Das Beispiel Brasilien - Vorbild oder Irrweg? - Ernährung, Energie, Klimawandel U3L, Wintersemester 2008/09 Ulrich H. Leistner
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Das Beispiel Brasilien – Vorbild oder Irrweg? Ernährung, Energie, Klimawandel U3L, Wintersemester 2008/09 Ulrich H. Leistner
Einleitende Bemerkungen • Dieser Vortrag beschreibt die brasilianische Energiepolitik mit besonderem Fokus auf zuckerrohrbasiertem Ethanol (Biotreibstoff). Eine umfassende Vorteilhaftigkeitsbewertung von Biotreibstoffen über das brasilianische Modell hinaus unterbleibt mit Rücksicht auf das separate Seminarthema „Bio-/Ökotreibstoffe“. • Dieser Vortrag unterzieht den brasilianischen Weg einer kritischen Würdigung nach ökonomischen, ernährungswirtschaftlichen und Umweltverträglichkeits-Gesichtspunkten. Soziale Fragen werden nur am Rande beleuchtet. 2
Der Brasilianische Weg 1)(I)…. • Ca. 1530 führen Portugiesen erstmals Zuckerrohr nach Brasilien ein (von Indien). Zuckerrohr wird die entscheidende Basis für den „brasilianischen Weg“. • In der Folge Entwicklung einer hoch spezialisierten Landwirtschaft mit ab dem 17.Jh. hohen Exporterlösen. • Entstehung von Brennereien, um Abfallstoffe der Zuckerproduktion (Melasse) zu Alkohol zu destillieren. • Ab 1920 Versuche zu Nutzung von Alkohol als Kraftstoff für Verbrennungsmotoren • An 1931 erstmals Verpflichtung zur 5%-igen Beimischung von Alkohol zu Benzin; Motivation: 1. Reduktion des Importbedarfs von Benzin 2. Stützung der Zuckerwirtschaft (Absatz von Zucker im Zuge der Weltwirtschaftkrise eingebrochen) • 1933 Gründung des „Institut für Zucker und Alkohol“; Aufgabe: • Steuerung der Alkoholbeimischung (bis 15% in WW II) als Regulativ für Produktions- und Nachfrageschwankungen bei Zucker. 1) Vergl. Hennemann, S. 67 ff 3
Der Brasilianische Weg (II)…. • In den 50er und 60er Jahren wg. starkem Wirtschaftsaufschwung, hoher Weltmarktnachfrage nach Zucker und niedrigerer Ölpreise praktisch keine Alkoholbeimischung. • Je nach Marktsituation Alkoholbeimischung 6% (1967), 0,3% (1969) und 3,5% (Anf. 70er Jahre) • 1973 1. Ölpreiskrise (Preisanstieg von < USD 3 auf > USD 10/b in 1975) • In kürzester Zeit Verzehnfachung des brasilianischen Handelsbilanz- defizits, Halbierung der Devisenreserven1) • 80%ige Rohöl-Importabhängigkeit (1973) steigt bis 1979 auf 86%1). • 1975 Start des PROALCOOL-Programms 1) Vergl. Thiesen, S. 20 ff 4
Der Brasilianische Weg (III)…. • Ziele des PROALCOOL-Programms – Quantitativ • 1. Stufe: Ziel 1975-79/80 Produktion von 3-5 Mrd. Ltr. Alkohol, entsprechend einer ca. 20%en Beimischung zum Benzin (max. 25% ohne technische Modifikation der damals vorhandenen Motoren möglich) • 2. Stufe: bis 1985 Steigerung der Alkohol-Produktion auf 10,7 Mrd. Ltr. (parallel Anreize zur Entwicklung von Rein-Ethanol-Motoren) • 3. Stufe: Zielsetzung, bis 1993 19,7 Mrd. Ltr. Produktionsvolumen zu erreichen – Strategisch (Auswahl) • Stabilisierung des Zuckerabsatzes • Deviseneinsparung • Erdölsubstitution • Umweltpolitische Argumente spielten damals keine Rolle! 5
Der Brasilianische Weg (IV)…. • Seit PROALCOOL-Beginn wurde die Anzahl der rein benzinbetriebenen Fahrzeuge um 10 Mio. reduziert. (positiver Einfluss auf Öl-Importe) • Mitte der 80er Jahre wurden 3/4 aller in Brasilien produzierten Automobile mit Rein-Ethanolmotoren ausgestattet. Siehe Grafik: Entwicklung der Automobilproduktion • Wirtschaftliches Scheitern der Rein-Ethanol-Motoren in der Phase sehr niedriger Ölpreise Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre. Siehe Grafik: Ölpreisentwicklung …. • 2003 Markteinführung von Flex-Fuel-Automotoren, die jede beliebige Mischung von erdölbasiertem Benzin oder Bio-Ethanol nutzen können. • Aktueller Anteil der Flex-Fuel-Motoren > 70% Siehe Grafik: Entwicklung der Automobilproduktion 6
Ölpreisentwicklung …. Zurück zu: Der Brasilianische Weg(IV)…. $30 $ 40/b sind lt. Thiesen der Break- Even-Preis für die Wettbewerbs- fähigkeit der bras. Ethanolwirtschaft, die selbst $ 30/b nennt. Vergl. http://www.wtrg.com/prices.htm 7
Entwicklung der Automobilproduktion zurück zu:Der Brasilianische Weg (V)…. Ethanol Car Manufacturing in Brazil 1979-2007 (Selected years) Total Cars Alcohol E100 Flex fuel Cars % Ethanol Year Manufactured Manufactured Manufactured Cars Including exports 1979 3,328 - 912,018 0.4 1980 239,251 - 933,152 25.6 1986 619,854 - 815,152 76.0 1990 71,523 - 663,084 10.8 1998 1,188 - 1,254,016 0.1 2000 9,428 - 1,361,361 0.7 2002 48,022 - 1,521,431 3.2 2003 31.728 39.853 1,361,361 4.8 2004 49.796 282.706 1,862,780 17,8 2005 43.278 776.164 2,011,817 40.7 2006 758 1.249.062 2.092,003 59.7 2007 3 1,716,716 2,388,402 71.9 Source: Brazilian Automakers Association (ANFAVEA), 2007 and 2008. Data shown for FFs does not included light commercial vehicles. (übernommen aus Wikipedia, Ethanol fuel in Brazil, 10.11.08) 8
Der Brasilianische Weg (V)…. • PROALCOOL führt zu einer erheblichen Ausweitung der bras. Zuckerproduktion. 2006 produziert Brasilien 16,3 Mrd. Ltr. (4,3 Mrd. Gallons) Ethanol auf Zuckerrohrbasis • Dies entspricht 33% (1961: 13%) der Weltethanol-Produktion. Siehe Grafik: Ethanol Produktion …. • Ca. 55% der Zuckerrohrernte (Schätzung 2008) dient der Ethanolproduktion (44% Zucker, 1% Alkoholische Getränke) • 1975 – 2007 Verdreifachung der Zuckerrohr-Anbaufläche. Bis 2016 Expansion auf ca. 7 Mio. Hektar erwartet (bras. Landwirtschaftsministerium) Siehe Grafik: Flächenverbrauch …. • Gleichzeitig Verdreifachung der Flächenproduktivität Siehe Grafik: Ethanol-Flächenproduktivität 9
Ethanol Produktion (1)…. Weiter zu Ethanol Produktion (2) …. 1 US-Gallon = 3,785 Ltr Vergl. Thiesen, S. 20 ff 10
Ethanol Produktion (2) …. Zurück zu: Der Brasilianische Weg (VI)…. Vergl. Thiesen, S. 20 ff 11
Flächenverbrauch …. Zurück zu: Der Brasilianische Weg(V)…. 7.000 2016 (e) Vergl. Thiesen, S. 20 ff 12
Ethanol-Flächenproduktivität zurück zu: Der Brasilianische Weg(VI)…. 13 Goldemberg 2008 übernommen aus Wikipedia, Ethanol fuel in Brazil, 10.11.08
Der Brasilianische Weg (VI)…. • 87% der bras. Ethanolproduktion wird im eigenen Land verbraucht. Siehe Grafik: Ethanol Produktion (2) …. • In 2004 Erweiterung um soya-basierte Biodiesel-Initiative (zunächst 2% Beimischung, ab 2013 5%). • Trotz hoher wirtschaftlicher Effizienz der Ethanolproduktion Exportbehinderung durch v.a. agrarwirtschaftlich motivierte Einfuhrzölle (USA/EU) • Nur die USA produzieren mehr Ethanol, jedoch auf Mais-Basis und damit weit weniger effizient. Siehe Grafik: Ethanolproduktion Brasilien vs. USA 14
Ethanolproduktion Brasilien vs. USA weiter zu: Zitate zur ökonomische Bewertung im Zeitverlauf…. Comparison of key characteristics between the ethanol industries in the United States and Brazil 15 übernommen aus Wikipedia, Ethanol fuel in Brazil, 10.11.08
Netto-Treibhausgaseffekte von Biokraftstoffen…. Weiter zu Pay-Back-Perioden für Landverbräuche…. … Zuckerrohr ist treibhausgas-effizient 1) Vergl. xxxxxx 16
Pay-Back-Perioden für Landverbräuche…. Zurück zu: Aktuelle klimapolitische Bewertung …. Erläuterung Zusätzliche Landverbräuche für „Estimation of the emissions die bras. Zuckerrohr-Ethanol- from direct land-use change wirtschaft erscheinen vergleichs- (carbon debt) compared to the weise vertretbar. Allerdings lässt annual emissions saved das 450 ppm-Szenario nur Pay- through using the resultant Back-Perioden von 10-15 Jahren biofuel; number of years of biofuel production required to zu.(siehe Oxfam, S.8) ‘pay back’ the initial ‘carbon debt’. The results reflect the ratio between the carbon stocks of the land in question, and the GHG savings offered by the biofuel.“ 17
Biodieselnachfrage …. Weiter zu: Pay-Back-Perioden für Landverbräuche (Soya)…. Vergl. Thiesen, S. 20 ff 18
Pay-Back-Perioden für Landverbräuche …. (Soya) Weiter zu: PROALCOOL: Technologische Bewertung …. Die Bio-Diesel- Produktion aus Soya ist klimapolitisch ineffizient! 19
Ökonomische Bewertung im Zeitverlauf …. 2000 „Leider war die Erdölkrise nur ein Rechenfehler. Rohöl war auf der Welt gar nicht knapp und auch in seiner Gewinnung niemals teuer. Schon 1985 sank sein Preis wieder auf ein niedriges Niveau, das seither in etwa eingehalten wurde und sich noch auf geraume Zeit wird halten lassen. ….Schölzel spricht zu Recht von einer Sackgasse“ (vgl. Schölzel/Ritter, 2000) 2002 „From the economic perspective, the success of Proalcool is questionable. Oil prices, once expected only to rise, fell tremendously in most of the 1990s, making Proalcool continuously dependent on government subsidies. As oil prices increase again, since the end of the 1990s, alcohol can even become more price competitive than oil.“ (vgl. Oliveira, 2002) 2008 „Während der Ölpreis seit 2002 gerechnet in US-Dollar um 200 % und in Real immer noch um 150 % zugelegt hat, ist der Preis für Ethanol in Real trotz der hohen Nachfrage sehr stabil. …. Ab einem Ölpreis von ca. 40 USD ist die Produktion von Ethanol in Brasilien wirtschaftlich sinnvoll. Aufgrund der langen Förderung und der Kostenvorteile war das Land in der Vergangenheit über Jahrzehnte der größte Produzent von Ethanol weltweit…“ (vgl. Thiesen, 2008) 2008 „In the last 8 years, ethanol is estimated to have saved Brazil USD 61 bln. in avoided oil imports – the total amount of the Brazilian external public debt.“ (Oxfam, S. 26) 20
Klimapolitische Bewertung …. • Das brasilianische, zuckerrohrbasierte Modell steht für die aktuell bestverfügbare Treibhausgaseffizienz. Seit Einführung von PROALCOOL wurde die Produktivität der bras. Ethanolwirtschaft durch technischen und biologischen Fortschritt deutlich erhöht. Zusammen mit den unverzichtbaren, idealen klimatischen Bedingungen für den Zuckerrohranbau wird eine 90%ige THG-Reduktion erreicht. Weiter zu: Netto-Treibhausgaseffekte von Biokraftstoffen…. • Unterstellt, der Abbau von Importzöllen würde die Exportmärkte die bras. Ethanol weiter öffnen, besteht die Gefahr einer massiven Ausweitung der Zuckerrohran- bauflächen. Zwar verfügt Brasilien über genügend Reserven (z.B. Verringerung der zur Viehzucht genutzten Flächen, Nutzung von brachliegenden Steppen), so dass dem Amazonas-Gebiet (dass sich für Zuckerrohranbau ohnehin nicht eignet) keine unmittelbare Bedrohung erwächst. Allerdings können Verdrängungswettbewerbe nicht völlig und nur mit entsprechendem politischen Willen ausgeschlossen werden. • Die Nutzung von Soya als Energieträger (Biodiesel) ist dagegen klima- und ernährungspolitisch sehr kritisch zu sehen. Weiter zu: Biodieselnachfrage …. 1) Vergl. xxxxxx 21
Technologische Bewertung …. • Brasilien ist heute weltweiter Technologieführer bei der Energiegewinnung aus Zuckerrohr und exportiert diese Technologie in Länder mit vergleichbar vorteilhaften Anbaubedingungen für Zuckerrohr (u.a. das südliche Afrika). • Die Entwicklung von hocheffizienten ethanolbetriebenen Verbrennungsmotoren und die Flex- Fuel-Technologie ist durch PROALCOOL angestoßen und maßgeblich gefördert worden. • Bagasse, das zellstoffreiche „Abfallprodukt“ der Zucker- und Ethanolproduktion wird zur Elektrizitätsgewinnung eingesetzt und erhöht so den Wirkungsgrad enorm. 22
Ernährungspolitisches Konfliktpotential …. • Die Produktion von zuckerrohrbasiertem Bio-Treibstoff steht in keiner nennenswerten Konkurrenz zur Produktion von Zucker als Nahrungsmittel. • Preistreibende Effekte auf andere Nahrungsmittel sind nicht erkennbar. • Die durch das neue Sojadiesel-Programm Brasiliens geschaffene Soja-Nachfrage steht dagegen in direkter Konkurrenz zur Funktion von Soja u.a. als Mastfutter in der Fleischproduktion. 23
Fazit …. • Der Brasilianische Weg ist kaum auf andere Länder übertragbar und hat damit nur sehr bedingt Vorbildcharakter. • Für Brasilien selbst dürfte die intensive Ethanolwirtschaft auf Zuckerrohrbasis auch langfristig vorteilhaftig sein. 24
Literaturhinweise • Christian Schötzel, Brasiliens Reaktion auf die Erdölpreisschocks – ein Sonderweg in eine Sackgasse? • Dominik Thiesen, Brasilien: die neue Energiemacht (in ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH, Wirtschaft & Märkte, 2/2008) • Heribert Hennemann, Energiepolitik und regenerative Energien am Beispiel des brasilianischen PROALCOOL-Programms • OECD 2008, OECD-Umweltausblick bis 2030 • J.A. Puppim de Oliveira, The policymaking process for creating competitive assets for the use of biomass energy: the Brazilian alcohol programme • OECD 2008, Biofuel Support Policies: An Economic Assessment • Nicholas Stern: The Economics of Climate Change • Freiburger Initiative „Energie-Hunger NEIN Danke!“, Eine aufgeheizte Atmosphäre; Konfliktherd Agrartreibstoffe“ • Richard Doornbosch and Ronald Steenblik, BIOFUELS: IS THE CURE WORSE THAN THE DISEASE? • Ethanol fuel in Brazil, Wikipedia, Vers. 10.11.08 • Another Inconvenient Truth: How biofuel policies are deepening poverty and accelerating climate change, Oxfam Briefing Paper 114, Juni 2008 25
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