge, die Einführung eines Präventionsgesetzes, einen        ma. DIE LINKE bezieht in dieser Frage als einzige der im Bun-
    Stopp der Privatisierung von Krankenhäusern und die Über-        destag vertretenen Parteien eine gegenteilige Position: Da-
    führung privatisierter Kliniken in öffentliche und nichtkom-     mit der Lebensstandard im Alter gesichert werden könne,
    merzielle Trägerschaften. DIE LINKE verlangt den Stopp der       müsse das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente durch
    mit fünf Euro im Monat geförderten privaten Pflegezusatz-        Streichung der Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel wie-
    versicherung.                                                    der auf 53 Prozent erhöht und die Rente erst ab 67 Jahren
       Dagegen lehnen CDU/CSU und FDP eine Bürgerversiche-           abgeschafft werden. Nach 40 Beitragsjahren – einschließ-
    rung im Bereich Gesundheit und Pflege als «staatliche Ein-       lich gleichgestellter Zeiten – soll ein abschlagsfreier Ein-
    heitsversicherung für alle» beziehungsweise als «Bürger-         stieg in die Rente möglich sein. Zudem sollen (unabhängig
    zwangsversicherung» entschieden ab. Die Unionsparteien           vom Geburtsjahr des Kindes) Müttern oder Vätern drei Jah-
    streben in der Gesundheitspolitik keinen Kurswechsel an.         re Kindererziehungszeiten in der Rente angerechnet werden.
    Sie bekennen sich zum Wettbewerb der Krankenkassen und           Schließlich will DIE LINKE eine solidarische Mindestrente
    sind der Auffassung, die private Krankenversicherung leiste      von monatlich 1.050 Euro netto einführen.
    mit ihren individuellen Kapitalrücklagen einen wichtigen Bei-       Allerdings versprechen auch CDU/CSU, SPD und GRÜNE,
    trag zur Nachhaltigkeit und Umsetzung von Neuerungen im          der drohenden Altersarmut gegenzusteuern. CDU und CSU
    Gesundheitswesen. Auch die Pflegeversicherung habe sich          sagen zu, ab 2014 für alle Mütter und Väter, deren Kinder
    bewährt und solle weiterentwickelt werden. Sie entbinde je-      vor 1992 geboren wurden, die Erziehungsleistung mit einem
    doch den Einzelnen nicht davon, seine Eigenverantwortung         zusätzlichen Rentenpunkt in der Alterssicherung zu berück-
    und Eigeninitiative wahrzunehmen, was mit der staatlichen        sichtigen («Mütterrente»). Wer jahrzehntelang gearbeitet
    Förderung einer privaten Pflegezusatzversicherung unter-         habe, dürfe im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen
    stützt werden soll.                                              sein. «Wer 40 Jahre versichert ist und privat vorgesorgt hat,
       Das Motto der FDP lautet: «Privat kommt vor Staat». Sie       soll einen Zuschuss zur Rente auf 850 Euro erhalten.» Die
    will nicht nur die privaten Krankenkassen stärken, sondern       Unionsparteien planen, eine Altersvorsorgepflicht für alle
    den Gesundheitsfonds wieder «zurückführen» und offen-            Selbstständigen einzuführen, die nicht bereits anderweitig
    sichtlich schrittweise durch eine Kranken- und Pflegeversi-      abgesichert sind.
    cherung ersetzen, die – bei Aufhebung der Lohnbezogen-              Die SPD meint, dass ohne die Bekämpfung der Erwerbs-
    heit – generell auf einem Prämiensystem mit Kapitaldeckung       armut der Altersarmut nicht wirksam begegnet werden kön-
    beruhen würde. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversi-         ne. Sie verspricht, das derzeitige Niveau bei den Leistungen
    cherung will die FDP die «Budgetmedizin» abschaffen und          der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Ende des Jahr-
    (im Sinne der Kopfpauschale) das Kostenerstattungsprinzip        zehnts aufrechtzuerhalten. Wer seit vielen Jahren der gesetzli-
    einführen. Dafür sollen die PatientInnen eine Rechnung er-       chen Rentenversicherung angehöre und Beiträge gezahlt ha-
    halten, in der die Kosten der in Anspruch genommenen Leis-       be, müsse eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung
    tungen aufgezeigt sind. «Einer Einheitskasse mit Einheitsver-    erhalten. Parallel zu einem gesetzlichen Mindestlohn will die
    sorgung für den Einheitspatienten erteilen wir eine Absage.»     SPD darum eine steuerfinanzierte «Solidarrente» einführen.
       Bei der Rentenpolitik stehen sich – ähnlich wie im Bereich    Diese soll dafür sorgen, dass für langjährig Versicherte (30
    Gesundheit und Pflege – zwei unterschiedliche Konzepte           Beitragsjahre/40 Versicherungsjahre) die Rente nicht unter
    konträr gegenüber: Während die FDP und auch CDU/CSU              850 Euro liegt. DIE GRÜNEN wollen die Riesterrente grundle-
    die heutige gesetzliche Rentenversicherung in stärkerem          gend reformieren und für langjährig Versicherte eine steuerfi-
    Maße durch private und betriebliche Vorsorge ergänzen            nanzierte Garantierente von mindestens 850 Euro einführen.
    möchten, plädieren SPD, GRÜNE und LINKE (wenn auch                  Während die Unionsparteien die Auffassung vertreten,
    graduell und vom Zeithorizont her unterschiedlich) für die       dass eine Angleichung der Renten in Ost und West mit dem
    Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung            geltenden Recht zu erreichen sei, plädieren SPD, GRÜNE,
    zu einer Bürgerversicherung. Während die Unionspartei-           LINKE und FDP in ihren Wahlprogrammen für die Vereinheit-
    en dieses Thema in ihrem Wahlprogramm nicht aufgreifen,          lichung des Rentenrechts in Ost und West. DIE GRÜNEN tre-
    lehnt insbesondere die FDP eine Bürgerversicherung ab und        ten dafür ein, den Rentenwert Ost auf den Rentenwert West
    schmäht sie als «Einheitsrente».                                 so anzuheben, dass die bisher erworbenen Rentenansprüche
       Die SPD will mit der Ausweitung des Versichertenkreises       konstant bleiben. Die SPD will mit der Angleichung der Ren-
    in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Schritt zu ei-      tenwerte den Aufwertungsfaktor für Löhne in Ostdeutsch-
    ner Erwerbstätigenversicherung machen, in der alle zu glei-      land abschaffen. DIE LINKE fordert, die Angleichung dürfe
    chen Bedingungen für das Alter und bei Erwerbsminderung          nicht zum Nachteil der heute Versicherten führen. Deshalb
    versichert sind. Nach dem Willen der GRÜNEN soll die Ren-        müsse die Hochwertung der ostdeutschen Löhne und Gehäl-
    tenversicherung mittelfristig zur Bürgerversicherung weiter-     ter erhalten bleiben, solange es noch starke Lohndifferenzen
    entwickelt werden, in die alle BürgerInnen, das heißt auch       zwischen Ost und West gebe. Es müsse zudem Schluss sein
    BeamtInnen, Selbstständige und Abgeordnete, auf alle Ein-        mit den rund 20 Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen,
    kommensarten unabhängig vom Erwerbsstatus einzahlen.             die für verschiedene Berufs- und Betroffenengruppen im Zu-
5   Nach Auffassung der LINKEN sollen alle Erwerbseinkom-            ge der Rentenüberleitung geschaffen wurden.
Die Regelungen beim Arbeitslosengeld II werden von CDU/           miteinander verbunden. In diesem Sinne will die Partei ver-
CSU und SPD nicht thematisiert und damit offenbar auch            hindern, dass die Kosten der Energiewende auf die Bevölke-
nicht infrage gestellt. DIE GRÜNEN wollen den Regelsatz für       rung abgewälzt werden.
das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro anheben. Für Sanktio-           Hinsichtlich der Energiepolitik versprechen alle Parteien in
nen soll zunächst ein Moratorium gelten, bis die Sanktions-       ihren Programmen, sich für Erneuerbare Energien, für Stra-
regeln entschärft sind. DIE GRÜNEN möchten beim Arbeits-          tegien zur Reduzierung des Energieverbrauchs und vor allem
losengeld II längerfristig die Grundlage der Berechnung von       für eine bezahlbare Energiewende einzusetzen. Sie unter-
der Bedarfsgemeinschaft auf individuelle Existenzsicherung        scheiden sich jedoch in Bezug auf die zeitlichen Dimensio-
umstellen. DIE LINKE besteht dagegen auf ihrer Forderung          nen, auf die Gewichtung der einzelnen Energiequellen, auf
«Hartz IV muss weg!» und verlangt eine bedarfsgerechte und        die Verknüpfung der Energieproblematik mit wirtschaftli-
sanktionsfreie Mindestsicherung. Kurzfristig müssten die          chen und/oder sozialen Fragen und auf den Stellenwert öf-
Hartz-IV-Regelsätze auf 500 Euro erhöht und die Sanktionen        fentlicher Regulierungen des Energiesektors.
sowie die sogenannten Ein-Euro-Jobs abgeschafft werden.              Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hal-
Anstelle der Bedarfs- und Einsatzgemeinschaften müsse das         ten am Ausstieg aus der Kernkraft fest, beziehen aber un-
Individualprinzip unter Berücksichtigung der gesetzlichen         terschiedliche Positionen zur Nutzung fossiler Energieträger.
Unterhaltsverpflichtungen eingeführt werden.                      Die CDU/CSU verspricht, sich dafür einzusetzen, dass für alle
    Die FDP hält an den gegenwärtigen Regelungen zum Ar-          Kernkraftwerke (KKW) in der EU rechtlich bindende Vorga-
beitslosengeld II fest und betont, es müsse dabei bleiben,        ben auf der Basis deutscher Stresstests eingeführt werden.
dass bei Ablehnung einer zumutbaren angebotenen Arbeit            Sie will für die «heimische Braunkohle» den Bau neuer, effi-
das Arbeitslosengeld II gekürzt werden kann. Längerfristig        zienter Kraftwerke beschleunigen und für Investoren stabile
will sie an dessen Stelle ein «Liberales Bürgergeld» einführen.   und verlässliche Bedingungen schaffen. Die FDP möchte die
    SPD und GRÜNE möchten mittelfristig die Arbeitslosen-         stillgelegten KKW möglichst zügig zurückbauen, jedoch die
versicherung zu einer Arbeitsversicherung für alle weiter-        Kernforschung und eine entsprechende Hochschulausbil-
entwickeln. DIE LINKE fordert eine Versicherung gegen             dung in Deutschland erhalten. Die SPD hält Kohle- und Gas-
Erwerbslosigkeit, die den Lebensstandard sichert. Länger-         kraftwerke (im Sinne von Brückentechnologien) nach wie vor
fristig plant DIE LINKE, ein Konzept einzubringen, in dem         für erforderlich. Geht es nach den GRÜNEN, dann darf die
keine Mindestsicherung mehr unter 1.050 Euro liegt. SPD,          Energieversorgung der Zukunft weder auf Atom noch auf
GRÜNE und LINKE wollen das von der CDU/CSU-FDP-Koa-               Kohle und Öl aufbauen. DIE LINKE verlangt für den Ausstieg
lition eingeführte «bildungsfeindliche» Betreuungsgeld wie-       aus der Kohlestromversorgung ein Kohleausstiegsgesetz mit
der abschaffen.                                                   schrittweisen Abschaltungen bis 2040. Neue Kohlekraftwer-
                                                                  ke oder Tagebaue dürften nicht mehr genehmigt werden.
Umwelt-, Energie- und Klimapolitik                                   Hinsichtlich Erneuerbarer Energien in Verbindung mit
Fragen der Umweltpolitik spielen in den Wahlprogrammen            Energieeffizienz und Energieeinsparung verfolgen die Bun-
aller Bundestagsparteien eine wichtige Rolle, nehmen aber         destagsparteien unterschiedliche Zielmarken und setzen
bei den GRÜNEN eine herausgehobene Position ein. DIE              verschiedene Schwerpunkte. Die CDU/CSU will bis zum Jahr
GRÜNEN wollen eine intakte Umwelt und gesunde Ernäh-              2020 den Energieverbrauch um 20 Prozent und den Strom-
rung für alle, den Schutz der Vielfalt der Natur, eine konse-     verbrauch in Gebäuden um mindestens zehn Prozent ver-
quente Politik des ressourcenleichten Wirtschaftens und ein       mindern. CDU/CSU und FDP streben den Ausbau von be-
Umdenken in Konsumgewohnheiten und Lebensstilen, eine             darfsorientierten «denkenden Netzen» und den Ausbau des
bäuerliche Landwirtschaft mit Ökolandanbau und Regional-          europäischen Netzverbundes an. Die FDP fordert einen ga-
vermarktung, ohne Massentierhaltung und Tierquälerei.             rantierten Mindestanteil an Erneuerbaren Energien für den
   Nach Auffassung der Union kommt dem Umweltschutz               EU-Binnenmarkt. Die SPD steuert einen Stromanteil von 40
eine besondere Rolle für den Wirtschaftsstandort Deutsch-         bis 45 Prozent aus Erneuerbaren Energien und von 25 Pro-
land zu. Mit ihrer Hightech-Strategie 2020 möchten CDU            zent aus Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahr 2020 an und
und CSU Forschungs- und Innovationsaktivitäten bündeln            will bis 2030 drei Viertel des Stroms aus Erneuerbaren Quel-
und auf die Zukunftsmärkte Umwelt und Energie, Gesund-            len gewinnen. DIE GRÜNEN wollen bis 2022 bereits die Hälf-
heit und Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunika-          te und bis 2030 sämtlichen Strom aus Erneuerbaren Ener-
tion ausrichten.                                                  gien produzieren. Im Gebäude- und Wärmebereich soll die
   Die FDP will, dass Deutschland als Exporteur von Ideen         Umstellung bis 2040 erfolgen. DIE LINKE möchte in einem
und Innovationen hilft, Energie und Ressourcen zu sparen,         ersten Schritt bis 2020 die Stromversorgung zu 50 und die
Emissionen zu vermeiden und die Lebensqualität und den            Wärmeversorgung zu 20 Prozent aus Erneuerbaren Energi-
Wohlstand der Menschen zu mehren. Sie will die Steue-             en sicherstellen. Sie verlangt langfristig einen Masterplan für
rungswirkung aller Fördermaßnahmen regelmäßig überprü-            Deutschland, nach dem die Strom- und Wärmeversorgung
fen und – wenn notwendig – anpassen.                              komplett aus Erneuerbaren Energien erfolgen soll.
   Die SPD verbindet Umweltschutz mit zukunftsorientierten           Die Klimaschutzziele der Bundestagsparteien sind unter-
Investitionen in gesundheitliche Vorsorge und Lebensquali-        schiedlich ambitioniert. CDU und CSU setzen sich für eine
tät. Luftreinhaltung, Lärmschutz, gesunde Böden, saubere          Anhebung des europäischen Klimaziels ein und wollen errei-
Gewässer, gesunde Lebensmittel und intakte Ökosysteme             chen, dass der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase in
seien Voraussetzungen für Lebensqualität, auf die alle Men-       Europa bis 2020 um 30 Prozent gegenüber 1990 vermindert
schen einen Anspruch hätten. Umweltschutz ist für die SPD         wird. Die FDP möchte den CO2 -Ausstoß national bis 2020
eine Frage sozialer Gerechtigkeit.                                um 40 und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990
   Für DIE LINKE sind soziale Gerechtigkeit, ökologisches         reduzieren. Die SPD strebt eine Absenkung der CO2 -Emissi-
Wirtschaften und eine nachhaltige Lebensweise untrennbar          onen bis zum Jahr 2050 um mindestens 95 Prozent im Ver-           6
gleich zu 1990 an. SPD und GRÜNE verlangen ein verbind-            Die FDP verknüpft demokratische Gestaltung mit Recht-
    liches nationales Klimaschutzgesetz mit Zwischenschritten:         staatlichkeit und solider Haushaltspolitik. Schulden – auch
    40 Prozent Senkung der CO2 -Emissionen bis 2020, 60 Pro-           hier wiederholen die Neoliberalen ihr Lieblingsthema – wür-
    zent bis 2030 und mindestens 80 Prozent bis 2040. Dieses           den «wie Drogen» wirken, die Gesellschaft in Abhängigkeit
    Gesetz soll Ziele für alle klimarelevanten Sektoren (Industrie,    bringen und gegebenenfalls Gesellschaft und Demokratie
    Verkehr sowie Land- und Forstwirtschaft) beinhalten.               existenziell bedrohen. Erste Voraussetzung zur Gestaltung
       DIE GRÜNEN setzen sich darüber hinaus für eine verbind-         demokratischer Gesellschaften sei deshalb der Abbau von
    liche Fortentwicklung der bis 2030 in der Europäischen Uni-        Schulden.
    on zu erreichenden Ziele in der Klimapolitik, beim Anteil der        Die SPD beschreibt sich als große politische Kraft für De-
    Erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieerzeugung so-            mokratie und Emanzipation in Deutschland, die vor 80 Jah-
    wie bei der Energieeffizienz ein: Bis dahin sollen die EU-Treib-   ren als einzige Partei das Ermächtigungsgesetz der Nazis
    hausgasemissionen um 45 Prozent sinken und der EU-Anteil           abgelehnt habe. Sie verknüpft demokratische und soziale
    der Erneuerbaren Energien auf 45 Prozent steigen. Die Öko-         Teilhabe und verweist auf den Zusammenhang von zuneh-
    Partei fordert zudem einen EU-Vertrag für Erneuerbare Ener-        mender Arbeitslosigkeit, gesellschaftlicher Spaltung und
    gien. DIE LINKE will bis 2020 den Treibhausgasausstoß in           schwindendem Vertrauen in die Demokratie.
    der Bundesrepublik gegenüber 1990 halbieren und bis 2050             Die GRÜNEN stehen für eine Erneuerung der Demokratie
    um mindestens 90 Prozent reduzieren. Der Anteil der Erneu-         durch Transparenz, Öffentlichkeit, Bürgerbeteiligung, Stär-
    erbaren Energien an der Stromversorgung soll bis 2020 auf          kung der Repräsentation und den Kampf gegen alte und
    50 Prozent erhöht werden.                                          neue Nazis. Sie plädieren für die demokratische Teilhabe aller
       Hinsichtlich des Emissionshandels gehen die Meinungen           durch direkte Beteiligungsmöglichkeiten, für geschlechter-
    der Bundestagsparteien weit auseinander. Während aus               gerechte Repräsentanz und für Bekämpfung der Korruption.
    Sicht der LINKEN der Emissionshandel versagt habe und da-          Zur Demokratie gehören für sie Demonstrationen, mitunter
    her durch verbindliche Vorgaben ersetzt werden müsse, hal-         auch ziviler Ungehorsam.
    ten CDU/CSU, FDP, SPD und GRÜNE an ihm fest. Die SPD                 DIE LINKE will keine «marktkonforme Demokratie» wie die
    will den darniederliegenden europäischen Emissionshandel           CDU, sondern will Märkte und Wirtschaft der Demokratie an-
    als das zentrale marktwirtschaftliche Instrument reaktivie-        passen und dazu soziale und Bürgerrechte stärken. Wer ver-
    ren, um Investitionen in Energieeffizienz anzureizen. CDU/         fügt über den gesellschaftlichen Reichtum, wer bestimmt,
    CSU und FDP setzen sich für eine schrittweise Einbeziehung         was, wann, wie, wo und in welchem Umfang produziert wer-
    weiterer Länder in den Emissionshandel ein mit dem Ziel, ein       de – solche Fragen betreffen nach Auffassung der LINKEN in
    weltweites Handelssystem zu entwickeln. Die Union will da-         ihrem Kern die Eigentumsfrage und daher das «Wesen der
    zu die Idee eines «Clubs der Energiewendestaaten» umset-           Demokratie». Die Partei bindet damit die Demokratie- an die
    zen, der alle Vorreiter einer umwelt- und klimaverträglichen       Eigentumsfrage: Ohne ein leistungsfähiges öffentliches Ei-
    Energieversorgung vereinigt.                                       gentum, das heißt ein kommunales, regionales, genossen-
       DIE GRÜNEN wollen den Emissionshandel durch Verknap-            schaftliches, gemeinwirtschaftliches oder staatliches Eigen-
    pung der Verschmutzungsrechte, höhere Standards und ei-            tum, könne eine Demokratie nicht funktionieren.
    nen Mindestpreis für CO2 stärken. Bis dahin soll Deutschland         Hinsichtlich der Ergänzung der repräsentativen Demo-
    durch Einführung eines nationalen Mindestpreises, der An-          kratie durch Elemente der direkten Demokratie fordern FDP,
    reize schafft, alte Kohlekraftwerke stillzulegen und in Klima-     SPD, GRÜNE und LINKE Volksinitiativen, Volksbegehren
    schutz zu investieren, vorangehen. Statt einer Ausweitung          und Volksentscheide auf Bundesebene, während die Union
    des Emissionshandels auf den gesamten Verkehrs- und Wär-           sich zu diesem Thema nur bedingt äußert. Die FDP will diese
    mesektor, wie dies die FDP fordert, streben DIE GRÜNEN             direktdemokratischen Elemente verfassungsrechtlich veran-
    in anderen Emissionssektoren eine stärkere Kopplung der            kern. DIE GRÜNEN wollen die Finanzierung bei Kampagnen
    Energiesteuern an den CO2 -Ausstoß an. Dagegen lehnt die           für Volksentscheide transparent machen und die Spenden-
    FDP explizit eine Ersetzung des EU-Emissionshandels durch          höhe wie bei der Parteienfinanzierung begrenzen. DIE GRÜ-
    eine «CO2 -Steuer» ab.                                             NEN und DIE LINKE fordern außerdem auch auf EU-Ebene
                                                                       Volksentscheide. DIE LINKE verlangt für Volksentscheide
    Bürgerrechte und Demokratie                                        niedrige Zugangshürden sowie umfassende Informations-
    In Bezug auf Bürgerrechte und Demokratie besteht ein tiefer        und Auskunftsrechte.
    Graben zwischen den Auffassungen der GRÜNEN, der LIN-                Ein gewisses Umdenken hat offenbar auch in der Union
    KEN und – mit gewissen Abstrichen – der FDP und der SPD            eingesetzt. So wollen CDU und CSU Betroffene vor allem bei
    auf der einen Seite und der CDU/CSU auf der anderen Seite.         Großvorhaben wie Flughafenerweiterungen oder dem Aus-
    Während die erstgenannten Parteien über die Erweiterung            bau von Windkraftanlagen und Stromnetzen einbinden. Dies
    von Bürgerrechten und Demokratie nachdenken, ist dies für          müsse bei der Klärung des Bedarfs beginnen und verbunden
    die Union kein Thema. Vielmehr laufen die von ihr anvisierten      sein mit Verfahren zur frühzeitigen Beteiligung. Außerdem
    Maßnahmen im Kern auf eine deutliche Einschränkung von             solle die Geltungsdauer von Genehmigungen und Planfest-
    Bürgerrechten und Demokratie hinaus.                               stellungsbeschlüssen befristet werden. Die FDP setzt sich
      Die Unionsparteien fordern eine «wehrhafte Demokratie»           für Bürgerplenarverfahren und für ein fakultatives Gesetzes-
    und verbinden diese Vorstellung mit dem Kampf gegen jede           referendum ein.
    Form von Extremismus, Terrorismus und religiösem Funda-              FDP, SPD, GRÜNE und LINKE wollen das Wahlrecht auf
    mentalismus. Andererseits erklären sie, dass Demokratie in         neue Wählergruppen ausweiten. SPD, GRÜNE und LINKE
    der Gesellschaft für sie die Möglichkeiten des Mitmachens,         möchten das Mindestalter für Wahlberechtigte auf 16 Jah-
    des bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteili-          re senken. DIE LINKE fordert ein Wahlrecht für alle seit fünf
7   gung vor allem bei Großvorhaben bedeute.                           Jahren in Deutschland lebenden Menschen. Die FDP plädiert
für ein kommunales Ausländerwahlrecht für Drittstaatsan-         AsylbewerberInnen nach den Vorgaben des Bundesverfas-
gehörige. DIE GRÜNEN streben das kommunale Wahlrecht             sungsgerichts reformieren, GRÜNE und LINKE möchten das
auch für Menschen ohne deutschen Pass oder Unionsbür-            Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. DIE LINKE for-
gerschaft an. Zudem treten sie dafür ein, das Wahlrecht für      dert darüber hinaus die Abschaffung der Unterbringung von
Obdachlose zu gewährleisten. SPD und GRÜNE setzen sich           Asylsuchenden in Sammellagern.
dafür ein, dass Menschen, die unter Betreuung stehen, das          FDP, SPD und GRÜNE streben eine weitergehende Blei-
Wahlrecht nicht automatisch entzogen wird. DIE LINKE             berechtsregelung für AsylbewerberInnen an. Sie wollen das
lehnt bei diesen Personen den Entzug des Wahlrechts gene-        Aufenthaltsgesetz so ändern, dass ausreisepflichtige Ju-
rell ab. Nicht zuletzt fordert DIE LINKE die Abschaffung der     gendliche und Heranwachsende nach erfolgreichem Schul-
Fünf-Prozent-Sperrklausel.                                       besuch sowie sonstige ausreisepflichtige Personen ein stich-
   Unterschiedliche Akzente setzen die Bundestagspartei-         tagsunabhängiges Bleiberecht erhalten. DIE LINKE fordert
en bei der informationellen Selbstbestimmung. GRÜNE und          ein Bleiberecht für alle Menschen mit unsicherem Aufent-
LINKE lehnen die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich           haltsstatus, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben.
ab, die FDP lediglich die «anhaltslose» Vorratsdatenspei-
cherung. DIE LINKE wendet sich zudem strikt gegen Be-            AuSSen- und Sicherheitspolitik
standsdatenauskünfte und Online-Durchsuchungen, gegen            Alle im Bundestag vertretenen Parteien erklären, dass sich
nichtindividualisierte Funkzellenabfragen, gegen Video-,         ihre Politik an der weltweiten Anerkennung und Durchset-
Späh- und Lauschangriffe sowie gegen Rasterfahndun-              zung der Menschenrechte orientiert, an einer friedlichen,
gen. DIE LINKE plädiert für datenschutzfreundliche Technik,      wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Entwicklung, an Ar-
für datensparsame Grundeinstellungen bei Webdiensten,            mutsbekämpfung, politischer Stabilität und Völkerverständi-
Smartphones, Tablet-Computern und Apps sowie für das             gung. CDU/CSU und FDP thematisieren in diesem Zusam-
Recht, die eigenen Daten «mitzunehmen» oder zu löschen.          menhang die «globale Verantwortung» Deutschlands und
Sie ist für eine klare Trennung zwischen Polizei und Nachrich-   verbinden sie mit verlässlichen Partnerschaften und Bünd-
tendiensten.                                                     nispflichten im Rahmen der UNO, der OSZE, der Nato und
   DIE GRÜNEN stellen sich gegen ein Zwei-Klassen-Inter-         der EU. CDU/CSU, FDP und SPD wollen die militärische Zu-
net, wollen daher den Grundsatz der Netzneutralität gesetz-      sammenarbeit in der EU vertiefen, die FDP und die SPD lang-
lich verankern und das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10        fristig auch europäische Streitkräfte aufbauen. Nach dem
GG zu einem umfassenden Kommunikations- und Medien-              Willen der LINKEN darf Krieg kein Mittel der Politik sein. DIE
nutzungsgeheimnis weiterentwickeln. Die SPD konzentriert         LINKE fordert deshalb den Rückzug aller deutschen Solda-
sich bei diesem Thema auf einen besseren Schutz vor Über-        tInnen aus den Auslandseinsätzen.
wachung und dem unkontrollierten Abspeichern sensibler              In der Haltung zur Nato gibt es eine tiefe Kluft zwischen
Personaldaten von ArbeitnehmerInnen und fordert dazu ein         CDU/CSU, FDP, SPD und GRÜNEN auf der einen Seite und
eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz.                           der Partei DIE LINKE auf der anderen Seite. Während sich
   Die Union will bei der Überarbeitung des EU-Datenschutz-      CDU/CSU, FDP und SPD zur Nato bekennen, wollen DIE
rechtes das Recht auf Selbstbestimmung über die persön-          GRÜNEN die Nato so reformieren, dass sie in eine multilate-
lichen Daten und den Schutz der Privatsphäre erhalten. Bei       rale Sicherheitsarchitektur integriert werden kann. Russland
der Nutzung von persönlichen Daten müsse der «Grund-             und alle osteuropäischen Länder müssten eingebunden wer-
satz der ausdrücklichen Einwilligung gelten». Die CDU/CSU        den. Die Nato solle künftig Motor bei Rüstungskontrolle und
möchte das Recht auf das Löschen der eigenen Daten vor           Abrüstung sein. DIE LINKE fordert dagegen die Auflösung
allem in sozialen Netzwerken und die Berücksichtigung des        der Nato und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicher-
Datenschutzes in der Entwicklung neuer Techniken und Pro-        heitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als
dukte durchsetzen.                                               ein zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung
   FDP, SPD, GRÜNE und LINKE wenden sich explizit gegen          über den Verbleib Deutschlands in der Nato setzt sich DIE
jegliche Diskriminierung aufgrund von Religion, ethnischer       LINKE dafür ein, dass Deutschland aus den militärischen
Herkunft, Geschlecht oder Behinderung und treten für geis-       Strukturen des Bündnisses austritt.
tige und körperliche Unversehrtheit, gegen weibliche Geni-          CDU/CSU, FDP, SPD und GRÜNE stehen zur Bundeswehr
talverstümmelung und gegen häusliche Gewalt ein. Darü-           und ihren Auslandseinsätzen, binden aber Auslands- und
ber hinaus setzen sich FDP und LINKE für die Ratifizierung       Kampfeinsätze der Bundeswehr an das Völkerrecht sowie
des Zusatzprotokolls zum Pakt der UNO über wirtschaftliche,      an Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates. DIE LINKE lehnt
soziale und kulturelle Rechte ein, das es Einzelpersonen er-     Kampfeinsätze der Bundeswehr ab. Sie will den Umbau der
möglicht, persönliche Rechte vor einem internationalen Gre-      Bundeswehr in eine Einsatzarmee stoppen, die Bundeswehr
mium einzuklagen.                                                in den kommenden vier Jahren drastisch verkleinern und zu
   In der Asyl- und Flüchtlingspolitik wollen FDP, SPD, GRÜ-     einer strukturell nichtangriffs- und nichtinterventionsfähigen
NE und LINKE eine ganze Reihe von restriktiven Bestimmun-        Armee abrüsten. Langfristig will DIE LINKE eine Welt ohne
gen abschaffen, während die Union auf diesem Politikfeld         Kriege und deshalb ein Deutschland und ein Europa ohne Ar-
offenbar kaum Handlungsbedarf sieht. FDP, SPD und LIN-           meen. DIE LINKE und DIE GRÜNEN lehnen einen Einsatz der
KE wollen die Residenzpflicht abschaffen. Nach dem Willen        Bundeswehr im Inneren ausdrücklich ab.
von FDP und GRÜNEN soll auch die Arbeitserlaubnispflicht            CDU/CSU, FDP und SPD bejahen den Kampfeinsatz der
für AsylbewerberInnen entfallen. Auch die SPD will ihnen         Bundeswehr in Afghanistan, wollen ihn allerdings 2014/15
den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Nach Auffassung         beenden. Ab 2015 soll sich die Bundeswehr vorrangig um
der LINKEN stehe Asylsuchenden das gleiche Recht auf Ar-         die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheits-
beit, Grundsicherung und Gesundheitsversorgung zu wie            kräfte kümmern. Auch DIE GRÜNEN bekennen sich zu die-
den BürgerInnen Deutschlands. Die SPD will Leistungen für        sem Einsatz, wollen seiner Verlängerung über 2014 hinaus         8
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