Como México no hay dos! - Wie Mexiko, kein Zweites! - De ...

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7. ¡Como México no hay dos! – Wie Mexiko, kein Zweites!

                                                  Esto, ¡ni Dios lo arregla!
                                                  (Das bringt nicht einmal Gott in Ordnung)
                                                  (Mexikanische Volksweisheit)

»Esto, ni Dios lo arregla«, sagt ein mexikanisches Sprichwort. Für die dortigen Pro-
testanten ist dies kaum mehr als volkskatholischer Fatalismus; für Befürworter einer
laizistischen Staats- und Gesellschaftsordnung vielleicht eine Ermutigung, Gott bes-
ser gleich außen vor zu lassen. Letzteres hat bis zu den 1990er Jahren gut funktioniert
und schlägt sich im geringen protestantischen Bevölkerungsanteil von nur 7 % (Pew Re-
search Center 2014b) nieder. Aufgrund streng laizistischer Gesetzgebung hat auch die
Nähe zu den USA nicht zu einer dominanten Präsenz von Missionaren geführt. Die geo-
grafische Nähe bedingt vielmehr vor allem die Rolle des Landes für den Drogenhandel
und trägt somit nicht nur zur hohen Homizidrate von 19 Personen pro 100.000 Einwoh-
nern bei (gegenüber 3 in Chile, 7 in Nicaragua, aber 27 in Guatemala)1 sondern auch zu
verbreiteter Korruption und einer allgemeinen gesellschaftlichen Unsicherheit; zudem
verstärkt die Drogen-Ökonomie die soziale Ungleichheit.2 Diese Daten sind vor allem
deshalb interessant, weil sie unmittelbar das Bedürfnis der Bevölkerung nach Ordnung,
Verlässlichkeit und Gewaltlosigkeit plausibel machen. Dass mit diesem Wunsch aller-
dings eine religiös-politische Option verbunden ist oder gar eine Option für die protes-
tantische Alternative zur katholischen Volksreligion, ist in Mexiko keineswegs klar. Die
lange Tradition eines strengen Laizismus hat unterschiedliche Plausibilitäten geschaf-
fen als es in anderen lateinamerikanischen Ländern, wie etwa Brasilien, oder auch in
den USA der Fall ist.
    Den Effekten der starken Laizität in Mexiko werden wir unten noch besondere Auf-
merksamkeit widmen. Daneben besteht eine Besonderheit der religiösen Landschaft

1   Vgl. http://hdr.undp.org/en/indicators/61006 (Zugegriffen 01.03.2019). USA und Deutschland zum
    Vergleich: 5 und 1.
2   Mexiko liegt im Ranking der Vereinten Nationen mit einem Ungleichheitskoeffizienten von 21 et-
    wa bei Nicaragua (23) oder Brasilien (23), deutlich höher als Chile (15) oder Venezuela (17), aber
    deutlich niedriger als Guatemala (28). Das Maximum hält Niger (189), das Minimum Norwegen
    (1). Vgl. http://hdr.undp.org/en/indicators/135006 (Zugegriffen 20.03.2019).
480   Die Taufe des Leviathan

      Mexikos in der regionalen Verteilung des protestantischen Bevölkerungsanteils. Der At-
      las religiöser Diversität in Mexiko (De la Torre Castellano und Gutiérrez Zúñiga 2007;
      2014; De la Torre Castellanos, Hernández Hernández und Gutiérrez Zúñiga 2017) zeigt,
      dass die katholische Dominanz vor allem in den südlichen Staaten und entlang der
      Grenze zu den USA herausgefordert ist, und zwar durch Protestanten und Menschen
      ohne Religion. Diese regionale Verteilung ist nur von geringer Bedeutung, wenn es um
      die bundesweite Politik in der Hauptstadt geht, dennoch lohnt sich ein kurzer Blick auf
      die eigentümliche Verteilung.
          Der Süden und Südosten repräsentiert den mesoamerikanischen Teil Mexikos mit
      deutlichen kulturellen Unterschieden zum Zentrum und zum Norden. Die Unterschie-
      de liegen nicht zuletzt in der indigenen Bevölkerung, die zum großen Teil zur Ethnie
      der Maya gehört, wie auch die meisten Indigenas in Guatemala.3 Zum großen Teil han-
      delt es sich hier um einen ethnischen Protestantismus, der stark in der lokalen Poli-
      tik verwickelt ist, für die Politik in der Hauptstadt aber nur als gelegentlich genutztes
      Reservoir für protestantische Führungskräfte von Bedeutung ist. Der indigene Protes-
      tantismus in Chiapas ist in erster Linie eine Reaktion auf die von der Katholischen
      Kirche repräsentierte Dominanz der nicht-indigenen Bevölkerung. In zweiter Linie ist
      er aus innerdörflicher Opposition gegen konservative und mit der Katholischen Kirche
      verbundene indigene Caziques (Anführer) hervorgegangen. Durch entsprechende Ver-
      treibungen entstanden beispielsweise in San Cristóbal de las Casas neue Slums und
      protestantische Gemeinden und im Hochland ganze Dörfer mit mehrheitlich protes-
      tantischer Bevölkerung. Der weitgehend indigene Aufstand der zapatistischen Bewe-
      gung ab 1994 hat indes nur am Rande mit der religiösen Orientierung der Bevölkerung
      zu tun. Innerhalb der Katholischen Kirche war er allerdings insofern von Bedeutung als
      der Bischof von San Cristóbal, Monseñor Samuel Ruiz, als Mediator in diesem Konflikt
      und als einer der letzten großen Vertreter der Befreiungstheologie in Mexiko aufgetre-
      ten ist und sich viele Feinde in der mit den staatlichen Führungseliten seit 1992 eng
      kollaborierenden Bischofskonferenz gemacht hat.
          Im Norden (Hernández Hernández 2013; 1996; Ramírez 2015) hat die Nähe zu den
      USA, wie wir unten noch sehen werden, zu Missionsaktivitäten und vor allem zu Ver-
      flechtungen durch Grenzverkehr geführt. Zudem war die Katholische Kirche nicht zu-
      letzt wegen des staatlichen Laizismus in dem großen und dünn besiedelten Gebiet nur
      sehr schwach repräsentiert. Dementsprechend verbreiteten sich Pfingstkirchen in den
      Siedlungen entlang der Fernstraßen und Eisenbahntrassen für mexikanische Verhält-
      nisse relativ schnell. Was deren gesellschaftliche Präsenz und politische Rolle angeht,
      ist der an Kalifornien angrenzende Nordwesten dynamischer als die Grenzgebiete zu
      Arizona, New Mexico und Texas. In Baja California bildeten sich denn auch einige we-
      nige Organisationen heraus, die nach dem Modell der Formation Management agieren
      und für die Bundespolitik gewisse Bedeutung erlangten.
          Generell gilt für Mexiko, dass religiöse Akteure gern zivile NROs gründen. Um lai-
      zistische Gesetzgebung zu umgehen und die Behörden hinters Licht zu führen, kommt

      3    Zum Protestantismus in Chiapas und generell im Süden siehe Arbeiten aus dem CIESAS in San
           Cristóbal de las Casas, Rivera Farfán 2007; Rivera Farfán und Juárez Cerdi 2007; siehe auch Cantón
           Delgado 1997; Garma Navarro 2002; Uribe Cortez 2015.
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es sogar zum falschen Ausflaggen von Megakirchen als nicht-religiösen Organisatio-
nen.4 Im Übrigen gilt auch für Mexiko – wenn auch in einem wesentlich engeren Rah-
men als in Brasilien –, dass nicht jede Grenzüberschreitung religiöser Akteure in die
Politik gesetzlich geahndet wird. Die öffentliche Kritik ist allerdings deutlich stärker.
Akteure aus der Formation Management sind auch für die Entstehung des Partido de
Encuentro Social (PES) verantwortlich, mit der sich die Partei Morena des aktuellen Prä-
sidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) im Wahlkampf zusammengeschlossen
hat. Da der Protestantismus deutlich schwächer ist als in anderen lateinamerikanischen
Ländern, hatten die protestantischen Organisationen historisch einen deutlich gerin-
geren Handlungsspielraum. Das änderte sich mit einer Verfassungsänderung 1992 zu
einem gewissen Grad. Jedenfalls stiegen damit die Möglichkeiten religiöser Organisa-
tionen, pragmatische Allianzen einzugehen.
     Was die Bevölkerung als Ganze angeht, so ist sie hochreligiös, aber nicht im Blick
auf Politik, sondern im Sinne einer sehr diversen Alltagsreligiosität (vgl. z.B. Suárez
2011). In Hinsicht auf Politik gilt immer noch der im Habitus der mexikanischen Bevöl-
kerung tief verankerte Laizismus.
     Was den Protestantismus im Besonderen betrifft, so steht er wie in anderen Län-
dern in einer Auseinandersetzung an zwei Fronten. Die jeweiligen Gegner sind aller-
dings deutlich stärker als in den meisten anderen Fällen. Die katholische Hierarchie
ist zwar durch den Laizismus traditionell eingehegt, agierte aber nach der von Salinas
de Gortari durchgeführten Verfassungsänderung von 1992 und darauf folgenden poli-
tischen Avancen in einem Pakt zwischen Bischöfen sowie politischen und wirtschaftli-
chen Führungskreisen – bis zum Besuch von Papst Franziskus. Der Laizismus unter-
wirft seit Langem die protestantischen Akteure einem für Lateinamerika und die USA
ungewöhnlich starken Kontrollregime, das erst durch die Verfassungsänderungen von
1992 und 2013 durchlässiger geworden ist. Dies zwingt die protestantischen Organi-
sationen allerdings auch dazu, ihre Interessen weniger stark religiös zu formulieren
und zu begründen, sondern ihren Diskurs stärker an den der säkularen Öffentlichkeit
anzupassen.
     Umso mehr überrascht es, dass in dieser Gemengelage mit López Obrador ein Mann
Präsident wurde, der aus einer adventistischen Familie stammt, bekennender Christ
ist und gelegentlich im Diskurs Affinitäten zum Protestantismus erkennen lässt. In
der säkularistischen Öffentlichkeit hat das für einige Aufregung gesorgt, nicht zuletzt
weil mexikanische Journalisten aufgrund des verbreiteten Säkularismus im Allgemei-
nen wenig geübt sind im Umgang mit Religion. Die Einschätzung, AMLO sei der erste
bekennende protestantische Präsident des Landes, ist wahrscheinlich richtig. Damit ist
allerdings nicht gesagt, welcher Art der Einfluss dieser religiösen Orientierung auf die
Politik ist; und es ist auch nicht gesagt, dass er tatsächlich der erste Präsident unter

4    In diesem Zusammenhang sei hier ein aktueller Skandal erwähnt. Der Führer der mexikanischen
     Organisation Luz del Mundo (Licht der Welt) Naasón Merarí Joaquín García wollte seinen 50. Ge-
     burtstag im Kulturpalast Bellas Artes feiern und hatte diese religiöse Veranstaltung als säkulare
     Kulturveranstaltung angemeldet. Das Kulturministerium sah sich hinters Licht geführt und re-
     agierte vergrätzt. Vgl. Petersen Farah 2019; Beauregard 2019.
482   Die Taufe des Leviathan

      protestantischem Einfluss ist. Ein Blick auf Felipe Calderón ist in diesem Zusammen-
      hang interessant. Unter den Beobachtern nehmen die besonnenen und im Bereich der
      Religion kenntnisreichen allerdings auch wahr, dass das Umfeld des Präsidenten AMLO
      durchaus säkular und laizistisch ist, ebenso wie der größte Anteil seiner politischen Ak-
      tivitäten. Die Frage stellt sich allerdings, wie der Laizismus nunmehr interpretiert wird.
      Steht eher die am französischen Modell angelehnte Interpretation der mexikanischen
      Revolution mit einem scharfen Antiklerikalismus und deutlicher Trennung von Staat
      und Kirche im Zentrum; oder wird der Laizismus nun ausgehend von der Religions-
      freiheit verstanden und somit – bei aller Differenz – Offenheit für Kooperationen zwi-
      schen Staat und religiösen Organisationen signalisiert?5 Beide Fragen konzentrieren
      sich heute selbstverständlich auf die Politik der aktuellen Regierung, deren Präsiden-
      ten Andrés Manuel López Obrador ein besonderes Verhältnis zur Religion nachgesagt
      wird.
           Diese Fragen bilden in der Tat auch den Rahmen, in dem die Entwicklung des Pro-
      testantismus und die Versuche protestantischer Akteure, die Politik des Landes zu be-
      einflussen, zu sehen ist.

      7.1    Historische Perspektiven: Laizität, Revolution und
             politische Machthaber

      Wenn die Voraussetzungen des Eintritts protestantischer Akteure in die Geschichte Me-
      xikos auch ähnlich sind wie in anderen Ländern Lateinamerikas – die Kämpfe zwischen
      Liberalen und Konservativen –, so ist doch das Konfliktpotenzial größer (Garma Navar-
      ro 2018; Vásquez Palacios 2008; Suárez 2016; Hernández Hernández, De la Torre Cas-
      tellanos und Gutiérrez Zuñiga 2016). Neben den Kämpfen um Unabhängigkeit sowie
      dem Verlust Guatemalas und anderer zentralamerikanischer Landstriche (1823) war der
      Überfall der USA 1846-48 mit dem Raub riesiger Landflächen im Norden zu verkraften.
      Dazu kam die gewaltsame Einsetzung (1864) des Habsburgers Maximilian, die dessen
      Erschießung (1867) zur Folge hatte, um so der laizistischen Verfassung von 1857 Geltung
      zu verschaffen. Ein Rückschritt – wie auch woanders des Öfteren – war die teilweise
      Rehabilitierung der Katholischen Kirche unter Porfirio Díaz (1876-1880, 1884-1911). Mit
      der mexikanischen Revolution wurde 1917 allerdings eine eherne Laizität festgelegt, die
      praktisch zum »juristischen Verschwinden«6 der Katholischen Kirche führte, die zwi-
      schen 1926 und 1929 gegen aufständische Katholiken in der Guerra Cristera mit einem
      hohen Blutzoll verteidigt werden sollte und daraufhin bis 1992 kompromisslos durch-
      gesetzt wurde. Eine antiklerikale Laizität war somit für über 70 Jahre der Rahmen, in
      dem sich der Protestantismus in Mexiko einen bescheidenen Wirkungsraum in der Ge-
      sellschaft erarbeiten konnte.

      5     Siehe das Interview mit dem Soziologen Bernardo Barranco: A.G. Rojas 2019.
      6     Blancarte Pimentel (2019, 84-85) macht auf die Effekte der Verfassung von 1917, insbesondere des
            Artikels 130, aufmerksam.
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7.1.1     Laizität und Religionsfreiheit

Laizität ist in Mexiko – dank Benito Juárez und, später, dank der mexikanischen Revo-
lution – Staatsraison wie in keinem anderen Land Lateinamerikas.7 Nach der Nieder-
lage im Raubkrieg der USA (1848) und in den Auseinandersetzungen des Krieges der
Reform (Guerra de Reforma, 1858-1861) gelang es den Akteuren um Benito Juárez, die
antiklerikalen Ansätze der Verfassung von 1857 mit neuen Gesetzen zu verschärfen. In
dieser Verfassung war in Anknüpfung an die Verfassung von 1824 bereits Meinungs-
freiheit vorgesehen, das (u.a. die Katholische Kirche betreffende) Verbot von Sonder-
gerichtsbarkeit sowie die Einschränkung des Erwerbs von Immobilien durch Kirchen
und ähnliche Organisationen. Die neuen Gesetze zwischen 1855 und 1874 griffen hart
in die Rechte der nachkolonialen Katholischen Kirche ein und trennten sie gründlich
vom Staat. Religiöse Gelübde verloren zivile Geltung; der Jesuitenorden wurden ver-
boten; kirchliche Unternehmen mussten Häuser und Grundstücke veräußern; ein sä-
kulares Zivilregister wurde aufgebaut; Pfarrei-bezogene Spenden und Zehnte wurden
verboten; die Zivilehe wurde eingeführt und die religiöse Eheschließung für ungültig
erklärt; das Friedhofswesen wurde säkularisiert; öffentliche religiöse Feiertage wurden
verboten; staatliche Amtsträger durften nicht in ihrer Funktion an religiösen Feier-
lichkeiten teilnehmen; Feiern außerhalb von Kirchengebäuden wurden verboten; der
katholische Nuntius und mehrere Bischöfe wurden des Landes verwiesen; kirchliche
Krankenhäuser und Wohltätigkeitseinrichtungen wurden verstaatlicht; fast alle Klös-
ter wurden aufgelöst; und vor allem wurden die kirchlichen Besitztümer verstaatlicht
(12.7.1859). Zudem ließ das Gesetz über die Freiheit der Religionsausübung neben der
Katholischen Kirche weitere religiöse Anbieter zu und stellte die Entscheidung zur Mit-
gliedschaft frei (4.12.1860). Diese Gesetze wurden 1873 in Verfassungsrang gebracht.
Wenig später wurde diese Entwicklung insofern unterbrochen, als die Regierung von
Porfirio Díaz (1876-1880 und 1884-1911) der Katholischen Kirche eine gewisse Toleranz
entgegenbrachte. Mit der mexikanischen Revolution endete diese Phase einer Entente
Cordiale zwischen staatlichem Machthaber und Katholischer Kirche definitiv. In der re-
volutionären Verfassung von 1917 wurden die älteren liberalen Verfassungsprinzipien
erneut festgeschrieben. Aufs Ganze gesehen verschärfte die mexikanische Revolution
zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Restriktionen für religiöse Organisationen. Poli-
tische Äußerungen religiöser Akteure wurden strikt untersagt, Mönchsorden blieben
verboten, Kirchen wurden nicht als juristische Personen anerkannt und durften keinen
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilen. Diese Praxis interpretierte die Lai-
zität des Staates nicht vornehmlich als Religionsfreiheit und Pluralität, sondern ganz
strikt als Freiheit staatlichen Handelns und politischer Debatten von religiöser Einmi-
schung. Diese Einschränkungen provozierten einen katholischen Aufstand. Die Guerra
Cristera (1926-1929) blieb allerdings erfolglos und führte als Reaktion vielmehr zu einer

7       …außer vielleicht noch Uruguay. Vgl. zum Folgenden: Blancarte Pimentel 2018b ; 2019, mit einer
        fulminanten Verteidigung der liberalen laizistischen Republik. Garma Navarro 2019; De la Torre
        Castellanos, Hernández Hernández und Gutiérrez Zúñiga 2017; Lara Bravo 2015. Mit dem Entwurf
        einer Laizität im Spannungsfeld zwischen (religiösem) Populismus und Neo-Jacobinismus siehe
        Gaytán Alcalá 2016.
484   Die Taufe des Leviathan

      Verschärfung der Bestimmungen und das zusätzliche Verbot von religiös ausgewiese-
      nen Parteien.
          Bis 1992 bleiben diese Bestimmungen in Kraft. Unter Carlos Salinas de Gortari, ei-
      nem strammen Mitglied des Partido Revolucionario Institucional (PRI), diktierte ein
      neues Religionsgesetz veränderte Bestimmungen.8 Religiöse Organisationen, auch die
      Katholische Kirche, wurden nun als Asociación Religiosa (AR) mit juristischer Persön-
      lichkeit versehen, allerdings nur auf Antrag und nach eingehender Prüfung. Dadurch
      können sie nun wieder Eigentum und Mittel zur Verbreitung ihrer Botschaft besitzen.
      Das zog auch eine Steuerbefreiung in Bezug auf eingenommene Spenden sowie Ver-
      käufe religiöser Artikel (etwa Bücher) nach sich, wenn mit Letzterem keine Gewinne
      erzielt wurden. Die Steuerprüfung entfiel hingegen nicht. Die Steuerbefreiung kann
      hier, wie auch sonst, als ein nicht unwesentlicher Beitrag des Staates zur Stärkung und
      Ausbreitung religiöser Organisationen gesehen werden. Zugleich wurde mit der neu-
      en Gesetzgebung das Verbot der politischen Äußerungen gelockert; allerdings kommt
      religiösen Funktionsträgern noch immer kein passives Wahlrecht zu. Sehr wichtig ist
      auch, dass der Artikel 16 religiösen Assoziationen und Funktionsträgern (sowie deren
      Vertretern) den Besitz und die Verwaltung von Konzessionen sowie Installationen von
      Massenmedien wie Radio, Fernsehen oder sonstige Arten von Telekommunikation ver-
      bietet. Druckschriften dürfen dagegen verbreitet werden. Im Vergleich zur religiös-
      politischen Praxis in Brasilien kann diese Regelung nur als ein wichtiger Beitrag zum
      Fortbestand einer rational-säkularen Debatte in der Politik gewertet werden. Allerdings
      sind Internet und soziale Medien nicht berücksichtigt – was die aktuelle Lage faktisch
      verändert.
          Der katholische Religionssoziologe Hugo José Suárez sieht in Salinas’ Initiative ei-
      nen Schachzug, um eine enge Kooperation zwischen staatlichen und wirtschaftlichen
      Akteuren mit katholischen Bischöfen ins Leben zu rufen, die die Macht aller dreier La-
      ger sichern sollte. Diese Strategie funktionierte besonders gut unter den Regierungen
      der rechtsgerichteten und kirchenfreundlichen Partido Acción Nacional (PAN, Partei
      Nationale Aktion) mit den Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderón. Vor allem Cal-
      derón zeigte erstaunliche Offenheit auch gegenüber Neopentekostalen und deren Ver-
      suchen, direkten Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das besagte Bündnis wurde von
      Papst Franziskus anlässlich seines Mexiko-Besuches 2016 öffentlich missbilligt und von
      Präsident López Obrador aufgekündigt.
          Angesichts der politisch-religiösen Liberalisierung und Bündnispolitik kam es ge-
      gen Ende der Regierung Calderón auch zu Initiativen für Verfassungsänderungen. 2012
      wurde mit der Reform des Artikels 40 der Verfassung ganz explizit klargemacht: Mexi-
      ko ist eine laizistische Republik.9 Roberto Blancarte (Blancarte Pimentel 2019, 11, 98ff.)
      macht darauf aufmerksam, dass die Laizität hier an die Staatsform der Republik ge-
      knüpft ist. Das heißt, dass hier republikanische Werte – im historischen Sinne – bestä-

      8    Ley de Asociaciones Religiosas y Culto Público, 15.07.1992, letzte Reform am 17.12.2015 (Presidencia
           de la República [Salinas] 1992).
      9    Das Adjektiv »laica« wurde zur Definition des mexikanischen Staates hinzugefügt; und das Sub-
           stantiv »república« definiert die Staatsform. Siehe zur Verfassungsänderung 30.11.2012, Art. 40: Cá-
           mara de Diputados del H. Congreso de la Unión 1917.
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tigt werden, wie Freiheit und Gleichheit statt Ständeordnung, Demokratie statt Monar-
chie oder Autoritarismus, und in Mexiko auch die föderale Ordnung. Im Rahmen dieser
laizistischen Ordnung obliegt die Aufsicht über die Praxis religiöser Assoziationen nicht
den Gerichten, sondern der Exekutive: der mächtigen Secretaría de Gobernación (SE-
GOB), dem Innenministerium.10 Das schränkt den Spielraum für Grenzverletzungen
zwischen Kirche und Staat, Religion und Politik deutlich ein.
     Zudem verabschiedete das Abgeordnetenhaus schon im Dezember 2011 eine Re-
form des Artikels 24 der Verfassung, die im Juli 2013 unter Präsident Peña Nieto in
Kraft trat. Es wurde verboten, religiöse Veranstaltungen für »politischen Proselytismus
und Propaganda« zu missbrauchen.11 Es wäre interessant zu wissen, ob und in wel-
chem Maße die politisch-religiösen Unternehmungen des Präsidenten Calderón diese
Änderung veranlasst haben. Eine weitere Änderung des Artikels 24 fügte der Religions-
freiheit noch die Freiheit »ethischer Überzeugungen und des Gewissens« hinzu. Damit
ist geklärt, dass auch andere Überzeugungen als die religiösen – beispielsweise sexu-
alethische Überzeugungen – ihr Existenzrecht haben und dass sie nicht von religiösen
Akteuren im Genuss der Religionsfreiheit mit religiösen Argumenten infrage gestellt
werden dürfen.
     Alles in allem wurde die Laizität des Staates in Mexiko über lange Zeit penibel auf-
recht gehalten, selbst wenn sie durch den auf Salinas zurückgehenden Pakt aufgeweicht
wurde. Um es noch einmal zu sagen: Die Laizität in Mexiko beruht auf einer in der Ver-
fassung garantierten, strikten und lange durchgehaltenen Trennung von Kirche und
Staat. Die Freiheit der ethischen Überzeugungen hat ihre Grenzen am Artikel 24 der
Verfassung, der seit 2013, wie gesagt, zusätzlich feststellt, dass »niemand die öffent-
lichen Veranstaltungen, die diese Freiheit zum Ausdruck bringen, für politische Ziele
missbrauchen darf«. Wir folgen Blancarte in seinem Urteil, dass im mehrheitlichen
Verständnis von Laizität in Mexiko die Religionsfreiheit der Trennung von Staat und
Kirche sowie von Politik und Religion strikt untergeordnet ist. Beispiele für diese Kon-
zeption sind die Verbote von öffentlich inszenierten religiösen Veranstaltungen (außer
in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen) und von der offiziellen Teilnahme öffentli-
cher Funktionäre an religiösen Zeremonien. Beide Gesetze sind in der Vergangenheit
immer wieder einmal gebrochen worden, und man könnte eine gewisse Erosion der
Trennungsvorschriften in der politischen Praxis vermuten. Präsident Fox (PAN) hat
mit der Jungfrau von Guadalupe und dem Kruzifix seine Präsidentschaftskampagne
bestritten und den Ring Johannes Pauls II. geküsst; Präsident Calderón hat enge Be-
ziehungen zu einer Gruppe der Formation Management gepflegt; und Präsident Peña
Nieto hat die Eucharistie von Papst Franziskus empfangen. Allerdings sind im Vergleich
zu Brasilien oder Guatemala diese Handlungen auf der Ebene des Staatsoberhauptes
als Ausnahmen erkennbar. Um die Mauer zwischen Staat und Kirche in Mexiko zu Fall
zu bringen, dürfte noch einige Anstrengung nötig sein.

10   Die Dirección General de Asociaciones Religiosas (Generaldirektion für religiöse Vereini-
     gungen): www.gobernacion.gob.mx/es_mx/SEGOB/Direccion_General_de_Asociaciones_Religiosa
     s (Zugegriffen 08.12.2020).
11   Siehe die Reform des Artikels 24 vom 19.07.2013: Cámara de Diputados del H. Congreso de la Unión
     1917. Vgl. Blancarte Pimentel 2018, 322.
486   Die Taufe des Leviathan

          Damit ist freilich nicht in Abrede gestellt, dass die mexikanische Bevölkerung hoch
      religiös ist. Sie ist dies vor allem im Sinne der katholischen Volksreligion. Aber die-
      se Praxis ist allenfalls indirekt politisch, wenn sie Menschen von einer Politisierung
      fernhält; sie ist vielmehr vor allem auf die Notwendigkeiten des Alltags gerichtet. Die
      politische Abstinenz der Volksreligiosität bestätigt eher, dass in Mexiko nicht nur Staat
      und Kirche, sondern auch Politik und Religion voneinander getrennt sind. Diese Bedin-
      gungen wirken sich auch auf den Protestantismus aus, der – bis auf die Teilnahme von
      liberalen Historischen Protestanten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in der re-
      volutionären Bewegung (Bastian 1994) – an der Gestaltung des Alltagslebens seiner Kli-
      entel orientiert blieb und allenfalls erst in den letzten zwei Jahrzehnten um politische
      Einflussnahme bemüht ist. Im Übrigen ist die Kombination von Laizität und Religi-
      onsfreiheit als ein Habitus religiöser Toleranz in Mexikos Bevölkerung weit verbreitet.
      Renée de la Torre und Cristina Gutiérrez verweisen darauf, dass »the majority of the
      survey respondents – regardless of their creed – believe that the member of any reli-
      gious group should have the same rights as all other citizens« (De la Torre Castellanos,
      Hernández Hernández und Gutiérrez Zúñiga 2017, 191).

      7.1.2      Historischer Protestantismus und Nationalisierung

      Es verwundert nicht, dass die ersten protestantischen Missionsaktivitäten aus den USA
      wegen der geografischen Nähe im nördlichen Grenzgebiet stattfanden.12
           Unmittelbar nach dem US-amerikanischen Landraub und der Neufestsetzung der
      Grenze am Rio Grande begann die presbyterianische Missionsarbeit 1852 von Browns-
      ville, TX, aus. Entsprechend dem zivilisatorischen Programm des Kulturprotestantis-
      mus eröffnete die leitende Missionarin Melinda Rankin protestantische Schulen in Ma-
      tamoros und Monterrey. Wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch, waren die
      Aktivitäten der Protestanten den Liberalen willkommen als Gegengewicht zur Katho-
      lischen Kirche und deren Opposition gegen die Verfassung von 1857. In diesem gesell-
      schaftlichen Kontext etablierten mehrere historisch-protestantische Kirchen ihre Arbeit
      in Mexiko: die Society of Friends (Quakers) in Matamoros, 1871; das American Board of
      Commissioners for Foreign Missions (Kongregationalisten) in Guadalajara, 1872, und
      Monterrey, 1873; die Northern Presbyterian Church in Mexiko-Stadt, 1872, sowie in Za-
      catecas, San Luis Potosí und Guanajuato; und die Southern Presbyterians in Matamo-
      ros, 1874. Nebenbei bemerkt, schlugen sich die durch den Bürgerkrieg bedingten Spal-
      tungen zwischen nördlichen und südlichen Kirchen in den USA in der Mission nieder,
      ebenso wie das Interesse der mexikanischen Regierung an einem Gegengewicht gegen
      die katholische Hierarchie. So begannen 1872 sowohl die Methodist Episcopal Church
      (North) als auch die Methodist Episcopal Church (South) ihre Arbeit in Mexiko-Stadt.
      Dazu kauften sie Gebäude, die die Regierung vorher von der Katholischen Kirche kon-
      fisziert hatte. Während der Regierung von Porfirio Díaz änderte sich die Lage für die

      12      In der folgenden Darstellung werden die religiösen Akteure im Süden des Landes nicht berücksich-
              tigt, da sie von den nationalen Entscheidungsstrukturen weitgehend abgekoppelt sind. Holland
              2009; Vásquez Palacios 2008; Freston 2001, 200ff.; Ramírez 2015; Schäfer 2020a, 141ff. mit weiterer
              Literatur.
7. ¡Como México no hay dos! – Wie Mexiko, kein Zweites!   487

protestantischen Kirchen tendenziell, da die katholische Hierarchie neue Spielräume
gewann und beispielsweise 1895 mit der Krönung der Jungfrau von Guadalupe sich
selbst in der Volksreligiosität verankerte.
    Ähnlich wie der Protestantismus in Brasilien hatte auch der mexikanische eine frü-
he Tendenz zur Nationalisierung. Das hatte allerdings weder dieselben Gründe noch
Effekte. Vor allem waren die mexikanischen Pastoren nicht in der lokalen Politik ver-
ankert, sondern wurden durch die laizistische Verfassung gerade von der Politik fern-
gehalten. Auch war die Zahl der Missionare nicht gering und ohne Einfluss: Während
der Regierungszeit Porfirio Díaz’ – des »Porfiriato« – kamen noch mindestens zwei
wichtige protestantische Organisationen aus den USA nach Mexiko: die Young Men’s
Christian Association (YMCA, 1902) und die Church of the Nazarene (1903). Allerdings
kamen in Mexiko zwei besondere Faktoren zusammen: erstens, die verbreitete Antipa-
thie gegen die USA wegen des Krieges 1848 sowie, zweitens, die Beschränkungen für
ausländischen Klerus, die ursprünglich gegen die Katholische Kirche gerichtet waren,
aber auch auf die Protestanten Anwendung fanden. Beides förderte eine Tendenz zur
Nationalisierung der Kirchen. Die erste protestantische Konferenz in Mexiko fand be-
reits 1897 statt: die Asamblea General Evangélica (Evangelische Generalversammlung) in
Mexiko-Stadt. Hier ging es um Abstimmung in Organisationsfragen und Bibelüberset-
zung; und es herrschte eine Stimmung gegen Missionare aus den USA. Die erste natio-
nale Gründung eines denominationalen Dachverbandes von 13 Kirchen erfolgte bereits
1903 mit der Convención Nacional Bautista de México (Nationale baptistische Konven-
tion Mexikos). Insgesamt gesehen waren mexikanische Kirchengründungen schon in
dieser Zeit viel häufiger als dies beispielsweise in Guatemala, anderen zentralamerika-
nischen Ländern oder Kolumbien, Venezuela und Peru der Fall war.

7.1.3   Pfingstler, Evangelikale und die Revolution

In die Zeit kurz vor die Revolution fiel die Gründung der ersten mexikanischen Pfingst-
kirche, und zwar als Resultat mexikanischer Migration. An dem für die Pfingstbewe-
gung zentralen Azusa-Street-Revival in Los Angeles (ab 1906) beteiligten sich mexika-
nische Immigranten. Eine von ihnen, Romana Carbajal de Valenzuela – bekannt und
verehrt als Romanita – kehrte zurück nach Mexiko und gründete 1914 eine erste Grup-
pe in Villa Aldama, Chihuahua. Die Iglesia Apostólica de la Fe en Cristo Jesús (IAFCJ,
Apostolische Kirche des Glaubens an Jesus Christus) (Torres Alvarado 2014; López Tor-
res 1999; Ramírez 2015) wurde eine vor allem im Norden weit verbreitete, theologisch
sehr konservative Pfingstkirche, die klar der Formation Jenseitshoffnung zugeord-
net werden kann. Der Begriff des Apostolischen bezieht sich hier nicht auf einen apos-
tolischen Autoritarismus, wie er in einigen Neopfingstkirchen gepflegt wird, sondern
auf die Originalität der Botschaft, die dem Anspruch nach der Botschaft der biblischen
Apostel treu bleiben soll. Neben anderen Pfingstkirchen profilierte sich die IAFCJ als
ein Muster für Kirchengründung und Gemeindeentwicklung unter Bedingungen von
Migration (s. De la Luz García 2010, 51ff.; López Torres 1999, 23ff.); zudem begann sie
schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit eigener Mission in Zentral-
amerika. Vor allem aber steht die Kirche für theologischen Konservatismus und Distanz
zur Politik.
488   Die Taufe des Leviathan

          Das traf bei weitem nicht für alle (meist pfingstlichen) Kirchengemeinden zu, die
      im Norden entlang der Eisenbahntrassen und Fernstraßen entstanden. Der ländliche
      Flügel der mexikanischen Revolution um Zapata fand Unterstützung bei diesen Gläubi-
      gen. Der vorwiegend städtische Historische Protestantismus war ebenfalls stark in der
      Unterstützung der (anti-katholischen) Revolution involviert, allerdings eher auf Seiten
      Carranzas und hatte Interesse an einem sozialen Kapitalismus (Vásquez Palacios 2008,
      38). Carranza schätzte den intellektuellen Beitrag der gebildeten Historischen Protes-
      tanten. Drei Protestanten stiegen zu Gouverneuren auf, und es gab Vorstöße für pro-
      testantischen Unterricht an öffentlichen Schulen. Mit der laizistischen Verfassung und
      deren Anwendung verlor sich über die Zeit allerdings der politische Einfluss der His-
      torischen Protestanten (Freston 2001, 202-203). Die US-Missionare reagierten auf die
      Revolution, indem sie mit Beginn der Kämpfe mehrheitlich Mexiko verließen und erst
      nach 1927 zurückkehrten. Der Einfluss von evangelikalen Kirchen und deren Interesse
      an Proselytismus wurde nun stärker. Öffentlich wahrgenommen wurde der Protestan-
      tismus entsprechend der gesetzlichen Einschränkungen allerdings kaum.
          Ähnlich wie auf der panamerikanischen Missionskonferenz in Panama 1916 wur-
      de auch in Mexiko der Versuch unternommen, auf einer Konferenz das mexikanische
      Territorium unter verschiedene Organisationen aufzuteilen. Der Effekt war allerdings,
      dass lokale Kirchenmitglieder gegen ihre Zwangsversetzung in andere Denominationen
      Sturm liefen – und damit sowohl lokales Selbstbewusstsein als auch religiöse Diversi-
      tät eher verstärkt wurden. Die Diversität des Feldes verstärkte sich in nach-revolutio-
      nären Zeiten zudem durch neue mexikanische Gründungen und neue Missionen. Die
      wichtigste mexikanische Gründung dürfte Luz del Mundo (1936) in Guadalajara sein,
      eine Abspaltung der IAFCJ mit einem sehr eigenwilligen Programm, das von den meis-
      ten Beobachtern allenfalls als »para-christlich« wahrgenommen wird. Wir werden nicht
      weiter Bezug auf diese Organisation nehmen.13
          1920 kam die Adventistische Kirche nach Mexiko, der der aktuelle Präsident López
      Obrador in seiner Jugend angehört hat. In seiner frühen Form – die »Millerites« in den
      USA ab ca. 1835 – war diese Bewegung stark prämillenaristisch und erwartete die Wie-
      derkunft Christi noch vor 1850. Im Laufe der Zeit waren die Frucht der Enttäuschung
      sowohl einerseits Spaltung als auch, andererseits, die Etablierung als eine »normale«
      evangelikale Kirche unter anderen, wenngleich mit einer besonders starken Betonung
      von Moralität und gemeindlichem Kommunitarismus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
      der Habitus des Präsidenten durch eine jugendliche Mitgliedschaft in dieser Bewegung
      geprägt ist. Das heißt dann zwar Moral, Austerität und kommunitaristisches Denken;
      es deutet aber gerade nicht auf ein theokratisches Programm hin, welches man bei
      einigen wenigen Akteuren – etwa der Casa sobre la Roca (Haus auf dem Felsen) im
      Hintergrund des Partido Encuentro Social – durchaus wahrnehmen kann.

      13   Die Berücksichtigung von Luz del Mundo müsste konsequenterweise noch weitere para-christli-
           che Organisationen in die Beobachtung einbeziehen und so das Sample über Gebühr erweitern.
           Dennoch sei erwähnt, dass die Organisation auf lokaler und regionaler Ebene Lobbying betreibt,
           etwa mit Freimaurern und säkularistischen Organisationen zusammen gegen Religionsunterricht
           in öffentlichen Schulen (De la Torre, Hernández Hernández und Gutiérrez Zúñiga 2017).
7. ¡Como México no hay dos! – Wie Mexiko, kein Zweites!   489

    Es dürfte der räumlichen Nähe Monterreys zu den USA geschuldet sein, dass die
Assemblies of God dort bereits 1917 eine Gemeinde gründeten; und dem mexikani-
schen Nationalismus – bzw. der Abneigung gegen die USA –, dass bereits 1920 mit der
Iglesia de Dios en la República Mexicana (Kirche Gottes in der mexikanischen Repu-
blik)14 die erste Abspaltung erfolgte. Wie generell in Lateinamerika und der Mobilisie-
rungsdynamik des US-Protestantismus folgend, begannen in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts auch in Mexiko große evangelikale und pfingstliche Missionen ihre Arbeit
– immer unter strenger Kontrolle des Innenministeriums: Church of God (Cleveland),
1932 in Sonora; The Salvation Army, 1934; Wycliffe Bible Translators (Summer Insti-
tute of Linguistics, 1935); Pentecostal Church of God, 1942; International Church of the
Foursquare Gospel, 1943; World Mission Prayer League, 1943; Church of God of Prophecy,
1944; Evangelical Methodist Church (1946); Church of God (Anderson, 1946); und Mis-
sion Aviation Fellowship, 1946. Größere nationale Gründungen in der Zeit waren u.a.
die Iglesia Cristiana Interdenominacional (Interdenominationale christliche Kirche),
1927;15 Movimiento Iglesia Evangélica Pentecostés Independiente (MIEPI, 1930, Bewe-
gung unabhängige pfingstlich-evangelikale Kirche).16 Wie in anderen Ländern war der
evangelikale Einsatz hoch, fruchtete aber in Mexiko nur wenig wegen der Verankerung
der Alltagsreligion im Volkskatholizismus und aufgrund der der strengen antiklerika-
len Gesetzgebung. Der laizistische und nationalistische Schub, den diese Politik unter
Präsident Lázaro Cárdenas ab 1934 nahm, traf durch die Verstaatlichung kirchlichen
Grundeigentums per Dekret vor allem die Katholische Kirche, blieb aber auch auf pro-
testantische Missionare nicht ohne Wirkung. Cárdenas sendete weitere klare Signale
für seine an der mexikanischen Revolution orientierte Politik: an die USA durch die
Verstaatlichung der Ölindustrie; an die Oligarchie durch eine umfangreiche Agrarre-
form. Die Reaktion des Vatikans auf die Konfiskation kirchlicher Güter zielte darauf,
das in dieser Lage noch Mögliche zu tun. Eine Enzyklika von 1937 empfahl der mexi-
kanischen Kirche, Sozialdienst zu leisten, um sich der staatlichen Politik anzupassen
und dadurch möglicherweise Vorteile zu erlangen. Dass sich der Nachfolger Cárdenas’,
Manuel Ávila Camacho, ungewöhnlicherweise zum katholischen Glauben bekannte, gab
der Katholischen Kirche wieder etwas mehr Spielraum; unter anderem für die Grün-
dung der reaktionär-katholischen Kaderorganisation Legionarios de Cristo (Legionäre
Christi) 1941 unter dem Führer Marcial Maciel.
    In dieser unter vielen Hinsichten spannungsreichen Lage nahm die protestantische
Präsenz leicht zu, was zu allergischen Reaktionen der ohnehin gebeutelten Katholiken
führte. Protestanten wurden vor allem auf dem Land zunehmend verfolgt. 1946 gaben
die Asambleas de Dios zum ersten Mal den Tod von 59 Mitgliedern aufgrund von Ver-
folgung bekannt (Angriffe mit Machete, Schusswaffen, Knüppeln oder Steinen). Wenn
die Verfolgungen auch nach den 1950er Jahren abnahmen, kommt es auch heute noch
gelegentlich zu Übergriffen, die selbstverständlich nicht nur mit der religiösen Orien-
tierung zu tun haben, sondern meist auch mit lokalen politischen Machtkämpfen.

14   https://www.idrmar.net/index.html (Zugegriffen 20.03.2019).
15   http://iciar.org/ (Zugegriffen 20.03.2019).
16   https://www.miepi.com/1.0miepi.html (Zugegriffen 20.03.2019).
490   Die Taufe des Leviathan

          In den Jahren von 1950 bis 1980 kamen noch weitere 94 protestantische Missionen
      nach Mexiko. Viel änderte sich allerdings für die Evangelikalen und Pfingstler in die-
      sem Zeitraum nicht. Das Wachstum der Gruppierungen war weiterhin langsam, und
      die staatlichen Einschränkungen im Blick auf öffentliche Auftritte und Medien kon-
      zentrierten die religiösen Verrichtungen auf das Innere der Kirchenräume. 1960 ver-
      staatlichte Präsident López Mateos die Elektrizitätswerke und machte damit deutlich,
      dass sich auch an der korporatistischen Sozialdemokratie der PRI wenig ändern würde.
      Dasselbe galt für ihren antiklerikalen Laizismus.

      7.1.4     Ökumenische Aktivitäten

      In den 1960er Jahren gewannen ökumenische Beziehungen weltweit nicht zuletzt durch
      die Aktivitäten des Weltkirchenrates unter Historischen Kirchen eine gewisse Attrakti-
      vität. Sie trugen bei zu einer Schärfung des Profils gegenüber den quantitativ stärkeren
      Evangelikalen und Pfingstkirchen. Man kann generell unterscheiden zwischen einer
      interkonfessionellen Ökumene mit der Katholischen Kirche und Zusammenschlüssen
      verschiedener protestantischer Kirchen zu bestimmten Zwecken.
          Ein erstes offizielles Treffen interkonfessioneller Ökumene fand 1967 zwischen Ver-
      tretern der Bischofskonferenz und verschiedener protestantischer Kirchen in den Räu-
      men der deutschen lutherischen Gemeinde Buen Pastor statt. Es kamen Anglikaner,
      Baptisten, Apostolische, Methodisten, Friends, Pfingstler und andere, übrigens auch
      Adventisten; Vertreter der aschkenasischen und der sephardischen Synagogen waren
      ebenfalls dabei. Aus diesem Impuls heraus entwickelten sich einige kleinere Gesprächs-
      foren interkonfessioneller Ökumene, die auch heute zum Teil fortdauern. Zu nennen
      wäre hier die offizielle katholische Comisión de Ecumenismo de México (Kommission
      für Ökumene von Mexiko),17 die Vertreter Historischer Kirchen zu Gesprächen und lit-
      urgischen Feiern für die Einheit der Christenheit einlädt, Jugendtreffen organisiert und
      Ähnliches. Einen etwas weiteren, weil interreligiösen Aktionsradius hat ein offizielles
      Organ der Bischofskonferenz, die Comisión Episcopal para el Diálogo Interreligioso y
      Comunión (Bischöfliche Kommission für interreligiösen Dialog und Gemeinschaft).18
      Eine ökumenische Organisation mit protestantischen (Lutheraner, Presbyterianer und
      eine evangelikale Kirche), orthodoxen und katholischen Partnern ist das Consejo Ecu-
      ménico de México (Ökumenischer Rat Mexikos).19 Diese Organisation bietet Sommer-
      schulen zum Thema »Ökumene« und gemeinsam mit den katholischen Universitäten
      Iberoamericana und LaSalle ein gleichnamiges Diplom. Eher von der Basis her orga-
      nisiert ist das Foro Intereclesiástico Mexicano (Mexikanisches zwischenkirchliches Fo-
      rum).20 Das Forum bemüht sich, ein harmonisches Zusammenleben der Konfessionen

      17      https://es.catholic.net/op/articulos/17651/cat/702/comision-de-ecumenismo-de-mexico.html#mod
              al (Zugegriffen 22.07.2019).
      18      https://www.cem.org.mx/comisionDialogo.php (Zugegriffen 22.07.2019).
      19      http://consejoecumenicodemexico.org/consejo-ecumenico-de-mexico/ (Zugegriffen 22.07.2019);
              siehe auch Villa Roiz 2019.
      20      https://www.facebook.com/pg/Foro-Intereclesi %C3 %A1stico-Mexicano-AC-452112524841050/abo
              ut (Zugegriffen 22.07.2019).
7. ¡Como México no hay dos! – Wie Mexiko, kein Zweites!   491

und Religionen im Interesse von »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtig-
keit« zu fördern. Was Politik betrifft, ist das Forum orientiert am laizistischen Pro-
gramm des mexikanischen Staates.
    Im Protestantismus wurde ein wichtiger ökumenischer Schritt 1964 mit der
Gründung der Comunidad Teológica (Theologische Gemeinschaft) und dem Aufbau
eines Studienzentrums im Stadtteil San Angel der Hauptstadt getan. In Kooperation
zwischen Baptisten, Methodisten, Presbyterianern und später auch Lutheranern wird
theologische Ausbildung für Studierende aus Mexiko und anderen lateinamerikani-
schen Ländern angeboten. In den 1980er und frühen 1990er Jahren beteiligte sich
diese Organisation an ökumenischen Aktivitäten wie der internationalen Versamm-
lung ökumenisch orientierter protestantischer Kirchen21 in Oaxtepec, 1978, auf der
die Gründung des Lateinamerikanischen Kirchenrats (Consejo Latinoamericano de
Iglesias, CLAI) beschlossen wurde. Zudem wurden Kontakte gehalten zum befrei-
ungspädagogischen Centro Intercultural de Documentación (CIDOC, Interkulturelles
Dokumentationszentrum) unter der Leitung von Iván Illich, Cuernavaca, sowie zur
befreiungstheologischen Arbeit des Bischofs von Cuernavaca, Mons. Sergio Méndez
Arceo. In der Comunidad Teológica waren in den 1980er Jahren Befreiungstheologen
wie der Katholik Raul Vidales und der Baptist Jorge Pixley tätig sowie der Historiker
Jean Pierre Bastian. In den Jahren der zentralamerikanischen Kriege gingen viele, nicht
zuletzt kirchliche Intellektuelle von Zentralamerika nach Mexiko ins Exil, was die Theo-
logen der Befreiung zu einer politischen Solidarisierung »von unten« motivierte. Heute
existiert die Comunidad Teológica weiterhin als theologisches Ausbildungszentrum
ökumenischer Ausrichtung, allerdings mit deutlich niedrigerem Profil.22
    Zudem bildeten sich kleinere ökumenisch orientierte Initiativen in verschiedenen
Historischen Kirchen, wie beispielsweise 1999 das Centro Basilea de Investigación y
Apoyo, A.C. (Zentrum Basilea für Forschung und Unterstützung)23 oder das pfingstliche
Centro para el Estudio de la Religión en Latinoamérica, A.C. (CERLAM, Zentrum zur
Erforschung von Religion in Lateinamerika) unter der Leitung von Adoniram Gaxiola
aus der IAFCJ. Beide Organisationen arbeiten als Asociación Civil (Zivile Vereinigung),
was es den Leitern gestattet, zu politischen Fragen Stellung zu nehmen.
    Eine weitere ökumenisch orientierte Organisation, das Centro de Estudios Ecumé-
nicos (Zentrum für Ökumenische Forschung)24 wurde 1968 gegründet, in expliziter Re-
aktion auf das Massaker von Tlaltelolco, bei dem Regierungstruppen in eine Menge pro-
testierender Studenten schossen und mehr als hundert Demonstranten töteten. Unter
dem Eindruck des Zweiten Vatikanums mit seinen Impulsen für soziale und politische
Verantwortung der Christen gründete der deutsche lutherische Pfarrer Rolf Lahusen
das Zentrum zunächst als einen Raum interkonfessioneller Begegnung und Kooperati-
on. In der Etappe zwischen 1984 und 1997 stand allerdings – ganz im Gegensatz zur Ver-

21   Unidad Evangelica Latino Americana (UNELAM), eine vorläufige Kommission mit dem Auftrag,
     verbindliche Strukturen für den ökumenisch orientierten Protestantismus in Lateinamerika zu
     entwickeln. Schilling 2016, 43ff.
22   www.comunidadteologica.org.mx/nosotros.php (Zugegriffen 20.07.2019).
23   https://www.facebook.com/Centro-Basilea-de-Investigaci %C3 %B3n-y-Apoyo-AC-127702857353261
     / (Zugegriffen 20.03.2019).
24   https://estudiosecumenicos.org.mx/ (Zugegriffen 20.07.2019).
492   Die Taufe des Leviathan

      fassung der Republik – die »politische Beteiligung der Christen« auf dem Programm.
      Die Verfassung sollte sich 1992 etwas ändern. Besondere Effekte auf die ökumenische
      Bewegung in Mexico hatte das nicht. Sie blieb klein und ist weitgehend bedeutungs-
      los für die offizielle Politik. Dementsprechend ist nur eine mexikanische Kirche, die
      seit 1871 dort tätige Iglesia Metodista de México (Methodistische Kirche von Mexiko),25
      Mitglied im Weltrat der Kirchen.
           Mit dem Interreligiösen Rat von Chiapas (Consejo Interreligioso de Chiapas)26 sei
      hier wegen ihrer politischen Bedeutung noch eine regionale Initiative im Süden des
      Landes genannt. Chiapas ist stark von sozialen Konflikten geprägt, die sich häufig ent-
      lang religiöser Demarkationslinien entladen. Um dem durch Verständigung, Aufklä-
      rung und Mediation entgegenzuwirken, ist 1992 – zu Zeiten des Bischofs Samuel Ruiz –
      der Rat ins Leben gerufen worden. Seine Zusammensetzung ist eher interkonfessionell
      als interreligiös und repräsentiert eingetragene Religiöse Vereinigungen (Asociaciones
      Religiosas, A.R.): Neben der katholischen Diözese und dem Sekretär der staatlichen Re-
      ligionsbehörde (!) gehören dem Rat Vertreter unter anderen der folgender Konfessionen
      an: Presbyterianer, Baptisten, Adventisten, Nazarener, Asambleas de Dios und Mor-
      monen. Der Rat vermittelt und nimmt Stellung auch bei konkreten Übergriffen. Wie
      in Mexiko weitgehend üblich, beruft er sich rechtlich und in seinem Diskurs weniger
      auf religiöse Prämissen als auf die in der Deklaration der Menschenrechte kodifizierte
      Religions- und Meinungsfreiheit.

      7.1.5      Die Reformen von 1992

      Die Aktivitäten des Interreligiösen Rates von Chiapas, ebenso wie die Vermittlung des
      katholischen Bischofs Samuel Ruiz im zapatistischen Konflikt, stellen aus einer schwie-
      rigen und gewaltgeladenen Lage heraus durch die praktische Aktion – nicht prinzipiell
      – die strikte laizistische Trennung zwischen Politik und Religion in Frage. Mit gänzlich
      anderer Motivation und dem Ziel prinzipieller, rechtlich festgeschriebener Verände-
      rungen machte sich Präsident Salinas de Gortari Anfang der 1990er Jahre an der Mau-
      er zwischen Staat und Kirche zu schaffen. Zunächst reaktivierte er 1991, ein Jahr vor
      der Reform der Religionsgesetzgebung, die lange abgebrochenen diplomatischen Be-
      ziehungen mit dem Vatikan. Vermutlich kamen bei dieser Entscheidung und der für
      die Reform des Religionsrechts verschiedene Motive zusammen. Es gibt Spekulatio-
      nen, dass die angestrebte Aufnahme in das Freihandelsabkommen NAFTA eine milde-
      re Kirchenpolitik verlangte. Hugo José Suárez betont, dass Salinas sicher auch an einer
      Allianz zwischen religiösen, ökonomischen und staatlichen Machteliten gelegen war.
          Renée de la Torre und Cristina Gutiérrez fassen die administrative Zielsetzung der
      neuen Politik wie folgt zusammen.

      25      https://www.oikoumene.org/es/member-churches/methodist-church-of-mexico             (Zugegriffen
              22.07.2019).
      26      https://elobservadorenlinea.com/2016/11/libertad-religiosa/. (Zugegriffen 23.07.2019) Auch: http
              s://www.elheraldodechiapas.com.mx/local/sacerdotes-y-pastores-unidos-contra-la-intolerancia-rel
              igiosa-2687476.html; https://oyechiapas.com/estado/san-cristobal/34342-celebran-25-anos-del-con
              sejo-interreligioso-de-chiapas.html (Zugegriffen 23.07.2019).
7. ¡Como México no hay dos! – Wie Mexiko, kein Zweites!   493

   »First and foremost, the new policies aim to protect secularism (though without an-
   ticlericalism), affirming the autonomy of both church and state. On the other hand,
   the new law has acknowledged the right to religious diversity, establishing a registry
   of religious associations and a department entrusted with overseeing them. This cre-
   ated a relationship between the state and different congregations, facilitating admin-
   istrative procedures for the associations and also providing legal counsel and human
   rights defense in cases of interreligious conflict.« (De la Torre Castellanos, Hernández
   Hernández und Gutiérrez Zúñiga 2017, 182)

Für die protestantischen Kirchen laufen die Reformen somit auf die Möglichkeit ei-
nes offiziellen Status und auf gesetzlich geschützte Operationen hinaus; zugleich aber
auch auf Einschränkungen. Das neue staatliche Büro für religiöse Angelegenheiten, die
Dirección General de Asociaciones Religiosas, verleiht religiösen Akteuren die juristi-
sche Persönlichkeit durch Registrierung als Asociación Religiosa (A.R.), kontrolliert sie
aber auch als solche. Politik von der Kanzel und sonstiges politisches Engagement blei-
ben für religiöse Vereinigungen verboten. Aktives Wahlrecht genießen religiöse Funk-
tionsträger nun, passives allerdings nicht. Diese Einschränkungen wecken die Kreati-
vität einiger Akteure. Religiöse Organisationen mit Interesse an politischem Einfluss
können die religionsspezifische Kontrolle umgehen, indem sie sich als Asociación Civil
(A.C.) registrieren lassen. Das ermöglicht politische Diskurse, verbietet allerdings re-
ligiöse Versammlungen und den Besitz von Kirchengebäuden; wobei sich freilich für
zivile Vereinigungen der Besitz von Gebäuden nicht verbietet, und was letztlich eine
religiöse Versammlung ist und was nicht, hängt sehr von der Sicht der unmittelbar
Beteiligten ab. Diese Grauzone ermöglicht interessante Aktionen, wie wir noch sehen
werden.
    Einen Effekt auf das religiöse Feld hat die neue Gesetzgebung ebenfalls. Da eine
religiöse Gruppierung nur dann registriert werden kann, wenn sie mehr als 5 Jahre
im Land arbeitet, wird die Registrierung und damit das Wirken neuer ausländischer
Missionen einschränkt (Freston 2001, 203-204). Dies wiederum mindert zu einem ge-
wissen Grad für bereits etablierte Protestanten wie auch für Katholiken die Konkurrenz
im religiösen Feld.
    Wider Erwarten wurde allerdings der Besitz von Medien für religiöse Organisatio-
nen nicht liberalisiert – und zwar aufgrund der Dynamiken des religiösen Feldes. Die
katholische Bischofskonferenz drängte – so Paul Freston (2001, 204) – auf eine Fortfüh-
rung des Verbots, da sie sich vor einer kompetenten und häufigen Nutzung der Medien
durch die protestantische Konkurrenz fürchtete. Die Erlaubnis zur Verbreitung religiö-
ser Botschaften etwa durch Druckschriften, durch die wenigen doch erlaubten Radio-
stationen oder Fernsehprogramme zieht, jedenfalls de jure, die Kontrolle auf politische
Inhalte nach sich. (Nicht berücksichtigt sind allerdings die heute entscheidenden elek-
tronischen Medien.) Ähnlich verhalten sich Liberalisierung und Kontrolle auch im Kon-
text der Steuerbefreiung für religiös generierte Einnahmen zueinander; sie wird zwar
etabliert, impliziert aber Kontrolle durch Steuerprüfung. Alles in Allem – so Leopoldo
Cervantes vom Institut Basilea – werden die Reformen von protestantischen Akteuren
als Herausforderung zu vermehrter Aktivität verstanden (Cervantes Ortiz 2018a). Aus
der Sicht säkularer Betrachter – hier ein Kommentar aus der großen Tageszeitung El
494   Die Taufe des Leviathan

      Universal (Priani Saisó 2019) – ist mit der Reform von 1992 der Deich zwischen zivi-
      ler und religiöser Sphäre durchbrochen, so dass die Öffentlichkeit sich mit religiösem
      Diskurs überflutet sieht, sogar durch Abgeordnete, Gouverneure und Präsidenten.
          In der Tat nahmen öffentliche religiöse Aktionen zu, vor allem seit der ersten Legis-
      laturperiode des PAN ab 2000 mit Vicente Fox und insbesondere seitens der Katholi-
      schen Kirche. Im Jahr 2000 sprach Johannes Paul II. 25 Opfer des Cristero-Krieges heilig
      und nahm so vehement Stellung gegen den Laizismus. Mit der Heiligsprechung Juan
      Diegos, des indigenen Visionärs, dem die Jungfrau von Guadalupe erschienen sein soll,
      im Jahre 2001 verlieh der Papst der Volksfrömmigkeit einen starken Impuls. 2003 und
      2008 veranstaltete die Katholische Kirche nationale Eucharistische Kongresse, 2004 ei-
      nen internationalen. Präsident Calderón ließ 2009, angeblich als Maßnahme im Rah-
      men seines Krieges gegen den Terror, vom Militär landesweit Altäre des Kultes der Santa
      Muerte (Heiliger Tod) zerstören. Nach Einschätzung des mexikanischen Religionssozio-
      logen Helio Masferrer gebärdet sich die Katholische Kirche in einigen Bundesstaaten
      wie eine Staatskirche; hohe politische Funktionsträger nehmen als solche an Hoch-
      ämtern teil und weihen ihre politischen Tätigkeiten dem Heiligen Herzen (Sagrado Co-
      razón). Gegeben habe es das immer, nun aber im gleißenden Licht der Öffentlichkeit
      (Masferrer Kann 2014, 8-9; auch: Barranco Villafán 2014).
          Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern ist diese mexikanische Ent-
      wicklung nicht der Rede wert. Aber immerhin schaffen diese langsamen Veränderungen
      eine Umgebung dafür, dass theokratische Diskurse auch außerhalb der Organisationen
      der katholischen Rechten – wie El Yunque, Legionarios de Cristo oder Opus Dei – in
      Mexiko überhaupt erst denkbar werden, nicht zuletzt in der neopfingstlichen Bewe-
      gung und somit der Formation Management.

      7.1.6     Neopfingstliche Politik

      Viele mexikanische Beobachter sprechen heute davon, dass die Rolle der religiösen
      Rechten in steigendem Maße von moderneren Akteuren als den katholischen Tradi-
      tionalisten wahrgenommen wird. Im Katholizismus trifft das auf Teile der charismati-
      schen Bewegung zu. Im Protestantismus sind damit vor allem neopfingstliche Organi-
      sationen gemeint. Mit der Erweiterung des Aktionsraumes und den besseren Möglich-
      keiten öffentlicher Repräsentation seit 1992 wandeln sich manche früher gegründete
      pfingstliche Organisationen nach dem Muster der Formation Management, oder es
      werden neue Organisationen etabliert. Das Format einer Megakirche nach brasiliani-
      schem oder guatemaltekischem Vorbild erreicht allerdings keine von ihnen, und ihre
      Anzahl ist vergleichsweise sehr gering.
          Die älteste dieser »Asociaciones Religiosas« dürfte Castillo del Rey (Schloss des Kö-
      nigs) mit Zentrale im nordöstlichen Technologiezentrum Monterrey sein.27 Die Orga-
      nisation wurde 1980 vom US-amerikanischen Missionar Roger Walcott gegründet, der
      sich als Apostel bezeichnet, mit diesem Modell in Mexiko aber keinen Erfolg erzielen

      27      http://castillodelrey.org.mx/, https://www.facebook.com/pg/Castillo-del-Rey-Vida-Nueva-1900588
              47697018/about/(beide zugegriffen 18.01.2021).
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