Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH

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Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
Nr. 03/ Oktober 2019

    Stadt – Land – vieles ist im Fluss
Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
Inhalt
    Meldungen                            2–4     Liebe Leserinnen, liebe Leser,
    Königin Margrethe II. im Landtag       5
                                                 der Alltag der Menschen in Schleswig-Holstein kann sehr unterschiedlich aussehen –
    Stadt und Land                      6 – 12   je nach dem, ob man auf dem Land wohnt oder in einer großen Stadt, ob man jung ist,
    Die Bevölkerungsentwicklung                  mitten im Berufsleben steht oder der älteren Generation angehört. Entsprechend groß
    in Schleswig-Holstein                   6    sind die Herausforderungen an die Politik, wie in den letzten Wochen im Landtag deutlich
    Pendler und Anwohner:                        wurde. Auf dem Dorf fürchten viele Menschen, dass die Landarztpraxis bald leer stehen
    Probleme mit der Bahn                   7    könnte. Pendler sind nicht immer glücklich mit der Bahn. Und für Senioren wird Einsamkeit
    Hausärztemangel, Raumordnung            8    zum Problem. Vor einigen Jahrzehnten kam noch eine weitere Herausforderung hinzu: die
    Der Haushalt 2020 vor Ort               9    abgelegene Lage Schleswig-Holsteins im „Zonenrandgebiet“ an der innerdeutschen Grenze.
    Rückblick 1955, 1978, 1991:                  Davon handelt unsere Rückblicksgeschichte.
    Schleswig-Holstein als
    „Zonenrandgebiet“                      10    Außerdem schauen wir in dieser Ausgabe auf den Besuch der dänischen Königin Margrethe II.
    Altenparlament sucht Strategien              im Landeshaus, der den Auftakt zum grenzüberschreitenden Feierjahr 2020 bildete. An den
    gegen Einsamkeit                        12   80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen 1939 erinnerte der Landtag gemeinsam mit
                                                 dem polnischen Botschafter. Zum 200. Geburtstag des Dichters
    Ausschüsse                         13 – 15   Klaus Groth wurden dessen Verdienste um die plattdeutsche
    Debatte über Gesichtsschleier                Sprache gewürdigt. Und: Der Landtag schickt die „Förde-

                                                                                                                    79
                                                                                                                     ZÄHLBARES
    an der Uni Kiel                         13   Detektive“ auf Spurensuche. Der Krimi für Kinder
    Petitionsausschuss lädt zu                   soll jungen Lesern neben Spannung auch politische
    Bürgersprechstunden                     14   Bildung vermitteln.
    Reisen nach San Francisco
    und Toronto                             15   Viel Spaß beim Lesen wünscht
                                                                                                        Einwohner pro Quadratkilometer leben
                                                                                                         im Kreis Nordfriesland. In Kiel sind es
    Im Zentrum                         16 – 17   Ihre Redaktion
                                                                                                           2.086 (Quelle: Statistikamt Nord).
    Land am Wasser:
                                                                                                             Mehr zu den unterschiedlichen
    Das Landtagsjahr 2020
                                                                                                               Lebensverhältn issen im

    Plenarberichte                     18 – 20   Aminata Touré ist                                                  Lande ab Seite 6

    Herkunftssprachlicher Unterricht,            neue Vizepräsidentin
    Minderheiten im Grundgesetz             18
    „Feindeslisten“ und Bedrohungen              Das Präsidium des Landtages ist wieder komplett: Die Grünen-Politikerin Aminata Touré ist
    im Internet                            19    neue stellvertretende Landtagspräsidentin. Die 26-Jährige wurde Ende August zur Nachfolgerin
    Wende 1989/90, Rauchverbote            20    ihres Parteifreundes Rasmus Andresen gewählt, der im Mai einen Sitz im Europaparlament
    Lebensmittelkennzeichnung,                   errungen hatte. Touré, die von den Jamaika-Fraktionen vorgeschlagen wurde, erhielt in geheimer
    Meldungen für das Ehrenamt              21   Abstimmung 46 von 69 Stimmen. Es gab 15 Nein-Stimmen und acht Enthaltungen. Sie war
                                                 die einzige Kandidatin. Die gebürtige Neumünsteranerin, deren Familie aus Mali in Westafrika
    Leichte Sprache:                             stammt, ist zurzeit die zweitjüngste Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag.
    Arbeit für Menschen mit
    psychischen Problemen                   22
                                                 Damit stehen Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) drei Frauen zur Seite. Neben Touré sind
    Personalien                             23
                                                 dies Kirsten Eickhoff-Weber (SPD) und Annabell Krämer (FDP). Die „Vizes“ vertreten den
                                                 Landtagspräsidenten bei Sitzungen und auswärtigen Terminen, wenn dieser verhindert ist.
    Europa: Gedenken an den
    Überfall auf Polen 1939                24
    Ostseeparlamentarier in Oslo,
    gemeinsame Initiative mit Südtirol      25

    Bücher                            26 – 29
    Landtagskrimi:
    Die „Förde-Detektive“ ermitteln        26
    200. Geburtstag des Dichters
    Klaus Groth                            28
    Bücherecke, Impressum                  29

    Im Porträt: Peer Knöfler (CDU),
    Stefan Weber (SPD)                     30
    Ins Bild gerückt: zu Besuch im
    Landeshaus                              31
    Termine, Termine, Termine               32

2                                                            DER LANDTAG 03/2019
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
MELDUNGEN

Grünen-Politiker Joschka Knuth rückt nach                                                           Wortwörtlich
                                                                                                     „Der Anstieg der Mietpreise hat in vielen
  Der neue Grünen-Abgeordnete Joschka
                                                                                                    Regionen jeden Bezug zum realen Wert ver-
Knuth ist Ende August von Parlaments­
                                                                                                    loren, ist Ausdruck eines defekten Marktes,
präsident Klaus Schlie verpflichtet worden.
                                                                                                   hochattraktiv für Renditejäger und Spekulan-
Der 26-jährige Kieler rückte für seinen Partei-
                                                                                                   ten – ein Markt, auf dem die Mieterinnen und
kollegen Rasmus Andresen nach, der im Mai                                                                Mieter unter die Räder kommen.“
ins Europaparlament gewählt worden war.                                                                          (Ralf Stegner, SPD)
Knuth war der nächstfolgende Kandidat auf der
Grünen-Landesliste zur Landtagswahl 2017. Er                                                       „Wir wollen durch den ausreichenden Neubau
arbeitete zuletzt bei einer Wirtschaftsprüfungs-                                                    und die Aufstockung von Wohngebäuden die
gesellschaft, zuvor war der studierte Geograf unter anderem persönlicher Referent von Ex-Um-        Mietpreise nachhaltig begrenzen. Wir wollen
weltminister Robert Habeck. In seiner Fraktion agiert Knuth als wirtschaftspolitischer Sprecher.     außerdem die zusätzliche Ausweisung von
                                                                                                     Flächen für den Wohnungsbau durch einen
                                                                                                   weiterentwickelten Landesentwicklungsplan.“
„Folgestudie“ zur NS-Vergangenheit                                                                             (Peter Lehnert, CDU)
  Die Studie zu NS-Verstrickungen von schleswig-holsteinischen Landespolitikern
                                                                                                     „Mein Eindruck ist, dass vieles, das wir an
hat vor drei Jahren große Aufmerksamkeit erregt. Nun soll eine „Folgestudie“ ­weitere
                                                                                                      Politikverdrossenheit, an Angst vor der
Klarheit bringen. Studienleiter ist erneut Prof. Uwe Danker von der Uni Flensburg.
                                                                                                    Zukunft und Wut über Politik haben, auch
Er arbeitet mit einem zehnköpfigen Team an dem Projekt.                                            damit zusammenhängt, dass die Leute selbst
                                                                                                    wenn sie eine bezahlbare Wohnung haben
  In Bezug auf den Landtag gebe es noch offene Fragen, so Danker bei der Vorstellung des           und auch gar nicht umziehen wollen, Ängste
Konzeptes Ende August: Wie lief der Umgang zwischen einstigen NSDAP-Parteigängern und              haben, wenn sie sich die Entwicklung auf dem
Widerstandskämpfern? Wie war es um die politische Kultur und die Sprache bestellt? Darüber                  Wohnungsmarkt ansehen.“
hinaus haben die Forscher exemplarisch zwei Kommunalvertretungen ausgewählt: den Kreistag                     (Eka von Kalben, Grüne)
von Süderdithmarschen und die Flensburger Ratsversammlung. Es soll untersucht werden, wel-
che Stadt-Land-Unterschiede es gab. Weitere Schwerpunkte sind die Landespolizei, Gerichte,         „Es geht um die Immobilienpreise allgemein.
Staatsanwaltschaften, das Justiz- und das Sozialministerium sowie die Kultur. Die Biografien         Viele, die Eigentum haben, profitieren im
von insgesamt 491 Personen sollen unter die Lupe genommen werden. Der Landtag hatte die            Zweifelsfall davon. Angesichts der Immobili-
                                                                                                   enpreise sind die eigenen vier Wände jedoch
Studie im April 2018 einstimmig auf den Weg gebracht, im Herbst 2020 soll sie fertig sein.
                                                                                                    für immer weniger Menschen erreichbar. “
                                                                                                              (Christopher Vogt, FDP)
Wasser-Volksbegehren gestartet
                                                                                                     „Das Bundeskabinett hat die Mietpreis­
  Mit einer Kundgebung vor dem Landeshaus ist das Volksbegehren zum Schutz des Wassers                bremse bis 2025 verlängert und in einer
Anfang September an den Start gegangen. Die Initiative fordert einen besseren Schutz des             Reihe von Punkten verschärft. Sie sendet
Grundwassers vor Risiken der Gas- und Ölförderung, mehr Transparenz sowie eine vollständige        damit genau das falsche Signal. Wir brauchen
Haftung von Konzernen für Umweltschäden, die von ihnen verursacht wurden. Zu dem                   mehr Wohnungen und was bekommen wir?
Bündnis gehören Bürgerinitiativen, Verbände sowie Piratenpartei, SPD und SSW. Um einen                         Mehr Regulierung.“
Volksentscheid zu erreichen, müssen die Initiatoren bis zum 2. März nächsten Jahres mindestens                  (Jörg Nobis, AfD)
80.000 gültige Unterschriften sammeln. Es ist das erste Volksbegehren im Lande seit zehn Jahren.
                                                                                                    „Bei einer Wiedervermietung von Bestands-
                                                                                                    wohnungen in Gebieten mit angespanntem
                                                                                                   Wohnungsmarkt darf die Miete die ortsübliche
                                                                                                    Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent
                                                                                                   übersteigen. Das alleine ist für viele schon eine
                                                                                                   Sicherheit, vor allem in den Gebieten, in denen
                                                                                                   die Mieten wirklich durch die Decke schießen.“
                                                                                                                 (Lars Harms, SSW)

                                                                                                   Aus der Aktuellen Stunde am 28. August
                                                                                                   über den Wohnungsmarkt. Mehr zu den
                                                                                                   Lebensverhältnissen im Lande ab Seite 6.

Landtag lehnt Wohnraum-Initiative ab
  Der Landtag hat die „Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum“          argumentieren die Jamaika-Fraktionen und die AfD. CDU, Grüne
Ende September mehrheitlich abgelehnt. Sozialverband und Mieterbund       und FDP verweisen auf die bereits „beschlossenen Instrumente
hatten gefordert, „die Schaffung und Erhaltung von bezahlbarem            zur Entlastung der Wohnraumsituation“, etwa eine Reform der
Wohnraum“ als Staatsziel in die Landesverfassung aufzunehmen.             Landesbauordnung. SPD und SSW unterstützten hingegen die Initiative.
Ein solcher Passus hätte „keine unmittelbaren Auswirkungen“,              Die Initiatoren hatten gut 39.000 Unterschriften gesammelt.

                                                             DER LANDTAG 03/2019                                                                       3
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
MELDUNGEN

Blutspende-Aktion                                                            Resolution und „Werbefläche“
erneut erfolgreich                                                           für Kinderrechte

                                                                                                                              Applaus für 30 Jahre
                                                                                                                              Kinderrechte (v. li.):
                                                                                                                              Irene Johns, Landes­
                                                  Landtagspräsident                                                           vorsitzende des
                                                  Klaus Schlie (2. v. li.)                                                    Kinderschutzbundes,
                                                  und Ministerpräsi-                                                          Familienminister
                                                  dent Daniel Günther                                                         Heiner Garg, Land-
                                                  im Gespräch mit                                                             tagsvizepräsidentin
                                                  einem Spender.                                                              Annabell Krämer.

   69 Blutspender sind dem Ruf von Landtag, Landesregierung und                Ende September, zum 30. Jubiläum der UN-Kinderrechtskonventi-
Deutschem Roten Kreuz (DRK) Ende September ins Landeshaus ge-                on, haben die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes Irene Johns
folgt. Neun von ihnen waren Erstspender. Es war die 15. jährliche Blut-      und Familienminister Heiner Garg (FDP) im Beisein von Landtags­
spende-Aktion im Landeshaus seit 2005. Das DRK zeigte sich zufrieden:        vizepräsidentin Annabell Krämer die gemeinsame Erklärung „Zeit für
Die Zahl der Spender ist im Vergleich zum Vorjahr ungefähr gleichge-         Kinderrechte“ unterzeichnet. Landtagspräsident Klaus Schlie, der ge-
blieben. Landtagspräsident Schlie betonte: „Das DRK braucht für Un-          meinsam mit Garg die Schirmherrschaft der Aktion innehat, hatte die
fall- und Krankheitssituationen laufend Blutspenden. Darum ist es un-        Erklärung bereits im Vorfeld unterschrieben. Im Anschluss wurde im
geheuer wichtig, dass genügend Menschen zur Spende bereit sind.“             Foyer des Landeshauses der „Mobile Platz der Kinderrechte“ des Kin-
   Die während der mehrstündigen Aktion gesammelten 34,5 Liter               derschutzbundes enthüllt. Die transportable Litfaßsäule soll ab Ende
Blut wurden zunächst nach Lütjensee (Kreis Stormarn) transportiert           November auf Reise durchs Land gehen.
und dort im Labor untersucht. In einem Sammellabor in Frankfurt am             Die Kinderrechtskonvention wurde am 20. November 1989 von der
Main wird jede Probe dann noch einmal überprüft. Nach 24 Stunden             Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie for-
steht das Blut zur Patientenversorgung bereit. Wie in den Vorjahren          dert das Recht auf Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und auf Bil-
war es außerdem möglich, sich gleichzeitig für die Stammzellspender-         dung, kindgerechte Lebensbedingungen sowie gewaltfreie Erziehung.
datei zu registrieren.

Erntekrone aus Ostholstein                                                   Platt-Zentren:
für das Landeshaus                                                           Viel Lob zum 25. Jubiläum

                                                  Tradition zum
                                                  ­Erntedank:
                                                   Mitglieder der                                                             Auch Hip-Hop
                                                   Landjugend ­hängen                                                         geht auf Platt:
                                                   die E
                                                       ­ rntekrone                                                            Der Rapper „LPP 143“
                                                   im ­Foyer des                                                              aus Kiel-Gaarden
                                                   Landeshauses auf.                                                          machte es vor.

   Auch in diesem Herbst schmückt die Erntekrone den Landtag.                  Seit einem Vierteljahrhundert kümmern sich die Zentren für Nie-
­ ieben Mitglieder des Kreisverbands Ostholstein der Landjugend
S                                                                            derdeutsch (ZfN) in Leck und Mölln um die Pflege der plattdeutschen
überbrachten das Geflecht aus getrocknetem Weizen, Gerste, Hafer             Sprache. Sie erarbeiten Unterrichtsmaterial für Schulen und Kinder-
und Dinkel Ende September. Die Erntekrone wird bis zur Advents-              gärten, und sie veranstalten Lesungen, Konzerte und Theaterauffüh-
zeit in der Eingangshalle des Landeshauses hängen.                           rungen. Zum silbernen Jubiläum gab es Anfang September bei einer
   „Rund zweieinhalb Stunden haben wir zu zweit an der Erntekrone            Feierstunde im Landeshaus viel Lob. „De Zentren hebbt dorvöör sorgt,
geflochten“, berichtete Christine Köneke, Vorsitzende der Osthol-            dat dat Plattdüütsche wedder bi de Minschen ankomen is“, betonte
steiner Landjugend. Gegenüber den zahlreichen Abgeordneten aus               Landtagspräsident Klaus Schlie. Er erinnerte daran, dass die Idee, die
allen Fraktionen, die am Rande der Plenarsitzung die Erntekrone be-          ZfN zu gründen, 1994 im Landtag entstanden sei: „In’t Landeshuus is
grüßten, sprach Köneke zudem die Probleme junger Landwirte an,               dat Plattdüütsche jümmers tohuus west.“ Der Minderheitenbeauftrag-
etwa eine geringe Wertschätzung oder die jüngsten Dürre­sommer.              te der Landesregierung, der CDU-Abgeordnete Johannes Callsen, un-
Landtagspräsident Klaus Schlie bedankte sich für das Engagement              terstrich: „De meesten Lüüd bi uns künnt Platt verstohn, un 25 Prozent
der Jugendlichen. Die Erntekrone wird im jährlichen Wechsel von              künnt de Spraak ok sölvs schnacken. Dorüm verbindt dat Plattdüüt-
den Kreisverbänden der Landjugend gebunden.                                  sche de Minschen in uns Land.“

4                                                              DER LANDTAG 03/2019
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
MELDUNGEN

Königin Margrethe II. von Dänemark
besuchte den Landtag
Vier Tage hielt sich die dänische Königin           Dichter wurde vor 200 Jahren geboren –
Margrethe II. Anfang September in                   schenkte er ihr eine Erstausgabe seines
Schleswig-Holstein auf. Der Staatsbesuch            Werkes „Quickborn“ aus dem Jahr 1856
war der Auftakt zum deutsch-dänischen               mit Holzschnitten und Zeichnungen von
Jubiläumsjahr 2020 (s. unten). Im                   Otto Speckter. Die dänische Königin ist für
Landeshaus traf die Monarchin mit                   ihre Affinität zu Kunst und Literatur sowie
Spitzen der Landespolitik zusammen.                 ihre eigene künstlerische Ader bekannt. In
Landtagspräsident Klaus Schlie informierte          Haus B, dem Gästehaus von Landtag und
die Königin im Plenarsaal über Architektur          Landesregierung, traf Königin Margrethe
und Geschichte des Parlamentsgebäudes.              anschließend      auch   Ministerpräsident
Mit Blick auf die Kieler Förde vor dem              Daniel Günther. Weitere Stationen des
Plenarsaal hob er Dänemarks und                     Staatsbesuchs waren Flensburg, Schleswig
Schleswig-Holsteins Verbundenheit durch             und Friedrichstadt.
die Ostsee hervor. Vorab hatte Schlie der
Königin ein besonderes Gastgeschenk                                                               Die Königin begrüßt die Mitglieder des Ältesten-
überreicht: Im Klaus-Groth-Jahr – der                                                                         rats und die Abgeordneten des SSW.

   Die Königin trägt sich in das Gästebuch des Landtages ein.                                     Margrethe II. besichtigt den gläsernen Plenarsaal.

Deutsche-dänisches Feierjahr 2020
Mit insgesamt 60 Veranstaltungen aus den Bereichen Theater, Literatur, Film und Sport wird das 100. Jubiläum der deutsch-
dänischen Grenzziehung in Schleswig-Holstein begangen. Die Leiter des Festkomitees, Landtagsdirektor Utz Schliesky und
Staatskanzleichef Dirk Schrödter, gaben Mitte August im Europaausschuss einen Überblick über das Programm.

Im Fokus des Festjahres stehe die Rolle der         das Landesparlament die Ausbildung            geplant – eine in Kopenhagen und eine in
Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze,          von 50 „Schülerbotschaftern“, die ihren       Kiel.
betonte Schliesky. Das verdeutliche das             Altersgenossen auch im südlichen Teil
Motto    „Selbstbestimmung,      Identität,         des Landes über die Besonderheiten des        Höhepunkt des Jahres soll ein Bürgerfest
europäische Zukunft“. Der Landtag plant             Grenzraums berichten. Landtagspräsident       in Flensburg am 23. August sein. „Wir
und unterstützt eine Reihe von Projekten:           Klaus Schlie und Ministerpräsident            wollen die Menschen mitnehmen und
etwa eine szenische Lesung frei nach                Daniel Günther wollen im August 2020          die historische Bedeutung des friedlichen
dem Roman „Riß durchs Festland“ von                 zu einer „Sommerreise“ durchs Grenzland       Miteinanders      verdeutlichen“,   merkte
Uwe Pörksen. Das Buch schildert, wie                auf brechen. Im Landeshaus werden das         Staatskanzleichef Schrödter an. Die
vor 100 Jahren das Denken in nationalen             Danewerk-Museum und das Deutsche              Grenzziehung im Jahr 1920 basierte auf
Kategorien den Alltag der Menschen prägte.          Museum Sonderburg eine gemeinsame             Volksabstimmungen. Ein Ergebnis war, dass
Das Stück hat am 13. Februar im Landtag             Ausstellung    präsentieren.  Außerdem        kulturelle und sprachliche Minderheiten auf
Premiere und geht dann auf Tournee                  sind zwei gemeinsame Veranstaltungen          beiden Seiten der neuen Grenze entstanden.
nach Eckernförde, Schleswig, Flensburg              des Landtages, des Bundestages und des
und Apenrade. Außerdem unterstützt                  dänischen Folketings im November 2020

                                                                DER LANDTAG 03/2019                                                               5
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
S TA D T – L A N D

                     Stadt und Land:
                   Wohin geht die Reise?
    Fakten zur Bevölkerungsentwicklung
    Die Bevölkerungsstruktur in Deutschland ändert sich rasant. Die Städte wachsen, vor allem junge Menschen zieht es in
    die Metropolen. Auf dem Land bleiben die Älteren zurück. Wie sieht es in Schleswig-Holstein aus?
    - Die Einwohnerzahl des Landes steigt seit Jahrzehnten – von 2,33 Millionen im Jahr 1961 auf 2,63 Millionen im Jahr 1990
      und auf exakt 2.896.712 zum Jahresende 2018. Statistiker schätzen, dass es ab 2030 einen leichten Rückgang geben
      wird.
    - Die Landesteile entwickeln sich unterschiedlich. Die Städte Kiel und Flensburg sind allein zwischen 2010 und 2016 um
      fünf bis sechs Prozent gewachsen, die Hamburger Randkreise Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg um
      etwa fünf Prozent. Dagegen verzeichnete Dithmarschen ein Minus von 0,51 Prozent, und der Kreis Plön wuchs nur
      minimal um 0,27 Prozent.
    - Auch beim Alter gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Die Einwohner Kiels und Flensburgs waren Ende 2018 in Schnitt etwa
      42 Jahre alt, die Bewohner der Kreise Plön und Ostholstein dagegen 47,2 beziehungsweise 48,2 Jahre.
    - Trotz der Unterschiede gilt Schleswig-Holstein im Bundesvergleich insgesamt nicht als Problemfall. Eine Studie der
      Friedrich-Ebert-Stiftung rechnet weite Landesteile zu „Deutschlands solider Mitte“. Der Hamburger Speckgürtel gilt
      demnach als „starkes (Um-)Land“. Flensburg, Kiel, Neumünster und Lübeck zählen zu den „dynamischen Groß- und
      Mittelstädten“. Allerdings herrsche dort wegen steigender Mieten „Exklusionsgefahr“ – das Risiko einer zunehmen-
      den Spaltung zwischen armen und wohlhabenden Stadtteilen.

                                   (Quellen: Statistikamt Nord, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Friedrich-Ebert-Stiftung)

6                                                       DER LANDTAG 03/2019
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
S TA D T – L A N D

    Deutsche Arbeitnehmer sind immer länger
    unterwegs, um ihren Job zu erreichen. Nach
    Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und
    Berufsforschung beträgt die durchschnittliche
    Entfernung zum Arbeitsplatz 10,5 Kilometer –
    21 Prozent mehr als noch zur Jahrtausendwende.
    Die Zahl der Lang-Pendler, die 50 Kilometer
    und mehr zurücklegen, ist ebenfalls stark
    gestiegen. Hamburg und die Insel Sylt sind
    Ziele schleswig-holsteinischer Arbeitnehmer.
    Doch gerade dort gibt es Probleme mit der
    Bahn. Entlang der Bahntrasse nach Fehmarn
    fürchten sich die Menschen hingegen vor dem
    wachsenden Lärm. Auch das war Thema im
    Landtag.

HVV:                   Sylt: Ärger über                                                            Fehmarnbelt:
Die Fahrpreise steigen den „Geisterzug“                                                            Bund soll liefern
Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV)             Der „Sylt Shuttle plus“ ist seit vier Jahren ein   Wenn der Fehmarnbelttunnel fertig ist,
will seine Fahrpreise anheben, und das stieß    Ärgernis für viele Menschen, die per Bahn          ­befürchten die Anwohner im Osten des Lan-
im August insbesondere bei der Jamaika-         auf die Nordseeinsel reisen – und stieß im          des Lärmbelästigungen durch die vielen Züge,
Koalition auf Protest. Nach den HVV-Plänen      August auch im Landtag auf scharfe Kritik.          die dann von Hamburg Richtung Kopen­hagen
sollen die Preise um durchschnittlich 1,8       Denn das Zusatzangebot der Deutschen                rollen. Bürger, Kommunalpolitik und die
Prozent steigen. Allerdings werden insbe-       Bahn auf der Strecke Bredstedt – Niebüll -          Deutsche Bahn hatten sich ursprünglich auf
sondere die Tarifzonen C, D und E belastet,     Westerland verursacht Probleme. Die Auto-           einen Lärmschutzplan verständigt, der über
die in Schleswig-Holstein liegen. Die Ham-      züge nach Sylt werden durch die Extra-Wag-          die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgeht.
burger Innenstadt-Zonen A und B bleiben         gons so lang, dass deutlich mehr Zeit für das       Das Bundesverkehrsministerium will hiervon
hingegen weitgehend verschont. Der Ham-         Rangieren anfällt. Auf der ohnehin stark            nun aber offenbar nichts mehr wissen. Im Au-
burger Senat, der 85,5 Prozent der Anteile      beanspruchten Strecke kommt es so zu wei-           gust gab es deswegen große Verärgerung über
am HVV hält, wolle die Tarifentscheidung        teren Verzögerungen. Hinzu kommt: Nur               CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. Des-
„arrogant“ und „hinterrücks“ durchdrü-          wenige Fahrgäste nutzen den „Sylt Shuttle            sen Vorgehen treibe ihm „die Zornesröte ins
cken, zürnte Lukas Kilian (CDU). Die weite-     plus“, denn dort gilt der teure Fernverkehr-         Gesicht“, erklärte Andreas Tietze (Grüne).
ren Partner seien nicht beteiligt worden. Das   tarif der DB. Der Staatskonzern setze diesen        Es könne nicht weiter das Motto gelten „im
Land Schleswig-Holstein hält drei Prozent,      „Geisterzug“ nur ein, „um die Gleise für            Süden klotzen, im Norden kleckern“, sagte
die Umlandkreise 9,5 Prozent. Der HVV sei       die Konkurrenz zuzumachen“, argwöhnte               Christopher Vogt (FDP) mit Blick auf die
bereits „der teuerste Nahverkehrsverbund        Kay Richert (FDP). Neben der DB ist auch            Rheintalbahn in Baden-Württemberg, wo
in ganz Deutschland“, so Kilian. Auf Pend-      der private Anbieter RDC auf der lukrati-           der Lärmschutz über die Mindeststandards
ler kämen nun Extra-Kosten von bis zu 14        ven Strecke unterwegs. Die Deutsche Bahn            hinausgeht – voll finanziert vom Bund.
Euro im Monat zu.                               genießt wegen der Waggons aus Bredstedt             ­Volker Schnurrbusch (AfD) sprach von ei-
                                                jedoch Vorrang auf der Autozugstrecke ab             nem „Schock für alle Bürger in Ostholstein
„Hamburg hat im kommenden Jahr Bür-             Niebüll. „Hier hat die Bahn sich eines Kniffs        und Stormarn“. Und Landesverkehrsminis-
gerschaftswahl“, und die CDU wolle sich         bedient“, rügte Lars Harms (SSW). Im Wirt-           ter Bernd Buchholz (FDP) erkannte einen
„profilieren“, konterte Kai Vogel (SPD).        schaftsausschuss soll nun erörtert werden,           „Affront“ gegen die betroffenen Bürger.
Er verwies darauf, dass der Schleswig-          welche juristischen Schritte möglich sind.
Holstein-Tarif in diesem Jahr um durch-         Auf Antrag der Jamaika-Fraktionen soll             Die SPD forderte das Land auf, sich mit 50
schnittlich 1,97 Prozent erhöht werde. Zu-      geprüft werden, ob die 39 Kilometer lange          Prozent an den Mehrkosten zu beteiligen.
dem koste es im Lande deutlich mehr als im      Sylt-Strecke nicht mehr als Fern-, sondern         „Uns geht es darum, dass die Bevölkerung
HVV-­  Bereich, einen Familienausflug mit       als Nahverkehr eingestuft werden kann.             dort nicht darunter leiden muss, dass die
der Bahn zu unternehmen. Die Koalition          Dann wäre das Land zuständig, und nicht            Regierung schlecht verhandelt“, sagte Frak-
solle sich lieber „darum kümmern, statt hier    mehr die Bundesnetzagentur.                        tionschef Ralf Stegner. Er stieß damit bei
Wahlkampf für Hamburg zu machen“.                                                                  den anderen Fraktionen aber auf Ablehnung.

                                                            DER LANDTAG 03/2019                                                                7
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
S TA D T – L A N D

Eine Quote soll junge Ärzte
aufs Land locken
In Schleswig-Holstein drohen die Hausärzte auszugehen. Das gilt vor allem für
ländliche Regionen, teilweise aber auch für Ballungszentren. Knapp 2.000 nieder­
gelassene Allgemeinmediziner gibt es im Lande, und ein Drittel von ihnen ist
älter als 60 Jahre. Ob eine Landarztquote im Medizinstudium helfen kann, hat der
Landtag Ende August kontrovers diskutiert.

  Die AfD hat einen Gesetzentwurf für ei-               dem AfD-Modell zufolge zu einer Strafzah-
ne solche Quote vorgelegt. Demnach sollen               lung von 250.000 Euro verpflichten, sollten
zehn Prozent der Studienplätze in Kiel und              sie ihre Land-Praxis frühzeitig aufgeben.
Lübeck an Bewerber gehen, die sich ver-
pflichten, zehn Jahre lang als Hausarzt in                Die Quote könne allenfalls Teil eines
einer unterversorgten Region zu arbeiten.               „Bündels von Maßnahmen“ sein, sagte
Das wäre auch eine Einstiegsmöglichkeit für             Hans Hinrich Neve (CDU). Ein Kernpro-
Schulabgänger ohne Einser-Abitur, die an-               blem sei die „abnehmende Bereitschaft“              der Ausbau der Telemedizin, also der Fern-
sonsten Warte-Semester ableisten müssten.               vieler Jung-Mediziner, die Arbeitsbelastung         sprechstunde per Internet, oder auch „Hol-
Andere Bundesländer wie Bayern, Rhein-                  und das finanzielle Risiko einer Selbstän-          und Bringdienste“ für Patienten.
land-Pfalz und Sachsen-Anhalt seien diesen              digkeit auf sich zu nehmen. Die Kommunen
Schritt bereits gegangen, so Claus Schaffer             müssten daher Ärztehäuser und Gesund-                 Marret Bohn (Grüne) störte sich an Straf-
(AfD). In NRW starte die Quote zum kom-                 heitszentren bereitstellen. Besser als eine         zahlung: Wer während des Studiums mer-
menden Wintersemester, und „der An-                     „betonierte Quote“ sei es, die Bedingun-            ke, dass er ein Talent für Chirurgie habe, der
sturm auf die Landarztstudienplätze ist ge-             gen attraktiver zu gestalten, befand auch           müsse 250.000 Euro zahlen, um den Traum-
waltig“. Angehende Mediziner müssen sich                Bernd Heinemann (SPD). Dazu gehörten                beruf zu erreichen: „Das kann doch nicht Ihr
                                                                                                            Ernst sein!“ Bis der erste Quoten-Arzt auf
                                                                                                            dem Land ankomme, werde viel Zeit verge-
                                                                                                            hen, wendete Dennys Bornhöft (FDP) ein:
                                                                                                            Vor 2032 „wäre kein einziger dieser angehen-
                                                                                                            den Landärztinnen und Landärzte wirklich
                                                                                                            am Praktizieren.“ Jette Waldinger-Thier-
                                                                                                            ing (SSW) plädierte stattdessen für eine
                                                                                                            „Buschzulage“ – eine bessere Vergütung für
                                                                                                            Ärzte in entfernten Gegenden.

                                                                                                              Schleswig-Holstein habe bundesweit „die
                                                                                                            mit Abstand beste ­ Nachbesetzungsquote
                                                                                                            bei Ärztinnen und Ärzten“, unterstrich
                                                                                                            Sozialminister Heiner Garg (FDP): „Wir
                                                                                                            haben, bezogen auf die Anzahl der Bürge-
 Claus Schaffer (AfD) hofft: „Es gibt sehr viele jun-      Hans Hinrich Neve (CDU) ist hingegen skep-       rinnen und Bürger, deutlich mehr Medi-
ge Menschen, die gern Landarzt werden möchten.               tisch: „Man ist heute nicht mehr bereit, 60    zinabsolventinnen und -absolventen als in
Vielleicht sind nicht alle Einser-Abiturienten. Aber       und mehr Stunden in der Woche zu arbeiten,       Nordrhein-Westfalen.“ Der Sozialausschuss
   müssen sie deswegen schlechtere Ärzte sein?“                       ­sondern will auch Freizeit haben.“   berät den Gesetzentwurf weiter.

„Zentrale Orte“ sichern die Daseinsvorsorge
    130 Gemeinden im Lande gelten als „Zentrale Orte“. Dort ­ballen                An diesem System wird sich auch in Zukunft nur wenig ändern.
sich Wohnungen, Gewerbe, Schulen, Kitas, Ärzte, Banken und                       Das geht aus einem Bericht des Innenministeriums aus dem August
­Supermärkte. Knapp 70 Prozent der Einwohner des Landes leben in                 hervor. Einige Kommunen werden höhergestuft, weil die Einwoh-
 ­einem „Zentralen Ort“. Größter Zentralort ist das Oberzentrum Kiel             nerzahl gestiegen ist. Dies sind Mittelangeln mit dem Hauptort
  mit 247.527 Einwohnern und mehr als 400.000 Menschen im Ein-                   Satrup, Steinburg im Kreis Stormarn sowie die benachbarten Ge-
zugsbereich. Der kleinste Ländliche Zentralort ist Grube im Kreis Ost-           meinden Neukirchen und Klanxbüll in Nordfriesland, die künftig
holstein mit 1.027 Einwohnern (Stand: Ende Juni 2018). Um ihre Ver-              gemeinsam als Ländlicher Zentralort gelten.
sorgungsfunktionen aufrecht zu erhalten, bekommen die „Zen­tralen
Orte“ Extra-Geld aus dem Kommunalen Finanzausgleich.

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Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
S TA
                                                                                                                      BRDETX–I TL A
                                                                                                                                  – NE D
                                                                                                                                       U

Haushalt 2020 – wie wirkt er vor Ort?
Nach Jahren sprudelnder Einnahmen spannt sich die Finanzlage des Landes an. Das wurde Ende September bei der Ersten
Lesung des Landeshaushalts 2020 deutlich. Dennoch würden die Lebensverhältnisse der Menschen weiter verbessert, betonten
die Jamaika-Fraktionen. Die Opposition übte hingegen Kritik und verwies auf die stockenden Verhandlungen zwischen Land
und Kommunen über die Finanzausstattung von Städten, Kreisen und Gemeinden.

   Der Haushaltsentwurf sieht Ausgaben von 13,05 Milliarden ­Euro            Finanzministerin Monika Heinold
vor, eine Steigerung um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.                (Grüne) stellte klar: „Wir lassen unse-
1,3 ­M illiarden Euro sind für Investitionen vorgesehen. Damit beträgt   re Kommunen nicht im Regen stehen.“
die Investitionsquote 10,1 Prozent. 2020 greift erstmals die Schul-      Sie wies darauf hin, dass der Kommunale
denbremse. Dann gibt es keine Konsolidierungshilfen von Bund             ­F inanzausgleich von derzeit rund 1,8 Mil-
und reichen Ländern mehr, und Schleswig-Holstein darf keine Neu-         liarden Euro auf 2, 4 Milliarden im Jahr
schulden mehr aufnehmen. Hinzu kommt: Das Land nimmt laut                2028 steigen werde. Zudem blickte sie auf
Mai-Steuerschätzung 89 Millionen Euro weniger ein als zunächst            das ­Förderprogramm IMPULS: 2020 seien
angenommen. Der Haushalt wird nun in allen Landtagsausschüssen            69 Millionen Euro zur Sanierung der kom-
weiter beraten, Mitte Dezember soll er verabschiedet werden.              munalen Infrastruktur vorgesehen, etwa für
                                                                          den Bau von Kitas, für Schulen und Schul­
  FDP-Fraktionschef Christopher Vogt                                      toiletten sowie für Sportstätten.
gab das Motto aus: „Mit hohen Investitio-
nen in unsere Infrastruktur wollen wir das
Leben der Menschen erleichtern.“ Dabei sei-                                Eka von Kalben, Fraktionsvorsitzende
en „Großbaustellen“ wie das „marode Lan-                                 der Grünen, betonte, Jamaika strebe den
desstraßennetz“ zu bewältigen. „Ich ärgere                               „Ausgleich zwischen den Interessen der
mich nicht über die vielen Baustellen und                                verschiedenen Regionen“ an. Aus Grünen-
Umleitungen“, so Vogt. Auch der Ausbau                                   Perspektive betonte sie die Chancen des
der digitalen Infrastruktur in der Fläche sei                            Klimaschutzes für die kommunale Ebene,
bedeutsam: „Wir brauchen Glasfaser in je-                                etwa mehr Solardächer in den Dörfern oder
der Wohnung.“                                                            „Städte, wo man das Auto stehen lassen
                                                                         kann“. Sie gab allerdings zu bedenken: „Man
                                                                         kann gar nicht alle gleichmäßig glücklich
    CDU-Fraktionschef Tobias Koch un-                                    machen.“
terstrich: „Auch wir haben Verständnis für
die Wünsche der Kommunen.“ Aber: „Wir
können nicht über unsere Verhältnisse                                       Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg
­leben.“ Jamaika habe zuletzt Haushaltsüber-                              Nobis warnte mit Blick auf die Weltwirt-
  schüsse verwendet, „um den Kommunen                                    schaft: „Die Krise steht vor der Tür.“ Das
  unter die Arme zu greifen“ und in den ver-                             Land taumele einer Rezession „planlos und
  gangenen drei Jahren Investitionen von vier                            ziellos entgegen“, und die Koalition zeige
  Milliarden Euro angestoßen: „Mit diesem                                keinerlei Willen zum Sparen. Nobis ­mahnte
 Kraftakt beseitigen wir den Sanierungsstau                              „einen grundlegenden Kurswechsel“ an,
 der vergangenen Jahrzehnte und machen                                   ­etwa bei den Strompreisen, die in Schles-
 ­damit unser Bundesland fit für die Zukunft.“                           wig-Holstein weltweit die höchsten seien,
                                                                         sowie in der Asylpolitik.

  Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD)
monierte, dass es auch im dritten Jamaika-                                 Lars Harms (SSW) lobte die Kommunen
Jahr noch „keine gültigen Regionalpläne für                              als „Keimzelle der Demokratie“. Wenn ein
den Ausbau der Windkraft“ gebe. Mit der                                  Gutachten feststelle, dass sowohl das Land
aktuellen Kita-Reform bleibe Schleswig-                                  als auch die Kommunen finanziell unter-
Holstein „das einzige norddeutsche Bundes-                               versorgt seien, dann müsse es einen „fairen
land, wo es nicht in Richtung Beitragsfreiheit                           Ausgleich“ geben. Derzeit seien viele Kreise
geht“. In der Opposition habe insbesondere                               und Städte überlastet. Harms warnte vor
die CDU einen „bedarfsgerechten Kommu-                                   einem „politischen Stillstand“ in den Berei-
nalen Finanzausgleich versprochen“. Von                                  chen Ehrenamt, Kultur, Minderheitenpoli-
dieser Ankündigung setze man sich nun mit                                tik, Soziales, Verkehr und Klimaschutz.
„billigen Taschenspielertricks“ ab.

                                                            DER LANDTAG 03/2019                                                       9
Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
IM RÜCKBLICK
                                              VOR 64, 41 UND 28 JAHREN

                     Was hat die Landespolitik in früheren Zeiten bewegt?
               In dieser Serie blicken wir ins Archiv und spüren nach, was den Landtag in vergangenen Zeiten beschäftigt hat.
                   Diesmal geht es um die besondere Förderung, die die Nord-Wirtschaft über Jahrzehnte genossen hat –
                                              wegen der Randlage des Landes an der DDR-Grenze.

     1955, 1978,                           Fast ganz Schleswig-Holstein
        1991:                              ist „Zonenrandgebiet“
Heute, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, wirkt der Begriff altertümlich. Dabei                auch Plön, Rendsburg-Eckernförde und
hat er jahrzehntelang das Leben in weiten Teilen Schleswig-Holsteins geprägt:                 Schleswig-Flensburg sowie die Städte Kiel
„Zonenrandgebiet“. Die „Zone“, das war die Sowjetische Besatzungszone, die 1945               und Neumünster. Die Ostseeküste und ihr
entstanden war. Der Begriff blieb im westdeutschen Sprachgebrauch erhalten, auch              Hinterland wurden ebenfalls gefördert,
nachdem auf diesem Gebiet im Oktober 1949 die DDR gegründet wurde.                            denn das Ufer galt als „nasse Grenze“. Die
                                                                                              Folge: Zwei Drittel Schleswig-Holsteins
  Die Grenze zwischen der DDR und der im       in den Ostseeraum wurden weitgehend            waren nun „Zonenrandgebiet“.
Mai 1949 aus den drei Westzonen gebildeten     gekappt.
Bundesrepublik war in den Anfangsjahren          Der Bundestag in Bonn reagierte im               1955: Der Landtag ist enttäuscht
noch offen. Das änderte sich im Mai 1952.      Juli 1953 mit einem Sonderprogramm
Die Parteikonferenz der DDR-Staatspartei       für die betroffenen Regionen. Ein 40             Wie reagierte man im Lande auf die neue
SED beschloss, die innerdeutsche Grenze        Kilometer    breiter     Streifen   westlich   Förderung? „Wir alle waren wohl sehr
abzuriegeln. Metallzäune, Minenfelder,         der    Demarkationslinie       bekam    nun    enttäuscht“, fasste der SPD-Abgeordnete
Wachtürme und Drahtverschläge machten          „Zonenrandförderung“.          Unternehmen     Hermann Franck im November 1955 die
es in der Folge beinahe unmöglich, die         erhielten      Investitionszulagen      und    Stimmung im Landtag zusammen. Denn
ehemals grüne Grenze zu überqueren.            Abschreibungsmöglichkeiten            sowie    die Hilfe für den Rand ändere nichts daran,
  Das hatte nicht nur für DDR-Bürger,          Zinszuschüsse für Kredite. Sie wurden von      „dass unsere Industrie sich mehr und
sondern auch für Grenzanrainer im Westen       der Grunderwerbssteuer befreit, bei der        mehr in gewissen Räumen im Westen
drastische Folgen. Denn Gebiete, die           Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt        unseres Bundesgebietes konzentriert“ –
früher mit günstiger Verkehrsanbindung         und bekamen „Frachthilfen“ – Zuschüsse für     ein neidischer Blick auf den Ruhrpott, wo
mitten im Lande lagen, befanden sich nun       den Transport ihrer Waren.                     die brummende Industrie die Keimzelle
in einer extremen Randlage und galten als        Das     „Zonenrandgebiet“        umfasste    des      „Wirtschaftswunders“       bildete.
„Ende der Welt“. Das bekam vor allem           bundesweit 30 Städte und Kreise in den         Franck forderte, die Wirtschaftskraft zu
die Wirtschaft zu spüren, etwa in Lübeck.      Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen,     „dezentralisieren“. Und „dabei bietet
Keine andere Großstadt außer Berlin lag so     Hessen und Bayern. Im Norden waren das         sich das Land an, das genügend Räume,
dicht an der innerdeutschen Trennlinie. Die    Lübeck und die Kreise Herzogtum Lauenburg,     Verkehrsmöglichkeiten und – was sehr
traditionellen Bindungen der Hansestadt        Stormarn, Segeberg und Ostholstein, aber       wichtig ist – Arbeitskräfte hat. Und das ist
                                                                                              Schleswig-Holstein.“
                                                                                                Francks Mahnungen waren begründet.
                                                                                              Denn trotz der Finanzspritzen hinkte die
                                                                                              Wirtschaft im „Zonenrandgebiet“ dem
                                                                                              Bundestrend jahrzehntelang hinterher. Die
                                                                                              Arbeitslosigkeit war dort stets höher, und
                                                                                              viele Menschen wanderten ab. Eine staatlich
                                                                                              gelenkte „Dezentralisierung“ passte jedoch
                                                                                              nicht in die von Bundeswirtschaftsminister
                                                                                              Ludwig Erhard (CDU) ausgerufene Soziale
                                                                                              Marktwirtschaft.

                                                                                              Ein Schild, ein Pfahl, ein Zaun – und ansonsten
                                                                                              nicht viel. Die Regionen an der etwa 1.400 Kilo­
                                                                                              meter langen innerdeutschen Grenze waren
                                                                                              lange auf Unterstützung angewiesen.

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IM RÜCKBLICK

                                                 Christdemokrat        Hans         Ingwersen     verwies darauf, dass die heimischen Betriebe
                                                 prangerte im Landtag die „Vorteile der           durch die Abschreibungsmöglichkeiten
                                                 Zonenrandförderung“ für den Osten an.            des „Zonenrand“-Gesetzes jährlich eine
                                                 Er verwies auf den Fall, dass „in List auf       Milliarde DM eingespart hätten. „Dies löst
                                                 Sylt     die   Bundesvermögensverwaltung         ein Investitionsvolumen von zwei Milliarden
                                                 einen Auftrag über 150.000 DM an eine            DM aus“, so Simonis.
                                                 Eckernförder     Firma    vergeben     muss,       „Auch wir sind bereit, zu verzichten, um
                                                 obwohl eine heimische Lister Firma das           den Aufbau in den neuen Bundesländern zu
                                                 billigste Angebot bringt“. Sein Parteifreund     ermöglichen“, erklärte Karl Eduard Claussen
                                                 Roger Asmussen aus Heide hob ebenfalls           (CDU). Für Schleswig-Holstein gelte nun:
                                                 hervor, dass die Westküste „auch gern            „Wir werden weniger Geld haben, darauf
                                                 Teil des Zonenrandgebiets“ wäre. Es sei          müssen wir uns einstellen.“
                                                 aber offensichtlich, „dass dieser Wunsch
                                                 politisch nicht durchsetzbar ist“.

1955: Otto Eisenmann (SHB) setzte sich für die
Westküste ein.

   Ein weiteres Problem sprach Herbert Beer
von der Vertriebenenpartei BHE (Bund der                                         1978: Auch
Heimatvertriebenen und Entrechteten) an.                                         Roger
Auf viele Fördertöpfe konnten nur Betriebe                                       Asmussen
zugreifen, die bereits vor 1939 im Lande                                         (CDU)
ansässig waren. Ost-Flüchtlinge, die ein                                         beklagte die
                                                                                 Unterschiede
neues Gewerbe gestartet hatten, gingen oft
                                                                                 innerhalb
leer aus. „Wo ist denn da die Logik?“, fragte
                                                                                 Schleswig-
Beer. „Wir haben in Schleswig-Holstein eine                                      Holsteins.
Watte- und Verbandzeugindustrie und eine                                                          1991: Finanzministerin Heide Simonis (SPD)
Wachswarenindustrie, die überwiegend aus           CDU-Wirtschaftsminister              Jürgen    warnte vor Rückschlägen nach dem Wegfall der
heimatvertriebenen Betrieben besteht. Diese      Westphal, der aus Hamburg stammt und             „Zonenrandförderung“.
Industrien werden nicht gefördert.“              den Wahlkreis Pinneberg vertrat, monierte          Ob das mehr als 40 Jahre andauernde
   Die Bevorzugung des Ostseeraums stieß         hingegen den „häufig anzutreffenden              Hilfsprogramm ein Erfolg war, bleibt
zudem an der Westküste auf Widerstand.           Irrtum“, dass „die politisch bedingte und        umstritten. Einige ehemalige Grenzregionen,
Es sei „eine Groteske, das Land Schleswig-       vom Bund und allen Ländern gemeinsam             etwa im Harz oder in Oberfranken, sind
Holstein in östliche und westliche Kreise,       getragene     Sonderpräferenz      für     das   weder vor noch nach der Wiedervereinigung
die in der Wirtschaftsförderung verschieden      Zonenrandgebiet“ die Förderung der               langfristig auf die Beine gekommen. Der
behandelt werden, zu trennen“, schimpfte         Westküstenwirtschaft beeinträchtige. Er          Vereinigungsboom          unmittelbar   nach
Otto Eisenmann vom Schleswig-Holstein-           gestand allerdings ein, es sei „nicht in allen   der Wende ebbte schnell wieder ab.
Block (SHB). Die Regionalpartei war vor          Fällen hundertprozentig durchführbar“,           Arbeitslosigkeit und Abwanderung prägten
allem an der Nordsee verankert. „Wir             die Unterschiede innerhalb des Landes            auch nach der Jahrtausendwende das Bild in
alle, ob wir nun an der Westküste oder an        auszugleichen.                                   Osterrode, Goslar oder im nordbayrischen
der Ostküste, auf dem Mittelrücken oder                                                           Hof. Eine Studie des Instituts der Deutschen
oben an der Grenze wohnen, sind gleich              1991: Verzicht fällt schwer                   Wirtschaft in Köln aus dem August dieses
weit entfernt von den Kerngebieten der                                                            Jahres rechnet auch den Kreis Ostholstein zu
Wirtschaft     Westdeutschlands“,     stellte      Welche     Bedeutung      die Förderung        den Problemregionen.
Eisenmann fest, der später zur FDP               hatte, wurde in dem Moment deutlich,               Demgegenüber, so der Diplom-Geograf
wechselte, im Bundestag saß und schleswig-       als sie wegfiel – nach der deutschen             Thorsten Erdmann, gebe es im einstigen
holsteinischer Sozialminister wurde.             Einheit. Kurz nach dem 3. Oktober                „Zonenrand“ auch „vereinzelte Kreise mit
                                                 1990 gab die Bunderegierung das Ziel             überdurchschnittlicher Dynamik“, und zwar
   1978: Murren an der Westküste                 aus, die Unterstützung für den jetzt             „hauptsächlich im Umfeld westdeutscher
                                                 ehemaligen „Zonenrand“ im Jahr 1994              Wirtschaftszentren wie Hamburg“. Dazu
   Das Ost-West-Gefälle war auch 23              auslaufen zu lassen. „Rückschläge auf            zählen Lübeck und das Herzogtum Lauenburg.
Jahre später immer noch Anlass für Ärger         die    schleswig-holsteinische  Wirtschaft       Dort wurden die traditionellen Kontakte in
an der Nordsee und führte im Oktober             sind nicht ganz auszuschließen“, mahnte          den Osten wiederbelebt, und die Metropole
1978 zu Verstimmungen innerhalb der              Finanzministerin Heide Simonis (SPD) in          an der Elbe strahlt auf das Umland aus.
allein regierenden CDU. Der Husumer              einer Landtagsdebatte im Januar 1991. Sie                                       Karsten Blaas

                                                            DER LANDTAG 03/2019                                                                  11
A LT E N PA R L A M E N T

Altenparlament:
Einsamkeit als politische Herausforderung
Die Menschen werden immer älter, und viele ältere Menschen             So rufen die 84 Senioren dazu auf, beim Wohnungsbau die
fürchten sich davor, am Lebensabend zu vereinsamen – egal, ob sie in   Interessen älterer Menschen stärker in den Blick zu nehmen.
der Stadt oder auf dem Dorf leben. „Strategien gegen Einsamkeit im     Neubauten sollen nicht nur barrierefrei sein, sondern sich auch für
Alter“ hieß deswegen das Motto des diesjährigen Altenparlaments,       generationenübergreifende Wohngemeinschaften eignen. Ärzte,
das Mitte September einen umfangreichen Forderungskatalog an die       Läden sowie Bus und Bahn sollen zu Fuß erreichbar sein. Die
Landespolitik formuliert hat.                                          Vertreter von Sozialverbänden, Seniorenräten, Gewerkschaften und
                                                                       Parteien fordern die Landesregierung auf, nach britischem Muster
                                                                       einen „Beauftragten gegen Einsamkeit“ zu berufen. Nach dem Vorbild
                                                                       der früheren Gemeindeschwestern sollen „Quartiersbetreuer“ ältere
                                                                       Menschen regelmäßig besuchen und sie im Dickicht der Hilfsangebote
                                                                       beraten. Wer nicht einsam sein will, muss mobil sein können. Die
                                                                       Altenparlamentarier fordern deswegen landesweit barrierefreie
                                                                       Bahnsteige und Bushaltestellen. Und auch das Altwerden in der
                                                                       Familie soll stärker gefördert werden. Wer Angehörige zu Hause
                                                                       pflegt, soll einen staatlichen Zuschuss erhalten.

                                                                       Es war bereits die 31. Auflage dieser Veranstaltung. Die insgesamt
                                                                       40 Beschlüsse gehen nun an die Fraktionen des Landtages, die
                                                                       Landesregierung sowie die schleswig-holsteinischen Abgeordneten
                                                                       in Bundestag und Europaparlament. Deren Stellungnahmen bilden
                                                                       dann die Grundlage einer Abschlussdebatte, die für den kommenden
                                                                       März geplant ist. Landtagspräsident Klaus Schlie betonte zum Auftakt
                                                                       die Bedeutung des Altenparlaments für die Landespolitik: „Wir
                                                                       freuen uns sehr, dass Sie wieder die Themen behandeln, die Senioren
                                                                       beschäftigen, damit wir diese Dinge in den Fokus nehmen können.“

Henning Scherf wirbt für Wohngemeinschaften
Gemeinsames Wohnen ist nach Überzeu-           „leider in die verkehrte Richtung“, klagte
gung des ehemaligen Bremer Bürgermeis-         der ehemalige Sozialsenator. Das Land wer-
ters Henning Scherf das beste Mittel gegen     de „mit geschlossenen Alteneinrichtungen
Einsamkeit im Alter. „Mit Freunden zusam-      zugepflastert“, die den Betreibern Milliar-
men alt zu werden ist wunderbar“, sagte der    dengewinne einbrächten, in denen viele Be-
SPD-Politiker in seinem Gastreferat zum        wohner aber unglücklich seien.
Auftakt des Altenparlaments. Scherf, Ver-
waltungschef der Hansestadt von 1995 bis       Sein WG-Haus in Bremen sieht Scherf als
2005, lebt seit 30 Jahren mit seiner Frau in   Gegenentwurf und empfiehlt, diesem Weg
einem Mehrgenerationenhaus. Zurzeit woh-       zu folgen – insbesondere auf dem Lande. In
nen dort zehn Menschen, vom Kleinkind          vielen Dörfern gebe es stillgelegte Gasthäu-
bis zum Rentner, berichtete der 80-Jährige.    ser, Schulen oder Werkstätten, die sich in
Es werde gemeinsam gekocht, der Garten         ein gemeinsames Wohnprojekt umbauen             Henning Scherf beantwortete zahlreiche Fragen
gepflegt und Urlaub gemacht. Und auch
­                                              lassen. Daraus entstehe sogar ein Mehrwert        der Altenparlamentarier und suchte dabei den
Pflege und Sterbebegleitung werde gemein-      für die gesamte Gemeinde: „Man kann mit          direkten Kontakt zu seinen Gesprächspartnern.
schaftlich organisiert. „Die meisten Alten     uns Alten zusammen Dörfer reaktivieren.“
wollen da alt werden, wo sie zu Hause sind,    An die Kommunalpolitiker vor Ort appel-        Gewinn an Lebensqualität sei enorm, ver-
wo sie eine Person sind und kein Gegen-        lierte er, solche Modelle zu fördern. Aller-   wies Scherf auf Erfahrungen aus den USA:
stand“, so der Sozialdemokrat. Die gesell-     dings: Die Kommunen bräuchten dafür            „Wer in solchen Projekten wohnt, der lebt
schaftliche Entwicklung gehe zurzeit aber      auch mehr Geld von Land und Bund. Der          zehn Jahre länger.“

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AUSSCHÜSSE

Bildungsausschuss:
Debatte über Nikab und Freiheitsrechte
Die Diskussion um das Verbot von Gesichtsschleiern an der Uni Kiel wird seit Monaten kontrovers geführt. Die Christian-
Albrechts-Universität hatte im Januar einer muslimischen Studentin eine Vollverschleierung in Lehrveranstaltungen verboten.
Im Hörsaal müssten Mimik und Gestik des Gegenübers zu erkennen sein, so das Präsidium der CAU. Auf dem Campus dürfen
Kleidungsstücke wie Burka oder Nikab jedoch getragen werden.

Die Uni-Leitung fordert zudem ein gesetz­      CAU-Vizepräsidentin      Prof.     Anja        „Angriff auf die Freiheit“
liches Schleierverbot an Schulen und           Pistor-Hatam. Damit eine Hochschule
Hochschulen. Aus Teilen der Politik kommt      ihren Aufgaben nachkommen könne, sei        Die Studentin Katharina K. verurteilt
Unterstützung. CDU und FDP bekundeten          ein „offene Kommunikation“ erforderlich.    das Verbot dagegen als „zunehmende
Sympathie, die Af D legte im Februar ei-                                                   bewusste Dämonisierung des Islams
nen entsprechenden Gesetzentwurf vor.          Mit Gesichtsschleier sei „ein freies,       und der Muslime“. Es bezwecke nichts
Die muslimische Studentin, Katharina K.,       gleichberechtigtes und selbstbestimmtes     Anderes, „als dass gläubige Muslimas, die
sieht sich hingegen diskriminiert und ver-     Leben nicht möglich“, unterstreicht         der islamrechtlich legitimen und gültigen
weist auf die grundgesetzlich geschützte       die Frauenrechtsorganisation „Terre         Auffassung folgen, dass das Gesicht zu
Religionsfreiheit. Sie erhält ebenfalls öf-    des Femmes“. Der Schleier verletze die      bedecken ist, verwehrt wird, eine höhere
fentliche Rückendeckung, etwa von den          Menschenwürde und das Recht auf freie       akademische Bildung wahrzunehmen“.
mitregierenden Grünen. SPD und SSW             Entfaltung der Persönlichkeit – egal ob     Sie kündigt in ihrem Schreiben vom Juni
mahnten in der Plenardebatte im März zur       er aus äußerem oder „innerem Zwang“         an, auch weiterhin mit Gesichtsschleier an
Gelassenheit.                                  getragen werde. „Terre des Femmes“          Vorlesungen teilzunehmen.
                                               will den Schleier aus dem gesamtem
Mehr als 50 Fachleute und Betroffene           öffentlichen Raum verbannen und nennt       Der Zentraltrat der Muslime spricht von
haben nun dem Bildungsausschuss ihre           Bayern als Beispiel, wo Burka und Nikab     einem „Angriff gegen die Frau“. Frauen,
Stellungnahmen       zum     Schleier-Streit   nicht nur an Hochschulen, sondern auch im   „die für sich den Gesichtsschleier als
vorgelegt. Es war eine der umfangreichsten     öffentlichen Dienst, in Kindergärten und    religiös verbindlich ansehen“, würden von
Anhörungen in der Geschichte des               in Wahllokalen verboten sind.               Bildung ferngehalten. Die Konsequenz
Landtages. Eine ausführliche mündliche                                                     sei, dass diese Frauen „in eine Isolation
Anhörung ist für den 5. Dezember geplant.      Eine     ähnliche   Position    vertritt    gebracht würden, die sich nicht selten auf
                                               die    alevitische  Gemeinde      Kiel.     den familiären Kreis beschränkt“.
   „Schleier bedeutet Zwang“                   Der Gesichtsschleier stehe für ein
                                               „frauenfeindliches   Weltbild“.      Er     Die Islamische Religionsgemeinschaft
Neben   der   Glaubensfreiheit habe            mache Schülerinnen und Studentinnen         Schura pocht auf das Neutralitätsgebot
auch die Freiheit von Wissenschaft             „gesichtslos“.                              des Staates. Es sei dem Staat untersagt,
und Lehre Verfassungsrang, betont                                                          „einzelne religiöse und weltanschauliche
                                                                                           Überzeugungen zu verbieten, zu bekämp­
                                                                                           fen oder auch nur abzulehnen“. Dem Staat sei
                                                                                           es auch „verwehrt, bestimmte Bekenntnisse
                                                                                           zu privilegieren oder den Glauben oder
                                                                                           Unglauben seiner Bürger zu bewerten“.

                                                                                           Auch aus der schleswig-holsteinischen
                                                                                           Universitätslandschaft kommt Skepsis.
                                                                                           Die Uni Lübeck sieht derzeit keine
                                                                                           ausreichenden Gründe für ein „pauschales
                                                                                           Verbot“. Die Diversitätsbeauftragte
                                                                                           der CAU, Eddi Steinfeldt-Mehrtens,
                                                                                           weist das Argument der „offenen
                                                                                           Kommunikation“       zurück:     „Lehrende
                                                                                           beurteilen generell nicht die Mimik oder
                                                                                           Gestik von Studierenden, sondern deren
                                                                                           Leistungen.“ Und diese würden bereits
                                                                                           jetzt teilweise verhüllt erbracht, etwa im
                                                                                           Labor oder im Praxisteil von Medizin und
                                                                                           Zahnmedizin.
Umstrittenes Kleidungsstück: der Nikab

                                                         DER LANDTAG 03/2019                                                         13
AUSSCHÜSSE

Petitionsausschuss:
Sprechstunden gegen „Berührungsängste“
Der Petitionsausschuss lässt ein altes             Holstein abdecken. Hauptziel ist es, dass Bür-       Welche Themen beschäftigen den
Format wiederaufleben und will mit                 ger auf uns aufmerksam werden. Wir wollen            Petitionsausschuss am meisten?
Bürgern vor Ort ins Gespräch kom­                  verdeutlichen, dass sie nur bei uns mit Ab-
men. Start einer neuen Reihe von                   geordneten in Kontakt treten und dass ihre          Jörg Hansen: „Diese Frage lässt sich
offenen Bürgersprechstunden war                    Anliegen nur so ins parlamentarische System       schwer beantworten, da sich nicht alle The-
Mitte September in Eutin. Meldorf                  gelangen. Dabei sollen Berührungsängste           men bündeln lassen. Was sich zusammen-
und Husum sind weitere Stationen.                  abgebaut werden, indem wir gezielt auf die        fassen lässt und häufig vorkommt, sind Vor-
                                                   Bürger zugehen. Die Reaktion auf vergangene       schläge zu Gesetzesänderungen und Anlie-
  Die Abgeordneten Jörg Hansen (FDP),              Sprechstunden war sehr gut.“                      gen aus dem Bereich Strafvollzug.“
Volker Nielsen (CDU) und Andreas Tiet-
ze (Grüne) sind die ersten, die das neue                    An wen richten sich die                    Andreas Tietze: „Ein konkretes Beispiel
Angebot für den Ausschuss begleiten. Mit                    Bürgersprechstunden?                     lässt sich zum Stichwort Individualität an-
ihnen und dem Vorsitzenden, dem CDU-                                                                 führen: Wenn Häftlinge ihre eigene, private
Abgeordnete Hauke Göttsch, traf sich die             Volker Nielsen: „Wirklich jeder kann            Kleidung tragen wollen, kann es sein, dass sie
Redaktion zum Gespräch.                            die Bürgersprechstunde aufsuchen. Mein            an der Wäscherei der Anstalt scheitern, die
                                                   Berichtsraum ist Dithmarschen/Steinburg.          nicht darauf eingestellt ist, private Kleidung
              Was macht der                        Wenn ich am 22. November mit der Bürger-          zu waschen oder zu sortieren. Dies empfin-
        Petitionsausschuss genau?                  sprechstunde im Café ‚Neue Holländerei‘ in        den einige Insassen als ungerecht.“
                                                   Meldorf vor Ort bin, gehe ich davon aus, dass
  Hauke Göttsch: „Beim Petitionsausschuss          überwiegend Dithmarscher vorbeischauen             Gab es Petitionen, die Ihnen besonders
kommen Fragen und Anregungen der Bürger            werden.“                                              im Gedächtnis geblieben sind?
im parlamentarischen Raum an. Wer sich in
Schleswig-Holstein durch staatliche Stellen         Werden vor Ort Unterlagen benötigt?                Hauke Göttsch: „Gerade im ländlichen
ungerecht behandelt fühlt, kann eine Petition an                                                     Raum kommt es dazu, dass sich Bürger ab-
den Ausschuss richten. In diesem Jahr haben den      Andreas Tietze: „In der Regel haben Bür-        gehängt fühlen, weil sie an der Verwaltung
Ausschuss bereits über 300 Petitionen erreicht.    ger die Dokumente dabei, die sie für relevant     abgeprallt sind. Wenn man sie jedoch vor Ort
Wir prüfen die eingegangenen Dokumente,            halten. Was für uns zählt, ist es, ein offenes    besucht, können Dinge plötzlich leicht gere-
beraten darüber und können oft ein positives       Ohr für die Anliegen der Petenten zu haben.       gelt werden und Missverständnisse beseitigt
Ergebnis für den Petenten erzielen. Manchmal       Wir sind nicht allwissend, wir sind keine         werden. Da fungieren wir als Bindeglied zwi-
müssen nur Kleinigkeiten ausgemerzt werden,        Juristen. Wir hören uns die Anliegen an, wie      schen Bürger und Behörde. Jüngster Erfolg:
damit die Anliegen der Bürger Gehör finden.“       sie vorgetragen werden. Wir bestätigen, be-       die Beseitigung einer Gefahrenstelle auf ei-
                                                   gleiten und ermuntern die Petenten und fun-       nem Radweg im Kreis Pinneberg.“
           Was ist das Ziel der                    gieren als eine Art ‚Durchlauferhitzer‘, indem
         Sprechstunden vor Ort?                    wir Probleme aufnehmen und sie an fachkun-                   Interview: Rebecca Hollmann
                                                   dige Juristen oder auch an die Behörden und
  Hauke Göttsch: „Wir wollen uns breit             Ministerien weitergeben.“
aufstellen und jeden Winkel von Schleswig-

                                                                                                    Die nächsten Termine für offene Bürger-
                                                                                                    sprechstunden, jeweils um 16 Uhr:

                                                                                                        Freitag, 22. November, in Meldorf,
                                                                                                        Neue Holländerei, Jungfernstieg 4

                                                                                                        Montag, 20. Januar 2020, in Husum,
                                                                                                            Kreishaus, Marktstraße 6

                                                                                                    Es wird gebeten, sich unter der Rufnummer
                                                                                                    0431/988-1018 oder per E-Mail an
                                                                                                    petitionsausschuss@landt ag.ltsh.de
                                                                                                    anzumelden. Weitere Informationen unter
             Mit dem Petitionsausschuss im Lande unterwegs: die Abgeordneten Volker Nielsen,        www.sh-landtag.de, Rubrik „Petitionen“.
                                              Andreas Tietze, Hauke Göttsch und Jörg Hansen

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