Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte - Wie kommen wir weltweit zu ökologisch und sozial nachhaltigen Lieferketten? ...

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Oktober 2020

                                     Das UN-Abkommen für
                             Wirtschaft und Menschenrechte
                                       Wie kommen wir weltweit zu ökologisch und
                                                 sozial nachhaltigen Lieferketten?
                     Bericht über das digitale Fachgespräch vom 20. Oktober 2020

               In Deutschland wird gerade über die Ausgestaltung eines   ten UN Treaty, statt. Dort wird der zweite überarbeitete
               Lieferkettengesetzes verhandelt, in der Europäischen      Abkommensentwurf für den UN-Treaty, der seit August
               Union hat Justizkommissar Didier Reynders eine Gesetze-   2020 vorliegt, von einer zwischenstaatlichen Arbeits-
               sinitiative zur Regulierung menschenrechts- und umwelt-   gruppe diskutiert werden. Aus diesem Anlass haben Glo-
               bezogener Sorgfaltspflichten von Unternehmen in ihren     bal Policy Forum, BUND, Brot für die Welt und MISEREOR
               Lieferketten für das kommende Jahr angekündigt. Vom       Rechtswissenschaftler*innen und Politikvertreter*innen
               26. bis 30. Oktober 2020 findet im Menschenrechtsrat      am 20. Oktober 2020 zu einem digitalen Fachgespräch
               der Vereinten Nationen (UN) in Genf die sechste Ver-      eingeladen, um den zweiten überarbeiteten Entwurf des
               handlungsrunde zu einem völkerrechtlichen Abkommen        Abkommens zu kommentieren.
               für Wirtschaft und Menschenrechte, dem sogenann-

               „Das Abkommen wird momentan vorwiegend                    tischen Einschätzung zum aktuellen Entwurf des
               von den Ländern des globalen Südens getragen.             UN-Abkommens für Wirtschaft und Menschen-
               Industrienationen wie die USA, Kanada und die             rechte („Second Revised Draft“). „Auf Grundla-
               EU-Mitgliedsstaaten inklusive Deutschland stan-           ge dieses Second Revised Draft können Verhand-
               den dem Prozess von Beginn an skeptisch bis ableh-        lungen geführt werden“, sagte Krajewski. Völker-
               nend gegenüber“, sagte Karolin Seitz vom ­Global          rechtlich böte dieser eine klare Grundlage. Die
               Policy Forum in ihrer Begrüßung. Im Fachge-               Frage, ob Unternehmen Menschenrechte verletzen
               spräch sollte außerdem erörtert werden, in welcher        können, beantworte der Text klug mit dem Begriff
               Weise der UN Treaty zum Umweltschutz beitra-              „Human Rights Abuse“, also dem Missbrauch von
               gen kann. „Von der Katastrophe in Bhopal 1984 bis         Menschenrechten, in Artikel 1 Absatz 2. Dass der
               zum Dammbruch der Eisenerzmine Brumadinho                 Text, wie auch die UN-Leitprinzipien für Wirt-
               in Brasilien 2019 haben diese Ereignisse gezeigt,         schaft und Menschenrechte, für alle Wirtschafts­
               dass Menschenrechtsverletzungen durch Unterneh-           unternehmen gelte, sei ein Zugeständnis an die po-
               men meist eng verknüpft sind mit Schäden an der           litische Forderung der Europäischen Union. Arti-
               Umwelt“, so Seitz.                                        kel 3 Absatz 2 ermögliche, kleinteiliger zu regeln,
                                                                         wenn es um kleine und mittlere Unternehmen
                                                                         gehe. Das normative Programm, vor dessen Hin-
               Rechtliche Fachdiskussion                                 tergrund die Aktivitäten von Wirtschaftsunterneh-
                                                                         men geprüft werden, seien alle international aner-
               Prof. Dr. Markus Krajewski, Inhaber des Lehr-             kannten Menschenrechte. Auf dieser Grundlage –
               stuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an          etwa dem Recht auf gesunde Umwelt – könnten
               der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-             auch Umweltfragen menschenrechtlich verhandelt
               Nürnberg eröffnete die Konferenz mit einer juris-         werden.
2   Oktober 2020                                          Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    Krajewski hob als zentrale materielle Vorschrift       Prof. Dr. Anne Peters, Direktorin am
    Artikel 6 zur Prävention hervor. In Anlehnung          Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches
    an die UN-Leitprinzipien sei darin eine konkrete       Recht und Völkerrecht in Heidelberg, kommen-
    Verpflichtung der Staaten zur Regulierung dieser       tierte das Zusammenspiel verschiedener Haftungs-
    unternehmerischen Verantwortung formuliert. Ar-        formen zur Durchsetzung von Menschenrechten
    tikel 6 Absatz 3 greife auf, dass neben einer men-     gegenüber Unternehmen. Die Umsetzung des Ab-
    schenrechtlichen auch eine umweltbezogene Fol-         kommens in nationales Recht könne im Zivilrecht
    genabschätzung vorgesehen sei. Diese Regelungs-        passieren, im Strafrecht oder in einem besonderen
    technik folge aus den UN-Leitprinzipien.               Gesetz wie dem Lieferkettengesetz, sagte Anne Pe-
                                                           ters. Es gäbe daneben die Möglichkeit, dass Unter-
    Große Bedeutung maß Krajewski dem Artikel 8            nehmen direkt an internationale Menschenrechte
    bei, der die Haftung von Unternehmen regelt.           gebunden werden, wenn es um zwingendes Völ-
    Dies sei ein zentraler Streitpunkt – insbesondere,     kerrecht (jus cogens) gehe, also schwerste Menschen-
    wie weit diese Haftung gehen soll. Hier würde ein      rechtsverletzungen wie etwa Folter und systemati-
    Scheitern der Prävention angesprochen. Dies ließe      sche rassistische Diskriminierung.
    sich nach Auffassung Krajewskis entweder konkre-
    ter fassen oder man statuiere dies als allgemeines     Im Zivilrecht müssen im allgemeinen drei Punkte
    Prinzip auf völkerrechtlicher Ebene, das in der in-    beachtet werden: Erstens müsse man das zuständige
    nerstaatlichen Rechtsordnung verankert werden          Gericht ermitteln, zweitens das anwendbare Recht
    müsse. Ein weiterer, auch in der deutschen Diskus-     und drittens müssen die Urteile anerkannt und voll-
    sion um das Lieferkettengesetz kontrovers disku-       streckt werden können. Um das zuständige Gericht
    tierter Punkt sei die Frage nach der Haftungsbe-       zu ermitteln, gäbe es in Artikel 9 drei Grundlagen:
    freiung. Artikel 8 Absatz 8 schreibe vor, dass die     es könne das Gericht des Tatorts zuständig sein, das
    menschenrechtliche Sorgfalt keine automatische         Gericht an dem Ort, an dem ein Tatbeitrag oder
    Haftungsbefreiung beinhalte. In jedem Fall müsse       eine Unterlassung geleistet wurde, oder die Gerich-
    sich ein Gericht im Einzelfall damit auseinander-      te am Wohnsitz des Unternehmensakteurs. Nach
    setzen, ob das Unternehmen zur menschenrecht-          Artikel 9 Absatz 2 gäbe es vier Möglichkeiten, den
    lichen Sorgfalt genügend unternommen hat (Arti-        Sitz des Unternehmens zu definieren, die auch dem
    kel 8 Absatz 8). Die Artikel 9, 10 und 11 beträfen     EU-Recht entsprächen. Dies könne erstens das Ge-
    die Zuständigkeit des Gerichts. Artikel 11 beschrei-   richt am Sitz der Inkorporierung sein, dort also,
    be das anwendbare Recht als Wahlrecht des Opfers,      wo die Gesellschaft rechtlich gegründet wurde.
    ob in einem Schadensfall sein Heimat- oder Gast-       Zweitens das Gericht am Sitz des Unternehmens,
    staatsrecht angewendet werden soll. Dafür müsse        drittens am Sitz der Hauptverwaltung und viertens
    die Rom-II-Verordnung der EU über den Konflikt         dort, wo faktisch die Geschäftstätigkeit stattfindet.
    von Gesetzen über das auf außervertragliche Ver-
    pflichtungen anwendbare Recht entsprechend ge-         Die zweite Frage, so Peters, sei das anwendbare
    ändert werden.                                         Recht. Hier müsse unterschieden werden zwischen
                                                           dem Prozessrecht und dem materiellen Recht. Das
    Der vorliegende Entwurf enthalte eine Vorschrift       Verfahrensrecht sei immer Recht des Ortes, an
    zum Verhältnis von Menschenrechts- zu Han-             dem das Verfahren stattfinde (lex fori). Das mate-
    dels- und Investitionsabkommen, „die noch gar          rielle Recht beinhalte eine weitere Schwierigkeit:
    nicht richtig gewürdigt wurde“: diese begrün-          Gerichte müssten herausfinden, nach welchen sog.
    de eine Verpflichtung der Staaten, sicherzustellen,    Kollisionsregeln es zu dem inhaltlich anwendba-
    dass sowohl bestehende als auch zukünftige Ver-        ren Recht gelangen könne. Nach Artikel 11 Ab-
    träge vereinbar sind mit diesem Abkommen sowie         satz 2 müsse das Gericht sein eigenes Kollisions-
    auch mit allen anderen Menschenrechtsüberein-          recht anwenden. In Deutschland sei dies durch die
    kommen. „Das würde bedeuten, dass vor jedem            Rom-II-Verordnung der EU geregelt.
    neuen Handelsabkommen eine menschenrechtliche
    Folgenabschätzung gemacht werden müsste.“ Der          Menschenrechtsmissbräuche seien deliktische, also
    Abkommensentwurf konkretisiere extraterritoria-        unerlaubte Handlungen. Beim Deliktrecht gelte
    le Staatenpflichten im Hinblick darauf, wie Staa-      laut Rom-Verordnung das Recht des Ortes, wo
    ten transnationale Wirtschaftstätigkeiten regulieren   der Schaden eintritt. Das würde bedeuten, dass ein
    sollen. „Man kann sagen, dass ein solcher Vertrag      deutsches Gericht das Recht jenes Landes anwen-
    ein robustes und weitreichendes Lieferkettengesetz     den müsse. „Das kann problematisch sein, weil die
    verlangt“, fasste Krajewski zusammen.                  Gerichte hier dieses Recht unter Schwierigkeiten
                                                           erst ermitteln müssen“, sagte Peters. Außerdem
3   Oktober 2020                                            Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    könnte das Recht dieser Standortstaaten schwächer        regressiv verhält.“ Darüber hinaus würden andere
    sein, zum Nachteil der Opfer.                            Staaten in Europa – etwa Frankreich, Großbritan-
                                                             nien und die Niederlande – mit eigenen Gesetzen
    Die strafrechtliche Umsetzung sei nur bei schweren       zur Unternehmerischen Sorgfaltspflicht (home state
    Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden             regulations) die Umsetzung zukünftiger völkerrecht-
    angemessen. Es gäbe zwei Probleme bei der straf-         licher Pflichten möglicherweise schon vorwegneh-
    rechtlichen Verfolgung: Deutschland etwa erkenne         men. Vieles, was der Entwurf vorschreiben würde,
    die Straf barkeit von Unternehmen nicht als solche       würde also in der EU schon gemacht. So etwa in
    an. Unternehmen seien juristische Personen und           der Timber-Regulation über die Sorgfaltspflich-
    nach deutscher klassischer Vorstellung setze die Kri-    ten von Marktteilnehmern, die Holz und Holzer-
    minalstrafe Schuld voraus, die nur bei natürlichen       zeugnisse in Verkehr bringen. Jene hätte auch einen
    Personen möglich sei. Eine weitere Schwierigkeit         extraterritorialen Effekt. Auch verdichten sich die
    im Strafrecht stelle das Erfordernis der doppelten       Hinweise darauf, dass das Europarecht selbst die
    Straf barkeit dar: nach deutschem Recht könne eine       EU verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfalts-
    deutsche Firma meist nur dann bestraft werden,           pflichten in ihren externen Tätigkeiten zu beach-
    wenn die Tat im Ausland auch dort eine Straftat          ten. Aus der Perspektive des internationalen und
    wäre. „Das Zusammenspiel dieses Abkommensent-            des europäischen Menschenrechtsschutzes gäbe es
    wurfs mit unserem Recht ist meiner Ansicht nach          eine langjährige Tendenz, den Menschenrechts-
    der richtige Weg aber wie sich dieses Zusammen-          auf den Umweltschutz auszuweiten. So scheine
    spiel ausgestaltet – da gibt es noch zahlreiche juris-   etwa EU-Justizkommissar Didier Reynders der
    tische Fallstricke“, resümierte Peters.                  Auffassung zu sein, dass menschenrechtliche Sorg-
                                                             faltspflichten ein notwendiger Bestandteil des EU
                                                             Green Deal seien. Gleichzeitig wolle die EU im
                                                             kommenden Sorgfaltspflichtengesetz auch umwelt-
    Daniel Augenstein ist Associate Professor für Eu-        rechtliche Pflichten regeln. „Vieles gibt es schon,
    ropäisches und Internationales Öffentliches Recht        auch wenn das nicht alles dem gleicht, was das Ab-
    an der Universität Tilburg. Er befasste sich mit dem     kommen vorsieht“, resümierte Augenstein, „Inso-
    Verhältnis der EU zum Treaty-Entwurf.                    fern würde man sich wünschen, dass sich die EU in
                                                             den Verhandlungen vielleicht etwas konstruktiver
    „Der Entwurf würde es ermöglichen, dass die EU           einbringt.“
    als „regional international organisation“ (Artikel
    19) beitritt“, sagte Daniel Augenstein. Die entspre-
    chenden Kompetenzen der Europäischen Union
    in den Lissabonner Verträgen seien ein komplexes         Dr. Roda Verheyen, Rechtsanwältin in der Ham-
    Thema. „In der Praxis sehe ich da kein Problem,          burger Kanzlei Günther, spezialisiert auf Umwelt-
    insbesondere nicht mit Blick auf das immer wieder        und Völkerrecht, erläuterte die Schwierigkeiten
    angeführte Argument, dass die EU keine allgemei-         menschenrechtsbezogener Umweltrechte. „Der
    ne Kompetenz im Menschenrechtsschutz habe. Die           Ab­kommens­entwurf enthält an vielen Stellen aus-
    EU hat weitreichende ausschließliche Kompeten-           drücklich Umweltbezüge“, sagte Roda Verheyen.
    zen bei der Außen- und Wirtschaftspolitik“, sagte        Dies gelte nicht nur für die Definition des Men-
    Augenstein, „die gemeinsame Handelspolitik ist ja        schenrechtsmissbrauchs (Artikel 1), sondern für
    das Gegenstück zum Binnenmarkt.“ Jedoch berüh-           Abhilfemaßnahmen (Artikel 4) und die Präventi-
    re das Abkommen Gegenstände, auch im Umwelt-             on (Artikel 6). Das seien eindeutige Hinweise dar-
    schutz, für die nicht ausschließlich die EU zustän-      auf, dass es auch separat um Umwelt geht, nicht nur
    dig sei. Insofern dürfte es auf ein sogenanntes ge-      um die Ausweitung der klassischen Menschenrech-
    mischtes Abkommen hinauslaufen, das die EU und           te auf die Umwelt. Diese Verbindung sei grund-
    die Mitgliedstaaten gemeinsam abschließen.               sätzlich richtig und wichtig. Die Frage sei, ob das
                                                             Abkommen ein Fortschritt sei für den multilatera-
    Mit Blick auf die anvisierte europäische Gesetzge-       len oder nationalen Umweltschutz. Verheyen sieht
    bung zu menschen- und umweltrechtlichen Sorg-            auch Überschneidungen etwa mit der Aarhus-Kon-
    faltspflichten bemerkte Augenstein, dass diese Ge-       vention über den Zugang zu Informationen, die die
    setzgebung Sorgfaltspflichten mit extraterritoria-       Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungs-
    lem Effekt vorsehen wird. „Das Gesetzesvorhaben          verfahren und den Zugang zu Gerichten in Um-
    soll sehr ambitioniert werden, da ist es ein bisschen    weltangelegenheiten. „Das muss nicht unbedingt
    schwierig, sich vorzustellen, dass die EU sich im        ein Problem sein, muss aber adressiert werden“, so
    Bereich der Abkommensverhandlungen weiter so             Verheyen, „denn was wir auf keinen Fall wollen,
4   Oktober 2020                                           Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    ist, dass ein neues Abkommen bereits verhandelte        In der anschließenden Fachdiskussion wurde eine
    und etablierte Standards absenkt.“                      UN-Rahmenkonvention als Alternative zum UN
                                                            Treaty angesprochen. Laut Markus Krajewski
    Verheyen beschrieb drei wesentlich Unterschiede         seien der Treaty-Entwurf und die Verhandlungen
    zwischen Menschenrechten und Umweltrecht im             in der UN-Arbeitsgruppe derzeit der einzige völ-
    Kontext von Sorgfaltspflichten für Unternehmen.         kerrechtlich legitimierte Prozess. Es existiere kein
    Beim Umweltrecht habe man es besonders oft mit          Entwurf zu einer Rahmenkonvention, den man
    dem Problem der Kumulation zu tun. Dabei ver-           sinnvoll diskutieren könne. Man könne den Ge-
    stoße nicht ein Akteur gegen ein Recht – sondern        danken einer Rahmenkonvention mit dem Trea-
    viele Unternehmen verschmutzen gleichzeitig etwa        ty-Entwurf verknüpfen: „Insofern sollte man das
    mit persistenten Chemikalien. Kumuliert führe das       nicht so dichotomisch diskutieren, sondern sagen,
    dazu, dass das Wasser nicht mehr trinkbar ist. „Das     das, was eine Rahmenkonvention ausmacht, kann
    macht es meiner Sicht notwendig, dass man um-           man auch in den Verhandlungsprozess einführen.“
    weltbezogene Pflichte teilweise anders regeln muss      Wie Umweltrechte im Abkommensentwurf defi-
    als reine Menschenrechtspflichten.“ Dies sei insbe-     niert seien, war ebenfalls Teil der Diskussion. „Die
    sondere eine Frage der Vorsorge, wie sie in Arti-       Frage ist, um welchen Schutzstandard geht es und
    kel 6 zur Prävention formuliert ist. „Im Kontext        wer entscheidet das? Ich bin nicht der Auffassung,
    der Umwelt, die wir heute vor uns haben, und der        dass das, was im Moment im Treaty-Text steht,
    planetaren Grenzen, die an so vielen Stellen über-      ausreicht. Wenn ich es nicht schaffe, in einem sol-
    schritten sind, hat es keinen Sinn, sich nur auf kon-   chen Instrument konkrete und schon international
    krete Schäden zu beziehen, die dann auch noch zu        vereinbarte anwendbare Produktverbote wie zum
    Menschenrechtsverstößen führen“, betonte Ver-           Beispiel bei Chemikalien als Umweltstandard auf-
    heyen.                                                  zunehmen, dann hat das keine Zähne“, sagte Roda
                                                            Verheyen. Daniel Augenstein wies darauf hin,
    Der weitere Unterschied liege im Zugang zu              dass das Problem der Kumulation auch beim Men-
    Rechtsmitteln und Abhilfemaßnahmen. Im Ab-              schenrechtsschutz eine große Rolle spiele – etwa
    kommen hieße es, dass Opfer Anspruch darauf             bei Sport-Großveranstaltungen wie den Olym-
    haben sollen, dass Unternehmen Umweltver-               pischen Spielen. Dort gäbe es eine große Plura-
    schmutzungen beseitigen. Ohne eine Klärung, wer         lität von öffentlichen und privaten Akteuren, die
    diesbezüglich antragsberechtigt ist, würde dies nur     grenzüberschreitend agieren. „Ich glaube, dass das
    in ganz wenigen Ländern tatsächlich einen Fort-         Völker­recht vor großen Herausforderungen steht,
    schritt bringen.                                        es gibt ja die Idee der gemeinsam geteilten Verant-
                                                            wortlichkeiten, aber ich glaube, dass das Abkom-
    Schließlich verwies Verheyen darauf, dass parallel      men das nicht leisten kann. Das kann nur ein Aus-
    zum UN Treaty eine UN-Arbeitsgruppe mit der             schnitt sein.
    Ausarbeitung eines Globalen Paktes für die Um-
    welt befasst ist. Einiges würde dabei parallel gere-
    gelt. Man solle beide Initiativen dazu nutzen, die
    Ansätze zur Integration von Umwelt- und Men-
    schenrechtspflichten stärker zu konkretisieren. „Ich
    glaube, dass diese Verhandlungen ein gutes Vehikel
    sind um tatsächlich umwelt- und vorsorgebezogene
    Pflichten und Menschenrechte stärker miteinander
    zu verbinden. Es ist an der Zeit, dass das auch ver-
    traglich stärker aufgegriffen wird.“
5   Oktober 2020                                           Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    Politische Fachdiskussion                               Kariuki geht in ihrem Papier auch auf die aktuel-
                                                            le Corona-Situation ein: die Einhaltung der Men-
    Der zweite Teil der Fachdiskussion beschäftigte sich    schenrechte und Standards zum verantwortungs-
    mit politischen Fragen in Bezug auf die Umsetzung       vollen unternehmerischen Handeln und der Sorg-
    menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorg-           faltspflichten als Antwort auf die COVID-19-Krise
    faltspflichten.                                         würden helfen zu vermeiden, dass Geschäftsent-
                                                            scheidungen potenzielle negative Auswirkungen
    Angela Kariuki vom Umweltprogramm der Ver-              auf Menschen und den Planeten hätten. Regie-
    einten Nation (UNEP) musste ihre Teilnahme              rungen müssten deshalb sicherstellen, dass sich ihre
    kurzfristig absagen. Dies ist die Zusammenfas-          Reaktion auf die COVID-19-Krise an menschen-
    sung ihres eingereichten Diskussionspapiers. Kari-      rechtsbasierten Ansätzen und Standards zum ver-
    uki verweist darin auf die 16 Framework Principles      antwortungsvollen unternehmerischen Handeln
    aus dem Abschlussbericht des UN-Sonderbericht-          orientierten, um sicherzustellen, dass die Maßnah-
    erstatters für Menschenrechte und Umwelt, Prof.         men die negativen sozioökonomischen Auswir-
    John H. Knox von 2018 als nützliche Grundlage für       kungen der Krise nicht verschlimmern, sondern
    die Klärung bestehender staatlicher Pflichten und       stattdessen Anreize für Unternehmen schafften,
    -unternehmerischer Verantwortung im Hinblick            potenzielle Schäden zu mindern – auch in Bezug
    auf die umweltbezogenen Menschenrechte. So sei          auf Umweltangelegenheiten. Schließlich habe
    in Prinzip 12 erwähnt, dass die Staaten sicherstellen   COVID-19 das Bewusstsein dafür geschärft, dass es
    sollen, dass Umweltstandards gegenüber öffentli-        den Lieferketten an Widerstandsfähigkeit mangelt.
    chen und privaten Akteuren wirksam durchgesetzt         Darüber hinaus würden Klimawandel, Wasserver-
    werden.                                                 schmutzung und der Verlust der biologischen Viel-
                                                            falt – etwa durch Entwaldung und illegalen Han-
    Dennoch sei die genaue Beziehung zwischen der           del mit Wildtieren – dazu beitragen, dass sich das
    Verantwortung der Unternehmen für die Achtung           Risiko ähnlicher Pandemien in Zukunft erhöhen
    und dem Inhalt der umweltbezogenen Menschen-            könnte. Kariuki betont, dass Umweltrisiken auch
    rechte oft nicht klar beschrieben. Ein Grund dafür      nachteilige Auswirkungen auf die Wirtschaft hät-
    sei, dass Umweltfragen meist als Gegenstand tech-       ten: Luft- und Wasserverschmutzung würden die
    nisch-wissenschaftlicher Standards behandelt wür-       Folgen von COVID-19 für Beschäftigte und Ge-
    den, anstatt sie mit Menschenrechten zu verknüp-        meinschaften verstärken. Luftverschmutzung etwa
    fen.                                                    erhöhe die Anfälligkeit für Atemwegserkrankun-
                                                            gen, mangelnder Zugang zu sauberem Wasser und
    In einem gemeinsamen Projekt mit der Organi-            sanitären Einrichtungen mache Händewaschen
    sation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und           schwer.
    Entwicklung (OECD) und dem Sekretariat der
    UN-Klimarahmenkonvention entwickle UNEP                 Kariuki begrüßte, dass bereits einige politische In-
    ein Instrumentarium für Unternehmen. Dieser             itiativen und Regulierungsansätze in den verschie-
    Werkzeugkasten soll praktische Ansätze zur Iden-        denen Ländern und auf unterschiedlichen Ebenen,
    tifizierung und Bewältigung umweltbezogener             die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette und Um-
    Heraus­forderungen bieten, indem bestehende Ins-        weltziele gleichzeitig behandeln würden. Solche
    trumente für verantwortungsbewusstes unterneh-          Bemühungen könnten einen „gerechten Über-
    merisches Handeln genutzt werden. Der Schwer-           gang“ (just transition) hin zu einer nachhaltigen
    punkt liege auf globalen Umweltthemen wie               Weltwirtschaft vorantreiben, sei es im Rahmen
    Klima­wandel, Biodiversität, Wasser und Kreislauf-      des europäischen Green Deal, der EU-Initiative für
    wirtschaft.                                             Regulierung der Wirtschaft zu menschenrechtli-
                                                            cher und umweltbezogener Sorgfaltspflicht oder bei
    Bei UNEP habe man festgestellt, dass einerseits         Initiativen zum Wiederauf bau der Wirtschaft nach
    vor allem verantwortungsbewusste Produktion,            der COVID-19-Krise.
    Konflikte und Versorgungssicherheit die Sorg-
    faltspflichten-Ansätze der Unternehmen prägten
    – besonders im Zusammenhang mit der Rohstoff-
    gewinnung. Andererseits würden bei der Sorg-            Holger Dreiseitl, stellvertretender Referatslei-
    faltspflichten-Prüfung von Lieferketten Fragen im       ter Wirtschaft und Menschenrechte des Auswärti-
    Zusammenhang mit Umwelt und Entwicklung zu              gen Amtes, skizzierte die Rolle der Bundesregie-
    wenig beachtet.                                         rung bei den Verhandlungen des UN-Abkommens
                                                            für Wirtschaft und Menschenrechte. Intensiv be-
6   Oktober 2020                                            Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    fasst mit den Beratungen diesbezüglich seien auch        als zentralem Element. Diese wolle man weltweit
    ­Justiz-, Wirtschafts-, Arbeits-, Umwelt- und Ent-       voranbringen. „Wir möchten im besten Fall dahin
     wicklungsministerium. In den vergangenen zwei           kommen, dass sich eine Dichotomie zwischen in-
     Jahren habe man die volle Ressortbeteiligung si-        ternationaler verbindlicher Regelung und einem
     chergestellt. Jedoch: „Es dürfte niemanden über-        breiten Smart-Mix-Ansatz der UN-Leitprinzipien
     raschen, wenn ich sage, dass die Haltungen inner-       nicht fortsetzt und verhärtetet.“
     halb der Bundesregierung zwischen den Ressorts
     zu diesem Prozess auseinandergehen.“ Dies betref-       Ob der aktuelle Treaty-Entwurf grundsätzlich ver-
     fe sowohl den UN Treaty als solchen als auch De-        handlungsfähig sei, sei im Moment auch als eine
     tailfragen. Voraussetzung für die Teilnahme an den      politische und nicht nur rechtliche Frage zu sehen.
     Verhandlungen des UN Treaty beim UN Men-
     schenrechtsrat in Genf sei, als Bundesregierung
     einen einheitlichen Kurs zu finden.
                                                             Lia Polotzek vom BUND wollte wissen, was
    Im Falle eines Eintritts der EU in die Treaty-Ver-       Deutschland mit Blick auf die EU-Ratspräsident-
    handlungen würde es sich um ein gemeinsames              schaft daran hindere, sich mit aller Stärke für ein
    Vorgehen von EU-Kommission und der Mitglied-             solches EU-Mandat einzusetzen. Der Prozess zur
    staaten mit Blick auf die Regelungsinhalte als „ge-      Erstellung der EU-Position würde vom Europäi-
    mischtes Abkommen“ handeln. Ein Verhandlungs-            schen Auswärtigen Dienst (EAD) geleitet, nicht
    mandat bestehe innerhalb der EU bislang nicht.           von der Präsidentschaft, antwortete Dreiseitl. Der
    „Für die bevorstehende sechste Sitzung bedeutet          EAD leite auch die Arbeitsgruppe Menschenrechte
    das, dass die EU – wie schon im vergangene Jahr          COHOM. Dreiseitl wiederum kritisierte, dass sich
    – nicht als Verhandlungspartner teilnehmen kann“,        weder der EAD noch die EU Kommission gemein-
    sagte Dreiseitl.                                         sam mit den Mitgliedsstaaten strukturiert mit der
                                                             Frage beschäftigten, was es für die EU und europä-
    Man habe sich aber zwischen den europäischen             ische Unternehmen bedeute, wenn ein UN T     ­ reaty
    Mitgliedsstaaten geeinigt, gemeinsam den „Kurs           die Mehrheit in der Generalversammlung fände
    des partiellen Engagements“ fortzusetzen. „Für uns       und nach ausreichenden Ratifikationen in Kraft
    als Bundesregierung ist es nicht vorstellbar, dass wir   treten würde. Daran knüpfte Daniel Augenstein
    als EU dem Verhalten anderer Wirtschaftsblöcke           an: „Letztendlich bewegen wir uns schon länger
    aus dem globalen Norden folgen und uns aus die-          auf die Komplementarität zwischen den UN-Leit-
    sem Prozess zurückziehen“, betonte Dreiseitl mit         prinzipien und dem UN Treaty-Entwurf zu, die
    Blick auf die bevorstehende Sitzungswoche. Man           könnte man in weiteren Verhandlungen sicher noch
    werde die Sitzungen verfolgen und mit der EU             weiter ausbauen.“ Ein Mehrwert des UN-Treaty
    eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten. Die            wäre, dass Staaten eine nationale Sorgfaltspflicht-
    Bundesregierung erkenne an, dass eine rechtlich          gesetzgebung als völkerrechtliche Verpflichtung
    verbindliche Regelung auf internationaler Ebene          anerkennen. Das würde den Menschenrechtsschutz
    eine Rolle bei der Umsetzung eines so genannten          wieder stärker im Staat verankern und damit den
    „Smart Mix“ aus freiwilligen und verpflichtenden         oft vorgebrachten Vorwurf entkräften, der Staat
    Maßnahmen gemäß den UN-Leitprinzipien für                würde seine Verantwortung auf die Unternehmen
    Wirtschaft und Menschenrechte sein könne.                abwälzen. Was das Abkommen böte, sei eine multi-
                                                             laterale Grundlage, die Staaten sich gegenseitig das
    Die Debatten über die Eckpunkte eines deutschen          Recht zuschreibe, Unternehmen zu regulieren.
    Lieferkettengesetzes und die sich abzeichnenden
    EU-weiten Sorgfaltspflichten trügen dazu bei, dass
    eine Positionierung der Bundesregierung in Ein-
    zelfragen zum Treaty-Entwurf derzeit eher er-            Zum Abschluss kehrte Lia Polotzek zur Ausgangs-
    schwert würde. Es sei schwierig für die Ressorts,        frage zurück: „Wie kommen wir zu ökologisch und
    Diskussionen in Berlin und gleichzeitig zu einem         sozial nachhaltigen Lieferketten?“ Ein UN-Ab-
    internationalen Prozess mit vielen gleichen Frage-       kommen könne Teil davon sein, der Treaty-­Prozess
    stellungen zu führen. „Mit der Ausgestaltung der         sei momentan das einzig verbindliche, der auf inter-
    Eckpunkte und einem konkreten Gesetzesentwurf            nationaler Ebene geführt wird, um trans­nationale
    wird sich absehbar auch die Ressortabstimmungen          Unternehmen entsprechend zu verpflichten. „Wir
    zum Treaty-Prozess deutlich verändern“, so Drei-         müssen aber weitergehen und uns fragen, was eine
    seitl. Maßstab für die Bundesregierung bleiben die       nachhaltige Weltwirtschaft wirklich bedeuten
    UN-Leitprinzipien mit nationalen Aktionsplänen           würde. Wir sehen von zivilgesellschaftlicher Seite
7   Oktober 2020                                                      Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte

    alle, dass diese, wie sie jetzt ausgestaltet ist, sowohl          global völlig anders zu gestalten und die Weltwirt-
    ökologisch als auch sozial und menschenrechtlich                  schaft solidarisch zu regionalisieren. „Wir müssen
    nicht nachhaltig ist“. In einer Krise wie der Coro-               uns fragen, warum im internationalen Kontext In-
    na-Pandemie müssten Anknüpfungspunkte genutzt                     vestorenrechte mit verbindlichen Regelungen sehr
    werden, um zu resilienteren Lieferketten zu gelan-                stark geschützt sind, während die Einhaltung von
    gen. Es dürfe nicht nur darum gehen, Standards                    Menschenrechten und Umweltschutz nur an frei-
    einzuhalten, sondern auch darum, Lieferketten                     willige Selbstverpflichtung geknüpft ist.“

      Weiterführende Informationen

      Henn, Elisabeth V./ Jahn Jannika (2020): Rechtsgutachten. Zulässigkeit und Gegenstand umweltbezogener
      Sorgfaltspflichten in einem deutschen Lieferkettengesetz. Berlin: BUND/Greenpeace/DUH.
      https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/ttip_und_ceta/handel_lieferkettengesetz_
      rechtsgutachten.pdf

      OEIGWG Chairmanship (2020): Second Revised Draft. Legally Binding Instrument to regulate, in international human
      rights law, the activities of transnational corporations and other business enterprises.
      https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/WGTransCorp/Session6/OEIGWG_Chair-Rapporteur_
      second_revised_draft_LBI_on_TNCs_and_OBEs_with_respect_to_Human_Rights.pdf

      Verheyen, Roda (2020): Ein deutsches Lieferkettengesetz. Echte Chance für den Umweltschutz. Stellungnahme mit
      Schwerpunkt auf materiellen Sorgfaltspflichten und Umsetzung am Beispiel besonders gefährlicher Chemikaliengruppen
      (Textilindustrie). Hamburg: Greenpeace/BUND/DUH.
      https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/s03111-greenpeace-lieferkettengesetz-
      stellungnahme-20200818.pdf

      Treaty Alliance Deutschland (2020): Wichtiger Schritt für die menschliche und ökologische Ausrichtung der
      Weltwirtschaft. Stellungnahme der Treaty Alliance Deutschland zum zweiten überarbeiteten Entwurf für ein verbindliches
      UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (»Second Revised Draft«).
      https://www.globalpolicy.org/images/pdfs/TreatyAllianz-D-Stellungnahme_2ndRevisedDraft_Sept-2020.pdf

    Impressum
    Das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte
    Wie kommen wir weltweit zu ökologisch und sozial nachhaltigen Lieferketten?
    Bericht über das digitale Fachgespräch vom 20. Oktober 2020

    Herausgeber:                                      Herausgeber:
    Global Policy Forum Europe e.V.                   Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.
    Königstraße 37a                                   – Friends of the Earth Germany
    53115 Bonn                                        Kaiserin-Augusta-Allee 5
    Tel. 0228 96 50 510                               10553 Berlin
    europe@globalpolicy.org                           Tel. 0302 758640
    www.globalpolicy.org                              lia.polotzek@bund.net
    Kontakt: Karolin Seitz                            www.bund.net
                                                      Kontakt: Lia Polotzek

    Autorin: Kathrin Hartmann
    Redaktion: Lia Polotzek und Karolin Seitz
    Gestaltung: www.kalinski.media

    Berlin / Bonn, Oktober 2020
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