CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022-2030: Grossmächtekonflikt und Technologiewettbewerb
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CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030: Grossmächtekonflikt und Technologiewettbewerb Zürich, 26. November 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich
Diese Studie ist online verfügbar unter: css.ethz.ch/en/publications/other-reports.html ETH-CSS Projektmanagement: Oliver Thränert Redaktion: Julian Kamasa Layout: Miriam Dahinden-Ganzoni © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich DOI: 10.3929/ethz-b-000517050
Content Einführung: Zuspitzung des amerikanisch-chinesischen Konflikts Oliver Thränert4 Trends in Chinese and Russian Power Brian Carlson6 AUKUS: Potenzial und Risiken Niklas Masuhr8 Sicherheitsszenarien im «Indo-Pazifik» Boas Lieberherr10 Europas Stellung in der Welt: Zwischen China und den USA Linda Maduz12 NATO’s Adaptation to Illiberal Challengers Henrik Larsen15 Die Türkei als Konfliktakteur Niklas Masuhr / Fabien Merz17 Muster der Rüstungskooperation in Europa Amos Dossi19 Divergierende Auffassungen digitaler Souveränität Julian Kamasa21 Emerging and Disruptive Technologies’ Impact on Nuclear Risk Névine Schepers24 Flying Robots in 2030 Dominika Kunertova26 Auswirkungen gesellschaftlicher Spaltung auf den Bevölkerungsschutz Benjamin Scharte28 The Challenge of Forest Fires in Europe with Climate Change Christine Eriksen31
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Einführung: Die Welt im wicklung Russlands und seinen Beziehungen zu Peking ab. Zeichen der Zuspitzung des Vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama noch zur regionalen Macht degradiert, hat sich Moskau seitdem in amerikanisch-chinesischen der internationalen Arena mehr Respekt verschafft. Nicht Konflikts nur ist es recht erfolgreich bei der Eindämmung westli- chen Einflusses in seinem «nahen Ausland». Darüber hinaus gelang es Russland, seine Position in der Mittel- meerregion zu stärken, vor allem in Syrien und in Libyen. Oliver Thränert Gegenüber der NATO ist Russland bei konventionellen Mitteln unterlegen, sollte es der Allianz in einem Konflikt An der Jahreswende 2021/2022 zeichnet sich ein Trend gelingen, ihre volle militärische Kraft auf dem europäisch- immer deutlicher ab: Der amerikanisch-chinesische Kon- en Schauplatz nutzen zu können. Aus NATO-Sicht be- flikt wird zu einem prägenden Grundmuster der interna- sonders problematisch ist, dass Moskau indes dabei ist, tionalen Beziehungen. Einerseits wurde China seit dem sich hinsichtlich regionaler Konflikte eine Eskalations- Amtsantritt von Xi Jing Ping als Generalsekretär der Kom- dominanz zu erarbeiten, nicht zuletzt mittels seiner Über- munistischen Partei Chinas im Jahr 2012 nach innen im- legenheit bei nicht-strategischen Kernwaffen. Letztlich mer autoritärer und nach aussen konfrontativer; ander- wird auch die Zukunft Russlands von vielen Entwicklun- erseits hat sich Amerika immer mehr auf China als gen abhängen. Die Bevölkerung altert; die Infrastruktur wichtigster internationaler Herausforderung fokussiert: und das Gesundheitswesen bleiben unterentwickelt; und Von Präsident Barack Obamas «Pivot to Asia», über Don- Russland ist weiterhin massiv von Öl- und Gasexporten ald Trumps Handelskrieg gegen das Reich der Mitte bis abhängig. Insofern ist es auch fraglich, ob Russland für hin zu Joe Biden, dessen überstürzt wirkender Abzug aus China ein attraktiver Partner bleibt, auch wenn beide Afghanistan seine Ursache zu einem grossen Teil in seiner Seiten in letzter Zeit ihre militärische Zusammenarbeit Konzentration auf den Konflikt mit China hatte. verstärkten und auch sonst oft gemeinsam auftraten. Es ist schwer vorherzusehen, wie sich diese Kon- Moskau seinerseits stellt sich die Frage, ob es zum Junior- fliktkonstellation weiterentwickeln wird. Eine grosse Un- partner Chinas werden will, sollten sich denn die ökono- bekannte ist die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Eini- mischen Entwicklungskurven beider Länder immer mehr ges spricht dafür, dass der in den letzten Jahren rasante auseinanderentwickeln. Aufstieg des Landes künftig Brüchen unterliegen wird. In jedem Fall erwachsen für Europa aus den der- Das dürfte sich dann auch in Chinas Aussenverhalten wid- zeitigen internationalen Konstellationen sehr ernst zu ne- erspiegeln. Peking könnte also gegenüber seinen Nach- hmende Herausforderungen. Sie sind wirtschaftlicher, barn zurückhaltender werden. Aber auch das Umgekehrte technologischer, ideologischer und militärischer Natur. ist möglich: Gerade wegen ökonomischer Schwierigkeit- Sollte Europa wirtschaftlich und technologisch gegenüber en könnte die chinesische Führung zu einem aggressiv- China weiter an Boden verlieren, hätte dies nicht nur Aus- eren Auftreten nach aussen neigen, um von internen wirkungen auf die interne Stabilität europäischer Länder, Problemen abzulenken. Der Konflikt um das von Peking sondern Peking käme noch mehr als bisher in die Lage, als abtrünnige Provinz betrachtete Taiwan könnte mil- seine Vorstellungen über Standards und Normen interna- itärisch eskalieren. Ob Peking diesen Schritt wagen würde tional durchzusetzen. Bei zentralen Fragen wie der digi- hinge vor allem davon ab, ob es mit einer entschlossenen talen Souveränität – also ob im Vordergrund der Machter- amerikanischen Reaktion zur Verteidigung Taiwans rech- halt einer nicht demokratisch legitimierten herrschenden nete. Mit anderen Worten: Es geht um die Glaubwürdig- Elite stehen soll, oder die Freiheit von Individuen – könnte keit amerikanischer Sicherheitszusagen. Dass Washing- Europa ins Hintertreffen geraten. Im Zusammenhang mit ton gewillt ist, sich gegenüber China zur Wehr zu setzen, illiberalen Herausforderungen durch Russland wie auch zeigt nicht zuletzt die Gründung eines neuen Sicherheits- China wie gezielten Desinformationskampagnen könnten bündnisses mit Grossbritannien und Australien unter die Fundamente der westlichen demokratischen Gemein- dem Akronym AUKUS. Noch ist indes nicht absehbar, ob wesen nicht nur angekratzt, sondern vielleicht sogar un- AUKUS wirklich in eine verstärkte Gegenmachtbildung terspült werden. Zudem gilt es, einer Kontrolle kritischer gegenüber China mündet. Gleiches gilt für das ameri- Infrastrukturen vor allem durch China zu widerstehen, die kanisch geprägte Rahmenkonzept des «Indo-Pazifik», des- sich durch dessen Export zentraler (Kommunikations) sen Kern der Quadrilateral Security Dialogue» («Quad») -technologien ergeben könnte. Schliesslich kann es sich bildet. Die daran beteiligten Staaten USA, Australien, Ja- Europa nicht leisten, den Ausbau seiner militärischen pan und Indien sind sich keineswegs einig, wie sie mit der Fähigkeiten zu vernachlässigen. In dem Masse, in dem chinesischen Herausforderung umgehen wollen. sich die USA auf den pazifischen Raum konzentrieren, Inwiefern Gegenmachtbildung gegenüber Chi- müssen europäische Staaten fähig werden, Sicherheit na erfolgreich sein wird, hängt auch von der weiteren Ent- und Verteidigung in ihre eigenen Hände zu nehmen. Dies 4
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 gilt besonders dann, sollte sich das chinesisch-russische men also akzeptiert werden müssen. Gesellschaftliche Gespann zu einer Art Allianz entwickeln, was derzeit aber Polarisierungen, wie wir sie derzeit beobachten können – nicht absehbar ist. Eine verbesserte europäische Verteidi- auch die Schweiz bleibt davon nicht unberührt – wirken gungsfähigkeit beinhaltet jedoch auch die Kompetenz zur sich diesbezüglich hinderlich aus. Dies könnte noch zu Entwicklung und Produktion eigener Rüstungsgüter. Ang- grossen Problemen führen, zumal klimabedingte Katas- esichts ständig wachsender Kosten moderner Waffensys- trophen wie umfassende Waldbrände nicht nur Aus- teme ist dies an sich schon eine enorme Herausforderung. tralien oder Kalifornien plagen, sondern auch auf dem eu- Alle Kräfte in Europa zu konzentrieren, wäre die logische ropäischen Kontinent grosse Schäden anrichten können. Folge. Doch die Realität sieht anders aus: Derzeit scheinen Unter dem Strich haben wir es also mit einer sich konkurrierende Muster der Rüstungskooperation in Vielzahl an Herausforderungen zu tun. Sie betreffen auch Europa zu bilden. Das muss unter Innovationsgesicht- die Schweiz. Als neutrales Land kann sie versuchen, als spunkten nicht schlecht sein, da Konkurrenz Dynamik Brückenbauerin dem derzeitigen konfrontativen Trend in entfalten kann. Der politische Zusammenhalt Europas den internationalen Beziehungen entgegenzuwirken. Zu- wird durch Konkurrenz auf dem Rüstungsmarkt aber gleich wird sich die Schweiz in vielen Fällen positionieren nicht gestärkt. Dies wiegt umso schwerer, als sich die und Kooperationen mit Partnern ausbauen müssen. Denn NATO als zentraler Eckpfeiler europäischer Verteidigungs- in einer globalisierten Welt ergibt sich nicht einmal für fähigkeit am Vorabend der Entwicklung eines neuen grosse Staaten das Heil aus Alleingängen. Auch können strategischen Konzepts politisch ohnehin oft recht uneins gefestigte Demokratien wie die Schweiz nicht abseitsste- zeigt. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die autoritär hen, wenn Autokratien und Diktaturen liberale Werte in regierte Türkei – immerhin das NATO-Mitglied mit den Frage stellen oder sogar zugunsten ihrer Vorstellungen nach den USA grössten Streitkräften – von westlichen von der Organisation von Gesellschaften zu überwinden Wertvorstellungen abwendet und ihre eigenen Wege ver- trachten. folgt, darunter in Syrien und Libyen, aber auch bei der Be- Auch in diesem Jahr haben wir versucht, eine schaffung modernen militärischen Geräts wie russischen besonders für unsere Schweizer Leserschaft interessante S-400 Luftabwehrsystemen. Auswahl an Themen zu treffen. Aktualität, Originalität All diese politisch-strategischen Strömungen und am CSS versammelte Kompetenz waren wie immer finden im Zeichen zweier Megatrends statt: Einer sich im- wichtige Kriterien. Möge die Lektüre dabei helfen, mer mehr beschleunigenden Technologieentwicklung Schneisen in das Dickicht komplexer internationaler Her- und dem Klimawandel. Erstere ist zentral für die ausforderungen zu schlagen und Lösungswege zu ent- wirtschaftliche Positionierung von Gesellschaften, aber wickeln. auch für die Entstehung gegenseitiger Abhängigkeiten. Vor allem aber können beschleunigte Technologien, wenn sie militärisch angewandt werden, strategische Stabilität unterlaufen. Ein Beispiel sind neue Hyperschallwaffen, deren angebliche Fähigkeiten zwar nicht überschätzt werden sollten, die aber das alte Diktum «Wer zuerst schiesst, stirbt als Zweiter» tendenziell in die Geschichts- bücher verbannen könnten. Noch während des Kalten Krieges versuchten die beiden damaligen Kontrahenten USA und Sowjetunion, technologiebedingten Destabi- lisierungen im Zuge von Rüstungskontrollverhandlungen entgegenzuwirken. Ein Atomkrieg, der nur Verlierer hin- terlassen würde, sollte verhindert werden. Heute tritt Rüstungskontrolle zunehmend in den Hintergrund. Dafür sind zum einen die derzeitigen konfrontativen geo-strate- gischen Konstellationen ursächlich. Zum anderen wird das technologische Umfeld mittlerweile so komplex, dass es durch klassische Rüstungskontrollverträge wohl kaum noch zu erfassen sein dürfte. Im Zeichen des Klimawandels wird auch der Bevölkerungsschutz immer bedeutsamer, darunter in Eu- ropa. Die COVID-19 Pandemie führte vor Augen, auf welch dünnem Eis auch entwickelte Gesellschaften bisweilen wandeln. Sie zeigte aber auch, dass erfolgreicher Bev- ölkerungsschutz auch angenommen, staatliche Massnah- 5
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Trends in Chinese and lysts to predict a clash between the United States, the Russian Power dominant power, and China, the rising challenger, poten- tially resulting in major war. According to a competing view, however, the rise of China could be losing steam. Rather than constitut- Brian G. Carlson ing a sustained rise toward power parity with the United States, China’s rise could be tapering off before the coun- Great-power rivalry is likely to dominate international try achieves its ambitions. As Michael Beckley and Hal politics for the next eight years and beyond, as Western Brands argue, the combination of slowing economic attention increasingly focuses on challenges from China growth and increasing international resistance to China and Russia. Both countries have grown increasingly au- could signal the end of China’s rise. thoritarian and confrontational toward the West. Any at- China’s annual GDP growth has fallen steadily tempt to imagine the world at the end of this decade after decades of double-digit increases. The debt crisis at must therefore consider the likely power trajectories of Evergrande, a real estate company, highlights longstand- these two countries. As China and Russia pursue their am- ing concerns about a housing bubble, soaring debt levels, bitions, the evolution of their capabilities will play a cru- and other sources of fragility in the Chinese economy. Chi- cial role in shaping the possibilities that they face and the nese President Xi Jinping has cracked down on tech com- decisions that their leaders make. panies, signaling his desire to strengthen state control over A number of recent studies have attempted to the economy. Xi reportedly wants to return China to the measure and make predictions regarding Chinese and socialist principles of Mao Zedong, with the party-state Russian power, in some cases calling into question the firmly in control of financial flows and income distribution. conventional wisdom. China has rapidly expanded its These efforts are in conflict with the Chinese economy’s power in recent decades, but its rise may be slowing continued reliance on private companies to stimulate down or even peaking. Russia, which observers often de- growth. Thus, Xi’s focus on domestic power could stifle the ride as a declining power, has made a partial recovery in economic dynamism that China needs to sustain its rise. relative power during this century and continues to play a China will also face severe demographic challenges as its major role in the world. For policymakers, understanding ratio of working-age adults to pensioners declines. trends in Chinese and Russian power will be essential. Meanwhile, China’s growing power, ambitions, These trends will have a profound impact on internation- and foreign policy assertiveness have aroused internation- al politics over the remainder of this decade, which could al resistance. The activities of the Quad, a group consisting be a turbulent period. of the United States, Japan, India, and Australia, are illustra- tive. The AUKUS security pact, announced in September 2021, will allow Australia to acquire nuclear submarines us- China’s power ing US and British technology, marking another important The rise of China is the major factor that is changing the step in efforts to counter China militarily. The United States structure of the international system in this century. The has also sought European support for its policies toward economic reforms that China initiated in the late 1970s China, securing agreement from several countries to ex- produced sustained, rapid economic growth, allowing the clude Huawei from their 5G networks, for example. Grow- country to become the world’s second-largest economy by ing international resistance could constrain China’s options 2010 and placing it on course to overtake the United States in the coming years and frustrate some of its ambitions. and claim the top spot within the next few years, possibly Following the removal of presidential term lim- before the end of this decade. China’s economic growth its, Xi is preparing to seek a third five-year term starting in has enabled a program of military modernization that has 2023 and could remain in power indefinitely. As this de- significantly improved the country’s capabilities, increas- cade wears on, he could face difficult challenges arising ing the difficulty that the United States would face in de- from the slowdown of China’s rise. As Beckley and Brands fending Taiwan or fulfilling alliance commitments in Asia. argue, such situations have been dangerous throughout China’s foreign policy has reflected the growth history. Rising powers build up great expectations of fu- of its power. For most of the first two decades after the ture glory, only to be thwarted when their rise slows down. end of the Cold War, China followed Deng Xiaoping’s ad- When this happens, they may perceive a limited window vice to “bide your time and hide your capabilities.” After of opportunity to act before the balance of power turns the outbreak of the financial crisis in 2008, perhaps sens- against them. This creates the risk of aggressive action by ing that US power was on the wane, China began to act China during the coming decade, including a possible at- with increased assertiveness. Throughout Xi Jinping’s ten- tempt to seize Taiwan militarily. Therefore, at least in the ure, which began in 2012, China has consistently pursued near term, the slowdown or peaking of China’s rise could an assertive foreign policy. These trends led many ana- create more danger than a smooth upward trajectory. 6
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Russia’s power achieved rapid economic growth, which filled government Ever since the collapse of the Soviet Union 30 years ago, coffers and increased state capacity. However, the global observers have dismissed Russia as a declining power. financial crisis hit the Russian economy hard, and in later This characterization was certainly true during the 1990s, years Russia endured Western sanctions and prolonged when Russia’s power fell precipitously. During that de- periods of low oil prices. As a result, the Russian economy cade, Russia’s economy fell into deep recession, its state has been largely stagnant for more than a decade. capacity weakened, and its society suffered severe crisis. Russia’s efforts to revive its economy in the In foreign policy, Russia lacked the power to stop US and coming years are likely to suffer from the defects of Pu- Western actions that it opposed, including NATO expan- tin’s system. The authors of both studies agree that Rus- sion, the NATO bombing campaign against Serbia, or US sia has exhausted its potential for improvements of state withdrawal from the Anti-Ballistic Missile (ABM) Treaty. In capacity. Now, the concern is that Putin’s system of per- August 1998, Russia defaulted on its debt and devalued sonal rule has weakened the social, economic, and politi- the ruble, punctuating nearly a decade of crisis. cal institutions that are necessary for the promotion of Since then, however, Russia has improved its economic growth. All of these factors will limit Russia’s position of relative power. Simon Saradzhyan and Nabi ability to improve its position of relative power in the Abdullaev recently attempted to measure Russian power coming decades. with several different models employing a range of data, Nevertheless, Russia has sufficient reserves of including economic output, population, military expendi- economic and military power to ensure its status as a tures, and government effectiveness. Most of their mod- “persistent power,” in the words of Michael Kofman and els concluded that Russia’s power had increased since Andrea Kendall-Taylor. Recent amendments to the Rus- 2000. The primary factors that produced this improve- sian constitution would allow Putin to remain in power ment were the economic growth that Russia achieved, es- until 2036. Thus, for the remainder of this decade and be- pecially during sustained periods of high oil prices, and yond, Russian foreign policy is likely to maintain the con- increased state capacity. Russia embarked on a program frontational posture toward the West that has become of military modernization in 2008 that has significantly familiar under Putin. Russia lacks the dynamism to return improved its conventional military capabilities, though to superpower status, but it maintains sufficient power to these remain inferior to those of NATO. Russia’s nuclear remain a formidable challenge to Western interests. arsenal is on par with that of the United States, and its superiority in non-strategic nuclear weapons raises the possibility that it could rely on escalation dominance in an Further reading armed conflict. Russia’s military interventions in Georgia, Ukraine, and Syria, as well as its cyberattacks and inter- Michael Beckley / Hal Brands, “The End of China’s Rise: ference in the domestic politics of Western democracies, Beijing is Running Out of Time to Remake the World,” reflect its improved capabilities. Foreign Affairs, 01.10.2021. If Russia’s power position has improved over the past two decades, then its prospects over the coming de- Michael Kofman / Andrea Kendall-Taylor, “The Myth of cade and beyond remain far more uncertain. In his own Russian Decline: Why Moscow Will Be a Persistent study of Russian power, Andrew Kuchins concluded that Power,” Foreign Affairs 100:6 (November/December Russian power was “rising and falling simultaneously.” Like 2021), 142–152. Saradzhyan and Abdullaev, Kuchins argued that Russian President Vladimir Putin had increased state power and Andrew Kuchins / Allen Maggard / Narek Sevacheryan, central government capacity during his long tenure. Putin’s “Russian Power Rising and Falling Simultaneously,” in: personal political dominance enhances the government’s Ashley J. Tellis et al. (eds.), Strategic Asia 2015–2016: ability to mobilize human and natural resources for state Foundations of National Power in the Asia-Pacific purposes. Russia maintains the capability to project military (Seattle/Washington, DC: National Bureau of Asian power west to Europe, south to the greater Middle East, Research, 2015), 124–158. and, in a more limited capacity, east to Asia. Russia also has other valuable tools of state power in its arsenal, including Simon Saradzhyan and Nabi Abdullaev, “Measuring energy resources, intelligence services, and diplomacy. National Power: Is Putin’s Russia in Decline?” Russia Kuchins offers an important caveat, however, to Matters, 04.05.2018. the argument that Russia’s power has increased during this century. He notes that most of this increase occurred during the “golden decade” from the 1998 Russian finan- cial collapse to the global financial crisis that began in 2008. During these years, buoyed by high oil prices, Russia 7
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 AUKUS: Potenzial und Konflikt mit China strebt das Pentagon seinerseits da- Risiken nach, möglichst redundante Netzwerke aus Sensor- und Waffenträgern in der Luft sowie über und unter Wasser nutzen zu können. Daher ist Canberra für Washington ein wichtiger militärischer Partner. Interoperabilität spielt Niklas Masuhr eine wichtige Rolle, um verbündete Systeme reibungslos «einklinken» zu können. Mit AUKUS1 erschien im September 2021 ein weiteres Ak- Falls Australien im Rahmen von AUKUS seine ronym am Firmament amerikanisch geführter Sicher- militärische Zusammenarbeit mit den USA (und Grossbri- heitsbündnisse. Das Projekt bildet einen Kooperations- tannien) tatsächlich weiter ausbaute, erwüchsen den USA rahmen für eine militärische Zusammenarbeit der USA, im Pazifik daraus erhebliche militärisch-strategische Vor- des Vereinigten Königreichs und Australiens. Eine klare teile. Denn im Gegensatz zu den US-Stützpunkten in Ja- Zielrichtung zeichnet sich bereits ab: Die Eindämmung pan, Südkorea oder auf Guam befindet sich Australien in Chinas. Militärisch nutzbare Technologien sollen von Be- verhältnismässig sicherer Distanz und somit ausserhalb ginn an entlang gemeinsamer Standards entwickelt wer- der Reichweite chinesischer ballistischer Raketen. den, um das möglichst reibungslose operationelle und Dies ist jedoch nur eine, aus Sicht der USA opti- strategische Zusammenwirken der Streitkräfte zu garan- mistische Lesart. Washington kann aber nicht ausschlies- tieren. Konkret genannte Kooperationsbereiche sind Cy- sen, dass künftige australische Regierungen die vorüber- berfähigkeiten, Quantentechnologien und zukunftsfähi- gehende Entsendung oder eine dauerhafte Stationierung ge Unterwasserfähigkeiten. An letzterem entzündet sich von US- und britischen Verbänden zur Disposition stellen auch die Frage, was AUKUS für Europas Sicherheit und die werden. Die Tatsache, dass Australien im Rahmen von AU- transatlantischen Beziehungen bedeutet. Denn der Ab- KUS den Betrieb nuklearangetriebener U-Boote beabsich- bruch des geplanten, final etwa 66 Milliarden USD schwe- tigt, könnte politische Sprengkraft entfalten und die Op- ren australischen Auftrags für den Kauf französischer die- position gegenüber AUKUS befeuern. Im Mittelpunkt der selelektrischer U-Boote zugunsten einer trilateralen Debatte stehen Sorgen hinsichtlich der Weiterverbrei- US-britisch-australischen nukleargetriebenen Neuent- tung hochangereicherten Urans, das in den an Australien wicklung belastet die Beziehungen der AUKUS-Teilneh- zu liefernden U-Boot-Reaktoren genutzt werden soll. mer zu Frankreich schwer. Noch bleibt indes offen, inwie- Hochangereichertes Uran kann auch zum Bau von Kern- weit Washington, London und Canberra das Akronym waffen verwendet werden. Nichtkernwaffenstaaten ist AUKUS mit Leben füllen können und ob die diplomati- die Verwendung hochangereicherten Urans zu Nicht- schen Verstimmungen mit Frankreich von dauerhafter Waffen-Zwecken zwar nicht untersagt. Eigentlich war es Natur sein werden. aber seit Jahren das Ziel der USA und anderer Mitglieder des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NPT), die Ver- breitung hoch angereicherten Urans grundsätzlich einzu- Die pazifische Dimension dämmen, um somit Schlupflöcher für den möglichen Seine geografische Lage macht Australien zu einem heimlichen Bau von Atomwaffen zu schliessen. Hier schei- Schlüsselakteur im indopazifischen Raum. Aufgrund sei- nen sich die amerikanischen Prioritäten zu verschieben: nes direkten Zugangs zu beiden Ozeanen und seiner Dis- Die Eindämmung Chinas ist für Washington nunmehr of- tanz zu China ist Australien somit in jedwedem regiona- fenbar wichtiger als die Stärkung des NPT. len militärischen Szenario von Bedeutung. Zudem nimmt Im Vergleich mit dem ursprünglichen französi- die australische Regierung Peking ungeachtet enger Han- schen Auftrag verfügen atomgetriebene taktische U- delsbeziehungen als militärische Bedrohung wahr. Das Boote über erheblich grössere Reichweiten. Aber ob und aktuelle australische Verteidigungsbudget liegt derzeit wie zügig die geplante AUKUS Kooperation hinsichtlich bei 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Ver- solcher Boote überhaupt zustande kommt, ist durchaus gleich: Die meisten europäischen NATO-Mitglieder befin- fraglich. Derzeit sind sowohl US-amerikanische, als auch den sich unter dieser Marke. britische Werften damit beschäftigt, taktische Boote für Doch nicht nur investiert Australien selbst viel den Eigengebrauch zu fertigen. Danach werden sie sich in seine Verteidigung, sondern es intensiviert auch seine der notwendigen Erneuerung strategischer Atom-U-Boo- militärische Zusammenarbeit mit den USA. So entsendet te zuwenden. Vor diesem Hintergrund wird eine Neuent- die US-Marineinfanterie seit 2012 feste Kontingente in wicklung taktischer U-Boote Jahrzehnte in Anspruch neh- das nordaustralische Darwin für gemeinsame Übungen. men (eine Indienststellung vor Ende der 2030er Jahre ist Ferner stattete Australien seine Luftstreitkräfte mit mo- unwahrscheinlich). Eine Möglichkeit zur Überbrückung dernen US-Systemen aus. Mit Blick auf einen möglichen dieses Zeitfensters läge wohl im Transfer von Booten der Los Angeles oder Trafalgar-Klassen, die zwar technisch 1 Australia, United Kingdom, United States nicht auf dem neusten Stand sind, aber der australischen 8
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Marine die Möglichkeit geben würden, die notwendigen ausstatten wird, und Staaten wie Spanien oder Italien ha- Kompetenzen für den Betrieb amerikanisch-britischer ben einen klaren Fokus auf den Mittelmeerraum – wes- Systeme zu erwerben, bevor Plattformen der nächsten halb es unwahrscheinlich ist, dass sie globale französische Generation in Dienst gestellt werden. Ambitionen unterfüttern würden. Zudem ist Frankreich Neben der offenen Frage einer möglichen künf- auch in seinem bevorzugten Operationsraum der Sahel- tigen australischen nuklearen Unterseebootflotte liegt und Subsaharazonen keineswegs autonom: Die Maliin- das grösste Risiko in AUKUS wohl in seiner «harten» Bünd- tervention 2013 und ihre folgenden Stabilisierungseinsät- nisstruktur und seiner möglichen Wahrnehmung durch ze wurden massgeblich durch das US-Militär unterstützt. andere Staaten als exklusivem anglophonem Club. Zwar Die aktuell stattfindende Takuba-Antiterrormission unter scheint die Furcht vor einer Spaltung der Five Eyes (durch französischem Kommando, an der sich auch Spezialkräfte das Aussenstehen Neuseelands und Kanadas), also der zahlreicher osteuropäischer Partner beteiligen, ist einer etablierten engen nachrichtendienstlichen Zusammenar- der wenigen konkreten Lichtblicke europäischer militäri- beit, unbegründet. Allerdings kann durchaus argumen- scher Zusammenarbeit. Aber es ist fraglich, ob Paris mit- tiert werden, dass der langfristigen Verteidigung des in- telfristig ohne signifikante US-Logistik- und nachrichten- dopazifischen Raums mehr durch ein Geflecht bilateraler dienstliche Unterstützung seine prioritären Aufgaben in und minilateraler regionaler Systeme geholfen wäre, als der Region erfüllen kann. Dies ist insbesondere der Fall, da durch die Schaffung einer zentralen Achse (AUKUS), an Russland über halboffizielle Söldnerkontingente in diese der sich Drittstaaten orientieren müssen. Für Staaten wie Zone vorstösst. Unter dem Strich ist es kaum vorstellbar, Indien, Vietnam, aber auch die Europäer, insbesondere dass Frankreich seine militärische Zusammenarbeit mit das wegen des abgesagten U-Boot Exports verschnupfte den USA durch europäische Kooperationsformate erset- Frankreich, könnte Australien durch die klare US-Bindung zen können wird. ein weniger attraktiver Partner sein als bisher. Somit könnten die USA durch AUKUS also Australien an sich ge- bunden, aber zugleich die Etablierung breiterer regionaler Fazit Koalitionen verkompliziert haben. Der Erfolg oder Misserfolg von AUKUS hängt davon ab, ob sich das Vorhaben als mit regionalen und globalen Bünd- nissen und Partnerschaftssystemen als vereinbar erweist. Die atlantische Dimension Im Idealfall, aus Sicht der USA, wird hier ein Kern geschaf- AUKUS hat auf jeden Fall Konsequenzen für die künftigen fen, um den sich im Spannungsfall weitere regionale transatlantischen Beziehungen. Der Vertrauensverlust Mächte organisieren können, um eine breite Front, bei- zwischen den USA und Frankreich wird auf absehbare Zeit spielweise im Fall einer Taiwan-Konfrontation, zu bilden. kaum zu überwinden sein – was für Washington auf- Umgekehrt ist es allerdings auch möglich, dass das Bünd- grund der eigentlich zunehmenden militärischen Koope- nis unter seinen Erwartungen bleibt, falls die vertiefte mi- ration der vergangenen Jahre (in Afrika, Syrien und auch litärische Kooperation und Integration ausbleibt, oder im Pazifik) ein kapitales Eigentor ist. Denn Frankreich ist, sich die Entwicklung der neuen Unterseeboote in die Län- weit mehr noch als Grossbritannien, der einzige europäi- ge zieht. Ob der bei der Ankündigung von AUKUS entstan- sche Partner der USA mit der Fähigkeit und dem politi- dene politische Kollateralschaden gerechtfertigt war wird schen Willen zu signifikanter Machtprojektion. Im Indo- sich erst zeigen, wenn klar wird, wie gut oder schlecht AU- pazifik unterhält Paris permanent Streitkräfte mit einer KUS sich in die regionale politisch-strategische Lage ein- Personalstärke von bis zu 7000 Soldatinnen und Soldaten betten lässt – und eingebettet wird. sowie permanente Luft- und Marinebasen unter einem eigenen Regionalkommando. Paris ist derzeit wegen AUKUS ungehalten: Es Weiterführende Literatur fühlt sich nicht ausreichend konsultiert und wegen des abgesagten australischen U-Boot-Kaufs sogar schlicht Andrew S. Erickson, «Australia Badly Needs Nuclear übergangen. Dennoch spricht wenig dafür, dass sich Submarines», Foreign Policy, 20.09.2021. Frankreich eine irreparable Zerrüttung seines Verhältnis- ses zu den USA leisten kann. Die Erfüllung seiner Hoffnun- Mercy A. Kuo, «AUKUS: Impact on Indo-Pacific Security gen auf mehr europäische Eigenständigkeit hängt nicht Dynamics», The Diplomat, 07.10.2021. allein von Frankreich ab, sondern davon, wie sich die an- deren europäischen NATO-Staaten auf absehbare Zeit po- Elie Perot, «The Aukus agreement, what repercussions for sitionieren. Osteuropäische NATO-Partner werden kaum the European Union?», Fondation Robert Schumann, von ihrer transatlantischen Präferenz abweichen. Es ist 27.09.2021. unwahrscheinlich, dass eine (mutmassliche) deutsche mitte-links Regierung die Bundeswehr substanziell besser 9
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Sicherheitsszenarien im ten der Dialogstaaten, schnell wieder von der Bildfläche «Indo-Pazifik» verschwindet. Gleichzeitig bietet die Ambivalenz des For- mats die Möglichkeit, je nach Bedarf oder je nach chinesi- schem Verhalten, die Zusammenarbeit zu intensivieren, neue Themenbereiche abzudecken und punktuell mit ver- Boas Lieberherr schiedenen weiteren Akteuren zusammenzuarbeiten. Die EU beispielsweise bekundete in ihrer Indo-Pazifik-Strate- Die Region des «Indo-Pazifiks» wird aus wirtschaftlicher, gie Interesse an einer Kooperation mit dem Quad bei den politischer und militärischer Sicht immer wichtiger. Der Themen Klimawandel, Technologie und Impfungen. Da Begriff steht für ein von den USA geprägtes Rahmenkon- der Quad China ausdrücklich ausschliesst, entsteht für zept, das eine Alternative zu einer sino-zentrischen Neu- Drittstaaten bei einer Kooperation mit dem Format indes ordnung der Region bieten soll, und bezeichnet das früher ein Spannungsfeld hinsichtlich ihrer Beziehungen zum als Asien-Pazifik bekannte Gebiet. Die jüngst von der EU Reich der Mitte. Darüber hinaus bleibt unklar, ob der Quad veröffentlichte Indo-Pazifik-Strategie unterstreicht die internationale Institutionen eher stärken oder schwächen Wichtigkeit der Region auch für Europa. China, Japan, In- wird. Der Erfolg der Gruppierung dürfte sich daran mes- dien, Südkorea und die Staaten Südostasiens sind wichti- sen, ob sie es schafft, einerseits den regionalen wirt- ge aussereuropäische Handelspartner. Dabei ist Europa, schaftlichen Einfluss Chinas zu beschneiden und anderer- einschliesslich der Schweiz, auf offene und sichere Han- seits für kleinere und mittlere Staaten im Asien-Pazifik delsrouten angewiesen. Die strategische Konkurrenz zwi- einen Mehrwert zu generieren. schen den USA und China dürfte vornehmlich in diesem Der Quad hat einiges Potenzial und ist somit für Raum ausgetragen werden. Europa bedeutsam. Zugleich ist unklar, in welche Rich- Entwicklungen im «Indo-Pazifik» sind richtungs- tung er sich entwickeln wird. Es bietet sich daher an, in weisend für die Ausgestaltung einer künftigen internatio- Szenarien zu denken. Nachfolgend werden drei alternati- nalen Ordnung. Eine bedeutende Rolle darin könnte der ve Entwicklungsmöglichkeiten für die mittelfristige Zu- Quadrilateral Security Dialogue (Quad) einnehmen. Der kunft skizziert. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren, die in 2017 wiederbelebte informelle Zusammenschluss zwi- unterschiedlicher Ausprägung auftreten, zählen die fi- schen den USA, Australien, Indien und Japan will einen nanziellen und politischen Ressourcen, welche die USA für «freien und offenen Indo-Pazifik» gewährleisten. Das si- das Format aufwenden, sowie das chinesische Verhalten cherheitspolitisch ausgerichtete Format bildet das institu- gegenüber seinen Nachbarn – kooperativ oder eher kon- tionelle Herzstück der US-amerikanischen Free-and-Open- frontativ. Ob sich die Szenarien in Realität übersetzen, Indo-Pacific-Strategie (FOIP). Zwischen 2017 und Anfang steht nicht im Vordergrund der Analyse. Wichtiger sind 2020 koordinierten die Dialogstaaten vornehmlich ihre ihre Plausibilität, Konsistenz und politische Relevanz. militärische Kooperation und gemeinsame Übungen. Jüngst wurde der thematische Fokus stark erweitert: CO- VID-19, Infrastrukturentwicklung, resiliente Lieferketten, Drei Szenarien neue Technologien, Cybersicherheit und Klimawandel. Wettbewerb: Spaltung durch Annäherung 2021 traf sich der Quad erstmalig auf der Ebene der Staats- Die USA verleihen ihrer Ankündigung der Refokussierung chefs, zuerst virtuell im März kurz nach dem Amtsantritt auf den Indo-Pazifik Nachdruck. Auf die im Quad-Treffen von US-Präsident Joe Biden, und im September physisch in von Ende 2021 lancierten Arbeitsgruppen in den Berei- Washington. Das Format bleibt ein pragmatischer Zusam- chen Klima, globale Gesundheit, neue Technologien und menschluss. Es gewinnt seine Bindungskraft durch ge- Infrastruktur folgen konkrete Ergebnisse. Innerhalb kurzer meinsame Bedenken hinsichtlich Chinas wachsenden Fä- Zeit etabliert sich der Quad als Forum, das öffentliche Gü- higkeiten und seinem gesteigerten Einfluss. Indien zeigt ter bereitstellen und Synergien bei globalen Themen mo- sich erst seit der Eskalation der Grenzspannungen mit Chi- bilisieren kann. Ferner verliert das Format teilweise seinen na im Frühjahr 2020 zu einer engeren Kooperation im Rah- Anstrich als reine Anti-China-Initiative. Sowohl einzelne men des Formats bereit. Peking spricht sich konsequent europäische Länder als auch die EU kooperieren themen- gegen die Gruppierung aus und beschreibt sie als exklusi- spezifisch mit dem Quad, beispielsweise Deutschland bei ve, gegen China gerichtete Initiative. der Unterstützung von pazifischen Inselstaaten im Um- Die Zukunft des Quad ist ungewiss. Zwischen gang mit klimawandelbedingten Risiken. Peking sieht sei- den Staaten bestehen nach wie vor erhebliche Differen- ne Interessen in der Region durch den Quad ungeachtet zen in Bezug auf ihre Interessensschwerpunkte und der der Tatsache, dass das Format sich weniger anti-chine- Positionierung gegenüber China. Für die Effektivität des sisch gibt, gefährdet, schlägt aussenpolitisch aber sanfte- Formats könnte sich seine gegenwärtig lose Form als Vor-, re Töne an. Ziel ist, das Format zu spalten. Angriffspunkt aber auch als Nachteil erweisen. Denkbar ist, dass der ist das schwächste Glied: Indien. China zieht sich im Quad, beispielsweise aufgrund neuer nationaler Prioritä- Grenzstreit mit Indien – der für die nationalen Interessen 10
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Pekings am wenigsten relevante Territorialkonflikt – in al- päische Länder bauen die wirtschaftliche Zusammenar- len Gebieten zu den Positionen vor der Eskalation im beit mit Staaten im Asien-Pazifik aus. Die EU schliesst Frühjahr 2020 zurück. Die beiden Länder beginnen poli- Handelsabkommen mit Australien, Neuseeland und Indo- tisch wieder enger zusammenzuarbeiten, der bilaterale nesien ab. Wachsende Rivalitäten zwischen den USA, Chi- Handel floriert. Die innenpolitisch gestärkte Regierung na, Russland und Indien und ein zunehmender Unilatera- Narendra Modis zeigt sich bemüht, dass der Quad an lismus tragen vermehrt zum Aufbrechen regionaler Sichtbarkeit verliert. Das Format büsst dadurch an Effekti- Konflikte bei. 2025 erhöht China den Druck auf Taiwan vität und Effizienz ein. und erreicht eine faktische Unterwerfung, die Washing- ton hinnimmt. Da die USA ihre Rolle als ordnungspoliti- Konfrontation: Institutionalisierung scher Partner immer weniger wahrnehmen, verliert der China setzt seine aggressive Aussenpolitik fort. Auch un- Quad seine gesamte Bindungskraft. ter grösserem internationalem Druck will die Regierung gegen innen und aussen Stärke beweisen und mit wach- senden militärischen Fähigkeiten seinen territorialen An- Schlussfolgerungen sprüchen Nachdruck verleihen. Während AUKUS – das tri- Die Szenarien verdeutlichen, dass die Dynamik des Quad laterale Militärbündnis zwischen Australien, Grossbritan- in grossen Teilen von Chinas Reaktionen auf ihn abhängt. nien und den USA – immer mehr Form annimmt, schränkt Je stärker der Fokus des Formats auf einer verteidigungs- China den Tourismus nach Australien mittels restriktiver politischen Zusammenarbeit liegt, desto wahrscheinli- Reisewarnungen drastisch ein. Die Spannungen an der cher erscheint eine Eskalationsspirale. Ein solcher Trend Grenze zu Indien eskalieren im Sommer 2022 wider Er- dürfte auch die wirtschaftlichen und politischen Kosten warten erneut. Die USA nutzen die Gunst der Stunde und für eine europäische Kooperation mit dem Format vis-à- intensivieren auch wieder vermehrt die verteidigungspo- vis China erhöhen. Derzeit decken sich die Schwerpunkte litische Zusammenarbeit im Quad. Die vier Staatschefs des Quad in verschiedenen Bereichen mit der europäi- treffen sich halbjährlich, und ein ständiges Sekretariat schen Indo-Pazifik-Strategie und bieten Anknüpfungs- wird geschaffen, dessen Vorsitz alle drei Jahre rotiert. punkte für ihre Umsetzung. Durch eine Fokussierung auf 2023 lanciert der Quad eine Initiative zu alternativen Be- wirtschaftliche Aspekte kann die EU auch unabhängig schaffungsketten, welche Chinas Markmacht als welt- vom Quad – und seiner Zukunft – ihren Einfluss in der Re- weit dominierender Lieferant von seltenen Erden zu be- gion ausbauen und dem Bedürfnis vieler asiatischer Staa- schneiden beginnt. Entscheidungen von globaler Trag- ten nach strategischem Spielraum nachkommen. Ein weite werden ad-hoc innerhalb des Formats getroffen. funktionierender Quad bedeutet ferner ein Mindestmass Bei einer grossen humanitären Krise in Südostasien stellt an Kooperation und Koordination zwischen unterschied- der Quad unmittelbar Hilfsgüter bereit und umgeht dabei lichen Akteuren. Die USA können schnell und flexibel auf auch die UNO. Die EU unterstützt den Quad indirekt, in- Herausforderungen reagieren und Lasten besser teilen. dem sie einen grösseren Beitrag zur konventionellen Der Minilateralismus könnte indes auch mit multilatera- Bündnisverteidigung in Europa leistet. len Strukturen in Konflikt treten. Die Szenarien zeigen ebenfalls, dass es für das Format schwierig sein wird, er- Passivität: Mangelnder Zusammenhalt folgreich im Sinne einer Einhegung chinesischen Einflus- In den USA gewinnen 2022 die Republikaner die Mehrheit ses in der Region zu kooperieren. Die strategischen Aus- im Repräsentantenhaus. Die Handlungsfähigkeit Wa- richtungen der Quad-Mitglieder sind unterschiedlich, es shingtons ist dadurch eingeschränkt. Der Fokus liegt auf bestehen starke wirtschaftliche Abhängigkeiten von Chi- bestehenden US-Bündnissen und weniger auf losen mini- na, und das Format ist von aussen einfach zu destabilisie- lateralen Formaten. Der Quad trifft sich zwar weiterhin in ren. Auch wenn sich der Quad längere Zeit auf der inter- unregelmässigen Abständen auf Ministerebene, ohne nationalen Bühne halten könnte, wird er nur mit aber nennenswerte Ergebnisse zu erzielen. Peking setzt substanziellem politischem und finanziellem Engage- seine Gangart im Südchinesischen Meer fort, denn es ment seitens der USA sein Potenzial entfalten können. geht davon aus, dass grundlegende wirtschaftliche Reali- täten – für die Quad-Staaten ist China entweder der wich- tigste oder einer der wichtigsten Handelspartner – die Weiterführende Literatur Dialogstaaten davon abhalten werden, in einer Weise zu kooperieren, die Chinas Interessen ernsthaft schaden. Pe- Philipp Dienstbier / Barbara Völkl, «Die Quad ist erwach- king baut auch seinen regionalen wirtschaftlichen Ein- sen geworden», in: KAS Analysen und Argumente 445 fluss durch das Regional Comprehensive Economic Part- (2021). nership (RCEP) weiter aus. Die US-amerikanische Indo-Pazifik-Strategie beschränkt sich auf Sicherheitspoli- Felix Heiduk / Gudrun Wacker, «Vom Asien-Pazifik zum tik, schwächelt aber auch dort. Die EU und einzelne euro- Indo-Pazifik», in: SWP-Studie 9 (2020). 11
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Cleo Paskal, «Indo-Pacific strategies, perceptions and Europas Stellung in der partnerships», Chatham House, 23.03.2021. Welt: Zwischen China und Sheila A. Smith / Jagannath Panda / Gilbert Rozman, den USA «The Quad», theasanforum.org, 23.06.2021. Linda Maduz Die gegenwärtigen geopolitischen Verschiebungen füh- ren zu einem relativen Bedeutungsverlust Europas. In der neu entstehenden Ordnung stehen sich die USA als der- zeit noch führende Weltmacht und das aufsteigende Chi- na gegenüber. Die USA werden in Zukunft noch mehr Res- sourcen und politische Aufmerksamkeit nach Asien verschieben, wo China, aber auch weitere Länder, stetig an wirtschaftlichem und geopolitischem Gewicht zule- gen. Im sich entwickelnden Systemkonflikt verstärken Pe- king und Washington den Druck auf einzelne Länder, wie das Ringen um den Marktzugang des chinesischen Tele- komausrüsters Huawei beim Ausbau von 5G-Netzwerken zeigt. Der Raum für Mittelwege schwindet. Klein- und Mittelmächte in Europa und anderswo sind besonders negativ von der wachsenden Instabilität der politischen Beziehungen und dem drohenden Zerfall einer an libera- len Werten orientierten Weltordnung betroffen. Regionale Strukturen wie die EU in Europa oder der Verband südostasiatischer Staaten (ASEAN) in Asien werden zu immer wichtigeren Mechanismen, die es erlau- ben, Anpassungen an das sich wandelnde geopolitische Umfeld vorzunehmen. Die Stellung Europas im Wettbe- werb um Technologieführerschaft und die gemeinsame Ausgestaltung der politischen Beziehungen zu China sind dabei Bereiche, die mit besonders viel Unsicherheit be- haftet sind. Zugleich gibt es ein grosses Potential für eine erfolgreiche internationale Positionierung Europas. Die einzelnen europäischen Länder erlangen durch EU-weit abgestimmte Lösungen und Vorschläge, wie beispielswei- se durch für die ganze Union verhandelte Wirtschaftsab- kommen und Sanktionen, grösseres (Verhandlungs-) Ge- wicht gegenüber Peking. Das ist besonders relevant bei übergeordneten politischen Fragen und heiklen politi- schen Themenfeldern. Das zunehmend konfrontative internationale Umfeld eröffnet der neutralen Schweiz, als Nicht-Mitglied der EU und der NATO in der Mitte Europas, Chancen und Risiken. Zu den Chancen gehört die Möglichkeit, aktiv auf die steigende Nachfrage nach Vermittlung reagieren zu können und sich als Brückenbauer zu positionieren. Zu den Risiken gehören die fehlende Zugehörigkeit zu einer grös- seren Handels- und politischen Organisation und die da- mit fehlende Verhandlungsmasse in bilateralen Beziehun- gen zu den Grossmächten. Berns in vielerlei Hinsicht ungeklärtes Verhältnis zur EU schwächt seine internatio- nale Position. Gerade bei der Frage des Zugangs zu und der 12
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Zusammenarbeit im Bereich von Zukunftstechnologien ist ken. Die Trends in diesem Bereich sind von grosser Bedeu- die Herausforderung gross. Eine vertiefte Kooperation mit tung, gleichzeitig aber auch ungewiss: Fortschritte in den europäischen Ländern wäre entsprechend wichtig. Zukunftstechnologien, wie etwa in zukunftsweisenden Informations- und Energietechnologien, und ihre Nutz- barmachung folgen keiner linearen Entwicklung und sind Der sino-amerikanische Weltkonflikt und oft schwierig vorherzusehen. seine Folgen für Europa Die Entwicklungen in vier zentralen Bereichen werden die 4. Politik Ausgestaltung des sino-amerikanischen Konflikts und die Der Einfluss nationalistisch-illiberaler Tendenzen inner- Positionierung Europas auf der Weltbühne massgeblich halb der US-amerikanischen Politik könnte sich langfristig prägen: Wirtschaft, Militär, Technologie und Politik. Die negativ auf die globale Führungsrolle der USA einschliess- Entwicklungen variieren in ihrer Bedeutung und dem lich des Verhältnisses zu Europa auswirken. Der derzeitige Mass an Unsicherheit, das sie mit sich bringen. Einige Ent- US-Präsident Biden verspricht zwar einerseits verbesserte wicklungen sind infolge vieler Unbekannter mit grösserer Beziehungen zu Alliierten; andererseits steht seine Aus- Ungewissheit behaftet als andere. sen- und Sicherheitspolitik klar im Zeichen der Herausfor- derung durch China, was europäische Interessen aus der 1. Wirtschaft Perspektive Washingtons bisweilen als nachrangig er- Die Zukunftsmärkte der Welt liegen in Asien. China ist be- scheinen lässt. Trotzdem sind die amerikanisch-europäi- reits seit 2010 die zweitgrösste Volkswirtschaft nach den schen Beziehungen stabil und institutionell gut eingebet- USA. Die Bedeutung Chinas in der Weltwirtschaft wird tet, vor allem durch die NATO. Aus europäischer Sicht weiterwachsen. Wirtschaftlich werden die USA und Euro- werden die USA weiterhin zentrale Partner in sicherheits- pa an relativer Bedeutung verlieren. Dieser Trend ist so politischen Angelegenheiten bleiben. wichtig wie sicher. An diesen Erwartungen kann festge- In den Beziehungen europäischer Länder zu Chi- halten werden, auch wenn Bedenken bezüglich der Nach- na dominierten bis vor Kurzem wirtschaftspolitische Inte- haltigkeit des chinesischen Wirtschaftsmodells bestehen ressen. China ist der wichtigste Handelspartner Deutsch- aufgrund von hochverschuldeten Unternehmen und der lands – der grössten Volkswirtschaft der EU – sowie der Fehlallokation von Kapital, beispielhaft dargestellt durch Union als Ganzes. Die zunehmende Repression innerhalb die aktuelle Immobilienblase. Chinas, das militärisch ausschweifende Gebaren Pekings im Südchinesischen Meer, Chinas Haltung in den Konflik- 2. Militär ten mit Hongkong und Taiwan, aber auch politische Ein- Auf absehbare Zeit werden die USA die weltweit führen- flussversuche, darunter auch in europäischen Ländern, de Militärmacht bleiben. Aber China wird weiter aufho- und ein zunehmend harscher diplomatischer Stil – zum len. Peking wird, wie in den letzten Jahrzehnten und ver- Beispiel in Reaktion auf Kritik an der chinesischen Pande- stärkt seit ein paar Jahren, in den Aufbau seiner miebekämpfung – haben innerhalb weniger Jahre zu ei- militärischen Stärke – insbesondere auf See – investieren ner drastischen Verschlechterung der Beziehungen ge- und sein Militär weiter modernisieren. Die EU oder ein Zu- führt. China reagiert mit Abschottung. Trotzdem ist bei sammenschluss europäischer Länder werden in naher Zu- der Ausgestaltung chinesisch-europäischer Beziehungen kunft keine vergleichbare Position als Militärmacht ein- heute noch vieles offen. In einem Strategiepapier von nehmen können, auch wenn politische Debatten zu 2019 bezeichnet die EU Peking als Partner, wirtschaftli- Fragen ihrer strategischen Autonomie an Bedeutung ge- chen Konkurrenten und Systemrivalen – die Komplexität winnen werden. Diese Trends im militärischen Bereich und die weiterhin grosse Bedeutung der Beziehungen sind ebenfalls so wichtig wie sicher. werden damit passend beschrieben. 3. Technologie Die Bedeutung von Technologie für nationale Sicherheits- Plausible Szenarien für eine Positionierung politiken wird weiterwachsen. Technologie wird zuneh- der EU mend zu einem entscheidenden Faktor bei der Bestim- Auf Ebene der EU findet eine aktive Debatte zur interna- mung des globalen Einflusses staatlicher Akteure. China tionalen Positionierung europäischer Länder im sino- wird weiterhin daran arbeiten, seine Position als führende amerikanischen Weltkonflikt statt. Es lässt sich ein politi- Technologiemacht auszubauen. Peking konkurriert dabei scher Wille erkennen, einen eigenen Pol in der sich mit den USA um globale Technologieführerschaft. Um zu formenden Weltordnung zu bilden. Dafür wird die EU ver- den Ländern an der Technologiespitze, das heisst China suchen, ihre Position in allen oben skizzierten Bereichen und den USA, aufschliessen zu können, bräuchte Europa zu verbessern. Mit der grössten Unsicherheit behaftet Investitionen und politische Konzepte, die seine Wissen- und gleichzeitig am vielversprechendsten dabei sind die schafts- und Technologiekapazitäten entscheidend stär- Bereiche Technologie und Politik. 13
CSS STUDIE Sicherheitspolitische Trends 2022–2030 Folgende Szenarien im Bereich der Technologie sind gen, wie die Universalität der Menschenrechte oder die heute vorstellbar: Stärkung einer liberalen, regelbasierten Weltordnung zu- Europa holt auf: EU-weite Initiativen und Investitionen rückstellen. zur Stärkung des eigenen Wettbewerbsvorteils in Hoch- technologien zahlen sich aus. Durch entscheidende Fort- schritte auf Gebieten wie der Künstlichen Intelligenz, Implikationen für die Schweiz Quantum Computing, Technologien zur globalen Vernet- Für ein einzelnes Land der Grösse der Schweiz ist das neue zung (5G, Internet der Dinge, Cloud-Lösungen) oder Was- geopolitische Umfeld eine Herausforderung: die Weltord- serstofftechnologie können sich europäische Länder be- nung droht in unterschiedliche Ordnungsräume zu zerfal- ziehungsweise ihre Firmen im internationalen Wettbe- len und wird instabiler. Die Grossmächte bestimmen wie- werb besser positionieren. Das würde europäischen der vermehrt die internationalen Beziehungen. Regierungen grössere Unabhängigkeit von amerikani- Insbesondere wenn sich die Szenarien für eine schen und chinesischen Technologien ermöglichen. stärkere EU-interne Koordination realisieren sollten, wird Europa fällt zurück: Umgekehrt könnte es aber die Schweiz in Zukunft die negativen Auswirkungen ihrer auch passieren, dass die europäischen Anstrengungen für Nichtzugehörigkeit stärker zu spüren bekommen. Wenn eine gemeinsame Industriepolitik – innerhalb der EU oder die EU-Länder im technologischen Bereich stärker zusam- zwischen einzelnen Ländern – scheitern. Vergrössert sich menspannen, wird sich für die Schweiz die Frage stellen, der Abstand zur Technologiespitze, wird in Europa die Ab- wie sie sich einbringen und Zugang bekommen kann. Die hängigkeit von amerikanischen und chinesischen Tech- politischen Rahmenbedingungen für die Zusammenar- nologien zunehmen und die Anfälligkeit für politischen beit im Bereich der Forschung und Innovation haben sich Druck, die jeweiligen Technologien zu nutzen, wachsen. über die letzten Jahre verschlechtert. Auch die Möglich- Entsprechend begrenzt wäre dann folglich die künftige keit politischer Koordination mit der EU im Umgang mit Rolle europäischer Länder bei Fragen der internationalen China ist beschränkt. Als politisch unabhängige Vermitt- Technologiegouvernanz. lerin hat die Schweiz heute Konkurrenz von anderen Län- Politisch richten sich die EU und die grossen eu- dern – solchen innerhalb der EU wie etwa Schweden oder ropäischen Länder gegenüber China seit 2019 neu aus. Bei solchen in (Süd-) Ostasien, die insbesondere beim gegen- der Entwicklung von strategischen Instrumenten und He- wärtigen Konflikt zwischen China und den USA gut auf- beln im Umgang mit Peking fällt der EU eine Schlüsselrol- gestellt sind. le zu. EU-Länder arbeiten an Initiativen zur gemeinsamen Industriepolitik, koordinieren sich bei Investitionskontrol- len (2019), verhandelten ein Investitionsabkommen EU- Weiterführende Literatur: China (2020), und beschlossen Sanktionen gegen China aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Mario Esteban / Miguel Otero-Iglesias (Hrsg.), «Europe in Xinjiang (2021). the Face of US-China Rivalry», A Report by the European Think-tank Network on China (ETNC), Januar 2020. Folgende politische Szenarien sind heute vorstellbar: Europa spricht mit einer Stimme: Um dem wachsenden Barbara Lippert / Volker Perthes (Hrsg.), «Strategic rivalry Einfluss Chinas in internationalen Foren, aber auch in between United States and China: Causes, Trajectories, Drittstaaten adäquat zu begegnen, müssten sich die EU- and Implications for Europe», in: SWP Research Paper 4 Länder geschlossen positionieren und mit einer Stimme (2020). sprechen können. Gelänge das – auch in Zusammenarbeit mit ähnlich gesinnten Ländern – würde dies das geopoli- tische Gewicht der EU vergrössern. Europas gemeinsame China-Politik scheitert: In einem alternativen, aber nicht weniger plausiblen Szena- rio driften die Positionen der EU-Länder im Umgang mit China auseinander. Beispielsweise bleiben kleinere und wirtschaftlich schwächere Staaten offen für chinesische Investitionen und damit auch offen für Pekings politi- schen Einfluss. Solche Positionen waren in der Vergangen- heit bei verschiedenen süd- und (süd-) osteuropäischen Ländern beobachtbar. Aber auch grössere EU-Länder wür- den eine gemeinsame EU-Positionierung schwächen, wenn sie eng auf ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen fokussieren und übergeordnete, politische Fragestellun- 14
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