CORONA Wie das Virus den Alltag verändert - Vicino Luzern
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CORONA-KRISE TITELTHEMA CORONA Wie das Virus den Alltag verändert Solidarisch und kreativ: Viele helfen jetzt erst recht – und zeigen, Weil die Gäste nicht wie wir besser durch diese Krise kommen. kommen dürfen, bringt Kevin Bracher das Essen halt zu ihnen. TEXT: THOMAS ANGELI, DANIEL BENZ, RAPHAEL BRUNNER, CHANTAL HEBEISEN, BIRTHE HOMANN | FOTOS: NIK HUNGER
Kreiert Nachfrage: Kevin Bracher, Wirt D as Meer ist ein blaues Tischtuch, die Insel Lummerland eine um gedrehte Salatschüs sel. Und Emma, die Lokomotive, ganz aus Karton und leeren Konservendosen. Hauptsache, fantasievoll – und die Kleinen sind gut unterhalten. Seit dem 16. März machen Andrea Fischer Schulthess und Adrian Schult hess vom Zürcher Minitheater Hanni bal aus der Not eine Tugend. Weil das Zürcher Theater Millers, wo sie als künstlerische Leiterin und als Barchef arbeiten, dicht ist und sie alle eigenen Auftritte absagen mussten, erzählen sie ihre Geschichten nun via Facebook und Youtube. Jeden Abend rund 15 bis 20 Minuten lang entführen sie ihr jun ges Publikum aus dem Corona-Alltag in die Welt von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer und zeigen Ideen zum Mitbasteln. «Wir wollen helfen mit dem, was wir am liebsten machen, und das ist Erzäh len und Spielen», sagt Fischer Schult hess. Ganz uneigennützig sei das nicht: «Wir arbeiten von zu Hause. Dank den täglich frisch eingespielten Episoden haben wir eine Aufgabe und eine Tages sen wissen, dass jemand für sie da ist», ist überzeugt: «Hier schafft die Notlage Servicefachfrau Petra Ryter, Studentin struktur.» sagt Olivia Petermann – gerade jetzt, da gerade etwas Gutes.» Etwas, das bleibt: Jasmin Gerber und Teilzeiterin Barbara Das Ehepaar bringt mit seinem Stu uns allen eingetrichtert wird, den direk eine neue Achtsamkeit. Blaser muss er so schnell wie möglich bentheater ein kleines Stück Normalität ten Kontakt zu meiden. Dank Telefon eine weitere Beschäftigung finden. «Die in eine Zeit, die alles andere als normal bleibt man verbunden. Gastgewerbe: Weiter- Einnahmen werden nicht reichen, um ist. Seit in der Schweiz die Corona-Epi Wessel und Petermann kommen aus die Löhne noch lange zahlen zu kön demie mit aller Wucht ausgebrochen der Pflege, in der sie nebenher weiterhin machen, irgendwie nen.» Es werde schwierig – auch mit ist, Schulen und Geschäfte geschlossen arbeiten. Sie wissen, was die betagten Kevin Bracher trägt nach wie vor das Bundeshilfe. sind, selbständige Coiffeure um ihre Menschen umtreibt. Es sind grosse The Kochhemd mit dem Löwen-Wappen am Er hat die Spitäler und die Alters Existenz bangen und Ärztinnen end- men wie die Angst vor Einsamkeit und Oberarm. Der «Löwen» Fraubrunnen BE heime der Region angeschrieben. Mel lose Tage arbeiten. Isolation, jetzt, da sie ihre Enkel nicht mag geschlossen sein, aber noch gibt det euch, wenn ihr Personal für die Vernetzt Einsame: mehr sehen und ihre Partner im Alters es ihn. «Wir machen weiter – irgend Küche braucht. Oder Cola, Nussgipfel, Auswege aus der Isolation. Die Schweiz Wilma Wessel, Vicino Luzern heim nicht besuchen dürfen. Aber auch wie», sagt der Wirt aus dem Dorf zwi Salat, Bier, Pommes frites, Rahm – alles, befindet sich in einem Ausnahme die kleinen Dinge: «Darf ich jetzt wirk schen Aefligen und Grafenried. was eine Beiz feilbieten kann, wenn sie zustand, den sich niemand vorstellen lich nicht mehr jassen mit Josy?» Der 29-Jährige steht in der Küche nicht mehr Beiz sein darf. «Gerne neh konnte. Es ist ein Zustand mit Notrecht, Nachbarn: Solidarisch gründete Verein setzt sich dafür ein, An dem Morgen, als das Land und stellt die Zutaten bereit für Kalbs men wir alle Bestellungen entgegen und Einschränkungen und Anflügen von dass die sozialen Netzwerke der älteren dichtmacht, fährt im Vicino-Treff der hamburger im Röstzwiebelbrötchen liefern diese im ganzen Mittelland aus», Panik. Ein Moment, in der sich die alte und achtsam Bewohnerinnen und Bewohner im Betrieb erst so richtig hoch. Die App, die und Coleslaw-Salat. Das Gasthaus aus steht auf der Facebook-Seite. Gewissheit, dass man ohnehin ver Die Schweiz befinde sich im Ruhe Quartier gestärkt werden. Dafür vermit Bedürfnisse und Angebote der Nach dem 19. Jahrhundert, wo sich sonst Bracher hat Solidarität erfahren – und schont bleibt, innert Tagen als Illusion zustand, schreiben die Zeitungen an telt Vicino Dienstleistungen für sämt barschaftshilfe verknüpfen soll, will der Stammtisch im Stübli trifft und für das Gegenteil. «Aus dem Dorf kamen entpuppt hat. Es ist aber auch der Mo diesem Morgen. Doch in Luzern dudeln liche Aspekte des Alltags. Ausserdem zwar noch nicht richtig. Auf dem Tisch dessen Emmentaler Schafsvoressen an manche vor der Schliessung extra noch ment, in dem allen widrigen Umstän die Handys von Wilma Wessel und Olivia werden Veranstaltungen durchgeführt. liegen Stapel mit Info-Flyern, frisch Safransauce auch mal Nationalräte aus mals dick essen.» Regelmässig tauscht den zum Trotz plötzlich ungeahnte Petermann unablässig. Das könnte ein Normalerweise. Aber jetzt ist der gedruckt und bereit, verteilt zu werden. Bern hinfahren, ist jetzt ein Hausliefer er sich mit Kollegin Jsabelle Trachsel Qualitäten und Ressourcen zum Vor Stressfaktor sein, ist aber das Gegenteil: Normalfall gestrichen. Die Anlässe fal Nur die potenziellen Helferinnen dienst. Jeden Tag gibt es ein Menü für vom «Kreuz» in Herzogenbuchsee aus. schein kommen: Mitgefühl und Hilfs «Total schön!» Das sagt Petermann, len aus, dafür bietet Vicino zusammen und Helfer, die sind schon voll auf Tou 15 Franken, bis 10.30 Uhr kann man Sie hätten sich Hilfe versprochen, wo bereitschaft, Fantasie und Innovations während Wessel den nächsten Anruf mit der Genossenschaft Zeitgut neu ren. Nächstes Dudeln am Handy: Ein bestellen, ab 11 Uhr wird ausgeliefert. immer es geht. Der Grossist hingegen geist, Solidarität und Dankbarkeit. entgegennimmt. «Alle wollen helfen, am jeden Morgen während drei Stunden Student, der jetzt Zeit hätte, um die Bracher im Volvo statt im Saal am Wir habe als Erstes vermeldet, ab sofort ak Wir haben Menschen getroffen, die liebsten sofort», sagt Wessel hinterher. individuelle Beratungen an, führt Helfer Einkäufe zu erledigen von Menschen, ten, das gibt Hoffnung, immerhin. «Der zeptiere er nur noch Barzahlung. «Dabei sich fantasievoll und kreativ auf die Die beiden Frauen betreuen die und Hilfesuchende zusammen. Jede an denen er vor kurzem wohl noch Start ist gelungen, gestern hatten wir 7, sind das Grossunternehmen. Im Unter neue Situation eingestellt haben, uns Anlaufstelle von Vicino in der Luzerner und jeder soll sagen können, wo der flüchtig vorbeigegangen ist. «Wunder heute schon 30 Bestellungen.» schied zu uns haben die Reserven.» Auswege aus der Isolation zeigen. Das Neustadt. «Vicino» heisst auf Italienisch Schuh drückt, was an Unterstützung bar!», schwärmt auch Wilma Wessel Illusionen macht sich Bracher aber Die Hälfte der Gastrobetriebe im lässt hoffen, sogar in düsteren Zeiten. «nahe» oder «Nachbar». Der 2016 ge benötigt wird. «Die älteren Leute müs über diese Zeichen der Solidarität. Sie keine. Für seinen Koch Rainer Helbig, Bernbiet werden die Krise nicht über 14 Beobachter 7/2020 Beobachter 7/2020 15
Zusammenhalten: Unser Notvorrat 2,4 Arda Teunissen, Spitex Zürich Limmat Im Auftrag des Bundes lagern 300 private Firmen, die mit lebenswichtigen Gütern handeln, Pflichtvorräte für Milliarden Franken die Bevölkerung. Im Krisenfall wäre die Schweiz drei bis vier Monate mit dem Nötigsten versorgt. Die empfohlenen sind die Notvorräte 144 privaten Notvorräte braucht es nur, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken. insgesamt wert. INFOGRAFIK: ANDREA KLAIBER UND ANNE SEEGER Die Lebensmittel- lager decken den durch- Das Sortiment wurde in den schnittlichen Bedarf der Schweizer Bevölkerung von drei Neben direkt konsumierbaren Gelenkbusse letzten 25 Jahren gestrafft: weniger Erdöl, keine Kakao- bis vier Monaten. Mit nicht lager- voll Reis, bohnen, keine Seife mehr. Nahrungsmitteln wer- baren Gütern kann sich die 1995 den Dünger, Tierfutter über 15 000 Tonnen, liegen Die jährlichen Kosten Schweiz teilweise selbst ver sorgen, bei Milchprodukten sowie Rohstoffe zur in den Vorratskammern. 43.– pro Person für die Produktion von Hefe Den Bestand will man sogar Lagerung werden zu 97 Prozent. erhöhen, um im Notfall von den Firmen gelagert. mehr glutenfreies auf die Verkaufs- Getreide anbieten zu können. preise geschlagen. 63 000 leben, hat Bracher vom Branchen verband Gastrosuisse vernommen. Der ndere machen.» Nachbarn sollen die a Einkäufe für Betagte erledigen, Freunde 2018 Tonnen Zucker junge Wirt glaubt, er gehöre zu den und Familie für den täglichen Schwatz, reichen für drei Monate. 12.– anderen. Vor der Krise lief es ihm gut. den sozialen Austausch, anrufen. Die Mit der Menge in Würfel Und Kleine wie er hätten kleinere Fix Spitex soll sich nicht um Einkäufe küm zuckern könnte man die kosten. Im Mai, so hofft er, werden die mern müssen, sondern allein um ihre Fläche der Gemeinde Menschen wieder ausgehen können. Kernaufgabe, die Pflege. In Heilmittellagern Dann will er bereit sein. «Bis dahin Schon jetzt, in der frühen Phase der Stein am Rhein SH von werden Antibiotika für heisst es überleben – irgendwie.» Pandemie, hat die Spitex begonnen, mit fast sechs Quadrat- Menschen und Tiere, Impfstoffe dem Zivilschutz zusammenzuarbeiten. kilometern pflastern. und schmerzstillende 600 000 Medikamente aufbewahrt; Spitex: Solidarität und Auch Nachbarschaftsinitiativen und neue Angebote wie hilf-jetzt.ch hätten Tonnen Weizen, andere Blutbeutel, Atemschutzmasken der Stolz auf das Team sich direkt gemeldet und Unterstützung Getreide und Proteinträger sichersten Kategorie sowie han- Unter den Kundinnen und Kunden von angeboten. «Das ist grossartig», sagt delsübliche Hygienemasken QUELLEN: BERICHT ZUR VORRATSHALTUNG 2019/BWL, MOBITOOL.CH, BDBE.DE, AREALSTATISTIK/BFS, CLICK-CHEF.COM, WIKIPEDIA für Menschen und Tiere lagern an rund Arda Teunissen gibt es Mitte März noch Teunissen: «Die Solidarität der Bevöl sind ebenfalls vorrätig. 200 Orten: etwa im 118 Meter hohen Swissmill Tower in Zürich, dem höchsten 34 000 keinen bestätigten Corona-Fall. Aber Teunissen, Geschäftsleitungsmitglied kerung ist enorm.» Auch im Team ist der Zusammenhalt Kornspeicher der Welt. Tonnen Speiseöle und Pflegefachfrau der Non-Profit- spürbar. Als sie gefragt habe, wer künf und Pflanzenfette Spitex Zürich Limmat, weiss, dass das tige Corona-Patienten betreuen wolle, reichen für vier Monate. wohl nur noch eine Frage der Zeit ist. hätten sich erstaunlich viele freiwillig Mit dieser Menge Die Organisation hat 1050 Angestell gemeldet. «Das ist nicht selbstverständ könnte man 15 olympische te, die täglich über 400 Besuche bei lich. Ich bin stolz auf meine Leute.» Um Verpackungen Pflegebedürftigen in der Stadt Zürich Schwimmbecken füllen. Die Energielager für Lebensmittel und Arznei herstellen zu machen. Auch jetzt, in dieser Krise, sind Mobilität: Eine Chance sie jeden Tag zur Stelle. Sie helfen im umfassen Benzin, können, wird Plastik- Haushalt, pflegen und betreuen. So wie für neue Modelle Diesel, Heizöle, Erdgas und granulat gelagert. Tausende weitere Spitex-Mitarbeiterin Homeoffice statt Büro: Was sich bis vor Flugpetrol für mehrere Mona- 2,7 nen und -Mitarbeiter im ganzen Land. kurzem viele wünschten, ist für ganze te. Ersatz-Brennelemente Diese Pflege ist extrem wichtig, damit Belegschaften jetzt Realität. «Ein er gewährleisten die Strom 1,2 nicht noch mehr Personen ins Spital zwungenes Experiment», sagt Arbeits versorgung durch AKWs. müssen, damit die Infrastruktur nicht psychologe und Unternehmensberater noch mehr belastet wird. Felix Frei. Arda Teunissen ist zuständig für Arbeiten daheim entlastet Strassen 370 000 die Fachentwicklung Pflege und Haus und Züge, nimmt Pendelstress weg und wirtschaft. Als Teil des Pandemiestabs erlaubt eine flexiblere Zeiteinteilung. Tassen Kaffee pro Tag Millionen Desinfektions kümmert sie sich um das Monitoring Umweltpolitikerinnen, Verkehrsplaner, könnten alle Einwohnerinnen und mittelflaschen der Einsätze. Alle Einsätze werden ak Familienfachstellen und Gleichstel Einwohner – inklusive Kinder – über drei Monate inklusive Deckel könnten tuell mit Gesichtsmasken absolviert. lungsbüros fordern schon lange: mehr trinken, bis die Kaffeelager leer sind. Mal um die Erde aus den 81 Tonnen gelagerten Die gebürtige Holländerin sagt: «Wir davon! In Grossraumbürozeiten wird Die Abschaffung dieses «nicht lebenswichtigen» könnte man mit einem Auto fahren. So viel Benzin Kunststoffgranulats brauchen jetzt jede pflegende Hand für die heimische Klause auch zum Rück 15 000-Tonnen-Vorrats scheiterte letztes Jahr. ist in den Lagern vorrätig. hergestellt werden. die Pflege, alles andere können auch zugsort für konzentriertes Arbeiten. Beobachter 7/2020 17
Kleine Momente des Glücks Telefon mit einem Kollegen. Kurz vor Schluss sagt er bedeutungsschwer: «Du, da wäre noch etwas.» Ich denke: Es hat ihn erwischt. Er: «Wir bekommen ein Kind!» Daniel Benz, Redaktor Meine vierjährige Tochter: «Mami, können wir ins Hallen- bad?» Ich: «Nein, Schatz, das ist zu wegen des Corona.» Sie denkt kurz nach: «Ou, dann sagen wir einfach der Bade- wanne Hallenbad, okay?» Nicole Platel, Beratungszentrum Ich gebe meinen älteren Nachbarn meine Telefonnum- mer, damit sie mich jederzeit anrufen können, wenn sie Findet viele neue Wörter: etwas brauchen. Ein 85-Jähri- Ruedi Widmer, Cartoonist ger ist so gerührt, dass er mich spontan in den Arm nehmen will – ich muss ihn davon In der aktuellen Situation könne aber Humor: Die Kraft Wir bekommen hautnah mit, was das abhalten zu seinem Schutz. nicht über Sinn oder Unsinn von Home für Menschen bedeutet, quasi ein office entschieden werden, sagt Frei. der Komik gesperrt zu sein und ohne soziale Kon Birthe Homann, Redaktorin «Wenn es zu Problemen kommt, liegt Ruedi Widmer, Cartoonist aus Winter takte auskommen zu müssen.» Darauf Nachbarschafts-Chat im es eher daran, dass die Unternehmen thur, sorgt dafür, dass trotz der Krise die müssten wir uns auch hier einstellen, Mietshaus (hatten wir schon schlecht vorbereitet sind, und nicht am tägliche Ration Schmunzeln nicht ver und diese Situation, die mache Angst. davor): «Liebe Nachbarn: Modell.» Auf die Probe gestellt werde die gessen geht, auch wenn ihm das zurzeit Trotzdem: «Humor hilft, vieles bes Wenn wir etwas für euch tun Art und Weise, wie in einer Firma gear manchmal schwerfällt (siehe Widmers ser zu ertragen.» Natürlich spiele da können, lasst es uns wissen. beitet wird. Funktioniert die Organi Schlusspunkt, Seite 74). Der 47-Jährige aktuell auch viel Galgenhumor mit. Zögert nicht – wir sind da.» sation im Team? Handeln die Leute selb sagt: «Meine Grundhaltung als Cartoo Aber auch das sei gut, «diese Freiheit Was rundum Hilfsangebote ständig? Weiss jeder, was seine Aufgaben nist ist immer: Ich stelle mich auf die dürfen wir uns nicht nehmen lassen», auslöste, verbunden mit dem sind? «Mit der räumlichen Distanz zeigt Seite der Schwachen. Geselle mich sagt er. «Ich erinnere mich noch gut an Vermietet seine Leute: Thomas Kellerhals, Sivex Wunsch: «Bliibed gsund!» sich, was die Chefs taugen. Wenn sie sozusagen zu denen, die leiden, nehme 9/11 vor fast 20 Jahren. Da wurden zwei Doris Huber, Beratungszentrum bisher nicht vertrauensbasiert geführt ihre Position ein.» Aktuell heisse das, Wochen lang quasi alle Karikaturen haben, den Mitarbeitern keine Kompe er würde sich nie über Menschen lustig und Cartoons verboten, die Zeitungen Ich suche inspirierende tenzen gaben, droht jetzt das Chaos.» machen, die vom Virus betroffen sind. druckten nichts dergleichen. Das finde sowie die Löhne für sich und die fünf eine Lösung finden.» Mitarbeiter zu Bücher über Zuversicht, Und: «Es gibt mehr Wege, um unsere Vielmehr über die, die immer noch ich vollkommen falsch. Tragik und Mitarbeiter konnten die drei Firmen entlassen, komme für ihn nicht in Frage. schrieb ich der Buchhändlerin Arbeit zu gestalten, als wir meinen.» meinen, das sei ein Hype und eigentlich Komik liegen nah beieinander, wir gründer bisher gut decken. Die Brüder «Doch bei einigen ist die Angst um den morgens per SMS. Am Abend Verkehrssoziologe Jörg Beckmann ganz harmlos – solche gebe es noch, müssen die Kraft der Komik nutzen!» Thomas, 31, und Matthias Kellerhals, 27, Job deutlich spürbar», erzählt er. lagen sie im Briefkasten. Ich erhofft sich das Gleiche auch in Sachen trotz Schulschliessungen und der kla und ihr Freund Norwin Messmer, 27, Am 16. März, eine halbe Stunde freue mich, sie zu lesen. Mobilität. Weniger pendeln, einkaufen ren Worte des Bundesrats. Handwerker: Arbeit erwirtschafteten in manchen Jahren nachdem der Bundesrat den Notstand Chantal Hebeisen, Online-Redaktorin in der Nähe, Wanderungen vom Wohn Widmer findet es spannend, wie sogar einen kleinen Gewinn. «Doch ausgerufen hat, hängen die Zeltplanen ort aus machen, zu Hause bleiben über plötzlich Wörter wie «Homeoffice», dank Facebook wenn die Einnahmen ausbleiben, ver schlaff von der Decke, die Festbänke Ostern – die Routine unserer raum «Quarantäne» oder «Social Distancing» «Um unsere Mitarbeiter weiter beschäf schmerzt das unsere Firma nicht lan sind sauber aufgeschichtet. Doch Kel Samstagabend, alle Veranstal- greifenden Lebensweise werde durch in den Alltag einziehen. Damit lasse sich tigen zu können, sind wir auf der Suche ge», sagt Thomas Kellerhals. lerhals lächelt. Er und seine Mitarbeiter tungen sind abgesagt, die brochen. «Vielleicht finden wir Ant humormässig was machen. «Aber jetzt nach Arbeit.» Am 5. März um 17.05 Uhr Als seine Kundinnen und Kunden die sind als Lehnarbeiter bei anderen Fir Jungs schwanken zwischen worten auf die Frage, wie wir mit weni kommt noch das Wort ‹Triage› dazu. setzt Thomas Kellerhals auf Facebook Aufträge wegen des Veranstaltungs men tätig. Wider Erwarten habe der ungläubigem Staunen und ger Verkehr trotzdem wirtschaften und Das ist grausam. Tod und Humor ge diesen Hilferuf ab. Seine Firma Sivex verbots stornierten, sei die Stimmung Facebook-Post eine grosse Solidaritäts Frustration. Und plötzlich sinnerfüllt leben können.» Damit sich hören irgendwie nicht zusammen.» aus Horgen ZH vermietet Festzelte – auf dem Nullpunkt gewesen. Doch welle ausgelöst, er wurde von über sitzt die ganze Familie im langfristig etwas ändere, müssten aus Wo die Grenzen der Satire sind, lotet eigentlich ein florierendes Geschäft. Die Angst mache ihm die Situation nicht. 680 000 Personen gesehen, über 7000- Wohnzimmer und spielt. den neuen Erfahrungen aber neue Rah Widmer immer wieder neu aus. «Ver laufenden Kosten von gut 850 000 Fran «Es ist ein stetiges Wechselbad der mal geteilt. Sogar aus dem deutschen Thomas Angeli, Redaktor menbedingungen hervorgehen. wandte meiner Frau leben in Italien. ken für Lager- und Abzahlungskosten Gefühle, aber ich weiss, dass wir immer Chemnitz kam eine Anfrage. 18 Beobachter 7/2020 Beobachter 7/2020 19
Hofft auf das Publikum: Nadja Zela, Rockmusikerin Frank Roselieb vom Deutschen Ins adio und Fernsehen SRF einen ein R lerweile reagiert und gibt der Schweizer titut für Krisenforschung an der Uni dringlichen Brief: «Entwickeln Sie Musik mehr Sendeplatz. versität Kiel sieht dieses Vorgehen Ideen, wie Sie die existenziell bedroh Nadja Zela wurden wegen der Coro kritisch. «Es ist nicht nachhaltig, seine ten Musiklokale, Filmstätten und uns na-Krise fünf Duo-Auftritte abgesagt. Mitarbeiter an andere Firmen zu ver Kulturschaffende unterstützen kön «Aber ich mache mir auch Sorgen um mieten, statt im Kernbereich nach nen.» Die 48-Jährige meinte weiter: mein kommendes Album ‹Greetings to Alternativen zu suchen. Ausserdem «Wenn ich von ‹uns› rede, meine ich Andromeda›, in das ich zwei Jahre zeigt die Forschung, dass es einer Firma Tausende Existenzen in der Kreativ und 25 000 Franken investiert habe.» mittelfristig eher schadet, wenn sie sich wirtschaft, die auch in guten Zeiten und Im Netz gebe es einige Plattformen mit in der Krise als einzige der Branche trotz harter Arbeit wenig verdienen – Online-Pay-Tools, auf die man seine kommunikativ aus der Deckung wagt.» nennenswerte Rückstellungen anzu Live-Musik-Videos stellen könne. «Das Thomas Kellerhals versucht zwar, häufen, ist für die meisten von uns nicht werde ich nun machen und hoffe auf seine Zelte für andere Zwecke anzubie möglich, umso härter trifft uns jetzt der Solidarität.» ten, etwa für Spitäler. Aber das sei nicht Shutdown der Kultur.» Die Musikszene Eine «ungeheure Welle der Solidari so einfach, weil oft das Militär zum Zug in der Schweiz sei sehr kreativ und tät» erlebt derzeit das Cully Jazz Festi komme. Er achte darauf, keinem ande innovativ, aber die Verteilkanäle wie val, ein Anlass mit Weltstars am Genfer ren Betrieb die Arbeit wegzunehmen. beispielsweise SRF seien nun gefordert. see. Es musste abgesagt werden. Mit der «Wir haben auch schon Aufträge abge Sonart, der Berufsverband der frei Mitteilung verschickten die Organisa lehnt, weil jemand vorher bereits offe schaffenden Musiker*innen, hat reagiert toren die Bitte, doch auf eine Rückfor riert hatte», erzählt er. «Die vielen aus und extra eine Datenbank eingerichtet, derung der Ticketpreise zu verzichten. nahmslos positiven Rückmeldungen auf der abgesagte Gigs gemeldet werden Das Echo war enorm: «Bisher haben haben uns einen enormen Motivations können. Zusammen mit SRF gleisen ver rund 60 Prozent der Besucher verzich schub gegeben. Ich habe mich gefragt, schiedene Musikverbände nun Lösun tet», sagt Direktor Jean-Yves Cavin ob man eine Plattform gründen könnte, gen auf, wie die Musikszene unterstützt überwältigt. «Und täglich treffen Spen wo man sich auch nach der Krise bran werden kann. Musikerin Zela doppelt den ein, um das Überleben zu sichern.» chenübergreifend helfen kann.» nach: «SRF könnte doch stundenlang Nadja Zela, der Nicht-Weltstar aus nur inländische Musik spielen, von Zürich, hofft derweil noch. Auf die Soli Kultur: Mehr Platz Kulturschaffenden, die Gagenausfälle darität ihres Publikums – und diejenige zu verzeichnen haben. Die Urheber der Programmmacher von SRF. für Schweizer Kultur rechtseinnahmen würden diese Aus Rockmusikern Nadja Zela aus Zürich fälle etwas abfedern, und das Publikum Lesen Sie zum Thema Alleinsein das schrieb Mitte März dem Schweizer wäre trotzdem erreicht.» SRF hat mitt Interview auf Seite 22. 20 Beobachter 7/2020
CORONA-KRISE «Die Frage ist, welche Qualität wir diesem Zustand geben» ALLEINSEIN. Einfach mal sich selber sein: Für Pater Martin Werlen vom Kloster Einsiedeln ist das ein Rezept gegen die persönliche Corona-Krise. Sie sind sehr aktiv auf Twitter, im Moment die einem Mühe machen. So erhält der Tag Die Frage ist, welche Qualität wir diesem häufig mit dem Hashtag #CoronaEremit. eine Dynamik. Eine Tagesstruktur hilft uns, Runterfahren geben. Wir können uns darü Weitere Artikel Was soll das bedeuten? die Zeit als Familie gut zu bewältigen. Wir ber beklagen, dass nichts mehr ist, wie es zu Corona: Pater Martin Werlen: Zurückgezogen zu leben verlieren nichts, wenn wir eine Ordnung einmal war, wir können uns darüber auf und nicht ständig in der Öffentlichkeit unter in unsere Tage hineingeben, sondern wir regen, aber da gehen wir nur kaputt, das Standpunkt: Die Corona- wegs zu sein, gehört ganz wesentlich zum gewinnen alle. baut nicht auf. Wenn ich entdecke, dass Krise zwingt uns eine Leben eines Mönchs oder einer Nonne dazu. dieses gesellschaftliche Herunterfahren dringend nötige System- Unsere Idee ist, dass gerade wir als Ordens Viele Menschen haben Mühe mit dem mich dazu bewegt, selber herunterzufahren korrektur auf. → Seite 9 leute aus eigener Erfahrung Impulse geben Alleinsein. In Ihrem Leben gehört das aber und einfach zu sein, und dass ich nicht können, wie man mit der momentanen fest dazu. Können wir das heute nicht mehr? ständig etwas leisten muss, dann ist das Ratgeber Psychologie: Was Situation umgehen kann. Alleinsein war schon immer eine grosse eine wertvolle Erkenntnis. man gegen die Einsamkeit Herausforderung für die Menschen. Im tun kann. → Seite 61 Kann man mit Twitter, Livestreams und Religionsunterricht habe ich eingeführt, Sie haben auf Twitter einen Satz des heiligen anderen sozialen Medien die momentane dass wir in jeder Doppelstunde während Benedikt zitiert, man solle «in schwierigen Schlusspunkt: Cartoonist Situation besser ertragen? zehn Minuten einfach da sind, in vollkom Situationen die Geduld gleichsam bewusst Ruedi Widmers Blick auf Social Media sind nur Instrumente, um mener Stille. Wir haben mit zwei Minuten umarmen». Wie umarmt man die Geduld? die Krise. → Seite 74 Impulse weiterzugeben, aber ich bin sehr angefangen und dann langsam gesteigert. Wenn mich etwas wahnsinnig aufregt, ver froh, dass wir sie zur Verfügung haben. Vor Die Schülerinnen und Schüler merken: Ich suche ich, die Geduld bewusst zu umarmen. Ratgeber: Für Seniorinnen 50 Jahren war es noch nicht einmal selbst darf einfach sein, ich muss nichts leisten. Ich entscheide bewusst, jetzt nicht aus einkaufen, Kinder betreuen: verständlich, dass man jederzeit telefo Und das gibt ihrem ganzen Tag eine andere zurasten, sondern ich ziehe mich zurück, Was Sie beachten müssen, nieren konnte. Heute können wir einander Farbe. Ich stelle fest, dass das uns als Klasse setze mich allein irgendwohin und trage das wenn Sie anderen helfen. sogar am Bildschirm sehen oder miteinan zusammenschweisst, wenn wir einfach vor Gott. Und nicht dem Impuls folgen, dem → beobachter.ch/solidaritaet der chatten. Das bringt in vieles eine ganz miteinander da sein können. Das verbindet anderen etwas ins Gesicht zu werfen. In andere Dynamik hinein. uns viel mehr, als wenn wir miteinander solchen Situationen sind wir «üs em Hüsli». tratschen und immer die Gleichen zusam Für den heiligen Benedikt war es wichtig, Wir sehen einander aber bloss auf dem menstehen. dass wir bei uns selber daheim sind. Und Bildschirm. Der Mensch braucht doch den wenn wir «üs em Hüsli» sind, sind es a ndere direkten, körperlichen Kontakt. Im Moment hört man überall, dass man die bald einmal auch. Gerade wenn wir wie jetzt Meiner Meinung nach sind auch Kontakte Gesellschaft herunterfahren muss. Das hat oft öfter zu Hause sind, ist es wichtig, das zu über Medien wie Twitter oder Skype richtige einen negativen Touch … vermeiden. INTERVIEW: THOMAS ANGELI Kontakte, schliesslich kommuniziere ich mit realen Menschen. Wenn man früher mit Rauchzeichen Nachrichten weitergab, dann war auch das ein Kontakt von Mensch zu Mensch. Ich glaube, die Einteilung in vir tuelle und reale Kontakte ist falsch. Es sind alles reale Kontakte, aber wir müssen sie pflegen. Auf Twitter erlebe ich das immer wieder. So sind ja auch Sie dazu gekommen, strukturieren, kann es sehr leer werden. In dem ich eine Struktur schaffe, gibt diese mir «Auch Kontakte mich anzurufen. In der momentanen Situ Halt und bringt eine Dynamik in den Tag. über Medien ation entdecken wir neu, wie es uns freut, wie Twitter wenn man Kontakt aufnimmt. Und wie soll man das anpacken? und Skype Als Mönch sind Sie es gewohnt, nach strikten Nehmen wir uns ein Beispiel am evangeli schen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Wäh sind richtige Regeln und mit einem beschränkten Bewe- rend seiner Einzelhaft durch die Nazis gab Kontakte.» gungsradius zu leben. Haben Sie Verständnis er sich ein klares Tagesprogramm mit Pater Martin Werlen, 58, lebt für Leute, die mit diesen Einschränkungen Lektüre, Beten und Singen, Schreiben, Ruhe als Benediktinermönch im FOTO: PASCAL MORA/KEYSTONE Mühe haben? und Essen. In unserer heutigen Situation ist Kloster Einsiedeln. Von 2001 bis Selbstverständlich! Gerade in solchen Situ das ebenfalls sehr wichtig. Eine Zeit zum 2013 war er Abt des Klosters. ationen ist es wichtig, dass man eine Alleinsein und eine Zeit zum Miteinander Sein Twitter-Name lautet @MoenchMartin. Struktur in den Tag bringt. Als Benediktiner sein. Als Familie kann man zum Beispiel können wir dazu vielleicht ein paar Impulse Spiele wiederentdecken oder sich mitei geben. Wenn wir Zeit haben, sie aber nicht nander austauschen, auch über die Dinge, 22 Beobachter 7/2020
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