Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten

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Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
Psychische Belastung und
Beanspruchung im Berufsleben
Erkennen – Gestalten
Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
Karin Joiko, Martin Schmauder, Gertrud Wolff

Psychische Belastung und
Beanspruchung im Berufsleben
Erkennen – Gestalten
Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
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Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG       UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

Inhalt

 4   1   Einige Worte zu Beginn

 7   2   Psychische Belastung und Beanspruchung
 7   2.1 Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben heute
 7   2.2 Psychische Belastung und Beanspruchung – was ist darunter zu verstehen?
12   2.3 Folgen kurzfristiger Beanspruchung

17   3   Empfehlungen und Hinweise zur Gestaltung von Arbeit
         im Hinblick auf psychische Belastung
18   3.1 Allgemeine Hinweise und Empfehlungen
26   3.2 Spezielle Empfehlungen zur Vermeidung von psychischer Ermüdung
         und ermüdungsähnlichen Zuständen in Anlehnung an DIN EN ISO 10075-2

39   4   Die Norm DIN EN ISO 10075 und rechtliche Einordnung von psychischer Belastung
39   4.1 Die Norm DIN EN ISO 10075 ›Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer
         Arbeitsbelastung‹
40   4.2 Rechtliche Einordnung ›psychischer Belastung‹

45   5   Zusammenfassung

46   6   Hinweise zu Literatur und Internetadressen

48       Fallbeispiele, die die individuelle Verarbeitung der psychischen Beanspruchung zeigen

52       Impressum

                                                                                                                                          3
Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG    IM   BERUFSLEBEN

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                             Einige Worte zu Beginn

                             Für wen?                                                   psychischer Arbeitsbelastung‹ (1) wertneutral
                             Diese Broschüre richtet sich an Praktiker der Arbeits-     gesehen.
                             welt, die z. B. mit der Gestaltung von Abläufen und      – einfache Vorschläge zur Gestaltung von Arbeits-
                             Arbeitsaufgaben, der Entwicklung von Produkten             bedingungen unterbreiten.
                             und der Planung des Personaleinsatzes betraut
                             sind. Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Planer, Entwickler,     Praxisgerechte Hinweise zur betrieblichen Umset-
                             Produktgestalter, Fachkräfte für Arbeitssicherheit,      zung der Gefährdungsbeurteilung vermittelt die
                             Betriebsärzte, Betriebs- und Personalräte sowie          Quartbroschüre ›Integration der psychischen
                             Führungskräfte erhalten gezielt Informationen zur        Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung‹ (21).
                             Verbesserung von Sicherheit und Gesundheits-
                             schutz im Betrieb.                                       Welcher Inhalt?
                                                                                      In Kapitel 1 ›Einige Worte zu Beginn‹ wird in die
                             Weshalb eine Broschüre zum Thema                         Zielsetzung der Broschüre eingeführt.
                             ›Psychische Belastung und Bean-                            Im Kapitel 2 ›Psychische Belastung und Bean-
                             spruchung‹?                                              spruchung‹ werden Begriffe und Zusammenhänge
                             Noch immer bestehen im Zusammenhang mit                  erklärt. Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell
                             diesem sehr komplexen Thema Missverständnisse            dient hierzu als Hilfestellung. Folgen psychischer
                             und Verständigungsschwierigkeiten.                       Beanspruchung werden aufgezeigt.
                             Deshalb will die Broschüre                                 Im Kapitel 3 ›Gestaltung psychischer Belastung‹
                             – sensibilisieren und informieren. Da durch Arbeit       werden Hinweise zu den Einflüssen, die psychische
                                 verursachte psychische Belastung gestaltbar ist,     Beanspruchung verursachen, gegeben. Allgemeine
                                 ergeben sich Chancen und Risiken. Die Chancen        und spezielle Hinweise und Empfehlungen zur
                                 können genutzt, die Risiken gemindert werden.        Gestaltung von Arbeitsaufgabe, Arbeitsmitteln,
                             – dazu beitragen, dass Begriffe geklärt und              Arbeitsumgebung, Arbeitsablauf und Arbeitsplatz
                                 Zusammenhänge erkannt werden. So wird z. B.          ergänzen diesen Teil.
                                 psychische Belastung nach der Norm DIN EN              In Kapitel 4 wird näher auf die Norm und auf das
                                 ISO 10075 ›Ergonomische Grundlagen bezüglich         rechtliche Umfeld zu psychischer Belastung einge-

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Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
E IN IG E W O R TE   ZU   B EGI N N

gangen. Die Norm DIN EN ISO 10075 ist Grundlage         Diese Broschüre kann
für diese Broschüre.                                    – nicht dazu beitragen, die noch durch Forschung
  Kapitel 5/6 enthalten Zusammenfassung und               zu lösenden Probleme beim Thema ›psychische
Literaturverzeichnis. Fallbeispiele veranschaulichen      Belastung und Beanspruchung‹ zu klären.
den Inhalt.                                             – kein Kompendium für den arbeitswissenschaft-
                                                          lichen Fachmann sein.
Was der Leser sonst noch wissen sollte
Um allgemein verständlich zu sein, wurde zur
Erklärung des Zusammenhanges zwischen Belas-
tung und Beanspruchung ein Modell verwendet, das
wie jedes Modell Grenzen hat und den Zusam-
menhang zwischen Belastung und Beanspruchung
nur vereinfacht aufzeigen kann.

Zur besseren Lesbarkeit
– wurden wissenschaftliche oder verschieden
  definierte Begriffe in vereinfachter Form bezeich-
  net wie ›psychische Ermüdung‹ als ›Ermüdung‹,
  ›psychische Sättigung‹ als ›Sättigung‹,
– wurde bei Begriffen, bei denen es um Personen
  geht (z. B. Beschäftigte, Unternehmer, Arbeitgeber)
  auf die weibliche Form verzichtet. Es sind also
  immer sowohl Frauen als auch Männer gemeint,
  wenn die männliche Form verwendet und auf
  Menschen/Personen Bezug genommen wird.

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Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG     UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

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Psychische Belastung und Beanspruchung

In diesem Teil der Broschüre werden grundlegende        – Menschen aus Berufen mit hoher psychischer
Begriffe und Zusammenhänge erläutert. Da sich             Belastung haben seit Jahrhunderten die höchste
unterschiedliche Fachdisziplinen mit psychischer          Lebenserwartung (nach 2) – ein Grund mehr,
Belastung und Beanspruchung beschäftigen, wird            Arbeit menschengerecht zu gestalten.
eine Fülle von unterschiedlichen Begriffen verwendet.
Hier soll durch die Erläuterung der wesentlichen        2.2 Psychische Belastung und Beanspru-
Begriffe eine Vereinfachung und gleichzeitig auch           chung – was ist darunter zu verstehen?
eine Verständigungsgrundlage geschaffen werden.         Der Mensch ist ein biopsychosoziales Wesen, d. h.,
                                                        die in ihm ablaufenden Vorgänge sind vielfältig. Sie
2.1 Psychische Belastung und Beanspru-                  hängen u. a. von biologischen, psychischen, sozialen
    chung im Berufsleben heute                          Faktoren und Prozessen ab, die sich gegenseitig
Die Berufstätigen von heute arbeiten in Teams, ent-     beeinflussen. Experten aus Bereichen wie Ingenieur-
wickeln Ideen, lösen Probleme, bedienen Maschinen,      und Sozialwissenschaft, Medizin, Biologie, Psycho-
werben, unterstützen und beraten Kunden. Rund
um die Uhr flutet in ihr Gehirn ein Strom von
Informationen dank Computer, Fax, Telefon und                                   günstig
anderer Medien – sowohl im Unternehmen als auch
zu Hause. Die Weiterbildung darf ebenso nicht zu
kurz kommen. Für den Einzelnen bedeutet dies,
dass durch die erforderliche erhöhte Konzentration
und geistige Verarbeitung ›bessere Nerven‹
                                                        zu niedrig                                 zu hoch
gebraucht werden.
– Der Mensch braucht psychische Belastung, denn
  sie ist der ›Motor‹ für die menschliche Entwick-
  lung.
– Psychische Belastung führt zu Beanspruchung,
                                                             Individuelle
  die sich positiv oder negativ auswirken kann.              Voraussetzungen
                                                             des Menschen                     Psychische
– Psychische Belastung hat in den letzten Jahrzehn-                                           Belastung
  ten zugenommen.                                                                             durch Arbeit

                                                                                                                                           7
Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG    UND   BEANSPRUCHUNG             IM   BERUFSLEBEN

                                 logie setzen sich aufgrund der Zunahme ›psychi-                       Menschen ablaufenden Prozesse und bezeichnen
                                 scher Belastung‹ im Berufsleben seit Jahren ver-                      diese Art der Beanspruchung manchmal als Stress.
                                 stärkt mit diesem Thema auseinander. Sie können                       Zurzeit gibt es kein einheitliches Erklärungs-
                                 aber vieles noch nicht erklären und haben unter-                      modell zum Thema ›psychische Belastung‹. Um
                                 schiedliche Ansatzpunkte.                                             eine Verständigungsgrundlage zu haben, wurde
                                 – So richten die Betriebspraktiker den Blick häufig                   die Norm DIN EN ISO 10075 ›Ergonomische
                                   auf die Gesamtheit der Verhältnisse, Zustände                       Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelas-
                                   und Bedingungen am Arbeitsplatz und sprechen                        tung‹ eingeführt (s. auch Kapitel 4).
                                   in diesem Zusammenhang von psychischer
                                   Belastung und Beanspruchung. Ausgehend vom                        Begriffe und Zusammenhänge
                                   Belastungs-Beanspruchungs-Modell ist Belastung                    Das aus dem Griechischen stammende Wort
                                   das Ergebnis einer Vielzahl von außen auf den                     ›psychisch‹ bedeutet:
                                   Menschen mit seinen individuellen Voraus-                         – seelisch,
                                   setzungen einwirkender Einflüsse. Die Bean-                       – die Seele, seelische Prozesse, Zustände und –
                                   spruchung ist dagegen die im ›Inneren‹ des                          geistige, gefühlsmäßige, willentliche – Vorgänge
                                   Beschäftigten eintretende Auswirkung.                               betreffend.
                                 – Mediziner und Psychologen richten den Blick vor
                                   allem auf die durch psychische Belastung im

                                                                                                           Begriffliche Klarheit tut gut
                                 sis   ch                                                    ta  l
                             phy                          h                              men               »Teilweise als Synonym werden mentale,
                                                      isc
                                                psych                   g
                                                                                                           psychische, psychomentale, psycho-
                                                                   stun               atis
                                                                                            ch             emotionale, psychosoziale, geistige Belas-
                             s                                Bela                  om
                        tres                                                    hos                        tung u. a. Begriffe verwendet oder es wird
                    S
                                          tig                           psyc                               pauschal von ›Stress‹ gesprochen. Auf-
                                     geis
                                                       isch                                                gabenstellung der Forschung ist es u. a.,
                   ental                  so    mat                       chu
                                                                             ng                            mehr Klarheit und Akzeptanz in dieses
               hom                   ycho                        ans
                                                                     pru                   ung
           psyc                   ps                       lb  e                     last                  Wortwirrwarr zu bringen« (3)
                                                       Feh                      lbe
                                                                            Feh
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                                            Be

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Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben - Erkennen - Gestalten
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG

                                                         Definition nach der DIN EN ISO 10075 - 1 (1a):
Einflüsse
die von außen auf den Menschen zukommen und              Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von
psychisch auf ihn einwirken, ergeben sich aus den        außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.
Arbeitsbedingungen. Die   Arbeitsbedingungen 1
lassen sich systematisieren nach:
– Arbeitsaufgabe, d. h. Art und Umfang der Tätig-       bedingungen; Barrieren, die die Kommunikation
  keit. Beispiele: Verantwortung tragen; schwierige     verhindern; Zwangshaltungen.
  Aufgaben erfüllen; immer gleiche Tätigkeiten
  ausführen.                                          Einflüsse
– Arbeitsmittel, d. h. alle technischen Komponenten   – wirken auf einen Menschen ein, indem sie in ihm
  am Arbeitsplatz wie Werkzeuge, Vorrichtungen,         psychische Vorgänge auslösen.
  Maschinen, Geräte. Auch die Informationsein-        – die sich messen, zählen, wägen lassen, sind
  und -ausgabe über Schalter, Hebel und auch            relativ leicht mit Prüflisten oder anderen Mess-
  Tastaturen bzw. Anzeigen an Steuerständen oder        instrumenten zu erfassen. Schwieriger zu erfassen
  Bildschirmen gehören zur Mensch-Maschine-             ist, was im Inneren des Menschen vorgeht.
  Schnittstelle und sind damit Teile der Arbeits-
  mittel. Beispiele: Computersystemabstürze ohne      Psychische Vorgänge
  ersichtlichen Grund; flimmerfreier Bildschirm       – im Menschen sind all diejenigen, die z. B. mit
  erleichtert die Lesbarkeit.                           Wahrnehmen, Denken, Erinnern, Erleben, Emp-
– Arbeitsumgebung, d. h. die physikalisch-chemisch-     finden, Verhalten zu tun haben.
  biologische Arbeitsumgebung wie Beleuchtung,        – können sowohl durch Einflüsse, die mehr aus
  Schall, Klima, Farbe, Raumluft, Schadstoffe sowie     geistigen Anforderungen (z. B. Arbeitsaufgaben
  die soziale Arbeitsumgebung wie Führungsver-          mit emotionaler Belastung, Arbeitsabläufe mit
  halten und Betriebsklima. Beispiele: Konzentra-       Konzentrationserfordernis, Arbeitsmittel mit
  tionsschwierigkeiten durch Lärm und Hitze; Infor-     vielen gleichzeitigen Informationen) resultieren,
  mationsverluste durch fehlende Kommunikation.         als auch durch andere Einflüsse, wie das Wetter,
– Arbeitsorganisation, d. h. Regelung der Arbeits-      ausgelöst werden.
  zeit, Art und Weise der Reihenfolge von Tätig-
  keiten, Arbeitsablauf usw. Beispiele: günstige      ›Psychische Belastung‹ ist neutral
  Pausengestaltung; unterschiedlicher Arbeitsanfall   Sie schließt Einflüsse ein, die in der Umgangs-
  (Stoßzeiten und ruhige Zeiten); mangelnde           sprache als ›Entlastung‹ sowie als ›Motor für
  Informationen.                                      Aktivitäten‹ angesehen werden. Das Lesen von Zeit-
– Arbeitsplatz, d. h. die direkte Arbeitsumgebung     schriften kann z. B. anstrengend oder entspannend
                                                                                                              1 Definition der Elemente des
  des Einzelnen mit Arbeitsstuhl und -tisch.          sein. Dabei ist das Lesen selbst – die Informations-
                                                                                                                Arbeitssystems in Anlehnung
  Beispiele: günstige Platzverhältnisse und Sicht-    aufnahme – eine neutrale Belastung; die Auswirkun-        an (4)

                                                                                                                                              9
PSYCHISCHE BELASTUNG    UND   BEANSPRUCHUNG    IM   BERUFSLEBEN

     Definition nach DIN EN ISO 10075-1:
                                                                                       Welche Strategien die Person dabei wählt, hängt
     Psychische Beanspruchung ist die unmittelbare (nicht langfristige) Aus-           u. a. von ihren überdauernden und augenblicklichen
     wirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von               Voraussetzungen ab. Schon bei ›Kleinigkeiten‹ ist
     seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen,             das bemerkbar. Erteilt der Chef z. B. einen kleinen
     einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.                          Zusatzauftrag, können die Reaktionen der Mitar-
                                                                                       beiter ganz unterschiedlich sein. So freut sich Frau
                                                                                       A über die Abwechslung und fängt sofort mit der
                                gen können jedoch unterschiedlich sein. Auch im täg-   Bearbeitung an; sie erledigt die Angelegenheit mehr
                                lichen Leben hängen ›Last und Lust‹ eng zusammen.      oder weniger nebenbei. Herr B schimpft zunächst –
                                – Psychische Beanspruchung als Auswirkung der          schließlich führt er den Auftrag auch aus, ärgert sich
                                   psychischen Belastung wird u. a. durch Merkmale,    aber noch am nächsten Tag über die Mehrarbeit.
                                   Eigenschaften, Verhaltensweisen des Menschen        Für Herrn C kommt der Zusatzauftrag sehr unge-
                                   beeinflusst.                                        legen, da er unter Termindruck bei seiner eigent-
                                – Zu den überdauernden und augenblicklichen            lichen Arbeitsaufgabe steht. Eine Rücksprache mit
                                   Voraussetzungen eines jeden Menschen gehören        dem Chef führt dazu, dass ein anderer Mitarbeiter
                                   – psychische Voraussetzungen wie Fähigkeiten,       mit der Erledigung beauftragt wird (s. auch Fallbei-
                                    Fertigkeiten, Erfahrungen, Kenntnisse,             spiele Seiten 48 – 51).
                                    Anspruchsniveau, Vertrauen in die eigenen          – Erst durch die individuellen, d. h. persönlichen
                                    Fähigkeiten, Motivation, Einstellungen,              Reaktionen bei psychisch belastenden Einflüssen
                                    Bewältigungsstrategien,                              entscheidet sich, wie beanspruchend eine Tätig-
                                   – andere Voraussetzungen wie Gesundheits-             keit oder Situation vom Einzelnen erlebt wird.
                                    zustand, körperliche Konstitution, Alter,            Dabei ist die ausgelöste kurzfristige Beanspru-
                                    Geschlecht, Ernährungsverhalten, Allgemein-          chung immer abhängig von dem, was der Mensch
                                    zustand, aktuelle Verfassung, Ausgangslage der       empfindet, fühlt, wahrnimmt, erlebt, denkt.
                                    Aktivierung.                                       – Für die Ausprägung der psychischen Beanspru-
                                – Jeder Mensch ist ein Individuum. Die psychischen,      chung ist neben den individuellen Voraussetzun-
                                   körperlichen, genetischen, sozialen Vorausset-        gen vor allem auch von Bedeutung, mit welcher
                                   zungen sind unterschiedlich. Diese individuellen      Stärke und Dauer die psychische Belastung ein-
                                   Voraussetzungen sind die Ursache dafür, dass          wirkt.
                                   jeder Mensch anders empfindet und reagiert.
                                – Mithilfe individueller Bewältigungsstrategien geht   Das Modell (Abb. 1) zeigt, dass Einflüsse aus der
                                   eine Person gezielt vor, um                         Arbeit (z. B. Arbeitsaufgabe, Arbeitsmittel) auf den
                                   – Aufgaben und Probleme zu lösen,                   Menschen mit seinen jeweiligen überdauernden
                                   – Hemmnisse und Schwierigkeiten abzubauen           und augenblicklichen Voraussetzungen und seine
                                    oder sich davor zu schützen.                       Bewältigungsstrategien einwirken. Die Inanspruch-

10
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG

Psychische Belastung
Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch
auf ihn einwirken.

Einflüsse aus der Arbeit:
– Arbeitsaufgabe
– Arbeitsumgebung (physikalisch, sozial)
– Arbeitsorganisation/Arbeitsablauf
– Arbeitsmittel
– Arbeitsplatz

                                                      Inanspruchnahme (Dauer, Stärke, Verlauf )

Individuelle Voraussetzungen des Menschen
psychische Voraussetzungen wie:                       andere Voraussetzungen wie:
– Fähigkeiten                                         – Gesundheit
– Fertigkeiten                                        – Alter
– Erfahrungen                                         – Geschlecht
– Kenntnisse                                          – körperliche Konstitution
– Anspruchsniveau, Motivation                         – Ernährung
– Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten                – Allgemeinzustand
– Einstellungen                                       – aktuelle Verfassung
– Bewältigungsstrategien                              – Ausgangslage der Aktivierung

Psychische Beanspruchung
unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen
jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen
Bewältigungsstrategien.

Kurzfristige Beanspruchung
 Anregung:                                             Beeinträchtigung:
I Aufwärmung                                          I Ermüdung
I Aktivierung                                         I ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie,
                                                        herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung)
                                                      I Stress

                                                                                                      Abb. 1
Langfristige Folgen:                                                                                  Belastungs-Beanspru-
I Übung                                               I allgemeine psychosomatische Störungen und     chungs-Modell – ein
I Weiterentwicklung körperlicher                        Erkrankungen (u. a. Verdauungsbeschwerden,    Erklärungsmodell für
   und geistiger Fähigkeiten                            Herzbeschwerden, Kopfschmerzen)               Zusammenhänge hinsicht-
I Wohlbefinden                                        I Ausgebranntsein (Burnout)
                                                                                                      lich psychischer Belastung
I Gesunderhaltung                                     I Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung
                                                                                                      und Beanspruchung

                                                                                                                                   11
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG    IM   BERUFSLEBEN

                              nahme der Voraussetzungen des arbeitenden                 Kurzfristige Beanspruchung kann zu langfristigen
                              Menschen führt zu psychischer Beanspruchung.              Folgen führen, die wiederum die individuellen
                              Diese äußert sich kurzfristig in unterschiedlicher        Voraussetzungen des Beschäftigten beeinflussen
                              Form auf psychischer und/oder körperlicher Ebene.         (s. Kapitel 2.3).
                              Ob es dabei zu erwünschter oder beeinträchtigender
                              Beanspruchung kommt, (s. Tabelle 1) hängt sowohl          Psychische Belastung ist normaler und notwendiger
                              von den von außen einwirkenden Einflüssen als             Bestandteil menschlichen Lebens – auch des
                              auch von den persönlichen Voraussetzungen des             Arbeitslebens.
                              Einzelnen ab. Als Doppelrolle psychischer Bean-           Durch Inanspruchnahme der Voraussetzungen des
                              spruchung wird verstanden:                                Beschäftigten kann psychische Belastung führen zu
                              – Der Beschäftigte kann unter psychischer Bean-           – erwünschter kurzfristiger Beanspruchung oder
                                  spruchung seine Arbeit abwechslungsreich finden,      – beeinträchtigender kurzfristiger Beanspruchung,
                                  er kann sich angeregt fühlen, weil er Erfolgserleb-     den Fehlbeanspruchungen. Der Grad der Aus-
                                  nisse hat oder Lernfortschritte macht. Die dabei        prägung der Beanspruchung ist neben Stärke und
                                  auftretende kurzfristige Beanspruchung äußert           Dauer von den individuellen Voraussetzungen
                                  sich durch Aufwärmung, Aktivierung.                     des Beschäftigten abhängig und deshalb zwischen
                                  Der Übungseffekt – eine überdauernde, mit Lern-         den Beschäftigten unterschiedlich. So kann es
                                  prozessen verbundene Veränderung der individu-          passieren, dass sich unter bestimmten äußeren
                                  ellen Leistung als Folge wiederholter Bewältigung       Einflüssen der Beschäftigte A zwar müde fühlt,
                                  einer psychischen Beanspruchung – wirkt sich            sich das auf das Arbeitsergebnis aber nicht aus-
                                  z. B. positiv auf die individuellen Voraussetzungen     wirkt. Dem Beschäftigten B unterlaufen jedoch
                                  des Beschäftigten aus.                                  unter den gleichen äußeren Einflüssen aufgrund
                              – Werden die Voraussetzungen des einzelnen                  einer wesentlich stärker ausgeprägten Ermüdung
                                  Menschen jedoch über- oder unterfordert                 zahlreiche Fehler.
                                  (s. Kapitel 3.1), so führt psychische Belastung zu
                                  Fehlbeanspruchung. Diese kann sich beim               Der Grad der Ausprägung der Beanspruchung ist
                                  Beschäftigten so auswirken, dass er seine Arbeit      auch von den augenblicklichen individuellen Vor-
                                  öde findet, schnell ermüdet, sich nicht mehr          aussetzungen des Beschäftigten abhängig. Zu
                                  konzentrieren kann, wichtige Signale nicht mehr       einem anderen Zeitpunkt macht unter den wiede-
                                  wahrnimmt. Die dabei auftretende kurzfristige         rum gleichen äußeren Einflüssen der Beschäftigte A
                                  Beanspruchung äußert sich durch Ermüdung,             ebenso zahlreiche Fehler wie der Beschäftigte B.
                                  ermüdungsähnliche Zustände – mit den Einzel-
                                  formen Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit,          2.3 Folgen kurzfristiger Beanspruchung
                                  Sättigung – sowie Stress.                             Die erwünschte sowie die beeinträchtigende kurz-
                                                                                        fristige Beanspruchung habt einen Einfluss auf die

12
PSYCHISCHE BELASTUNG         UND    BEANSPRUCHUNG

  Anregung                                                             Beeinträchtigung (Fehlbeanspruchung)

  Aufwärmung                         Aktivierung                       Psychische Ermüdung              Ermüdungsähnliche               Stress 1
                                                                                                        Zustände

  Eine häufige Folge psychi-         Ein innerer Zustand mit           Vorübergehende Beeinträch-       Zustände des Menschen, die      Als unangenehm empfun-
  scher Beanspruchung, die           unterschiedlich hoher psy-        tigung der psychischen und       als Auswirkungen psychi-        dener Zustand, der von der
  bald nach Beginn der Arbeits-      chischer und körperlicher         körperlichen Leistungsfähig-     scher Beanspruchung in ab-      Person als bedrohlich, kri-
  aufnahme dazu führt, dass          Funktionstüchtigkeit.             keit eines Menschen, die von     wechslungsarmen Situatio-       tisch, wichtig und unaus-
  die Tätigkeit mit weniger An-      Je nach Dauer und Intensität      Intensität, Dauer und Verlauf    nen auftreten.                  weichlich erlebt wird. Er ent-
  strengung als anfangs aus-         kommt es zu unterschied-          der vorangegangenen Bean-        Sie verschwinden schnell        steht besonders dann, wenn
  geführt wird.                      lichen Graden der Aktivie-        spruchung abhängt.               nach Eintreten eines Wech-      die Person einschätzt, dass
                                     rung. Dabei gibt es einen         Mögliche Folgen sind mehr        sels der Arbeitsaufgabe und/    sie ihre Aufgaben nicht be-
                                     Bereich der optimalen, d. h.      Zeitbedarf für Handlungen,       oder der Umgebung bzw. der      wältigen kann (5).
                                     weder zu geringen noch zu         Bewegungsfehler wie Fehl-        äußeren Situation. Zu diesen    Mögliche Folgen sind Befind-
                                     hohen Aktivierung, der höchs-     greifen, Fehltreten, Ver-        Zuständen zählen: Monoto-       lichkeitsstörungen, Angst-
                                     te Funktionstüchtigkeit si-       gessen von wichtigen             nie, herabgesetzte Wachsam-     zustände, hoher Blutdruck,
                                     cherstellt. Eine plötzliche Er-   Informationen (Terminen,         keit, psychische Sättigung.     nervöse Magenschmerzen,
                                     höhung der Beanspruchung          Zwischenergebnissen). Er-                                        steigendes Herzinfarktrisiko,
                                     kann jedoch zu einer uner-        holung von psychischer                                           sinkende Leistung, erhöhte
                                     wünschten Überaktivierung         Ermüdung kann besser                                             Fehlerzahl.
                                     führen.                           durch eine zeitliche Unter-
                                                                       brechung der Tätigkeit statt
                                                                       durch deren Änderung erzielt
                                                                       werden.

1 Stress wird im Alltag häufig synonym mit psychischer Belastung
  verwendet. Nicht alle psychischen Belastungen führen jedoch zu       Monotonie                        Herabgesetzte Wachsamkeit       Psychische Sättigung
  Stress (6). Psychische Belastungen, die Stress auslösen, werden
  Stressoren genannt. Erst die Reaktionen auf Stressoren wie Zeit-     Ein langsam entstehender         Ein bei abwechslungsarmen       Ein Zustand der nervös-un-
  druck, Informationsmangel, häufige Störungen und Unter-               Zustand herabgesetzter           Beobachtungstätigkeiten         ruhevollen, stark affektbeton-
  brechungen der Arbeit sowie widersprüchliche Anweisungen             Aktivierung, der bei lang        langsam entstehender Zu-        ten Ablehnung einer sich
  durch verschiedene Vorgesetzte sollten mit dem Begriff Stress         andauernden, einförmigen         stand mit herabgesetzter Sig-   wiederholenden Tätigkeit
  belegt werden (7a).                                                  und sich wiederholenden          nalentdeckungsleistung (z. B.   oder Situation, bei der das
                                                                       Arbeitsaufgaben oder Tätig-      bei Radarschirm- und Instru-    Erleben des ›Auf-der-Stelle-
                                                                       keiten auftreten kann und        mententafelbeobachtungen).      Tretens‹ oder des ›Nicht-
                                                                       der hauptsächlich mit Schläf-    Monotonie und herabgesetz-      weiter-Kommens‹ besteht.
                                                                       rigkeit, Müdigkeit, Leistungs-   te Wachsamkeit unterschei-      Zusätzliche Symptome psy-
                                                                       abnahme und -schwankun-          den sich zwar in den Entste-    chischer Sättigung sind Är-
                                                                       gen, Verminderung der Um-        hungsbedingungen, nicht         ger, Leistungsabfall und/oder
                                                                       stellungs- und Reaktions-        aber in den Auswirkungen.       Müdigkeitsempfinden und
                                                                       fähigkeit sowie Zunahme der                                      die Tendenz, sich von der
                                                                       Schwankungen der Herz-                                           Aufgabe zurückzuziehen.
                                                                       schlagfrequenz einhergeht.                                       Die psychische Sättigung ist
                                                                                                                                        im Gegensatz zu Monotonie
                                                                                                                                        und herabgesetzter Wach-
                                                                                                                                        samkeit durch ein unverän-
                                                                                                                                        dertes oder sogar gesteiger-
Tab. 1                                                                                                                                  tes Niveau der Aktivierung,
Auswirkungen psychischer                                                                                                                verbunden mit negativer Er-
                                                                                                                                        lebnisqualität, gekennzeich-
Beanspruchung in Anlehnung                                                                                                              net.
an die DIN EN ISO 10075-1

                                                                                                                                                                         13
PSYCHISCHE BELASTUNG     UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

     individuellen Voraussetzungen des Beschäftigten (s. Abb. 1).      Auftreten können:
     Erwünschte Beanspruchung kann                                     – allgemeine psychosomatische Störungen und Erkrankungen (z. B.
     – zur Weiterentwicklung der körperlichen und geistigen Fähig-       Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen u. a.),
       keiten,                                                         – Muskel- und Skeletterkrankungen,
     – zu einer besseren Einstellung zur Arbeit (Motivation),          – erhöhtes Infarktrisiko (z. B. Herzinfarkt),
     – zum allgemeinen Wohlbefinden,                                   – erhöhter Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenkonsum,
     – zur Gesunderhaltung                                             – Unzufriedenheit, Resignation, innere Kündigung, Depression,
     des arbeitenden Menschen beitragen. Der Nutzen für das Unter-     – Ausgebranntsein (Burnout),
     nehmen liegt auf der Hand. Motivierte Mitarbeiter, die sich in    – Leistungsminderungen,
     ihrem Unternehmen wohlfühlen, zeichnen sich durch eine hohe       – Fehlzeiten,
     Leistungsbereitschaft aus. Beeinträchtigende kurzfristige Bean-   – Frühverrentung.
     spruchung kann langfristig zu gesundheitlichen Beschwerden
     sowie zu Krankheiten führen und hat Einfluss auf das Verhalten    Kurzfristige Beanspruchung und deren Folgen beeinflussen die
     und die Leistung der Beschäftigten.                               individuellen Voraussetzungen des Menschen.

                      jemandem die Stirn bieten
                 etwas nicht mehr sehen können
                                                                                               die Nase voll haben
                         den Mund voll nehmen                                                  in den Ohren liegen

                          unter die Haut gehen

                                                                                               mit Fingerspitzengefühl
                       auf den Magen schlagen
                           an die Nieren gehen

14
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG

Beeinträchtigende psychische Beanspruchung als
                                                                         Beschäftigte mit psychischer Fehlbelastung
betriebswirtschaftlicher Faktor
Die langfristigen Folgen beeinträchtigender psychi-                                  Beschäftigte ohne psychische Fehlbelastung
scher Beanspruchung sind nicht nur ein Problem
für den arbeitenden Menschen, der darunter leidet,
sie sind auch eine Bürde für das Unternehmen und
letzten Endes für die gesamte Volkswirtschaft. Nicht
                                                                                                              Abb. 2
nur Krankheiten – auch das Wohlbefinden der
                                                                                                              Anteil der Beschäftigten in
Mitarbeiter hat Einfluss auf die Qualität der                                                                 Deutschland und Europa,
Arbeitsergebnisse. Mitarbeiter mit gesundheitlichen                                                           der sich psychischer Fehl-
Beschwerden sind zwar auf der Arbeit anwesend,                                                                belastung ausgesetzt fühlt.
wer sich aber z. B. unwohl fühlt, kann sich oft
schlechter konzentrieren, macht mehr Fehler und
muss häufiger Pausen einlegen.
  In Deutschland fühlt sich die Hälfte der Beschäf-
tigten psychischer Belastung ausgesetzt, die           – unbesetzte Arbeitsplätze,
psychisch beeinträchtigende Beanspruchung und          – Terminverzug, Lieferschwierigkeiten und damit
Stress verursacht (Abb. 2). Als auslösende Einflüsse     Unzufriedenheit der Kunden,
dieser Fehlbeanspruchung werden genannt: hohe          – Gehaltsfortzahlung ohne Gegenleistung,
Verantwortung, hoher Zeitdruck, große Arbeits-         – sinkende Wettbewerbsfähigkeit des Unter-
menge, große Genauigkeit, ständiges Aufmerksam-          nehmens,
keitserfordernis. Ähnlich ist es in ganz Europa. Als   – steigende Unfallversicherungs- und
auslösende Einflüsse werden für Europa vor allem         Ausgleichszahlungsprämien,
›hohes Arbeitstempo‹ und ›ständig zu wieder-           – Verlust von teuer ausgebildetem Fachpersonal
holende Bewegungen‹ angegeben (10).                      durch Fluktuation oder Frühverrentung
  Die gesamten Folgekosten psychischer Fehlbelas-
tung in Deutschland werden auf ca. 10 Milliarden       Eine angemessen gestaltete Arbeit kann einen
Euro geschätzt. (10)                                   wichtigen Beitrag leisten, Kosten zu senken und so
  Häufig auftretende Folgen im Unternehmen sind        Standort sowie Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Fehlzeiten. Fehlzeiten bedeuten für den Betrieb:
– Mehrbelastung der anwesenden Mitarbeiter,            Jährlich werden Unsummen von Euros ver-
  wodurch sich wiederum deren Erkrankungsrisiko        schwendet – verursacht durch psychische Fehlbe-
  erhöht,                                              lastung. Deshalb heißt das Ziel ›Nutzen stiften
– erschwerte Planung,                                  durch Gestaltung der Arbeitsbedingungen‹.
– Produktionsausfall,                                  Hinweise hierzu siehe Kapitel 3.

                                                                                                                                            15
16
PSYCHISCHE BELASTUNG      UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

3
Empfehlungen und Hinweise zur Gestaltung
von Arbeit im Hinblick auf psychische Belastung

In diesem Abschnitt wird die Gestaltung der          Auf Stress (s. auch Kapitel 2.2) wird hier nicht näher
Arbeitsbedingungen auf zwei Ebenen beschrieben.      eingegangen. In diesem Zusammenhang sei auf die
– Auf der unteren Ebene (I) werden zunächst          Broschüren der BAuA ›Stress im Betrieb‹ (8) sowie
  allgemeine,                                        ›Bauleitung ohne Stress‹ (9) verwiesen.
– auf einer weiteren Ebene (II) werden – bezogen
  auf psychische Ermüdung und ermüdungs-
  ähnliche Zustände – spezielle Empfehlungen zur
  menschengerechten Gestaltung von Arbeit im
  Hinblick auf psychische Belastung gegeben.

 II Spezielle Empfehlungen zur Vermeidung von psychischer Ermüdung und ermüdungsähnlichen
    Zuständen nach DIN EN ISO 10075

    Psychische Ermüdung                            Ermüdungsähnliche Zustände
                                                   Monotonie       Herabgesetzte         Psychische
                                                                   Wachsamkeit           Sättigung

 I Allgemeine Hinweise und Empfehlungen

                                                                                                                                         17
3.1 Allgemeine Hinweise und                                        Abb. 3 (rechts)
         Empfehlungen                                                   Gestaltung von Arbeit nach dem Belas-
     Von besonderem Interesse ist nach der Norm DIN                     tungs-Beanspruchungs-Modell. Es zeigt
                                                                        den Zusammenhang zwischen Belastung
     EN ISO 10075-2 der ›Ansatzpunkt Arbeit‹, der sich
                                                                        und Beanspruchung. Ansatzpunkt für die
     auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen bezieht.
                                                                        Gestaltung psychischer Belastung sind die
     Da durch psychische Belastung sowohl erwünschte                    Arbeitsbedingungen. Dieser Ansatz geht
     als auch beeinträchtigende kurzfristige Beanspru-                  konform mit dem Arbeitsschutzgesetz (11),
     chung verursacht wird, gilt es                                     das die Bekämpfung von Gefährdungen
     – das in ›psychischer Belastung‹ steckende                         direkt an der Entstehungsquelle, d. h. eine
                                                                        Ursachenbeseitigung, favorisiert.
       Potenzial zu nutzen, um persönlichkeitsförder-
       liche Beanspruchung zu bewirken,
     – die sich aus den Arbeitsbedingungen ergebende
       psychische Belastung so zu gestalten, dass
       Fehlbeanspruchungen verringert oder vermieden
       werden.

                                                    Arbeitsgestaltung

                   Ansatzpunkt Person                                             Ansatzpunkt Arbeit

         Personalauswahl        Sozialisation                                Aufgabe                 Umfeld

18
EMPFEHLUNGEN       UND   HINWEISE   ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE   BELASTUNG

Psychische Belastung
Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch
                                                                                                                       konzeptive Gestaltung
auf ihn einwirken.

Einflüsse aus der Arbeit:
– Arbeitsaufgabe
– Arbeitsumgebung (physikalisch, sozial)
– Arbeitsorganisation/Arbeitsablauf
– Arbeitsmittel
– Arbeitsplatz

                                                      Inanspruchnahme (Dauer, Stärke, Verlauf )

Individuelle Voraussetzungen des Menschen
psychische Voraussetzungen wie:                       andere Voraussetzungen wie:
– Fähigkeiten                                         – Gesundheit
– Fertigkeiten                                        – Alter
– Erfahrungen                                         – Geschlecht
                                                                                                                        korrektive Gestaltung
– Kenntnisse                                          – körperliche Konstitution
– Anspruchsniveau, Motivation                         – Ernährung
– Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten                – Allgemeinzustand
– Einstellungen                                       – aktuelle Verfassung
– Bewältigungsstrategien                              – Ausgangslage der Aktivierung

Psychische Beanspruchung
unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen
jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen
Bewältigungsstrategien.

Kurzfristige Beanspruchung
 Anregung:                                             Beeinträchtigung:
I Aufwärmung                                          I Ermüdung
I Aktivierung                                         I ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie,
                                                        herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung)
                                                      I Stress

Langfristige Folgen:
I Übung                                               I allgemeine psychosomatische Störungen und
I Weiterentwicklung körperlicher                        Erkrankungen (u. a. Verdauungsbeschwerden,
   und geistiger Fähigkeiten                            Herzbeschwerden, Kopfschmerzen)
I Wohlbefinden                                        I Ausgebranntsein (Burnout)
I Gesunderhaltung                                     I Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung

                                                                                                                                                  19
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

                              Wie herangehen?                                          Überprüfen
                              Zu unterscheiden ist zwischen der konzeptiven und        Nach Durchführung wird überprüft, ob die er-
                              der korrektiven Arbeitsgestaltung (Abb. 3). Die          wünschte Bedingung hergestellt wurde. Unter dem
                              konzeptive oder vorausschauende Arbeitsgestaltung        Gesichtspunkt der kontinuierlichen Verbesserung
                              bezieht sich auf neue, die korrektive Arbeitsgestal-     der Arbeitsbedingungen und des Standes von
                              tung auf bereits bestehende Arbeitssysteme. Das          Sicherheit und Gesundheitsschutz ist die Über-
                              Vorgehen ist grundsätzlich gleich, wobei die kon-        prüfung bereits der Beginn einer neuen Optimie-
                              zeptive Arbeitsgestaltung vorzuziehen ist. Der           rungsrunde.
                              typische Ablauf zur Gestaltung von Arbeitsbedin-
                              gungen ist ein Kreisprozess:                             Bereits bei der Planung eines Arbeitssystems sollten
                                                                                       die Risiken möglicher arbeitsbedingter Gefährdun-
                              Ermitteln                                                gen beurteilt werden (12). Dabei ist die Gesamtheit
                              Die Ermittlung, d. h. Analyse der Arbeitsbedingun-       der auf den Arbeitenden psychisch einwirkenden
                              gen, ist der erste Schritt. Es geht darum, psychische    Einflüsse – die psychische Belastung – zu erfassen
                              Belastung zu identifizieren. Die Ermittlung der          und zu beurteilen. Die Gestaltung der Arbeit sollte
                              psychischen Belastung kann orientierend, vertiefend      primär belastungsorientiert erfolgen (13) und somit
                              oder umfassend erfolgen. Durch den ungeschulten          günstig für verschiedene Menschen unabhängig
                              Praktiker erfolgt die orientierende Ermittlung z. B.     von ihren individuellen Voraussetzungen sein.
                              mit Checklisten oder Prüflisten.                         Die neue Quartbroschüre der BAuA ›Integration der
                                                                                       psychischen Belastungen in die Gefährdungs-
                              Beurteilen                                               beurteilung‹ hilft betrieblichen Akteuren, einen
                              Die Beurteilung ist ein Vergleich des ermittelten IST-   praxisnahen Einstieg zum Umgang mit psychischen
                              Zustandes mit dem durch die Gestaltungsempfeh-           Belastungen zu finden. Auf der Grundlage betrieb-
                              lungen skizzierten SOLL-Zustand. Das Beurteilen          licher Erfahrungen wird dargestellt,
                              entspricht einer Einschätzung, ob Handlungsbedarf        – wie sich ein betrieblicher Prozess organisieren
                              zur Veränderung psychisch belastender Einflüsse            lässt, in dem psychische Belastungen im Rahmen
                              besteht.                                                   der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungs-
                                                                                         beurteilung erhoben werden können und
                              Festlegen                                                – wie geeignete Verbesserungsmaßnahmen
                              In diesem Schritt werden – falls es die Beurteilung        umgesetzt werden können.
                              ergeben hat – Maßnahmen zur Gestaltung der
                              Arbeitsbedingungen entwickelt und ausgewählt.

                              Durchführen
                              Die festgelegten Maßnahmen werden umgesetzt.

20
EMPFEHLUNGEN       UND   HINWEISE    ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE   BELASTUNG

In der Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz           Welche Bedingungen der Arbeit sind
und Arbeitsmedizin – im Internet unter                       gestaltbar?
www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-                       Arbeit besteht aus einer Kombination von Aufgaben.
Praxis/Handlungshilfen-und-                                  Diese werden mit bestimmten Arbeitsmitteln in
Praxisbeispiele/Toolbox/Toolbox.html                         einer bestimmten Arbeitsumgebung und innerhalb
                                                             einer bestimmten Organisationsstruktur ausgeführt.
werden                                                       In unserer modernen Arbeitswelt gibt es ganz
– zahlreiche Hinweise gegeben,                               bestimmte Einflüsse, die mit größerer Wahrschein-
– Instrumente, Möglichkeiten und Varianten                   lichkeit zu Fehlbeanspruchung führen als andere.
  angeführt, die bei der Optimierung psychischer             Diese gilt es so zu gestalten, dass für die Beschäf-
  Belastung unterstützen können.                             tigten und das Unternehmen ein größtmöglicher
– Sowohl ungeschulte als auch geschulte Nutzer               Nutzen entsteht. Jedes einzelne Element des
  sowie Experten erhalten Anregung und Unter-                Arbeitssystems bietet Möglichkeiten, die Gestaltung
  stützung.                                                  im Hinblick auf psychische Arbeitsbelastung zu
                                                             beeinflussen. Abb. 4 zeigt die Elemente des Arbeits-
Was sollte bei der Gestaltung von Arbeit                     systems.
angestrebt werden?
Ziel der Gestaltung von Arbeit ist es, die Bedingun-
                                                                                                                                    Abb. 4
gen so zu optimieren, dass erwünschte oder
                                                                                                                                    Elemente des Arbeits-
›normale‹ kurzfristige Beanspruchung auftritt.
                                                                                                                                    systems

                                                                   Arbeitsaufgabe
                                                                        Mensch

                                                                 Arbeitsorganisation,
                                                                    Arbeitsablauf
                              Eingabe                                                                                     Ausgabe
                    u. a. Information     Arbeitsmittel                                             Arbeitsplatz          u. a. Produkt
                              Material                                                                                    Information
                               Energie                                                                                    Abfall

                                                                  Arbeitsumgebung

                                                          physikalisch            sozial

                                                                                                                                                               21
PSYCHISCHE BELASTUNG         UND   BEANSPRUCHUNG      IM   BERUFSLEBEN

                                        Das Arbeitssystem beinhaltet das Zusammen-                   Welche Anforderungen werden an die
                                    wirken von Mensch und Arbeitsmittel im Arbeits-                  menschengerechte Gestaltung von
                                    ablauf, um die Arbeitsaufgabe am Arbeitsplatz in                 Arbeitsaufgaben gestellt?
                                    der Arbeitsumgebung unter den durch die Arbeits-                 Die Arbeitsaufgabe sollte weder unter- noch über-
                                    aufgabe gesetzten Bedingungen zu erfüllen (4) –                  fordern. Tabelle 2 zeigt, welche kurzfristige beein-
                                    s. auch Kapitel 2.2.                                             trächtigende Beanspruchung durch Unter- bzw.
                                        Hinsichtlich der Intensität der Arbeitsbelastung             Überforderung auftritt.
                                    sind vor allem beeinflussbar: Arbeitsaufgabe,                      Die Fehlbeanspruchungen äußern sich als psychi-
                                    Arbeitsorganisation/-ablauf, Arbeitsmittel, Arbeits-             sche Ermüdung, Monotonie bzw. psychische
                                    umgebung. Hinsichtlich der Dauer der Exposition                  Sättigung. Abbildung 5 ist zu entnehmen, dass eine
                                    (Zustand der Einwirkung) der Arbeitsbelastung ist                leichte Überforderung der individuellen Voraus-
                                    vor allem die Arbeitsorganisation (zeitliche Organi-             setzungen des Menschen zunächst die Persön-
                                    sation der Arbeit) günstig gestaltbar.                           lichkeit fördert. Durch das Bewältigen neuer oder

                                        Einfluss                     Beispiele                                  Hinweis auf Beanspruchung

                                                                    quantitativ:                               Monotonie
                                                                    – wenig zu tun
                                        Unterforderung
                                                                    qualitativ:                                Monotonie
                                                                    – zu einfache Anforderungen                psychische Sättigung
                                                                    – Fähigkeiten, Qualifikationen
                                                                      werden nicht genutzt

                                                                    quantitativ:                               psychische Ermüdung
     Tab. 2                                                         – große Arbeitsmenge
                                                                    – Zeitdruck
     Unter- bzw. Überforderung          Überforderung
     mit Hinweis auf kurz-                                          qualitativ:                                psychische Ermüdung
     fristige beeinträchtigende                                     – unklare Aufgaben                         psychische Sättigung
     Beanspruchung – in                                             – zu komplizierte Aufgaben
     Anlehnung an (14)

22
EMPFEHLUNGEN       UND   HINWEISE   ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE   BELASTUNG

erweiterter Aufgaben entstehen Übungseffekte, die
Handlungsbereitschaft wird günstig beeinflusst,
Zufriedenheit stellt sich ein. Ständige sehr hohe
bzw. zu hohe Anforderungen können jedoch zu
Überforderung führen. Ebenso sind ›maßvolle‹
Unterforderungen unbedenklich. Über- bzw. Unter-
forderungen entstehen erst, wenn ein zumutbarer
bzw. erträglicher Bereich des Unterschiedes zwischen
Anforderungen und Voraussetzungen zu groß wird.

                                                         Risiko:
                                   Auftreten beeinträchtigender
                                    Formen der Beanspruchung
                                                     und Folgen

                                                                   Überforderung

                                                                                                         Abb. 5
                                                                                                         Zusammenhang zwischen
                                                    gen
                                               erun                                                      den Einflüssen Unter- oder
                                       An ford
                 günstig bzw.                                                                            Überforderung (Anforde-
                 unkritisch                                                                              rungen, die sich aus der
                                                                                                         Arbeitsaufgabe ergeben),
                                                      individuelle Voraussetzungen                       individuellen Voraus-
                                                                                                         setzungen des Beschäftig-
                                                                                                         ten und den daraus
                                                                                                         resultierenden möglichen
                                                                                                         Fehlbeanspruchungen, in
Unterforderung                                                                                           Anlehnung an (15).

                                                                                                                                                              23
PSYCHISCHE BELASTUNG        UND   BEANSPRUCHUNG      IM   BERUFSLEBEN

                                       Gestaltbarer Einfluss        Erwünschte Merkmale                       Realisierung durch

                                       Ganzheitlichkeit            Mitarbeiter erkennen Bedeutung und        ... umfassende Aufgaben mit der
                                                                   Stellenwert ihrer Tätigkeit.              Möglichkeit, Ergebnisse der eigenen
                                                                                                             Tätigkeit auf Übereinstimmung mit
                                                                   Mitarbeiter erhalten Rückmeldung
                                                                                                             gestellten Anforderungen zu prüfen.
                                                                   über den eigenen Arbeitsfortschritt
                                                                   aus der Tätigkeit selbst.

                                       Anforderungsvielfalt        Unterschiedliche Fähigkeiten,             … Aufgaben mit planenden, aus-
                                                                   Kenntnisse und Fertigkeiten werden        führenden und kontrollierenden
                                                                   eingesetzt.                               Elementen bzw. unterschiedlichen
                                                                                                             Anforderungen an Körperfunktionen
                                                                   Einseitige Beanspruchung wird
                                                                                                             und Sinnesorgane.
                                                                   vermieden.

                                       Möglichkeiten der           Schwierigkeiten werden gemeinsam          … Aufgaben, deren Bewältigung
                                       sozialen Interaktion        bewältigt.                                Kooperation nahelegt oder voraus-
                                                                                                             setzt.
                                                                   Gegenseitige Unterstützung hilft,
                                                                   Belastungen besser zu ertragen.

                                       Autonomie                   Stärkt Selbstwertgefühl und               … Aufgaben mit Dispositions- und
                                                                   Bereitschaft zur Übernahme von            Entscheidungsmöglichkeiten.
                                                                   Verantwortung.
                                                                   Vermittelt die Erfahrung, nicht
     Tab. 3
                                                                   einfluss- und bedeutungslos zu sein.
     Beispiele für gestaltbare
     Einflüsse der Arbeitsauf-         Lern- und Entwicklungs-     Allgemeine geistige Flexibilität bleibt   … problemhaltige Aufgaben, zu
     gabe, erwünschte Merk-            möglichkeiten               erhalten.                                 deren Bewältigung vorhandene
     male und Hinweise zu                                                                                    Qualifikationen erweitert bzw. neue
                                                                   Berufliche Qualifikationen werden
                                                                                                             Qualifikationen angeeignet werden
     deren Realisierung – in                                       erhalten und weiterentwickelt.
                                                                                                             müssen.
     Anlehnung an (16)

24
EMPFEHLUNGEN      UND   HINWEISE    ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE    BELASTUNG

Wer ist verantwortlich?                                       durch eine dynamische Aufgabenzuweisung 2
Aufgabe des Arbeitgebers bzw. der Führungskräfte              berücksichtigen.
und Verantwortlichen im Betrieb ist es u. a., durch         – Jedes Arbeitssystem ist an die Nutzer anzupassen.
Arbeitsgestaltung für Sicherheit und Gesundheits-             Gerade bei der Entwicklung neuartiger Systeme
schutz zu sorgen. Unterstützt werden sie dabei von            sind die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erwartungen,
den Fachkräften für Arbeitssicherheit, dem Betriebs-          Erfahrungen der späteren Nutzer zu berück-
arzt und dem Betriebs- bzw. Personalrat. Verant-              sichtigen. Schulungsmaßnahmen sind dabei als
wortlich sind aber vor allem im Vorfeld die Gestalter         unterstützende Maßnahme anzusehen.
der Arbeitssysteme wie Planer, Konstrukteure,               – Erfahrungen und Kompetenzen von Nutzern
Produktgestalter. Wichtig ist, die Beschäftigten              bestehender Arbeitssysteme sollten in den
persönlich in die Ermittlung, Beurteilung und                 Gestaltungs- und Umgestaltungsprozess mit
Gestaltung einzubeziehen, da diese die Arbeits-               einbezogen werden.
tätigkeiten und organisatorischen Bedingungen in            – Personalauswahl und -ausbildung müssen bei der
der Regel am besten kennen. Wenn es gelingt, eine             Gestaltung von Arbeitssystemen berücksichtigt
für Probleme des Arbeitsschutzes offene und kons-             werden.
truktive Atmosphäre im Betrieb zu schaffen, erhalten        – Durch Gestaltungsmaßnahmen kann psychische
Verantwortliche, z. B. durch direkte Mitarbeiter-             Belastung optimiert werden. Die von außen ein-
befragung, wichtige Hinweise sowohl auf mögliche              wirkenden Einflüsse der Arbeit sollten so gestaltet
Fehlbelastung als auch auf Möglichkeiten, diese               werden, dass sie ›normale‹ oder erwünschte kurz-
günstig zu beeinflussen.                                      fristige Beanspruchung verursachen.
                                                            – Menschen, Technologien, organisatorische
Was ist hinsichtlich der individuellen                        Bedingungen und deren Wechselwirkungen sind
Voraussetzungen des einzelnen Menschen                        bei der Gestaltung umfassend zu berücksichtigen.
zu beachten?                                                – Nicht nur die Verantwortlichen für Arbeitsschutz
– Individuelle Voraussetzungen wie Fähigkeiten,               sind gefragt, auch die Gestalter der Arbeits-
  Leistungsvermögen, Motivation beeinflussen die              systeme sowie die Nutzer selbst sollten so früh
  resultierende Arbeitsbeanspruchung.                         wie möglich in den Gestaltungsprozess einbe-
– Es gibt Unterschiede, die zwischen verschiedenen,           zogen werden.
  aber auch innerhalb einer Person auftreten.
– Durch die Entwicklung von Fertigkeiten, Fähig-
  keiten und Erwartungen verändern sich im Laufe
                                                                                                                                   2 Der Beschäftigte kann Auf-
  der Zeit z. B. die Umgebungsanforderungen,                                                                                         gaben in Abhängigkeit von
  Systemansprüche, Herausforderungen sowie die                                                                                       seinem gegenwärtigen Stand
                                                                                                                                     entweder dem technischen
  individuellen Voraussetzungen der Beschäftigten.                                                                                   System zuweisen oder selbst
  Der Gestalter kann diese Veränderungen z. B.                                                                                       übernehmen.

                                                                                                                                                                   25
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG   IM   BERUFSLEBEN

                              3.2 Spezielle Empfehlungen zur Vermei-                   Zur Gestaltung von Arbeitsumgebung und Arbeits-
                                  dung von psychischer Ermüdung und                  platz gibt es zahlreiche Broschüren der BAuA. Eine
                                  ermüdungsähnlichen Zuständen nach                  Aufstellung entsprechender Broschüren (Stichwort:
                                  DIN EN ISO 10075-2 (1b)                            Quartbroschüren) ist im Internet zu finden unter:
                              Arbeitsbedingungen sind weitgehend gestaltbar. Im      www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/
                              Folgenden werden                                       Broschueren.html
                              – in einer Übersicht (Tabelle 4) Einflüsse von
                                  Arbeitsbedingungen angeführt, die bei menschen-    Menschengerechte Gestaltungsmaßnahmen bewir-
                                  gerechter Gestaltung zur Vermeidung von Fehl-      ken, dass Fehlbeanspruchungen vermieden werden.
                                  beanspruchung beitragen,
                              – Erläuterungen zu den verursachenden Einflüssen
                                  der Fehlbeanspruchungen Ermüdung (Tabelle 5)
                                  und ermüdungsähnliche Zustände (Monotonie,
                                  herabgesetzte Wachsamkeit, Sättigung) sowie
                                  Empfehlungen, die zu erwünschten Veränderun-
                                  gen führen, gegeben.

                              Durch menschengerechte Gestaltung können die in
                              Tabelle 4 angeführten Einflüsse so gestaltet werden,
                              dass Fehlbeanspruchungen vermieden werden. Fast
                              alle Einflüsse, die zu Ermüdung führen, können in
                              Abhängigkeit von ihrer ungünstigen Gestaltung
                              auch ermüdungsähnliche Zustände wie Monotonie,
                              herabgesetzte Wachsamkeit oder psychische Sätti-
                              gung verursachen. Deshalb sind die verschiedenen
                              Einflüsse in der Übersicht Tabelle 4 zumeist sowohl
                              der Ermüdung als auch den ermüdungsähnlichen
                              Zuständen zugeordnet. Erklärungen zu den Begriffen
                              der Übersicht enthält Tabelle 5.

26
EMPFEHLUNGEN       UND   HINWEISE    ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE    BELASTUNG

  Element des                                                               Mögliche Fehlbeanspruchung
  Arbeitssystems
                               Psychische Ermüdung              Monotonie                             Herabgesetzte                   Psychische Sättigung
                                                                                                      Wachsamkeit

  Arbeitsaufgabe               Aufgabenerweiterung              Aufgabenbereicherung                  Aufgabenbereicherung            Aufgabenbereicherung
                               Dynamische Aufgaben-             Aufgabenerweiterung                   Aufgabenerweiterung             Aufgabenerweiterung
                               zuweisung
                               Inhaltliche Freiheitsgrade       Teiltätigkeiten                       Rückmeldung                     Wiederholungsgrad gleich-
                                                                                                                                      artiger Verrichtungen
                                                                Inhaltliche Freiheitsgrade            Aufmerksamkeitsbelastung        Qualifikationsnutzung
                                                                Komplexe Anforderungen                                                Denkanforderungen
  Arbeitsumgebung              Aspekte der physikalischen,      Aspekte der physikalischen,           Aspekte der physikalischen,     Aspekte der physikalischen,
                               chemischen und biologi-          chemischen und biologi-               chemischen und biologi-         chemischen und biologi-
                               schen Arbeitsumgebung            schen Arbeitsumgebung                 schen Arbeitsumgebung           schen Arbeitsumgebung
                               Bedingungen zur Wahrneh-         Bedingungen zur Wahrneh-              Bedingungen zur Wahrneh-        Bedingungen zur Wahrneh-
                               mung von Informationen           mung von Informationen                mung von Informationen          mung von Informationen
  Arbeitsorganisation/         Tätigkeitswechsel                Tätigkeitswechsel                     Tätigkeitswechsel               Tätigkeitswechsel
  Arbeitsablauf
                               Soziale Interaktion              Soziale Interaktion                   Soziale Interaktion             Rückmeldung
                               Bewegung                         Bewegung                              Bewegung                        Bewegung
                               Zeitliche Freiheitsgrade         Zeitliche Freiheitsgrade              Zeitliche Freiheitsgrade        Zeitliche Freiheitsgrade
  Arbeitsmittel                Fehlertoleranz                   Individuelle                          Unterscheidbarkeit              Individuelle Ausführungs-
                                                                Ausführungsweisen                     von Signalen                    weisen
                               Bedienungsstrategien             Unterscheidbarkeit                    Angemessene                     Angemessene
                                                                von Signalen                          Anzeigengestaltung              Anzeigengestaltung
                               Kompatibilität                                                         Fehlertoleranz                  Kompatibilität
                               Redundanz                        Redundanz                             Redundanz                       Redundanz
                               Unterscheidbarkeit                                                     Konsequenzen von Fehlern
                               von Signalen
  Arbeitsplatz                 Anordnung von                    Aufmerksamkeits-                      Anordnung von                   Anordnung von
                               Arbeitsmitteln                   belastung                             Arbeitsmitteln                  Arbeitsmitteln

Tab. 4
Einflüsse, die bei menschengerechter
Gestaltung zur Vermeidung von Fehl-
beanspruchung führen – Beispiele

                                                                                                                                                                    27
PSYCHISCHE BELASTUNG   UND   BEANSPRUCHUNG    IM   BERUFSLEBEN

                                  Ermüdungserscheinungen wie ›sich schläfrig         Welche Maßnahmen können der psychi-
                              fühlen‹, ›abgespannt sein‹, ›erschöpft sein‹,          schen Ermüdung entgegenwirken?
                              ›fahriges Reagieren‹ entstehen oft dann, wenn der
                              Beschäftigte überfordert ist (s. auch Kap. 3.1).      Hauptansatzpunkte zur Verminderung der Ermü-
                                                                                    dung bestehen darin,
                                  Welche Einflüsse führen zu psychischer            – die Intensität und Dauer der einwirkenden
                                  Ermüdung?                                           Einflüsse zu reduzieren bzw. zu optimieren,
                                                                                    – die Verteilung der Arbeitszeit durch Einführung
                              Zu psychischer Ermüdung führen Einflüsse wie:           von Ruhepausen, Kurzpausensystem o. a. zu
                              – Überfordern hinsichtlich Tempo oder Dauer der         verändern.
                                  Tätigkeit (Arbeitender kann Arbeitstempo nicht
                                  beeinflussen),                                    In Tabelle 5 werden Empfehlungen nach der DIN EN
                              – Anforderungen ohne Entscheidungsspielräume          ISO 10075-2 zur Vermeidung psychischer Ermüdung
                                  für das Verändern der Arbeitsweise (Arbeitender   gegeben. Diese Empfehlungen beziehen sich auf die
                                  kann Arbeitsweise nicht beeinflussen),            Gestaltung der Einflüsse aus Arbeitsaufgabe, Arbeits-
                              – Nichtvorhersehbarkeit rasch erforderlicher Hand-    mittel, Arbeitsumgebung, Arbeitsplatz, Arbeits-
                                  lungen mit dem Erfordernis von Daueraufmerk-      organisation.
                                  samkeit (z. B. Anlagenüberwachung),
                              – Überforderung durch die Kombination verschie-
                                  dener, einzeln für sich unkritischer Aufgaben
                                  (Arbeitender soll mehrere Aufgaben gleichzeitig
                                  erledigen),
                              – ständiger Zeitdruck ohne Ausweichmöglichkeit
                                  (z. B. Arbeit an Ladenkassen in Stoßzeiten),
                                  ständiger Verantwortungsdruck im Sinne der
                                  Verantwortlichkeit für Vorgänge, die so erlebt
                                  werden, dass sie vom Arbeitenden nicht oder                                   Tab. 5 (Seite 29 ff )
                                  wenig beeinflussbar sind (z. B. Therapeut im                                  Vermeidung psychischer
                                                                                                                Ermüdung – Empfehlungen
                                  Hinblick auf rückfälligen Patienten),
                                                                                                                zur Gestaltung von Arbeits-
                              – ständige Anforderungen mit Risiko für die eigene
                                                                                                                aufgabe (AA), Arbeitsmittel
                                  Gesundheit oder die anderer Menschen (z. B.                                   (AM), Arbeitsorganisation
                                  Straßenbahnfahrer),                                                           bzw. Arbeitsablauf (AO),
                              – Anforderungen, die ständig Emotionen einschlie-                                 Arbeitsumgebung (AU),
                                  ßen (z. B. Tätigkeiten im Pflegebereich),                                     Arbeitsplatz (AP)
                              – Anforderungen aus dem normalen Arbeitstag.

28
EMPFEHLUNGEN       UND   HINWEISE   ZUR   G E S TA LT U N G   VON   ARBEIT   IM   HINBLICK   AUF PSYCHISCHE   BELASTUNG

Gestaltbarer Einfluss          Empfehlung /Hinweis                                                                                     AA AM AO AU AP
Abhängigkeit von der Auf-     Abhängigkeit von der Aufgabenerfüllung anderer sollte vermieden werden. Das kann zum                    X
gabenerfüllung anderer        Beispiel geschehen durch die Entkopplung der Aufgabenerfüllung mithilfe von Puffern und
                              die dadurch zunehmende Autonomie.
›Ambiente‹                    Ordnung und Sauberkeit, intakte Arbeitsmittel, persönliche Gegenstände am Arbeitsplatz.                                 X
Absolut- oder Relativurteil   – Einfacher auszuführen sind Relativurteile, da sie verlangen, Entscheidungen in Bezug auf                  X
                                einen gleichzeitig gegebenen Vergleichsstandard durchzuführen. Anzeigen erlauben z. B.
                                die Präsentation von Vergleichsstandards.
                              – Absoluturteile erfordern Vergleichsstandards, die das Gedächtnis behalten muss.
                                Ein Beispiel hierzu ist das Ablesen des Barometers. Liest man nur den Absolutwert ab, so
                                muss man sich beim nächsten Ablesen an den vorherigen Wert erinnern und darauf auf-
                                bauend einen Vergleich mit ›gestiegen‹ oder ›gefallen‹ durchführen. Stellt man mit einem
                                Schleppzeiger den aktuellen Wert ein, dann sieht man beim nächsten Ablesen sofort, ob der
                                Luftdruck gestiegen oder gefallen ist (Beurteilung relativ an der Schleppzeigerposition).
Angemessene                   Technische Hilfsmittel mit zweckdienlicher Auflösung (z. B. große Schrift) bei der Darstellung              X
Anzeigengestaltung            der Information können die erhöhte psychische Belastung durch Anforderungen an eine
                              extrem hohe Genauigkeit auf ein angemessenes Niveau reduzieren.
Angemessenheit der            Die Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, sollten zur Verfügung              X
Informationen                 gestellt werden. Sowohl fehlende als auch überflüssige Informationen wirken sich ungünstig
                              aus.
Anordnung von                 Die ungünstige Anordnung von Arbeitsmitteln (z. B. Vorrichtungen, Teilebehälter, Monitor,                                   X
Arbeitsmitteln                Beleghalter, Telefon) erfordert eine erhöhte Konzentration. Arbeitsmittel sollten entsprechend
                              der Reihenfolge der Bearbeitung von Arbeitsaufgaben angeordnet sein.
Arbeitstisch/-stuhl           Den Arbeitsplatz nach ergonomischen Gesichtspunkten gestalten.                                                              X
Arbeitsunterbrechungen        – Arbeitsunterbrechungen können der Erholung von Ermüdung dienen.                                                   X
und Erholungspausen           – Günstiger sind Pausen, da sie der Ermüdung vorbeugen. So ist es z. B. besser, häufiger eine
                                kurze Pause einzulegen als selten eine lange.
                              – Bei Nachtarbeit sollten kürzere Arbeitsabschnitte zwischen den Pausen liegen als bei Tag-
                                arbeit.
Aspekte der physikalischen,   Optimale Bedingungen zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen schaffen,                                       X
chemischen und biologi-       z. B. geeignete Beleuchtungsverhältnisse, Lärmschutz, Farbgebung, Gerüche, Klima (Tempe-
schen Arbeitsumgebung         ratur, Luftfeuchtigkeit, Luftbewegung), Luftqualität.
Aufgabenerweiterung           Mehrere strukturell gleichartige, miteinander in Beziehung stehende Teilaufgaben zu einer               X
(job enlargement)             größeren Arbeitsaufgabe zusammenfassen. Dadurch wird der Tätigkeitsspielraum des
                              Menschen vergrößert.
Aufmerksamkeitsbelastung      Nicht zu viel und nicht zu wenig Sinnesreize sollten auf den Beschäftigten einwirken.                       X
Einwirkung von Sinnes-
reizen oder Erlebnissen auf
den Menschen, die von ihm
bewusst oder unbewusst
wahrgenommen werden.

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