WANDEL e v . d Einblick in Forschung und Lehre der PTHV 2019/20 - DIE UNIVERSITÄT FÜR THEOLOGIE UND PFLEGEWISSENSCHAFT

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WANDEL e v . d Einblick in Forschung und Lehre der PTHV 2019/20 - DIE UNIVERSITÄT FÜR THEOLOGIE UND PFLEGEWISSENSCHAFT
PHILOSOPHISCH-THEOLOGISCHE HOCHSCHULE VALLENDAR
   Kirchlich und staatlich anerkannte Wissenschaftliche Hochschule in freier Trägerschaft

                                                                                  WANDEL

                                                                                                         .de
                                                                                                  . p thv
                                                                                            w   ww

                               Einblick in Forschung und Lehre der PTHV 2019/20
                    DIE UNIVERSITÄT FÜR THEOLOGIE UND PFLEGEWISSENSCHAFT
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ÜBERSICHT
         Grußwort der Prorektorinnen                                                        |3
 1       Jahresthema Wandel                                                                 | 4-30
         Wandel Trägerschaft / Ringvorlesung „Digitalisierung“                              |4
         Antworten auf die Corona-Krise                                                     |6
         Pflege im Wandel: „CHN“-Studium                                                    | 10
         Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit                                             | 12
         Segen über eine kranke Welt                                                        | 14
         Konzilsforschung in Zeiten von Corona                                              | 16
         Rosa Flesch: Vor- und Leitbild                                                     | 18
         Studium im Wandel: Online-Lehre                                                    | 20
         Kinder sind die Garanten des Wandels                                               | 22
         (Altenheim-)Seelsorge im Wandel                                                    | 24
         Herausforderungen in der Langzeitpflege                                            | 26
         PTHV im Wandel: Renovierung der Bibliothek                                         | 28
 2       Einblick in die Forschung: Theologie                                               | 30
 3       Einblick in die Forschung: Pflegewissenschaft                                      | 34
 4       Träger, Förderer und Sponsoren                                                     | 38
 5       Zahlen und Fakten                                                                  | 40
         Termine                                                                            | 42
         Impressum                                                                          | 43

                                — „Gott sucht sich das Kleine aus, wenn er Großes vorhat.“ —
     Lernen Sie Mutter M. Rosa Flesch (1826–1906) und ihre Ideale kennen. Sie war die Gründerin der
 Waldbreitbacher Franziskanerinnen und ist neben Vinzenz Pallotti ein wichtiges Leit- und Vorbild für
    die PTHV. An verschiedenen Stellen in diesem Jahresbericht können Sie Zitate von ihr entdecken.
                                                   Viel Freude beim Suchen, Finden und Verstehen!
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GRUßWORT DER PROREKTORINNEN
LIEBE LESERINNEN UND LESER, LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DER PTHV,

als wir das Thema „Wandel“ als Thema für den Jahresbericht 2019/20 vereinbarten, ahnte nie-
mand, wie sehr dieses Thema uns einholen würde. Es gibt Jahre, die man nicht vergessen
wird, und dazu gehört das Jahr 2020. So war bei allem Wandel, der uns freiwillig, aber auch
unfreiwillig beschäftigte, gerade die Hochschulleitung damit beschäftigt, Kontinuität in Zei-
ten der Corona-Pandemie zu gewährleisten: Fortführung der Lehre, wenn auch auf digitalem
Weg, Kontakte unter den Kolleginnen und Kollegen, Studierenden, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in der räumlichen Zerstreuung des Homeoffice, Planung in eine sich manchmal
mehrfach täglich verändernde Zukunft hinein. Leben in Unsicherheit, eine in der Pflegewis-
senschaft zentrale Kompetenz, wurde plötzlich zum allgemeinen Exerzitium. Das wäre nicht
gelungen ohne die zupackende und kollegiale Zusammenarbeit vieler Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in beiden Fakultäten, nicht zu vergessen die Pallottinische Hausgemeinschaft und
die Geschäftsführung, die die gesamte PTHV gGmbH im Blick hatten. Dafür gebührt allen
Beteiligten ein großer Dank.

Die Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, betreffen zentral die Fächerkombinati-
on an der PTHV (von der Virologie einmal abgesehen): Heil und Heilung, Gerechtigkeit und le-
benswerte Zukunft in einer verwundbaren und schicksalhaft aufeinander verwiesenen Welt.
Der vorliegende Jahresbericht gibt Einblicke in das, was uns in diesen Monaten bewegte. Ein
zwar angekündigter Wandel war für die PTHV mit einem schmerzlichen Abschied verbun-
den: Zum Ende des Wintersemesters wechselte unser Rektor, Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski,
an die Universität Erfurt. Wir verdanken ihm viel von dem, was sich in den letzten Jahren, in
denen er das Rektorat führte, an der PTHV gewandelt hat, zusammengewachsen ist und in
die Gesellschaft hineingewirkt hat. Seine Abschiedsvorlesung „Freiheit und Menschenwür-
de – im Schatten der Corona-Pandemie“ fasste die Kernanliegen seines philosophischen und
humanen Denkens eindringlich zusammen. Leider konnte die Verabschiedung aufgrund der
Pandemie nur im kleinen Rahmen stattfinden. Den Diskurs um die theologischen und pflege-
wissenschaftlichen Kernanliegen, die Herausforderungen und notwendigen Veränderungen,
die an die Hochschule gestellt werden, führen wir auch in sich wandelnden Zeiten fort. In
anderer Form, im wahrsten Sinne des Wortes gewandelt, aber wie immer fruchtbar.

Prof. Dr. Erika Sirsch                              Prof. Sr. Dr. Margareta Gruber OSF
Proektorin Pflegewissenschaftliche Fakultät         Prorektorin Theologische Fakultät
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PTHV: WANDEL IN DER TRÄGERSCHAFT
Nach vielen Verhandlungen der bisherigen Träger der PTHV – Marienhaus und Pallottiner –
ist es jetzt klar: Ab dem kommenden Jahr wird es ohne Marienhaus weitergehen. Ende Juli
beschloss die Provinzversammlung der deutsch-österreichischen Pallottinerprovinz die
Fortführung als Alleingesellschafter ab 2021. In der Pressemitteilung heißt es:

Die Provinzversammlung der Pallottiner KdöR hat sich am 27. und 28. Juli 2020 in Vallendar mit
der Zukunft der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Gesellschaft des Katholischen
Apostolates (Pallottiner) in Vallendar, abgekürzt PTHV, befasst. Die PTHV ist eine katholische
Hochschule in freier Trägerschaft im Rang einer Universität. Träger der Hochschule ist die
PTHV gGmbH. Ihre Gesellschafter sind die Vinzenz Pallotti gGmbH und die Marienhaus Hol-
ding GmbH.

Die Marienhaus Holding zieht sich zum Jahresende 2020 aus der Trägerschaft der Philoso-
phisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) zurück. Sie unterstützt die Hochschule
allerdings noch mit einem einmaligen namhaften finanziellen Beitrag, um so den Fortbestand
der Hochschule mit zu sichern. Die Marienhaus Unternehmensgruppe tut diesen Schritt, um
sich noch stärker auf ihr Kerngeschäft – also den Betrieb von Kliniken, Senioreneinrichtungen,
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Hospizen – konzentrieren zu können.

Aufgrund dieser Entscheidung haben die Pallottiner geprüft, ob sie die Trägerschaft als Al-
leingesellschafter übernehmen und die Hochschule mit einem innovativen Konzept alleine in
eine neue Zukunft führen können. Nach eingehenden Beratungen in der Gemeinschaft mit
anderen Institutionen, externen Beratern und Gutachtern aus dem Bereich Hochschulen und
Hochschulförderung hat die Provinzversammlung am 28. Juli 2020 in Vallendar mit großer
Mehrheit ein Konzept zur Sanierung und Neuausrichtung der Hochschule beschlossen. Die
Pallottiner übernehmen damit auch die alleinige Verantwortung als Träger der PTHV.

Bis Ende des Jahres 2020 wird eine konkrete Strategie zur Neuausrichtung der Hochschule
erarbeitet und gleichzeitig ein Sanierungsprogramm zur Reduzierung der Kosten einge­
leitet.

Die Pallottiner sind sehr froh, dieses traditionsreiche Apostolat mit einer zeitgemäßen Visi-
on in eine neue Zukunft führen zu können. Provinzial Pater Helmut Scharler SAC sagte: „Die
Entscheidung für die Fortführung der Hochschule ist ein starkes Zeichen der Lebendigkeit
unserer Provinz. Es spricht für unser Vertrauen in die Zukunft und zeugt von einem jungen
Herzen“.

Autor | Prof. P. Dr. Paul Rheinbay SAC
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ONLINE RINGVORLESUNG „DIGITALISIERUNG“
Auch im akademischen Jahr 2019/20 bot die PTHV für die interessierte Öffentlichkeit eine
Ringvorlesung mit Lehrenden aus beiden Fakultäten (bis zu den Corona-Beschränkungen
wie gehabt an verschiedenen Veranstaltungsorten, danach digital) an. Dieses Mal zum
Thema „Digitalisierung“. Alle Vorlesungen sind wieder in der Mediathek von Domradio
Köln zu finden (www.domradio.de) sowie auf der PTHV-YouTube-Seite.

„Was ist, wenn der Computer den Pflegebedarf bestimmt?“
Prof. Dr. Erika Sirsch

„Die Gefahr der Verallgemeinerung – Ezechiels Kritik an Sprichworten und Günter
Grass‘ Analyse moderner Hassmedien in ‚Krebsgang‘“
Prof. P. Dr. Alban Rüttenauer SAC

„Vom Pergament zum Internet. Medien der Glaubensvermittlung in der Geschichte
der Kirche“
Prof. P. Dr. Joachim Schmiedl ISch

„Auch Technik läuft auf Gott hinaus. Der hl. Bonaventura zum Verhältnis von Technik
und Theologie“
Prof. P. Dr. Markus Schulze SAC

„How dare we? Philosophische Überlegungen zur ökologischen Krise“
Prof. Dr. Franziskus von Heereman

„Der Mensch als Prometheus – Mängelwesen oder Krone der Schöpfung“
Dr. Michael Schmude

„Mia oder Paro? Zum Einsatz von Hunden und Robotern in der Therapie von
Menschen mit Demenz“
JProf. Dr. Sabine Nover

„Sprachmittlung, Übersetzung, Kommunikation. Eindrücke aus dem
Forschungsprojekt TONGUE zu kultureller Vielfalt im Krankenhaus“
Nils Fischer und Dr. Sabine Könninger

„Mission im Zeitalter der Digitalisierung“
Prof. Dr. mult. Klaus Vellguth
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ANTWORTEN AUF DIE CORONA-KRISE
Theologie, Ethik, Pflege: Durch die Corona-Krise wird die Republik vor große Herausfor-
derungen gestellt. Vor allem in den Kliniken, den Pflegeheimen und der ambulanten Ver-
sorgung sind die Auswirkungen erkennbar. Der öffentliche Diskurs wird durch die Medizin
bestimmt, vor allem durch die virologische Fachkompetenz. Diese Perspektive ist wichtig,
gerade in der aktuellen Krise essentiell. Aber es kann wenig Zweifel dahingehend geben,
dass mit der Corona-Krise theologische, ethische sowie pflegewissenschaftliche Fragen
verbunden sind, die weit über die aktuelle Situation hinausgehen. Aus diesen drei Pers-
pektiven wird im Folgenden eine Reflexion im Hinblick auf die Corona-Krise vorgenom-
men. Der Text ist zuerst auf dem Internetportal katholisch.de erschienen.

Die theologische Perspektive: Dass Würde und Wert des Menschen in seiner Gottebenbild-
lichkeit begründet liegen, ist eine der zentralen Einsichten der christlichen Theologie. Gegen-
über substanz- und eigenschaftsontologischen Ansätzen, welche das Wesentliche des Men-
schen am Vorhandensein bestimmter Eigenschaften oder Fähigkeiten festmachen (z. B.
Vernunft, Sprache, Bewusstsein), wird aus dieser Tradition als anthropologische Fundamen-
talbestimmung herausgestellt, dass alle Menschen vor Gott gleich sind und als Personen An-
erkennung beanspruchen können. Mehr noch: Vulnerabilität und Endlichkeit gehören subs-
tantiell zur menschlichen Existenz. Das wird uns mit jeder Krankheit vor Augen geführt, nicht
zuletzt auch in der aktuellen Krise.

Aus christlicher Sicht ist es das Leben und Sterben Jesu von Nazareth, aus dem ein Lebensent-
wurf abgeleitet werden kann, der sich von Barmherzigkeit, Solidarität und konkretem Engage-
ment für die Letzten und Verwundbarsten leiten lässt und der im Ernstfall sogar den Einsatz
des eigenen Lebens nicht scheut. Für eine Gesellschaft im Ausnahmezustand ist es aus dieser
Perspektive die Solidarität, über die zwingend nachzudenken ist. Niemand hat das je besser
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ins Bild gesetzt als Pier Paolo Pasolini, der abseits aller sentimentalen Klischees in seinem Film
„das 1. Evangelium – Matthäus“ aus dem Jahre 1964 die sozialen Aspekte der Botschaft Jesu in
den Vordergrund gerückt hat. Christus wurde als leidenschaftlicher Bekämpfer des Unrechts
dargestellt, das die Menschen sich selbst zugefügt haben.

Nun ist die Corona-Krise kein Leid, für das irgendjemand verantwortlich gemacht werden
kann; bestenfalls Regierungen, die zu spät, halbherzig oder falsch gehandelt haben. Die
Konsequenz im Sinne eines radikalen Christentums ist jedoch gleich: Sorge, Mitgefühl und
praktische Hilfe für die Schwachen und die Ärmsten sind das Gebot dieser Stunde. Deshalb
ist es ein hoffnungsvolles Zeichen, dass ausgerechnet einer der reichsten Männer der Welt –
Bill Gates – zur Unterstützung der afrikanischen Staaten aufruft. Er weiß, dass Nächstenliebe
nicht nur eine Floskel ist. Denn gerade in den ärmsten Ländern wird die Krise am deutlichsten
zuschlagen. Damit soll nicht geleugnet werden, dass auch bei uns (und in allen europäischen
Ländern, Asien und den USA) große Herausforderungen erkennbar sind. Aber niemand wird
in Abrede stellen können, dass die Katastrophe ganz woanders eintreten wird. Wir wissen,
dass dies so geschehen wird. Und wir sind zur Solidarität (in Form von Schuldenerlassen, Un-
terstützung durch medizinisches Gerät, Unterstützung durch Fachpersonal, etc.) aufgerufen.
Dies war auch eine der klaren Aussagen in der Osterbotschaft von Papst Franziskus.

Der ethische Blickwinkel: Ethische Kriterien für eine klinische Entscheidung knüpfen an die
grundlegenden Gedanken einer theologischen Anthropologie an und stellen die Menschen-
würde ins Zentrum. Damit verbunden sind Hinweise dahingehend, wie Willkür, Diskriminie-
rung oder Instrumentalisierung von Menschen zu vermeiden sind (Vgl. auch die aktuelle
Stellungnahme des Ethikrats katholischer Träger von Gesundheits-und Sozialeinrichtungen
im Bistum Trier: www.pthv.de/forschung/institute/ethik-institut/ethikrat/stellungnahmen-
des-ethikrats/). Als normative Richtschnur dienen die vier Prinzipien der biomedizinischen
Ethik: der Selbstbestimmung, der Fürsorge, des Nichtschadens und der Gerechtigkeit. Es
darf kein Unterschied im Zugang, der Behandlung und der Therapie gemacht werden, etwa
im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Religion, kulturellem Hintergrund, Sozialstatus etc. Einzig
und allein medizinisch-pflegerische, fachliche und ethische Überlegungen sind ausschlag-
gebend.

Auch in Fällen, bei denen nicht ausreichend Ressourcen vorhanden sind (z. B. zu wenig Beat-
mungsgeräte), ist eine Orientierung unzulässig, die mit Werturteilen über die Person des Pati-
enten verbunden ist. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die technischen und personellen
Ressourcen einer Intensivstation im Prinzip für alle Patienten mit intensivmedizinischem Be-
handlungsbedarf zur Verfügung stehen müssen. Machen wir es konkret: In Italien hatte man
sich dazu entschlossen, möglichst viele Lebensjahre zu retten. Aufgrund der unzureichenden
Ressourcen stand man aber vor der Herausforderung, ältere Menschen, mehrfach erkrankte
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Personen oder andere „Risikogruppen“ nicht mehr an die Beatmungsmaschinen anzuschlie-
ßen und stattdessen jüngere und weniger gefährdete Menschen zu bevorzugen. Eine sol-
che Selektion vulnerabler Personen ist aus ethischer Sicht inakzeptabel. Denn sie verstößt
letztlich gegen die Menschenwürde. Und diese Praxis führt in der Konsequenz dazu, dass
Stigmatisierung, Angst und Ausgrenzung bei älteren Menschen und Schwachen zunehmen,
davor warnen bereits Fachgesellschaften, u. a. die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie
und Geriatrie.

Der Wandel der Pflegebranche und die neue Rolle der Pflege: Die grundlegende Orien-
tierung seitens der christlichen Theologie (d. h. Solidarität) und die konkreten Empfehlungen
für kritische Entscheidungssituationen aus ethischer Sicht (d. h. Diskriminierungsverbot) müs-
sen vor einem z. T. substantiellen Wandel des Gesundheits- und Pflegesystems und neuen
Anforderungen an die Pflege verortet werden. Zwar wird aktuell den „Helden des Alltags“
applaudiert; die wichtigste Botschaft aus der Corona-Krise muss aber lauten, die Misere der
Pflege politisch in den Blick zu nehmen und nachhaltig (und nicht nur symbolisch) Mängel
in der Bedeutung der Pflege und ihrer professionellen Versorgungspraxis zu beseitigen. Wir
haben die Krankenhäuser als Profitcenter umfunktioniert, zwischen 1995 und 2006 insgesamt
51.000 Pflegestellen dort wegrationalisiert, die Zahl der Patienten um sechs Prozent erhöht
und die Verweildauer von 13,3 Tagen 1992 auf 7,3 Tage 2017 reduziert.

Aktuell kommen nur 19 Pflegende auf 1.000 Fälle, in Japan sind es 53,1 Pflegende und selbst
im OECD-Durchschnitt sind es 31,9. Deutschland nimmt im europäischen Vergleich – vor Israel
und Ungarn – den drittletzten Platz ein. Bekannt ist die extreme Belastung des Pflegeberufs,
seine geringe Bezahlung (vor allem in der Altenpflege), seine ambivalente gesellschaftliche
Anerkennung. Geradezu skandalös ist die niedrige Akademisierungsquote der Pflege; sie liegt
aktuell bei 0,6 Prozent bundesweit. Der Wissenschaftsrat hatte vor fast zehn Jahren bereits
einen Anteil von 10 bis 20 Prozent gefordert, hiervon sind wir noch weit entfernt. Wenn wir
wirklich Innovationen und Weiterentwicklungen wollen, dann brauchen wir einen Schub für
die Hochschulen, die akademische Entwicklung und die Professionalisierung der Pflegenden.
Nur so kann eine Anschlussfähigkeit an internationale Entwicklungen, z. B. in den skandinavi-
schen Ländern aber auch an Schottland und Großbritanien, ermöglicht werden.

Aber es geht nicht nur um Konkurrenz; aus pflegerischer Perspektive lautet die wichtigste
Lehre aus der Corona-Krise, dass die Rolle der Pflege neu aufgestellt werden muss. Niemand
hat das besser formuliert als der deutsche Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock, und
zwar bereits vor 25 Jahren. Er war der Meinung, dass von Eigenständigkeit, angemessener
Problemwahrnehmung und erst recht von einer wissenschaftlichen Fundierung des Pflege-
handelns keine Rede sein kann. Denn nach einer langen caritativen Tradition wurde die Pflege
im 19. Jahrhundert als ärztliche Assistenzarbeit neu konzipiert. Die Medizin hat es verstanden,
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9 | JAHRESTHEMA WANDEL

das caritative Element der Pflege als Dienst am Nächsten in den Dienst am Arzt umzuwan-
deln. Dieses Monopol, so muss die Konsequenz aus der Corona-Krise lauten, hat sich heute
überlebt. Eine neue Vision für unser Gesundheitswesen kann nur multi- und interdisziplinär
gedacht werden, und zwar mit neuem Selbstbewusstsein der Pflege – jenseits ihrer politi-
schen Regulierung und der Unterordnung unter die ärztliche Profession.

Die Konsequenz: Die These dieses kurzen Textes lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen:
Wenn wir nicht nur aktuell die Krise bewältigen wollen, sondern aus ihr lernen und die richti-
gen Konsequenzen ziehen wollen, dann müssen wir folgende Punkte beachten:

 –– Erstens darf die Deutungshoheit über das Gesundheitswesen nicht allein der Medizin –
    und vor allem den Virologen – überlassen werden. Deren Vorschläge an die Politik sind
    aktuell hoch bedeutsam. Aber mittel- und langfristig kann nur eine übergreifende Per-
    spektive Richtschnur sein und nachhaltige gesellschaftliche Akzeptanz beanspruchen.
    Dazu gehören die genannten Disziplinen, sicher auch noch weitere. Sie müssen sich zu
    Wort melden, eine multi- und interdisziplinäre Besinnung ist am Ende notwendig.

 –– Zweitens sollten wir das Aufgaben- und Kompetenzprofil der Pflege überdenken. Wie
    soll eine professionelle Arbeitsweise etabliert werden, wenn am Ende jede noch so bana-
    le Verordnung vom Arzt angeordnet und nicht selbständig seitens der Pflege verantwor-
    tet wird? Wir verlangen nach engagierten, motivierten und klugen Köpfen in der Pflege,
    blockieren aber jede Veränderung durch ein arztzentriertes Gesundheitssystem, welches
    sich längst überholt hat – von der Akademisierung ganz zu schweigen.

 –– Drittens sollten wir die Krise zu einem Innehalten und zu einem Moratorium nutzen –
    auch für die Politik. Die ist im Moment mit der Bewältigung der Krise beschäftigt. Aber die
    Zeit danach sollte genutzt werden für eine neue Vision eines Gesundheitswesens – jen-
    seits der Profitmaximierung, der Ausbeutung der Pflegenden und der Benachteiligung
    der Schwachen. Die Zeit ist reif für die Renaissance der Gemeinwohlidee im Gesundheits-
    wesen. Dazu brauchen wir öffentliche Foren der Verständigung, und zwar unter Beteili-
    gung der Hochschulen – nicht nur als Talkshow-Inszenierungen. Versinken wir also nach
    der Krise nicht in einer neuen Geschäftigkeit und Besinnungslosigkeit, sondern tun wir
    das, was das Schwerste ist: Lernen!

   * ANMERKUNG: FÜR KRITISCHE UND KONSTRUKTIVE HINWEISE DANKE ICH
     PROF. SR. DR. MARGARETA GRUBER OSF, PROF. P. DR. PAUL RHEINBAY SAC UND PROF. DR. ERIKA SIRSCH.
     DER BEITRAG MUSS ALS GEMEINSAME ARBEIT UND FÄCHERÜBERGREIFENDE STELLUNGNAHME
     AUF DIE CORONA-KRISE VERSTANDEN WERDEN.

                                                            Autor | Prof. Dr. Hermann Brandenburg *
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PFLEGE IM WANDEL: „CHN“-STUDIUM
Im Wintersemester 2020/21 startet erstmalig der an der Pflegewissenschaftlichen Fakultät
der am Lehrstuhl Pflegewissenschaft von Prof. Dr. Frank Weidner zusammen mit Dr. Maria
Peters und Manuela Völkel entwickelte Masterstudiengang „Community Health Nursing“
(CHN). Die Entwicklung wurde an insgesamt drei Hochschulen in Deutschland von der
Robert Bosch Stiftung und der Agnes-Karll-Gesellschaft gefördert und unterstützt.

PTHV: Prof. Weidner, worum geht es bei Community Health Nursing?
F. W.: „Community Health Nursing“ ist ein international verbreitetes Konzept für die erwei-
terte Pflegepraxis, vorrangig im häuslichen und kommunalen Bereich. Wir übersetzen CHN
als primäre und kommunale Gesundheitspflege. Sie hat zum Ziel, Prävention, Beratung und
Gesundheitsversorgung für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie hochaltrige Menschen,
aber auch für Familien und Menschen mit Vorerkrankungen anzubieten. Die Themen In-
terdisziplinarität und Vernetzung im Sozialraum stellen dabei zentrale Perspektiven dar. So
sollen bestehende und neue Angebote im Quartier besser auf die individuellen Bedarfe der
Zielgruppen abgestimmt und dazu die verschiedenen Akteure optimal miteinander vernetzt
werden. Dazu gehören gleichermaßen professionelle Angebote von Ärzten, ambulanten Pfle-
gediensten oder Physiotherapie genauso wie niedrigschwellige Angebote und Einsatz von
ehrenamtlich Engagierten.

PTHV: Wo wird die Community Health Nurse (männlich und weiblich) konkret eingesetzt?
F. W.: Die Community Health Nurse arbeitet zum einen im Gesundheitswesen zusammen mit
Ärzten und Therapeuten z. B. in Gesundheitszentren, Ärztenetzwerken und Medizinischen
Versorgungszentren. Sie kann dort als erste Ansprechpartnerin für Patienten agieren und
organisiert dann je nach Bedarf die weiteren Behandlungsschritte. Ferner kann sie in enger
Absprache mit dem interdisziplinären Team chronisch kranke Menschen besuchen, beglei-
ten und behandeln. Zum anderen gibt es ein großes Einsatzfeld für die CHN-Absolventen
in der kommunalen Daseinsvorsorge. Hier planen und organisieren sie im Netzwerk mit
anderen Akteuren beispielsweise bedarfsgerechte Unterstützungs- und Pflegeangebote im
Sozialraum und übernehmen Verantwortung für die kommunale Pflegestrukturplanung.
Gesundheitsförderung, Prävention, Vernetzung und Befähigung von Menschen stehen als
Handlungsstrategien dabei im Vordergrund.
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PTHV: Es wird im Zusammenhang mit CHN auch von einer
erweiterten Pflegepraxis gesprochen – was bedeutet das genau?
F. W.: Deutlich wird ja, dass es sich sowohl bei der primären
als auch der kommunalen Gesundheitspflege um neue, er-
weiterte Aufgabenfelder mit deutlich mehr Verantwortung
für die Pflege handelt. Das hat sowohl mit Umsetzung von
Diagnostik und Therapie, aber auch mit Planungs- und
Organisationsverantwortung zu tun. Je nach gesetzlicher
Rahmenbedingung und Kooperationsvereinbarung vor Ort
wird die Pflege zukünftig mehr eigenständige Heilkundeaus-
übung übernehmen, so wie es international schon üblich ist.
CHN stellt dabei einen Prototypen für die erweiterte Pflege-
praxis im Sozialraum dar.
                                                                 Prof. Dr. Frank Weidner
PTHV: Was erwartet die Studierenden im CHN-Studium –             ist Studiengangsleiter
welche Schwerpunkte gibt es?                                     des neuen Angebots
F. W.: Wir legen in Vallendar gezielte Schwerpunkte auf die
Rahmenbedingungen, Theorie und Praxis des CHN genauso
wie auf Methoden des Case und Care Management, der Be-
ratung und Vernetzung. Eine besondere Betonung legen wir
auf ethische Fragen sowie auf praktische Anwendungen. Der
Mensch wird ausdrücklich mit seinen individuellen Bedürf-
nissen und Wünschen nach Selbstbestimmtheit und Teilhabe
gesehen. Die Studierenden müssen Praktika absolvieren,
die im In- wie im Ausland stattfinden können. Das Studium
dauert in der Regel zwei Jahre in Präsenz- und Selbststudien-
zeiten, findet in intensiver Kleingruppenarbeit statt und wird
digital unterstützt. Kurzum: Wir machen die Studierenden fit
für ihre neuen Aufgaben in der primären und kommunalen
Gesundheitspflege.

 Der Masterstudiengang „Community Health Nursing – primäre und
 kommunale Gesundheitspflege“ startet zum Wintersemester 2020/21 an
 der PTHV und schließt nach vier Semestern mit einem Master of Science
 (M.Sc.) ab. Es gibt ein Zuwendungsprogramm von bis zu 4.000,- Euro aus
 der Robert Bosch Stiftung pro Studierende/n der ersten Studienkohorte.
 Weitere Informationen unter: www.community-health-nursing.de

                                                                   Interview | Verena Breitbach
12 |

CHANCEN- UND GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT
In ihrem Beitrag plädiert JProf. Dr. Maria Marchwacka, Lehrstuhl für Berufspädagogik mit
dem Schwerpunkt Gesundheits- und Pflegedidaktik, Studiengangsleitung Lehramt Pflege
an Berufsbildenden Schulen (BBS) und Gleichstellungsbeauftragte an der PTHV, für eine
Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit, Teilhabe und Teilnahme.

Die erste Frau, die das Amt einer Bundesministerin bekleidet hat, Elisabeth Schwarzhaupt (zu-
gleich Juristin, die sich für Gleichberechtigung einsetzte), war Anfang der 1960er Jahre für das
Ressort Gesundheitswesen zuständig. Ein Bereich, der vorwiegend von Frauen begleitet wird.
Die aktuelle Covid-19-Pandemie-Situation hebt die Bedeutung der gesundheitlichen Versor-
gung, der Fürsorge – im physischen, psychischen und sozialen Sinne – und damit die Tätigkeit
der Frauen hervor. Fürsorge oder Pflege bzw. Care (aus dem Englischen) wird im Sinne pfle-
gerischer bzw. medizinischer (aber auch emotionaler) Fürsorge verstanden, eben Betreuen,
Kümmern, Sorgen. Hierbei bezieht sich die Zuwendung sowohl auf den privaten Haushalt, als
auch auf den Beschäftigungssektor: im Kontext der Kinderbetreuung, Sozialarbeit, Alten- und
Krankenpflege aber auch Unterstützung im Haushalt, in der Sterbebegleitung. Die genannten
Tätigkeiten übernehmen mehrheitlich Frauen in unserer Gesellschaft. So offenbaren Zahlen
der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2019, dass beispielsweise in Krankenhäusern 76
Prozent Frauen und 24 Prozent Männer arbeiten, in den Kindergärten und Vorschulen 93 Pro-
zent Frauen und sieben Prozent Männer und im Einzelhandel mit Nahrungsmitteln 73 Prozent
Frauen und 27 Prozent Männer. In Krisenzeiten werden diese Berufe besonders geschätzt
und politisch als „systemrelevant“ eingestuft. Gleichwohl bleiben diese Tätigkeiten im Alltag
meist unsichtbar, auch wenn aktuell unverkennbar wird, wie unverzichtbar diese sind.

Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht das Engagement und die Bedeutung der Frauen in ge-
sellschaftlichen Strukturen, insbesondere in der Care-Arbeit. Zugleich sind sie dem Risiko auf-
grund ihres großen Anteils am Gesundheitspersonal der Infektionsgefahr ausgesetzt – laut
dem WGH-German-Netzwerk (Women in Global Health 2020). Hinzu kommen weitere Risiken
wie Kurzarbeit bzw. Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste, die auf die hohe Beschäfti-
gungsrate der Frauen in den Tätigkeitsbereichen als Servicekräfte in der Gastronomie und
Hotelbranche sowie Reinigungskräfte zurückzuführen ist. Diese Tätigkeitsfelder zählen zum
einen zu den ohnehin unterbezahlten Berufen, zum anderen sind sie aktuell besonders durch
Kurzarbeit betroffen. Des Weiteren sind Frauen, die mit Familie ihr berufsbegleitendes Studi-
um (auch in der Pflege) aufgenommen haben bzw. beruflich aufsteigen, der Doppelbelastung
(Erwerbsarbeit und Kindererziehung, Unterricht, Haushalt – insbesondere Alleinerziehende)
ausgesetzt. Folglich entstehen ihnen Nachteile für die berufliche Karriereentwicklung.
13 | JAHRESTHEMA WANDEL

„Frauen halten die Gesellschaft am Laufen“
Pointiert kann hierbei das Zitat von Henrik Ibsen angeführt werden: „Die Frauen sind die Stüt-
zen der Gesellschaft“. Frauen halten die Gesellschaft am Laufen und ihre Tätigkeiten werden
in der Gesellschaft als selbstverständlich in Anspruch genommen – am Arbeitsplatz, im Eh-
renamt und im Haushalt.

An dieser Stelle ist eine Frage erlaubt: Werden Frauen angesichts ihres Engagements, ihrer
Verdienste gesellschaftlich adäquat honoriert? Diese beinahe rhetorische Frage verweist auf
die Problematik der Gleichberechtigung, die auch über 100 Jahre nachdem Frauen erstmals
in Deutschland wählen durften, weiterhin im Entwicklungsprozess ist. Gegenwärtig ist es
selbstverständlich, dass Frauen arbeiten, studieren und einflussreiche Positionen überneh-
men. Zugleich sind Frauen in Führungspositionen (insbesondere in der Wirtschaft sowie
an Hochschulen) unterrepräsentiert und verdienen weniger: je höher die Besoldung, desto
niedriger der Frauenanteil, so die Statements der Wissenschaftskonferenzen. Insofern sind
die arbeitenden und studierenden Frauen nicht allein als Indiz für die Gleichberechtigung zu
betrachten. Vielmehr ist das die Frage der ökonomisch angemessenen Vergütung und damit
einhergehender Anerkennung sowie Entscheidungspositionen, die weiterhin Ungleichheiten
und Benachteiligung offenbaren.

„Als Gleichstellungsbeauftragte sehe ich meine Rolle in der Vernetzung“
Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit sind ein großes Anliegen der PTHV, die hierzu einen
heterogenen Ausschuss vorweist, um sich adäquat für die Belange der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen, Studierenden und ihre Rechte einzusetzen.

Als Gleichstellungsbeauftragte sehe ich meine Rolle u. a. in der Vernetzung, im Austausch mit
diversen Organisationen und Einrichtungen – regional, national und international. Es ist an
dieser Stelle zu betonen, dass die Gleichberechtigung nicht allein vor dem Hintergrund des
Geschlechts betrachtet werden darf. Frauen sind im intersektionalen Sinne zu betrachten,
d. h. deren soziale, kulturelle und ökonomische Ressourcen sowie gesundheitlicher Status,
das Alter aber auch die ethische Herkunft sind hierbei zu berücksichtigen; sie erschweren
oder erleichtern die Gleichstellung. Meines Erachtens ist Gleichstellung im Sinne der Fürsorge
und Selbstsorge zu verstehen, die der Ausgrenzung jeder Form entgegenwirkt, für Chan-
cengerechtigkeit steht, Teilnahme und Teilhabe sowie Selbstbestimmung gewährleistet und
Empowerment fördert.

Für Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit brauchen wir institutionellen, politischen und
durchaus gesellschaftlichen Wandel, Menschen, Strukturen und nachhaltige Politik, die sich
kontinuierlich für Gleichberechtigung und Barrierefreiheit einsetzt und dafür sensibilisiert.

                                                         Autorin | JProf. Dr. Maria Marchwacka
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SEGEN ÜBER EINE KRANKE WELT
Prof. Sr. Dr. Margareta Gruber OSF lässt uns an ihren Gedanken teilhaben, die sie seit dem
27. März 2020, dem Beginn des „sakramentalen Lockdowns“, bewegten. Dazu zählen un-
ter anderem die Fragen: Was bedeutet die „Systemrelevanz“ der Frauen in der Kirche, de-
ren Hingabe ihres Lebens nicht in vollem Sinn als Christusrepräsentanz gewertet werden
darf? Wie dürfen wir das ergreifende Zeichen vom Abend des 27. März 2020, den Segen
über die kranke Welt, deuten?

Es gibt Bilder, die vergisst man nicht: Am Abend des 27. März 2020 ist Papst Franziskus mit dem
eucharistischen Herrn in der Monstranz über die Schwelle des Petersdoms getreten, um die
kranke Welt zu segnen. Es war, wie wenn er mit ihm hinausgehen wollte in die dunkle und
menschenleere Stadt, zu den in ihren Häusern eingeschlossenen Menschen. Das Läuten der
Glocken vermischte sich mit den Sirenen der römischen Ambulanzen.

Als ich diese Bilder sah, saß ich Zuhause in einer vom Gesundheitsamt verordneten Quaran-
täne. Die Angst der ersten Tage vor einem möglichen Ausbruch der Krankheit vergesse ich
nicht. Der Segen aus Rom traf mich vielleicht deshalb so stark. Ich war Gott so dankbar für
diese Möglichkeit in meiner Kirche, Menschen nicht nur durch das Wort, sondern, und sei es
auch nur über den Bildschirm, sakramental zu erreichen.

Es folgten die langen Wochen des „sakramentalen Fastens“, wie die Zeit der geschlossenen
Kirchen manchmal genannt wurde. Die Gläubigen verbrachten Stunden in verschiedenen
Streamingformaten. Aber auch vor Ort fanden Hausgottesdienste statt, in denen Gläubige
sich in der Rolle des Liturgen oder der Liturgin erfuhren.
15 | JAHRESTHEMA WANDEL

                          — „Gott ist so gut, Du brauchst nicht traurig zu sein.“ —
                                                                         Mutter M. Rosa Flesch

Seither wird in den kirchlichen Medien darüber diskutiert, wie das Erfahrene zu deuten sei.
Welches Bild von Kirche vermitteln diese gestreamten Feiern? Sind sie nicht durch eine über-
mäßige Konzentration auf das priesterliche Handeln geprägt? Wo bildet sich die Liturgie als
Handeln des Volkes Gottes ab? Wem „gehören“ die Sakramente? Und wer „verwaltet“ sie im
Auftrag der Kirche? So führte die Erfahrung des sakramentalen Entzugs der Gläubigen viele
geistliche Zeitdiagnostikerinnen und Zeitdiagnostiker, Bischöfe wie Laien, zum Ruf nach der
Priesterweihe für verheiratete Männer und zur klaren Vorstellung von mehr Aufgaben und
Ämtern für Frauen.

Die höchste Form der Christusrepräsentanz ist seit der frühen Kirche der Märtyrer und die
Märtyrerin. Am Abend des 27. März 2020 rief der Papst die Menschen ins Gedächtnis, „die
in Situationen der Angst mit der Hingabe ihres Lebens reagiert haben“ und nannte dabei
natürlich auch die Frauen. Die öffentliche Nennung dieser plötzlich als „systemrelevant“ be-
zeichneten Menschen wie der Pflegekräfte wurde oft mit dem Verweis darauf verbunden,
dass sie „unsichtbar“ seien, was ihrer Bedeutung nicht entspräche. Mögen diesen applaudier-
ten Worten Taten folgen! Was aber bedeutet die „Systemrelevanz“ der Frauen in der Kirche,
deren Hingabe ihres Lebens nicht in vollem Sinn als Christusrepräsentanz gewertet werden
darf? Aufgewertet werden sie im kirchlichen Sprachgebrauch durch den Hinweis auf die die-
nende Existenz Marias. Diese Rhetorik erinnert mich an das schlechte Gewissen der Politiker
gegenüber den „Heldinnen des Alltags“. Vielleicht aber will Maria heute Modell sein für eine
priesterliche Existenz in einer diakonischen Kirche, zu der Männer und Frauen gerufen sind?

Die Pandemie wird nach der Missbrauchskrise vielleicht zum zweiten großen Zeitzeichen, das
der Kirche ihren Weg in die Zukunft weisen will: als diakonische Kirche in einem umfassenden
Sinn, heilendes, befreiendes, das Erbarmen Gottes in die Welt bringendes Sakrament für die
Welt. Das „Feldlazarett“ entspricht der Not und der Sehnsucht einer kranken Welt. Dies wird
auch die Theologie des kirchlichen Amtes prägen.

Zweifellos hat niemand ein „Recht“ auf ein Amt, weder Mann noch Frau. Doch hier geht es um
den zentralen Auftrag der Kirche, wie ihn Papst Franziskus in seiner Predigt vor dem großen
Segen noch einmal eindringlich formuliert hat: Den Menschen das Evangelium zu bringen,
die österliche Botschaft der Hoffnung.

Wie also darf ich das ergreifende Zeichen vom Abend des 27. März 2020, den Segen über die
kranke Welt, deuten? Ist es eine weitere mächtige Bestärkung der priesterlichen Vollmacht
in der Hand des männlichen Amtsträgers, der den sakramentalen Herrn „in der Hand“ hält?
Oder ist es ein erster Schritt dieses sakramentalen Herrn hinaus aus dem Innenraum der Kir-
che hinein in die leidende Welt, die ihn ersehnt und seine Anwesenheit bitter entbehrt? Wo
und in welcher Weise will er sich dort sakramental vergegenwärtigen? Und wer darf ihn dann
priesterlich tragen?

                                                   Autorin | Prof. Sr. Dr. Margareta Gruber OSF
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KONZILSFORSCHUNG IN ZEITEN VON CORONA
Eigentlich war dieses Jahr ganz anders geplant. Das interkontinentale Forschungsprojekt
zum Zweiten Vatikanischen Konzil von Prof. P. Dr. Joachim Schmiedl ISch war gerade da-
bei „Fahrt aufzunehmen“. Bereits im letzten Jahresbericht der PTHV „Transfer“ (S. 16/17)
wurde über den Projektstart berichtet. Nun kam durch Covid-19 alles anders.

Im November und Dezember 2019 hatten sich die Studien-             Screenshot der virtuellen
gruppen getroffen. Die Lateinamerikaner berieten in Carácas        Besprechung im
in Venezuela; in der politischen und wirtschaftlichen Krisensi-    Konzilsprojekt über sämtliche
tuation des Landes war das ein wichtiges Zeichen, weil der         Kontinente hinweg
Workshop in Verbindung mit einem großen theologischen
Kongress mit über 300 Teilnehmern stattfand. In Philadelphia
kamen die Kolleginnen und Kollegen aus Nordamerika, Aust-
ralien und dem pazifischen Raum zusammen. An beiden
Veranstaltungen konnte ich teilnehmen. Und schließlich fand
auch bei den asiatischen Kolleginnen und Kollegen ihr Work-
shop im indischen Bangalore unter tatkräftiger Mithilfe von
Prof. Dr. mult. Klaus Vellguth (PTHV) statt.

Für das Jahr 2020 war geplant, dass sich die europäische Stu-
diengruppe im belgischen Leuven, die lateinamerikanische
in Mexiko, die nordamerikanisch-pazifische wieder in Phila-
delphia, die asiatische in Bangalore und die afrikanische in Jo-
hannesburg treffen würden. Dabei sollten die kontinentalen
17 | JAHRESTHEMA WANDEL

             — „Alles tun aus Liebe zu Gott, für Gott, mit Gott, um zu Gott zu gelangen.
                    Dann wird auch das Aufheben eines Strohhalms zum Gebet.“ —
                                                                            Mutter M. Rosa Flesch

Rezeptionen des Konzils und seiner Dokumente in den Blick genommen werden. Als Dreh-
und Angelpunkt dieser Konferenzen war ein mehrtägiges Symposium in Leuven vorgesehen,
das den Startschuss für die zweite Phase des Projekts, nämlich die Erarbeitung von Kommen-
taren zu den Konzilsdokumenten in interkontinentalen Arbeitsgruppen, geben sollte.

Doch dann kam Corona. Die steigenden Fallzahlen in Deutschland und dem angrenzenden
europäischen Ausland machten sehr schnell klar, dass die Konferenzen in Leuven Mitte Juni
2020 gecancelled werden müssen. Gleichzeitig liefen aber früher als geplant die ersten Beiträ-
ge dafür ein. Was tun? Wir entschieden uns, die Arbeitsweise zu ändern. Noch im März 2020
fanden die ersten Videokonferenzen statt. Die Texte wurden vorher auf eine gemeinsame und
allen zugängliche Internet-Plattform hochgeladen. An der Diskussion der überschaubaren
Einheiten nahmen im Durchschnitt ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen teil. Wir bespra-
chen zunächst die Beiträge aus der europäischen Studiengruppe. Das geplante Symposium
wurde ersetzt durch eine Serie von Konferenzen, bei denen hermeneutische Perspektiven
des Konzils und seiner Bedeutung für Kirche und Gesellschaft der Gegenwart im Vordergrund
standen.

Die Koordination des Projekts geschieht dabei nach wie vor durch das Leitungsteam (Schmiedl,
Eckholt, Hünermann und Vellguth sowie als Projektmitarbeiter Zamagni). Wichtige Weichen-
stellungen besonders für die Kommentierungsphase werden zusammen mit den Koordina-
toren der kontinentalen Studiengruppen und den Koordinatoren der Kommentargruppen
besprochen und an die mehr als Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommuniziert.
Diese Arbeitsweise hat sich nach drei Monaten Corona recht gut eingespielt. Und sie wird
sich auch weiter bewähren müssen. Denn auch für den Rest des Jahres wurden die geplanten
Workshops abgesagt. Die Corona-Situation erlaubt weder ein Treffen in Johannesburg noch
in Mexiko, Philadelphia oder Bangalore. Ob und wann diese Workshops nachgeholt werden
können, wissen wir derzeit noch nicht. Die Alternative aber wird weiter praktiziert. Es ist eine
besondere Erfahrung des Miteinander-Arbeitens, sich zu sehen und doch über Kontinente
hinweg voneinander entfernt zu sein. Online-Konferenzen sind so selbstverständlich gewor-
den wie Online-Lehre.

Doch eine Erfahrung zeigt sich nach mehreren Monaten Lockdown. Es gibt Kolleginnen
und Kollegen, die als Priester, Ordensleute oder Ehepartner mit erwachsenen Kindern mehr
Freiraum als gewöhnlich für die wissenschaftliche Arbeit haben. Und es gibt solche, die in
einer engen Wohnung mit kleinen Kindern durch Homeschooling und Betreuung noch mehr
gefordert sind als sonst. Das bedeutet für unser Projekt, dass wir auch mit unterschiedlichen
Geschwindigkeiten leben und rechnen müssen. Wie sich das auswirken wird, wenn es auf die
Redaktion und Publikation der Texte zugeht, wird sich noch zeigen müssen.

                                                        Autor | Prof. P. Dr. Joachim Schmiedl ISch
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ROSA FLESCH: VOR- UND LEITBILD
Sr. Edith-Maria Magar ist Franziskanerin von Waldbreitbach und seit 2012 Generaloberin
der Waldbreitbacher Franziskanerinnen und Vorsitzende der Waldbreitbacher Franzis-
kanerinnen e. V. Mit uns sprach sie über die Anliegen der seligen Mutter Rosa Flesch, der
Gründerin der Ordensgemeinschaft, auch im Hinblick auf das Titelthema „Wandel“.

PTHV: Wer war Rosa Flesch, was war das Besondere an ihr und was war ihr Anliegen?
Sr. E.-M.: Mutter Rosa (Margaretha) Flesch, 1826 in Schönstatt bei Vallendar geboren, war das
älteste Kind armer Leute. Nach dem frühen Tod der Mutter blieben die 6-jährige Margaretha
und ihre beiden jüngeren Schwestern sich oft selbst überlassen, weil der Vater für den Le-
bensunterhalt sorgen musste. Chronisten beschreiben sie als aufgewecktes Kind mit klarem
Verstand, überdurchschnittlicher Lernbereitschaft und erstaunlicher emotionaler Intelligenz.
Ihr Herzensanliegen blieb Zeit ihres Lebens die Hinwendung zu den Armen und Kranken,
den Verlassenen und Alten, wie auch die Förderung von Frauen und die Qualifizierung ihrer
Schwestern für den Dienst an den Kranken. Selbst widrigste Bedingungen konnten sie nicht
aufhalten.

PTHV: Wie kann man Rosa Flesch mit dem Begriff des Wandels vereinbaren?
Sr. E.-M.: Das möchte ich mit folgenden Beispielen skizzieren:

 • Ihre leibliche Schwester litt an Epilepsie, für deren Behandlung es damals keine spezialisier-
   ten Einrichtungen gab. Epilepsiekranke Menschen hatten in der Gesellschaft und der Kirche
   keinen Platz. Mutter Rosa stand zu ihrer Schwester und band sie in ihr Leben ein, auch auf
   die Gefahr hin, dass erste Interessentinnen die Gemeinschaft wegen der teils unerträgli-
   chen Anfälle wieder verließen.
 • Unmittelbar nach ihrer Erstprofess, der Gründung der Gemeinschaft im März 1863, erreichte
   Mutter Rosa ein Notruf aus Adenau. Ohne zu zögern schickte sie ihre beiden ersten und
   einzigen Gefährtinnen in die Eifel.
 • Zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges begab sie sich kurzentschlossen mit 50
   Schwestern, das waren mehr als die Hälfte der Gemeinschaft, zur Pflege der Verwundeten
   in die Kriegslazarette.
 • Ihre Freundschaft mit Gräfin Octavie de Lasalle von Louisenthal war deshalb außergewöhn-
   lich, weil die Standesunterschiede zwischen den beiden Frauen kaum größer hätten sein
   können. Zudem waren „Partikular-Freundschaften“ zur damaligen Zeit in Klöstern verpönt.
   Mutter Rosa setzte sich über diese Ressentiments hinweg.

PTHV: Was ist den Waldbreitbacher Franziskanerinnen im Anschluss an das Erbe Rosa Fleschs im
Hinblick auf den Begriff des „Wandels“ besonders wichtig?
19 | JAHRESTHEMA WANDEL

                     — „Ich will schlicht und einfach unter den Menschen leben.“ —
                                                                             Mutter M. Rosa Flesch

Sr. E.-M.: Sicher ihre Risikobereitschaft, sich allen Widerstän-
den zum Trotz entschieden für Benachteiligte einzusetzen.
Ich denke an den Einsatz für geflüchtete Menschen und die
Unterstützung des Kirchenasyls. Wichtig ist uns die Förde-
rung von Frauen, ihre Einbindung in Führungsverantwor-
tung, der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche
durch die Zusammenarbeit mit dem ‚Netzwerk Diakonat der
Frau‘, sowie der barmherzige Umgang mit wiederverheiratet
geschiedenen Mitarbeitenden. Gegenwärtig befassen wir
uns weiterhin mit neuen situationsgerechten Formaten in
Leitungsstrukturen von Ordensgemeinschaften, grundsätz-
lich mit interkongregationaler Vernetzung und Kooperation.
Als dringlich erachten wir das Ausloten von zeitgemäßen Ge-
staltungsformen des Ordenslebens mit zukunftsfähigen Ge-           Sr. Edith-Maria Magar ist
meinschaftsformaten, die suchende Menschen ansprechen              Generaloberin der Waldbreit-
und zum Mitleben einladen. Von Mutter Rosa inspiriert, gilt        bacher Franziskanerinnen
unsere Zuwendung den Menschen, die durch Lebenskrisen,
Glaubensnot, Einsamkeit, Arbeits- und Wohnungslosigkeit in
Not geraten sind.

PTHV: Was können wir heute von Rosa Flesch lernen?
Sr. E.-M.: Oft beklagen wir unsere Demografie und den feh-
lenden Nachwuchs. Wie wir gesehen haben, hat Mutter Rosa
kurz nach der Gründung, ohne lange zu überlegen, ihre beiden
ersten Schwestern dahin geschickt, wo die Not am größten war.
Darin kann sie uns Vorbild sein: unabhängig von der Zahl der
Schwestern Prioritäten zu setzen und das, was uns allein nicht
mehr möglich ist, im Verbund mit anderen zu verwirklichen. Mit
unerschütterlichem Gottvertrauen trotzte sie Schwierigkeiten
und Widerständen, finanziellen Problemen stellte sie sich und
bewies durchaus selbstbewusstes Verhandlungsgeschick. Ihre
entschiedene Option für die Armen motiviert uns, Stellung zu
beziehen, wenn Gemeinwohl und solidarischer Zusammenhalt
zu erodieren drohen, wenn Menschen verfolgt und gepeinigt
werden. Mutter Rosas Liebe zur Schöpfung, ihre Kenntnis von
Kräutern und Heilpflanzen mahnt uns zu klimaverantwortli-
chem Handeln. Und schließlich dieses: Ordensleben ist nicht
Selbstzweck, sondern Sendung, solange wir leben.

                                                                     Interview | Verena Breitbach
20 |

STUDIUM IM WANDEL: ONLINE-LEHRE
Nicht nur die Lehrenden, auch die Studierenden der PTHV (wie an allen anderen Uni-
versitäten auch) haben sich während der Corona-Krise umstellen müssen. Alle Lehrver-
anstaltungen beider Fakultäten – Theologie und Pflegewissenschaft – wurden mit dem
Lockdown in digitaler Form umgesetzt: virtuelle Vorlesungen, Seminare und Prüfungen
sind im Sommersemester 2020 weitestgehend reibungslos in die digitale Lehre gestartet.

                   (Juni 2020) von Karin Herrmany-Maus,
         Fachschaftsvorsitzende Pflegewissenschaftliche Fakultät und
         Studierende im Masterprogramm Pflegewissenschaft

In einem Artikel vom 28.04.2020 berichtete die Rhein-Zeitung Koblenz über einige Studierenden-
vertreter in Rheinland-Pfalz, die die erste Woche des Online-Semesters als kritisch einstufen. Sie
fordern, dass das laufende Sommersemester 2020 aufgrund der Corona-Krise und den damit ver-
bundenen Schwierigkeiten, wie zum Beispiel Serverproblemen, nicht als Regelsemester gewertet
wird. Einige Hochschulen verpflichten zudem Studierende wohl während der Online-Präsenz, die
Kameras ständig einzuschalten, um die Anwesenheit zu überprüfen. Das erleben Studierende an der
Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar anders.

An der Pflegewissenschaftlichen Fakultät werden die Studiengänge Bachelor Pflegeexpertise,
Master Pflegewissenschaft sowie Bachelor und Master Lehramt Pflege an Berufsbildenden Schulen
sowie ein Promotions-Programm angeboten. Hier gibt es weder eine Kamerapflicht, noch gra-
vierende Serverprobleme. Die Umstellung der Präsenzzeiten auf digitale Vorlesungen hat für die
Zuständigen innerhalb kurzer Zeit zwar sehr viel Arbeit bedeutet, jedoch hat sich diese Investition
gelohnt. Die Online-Uni funktioniert gut. Die gewählte Plattform Open Olat steht den rheinland-
pfälzischen Hochschulen zur Verfügung. Sie bietet für jeden Kurs vielfältige Möglichkeiten wie einen
digitalen Meetingroom, Literaturordner, Podcasts oder ein digitales „Whiteboard“. Jeder Dozent /
jede Dozentin gestaltet die Online-Vorlesung individuell mit den zu Verfügung stehenden Möglich-
keiten, sowohl synchron als auch asynchron. Damit wird die jeweilige Vorlesung interessant und
kurzweilig. Die für dieses Semester ausstehenden Referate sind kurzerhand in schriftliche Hausar-
beiten mit verlängerter Abgabefrist geändert worden. Für mündliche Prüfungen, die aufgrund der
Corona-Pandemie verschoben werden mussten, sind für viele Studierende individuelle Lösungen
gefunden worden. Eine erschwerte Situation jedoch erleben diejenigen Studierenden an der PTHV,
die sich zurzeit in einer Qualifikationsarbeit befinden. So sind zum Beispiel zurzeit die Bedingungen
für Interviews und die Literaturbeschaffung sehr eingeschränkt. Auch hier bietet die PTHV indivi-
duelle Unterstützungsmöglichkeiten und Lösungen. Studierende, die Schwierigkeiten während
einer Qualifikationsarbeit hätten, können sich umgehend mit ihrem Mentor / ihrer Mentorin oder
den Betreuenden der Abschlussarbeit in Verbindung setzen, damit individuelle Lösungen gefunden
werden können, wie z. B. die Umwandlung von Interviews in Telefoninterviews. Dies deutet darauf
hin, dass dieses Semester nicht pauschal bewertet werden kann, sondern hier eine differenzierte
Sichtweise erforderlich ist.
21 | JAHRESTHEMA WANDEL

                    (April 2020) von Fr. Augustinus Hernández,
          Theologie-Student

Nach einer Woche „Online-Lehre“ möchte ich sehr persönliche Gefühle teilen: Vor circa einem Jahr
fing mein Studium an der PTHV an und ich muss gestehen, dass ich nicht sehr davon begeistert war,
die Stille der Klosterklausur zu verlassen: Man könnte sagen, dass ich in „Quarantäne-Modus“ war
und bleiben wollte. Doch: Wie schnell sollte sich meine Meinung ändern! Wie schnell wurde ich hier
mit so guten Freunden beschenkt! Wie schnell habe ich diesen Ort lieb gewonnen!

Nun befinden wir uns alle gezwungenermaßen in „Klausur“ und müssen physischen Abstand
voneinander halten. Ich hege das genau umgekehrte Gefühl: Wie sehr würde ich mich jetzt über
Vorlesungen freuen, über Gespräche vor der Kaffeemaschine, mit echten Menschen statt vor kleinen
Bildern auf einem Bildschirm. Trotzdem möchte ich herzlich allen danken, die sich viel Mühe geben,
um uns das Studium auf diesem ungewöhnlichen Weg zu ermöglichen. Wenn ich jemanden zitieren
darf: „Wir schaffen das!“

Last, but not least, möchte ich ein Bild unserer Abteikirche teilen, wegen der Krise leer, aber erfüllt
vom Licht des Auferstandenen. Hier verweile ich, während ich mir die Rückkehr der Begegnungen
und Überraschungen des normalen Alltags in der Hochschule wünsche.

Oremus pro invicem!
22 |

KINDER SIND DIE GARANTEN DES WANDELS
Der Jahresbericht steht unter dem Motto „Wandel“. „Kinder sind die Garanten des Wan-
dels“, erklärt Dr. Maria Peters, Stabsstelle Studienangelegenheiten der Pflegewissen­
schaftlichen Fakultät. Dieser Beitrag enthält Gedanken der Autorin und ehemaligen
Promovendin der PTHV aus ihrer Doktorarbeit, veröffentlicht in dem Buch: „Das frühge-
borene Kind im Zentrum des Entscheidungsprozesses“.

Mit jedem neugeborenen Menschen kommt die Chance eines Neuanfangs in die Welt und sie
wird sich garantiert mit jedem neuen Menschen ein wenig wandeln.1 Das bedeutet jedoch für
die Kinder, dass in sie große Hoffnung gesetzt wird und sie gleichzeitig zum Adressaten von
Zumutungen werden, so der Pädagoge Gerold Scholz2. „Auf Kinder wird die Hoffnung über-
tragen, jene Aufgaben zu übernehmen, deren Bewältigung die Generation der Erwachsenen
sich im Rahmen ihrer Sinngebung vornimmt“.2

Obwohl wir, Erwachsene, dies wissen und schätzen und wir alle unser Dasein als Kinder be-
gonnen haben, bringen wir Kindern nur wenig Achtung entgegen. Kinder werden leicht zu
Opfern. Sie werden verdinglicht und dienten den Interessen der Erwachsenen, sagt Michael
Freeman (Juraprofessor und Editor des „International Journal of Children‘s Rights“)3. Man traut
ihnen nichts zu. Man erkennt sie nicht als moralisch gleichwertig an. Sie werden missverstan-
den, missachtet und missbraucht.

Die Ungleichbehandlung von Kindern ist in unserer Gesellschaft Programm. Sie erhalten
weniger Geld zum Leben als Erwachsene (z. B. Sozialhilfe) und sind daher stärker von Armut
betroffen und Krankheit, denn das eine bedingt das andere. Sie haben kein Mitspracherecht
und keinen Zugang zum Rechtssystem. Zwar gibt es die Kinderrechte, aber was nützen diese
ohne Zugang zum Rechtssystem.
23 | JAHRESTHEMA WANDEL

Woran liegt das? Warum werden sie so anders behandelt als Erwachsene? Und: Warum gel-
ten für sie andere Regeln? Janusz Korczak4, Pädagoge, Kinderarzt und Buchautor, sieht die
grundlegende Gefährdung des Kindes durch Erwachsene darin, dass sie es nicht etwa nur
als „andersartigen […] Organismus“ betrachten, „sondern als einen niedereren, schwächeren,
ärmeren. – Als seien alle Erwachsenen – sozusagen gelehrte Professoren“. Das Kind komme in
eine Welt, die Achtung und Bewunderung vor Dingen, Lebewesen und Taten zeigt, die groß
sind. Dagegen sei „das Kind […] klein, leicht, es ist weniger. – Wir müssen uns bücken, wir müs-
sen uns zu ihm hinunterneigen. Was schlimmer ist, das Kind ist schwach. Wir können es hoch-
heben, in die Luft werfen, gegen seinen Willen hinsetzen, wir können es mit Gewalt in seinem
Lauf aufhalten, seine Anstrengung zunichtemachen [… bis es] sich unterwirft, resigniert.“4

Kinder sind anders!
Kinder sind anders! Das ist sicher richtig. Kinder verstehen die Welt anders und setzen andere
moralische Prioritäten, aber sie sind nicht a-moralisch. Dennoch ist ihr moralischer Status, ihr
„Wert“, ein anderer als der von Erwachsenen. Das gilt insbesondere für frühgeborene Kinder.
So erhalten sie nachweislich nicht so selbstverständlich eine lebenserhaltende Therapie wie
ältere Kinder oder Erwachsene, die nach einem Unfall das gleiche Risiko haben zu verster-
ben oder mit einer Behinderung zu überleben, wie ein frühgeborenes Kind.5 Bei ihnen wird
in vielen Fällen zuerst einmal abgewogen, diskutiert und Statistiken zu Rate gezogen, um
schließlich zu entscheiden, ob eine Behandlung sinnvoll sein könnte.

Diese schwierigen Entscheidungsprozesse sind für die Pflegeforschung interessant, weil vor-
dergründig alles dafür getan wird, diese Prozesse als rationale objektive Prozesse erscheinen zu
lassen. Bei genauerem Betrachten der Praxis im Rahmen des Promotionsprojektes hat sich jedoch
gezeigt, dass die Akteure sehr genau das Kind im Blick haben. Sie versuchen zu ergründen, ob es
lebensfähig ist oder nicht. Seine zarten Reaktionen und Signale werden wahrgenommen und flie-
ßen, sofern die betroffenen Ärzte, Pflegenden und Eltern es zulassen, in die Entscheidung mit ein.

In deutschen Krankenhäusern liegen jährlich etwa 1,8 Mill. Kinder-Patienten, d. h. jeder 10.
Patient ist ein Kind unter 15 Jahren. Unter ihnen bilden die frühgeborenen Kinder die größte
Patientengruppe6.
1 Schües, C. (2016): Philosophie des Geborenseins (2nd ed.). Alber Philosophie. Freiburg, S. 418.
2 Scholz, G. (1994): Die Konstruktion des Kindes: Über Kinder und Kindheit: Manuskript. Retrieved from www.grundschulforschung.de/
  GSA/Konstruktion.pdf, S. 10; auch als Buch veröffentlicht, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
3 Freeman, M. D. A. (1997): The moral status of children: Essays on the rights of the child. The Hague, The Netherlands, Cambridge, MA:
  Martinus Nijhoff Publishers. S. 22.
4 Korczak, J. (2015): Das Recht des Kindes auf Achtung: Fröhliche Pädagogik (6. Aufl.). Gütersloher Verl.-Haus. S. 10 u. 45.
5 Janvier, A.; Bauer, K. L.; Lantos, J. D. (2007): Are newborns morally different from older children? In: Theor Med Bioeth 28 (5), S. 413-425.
  DOI: 10.1007/s11017-007-9052-y.
6 2018 Statistisches Bundesamt; www.destatis.de.

    * DIE AUTORIN IST KINDERKRANKENSCHWESTER UND DOKTORIN DER PFLEGEWISSENSCHAFT UND STEHT AN
      DER PTHV FÜR DIE PÄDIATRISCHE PFLEGE.

                                                                                                          Autorin | Dr. Maria Peters
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