Das Rumpelstilzchen der Seele
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Das Rumpelstilzchen
der Seele
Ängste sind Dämoninnen in unserem Inneren. Die Berge sind dabei auch ein Ort, um
diese zu besänftigen – oder sie erst richtig in Rage zu versetzen. Manchmal reicht
dazu so etwas Banales wie ein Smartphone.
Von Margarete Moulin
84 / bergundsteigen #115 / sommer 21Michael Pause geleiteten Zeitschrift „Berge“. Bei Angst in den Bergen begegnet die Autorin einer Person in sich selbst, die sie nur bedingt gut leiden kann.
Margarete Moulin ist freie Journalistin und lebt südlich von München. Sie schreibt unter anderem für die „Zeit“ und die „taz“ und war Redakteurin bei der von
„Der stärkste
a
Angst ist eine der erfolgreichsten Das Seelen-Ich sagt: „Hier läuft was falsch!
Produkte der Evolution. Ohne sie Hier passt mir was gar nicht!“ Oft signalisiert
hätte es der Mensch nicht weit ge-
bracht. Aber stopp. Wieso beginnt eigentlich
uns der Körper weise, was der Intellekt nicht
wahrhaben will. Er meldet sich mit Herzklop-
Antagonist der
fast jeder journalistische Text zur Angst mit
der Verteidigung ihrer Existenz? Mit der Be-
fen, knetenden Händen, Übelkeitsgefühlen,
Schwindel. Wenn ihn Panik lähmt, unverfüg-
Angst ist vermut-
teuerung, dass sie ja eigentlich was „ganz,
ganz Wichtiges“ sei, dessen wir uns nicht zu
bar macht, lautet seine Botschaft: „Out of
order. Ich mach nicht mehr mit!“
lich das Ver-
schämen brauchen? Dabei wissen wir doch
schon aus dem Alltag: Wer keine Angst
Der Angst ist es übrigens völlig egal, wie wir
sie befinden. Sie ist Teil unseres Lebens – trauen. Gerade
kennt, lebt nicht lange. Doch der Wahrheit so oder so – und wir müssen mit ihr zu-
eine Gasse: Was wir meist nur bereit sind zu rande kommen. Manchmal nähert man sich am Berg suchen
akzeptieren, ist die Furcht, also die gerich- einem Phänomen leichter an, wenn man
tete Angst. Sie ist die gesunde Reaktion auf sein Gegenteil kennt. Was ist denn eigent- wir dieses Ge-
eine konkrete Gefahr, zum Beispiel die, lich der Gegenwert von Angst? Mut, werden
irgendwo herunterzufallen. Schwieriger zu viele spontan sagen. Aber nein, das stimmt gensatzpaar.”
akzeptieren ist für uns, wenn die Angst so nicht. Zwar sind Angst und Mut zwei aufein-
flottierend daherkommt, als nagendes ander bezogene Größen. Doch kann man
Gefühl, als Verunsicherung, als kreisende sehr wohl ängstlich und mutig zugleich sein.
Gedanken. Und am allerwenigsten mögen
wir uns eingestehen, wenn wir ängstlicher Dann ist das Tapferkeit, die Geschwister-
als andere sind. Sind also diese journalisti- tugend des Mutes. Wer mit klopfendem
schen Versuche, Angst als etwas Positives Herzen jemandem seine Liebe gesteht, wer
darzustellen, sie auf Augenhöhe mit ande- sich traut, vor vielen Menschen zu sprechen,
ren Emotionen zu heben, nicht gerade der obwohl ihn Lampenfieber ergreift, wer
Beweis dafür, wie wenig wir sie mögen? sich traut, trotz Höhenangst im Vorstieg zu
klettern – der also erlebt Furcht und Mut
Angst empfinden wir als Störenfried, der zugleich. Jedenfalls kann man lange herum-
uns am „richtigen“ Leben hindert. Gern suchen, ein richtiges Gegenteil von Angst
versuchen wir sie wegzudrücken, vor allem, gibt es nicht. Bei anderen starken Gefühlen
wenn sie so ungreifbar daherkommt. Das sind die Gegensatzpaare offensichtlicher,
funktioniert ungefähr so gut, als tunke wie: Triumphgefühl versus Niedergeschla-
man mit dem Löffel die Fettaugen auf einer genheit. Oder: Freude versus Kummer. Die
Suppe unter. Die Angst bleibt, bis wir ihr Angst scheint sich vielmehr bei etlichen
endlich zuhören. Denn sie will uns etwas positiv wie negativ empfundenen Emotio-
sagen, egal ob sie als Nervosität in der nen unterzuhaken oder gar ihr heimliches
Magengrube rumort oder wie eine Dämonin Betriebssystem zu sein. Sie kann unter einer
als Panikattacke hereinbricht. Angst, so mutigen Tat genauso wirken wie hinter
könnte man sagen, ist Meuterei der Seele. einem neidischen Blick.
| angst
85a
Der stärkste Antagonist der Angst ist ver-
mutlich das Vertrauen. Gerade am Berg su-
chen wir dieses Gegensatzpaar. Wir lieben Angst vor der Stille
dieses Gefühl, uns in der wilden Natur auf
andere, aber auch auf unsere eigenen Stär- In den Bergen begegnet man immer häufi-
ken verlassen zu können. Im „normalen“ ger einer besonderen Angst: der Angst vor
Leben minimieren wir stets Risiko und ma- Stille. Angekommen auf dem Gipfel kramt
ximieren Sicherheit. Wir machen uns „wett- der Bergsteiger sein Handy hervor, um an-
bewerbsfähig“, aber schließen jede Menge deren zu sagen, dass er oben ist. Mit sei-
Versicherungen ab, „verdienen“ unseren nem akustischen Müll zerstört er die
Lebensunterhalt. Aber oft fühlen wir uns Andacht, die Stille am Berg. Er hält es nicht
dabei nicht lebendig, sondern eingekastelt. aus, sich da oben selbst zu begegnen. Je ge-
Auf einer tiefen Ebene wollen wir etwas an- ringer die Fähigkeit, sich mit sich und den
deres: frei sein. Leben. Das Leben berühren eigenen Gefühlen zu befassen, desto größer
mit all seinen Sinnen. Bergsteiger suchen die Anfälligkeit dafür, sich Bestätigung im
das in den Bergen. Natürlich gerade deswe- Außen zu holen. Dann muss geschwätzig te-
gen, weil es da Gefahren zu „managen“ gibt. lefoniert werden. Dann müssen Insta-Bilder
Und ist es nicht ein wenig legitim? verschickt werden. Einfach „nur da“ zu sein,
ganz ohne Echo – kommt offenbar einem
Warum nicht weglaufen vorm Tal, in dem die angstauslösenden „Nichtsein“ gleich. Natür-
langweilige Steuererklärung wartet und die lich, wir alle brauchen Bestätigung von
Pflichterfüllung? Wo wir Lebenszeit vernich- außen. Wir sehnen uns nach Anerkennung,
ten mit Bildschirmarbeit, während draußen Ansehen und Zuwendung. Nur – wo beginnt
der herrlichste Tag verstreicht? Warum nicht die Abhängigkeit von anderen, mich selbst
flüchten dahin, wo unten und oben klar er- positiv zu finden? Muss ich mich meiner
kennbar sind, wohingegen die „normale“ selbst vergewissern, indem ich erfolgs-
Welt ein kraftraubendes Gespinst aus Wider- getränkte Bilder vom Berggipfel verschicke?
sprüchlichkeit und Ambiguitäten ist? Und ist
die normale Welt etwa nicht furchteinflö- All den Selfies ist eines gemein: Sie sind voll
ßend, mit all ihren kollektiven Ängsten und plakativer Lebensfreude, und gerne auch
globalen Problemen, die den Einzelnen noch einer Prise Heldentum. Diese Bilder
überwältigen: Corona. Erderwärmung. Öko- stressen. „Schau her, ich krieg mein Leben
nomische Krise. Nicht auszuhalten. In den hin. Und du?“, lautet im Kern nämlich ihre
Bergen schöpfen wir Kraft, indem wir uns Botschaft. Sie erhöhen den Erfolgsdruck,
individuellen, klar umrissenen Herausforde- das Freizeit- und Frohsinnsniveau der ande-
rungen stellen: Kann ich diesen Hang fah- ren zu schaffen. Glücklich-Sein und vor
ren? Hält das Wetter noch? Schaffe ich die allem Glücklich-Wirken – das sind Werte,
Höhenmeter? In der selbstgewählten Begeg- die unsere öffentliche Wahrnehmung be-
nung mit den Kräften der Natur schaffen wir stimmen. Angsthaben, Trübsal, Scheitern,
uns Selbstwert und Selbstvertrauen, das wir Aufgeben sollen bitte unsichtbar bleiben. In
zurück ins Tal nehmen. Und im besten Falle den sozialen Medien, die natürlich auch von
dort einbringen. Bergsteigern fleißig genutzt werden, regiert
86diese Logik unbarmherzig. Die Tyrannei des Traurigkeit? Groll? Es ist bemerkenswert,
positiven Denkens nennen das die Soziologin dass zu den Sieben Todsünden nicht die
Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas, Angst, aber die Feigheit gehört. Sie ist Teil
die beiden Autoren des Buches „Das Glücks- der acedia, der Trägheit. Zu ihr zählt auch
diktat“. Darin belegen sie, wie es der Pseudo- die Flucht vor der Auseinandersetzung mit
Wissenschaft der „Positiven Psychologie“ sich selbst. Vielleicht kann man daher
gelungen ist, Angst, Wut und Niedergeschla- sagen: Mutige Menschen kennen ihre Angst.
genheit in unserer Gesellschaft zu Störfakto-
ren zu degradieren. Deren nutzlosen Die Berge halten für alle Ängste etwas
„Negativität“ kommt man bei, so die Positiv- parat. Ihre Wände, Grate, Almen und Steige
Ideologie, indem man sich möglichst selbst- bilden Räume, in denen jeder Seelenzu-
bezogen auf die Suche nach dem „best stand ein Echo finden kann. Die absolute
possible self“ macht. Illouz und Cabanas Leistung – die Schwere oder Länge einer
zeigen auf, dass aber das wachsende Ange- Tour – steht nicht automatisch in Relation
bot an Glückfindungs-Seminaren, Happify- zum aufgebrachten Mut. Ob jemand mutig
Apps und Achtsamkeits-Kursen den sehr ist, hängt auch nicht davon ab, ob er an
hohen Raten an Angsterkrankungen und seinem Anspruch gescheitert ist. Sondern
Depressionen in unserer Gesellschaft keines- ob er ihn gewagt hat. Die Berge können für
falls entgegenwirkt. Im Gegenteil, die obses- jeden ein Brunnen sein, aus dem er Zuver-
sive Selbsterforschung und Selbstdarstellung sicht, Lebensfreude und Vertrauen schöpft.
scheint unter Menschen vor allem das Gefühl Was ein echtes Wagnis ist, kann jeder nur
hervorzurufen, eben noch nicht „glücklich für sich selbst bestimmen. Die Angst sagt
genug“ oder noch nicht wirklich „man selbst“ es ihm schon.
zu sein. Sich aber als defizitär zu erleben, löst
tiefe Ängste aus. Jeder dürfte den leisen Frust Illustrationen: Lisa Manneh ■
schon empfunden haben, wenn er wieder mal
ungebeten mit einer Serie „glücklicher“ Fotos
überschwemmt worden ist. Die Kunst wäre
nun, sich zu fragen: Warum genau fühle ich
mich jetzt beklommen?
Bedrohungen verlieren einen Teil ihres
Schreckens, wenn wir sie benennen. Ganz
so, wie das Rumpelstilzchen im Grimm‘schen
Märchen seine Macht über die junge Königin
verliert, als diese seinen Namen ausspricht.
Hierin liegt eine Botschaft dieser Geschichte:
Gib der Angst ihren Namen. Im Alltag, im
Nicht-Märchen, beginnt die richtige Arbeit
für uns erst dann. Dann poppen Fragen auf:
Wie heißt denn mein inneres Rumpelstilz-
chen? Heißt es vielleicht Kränkung? Heißt es
| angst
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