Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Karin Joiko, Martin Schmauder, Gertrud Wolff Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben Erkennen – Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Inhalt 4 1 Einige Worte zu Beginn 7 2 Psychische Belastung und Beanspruchung 7 2.1 Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben heute 7 2.2 Psychische Belastung und Beanspruchung – was ist darunter zu verstehen? 12 2.3 Folgen kurzfristiger Beanspruchung 17 3 Empfehlungen und Hinweise zur Gestaltung von Arbeit im Hinblick auf psychische Belastung 18 3.1 Allgemeine Hinweise und Empfehlungen 26 3.2 Spezielle Empfehlungen zur Vermeidung von psychischer Ermüdung und ermüdungsähnlichen Zuständen in Anlehnung an DIN EN ISO 10075-2 39 4 Die Norm DIN EN ISO 10075 und rechtliche Einordnung von psychischer Belastung 39 4.1 Die Norm DIN EN ISO 10075 ›Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung‹ 40 4.2 Rechtliche Einordnung ›psychischer Belastung‹ 45 5 Zusammenfassung 46 6 Hinweise zu Literatur und Internetadressen 48 Fallbeispiele, die die individuelle Verarbeitung der psychischen Beanspruchung zeigen 52 Impressum 3
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN 1 Einige Worte zu Beginn Für wen? psychischer Arbeitsbelastung‹ (1) wertneutral Diese Broschüre richtet sich an Praktiker der Arbeits- gesehen. welt, die z. B. mit der Gestaltung von Abläufen und – einfache Vorschläge zur Gestaltung von Arbeits- Arbeitsaufgaben, der Entwicklung von Produkten bedingungen unterbreiten. und der Planung des Personaleinsatzes betraut sind. Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Planer, Entwickler, Praxisgerechte Hinweise zur betrieblichen Umset- Produktgestalter, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, zung der Gefährdungsbeurteilung vermittelt die Betriebsärzte, Betriebs- und Personalräte sowie Quartbroschüre ›Integration der psychischen Führungskräfte erhalten gezielt Informationen zur Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung‹ (21). Verbesserung von Sicherheit und Gesundheits- schutz im Betrieb. Welcher Inhalt? In Kapitel 1 ›Einige Worte zu Beginn‹ wird in die Weshalb eine Broschüre zum Thema Zielsetzung der Broschüre eingeführt. ›Psychische Belastung und Bean- Im Kapitel 2 ›Psychische Belastung und Bean- spruchung‹? spruchung‹ werden Begriffe und Zusammenhänge Noch immer bestehen im Zusammenhang mit erklärt. Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell diesem sehr komplexen Thema Missverständnisse dient hierzu als Hilfestellung. Folgen psychischer und Verständigungsschwierigkeiten. Beanspruchung werden aufgezeigt. Deshalb will die Broschüre Im Kapitel 3 ›Gestaltung psychischer Belastung‹ – sensibilisieren und informieren. Da durch Arbeit werden Hinweise zu den Einflüssen, die psychische verursachte psychische Belastung gestaltbar ist, Beanspruchung verursachen, gegeben. Allgemeine ergeben sich Chancen und Risiken. Die Chancen und spezielle Hinweise und Empfehlungen zur können genutzt, die Risiken gemindert werden. Gestaltung von Arbeitsaufgabe, Arbeitsmitteln, – dazu beitragen, dass Begriffe geklärt und Arbeitsumgebung, Arbeitsablauf und Arbeitsplatz Zusammenhänge erkannt werden. So wird z. B. ergänzen diesen Teil. psychische Belastung nach der Norm DIN EN In Kapitel 4 wird näher auf die Norm und auf das ISO 10075 ›Ergonomische Grundlagen bezüglich rechtliche Umfeld zu psychischer Belastung einge- 4
E IN IG E W O R TE ZU B EGI N N gangen. Die Norm DIN EN ISO 10075 ist Grundlage Diese Broschüre kann für diese Broschüre. – nicht dazu beitragen, die noch durch Forschung Kapitel 5/6 enthalten Zusammenfassung und zu lösenden Probleme beim Thema ›psychische Literaturverzeichnis. Fallbeispiele veranschaulichen Belastung und Beanspruchung‹ zu klären. den Inhalt. – kein Kompendium für den arbeitswissenschaft- lichen Fachmann sein. Was der Leser sonst noch wissen sollte Um allgemein verständlich zu sein, wurde zur Erklärung des Zusammenhanges zwischen Belas- tung und Beanspruchung ein Modell verwendet, das wie jedes Modell Grenzen hat und den Zusam- menhang zwischen Belastung und Beanspruchung nur vereinfacht aufzeigen kann. Zur besseren Lesbarkeit – wurden wissenschaftliche oder verschieden definierte Begriffe in vereinfachter Form bezeich- net wie ›psychische Ermüdung‹ als ›Ermüdung‹, ›psychische Sättigung‹ als ›Sättigung‹, – wurde bei Begriffen, bei denen es um Personen geht (z. B. Beschäftigte, Unternehmer, Arbeitgeber) auf die weibliche Form verzichtet. Es sind also immer sowohl Frauen als auch Männer gemeint, wenn die männliche Form verwendet und auf Menschen/Personen Bezug genommen wird. 5
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN 2 Psychische Belastung und Beanspruchung In diesem Teil der Broschüre werden grundlegende – Menschen aus Berufen mit hoher psychischer Begriffe und Zusammenhänge erläutert. Da sich Belastung haben seit Jahrhunderten die höchste unterschiedliche Fachdisziplinen mit psychischer Lebenserwartung (nach 2) – ein Grund mehr, Belastung und Beanspruchung beschäftigen, wird Arbeit menschengerecht zu gestalten. eine Fülle von unterschiedlichen Begriffen verwendet. Hier soll durch die Erläuterung der wesentlichen 2.2 Psychische Belastung und Beanspru- Begriffe eine Vereinfachung und gleichzeitig auch chung – was ist darunter zu verstehen? eine Verständigungsgrundlage geschaffen werden. Der Mensch ist ein biopsychosoziales Wesen, d. h., die in ihm ablaufenden Vorgänge sind vielfältig. Sie 2.1 Psychische Belastung und Beanspru- hängen u. a. von biologischen, psychischen, sozialen chung im Berufsleben heute Faktoren und Prozessen ab, die sich gegenseitig Die Berufstätigen von heute arbeiten in Teams, ent- beeinflussen. Experten aus Bereichen wie Ingenieur- wickeln Ideen, lösen Probleme, bedienen Maschinen, und Sozialwissenschaft, Medizin, Biologie, Psycho- werben, unterstützen und beraten Kunden. Rund um die Uhr flutet in ihr Gehirn ein Strom von Informationen dank Computer, Fax, Telefon und günstig anderer Medien – sowohl im Unternehmen als auch zu Hause. Die Weiterbildung darf ebenso nicht zu kurz kommen. Für den Einzelnen bedeutet dies, dass durch die erforderliche erhöhte Konzentration und geistige Verarbeitung ›bessere Nerven‹ zu niedrig zu hoch gebraucht werden. – Der Mensch braucht psychische Belastung, denn sie ist der ›Motor‹ für die menschliche Entwick- lung. – Psychische Belastung führt zu Beanspruchung, Individuelle die sich positiv oder negativ auswirken kann. Voraussetzungen des Menschen Psychische – Psychische Belastung hat in den letzten Jahrzehn- Belastung ten zugenommen. durch Arbeit 7
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN logie setzen sich aufgrund der Zunahme ›psychi- Menschen ablaufenden Prozesse und bezeichnen scher Belastung‹ im Berufsleben seit Jahren ver- diese Art der Beanspruchung manchmal als Stress. stärkt mit diesem Thema auseinander. Sie können Zurzeit gibt es kein einheitliches Erklärungs- aber vieles noch nicht erklären und haben unter- modell zum Thema ›psychische Belastung‹. Um schiedliche Ansatzpunkte. eine Verständigungsgrundlage zu haben, wurde – So richten die Betriebspraktiker den Blick häufig die Norm DIN EN ISO 10075 ›Ergonomische auf die Gesamtheit der Verhältnisse, Zustände Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelas- und Bedingungen am Arbeitsplatz und sprechen tung‹ eingeführt (s. auch Kapitel 4). in diesem Zusammenhang von psychischer Belastung und Beanspruchung. Ausgehend vom Begriffe und Zusammenhänge Belastungs-Beanspruchungs-Modell ist Belastung Das aus dem Griechischen stammende Wort das Ergebnis einer Vielzahl von außen auf den ›psychisch‹ bedeutet: Menschen mit seinen individuellen Voraus- – seelisch, setzungen einwirkender Einflüsse. Die Bean- – die Seele, seelische Prozesse, Zustände und – spruchung ist dagegen die im ›Inneren‹ des geistige, gefühlsmäßige, willentliche – Vorgänge Beschäftigten eintretende Auswirkung. betreffend. – Mediziner und Psychologen richten den Blick vor allem auf die durch psychische Belastung im Begriffliche Klarheit tut gut sis ch ta l phy h men »Teilweise als Synonym werden mentale, isc psych g psychische, psychomentale, psycho- stun atis ch emotionale, psychosoziale, geistige Belas- s Bela om tres hos tung u. a. Begriffe verwendet oder es wird S tig psyc pauschal von ›Stress‹ gesprochen. Auf- geis isch gabenstellung der Forschung ist es u. a., ental so mat chu ng mehr Klarheit und Akzeptanz in dieses hom ycho ans pru ung psyc ps lb e last Wortwirrwarr zu bringen« (3) Feh lbe Feh l os ozia chu ng p sych ans pru Be 8
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG Definition nach der DIN EN ISO 10075 - 1 (1a): Einflüsse die von außen auf den Menschen zukommen und Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von psychisch auf ihn einwirken, ergeben sich aus den außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Arbeitsbedingungen. Die Arbeitsbedingungen 1 lassen sich systematisieren nach: – Arbeitsaufgabe, d. h. Art und Umfang der Tätig- bedingungen; Barrieren, die die Kommunikation keit. Beispiele: Verantwortung tragen; schwierige verhindern; Zwangshaltungen. Aufgaben erfüllen; immer gleiche Tätigkeiten ausführen. Einflüsse – Arbeitsmittel, d. h. alle technischen Komponenten – wirken auf einen Menschen ein, indem sie in ihm am Arbeitsplatz wie Werkzeuge, Vorrichtungen, psychische Vorgänge auslösen. Maschinen, Geräte. Auch die Informationsein- – die sich messen, zählen, wägen lassen, sind und -ausgabe über Schalter, Hebel und auch relativ leicht mit Prüflisten oder anderen Mess- Tastaturen bzw. Anzeigen an Steuerständen oder instrumenten zu erfassen. Schwieriger zu erfassen Bildschirmen gehören zur Mensch-Maschine- ist, was im Inneren des Menschen vorgeht. Schnittstelle und sind damit Teile der Arbeits- mittel. Beispiele: Computersystemabstürze ohne Psychische Vorgänge ersichtlichen Grund; flimmerfreier Bildschirm – im Menschen sind all diejenigen, die z. B. mit erleichtert die Lesbarkeit. Wahrnehmen, Denken, Erinnern, Erleben, Emp- – Arbeitsumgebung, d. h. die physikalisch-chemisch- finden, Verhalten zu tun haben. biologische Arbeitsumgebung wie Beleuchtung, – können sowohl durch Einflüsse, die mehr aus Schall, Klima, Farbe, Raumluft, Schadstoffe sowie geistigen Anforderungen (z. B. Arbeitsaufgaben die soziale Arbeitsumgebung wie Führungsver- mit emotionaler Belastung, Arbeitsabläufe mit halten und Betriebsklima. Beispiele: Konzentra- Konzentrationserfordernis, Arbeitsmittel mit tionsschwierigkeiten durch Lärm und Hitze; Infor- vielen gleichzeitigen Informationen) resultieren, mationsverluste durch fehlende Kommunikation. als auch durch andere Einflüsse, wie das Wetter, – Arbeitsorganisation, d. h. Regelung der Arbeits- ausgelöst werden. zeit, Art und Weise der Reihenfolge von Tätig- keiten, Arbeitsablauf usw. Beispiele: günstige ›Psychische Belastung‹ ist neutral Pausengestaltung; unterschiedlicher Arbeitsanfall Sie schließt Einflüsse ein, die in der Umgangs- (Stoßzeiten und ruhige Zeiten); mangelnde sprache als ›Entlastung‹ sowie als ›Motor für Informationen. Aktivitäten‹ angesehen werden. Das Lesen von Zeit- – Arbeitsplatz, d. h. die direkte Arbeitsumgebung schriften kann z. B. anstrengend oder entspannend 1 Definition der Elemente des des Einzelnen mit Arbeitsstuhl und -tisch. sein. Dabei ist das Lesen selbst – die Informations- Arbeitssystems in Anlehnung Beispiele: günstige Platzverhältnisse und Sicht- aufnahme – eine neutrale Belastung; die Auswirkun- an (4) 9
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Definition nach DIN EN ISO 10075-1: Welche Strategien die Person dabei wählt, hängt Psychische Beanspruchung ist die unmittelbare (nicht langfristige) Aus- u. a. von ihren überdauernden und augenblicklichen wirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von Voraussetzungen ab. Schon bei ›Kleinigkeiten‹ ist seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, das bemerkbar. Erteilt der Chef z. B. einen kleinen einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien. Zusatzauftrag, können die Reaktionen der Mitar- beiter ganz unterschiedlich sein. So freut sich Frau A über die Abwechslung und fängt sofort mit der gen können jedoch unterschiedlich sein. Auch im täg- Bearbeitung an; sie erledigt die Angelegenheit mehr lichen Leben hängen ›Last und Lust‹ eng zusammen. oder weniger nebenbei. Herr B schimpft zunächst – – Psychische Beanspruchung als Auswirkung der schließlich führt er den Auftrag auch aus, ärgert sich psychischen Belastung wird u. a. durch Merkmale, aber noch am nächsten Tag über die Mehrarbeit. Eigenschaften, Verhaltensweisen des Menschen Für Herrn C kommt der Zusatzauftrag sehr unge- beeinflusst. legen, da er unter Termindruck bei seiner eigent- – Zu den überdauernden und augenblicklichen lichen Arbeitsaufgabe steht. Eine Rücksprache mit Voraussetzungen eines jeden Menschen gehören dem Chef führt dazu, dass ein anderer Mitarbeiter – psychische Voraussetzungen wie Fähigkeiten, mit der Erledigung beauftragt wird (s. auch Fallbei- Fertigkeiten, Erfahrungen, Kenntnisse, spiele Seiten 48 – 51). Anspruchsniveau, Vertrauen in die eigenen – Erst durch die individuellen, d. h. persönlichen Fähigkeiten, Motivation, Einstellungen, Reaktionen bei psychisch belastenden Einflüssen Bewältigungsstrategien, entscheidet sich, wie beanspruchend eine Tätig- – andere Voraussetzungen wie Gesundheits- keit oder Situation vom Einzelnen erlebt wird. zustand, körperliche Konstitution, Alter, Dabei ist die ausgelöste kurzfristige Beanspru- Geschlecht, Ernährungsverhalten, Allgemein- chung immer abhängig von dem, was der Mensch zustand, aktuelle Verfassung, Ausgangslage der empfindet, fühlt, wahrnimmt, erlebt, denkt. Aktivierung. – Für die Ausprägung der psychischen Beanspru- – Jeder Mensch ist ein Individuum. Die psychischen, chung ist neben den individuellen Voraussetzun- körperlichen, genetischen, sozialen Vorausset- gen vor allem auch von Bedeutung, mit welcher zungen sind unterschiedlich. Diese individuellen Stärke und Dauer die psychische Belastung ein- Voraussetzungen sind die Ursache dafür, dass wirkt. jeder Mensch anders empfindet und reagiert. – Mithilfe individueller Bewältigungsstrategien geht Das Modell (Abb. 1) zeigt, dass Einflüsse aus der eine Person gezielt vor, um Arbeit (z. B. Arbeitsaufgabe, Arbeitsmittel) auf den – Aufgaben und Probleme zu lösen, Menschen mit seinen jeweiligen überdauernden – Hemmnisse und Schwierigkeiten abzubauen und augenblicklichen Voraussetzungen und seine oder sich davor zu schützen. Bewältigungsstrategien einwirken. Die Inanspruch- 10
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG Psychische Belastung Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Einflüsse aus der Arbeit: – Arbeitsaufgabe – Arbeitsumgebung (physikalisch, sozial) – Arbeitsorganisation/Arbeitsablauf – Arbeitsmittel – Arbeitsplatz Inanspruchnahme (Dauer, Stärke, Verlauf ) Individuelle Voraussetzungen des Menschen psychische Voraussetzungen wie: andere Voraussetzungen wie: – Fähigkeiten – Gesundheit – Fertigkeiten – Alter – Erfahrungen – Geschlecht – Kenntnisse – körperliche Konstitution – Anspruchsniveau, Motivation – Ernährung – Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – Allgemeinzustand – Einstellungen – aktuelle Verfassung – Bewältigungsstrategien – Ausgangslage der Aktivierung Psychische Beanspruchung unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien. Kurzfristige Beanspruchung Anregung: Beeinträchtigung: I Aufwärmung I Ermüdung I Aktivierung I ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung) I Stress Abb. 1 Langfristige Folgen: Belastungs-Beanspru- I Übung I allgemeine psychosomatische Störungen und chungs-Modell – ein I Weiterentwicklung körperlicher Erkrankungen (u. a. Verdauungsbeschwerden, Erklärungsmodell für und geistiger Fähigkeiten Herzbeschwerden, Kopfschmerzen) Zusammenhänge hinsicht- I Wohlbefinden I Ausgebranntsein (Burnout) lich psychischer Belastung I Gesunderhaltung I Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung und Beanspruchung 11
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN nahme der Voraussetzungen des arbeitenden Kurzfristige Beanspruchung kann zu langfristigen Menschen führt zu psychischer Beanspruchung. Folgen führen, die wiederum die individuellen Diese äußert sich kurzfristig in unterschiedlicher Voraussetzungen des Beschäftigten beeinflussen Form auf psychischer und/oder körperlicher Ebene. (s. Kapitel 2.3). Ob es dabei zu erwünschter oder beeinträchtigender Beanspruchung kommt, (s. Tabelle 1) hängt sowohl Psychische Belastung ist normaler und notwendiger von den von außen einwirkenden Einflüssen als Bestandteil menschlichen Lebens – auch des auch von den persönlichen Voraussetzungen des Arbeitslebens. Einzelnen ab. Als Doppelrolle psychischer Bean- Durch Inanspruchnahme der Voraussetzungen des spruchung wird verstanden: Beschäftigten kann psychische Belastung führen zu – Der Beschäftigte kann unter psychischer Bean- – erwünschter kurzfristiger Beanspruchung oder spruchung seine Arbeit abwechslungsreich finden, – beeinträchtigender kurzfristiger Beanspruchung, er kann sich angeregt fühlen, weil er Erfolgserleb- den Fehlbeanspruchungen. Der Grad der Aus- nisse hat oder Lernfortschritte macht. Die dabei prägung der Beanspruchung ist neben Stärke und auftretende kurzfristige Beanspruchung äußert Dauer von den individuellen Voraussetzungen sich durch Aufwärmung, Aktivierung. des Beschäftigten abhängig und deshalb zwischen Der Übungseffekt – eine überdauernde, mit Lern- den Beschäftigten unterschiedlich. So kann es prozessen verbundene Veränderung der individu- passieren, dass sich unter bestimmten äußeren ellen Leistung als Folge wiederholter Bewältigung Einflüssen der Beschäftigte A zwar müde fühlt, einer psychischen Beanspruchung – wirkt sich sich das auf das Arbeitsergebnis aber nicht aus- z. B. positiv auf die individuellen Voraussetzungen wirkt. Dem Beschäftigten B unterlaufen jedoch des Beschäftigten aus. unter den gleichen äußeren Einflüssen aufgrund – Werden die Voraussetzungen des einzelnen einer wesentlich stärker ausgeprägten Ermüdung Menschen jedoch über- oder unterfordert zahlreiche Fehler. (s. Kapitel 3.1), so führt psychische Belastung zu Fehlbeanspruchung. Diese kann sich beim Der Grad der Ausprägung der Beanspruchung ist Beschäftigten so auswirken, dass er seine Arbeit auch von den augenblicklichen individuellen Vor- öde findet, schnell ermüdet, sich nicht mehr aussetzungen des Beschäftigten abhängig. Zu konzentrieren kann, wichtige Signale nicht mehr einem anderen Zeitpunkt macht unter den wiede- wahrnimmt. Die dabei auftretende kurzfristige rum gleichen äußeren Einflüssen der Beschäftigte A Beanspruchung äußert sich durch Ermüdung, ebenso zahlreiche Fehler wie der Beschäftigte B. ermüdungsähnliche Zustände – mit den Einzel- formen Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit, 2.3 Folgen kurzfristiger Beanspruchung Sättigung – sowie Stress. Die erwünschte sowie die beeinträchtigende kurz- fristige Beanspruchung habt einen Einfluss auf die 12
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG Anregung Beeinträchtigung (Fehlbeanspruchung) Aufwärmung Aktivierung Psychische Ermüdung Ermüdungsähnliche Stress 1 Zustände Eine häufige Folge psychi- Ein innerer Zustand mit Vorübergehende Beeinträch- Zustände des Menschen, die Als unangenehm empfun- scher Beanspruchung, die unterschiedlich hoher psy- tigung der psychischen und als Auswirkungen psychi- dener Zustand, der von der bald nach Beginn der Arbeits- chischer und körperlicher körperlichen Leistungsfähig- scher Beanspruchung in ab- Person als bedrohlich, kri- aufnahme dazu führt, dass Funktionstüchtigkeit. keit eines Menschen, die von wechslungsarmen Situatio- tisch, wichtig und unaus- die Tätigkeit mit weniger An- Je nach Dauer und Intensität Intensität, Dauer und Verlauf nen auftreten. weichlich erlebt wird. Er ent- strengung als anfangs aus- kommt es zu unterschied- der vorangegangenen Bean- Sie verschwinden schnell steht besonders dann, wenn geführt wird. lichen Graden der Aktivie- spruchung abhängt. nach Eintreten eines Wech- die Person einschätzt, dass rung. Dabei gibt es einen Mögliche Folgen sind mehr sels der Arbeitsaufgabe und/ sie ihre Aufgaben nicht be- Bereich der optimalen, d. h. Zeitbedarf für Handlungen, oder der Umgebung bzw. der wältigen kann (5). weder zu geringen noch zu Bewegungsfehler wie Fehl- äußeren Situation. Zu diesen Mögliche Folgen sind Befind- hohen Aktivierung, der höchs- greifen, Fehltreten, Ver- Zuständen zählen: Monoto- lichkeitsstörungen, Angst- te Funktionstüchtigkeit si- gessen von wichtigen nie, herabgesetzte Wachsam- zustände, hoher Blutdruck, cherstellt. Eine plötzliche Er- Informationen (Terminen, keit, psychische Sättigung. nervöse Magenschmerzen, höhung der Beanspruchung Zwischenergebnissen). Er- steigendes Herzinfarktrisiko, kann jedoch zu einer uner- holung von psychischer sinkende Leistung, erhöhte wünschten Überaktivierung Ermüdung kann besser Fehlerzahl. führen. durch eine zeitliche Unter- brechung der Tätigkeit statt durch deren Änderung erzielt werden. 1 Stress wird im Alltag häufig synonym mit psychischer Belastung verwendet. Nicht alle psychischen Belastungen führen jedoch zu Monotonie Herabgesetzte Wachsamkeit Psychische Sättigung Stress (6). Psychische Belastungen, die Stress auslösen, werden Stressoren genannt. Erst die Reaktionen auf Stressoren wie Zeit- Ein langsam entstehender Ein bei abwechslungsarmen Ein Zustand der nervös-un- druck, Informationsmangel, häufige Störungen und Unter- Zustand herabgesetzter Beobachtungstätigkeiten ruhevollen, stark affektbeton- brechungen der Arbeit sowie widersprüchliche Anweisungen Aktivierung, der bei lang langsam entstehender Zu- ten Ablehnung einer sich durch verschiedene Vorgesetzte sollten mit dem Begriff Stress andauernden, einförmigen stand mit herabgesetzter Sig- wiederholenden Tätigkeit belegt werden (7a). und sich wiederholenden nalentdeckungsleistung (z. B. oder Situation, bei der das Arbeitsaufgaben oder Tätig- bei Radarschirm- und Instru- Erleben des ›Auf-der-Stelle- keiten auftreten kann und mententafelbeobachtungen). Tretens‹ oder des ›Nicht- der hauptsächlich mit Schläf- Monotonie und herabgesetz- weiter-Kommens‹ besteht. rigkeit, Müdigkeit, Leistungs- te Wachsamkeit unterschei- Zusätzliche Symptome psy- abnahme und -schwankun- den sich zwar in den Entste- chischer Sättigung sind Är- gen, Verminderung der Um- hungsbedingungen, nicht ger, Leistungsabfall und/oder stellungs- und Reaktions- aber in den Auswirkungen. Müdigkeitsempfinden und fähigkeit sowie Zunahme der die Tendenz, sich von der Schwankungen der Herz- Aufgabe zurückzuziehen. schlagfrequenz einhergeht. Die psychische Sättigung ist im Gegensatz zu Monotonie und herabgesetzter Wach- samkeit durch ein unverän- dertes oder sogar gesteiger- Tab. 1 tes Niveau der Aktivierung, Auswirkungen psychischer verbunden mit negativer Er- lebnisqualität, gekennzeich- Beanspruchung in Anlehnung net. an die DIN EN ISO 10075-1 13
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN individuellen Voraussetzungen des Beschäftigten (s. Abb. 1). Auftreten können: Erwünschte Beanspruchung kann – allgemeine psychosomatische Störungen und Erkrankungen (z. B. – zur Weiterentwicklung der körperlichen und geistigen Fähig- Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen u. a.), keiten, – Muskel- und Skeletterkrankungen, – zu einer besseren Einstellung zur Arbeit (Motivation), – erhöhtes Infarktrisiko (z. B. Herzinfarkt), – zum allgemeinen Wohlbefinden, – erhöhter Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenkonsum, – zur Gesunderhaltung – Unzufriedenheit, Resignation, innere Kündigung, Depression, des arbeitenden Menschen beitragen. Der Nutzen für das Unter- – Ausgebranntsein (Burnout), nehmen liegt auf der Hand. Motivierte Mitarbeiter, die sich in – Leistungsminderungen, ihrem Unternehmen wohlfühlen, zeichnen sich durch eine hohe – Fehlzeiten, Leistungsbereitschaft aus. Beeinträchtigende kurzfristige Bean- – Frühverrentung. spruchung kann langfristig zu gesundheitlichen Beschwerden sowie zu Krankheiten führen und hat Einfluss auf das Verhalten Kurzfristige Beanspruchung und deren Folgen beeinflussen die und die Leistung der Beschäftigten. individuellen Voraussetzungen des Menschen. jemandem die Stirn bieten etwas nicht mehr sehen können die Nase voll haben den Mund voll nehmen in den Ohren liegen unter die Haut gehen mit Fingerspitzengefühl auf den Magen schlagen an die Nieren gehen 14
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG Beeinträchtigende psychische Beanspruchung als Beschäftigte mit psychischer Fehlbelastung betriebswirtschaftlicher Faktor Die langfristigen Folgen beeinträchtigender psychi- Beschäftigte ohne psychische Fehlbelastung scher Beanspruchung sind nicht nur ein Problem für den arbeitenden Menschen, der darunter leidet, sie sind auch eine Bürde für das Unternehmen und letzten Endes für die gesamte Volkswirtschaft. Nicht Abb. 2 nur Krankheiten – auch das Wohlbefinden der Anteil der Beschäftigten in Mitarbeiter hat Einfluss auf die Qualität der Deutschland und Europa, Arbeitsergebnisse. Mitarbeiter mit gesundheitlichen der sich psychischer Fehl- Beschwerden sind zwar auf der Arbeit anwesend, belastung ausgesetzt fühlt. wer sich aber z. B. unwohl fühlt, kann sich oft schlechter konzentrieren, macht mehr Fehler und muss häufiger Pausen einlegen. In Deutschland fühlt sich die Hälfte der Beschäf- tigten psychischer Belastung ausgesetzt, die – unbesetzte Arbeitsplätze, psychisch beeinträchtigende Beanspruchung und – Terminverzug, Lieferschwierigkeiten und damit Stress verursacht (Abb. 2). Als auslösende Einflüsse Unzufriedenheit der Kunden, dieser Fehlbeanspruchung werden genannt: hohe – Gehaltsfortzahlung ohne Gegenleistung, Verantwortung, hoher Zeitdruck, große Arbeits- – sinkende Wettbewerbsfähigkeit des Unter- menge, große Genauigkeit, ständiges Aufmerksam- nehmens, keitserfordernis. Ähnlich ist es in ganz Europa. Als – steigende Unfallversicherungs- und auslösende Einflüsse werden für Europa vor allem Ausgleichszahlungsprämien, ›hohes Arbeitstempo‹ und ›ständig zu wieder- – Verlust von teuer ausgebildetem Fachpersonal holende Bewegungen‹ angegeben (10). durch Fluktuation oder Frühverrentung Die gesamten Folgekosten psychischer Fehlbelas- tung in Deutschland werden auf ca. 10 Milliarden Eine angemessen gestaltete Arbeit kann einen Euro geschätzt. (10) wichtigen Beitrag leisten, Kosten zu senken und so Häufig auftretende Folgen im Unternehmen sind Standort sowie Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Fehlzeiten. Fehlzeiten bedeuten für den Betrieb: – Mehrbelastung der anwesenden Mitarbeiter, Jährlich werden Unsummen von Euros ver- wodurch sich wiederum deren Erkrankungsrisiko schwendet – verursacht durch psychische Fehlbe- erhöht, lastung. Deshalb heißt das Ziel ›Nutzen stiften – erschwerte Planung, durch Gestaltung der Arbeitsbedingungen‹. – Produktionsausfall, Hinweise hierzu siehe Kapitel 3. 15
16
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN 3 Empfehlungen und Hinweise zur Gestaltung von Arbeit im Hinblick auf psychische Belastung In diesem Abschnitt wird die Gestaltung der Auf Stress (s. auch Kapitel 2.2) wird hier nicht näher Arbeitsbedingungen auf zwei Ebenen beschrieben. eingegangen. In diesem Zusammenhang sei auf die – Auf der unteren Ebene (I) werden zunächst Broschüren der BAuA ›Stress im Betrieb‹ (8) sowie allgemeine, ›Bauleitung ohne Stress‹ (9) verwiesen. – auf einer weiteren Ebene (II) werden – bezogen auf psychische Ermüdung und ermüdungs- ähnliche Zustände – spezielle Empfehlungen zur menschengerechten Gestaltung von Arbeit im Hinblick auf psychische Belastung gegeben. II Spezielle Empfehlungen zur Vermeidung von psychischer Ermüdung und ermüdungsähnlichen Zuständen nach DIN EN ISO 10075 Psychische Ermüdung Ermüdungsähnliche Zustände Monotonie Herabgesetzte Psychische Wachsamkeit Sättigung I Allgemeine Hinweise und Empfehlungen 17
3.1 Allgemeine Hinweise und Abb. 3 (rechts) Empfehlungen Gestaltung von Arbeit nach dem Belas- Von besonderem Interesse ist nach der Norm DIN tungs-Beanspruchungs-Modell. Es zeigt den Zusammenhang zwischen Belastung EN ISO 10075-2 der ›Ansatzpunkt Arbeit‹, der sich und Beanspruchung. Ansatzpunkt für die auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen bezieht. Gestaltung psychischer Belastung sind die Da durch psychische Belastung sowohl erwünschte Arbeitsbedingungen. Dieser Ansatz geht als auch beeinträchtigende kurzfristige Beanspru- konform mit dem Arbeitsschutzgesetz (11), chung verursacht wird, gilt es das die Bekämpfung von Gefährdungen – das in ›psychischer Belastung‹ steckende direkt an der Entstehungsquelle, d. h. eine Ursachenbeseitigung, favorisiert. Potenzial zu nutzen, um persönlichkeitsförder- liche Beanspruchung zu bewirken, – die sich aus den Arbeitsbedingungen ergebende psychische Belastung so zu gestalten, dass Fehlbeanspruchungen verringert oder vermieden werden. Arbeitsgestaltung Ansatzpunkt Person Ansatzpunkt Arbeit Personalauswahl Sozialisation Aufgabe Umfeld 18
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG Psychische Belastung Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch konzeptive Gestaltung auf ihn einwirken. Einflüsse aus der Arbeit: – Arbeitsaufgabe – Arbeitsumgebung (physikalisch, sozial) – Arbeitsorganisation/Arbeitsablauf – Arbeitsmittel – Arbeitsplatz Inanspruchnahme (Dauer, Stärke, Verlauf ) Individuelle Voraussetzungen des Menschen psychische Voraussetzungen wie: andere Voraussetzungen wie: – Fähigkeiten – Gesundheit – Fertigkeiten – Alter – Erfahrungen – Geschlecht korrektive Gestaltung – Kenntnisse – körperliche Konstitution – Anspruchsniveau, Motivation – Ernährung – Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – Allgemeinzustand – Einstellungen – aktuelle Verfassung – Bewältigungsstrategien – Ausgangslage der Aktivierung Psychische Beanspruchung unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien. Kurzfristige Beanspruchung Anregung: Beeinträchtigung: I Aufwärmung I Ermüdung I Aktivierung I ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung) I Stress Langfristige Folgen: I Übung I allgemeine psychosomatische Störungen und I Weiterentwicklung körperlicher Erkrankungen (u. a. Verdauungsbeschwerden, und geistiger Fähigkeiten Herzbeschwerden, Kopfschmerzen) I Wohlbefinden I Ausgebranntsein (Burnout) I Gesunderhaltung I Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung 19
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Wie herangehen? Überprüfen Zu unterscheiden ist zwischen der konzeptiven und Nach Durchführung wird überprüft, ob die er- der korrektiven Arbeitsgestaltung (Abb. 3). Die wünschte Bedingung hergestellt wurde. Unter dem konzeptive oder vorausschauende Arbeitsgestaltung Gesichtspunkt der kontinuierlichen Verbesserung bezieht sich auf neue, die korrektive Arbeitsgestal- der Arbeitsbedingungen und des Standes von tung auf bereits bestehende Arbeitssysteme. Das Sicherheit und Gesundheitsschutz ist die Über- Vorgehen ist grundsätzlich gleich, wobei die kon- prüfung bereits der Beginn einer neuen Optimie- zeptive Arbeitsgestaltung vorzuziehen ist. Der rungsrunde. typische Ablauf zur Gestaltung von Arbeitsbedin- gungen ist ein Kreisprozess: Bereits bei der Planung eines Arbeitssystems sollten die Risiken möglicher arbeitsbedingter Gefährdun- Ermitteln gen beurteilt werden (12). Dabei ist die Gesamtheit Die Ermittlung, d. h. Analyse der Arbeitsbedingun- der auf den Arbeitenden psychisch einwirkenden gen, ist der erste Schritt. Es geht darum, psychische Einflüsse – die psychische Belastung – zu erfassen Belastung zu identifizieren. Die Ermittlung der und zu beurteilen. Die Gestaltung der Arbeit sollte psychischen Belastung kann orientierend, vertiefend primär belastungsorientiert erfolgen (13) und somit oder umfassend erfolgen. Durch den ungeschulten günstig für verschiedene Menschen unabhängig Praktiker erfolgt die orientierende Ermittlung z. B. von ihren individuellen Voraussetzungen sein. mit Checklisten oder Prüflisten. Die neue Quartbroschüre der BAuA ›Integration der psychischen Belastungen in die Gefährdungs- Beurteilen beurteilung‹ hilft betrieblichen Akteuren, einen Die Beurteilung ist ein Vergleich des ermittelten IST- praxisnahen Einstieg zum Umgang mit psychischen Zustandes mit dem durch die Gestaltungsempfeh- Belastungen zu finden. Auf der Grundlage betrieb- lungen skizzierten SOLL-Zustand. Das Beurteilen licher Erfahrungen wird dargestellt, entspricht einer Einschätzung, ob Handlungsbedarf – wie sich ein betrieblicher Prozess organisieren zur Veränderung psychisch belastender Einflüsse lässt, in dem psychische Belastungen im Rahmen besteht. der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungs- beurteilung erhoben werden können und Festlegen – wie geeignete Verbesserungsmaßnahmen In diesem Schritt werden – falls es die Beurteilung umgesetzt werden können. ergeben hat – Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen entwickelt und ausgewählt. Durchführen Die festgelegten Maßnahmen werden umgesetzt. 20
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG In der Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz Welche Bedingungen der Arbeit sind und Arbeitsmedizin – im Internet unter gestaltbar? www.baua.de/de/Informationen-fuer-die- Arbeit besteht aus einer Kombination von Aufgaben. Praxis/Handlungshilfen-und- Diese werden mit bestimmten Arbeitsmitteln in Praxisbeispiele/Toolbox/Toolbox.html einer bestimmten Arbeitsumgebung und innerhalb einer bestimmten Organisationsstruktur ausgeführt. werden In unserer modernen Arbeitswelt gibt es ganz – zahlreiche Hinweise gegeben, bestimmte Einflüsse, die mit größerer Wahrschein- – Instrumente, Möglichkeiten und Varianten lichkeit zu Fehlbeanspruchung führen als andere. angeführt, die bei der Optimierung psychischer Diese gilt es so zu gestalten, dass für die Beschäf- Belastung unterstützen können. tigten und das Unternehmen ein größtmöglicher – Sowohl ungeschulte als auch geschulte Nutzer Nutzen entsteht. Jedes einzelne Element des sowie Experten erhalten Anregung und Unter- Arbeitssystems bietet Möglichkeiten, die Gestaltung stützung. im Hinblick auf psychische Arbeitsbelastung zu beeinflussen. Abb. 4 zeigt die Elemente des Arbeits- Was sollte bei der Gestaltung von Arbeit systems. angestrebt werden? Ziel der Gestaltung von Arbeit ist es, die Bedingun- Abb. 4 gen so zu optimieren, dass erwünschte oder Elemente des Arbeits- ›normale‹ kurzfristige Beanspruchung auftritt. systems Arbeitsaufgabe Mensch Arbeitsorganisation, Arbeitsablauf Eingabe Ausgabe u. a. Information Arbeitsmittel Arbeitsplatz u. a. Produkt Material Information Energie Abfall Arbeitsumgebung physikalisch sozial 21
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Das Arbeitssystem beinhaltet das Zusammen- Welche Anforderungen werden an die wirken von Mensch und Arbeitsmittel im Arbeits- menschengerechte Gestaltung von ablauf, um die Arbeitsaufgabe am Arbeitsplatz in Arbeitsaufgaben gestellt? der Arbeitsumgebung unter den durch die Arbeits- Die Arbeitsaufgabe sollte weder unter- noch über- aufgabe gesetzten Bedingungen zu erfüllen (4) – fordern. Tabelle 2 zeigt, welche kurzfristige beein- s. auch Kapitel 2.2. trächtigende Beanspruchung durch Unter- bzw. Hinsichtlich der Intensität der Arbeitsbelastung Überforderung auftritt. sind vor allem beeinflussbar: Arbeitsaufgabe, Die Fehlbeanspruchungen äußern sich als psychi- Arbeitsorganisation/-ablauf, Arbeitsmittel, Arbeits- sche Ermüdung, Monotonie bzw. psychische umgebung. Hinsichtlich der Dauer der Exposition Sättigung. Abbildung 5 ist zu entnehmen, dass eine (Zustand der Einwirkung) der Arbeitsbelastung ist leichte Überforderung der individuellen Voraus- vor allem die Arbeitsorganisation (zeitliche Organi- setzungen des Menschen zunächst die Persön- sation der Arbeit) günstig gestaltbar. lichkeit fördert. Durch das Bewältigen neuer oder Einfluss Beispiele Hinweis auf Beanspruchung quantitativ: Monotonie – wenig zu tun Unterforderung qualitativ: Monotonie – zu einfache Anforderungen psychische Sättigung – Fähigkeiten, Qualifikationen werden nicht genutzt quantitativ: psychische Ermüdung Tab. 2 – große Arbeitsmenge – Zeitdruck Unter- bzw. Überforderung Überforderung mit Hinweis auf kurz- qualitativ: psychische Ermüdung fristige beeinträchtigende – unklare Aufgaben psychische Sättigung Beanspruchung – in – zu komplizierte Aufgaben Anlehnung an (14) 22
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG erweiterter Aufgaben entstehen Übungseffekte, die Handlungsbereitschaft wird günstig beeinflusst, Zufriedenheit stellt sich ein. Ständige sehr hohe bzw. zu hohe Anforderungen können jedoch zu Überforderung führen. Ebenso sind ›maßvolle‹ Unterforderungen unbedenklich. Über- bzw. Unter- forderungen entstehen erst, wenn ein zumutbarer bzw. erträglicher Bereich des Unterschiedes zwischen Anforderungen und Voraussetzungen zu groß wird. Risiko: Auftreten beeinträchtigender Formen der Beanspruchung und Folgen Überforderung Abb. 5 Zusammenhang zwischen gen erun den Einflüssen Unter- oder An ford günstig bzw. Überforderung (Anforde- unkritisch rungen, die sich aus der Arbeitsaufgabe ergeben), individuelle Voraussetzungen individuellen Voraus- setzungen des Beschäftig- ten und den daraus resultierenden möglichen Fehlbeanspruchungen, in Unterforderung Anlehnung an (15). 23
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Gestaltbarer Einfluss Erwünschte Merkmale Realisierung durch Ganzheitlichkeit Mitarbeiter erkennen Bedeutung und ... umfassende Aufgaben mit der Stellenwert ihrer Tätigkeit. Möglichkeit, Ergebnisse der eigenen Tätigkeit auf Übereinstimmung mit Mitarbeiter erhalten Rückmeldung gestellten Anforderungen zu prüfen. über den eigenen Arbeitsfortschritt aus der Tätigkeit selbst. Anforderungsvielfalt Unterschiedliche Fähigkeiten, … Aufgaben mit planenden, aus- Kenntnisse und Fertigkeiten werden führenden und kontrollierenden eingesetzt. Elementen bzw. unterschiedlichen Anforderungen an Körperfunktionen Einseitige Beanspruchung wird und Sinnesorgane. vermieden. Möglichkeiten der Schwierigkeiten werden gemeinsam … Aufgaben, deren Bewältigung sozialen Interaktion bewältigt. Kooperation nahelegt oder voraus- setzt. Gegenseitige Unterstützung hilft, Belastungen besser zu ertragen. Autonomie Stärkt Selbstwertgefühl und … Aufgaben mit Dispositions- und Bereitschaft zur Übernahme von Entscheidungsmöglichkeiten. Verantwortung. Vermittelt die Erfahrung, nicht Tab. 3 einfluss- und bedeutungslos zu sein. Beispiele für gestaltbare Einflüsse der Arbeitsauf- Lern- und Entwicklungs- Allgemeine geistige Flexibilität bleibt … problemhaltige Aufgaben, zu gabe, erwünschte Merk- möglichkeiten erhalten. deren Bewältigung vorhandene male und Hinweise zu Qualifikationen erweitert bzw. neue Berufliche Qualifikationen werden Qualifikationen angeeignet werden deren Realisierung – in erhalten und weiterentwickelt. müssen. Anlehnung an (16) 24
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG Wer ist verantwortlich? durch eine dynamische Aufgabenzuweisung 2 Aufgabe des Arbeitgebers bzw. der Führungskräfte berücksichtigen. und Verantwortlichen im Betrieb ist es u. a., durch – Jedes Arbeitssystem ist an die Nutzer anzupassen. Arbeitsgestaltung für Sicherheit und Gesundheits- Gerade bei der Entwicklung neuartiger Systeme schutz zu sorgen. Unterstützt werden sie dabei von sind die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erwartungen, den Fachkräften für Arbeitssicherheit, dem Betriebs- Erfahrungen der späteren Nutzer zu berück- arzt und dem Betriebs- bzw. Personalrat. Verant- sichtigen. Schulungsmaßnahmen sind dabei als wortlich sind aber vor allem im Vorfeld die Gestalter unterstützende Maßnahme anzusehen. der Arbeitssysteme wie Planer, Konstrukteure, – Erfahrungen und Kompetenzen von Nutzern Produktgestalter. Wichtig ist, die Beschäftigten bestehender Arbeitssysteme sollten in den persönlich in die Ermittlung, Beurteilung und Gestaltungs- und Umgestaltungsprozess mit Gestaltung einzubeziehen, da diese die Arbeits- einbezogen werden. tätigkeiten und organisatorischen Bedingungen in – Personalauswahl und -ausbildung müssen bei der der Regel am besten kennen. Wenn es gelingt, eine Gestaltung von Arbeitssystemen berücksichtigt für Probleme des Arbeitsschutzes offene und kons- werden. truktive Atmosphäre im Betrieb zu schaffen, erhalten – Durch Gestaltungsmaßnahmen kann psychische Verantwortliche, z. B. durch direkte Mitarbeiter- Belastung optimiert werden. Die von außen ein- befragung, wichtige Hinweise sowohl auf mögliche wirkenden Einflüsse der Arbeit sollten so gestaltet Fehlbelastung als auch auf Möglichkeiten, diese werden, dass sie ›normale‹ oder erwünschte kurz- günstig zu beeinflussen. fristige Beanspruchung verursachen. – Menschen, Technologien, organisatorische Was ist hinsichtlich der individuellen Bedingungen und deren Wechselwirkungen sind Voraussetzungen des einzelnen Menschen bei der Gestaltung umfassend zu berücksichtigen. zu beachten? – Nicht nur die Verantwortlichen für Arbeitsschutz – Individuelle Voraussetzungen wie Fähigkeiten, sind gefragt, auch die Gestalter der Arbeits- Leistungsvermögen, Motivation beeinflussen die systeme sowie die Nutzer selbst sollten so früh resultierende Arbeitsbeanspruchung. wie möglich in den Gestaltungsprozess einbe- – Es gibt Unterschiede, die zwischen verschiedenen, zogen werden. aber auch innerhalb einer Person auftreten. – Durch die Entwicklung von Fertigkeiten, Fähig- keiten und Erwartungen verändern sich im Laufe 2 Der Beschäftigte kann Auf- der Zeit z. B. die Umgebungsanforderungen, gaben in Abhängigkeit von Systemansprüche, Herausforderungen sowie die seinem gegenwärtigen Stand entweder dem technischen individuellen Voraussetzungen der Beschäftigten. System zuweisen oder selbst Der Gestalter kann diese Veränderungen z. B. übernehmen. 25
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN 3.2 Spezielle Empfehlungen zur Vermei- Zur Gestaltung von Arbeitsumgebung und Arbeits- dung von psychischer Ermüdung und platz gibt es zahlreiche Broschüren der BAuA. Eine ermüdungsähnlichen Zuständen nach Aufstellung entsprechender Broschüren (Stichwort: DIN EN ISO 10075-2 (1b) Quartbroschüren) ist im Internet zu finden unter: Arbeitsbedingungen sind weitgehend gestaltbar. Im www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/ Folgenden werden Broschueren.html – in einer Übersicht (Tabelle 4) Einflüsse von Arbeitsbedingungen angeführt, die bei menschen- Menschengerechte Gestaltungsmaßnahmen bewir- gerechter Gestaltung zur Vermeidung von Fehl- ken, dass Fehlbeanspruchungen vermieden werden. beanspruchung beitragen, – Erläuterungen zu den verursachenden Einflüssen der Fehlbeanspruchungen Ermüdung (Tabelle 5) und ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung) sowie Empfehlungen, die zu erwünschten Veränderun- gen führen, gegeben. Durch menschengerechte Gestaltung können die in Tabelle 4 angeführten Einflüsse so gestaltet werden, dass Fehlbeanspruchungen vermieden werden. Fast alle Einflüsse, die zu Ermüdung führen, können in Abhängigkeit von ihrer ungünstigen Gestaltung auch ermüdungsähnliche Zustände wie Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit oder psychische Sätti- gung verursachen. Deshalb sind die verschiedenen Einflüsse in der Übersicht Tabelle 4 zumeist sowohl der Ermüdung als auch den ermüdungsähnlichen Zuständen zugeordnet. Erklärungen zu den Begriffen der Übersicht enthält Tabelle 5. 26
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG Element des Mögliche Fehlbeanspruchung Arbeitssystems Psychische Ermüdung Monotonie Herabgesetzte Psychische Sättigung Wachsamkeit Arbeitsaufgabe Aufgabenerweiterung Aufgabenbereicherung Aufgabenbereicherung Aufgabenbereicherung Dynamische Aufgaben- Aufgabenerweiterung Aufgabenerweiterung Aufgabenerweiterung zuweisung Inhaltliche Freiheitsgrade Teiltätigkeiten Rückmeldung Wiederholungsgrad gleich- artiger Verrichtungen Inhaltliche Freiheitsgrade Aufmerksamkeitsbelastung Qualifikationsnutzung Komplexe Anforderungen Denkanforderungen Arbeitsumgebung Aspekte der physikalischen, Aspekte der physikalischen, Aspekte der physikalischen, Aspekte der physikalischen, chemischen und biologi- chemischen und biologi- chemischen und biologi- chemischen und biologi- schen Arbeitsumgebung schen Arbeitsumgebung schen Arbeitsumgebung schen Arbeitsumgebung Bedingungen zur Wahrneh- Bedingungen zur Wahrneh- Bedingungen zur Wahrneh- Bedingungen zur Wahrneh- mung von Informationen mung von Informationen mung von Informationen mung von Informationen Arbeitsorganisation/ Tätigkeitswechsel Tätigkeitswechsel Tätigkeitswechsel Tätigkeitswechsel Arbeitsablauf Soziale Interaktion Soziale Interaktion Soziale Interaktion Rückmeldung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Zeitliche Freiheitsgrade Zeitliche Freiheitsgrade Zeitliche Freiheitsgrade Zeitliche Freiheitsgrade Arbeitsmittel Fehlertoleranz Individuelle Unterscheidbarkeit Individuelle Ausführungs- Ausführungsweisen von Signalen weisen Bedienungsstrategien Unterscheidbarkeit Angemessene Angemessene von Signalen Anzeigengestaltung Anzeigengestaltung Kompatibilität Fehlertoleranz Kompatibilität Redundanz Redundanz Redundanz Redundanz Unterscheidbarkeit Konsequenzen von Fehlern von Signalen Arbeitsplatz Anordnung von Aufmerksamkeits- Anordnung von Anordnung von Arbeitsmitteln belastung Arbeitsmitteln Arbeitsmitteln Tab. 4 Einflüsse, die bei menschengerechter Gestaltung zur Vermeidung von Fehl- beanspruchung führen – Beispiele 27
PSYCHISCHE BELASTUNG UND BEANSPRUCHUNG IM BERUFSLEBEN Ermüdungserscheinungen wie ›sich schläfrig Welche Maßnahmen können der psychi- fühlen‹, ›abgespannt sein‹, ›erschöpft sein‹, schen Ermüdung entgegenwirken? ›fahriges Reagieren‹ entstehen oft dann, wenn der Beschäftigte überfordert ist (s. auch Kap. 3.1). Hauptansatzpunkte zur Verminderung der Ermü- dung bestehen darin, Welche Einflüsse führen zu psychischer – die Intensität und Dauer der einwirkenden Ermüdung? Einflüsse zu reduzieren bzw. zu optimieren, – die Verteilung der Arbeitszeit durch Einführung Zu psychischer Ermüdung führen Einflüsse wie: von Ruhepausen, Kurzpausensystem o. a. zu – Überfordern hinsichtlich Tempo oder Dauer der verändern. Tätigkeit (Arbeitender kann Arbeitstempo nicht beeinflussen), In Tabelle 5 werden Empfehlungen nach der DIN EN – Anforderungen ohne Entscheidungsspielräume ISO 10075-2 zur Vermeidung psychischer Ermüdung für das Verändern der Arbeitsweise (Arbeitender gegeben. Diese Empfehlungen beziehen sich auf die kann Arbeitsweise nicht beeinflussen), Gestaltung der Einflüsse aus Arbeitsaufgabe, Arbeits- – Nichtvorhersehbarkeit rasch erforderlicher Hand- mittel, Arbeitsumgebung, Arbeitsplatz, Arbeits- lungen mit dem Erfordernis von Daueraufmerk- organisation. samkeit (z. B. Anlagenüberwachung), – Überforderung durch die Kombination verschie- dener, einzeln für sich unkritischer Aufgaben (Arbeitender soll mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen), – ständiger Zeitdruck ohne Ausweichmöglichkeit (z. B. Arbeit an Ladenkassen in Stoßzeiten), ständiger Verantwortungsdruck im Sinne der Verantwortlichkeit für Vorgänge, die so erlebt werden, dass sie vom Arbeitenden nicht oder Tab. 5 (Seite 29 ff ) wenig beeinflussbar sind (z. B. Therapeut im Vermeidung psychischer Ermüdung – Empfehlungen Hinblick auf rückfälligen Patienten), zur Gestaltung von Arbeits- – ständige Anforderungen mit Risiko für die eigene aufgabe (AA), Arbeitsmittel Gesundheit oder die anderer Menschen (z. B. (AM), Arbeitsorganisation Straßenbahnfahrer), bzw. Arbeitsablauf (AO), – Anforderungen, die ständig Emotionen einschlie- Arbeitsumgebung (AU), ßen (z. B. Tätigkeiten im Pflegebereich), Arbeitsplatz (AP) – Anforderungen aus dem normalen Arbeitstag. 28
EMPFEHLUNGEN UND HINWEISE ZUR G E S TA LT U N G VON ARBEIT IM HINBLICK AUF PSYCHISCHE BELASTUNG Gestaltbarer Einfluss Empfehlung /Hinweis AA AM AO AU AP Abhängigkeit von der Auf- Abhängigkeit von der Aufgabenerfüllung anderer sollte vermieden werden. Das kann zum X gabenerfüllung anderer Beispiel geschehen durch die Entkopplung der Aufgabenerfüllung mithilfe von Puffern und die dadurch zunehmende Autonomie. ›Ambiente‹ Ordnung und Sauberkeit, intakte Arbeitsmittel, persönliche Gegenstände am Arbeitsplatz. X Absolut- oder Relativurteil – Einfacher auszuführen sind Relativurteile, da sie verlangen, Entscheidungen in Bezug auf X einen gleichzeitig gegebenen Vergleichsstandard durchzuführen. Anzeigen erlauben z. B. die Präsentation von Vergleichsstandards. – Absoluturteile erfordern Vergleichsstandards, die das Gedächtnis behalten muss. Ein Beispiel hierzu ist das Ablesen des Barometers. Liest man nur den Absolutwert ab, so muss man sich beim nächsten Ablesen an den vorherigen Wert erinnern und darauf auf- bauend einen Vergleich mit ›gestiegen‹ oder ›gefallen‹ durchführen. Stellt man mit einem Schleppzeiger den aktuellen Wert ein, dann sieht man beim nächsten Ablesen sofort, ob der Luftdruck gestiegen oder gefallen ist (Beurteilung relativ an der Schleppzeigerposition). Angemessene Technische Hilfsmittel mit zweckdienlicher Auflösung (z. B. große Schrift) bei der Darstellung X Anzeigengestaltung der Information können die erhöhte psychische Belastung durch Anforderungen an eine extrem hohe Genauigkeit auf ein angemessenes Niveau reduzieren. Angemessenheit der Die Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, sollten zur Verfügung X Informationen gestellt werden. Sowohl fehlende als auch überflüssige Informationen wirken sich ungünstig aus. Anordnung von Die ungünstige Anordnung von Arbeitsmitteln (z. B. Vorrichtungen, Teilebehälter, Monitor, X Arbeitsmitteln Beleghalter, Telefon) erfordert eine erhöhte Konzentration. Arbeitsmittel sollten entsprechend der Reihenfolge der Bearbeitung von Arbeitsaufgaben angeordnet sein. Arbeitstisch/-stuhl Den Arbeitsplatz nach ergonomischen Gesichtspunkten gestalten. X Arbeitsunterbrechungen – Arbeitsunterbrechungen können der Erholung von Ermüdung dienen. X und Erholungspausen – Günstiger sind Pausen, da sie der Ermüdung vorbeugen. So ist es z. B. besser, häufiger eine kurze Pause einzulegen als selten eine lange. – Bei Nachtarbeit sollten kürzere Arbeitsabschnitte zwischen den Pausen liegen als bei Tag- arbeit. Aspekte der physikalischen, Optimale Bedingungen zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen schaffen, X chemischen und biologi- z. B. geeignete Beleuchtungsverhältnisse, Lärmschutz, Farbgebung, Gerüche, Klima (Tempe- schen Arbeitsumgebung ratur, Luftfeuchtigkeit, Luftbewegung), Luftqualität. Aufgabenerweiterung Mehrere strukturell gleichartige, miteinander in Beziehung stehende Teilaufgaben zu einer X (job enlargement) größeren Arbeitsaufgabe zusammenfassen. Dadurch wird der Tätigkeitsspielraum des Menschen vergrößert. Aufmerksamkeitsbelastung Nicht zu viel und nicht zu wenig Sinnesreize sollten auf den Beschäftigten einwirken. X Einwirkung von Sinnes- reizen oder Erlebnissen auf den Menschen, die von ihm bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden. 29
Sie können auch lesen