Stadt - Land - vieles ist im Fluss - Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein - Landtag SH
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Nr. 03/ Oktober 2019 Stadt – Land – vieles ist im Fluss Unterschiedliche Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein
Inhalt Meldungen 2–4 Liebe Leserinnen, liebe Leser, Königin Margrethe II. im Landtag 5 der Alltag der Menschen in Schleswig-Holstein kann sehr unterschiedlich aussehen – Stadt und Land 6 – 12 je nach dem, ob man auf dem Land wohnt oder in einer großen Stadt, ob man jung ist, Die Bevölkerungsentwicklung mitten im Berufsleben steht oder der älteren Generation angehört. Entsprechend groß in Schleswig-Holstein 6 sind die Herausforderungen an die Politik, wie in den letzten Wochen im Landtag deutlich Pendler und Anwohner: wurde. Auf dem Dorf fürchten viele Menschen, dass die Landarztpraxis bald leer stehen Probleme mit der Bahn 7 könnte. Pendler sind nicht immer glücklich mit der Bahn. Und für Senioren wird Einsamkeit Hausärztemangel, Raumordnung 8 zum Problem. Vor einigen Jahrzehnten kam noch eine weitere Herausforderung hinzu: die Der Haushalt 2020 vor Ort 9 abgelegene Lage Schleswig-Holsteins im „Zonenrandgebiet“ an der innerdeutschen Grenze. Rückblick 1955, 1978, 1991: Davon handelt unsere Rückblicksgeschichte. Schleswig-Holstein als „Zonenrandgebiet“ 10 Außerdem schauen wir in dieser Ausgabe auf den Besuch der dänischen Königin Margrethe II. Altenparlament sucht Strategien im Landeshaus, der den Auftakt zum grenzüberschreitenden Feierjahr 2020 bildete. An den gegen Einsamkeit 12 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen 1939 erinnerte der Landtag gemeinsam mit dem polnischen Botschafter. Zum 200. Geburtstag des Dichters Ausschüsse 13 – 15 Klaus Groth wurden dessen Verdienste um die plattdeutsche Debatte über Gesichtsschleier Sprache gewürdigt. Und: Der Landtag schickt die „Förde- 79 ZÄHLBARES an der Uni Kiel 13 Detektive“ auf Spurensuche. Der Krimi für Kinder Petitionsausschuss lädt zu soll jungen Lesern neben Spannung auch politische Bürgersprechstunden 14 Bildung vermitteln. Reisen nach San Francisco und Toronto 15 Viel Spaß beim Lesen wünscht Einwohner pro Quadratkilometer leben im Kreis Nordfriesland. In Kiel sind es Im Zentrum 16 – 17 Ihre Redaktion 2.086 (Quelle: Statistikamt Nord). Land am Wasser: Mehr zu den unterschiedlichen Das Landtagsjahr 2020 Lebensverhältn issen im Plenarberichte 18 – 20 Aminata Touré ist Lande ab Seite 6 Herkunftssprachlicher Unterricht, neue Vizepräsidentin Minderheiten im Grundgesetz 18 „Feindeslisten“ und Bedrohungen Das Präsidium des Landtages ist wieder komplett: Die Grünen-Politikerin Aminata Touré ist im Internet 19 neue stellvertretende Landtagspräsidentin. Die 26-Jährige wurde Ende August zur Nachfolgerin Wende 1989/90, Rauchverbote 20 ihres Parteifreundes Rasmus Andresen gewählt, der im Mai einen Sitz im Europaparlament Lebensmittelkennzeichnung, errungen hatte. Touré, die von den Jamaika-Fraktionen vorgeschlagen wurde, erhielt in geheimer Meldungen für das Ehrenamt 21 Abstimmung 46 von 69 Stimmen. Es gab 15 Nein-Stimmen und acht Enthaltungen. Sie war die einzige Kandidatin. Die gebürtige Neumünsteranerin, deren Familie aus Mali in Westafrika Leichte Sprache: stammt, ist zurzeit die zweitjüngste Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Arbeit für Menschen mit psychischen Problemen 22 Damit stehen Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) drei Frauen zur Seite. Neben Touré sind Personalien 23 dies Kirsten Eickhoff-Weber (SPD) und Annabell Krämer (FDP). Die „Vizes“ vertreten den Landtagspräsidenten bei Sitzungen und auswärtigen Terminen, wenn dieser verhindert ist. Europa: Gedenken an den Überfall auf Polen 1939 24 Ostseeparlamentarier in Oslo, gemeinsame Initiative mit Südtirol 25 Bücher 26 – 29 Landtagskrimi: Die „Förde-Detektive“ ermitteln 26 200. Geburtstag des Dichters Klaus Groth 28 Bücherecke, Impressum 29 Im Porträt: Peer Knöfler (CDU), Stefan Weber (SPD) 30 Ins Bild gerückt: zu Besuch im Landeshaus 31 Termine, Termine, Termine 32 2 DER LANDTAG 03/2019
MELDUNGEN Grünen-Politiker Joschka Knuth rückt nach Wortwörtlich „Der Anstieg der Mietpreise hat in vielen Der neue Grünen-Abgeordnete Joschka Regionen jeden Bezug zum realen Wert ver- Knuth ist Ende August von Parlaments loren, ist Ausdruck eines defekten Marktes, präsident Klaus Schlie verpflichtet worden. hochattraktiv für Renditejäger und Spekulan- Der 26-jährige Kieler rückte für seinen Partei- ten – ein Markt, auf dem die Mieterinnen und kollegen Rasmus Andresen nach, der im Mai Mieter unter die Räder kommen.“ ins Europaparlament gewählt worden war. (Ralf Stegner, SPD) Knuth war der nächstfolgende Kandidat auf der Grünen-Landesliste zur Landtagswahl 2017. Er „Wir wollen durch den ausreichenden Neubau arbeitete zuletzt bei einer Wirtschaftsprüfungs- und die Aufstockung von Wohngebäuden die gesellschaft, zuvor war der studierte Geograf unter anderem persönlicher Referent von Ex-Um- Mietpreise nachhaltig begrenzen. Wir wollen weltminister Robert Habeck. In seiner Fraktion agiert Knuth als wirtschaftspolitischer Sprecher. außerdem die zusätzliche Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau durch einen weiterentwickelten Landesentwicklungsplan.“ „Folgestudie“ zur NS-Vergangenheit (Peter Lehnert, CDU) Die Studie zu NS-Verstrickungen von schleswig-holsteinischen Landespolitikern „Mein Eindruck ist, dass vieles, das wir an hat vor drei Jahren große Aufmerksamkeit erregt. Nun soll eine „Folgestudie“ weitere Politikverdrossenheit, an Angst vor der Klarheit bringen. Studienleiter ist erneut Prof. Uwe Danker von der Uni Flensburg. Zukunft und Wut über Politik haben, auch Er arbeitet mit einem zehnköpfigen Team an dem Projekt. damit zusammenhängt, dass die Leute selbst wenn sie eine bezahlbare Wohnung haben In Bezug auf den Landtag gebe es noch offene Fragen, so Danker bei der Vorstellung des und auch gar nicht umziehen wollen, Ängste Konzeptes Ende August: Wie lief der Umgang zwischen einstigen NSDAP-Parteigängern und haben, wenn sie sich die Entwicklung auf dem Widerstandskämpfern? Wie war es um die politische Kultur und die Sprache bestellt? Darüber Wohnungsmarkt ansehen.“ hinaus haben die Forscher exemplarisch zwei Kommunalvertretungen ausgewählt: den Kreistag (Eka von Kalben, Grüne) von Süderdithmarschen und die Flensburger Ratsversammlung. Es soll untersucht werden, wel- che Stadt-Land-Unterschiede es gab. Weitere Schwerpunkte sind die Landespolizei, Gerichte, „Es geht um die Immobilienpreise allgemein. Staatsanwaltschaften, das Justiz- und das Sozialministerium sowie die Kultur. Die Biografien Viele, die Eigentum haben, profitieren im von insgesamt 491 Personen sollen unter die Lupe genommen werden. Der Landtag hatte die Zweifelsfall davon. Angesichts der Immobili- enpreise sind die eigenen vier Wände jedoch Studie im April 2018 einstimmig auf den Weg gebracht, im Herbst 2020 soll sie fertig sein. für immer weniger Menschen erreichbar. “ (Christopher Vogt, FDP) Wasser-Volksbegehren gestartet „Das Bundeskabinett hat die Mietpreis Mit einer Kundgebung vor dem Landeshaus ist das Volksbegehren zum Schutz des Wassers bremse bis 2025 verlängert und in einer Anfang September an den Start gegangen. Die Initiative fordert einen besseren Schutz des Reihe von Punkten verschärft. Sie sendet Grundwassers vor Risiken der Gas- und Ölförderung, mehr Transparenz sowie eine vollständige damit genau das falsche Signal. Wir brauchen Haftung von Konzernen für Umweltschäden, die von ihnen verursacht wurden. Zu dem mehr Wohnungen und was bekommen wir? Bündnis gehören Bürgerinitiativen, Verbände sowie Piratenpartei, SPD und SSW. Um einen Mehr Regulierung.“ Volksentscheid zu erreichen, müssen die Initiatoren bis zum 2. März nächsten Jahres mindestens (Jörg Nobis, AfD) 80.000 gültige Unterschriften sammeln. Es ist das erste Volksbegehren im Lande seit zehn Jahren. „Bei einer Wiedervermietung von Bestands- wohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt darf die Miete die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent übersteigen. Das alleine ist für viele schon eine Sicherheit, vor allem in den Gebieten, in denen die Mieten wirklich durch die Decke schießen.“ (Lars Harms, SSW) Aus der Aktuellen Stunde am 28. August über den Wohnungsmarkt. Mehr zu den Lebensverhältnissen im Lande ab Seite 6. Landtag lehnt Wohnraum-Initiative ab Der Landtag hat die „Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum“ argumentieren die Jamaika-Fraktionen und die AfD. CDU, Grüne Ende September mehrheitlich abgelehnt. Sozialverband und Mieterbund und FDP verweisen auf die bereits „beschlossenen Instrumente hatten gefordert, „die Schaffung und Erhaltung von bezahlbarem zur Entlastung der Wohnraumsituation“, etwa eine Reform der Wohnraum“ als Staatsziel in die Landesverfassung aufzunehmen. Landesbauordnung. SPD und SSW unterstützten hingegen die Initiative. Ein solcher Passus hätte „keine unmittelbaren Auswirkungen“, Die Initiatoren hatten gut 39.000 Unterschriften gesammelt. DER LANDTAG 03/2019 3
MELDUNGEN Blutspende-Aktion Resolution und „Werbefläche“ erneut erfolgreich für Kinderrechte Applaus für 30 Jahre Kinderrechte (v. li.): Irene Johns, Landes Landtagspräsident vorsitzende des Klaus Schlie (2. v. li.) Kinderschutzbundes, und Ministerpräsi- Familienminister dent Daniel Günther Heiner Garg, Land- im Gespräch mit tagsvizepräsidentin einem Spender. Annabell Krämer. 69 Blutspender sind dem Ruf von Landtag, Landesregierung und Ende September, zum 30. Jubiläum der UN-Kinderrechtskonventi- Deutschem Roten Kreuz (DRK) Ende September ins Landeshaus ge- on, haben die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes Irene Johns folgt. Neun von ihnen waren Erstspender. Es war die 15. jährliche Blut- und Familienminister Heiner Garg (FDP) im Beisein von Landtags spende-Aktion im Landeshaus seit 2005. Das DRK zeigte sich zufrieden: vizepräsidentin Annabell Krämer die gemeinsame Erklärung „Zeit für Die Zahl der Spender ist im Vergleich zum Vorjahr ungefähr gleichge- Kinderrechte“ unterzeichnet. Landtagspräsident Klaus Schlie, der ge- blieben. Landtagspräsident Schlie betonte: „Das DRK braucht für Un- meinsam mit Garg die Schirmherrschaft der Aktion innehat, hatte die fall- und Krankheitssituationen laufend Blutspenden. Darum ist es un- Erklärung bereits im Vorfeld unterschrieben. Im Anschluss wurde im geheuer wichtig, dass genügend Menschen zur Spende bereit sind.“ Foyer des Landeshauses der „Mobile Platz der Kinderrechte“ des Kin- Die während der mehrstündigen Aktion gesammelten 34,5 Liter derschutzbundes enthüllt. Die transportable Litfaßsäule soll ab Ende Blut wurden zunächst nach Lütjensee (Kreis Stormarn) transportiert November auf Reise durchs Land gehen. und dort im Labor untersucht. In einem Sammellabor in Frankfurt am Die Kinderrechtskonvention wurde am 20. November 1989 von der Main wird jede Probe dann noch einmal überprüft. Nach 24 Stunden Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie for- steht das Blut zur Patientenversorgung bereit. Wie in den Vorjahren dert das Recht auf Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und auf Bil- war es außerdem möglich, sich gleichzeitig für die Stammzellspender- dung, kindgerechte Lebensbedingungen sowie gewaltfreie Erziehung. datei zu registrieren. Erntekrone aus Ostholstein Platt-Zentren: für das Landeshaus Viel Lob zum 25. Jubiläum Tradition zum Erntedank: Mitglieder der Auch Hip-Hop Landjugend hängen geht auf Platt: die E rntekrone Der Rapper „LPP 143“ im Foyer des aus Kiel-Gaarden Landeshauses auf. machte es vor. Auch in diesem Herbst schmückt die Erntekrone den Landtag. Seit einem Vierteljahrhundert kümmern sich die Zentren für Nie- ieben Mitglieder des Kreisverbands Ostholstein der Landjugend S derdeutsch (ZfN) in Leck und Mölln um die Pflege der plattdeutschen überbrachten das Geflecht aus getrocknetem Weizen, Gerste, Hafer Sprache. Sie erarbeiten Unterrichtsmaterial für Schulen und Kinder- und Dinkel Ende September. Die Erntekrone wird bis zur Advents- gärten, und sie veranstalten Lesungen, Konzerte und Theaterauffüh- zeit in der Eingangshalle des Landeshauses hängen. rungen. Zum silbernen Jubiläum gab es Anfang September bei einer „Rund zweieinhalb Stunden haben wir zu zweit an der Erntekrone Feierstunde im Landeshaus viel Lob. „De Zentren hebbt dorvöör sorgt, geflochten“, berichtete Christine Köneke, Vorsitzende der Osthol- dat dat Plattdüütsche wedder bi de Minschen ankomen is“, betonte steiner Landjugend. Gegenüber den zahlreichen Abgeordneten aus Landtagspräsident Klaus Schlie. Er erinnerte daran, dass die Idee, die allen Fraktionen, die am Rande der Plenarsitzung die Erntekrone be- ZfN zu gründen, 1994 im Landtag entstanden sei: „In’t Landeshuus is grüßten, sprach Köneke zudem die Probleme junger Landwirte an, dat Plattdüütsche jümmers tohuus west.“ Der Minderheitenbeauftrag- etwa eine geringe Wertschätzung oder die jüngsten Dürresommer. te der Landesregierung, der CDU-Abgeordnete Johannes Callsen, un- Landtagspräsident Klaus Schlie bedankte sich für das Engagement terstrich: „De meesten Lüüd bi uns künnt Platt verstohn, un 25 Prozent der Jugendlichen. Die Erntekrone wird im jährlichen Wechsel von künnt de Spraak ok sölvs schnacken. Dorüm verbindt dat Plattdüüt- den Kreisverbänden der Landjugend gebunden. sche de Minschen in uns Land.“ 4 DER LANDTAG 03/2019
MELDUNGEN Königin Margrethe II. von Dänemark besuchte den Landtag Vier Tage hielt sich die dänische Königin Dichter wurde vor 200 Jahren geboren – Margrethe II. Anfang September in schenkte er ihr eine Erstausgabe seines Schleswig-Holstein auf. Der Staatsbesuch Werkes „Quickborn“ aus dem Jahr 1856 war der Auftakt zum deutsch-dänischen mit Holzschnitten und Zeichnungen von Jubiläumsjahr 2020 (s. unten). Im Otto Speckter. Die dänische Königin ist für Landeshaus traf die Monarchin mit ihre Affinität zu Kunst und Literatur sowie Spitzen der Landespolitik zusammen. ihre eigene künstlerische Ader bekannt. In Landtagspräsident Klaus Schlie informierte Haus B, dem Gästehaus von Landtag und die Königin im Plenarsaal über Architektur Landesregierung, traf Königin Margrethe und Geschichte des Parlamentsgebäudes. anschließend auch Ministerpräsident Mit Blick auf die Kieler Förde vor dem Daniel Günther. Weitere Stationen des Plenarsaal hob er Dänemarks und Staatsbesuchs waren Flensburg, Schleswig Schleswig-Holsteins Verbundenheit durch und Friedrichstadt. die Ostsee hervor. Vorab hatte Schlie der Königin ein besonderes Gastgeschenk Die Königin begrüßt die Mitglieder des Ältesten- überreicht: Im Klaus-Groth-Jahr – der rats und die Abgeordneten des SSW. Die Königin trägt sich in das Gästebuch des Landtages ein. Margrethe II. besichtigt den gläsernen Plenarsaal. Deutsche-dänisches Feierjahr 2020 Mit insgesamt 60 Veranstaltungen aus den Bereichen Theater, Literatur, Film und Sport wird das 100. Jubiläum der deutsch- dänischen Grenzziehung in Schleswig-Holstein begangen. Die Leiter des Festkomitees, Landtagsdirektor Utz Schliesky und Staatskanzleichef Dirk Schrödter, gaben Mitte August im Europaausschuss einen Überblick über das Programm. Im Fokus des Festjahres stehe die Rolle der das Landesparlament die Ausbildung geplant – eine in Kopenhagen und eine in Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze, von 50 „Schülerbotschaftern“, die ihren Kiel. betonte Schliesky. Das verdeutliche das Altersgenossen auch im südlichen Teil Motto „Selbstbestimmung, Identität, des Landes über die Besonderheiten des Höhepunkt des Jahres soll ein Bürgerfest europäische Zukunft“. Der Landtag plant Grenzraums berichten. Landtagspräsident in Flensburg am 23. August sein. „Wir und unterstützt eine Reihe von Projekten: Klaus Schlie und Ministerpräsident wollen die Menschen mitnehmen und etwa eine szenische Lesung frei nach Daniel Günther wollen im August 2020 die historische Bedeutung des friedlichen dem Roman „Riß durchs Festland“ von zu einer „Sommerreise“ durchs Grenzland Miteinanders verdeutlichen“, merkte Uwe Pörksen. Das Buch schildert, wie auf brechen. Im Landeshaus werden das Staatskanzleichef Schrödter an. Die vor 100 Jahren das Denken in nationalen Danewerk-Museum und das Deutsche Grenzziehung im Jahr 1920 basierte auf Kategorien den Alltag der Menschen prägte. Museum Sonderburg eine gemeinsame Volksabstimmungen. Ein Ergebnis war, dass Das Stück hat am 13. Februar im Landtag Ausstellung präsentieren. Außerdem kulturelle und sprachliche Minderheiten auf Premiere und geht dann auf Tournee sind zwei gemeinsame Veranstaltungen beiden Seiten der neuen Grenze entstanden. nach Eckernförde, Schleswig, Flensburg des Landtages, des Bundestages und des und Apenrade. Außerdem unterstützt dänischen Folketings im November 2020 DER LANDTAG 03/2019 5
S TA D T – L A N D Stadt und Land: Wohin geht die Reise? Fakten zur Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungsstruktur in Deutschland ändert sich rasant. Die Städte wachsen, vor allem junge Menschen zieht es in die Metropolen. Auf dem Land bleiben die Älteren zurück. Wie sieht es in Schleswig-Holstein aus? - Die Einwohnerzahl des Landes steigt seit Jahrzehnten – von 2,33 Millionen im Jahr 1961 auf 2,63 Millionen im Jahr 1990 und auf exakt 2.896.712 zum Jahresende 2018. Statistiker schätzen, dass es ab 2030 einen leichten Rückgang geben wird. - Die Landesteile entwickeln sich unterschiedlich. Die Städte Kiel und Flensburg sind allein zwischen 2010 und 2016 um fünf bis sechs Prozent gewachsen, die Hamburger Randkreise Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg um etwa fünf Prozent. Dagegen verzeichnete Dithmarschen ein Minus von 0,51 Prozent, und der Kreis Plön wuchs nur minimal um 0,27 Prozent. - Auch beim Alter gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Die Einwohner Kiels und Flensburgs waren Ende 2018 in Schnitt etwa 42 Jahre alt, die Bewohner der Kreise Plön und Ostholstein dagegen 47,2 beziehungsweise 48,2 Jahre. - Trotz der Unterschiede gilt Schleswig-Holstein im Bundesvergleich insgesamt nicht als Problemfall. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung rechnet weite Landesteile zu „Deutschlands solider Mitte“. Der Hamburger Speckgürtel gilt demnach als „starkes (Um-)Land“. Flensburg, Kiel, Neumünster und Lübeck zählen zu den „dynamischen Groß- und Mittelstädten“. Allerdings herrsche dort wegen steigender Mieten „Exklusionsgefahr“ – das Risiko einer zunehmen- den Spaltung zwischen armen und wohlhabenden Stadtteilen. (Quellen: Statistikamt Nord, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Friedrich-Ebert-Stiftung) 6 DER LANDTAG 03/2019
S TA D T – L A N D Deutsche Arbeitnehmer sind immer länger unterwegs, um ihren Job zu erreichen. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beträgt die durchschnittliche Entfernung zum Arbeitsplatz 10,5 Kilometer – 21 Prozent mehr als noch zur Jahrtausendwende. Die Zahl der Lang-Pendler, die 50 Kilometer und mehr zurücklegen, ist ebenfalls stark gestiegen. Hamburg und die Insel Sylt sind Ziele schleswig-holsteinischer Arbeitnehmer. Doch gerade dort gibt es Probleme mit der Bahn. Entlang der Bahntrasse nach Fehmarn fürchten sich die Menschen hingegen vor dem wachsenden Lärm. Auch das war Thema im Landtag. HVV: Sylt: Ärger über Fehmarnbelt: Die Fahrpreise steigen den „Geisterzug“ Bund soll liefern Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) Der „Sylt Shuttle plus“ ist seit vier Jahren ein Wenn der Fehmarnbelttunnel fertig ist, will seine Fahrpreise anheben, und das stieß Ärgernis für viele Menschen, die per Bahn befürchten die Anwohner im Osten des Lan- im August insbesondere bei der Jamaika- auf die Nordseeinsel reisen – und stieß im des Lärmbelästigungen durch die vielen Züge, Koalition auf Protest. Nach den HVV-Plänen August auch im Landtag auf scharfe Kritik. die dann von Hamburg Richtung Kopenhagen sollen die Preise um durchschnittlich 1,8 Denn das Zusatzangebot der Deutschen rollen. Bürger, Kommunalpolitik und die Prozent steigen. Allerdings werden insbe- Bahn auf der Strecke Bredstedt – Niebüll - Deutsche Bahn hatten sich ursprünglich auf sondere die Tarifzonen C, D und E belastet, Westerland verursacht Probleme. Die Auto- einen Lärmschutzplan verständigt, der über die in Schleswig-Holstein liegen. Die Ham- züge nach Sylt werden durch die Extra-Wag- die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgeht. burger Innenstadt-Zonen A und B bleiben gons so lang, dass deutlich mehr Zeit für das Das Bundesverkehrsministerium will hiervon hingegen weitgehend verschont. Der Ham- Rangieren anfällt. Auf der ohnehin stark nun aber offenbar nichts mehr wissen. Im Au- burger Senat, der 85,5 Prozent der Anteile beanspruchten Strecke kommt es so zu wei- gust gab es deswegen große Verärgerung über am HVV hält, wolle die Tarifentscheidung teren Verzögerungen. Hinzu kommt: Nur CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. Des- „arrogant“ und „hinterrücks“ durchdrü- wenige Fahrgäste nutzen den „Sylt Shuttle sen Vorgehen treibe ihm „die Zornesröte ins cken, zürnte Lukas Kilian (CDU). Die weite- plus“, denn dort gilt der teure Fernverkehr- Gesicht“, erklärte Andreas Tietze (Grüne). ren Partner seien nicht beteiligt worden. Das tarif der DB. Der Staatskonzern setze diesen Es könne nicht weiter das Motto gelten „im Land Schleswig-Holstein hält drei Prozent, „Geisterzug“ nur ein, „um die Gleise für Süden klotzen, im Norden kleckern“, sagte die Umlandkreise 9,5 Prozent. Der HVV sei die Konkurrenz zuzumachen“, argwöhnte Christopher Vogt (FDP) mit Blick auf die bereits „der teuerste Nahverkehrsverbund Kay Richert (FDP). Neben der DB ist auch Rheintalbahn in Baden-Württemberg, wo in ganz Deutschland“, so Kilian. Auf Pend- der private Anbieter RDC auf der lukrati- der Lärmschutz über die Mindeststandards ler kämen nun Extra-Kosten von bis zu 14 ven Strecke unterwegs. Die Deutsche Bahn hinausgeht – voll finanziert vom Bund. Euro im Monat zu. genießt wegen der Waggons aus Bredstedt Volker Schnurrbusch (AfD) sprach von ei- jedoch Vorrang auf der Autozugstrecke ab nem „Schock für alle Bürger in Ostholstein „Hamburg hat im kommenden Jahr Bür- Niebüll. „Hier hat die Bahn sich eines Kniffs und Stormarn“. Und Landesverkehrsminis- gerschaftswahl“, und die CDU wolle sich bedient“, rügte Lars Harms (SSW). Im Wirt- ter Bernd Buchholz (FDP) erkannte einen „profilieren“, konterte Kai Vogel (SPD). schaftsausschuss soll nun erörtert werden, „Affront“ gegen die betroffenen Bürger. Er verwies darauf, dass der Schleswig- welche juristischen Schritte möglich sind. Holstein-Tarif in diesem Jahr um durch- Auf Antrag der Jamaika-Fraktionen soll Die SPD forderte das Land auf, sich mit 50 schnittlich 1,97 Prozent erhöht werde. Zu- geprüft werden, ob die 39 Kilometer lange Prozent an den Mehrkosten zu beteiligen. dem koste es im Lande deutlich mehr als im Sylt-Strecke nicht mehr als Fern-, sondern „Uns geht es darum, dass die Bevölkerung HVV- Bereich, einen Familienausflug mit als Nahverkehr eingestuft werden kann. dort nicht darunter leiden muss, dass die der Bahn zu unternehmen. Die Koalition Dann wäre das Land zuständig, und nicht Regierung schlecht verhandelt“, sagte Frak- solle sich lieber „darum kümmern, statt hier mehr die Bundesnetzagentur. tionschef Ralf Stegner. Er stieß damit bei Wahlkampf für Hamburg zu machen“. den anderen Fraktionen aber auf Ablehnung. DER LANDTAG 03/2019 7
S TA D T – L A N D Eine Quote soll junge Ärzte aufs Land locken In Schleswig-Holstein drohen die Hausärzte auszugehen. Das gilt vor allem für ländliche Regionen, teilweise aber auch für Ballungszentren. Knapp 2.000 nieder gelassene Allgemeinmediziner gibt es im Lande, und ein Drittel von ihnen ist älter als 60 Jahre. Ob eine Landarztquote im Medizinstudium helfen kann, hat der Landtag Ende August kontrovers diskutiert. Die AfD hat einen Gesetzentwurf für ei- dem AfD-Modell zufolge zu einer Strafzah- ne solche Quote vorgelegt. Demnach sollen lung von 250.000 Euro verpflichten, sollten zehn Prozent der Studienplätze in Kiel und sie ihre Land-Praxis frühzeitig aufgeben. Lübeck an Bewerber gehen, die sich ver- pflichten, zehn Jahre lang als Hausarzt in Die Quote könne allenfalls Teil eines einer unterversorgten Region zu arbeiten. „Bündels von Maßnahmen“ sein, sagte Das wäre auch eine Einstiegsmöglichkeit für Hans Hinrich Neve (CDU). Ein Kernpro- Schulabgänger ohne Einser-Abitur, die an- blem sei die „abnehmende Bereitschaft“ der Ausbau der Telemedizin, also der Fern- sonsten Warte-Semester ableisten müssten. vieler Jung-Mediziner, die Arbeitsbelastung sprechstunde per Internet, oder auch „Hol- Andere Bundesländer wie Bayern, Rhein- und das finanzielle Risiko einer Selbstän- und Bringdienste“ für Patienten. land-Pfalz und Sachsen-Anhalt seien diesen digkeit auf sich zu nehmen. Die Kommunen Schritt bereits gegangen, so Claus Schaffer müssten daher Ärztehäuser und Gesund- Marret Bohn (Grüne) störte sich an Straf- (AfD). In NRW starte die Quote zum kom- heitszentren bereitstellen. Besser als eine zahlung: Wer während des Studiums mer- menden Wintersemester, und „der An- „betonierte Quote“ sei es, die Bedingun- ke, dass er ein Talent für Chirurgie habe, der sturm auf die Landarztstudienplätze ist ge- gen attraktiver zu gestalten, befand auch müsse 250.000 Euro zahlen, um den Traum- waltig“. Angehende Mediziner müssen sich Bernd Heinemann (SPD). Dazu gehörten beruf zu erreichen: „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ Bis der erste Quoten-Arzt auf dem Land ankomme, werde viel Zeit verge- hen, wendete Dennys Bornhöft (FDP) ein: Vor 2032 „wäre kein einziger dieser angehen- den Landärztinnen und Landärzte wirklich am Praktizieren.“ Jette Waldinger-Thier- ing (SSW) plädierte stattdessen für eine „Buschzulage“ – eine bessere Vergütung für Ärzte in entfernten Gegenden. Schleswig-Holstein habe bundesweit „die mit Abstand beste Nachbesetzungsquote bei Ärztinnen und Ärzten“, unterstrich Sozialminister Heiner Garg (FDP): „Wir haben, bezogen auf die Anzahl der Bürge- Claus Schaffer (AfD) hofft: „Es gibt sehr viele jun- Hans Hinrich Neve (CDU) ist hingegen skep- rinnen und Bürger, deutlich mehr Medi- ge Menschen, die gern Landarzt werden möchten. tisch: „Man ist heute nicht mehr bereit, 60 zinabsolventinnen und -absolventen als in Vielleicht sind nicht alle Einser-Abiturienten. Aber und mehr Stunden in der Woche zu arbeiten, Nordrhein-Westfalen.“ Der Sozialausschuss müssen sie deswegen schlechtere Ärzte sein?“ sondern will auch Freizeit haben.“ berät den Gesetzentwurf weiter. „Zentrale Orte“ sichern die Daseinsvorsorge 130 Gemeinden im Lande gelten als „Zentrale Orte“. Dort ballen An diesem System wird sich auch in Zukunft nur wenig ändern. sich Wohnungen, Gewerbe, Schulen, Kitas, Ärzte, Banken und Das geht aus einem Bericht des Innenministeriums aus dem August Supermärkte. Knapp 70 Prozent der Einwohner des Landes leben in hervor. Einige Kommunen werden höhergestuft, weil die Einwoh- einem „Zentralen Ort“. Größter Zentralort ist das Oberzentrum Kiel nerzahl gestiegen ist. Dies sind Mittelangeln mit dem Hauptort mit 247.527 Einwohnern und mehr als 400.000 Menschen im Ein- Satrup, Steinburg im Kreis Stormarn sowie die benachbarten Ge- zugsbereich. Der kleinste Ländliche Zentralort ist Grube im Kreis Ost- meinden Neukirchen und Klanxbüll in Nordfriesland, die künftig holstein mit 1.027 Einwohnern (Stand: Ende Juni 2018). Um ihre Ver- gemeinsam als Ländlicher Zentralort gelten. sorgungsfunktionen aufrecht zu erhalten, bekommen die „Zentralen Orte“ Extra-Geld aus dem Kommunalen Finanzausgleich. 8 DER LANDTAG 03/2019
S TA BRDETX–I TL A – NE D U Haushalt 2020 – wie wirkt er vor Ort? Nach Jahren sprudelnder Einnahmen spannt sich die Finanzlage des Landes an. Das wurde Ende September bei der Ersten Lesung des Landeshaushalts 2020 deutlich. Dennoch würden die Lebensverhältnisse der Menschen weiter verbessert, betonten die Jamaika-Fraktionen. Die Opposition übte hingegen Kritik und verwies auf die stockenden Verhandlungen zwischen Land und Kommunen über die Finanzausstattung von Städten, Kreisen und Gemeinden. Der Haushaltsentwurf sieht Ausgaben von 13,05 Milliarden Euro Finanzministerin Monika Heinold vor, eine Steigerung um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. (Grüne) stellte klar: „Wir lassen unse- 1,3 M illiarden Euro sind für Investitionen vorgesehen. Damit beträgt re Kommunen nicht im Regen stehen.“ die Investitionsquote 10,1 Prozent. 2020 greift erstmals die Schul- Sie wies darauf hin, dass der Kommunale denbremse. Dann gibt es keine Konsolidierungshilfen von Bund F inanzausgleich von derzeit rund 1,8 Mil- und reichen Ländern mehr, und Schleswig-Holstein darf keine Neu- liarden Euro auf 2, 4 Milliarden im Jahr schulden mehr aufnehmen. Hinzu kommt: Das Land nimmt laut 2028 steigen werde. Zudem blickte sie auf Mai-Steuerschätzung 89 Millionen Euro weniger ein als zunächst das Förderprogramm IMPULS: 2020 seien angenommen. Der Haushalt wird nun in allen Landtagsausschüssen 69 Millionen Euro zur Sanierung der kom- weiter beraten, Mitte Dezember soll er verabschiedet werden. munalen Infrastruktur vorgesehen, etwa für den Bau von Kitas, für Schulen und Schul FDP-Fraktionschef Christopher Vogt toiletten sowie für Sportstätten. gab das Motto aus: „Mit hohen Investitio- nen in unsere Infrastruktur wollen wir das Leben der Menschen erleichtern.“ Dabei sei- Eka von Kalben, Fraktionsvorsitzende en „Großbaustellen“ wie das „marode Lan- der Grünen, betonte, Jamaika strebe den desstraßennetz“ zu bewältigen. „Ich ärgere „Ausgleich zwischen den Interessen der mich nicht über die vielen Baustellen und verschiedenen Regionen“ an. Aus Grünen- Umleitungen“, so Vogt. Auch der Ausbau Perspektive betonte sie die Chancen des der digitalen Infrastruktur in der Fläche sei Klimaschutzes für die kommunale Ebene, bedeutsam: „Wir brauchen Glasfaser in je- etwa mehr Solardächer in den Dörfern oder der Wohnung.“ „Städte, wo man das Auto stehen lassen kann“. Sie gab allerdings zu bedenken: „Man kann gar nicht alle gleichmäßig glücklich CDU-Fraktionschef Tobias Koch un- machen.“ terstrich: „Auch wir haben Verständnis für die Wünsche der Kommunen.“ Aber: „Wir können nicht über unsere Verhältnisse Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg leben.“ Jamaika habe zuletzt Haushaltsüber- Nobis warnte mit Blick auf die Weltwirt- schüsse verwendet, „um den Kommunen schaft: „Die Krise steht vor der Tür.“ Das unter die Arme zu greifen“ und in den ver- Land taumele einer Rezession „planlos und gangenen drei Jahren Investitionen von vier ziellos entgegen“, und die Koalition zeige Milliarden Euro angestoßen: „Mit diesem keinerlei Willen zum Sparen. Nobis mahnte Kraftakt beseitigen wir den Sanierungsstau „einen grundlegenden Kurswechsel“ an, der vergangenen Jahrzehnte und machen etwa bei den Strompreisen, die in Schles- damit unser Bundesland fit für die Zukunft.“ wig-Holstein weltweit die höchsten seien, sowie in der Asylpolitik. Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) monierte, dass es auch im dritten Jamaika- Lars Harms (SSW) lobte die Kommunen Jahr noch „keine gültigen Regionalpläne für als „Keimzelle der Demokratie“. Wenn ein den Ausbau der Windkraft“ gebe. Mit der Gutachten feststelle, dass sowohl das Land aktuellen Kita-Reform bleibe Schleswig- als auch die Kommunen finanziell unter- Holstein „das einzige norddeutsche Bundes- versorgt seien, dann müsse es einen „fairen land, wo es nicht in Richtung Beitragsfreiheit Ausgleich“ geben. Derzeit seien viele Kreise geht“. In der Opposition habe insbesondere und Städte überlastet. Harms warnte vor die CDU einen „bedarfsgerechten Kommu- einem „politischen Stillstand“ in den Berei- nalen Finanzausgleich versprochen“. Von chen Ehrenamt, Kultur, Minderheitenpoli- dieser Ankündigung setze man sich nun mit tik, Soziales, Verkehr und Klimaschutz. „billigen Taschenspielertricks“ ab. DER LANDTAG 03/2019 9
IM RÜCKBLICK VOR 64, 41 UND 28 JAHREN Was hat die Landespolitik in früheren Zeiten bewegt? In dieser Serie blicken wir ins Archiv und spüren nach, was den Landtag in vergangenen Zeiten beschäftigt hat. Diesmal geht es um die besondere Förderung, die die Nord-Wirtschaft über Jahrzehnte genossen hat – wegen der Randlage des Landes an der DDR-Grenze. 1955, 1978, Fast ganz Schleswig-Holstein 1991: ist „Zonenrandgebiet“ Heute, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, wirkt der Begriff altertümlich. Dabei auch Plön, Rendsburg-Eckernförde und hat er jahrzehntelang das Leben in weiten Teilen Schleswig-Holsteins geprägt: Schleswig-Flensburg sowie die Städte Kiel „Zonenrandgebiet“. Die „Zone“, das war die Sowjetische Besatzungszone, die 1945 und Neumünster. Die Ostseeküste und ihr entstanden war. Der Begriff blieb im westdeutschen Sprachgebrauch erhalten, auch Hinterland wurden ebenfalls gefördert, nachdem auf diesem Gebiet im Oktober 1949 die DDR gegründet wurde. denn das Ufer galt als „nasse Grenze“. Die Folge: Zwei Drittel Schleswig-Holsteins Die Grenze zwischen der DDR und der im in den Ostseeraum wurden weitgehend waren nun „Zonenrandgebiet“. Mai 1949 aus den drei Westzonen gebildeten gekappt. Bundesrepublik war in den Anfangsjahren Der Bundestag in Bonn reagierte im 1955: Der Landtag ist enttäuscht noch offen. Das änderte sich im Mai 1952. Juli 1953 mit einem Sonderprogramm Die Parteikonferenz der DDR-Staatspartei für die betroffenen Regionen. Ein 40 Wie reagierte man im Lande auf die neue SED beschloss, die innerdeutsche Grenze Kilometer breiter Streifen westlich Förderung? „Wir alle waren wohl sehr abzuriegeln. Metallzäune, Minenfelder, der Demarkationslinie bekam nun enttäuscht“, fasste der SPD-Abgeordnete Wachtürme und Drahtverschläge machten „Zonenrandförderung“. Unternehmen Hermann Franck im November 1955 die es in der Folge beinahe unmöglich, die erhielten Investitionszulagen und Stimmung im Landtag zusammen. Denn ehemals grüne Grenze zu überqueren. Abschreibungsmöglichkeiten sowie die Hilfe für den Rand ändere nichts daran, Das hatte nicht nur für DDR-Bürger, Zinszuschüsse für Kredite. Sie wurden von „dass unsere Industrie sich mehr und sondern auch für Grenzanrainer im Westen der Grunderwerbssteuer befreit, bei der mehr in gewissen Räumen im Westen drastische Folgen. Denn Gebiete, die Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt unseres Bundesgebietes konzentriert“ – früher mit günstiger Verkehrsanbindung und bekamen „Frachthilfen“ – Zuschüsse für ein neidischer Blick auf den Ruhrpott, wo mitten im Lande lagen, befanden sich nun den Transport ihrer Waren. die brummende Industrie die Keimzelle in einer extremen Randlage und galten als Das „Zonenrandgebiet“ umfasste des „Wirtschaftswunders“ bildete. „Ende der Welt“. Das bekam vor allem bundesweit 30 Städte und Kreise in den Franck forderte, die Wirtschaftskraft zu die Wirtschaft zu spüren, etwa in Lübeck. Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, „dezentralisieren“. Und „dabei bietet Keine andere Großstadt außer Berlin lag so Hessen und Bayern. Im Norden waren das sich das Land an, das genügend Räume, dicht an der innerdeutschen Trennlinie. Die Lübeck und die Kreise Herzogtum Lauenburg, Verkehrsmöglichkeiten und – was sehr traditionellen Bindungen der Hansestadt Stormarn, Segeberg und Ostholstein, aber wichtig ist – Arbeitskräfte hat. Und das ist Schleswig-Holstein.“ Francks Mahnungen waren begründet. Denn trotz der Finanzspritzen hinkte die Wirtschaft im „Zonenrandgebiet“ dem Bundestrend jahrzehntelang hinterher. Die Arbeitslosigkeit war dort stets höher, und viele Menschen wanderten ab. Eine staatlich gelenkte „Dezentralisierung“ passte jedoch nicht in die von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) ausgerufene Soziale Marktwirtschaft. Ein Schild, ein Pfahl, ein Zaun – und ansonsten nicht viel. Die Regionen an der etwa 1.400 Kilo meter langen innerdeutschen Grenze waren lange auf Unterstützung angewiesen. 10 DER LANDTAG 03/2019
IM RÜCKBLICK Christdemokrat Hans Ingwersen verwies darauf, dass die heimischen Betriebe prangerte im Landtag die „Vorteile der durch die Abschreibungsmöglichkeiten Zonenrandförderung“ für den Osten an. des „Zonenrand“-Gesetzes jährlich eine Er verwies auf den Fall, dass „in List auf Milliarde DM eingespart hätten. „Dies löst Sylt die Bundesvermögensverwaltung ein Investitionsvolumen von zwei Milliarden einen Auftrag über 150.000 DM an eine DM aus“, so Simonis. Eckernförder Firma vergeben muss, „Auch wir sind bereit, zu verzichten, um obwohl eine heimische Lister Firma das den Aufbau in den neuen Bundesländern zu billigste Angebot bringt“. Sein Parteifreund ermöglichen“, erklärte Karl Eduard Claussen Roger Asmussen aus Heide hob ebenfalls (CDU). Für Schleswig-Holstein gelte nun: hervor, dass die Westküste „auch gern „Wir werden weniger Geld haben, darauf Teil des Zonenrandgebiets“ wäre. Es sei müssen wir uns einstellen.“ aber offensichtlich, „dass dieser Wunsch politisch nicht durchsetzbar ist“. 1955: Otto Eisenmann (SHB) setzte sich für die Westküste ein. Ein weiteres Problem sprach Herbert Beer von der Vertriebenenpartei BHE (Bund der 1978: Auch Heimatvertriebenen und Entrechteten) an. Roger Auf viele Fördertöpfe konnten nur Betriebe Asmussen zugreifen, die bereits vor 1939 im Lande (CDU) ansässig waren. Ost-Flüchtlinge, die ein beklagte die Unterschiede neues Gewerbe gestartet hatten, gingen oft innerhalb leer aus. „Wo ist denn da die Logik?“, fragte Schleswig- Beer. „Wir haben in Schleswig-Holstein eine Holsteins. Watte- und Verbandzeugindustrie und eine 1991: Finanzministerin Heide Simonis (SPD) Wachswarenindustrie, die überwiegend aus CDU-Wirtschaftsminister Jürgen warnte vor Rückschlägen nach dem Wegfall der heimatvertriebenen Betrieben besteht. Diese Westphal, der aus Hamburg stammt und „Zonenrandförderung“. Industrien werden nicht gefördert.“ den Wahlkreis Pinneberg vertrat, monierte Ob das mehr als 40 Jahre andauernde Die Bevorzugung des Ostseeraums stieß hingegen den „häufig anzutreffenden Hilfsprogramm ein Erfolg war, bleibt zudem an der Westküste auf Widerstand. Irrtum“, dass „die politisch bedingte und umstritten. Einige ehemalige Grenzregionen, Es sei „eine Groteske, das Land Schleswig- vom Bund und allen Ländern gemeinsam etwa im Harz oder in Oberfranken, sind Holstein in östliche und westliche Kreise, getragene Sonderpräferenz für das weder vor noch nach der Wiedervereinigung die in der Wirtschaftsförderung verschieden Zonenrandgebiet“ die Förderung der langfristig auf die Beine gekommen. Der behandelt werden, zu trennen“, schimpfte Westküstenwirtschaft beeinträchtige. Er Vereinigungsboom unmittelbar nach Otto Eisenmann vom Schleswig-Holstein- gestand allerdings ein, es sei „nicht in allen der Wende ebbte schnell wieder ab. Block (SHB). Die Regionalpartei war vor Fällen hundertprozentig durchführbar“, Arbeitslosigkeit und Abwanderung prägten allem an der Nordsee verankert. „Wir die Unterschiede innerhalb des Landes auch nach der Jahrtausendwende das Bild in alle, ob wir nun an der Westküste oder an auszugleichen. Osterrode, Goslar oder im nordbayrischen der Ostküste, auf dem Mittelrücken oder Hof. Eine Studie des Instituts der Deutschen oben an der Grenze wohnen, sind gleich 1991: Verzicht fällt schwer Wirtschaft in Köln aus dem August dieses weit entfernt von den Kerngebieten der Jahres rechnet auch den Kreis Ostholstein zu Wirtschaft Westdeutschlands“, stellte Welche Bedeutung die Förderung den Problemregionen. Eisenmann fest, der später zur FDP hatte, wurde in dem Moment deutlich, Demgegenüber, so der Diplom-Geograf wechselte, im Bundestag saß und schleswig- als sie wegfiel – nach der deutschen Thorsten Erdmann, gebe es im einstigen holsteinischer Sozialminister wurde. Einheit. Kurz nach dem 3. Oktober „Zonenrand“ auch „vereinzelte Kreise mit 1990 gab die Bunderegierung das Ziel überdurchschnittlicher Dynamik“, und zwar 1978: Murren an der Westküste aus, die Unterstützung für den jetzt „hauptsächlich im Umfeld westdeutscher ehemaligen „Zonenrand“ im Jahr 1994 Wirtschaftszentren wie Hamburg“. Dazu Das Ost-West-Gefälle war auch 23 auslaufen zu lassen. „Rückschläge auf zählen Lübeck und das Herzogtum Lauenburg. Jahre später immer noch Anlass für Ärger die schleswig-holsteinische Wirtschaft Dort wurden die traditionellen Kontakte in an der Nordsee und führte im Oktober sind nicht ganz auszuschließen“, mahnte den Osten wiederbelebt, und die Metropole 1978 zu Verstimmungen innerhalb der Finanzministerin Heide Simonis (SPD) in an der Elbe strahlt auf das Umland aus. allein regierenden CDU. Der Husumer einer Landtagsdebatte im Januar 1991. Sie Karsten Blaas DER LANDTAG 03/2019 11
A LT E N PA R L A M E N T Altenparlament: Einsamkeit als politische Herausforderung Die Menschen werden immer älter, und viele ältere Menschen So rufen die 84 Senioren dazu auf, beim Wohnungsbau die fürchten sich davor, am Lebensabend zu vereinsamen – egal, ob sie in Interessen älterer Menschen stärker in den Blick zu nehmen. der Stadt oder auf dem Dorf leben. „Strategien gegen Einsamkeit im Neubauten sollen nicht nur barrierefrei sein, sondern sich auch für Alter“ hieß deswegen das Motto des diesjährigen Altenparlaments, generationenübergreifende Wohngemeinschaften eignen. Ärzte, das Mitte September einen umfangreichen Forderungskatalog an die Läden sowie Bus und Bahn sollen zu Fuß erreichbar sein. Die Landespolitik formuliert hat. Vertreter von Sozialverbänden, Seniorenräten, Gewerkschaften und Parteien fordern die Landesregierung auf, nach britischem Muster einen „Beauftragten gegen Einsamkeit“ zu berufen. Nach dem Vorbild der früheren Gemeindeschwestern sollen „Quartiersbetreuer“ ältere Menschen regelmäßig besuchen und sie im Dickicht der Hilfsangebote beraten. Wer nicht einsam sein will, muss mobil sein können. Die Altenparlamentarier fordern deswegen landesweit barrierefreie Bahnsteige und Bushaltestellen. Und auch das Altwerden in der Familie soll stärker gefördert werden. Wer Angehörige zu Hause pflegt, soll einen staatlichen Zuschuss erhalten. Es war bereits die 31. Auflage dieser Veranstaltung. Die insgesamt 40 Beschlüsse gehen nun an die Fraktionen des Landtages, die Landesregierung sowie die schleswig-holsteinischen Abgeordneten in Bundestag und Europaparlament. Deren Stellungnahmen bilden dann die Grundlage einer Abschlussdebatte, die für den kommenden März geplant ist. Landtagspräsident Klaus Schlie betonte zum Auftakt die Bedeutung des Altenparlaments für die Landespolitik: „Wir freuen uns sehr, dass Sie wieder die Themen behandeln, die Senioren beschäftigen, damit wir diese Dinge in den Fokus nehmen können.“ Henning Scherf wirbt für Wohngemeinschaften Gemeinsames Wohnen ist nach Überzeu- „leider in die verkehrte Richtung“, klagte gung des ehemaligen Bremer Bürgermeis- der ehemalige Sozialsenator. Das Land wer- ters Henning Scherf das beste Mittel gegen de „mit geschlossenen Alteneinrichtungen Einsamkeit im Alter. „Mit Freunden zusam- zugepflastert“, die den Betreibern Milliar- men alt zu werden ist wunderbar“, sagte der dengewinne einbrächten, in denen viele Be- SPD-Politiker in seinem Gastreferat zum wohner aber unglücklich seien. Auftakt des Altenparlaments. Scherf, Ver- waltungschef der Hansestadt von 1995 bis Sein WG-Haus in Bremen sieht Scherf als 2005, lebt seit 30 Jahren mit seiner Frau in Gegenentwurf und empfiehlt, diesem Weg einem Mehrgenerationenhaus. Zurzeit woh- zu folgen – insbesondere auf dem Lande. In nen dort zehn Menschen, vom Kleinkind vielen Dörfern gebe es stillgelegte Gasthäu- bis zum Rentner, berichtete der 80-Jährige. ser, Schulen oder Werkstätten, die sich in Es werde gemeinsam gekocht, der Garten ein gemeinsames Wohnprojekt umbauen Henning Scherf beantwortete zahlreiche Fragen gepflegt und Urlaub gemacht. Und auch lassen. Daraus entstehe sogar ein Mehrwert der Altenparlamentarier und suchte dabei den Pflege und Sterbebegleitung werde gemein- für die gesamte Gemeinde: „Man kann mit direkten Kontakt zu seinen Gesprächspartnern. schaftlich organisiert. „Die meisten Alten uns Alten zusammen Dörfer reaktivieren.“ wollen da alt werden, wo sie zu Hause sind, An die Kommunalpolitiker vor Ort appel- Gewinn an Lebensqualität sei enorm, ver- wo sie eine Person sind und kein Gegen- lierte er, solche Modelle zu fördern. Aller- wies Scherf auf Erfahrungen aus den USA: stand“, so der Sozialdemokrat. Die gesell- dings: Die Kommunen bräuchten dafür „Wer in solchen Projekten wohnt, der lebt schaftliche Entwicklung gehe zurzeit aber auch mehr Geld von Land und Bund. Der zehn Jahre länger.“ 12 DER LANDTAG 03/2019
AUSSCHÜSSE Bildungsausschuss: Debatte über Nikab und Freiheitsrechte Die Diskussion um das Verbot von Gesichtsschleiern an der Uni Kiel wird seit Monaten kontrovers geführt. Die Christian- Albrechts-Universität hatte im Januar einer muslimischen Studentin eine Vollverschleierung in Lehrveranstaltungen verboten. Im Hörsaal müssten Mimik und Gestik des Gegenübers zu erkennen sein, so das Präsidium der CAU. Auf dem Campus dürfen Kleidungsstücke wie Burka oder Nikab jedoch getragen werden. Die Uni-Leitung fordert zudem ein gesetz CAU-Vizepräsidentin Prof. Anja „Angriff auf die Freiheit“ liches Schleierverbot an Schulen und Pistor-Hatam. Damit eine Hochschule Hochschulen. Aus Teilen der Politik kommt ihren Aufgaben nachkommen könne, sei Die Studentin Katharina K. verurteilt Unterstützung. CDU und FDP bekundeten ein „offene Kommunikation“ erforderlich. das Verbot dagegen als „zunehmende Sympathie, die Af D legte im Februar ei- bewusste Dämonisierung des Islams nen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Mit Gesichtsschleier sei „ein freies, und der Muslime“. Es bezwecke nichts Die muslimische Studentin, Katharina K., gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Anderes, „als dass gläubige Muslimas, die sieht sich hingegen diskriminiert und ver- Leben nicht möglich“, unterstreicht der islamrechtlich legitimen und gültigen weist auf die grundgesetzlich geschützte die Frauenrechtsorganisation „Terre Auffassung folgen, dass das Gesicht zu Religionsfreiheit. Sie erhält ebenfalls öf- des Femmes“. Der Schleier verletze die bedecken ist, verwehrt wird, eine höhere fentliche Rückendeckung, etwa von den Menschenwürde und das Recht auf freie akademische Bildung wahrzunehmen“. mitregierenden Grünen. SPD und SSW Entfaltung der Persönlichkeit – egal ob Sie kündigt in ihrem Schreiben vom Juni mahnten in der Plenardebatte im März zur er aus äußerem oder „innerem Zwang“ an, auch weiterhin mit Gesichtsschleier an Gelassenheit. getragen werde. „Terre des Femmes“ Vorlesungen teilzunehmen. will den Schleier aus dem gesamtem Mehr als 50 Fachleute und Betroffene öffentlichen Raum verbannen und nennt Der Zentraltrat der Muslime spricht von haben nun dem Bildungsausschuss ihre Bayern als Beispiel, wo Burka und Nikab einem „Angriff gegen die Frau“. Frauen, Stellungnahmen zum Schleier-Streit nicht nur an Hochschulen, sondern auch im „die für sich den Gesichtsschleier als vorgelegt. Es war eine der umfangreichsten öffentlichen Dienst, in Kindergärten und religiös verbindlich ansehen“, würden von Anhörungen in der Geschichte des in Wahllokalen verboten sind. Bildung ferngehalten. Die Konsequenz Landtages. Eine ausführliche mündliche sei, dass diese Frauen „in eine Isolation Anhörung ist für den 5. Dezember geplant. Eine ähnliche Position vertritt gebracht würden, die sich nicht selten auf die alevitische Gemeinde Kiel. den familiären Kreis beschränkt“. „Schleier bedeutet Zwang“ Der Gesichtsschleier stehe für ein „frauenfeindliches Weltbild“. Er Die Islamische Religionsgemeinschaft Neben der Glaubensfreiheit habe mache Schülerinnen und Studentinnen Schura pocht auf das Neutralitätsgebot auch die Freiheit von Wissenschaft „gesichtslos“. des Staates. Es sei dem Staat untersagt, und Lehre Verfassungsrang, betont „einzelne religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu verbieten, zu bekämp fen oder auch nur abzulehnen“. Dem Staat sei es auch „verwehrt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren oder den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten“. Auch aus der schleswig-holsteinischen Universitätslandschaft kommt Skepsis. Die Uni Lübeck sieht derzeit keine ausreichenden Gründe für ein „pauschales Verbot“. Die Diversitätsbeauftragte der CAU, Eddi Steinfeldt-Mehrtens, weist das Argument der „offenen Kommunikation“ zurück: „Lehrende beurteilen generell nicht die Mimik oder Gestik von Studierenden, sondern deren Leistungen.“ Und diese würden bereits jetzt teilweise verhüllt erbracht, etwa im Labor oder im Praxisteil von Medizin und Zahnmedizin. Umstrittenes Kleidungsstück: der Nikab DER LANDTAG 03/2019 13
AUSSCHÜSSE Petitionsausschuss: Sprechstunden gegen „Berührungsängste“ Der Petitionsausschuss lässt ein altes Holstein abdecken. Hauptziel ist es, dass Bür- Welche Themen beschäftigen den Format wiederaufleben und will mit ger auf uns aufmerksam werden. Wir wollen Petitionsausschuss am meisten? Bürgern vor Ort ins Gespräch kom verdeutlichen, dass sie nur bei uns mit Ab- men. Start einer neuen Reihe von geordneten in Kontakt treten und dass ihre Jörg Hansen: „Diese Frage lässt sich offenen Bürgersprechstunden war Anliegen nur so ins parlamentarische System schwer beantworten, da sich nicht alle The- Mitte September in Eutin. Meldorf gelangen. Dabei sollen Berührungsängste men bündeln lassen. Was sich zusammen- und Husum sind weitere Stationen. abgebaut werden, indem wir gezielt auf die fassen lässt und häufig vorkommt, sind Vor- Bürger zugehen. Die Reaktion auf vergangene schläge zu Gesetzesänderungen und Anlie- Die Abgeordneten Jörg Hansen (FDP), Sprechstunden war sehr gut.“ gen aus dem Bereich Strafvollzug.“ Volker Nielsen (CDU) und Andreas Tiet- ze (Grüne) sind die ersten, die das neue An wen richten sich die Andreas Tietze: „Ein konkretes Beispiel Angebot für den Ausschuss begleiten. Mit Bürgersprechstunden? lässt sich zum Stichwort Individualität an- ihnen und dem Vorsitzenden, dem CDU- führen: Wenn Häftlinge ihre eigene, private Abgeordnete Hauke Göttsch, traf sich die Volker Nielsen: „Wirklich jeder kann Kleidung tragen wollen, kann es sein, dass sie Redaktion zum Gespräch. die Bürgersprechstunde aufsuchen. Mein an der Wäscherei der Anstalt scheitern, die Berichtsraum ist Dithmarschen/Steinburg. nicht darauf eingestellt ist, private Kleidung Was macht der Wenn ich am 22. November mit der Bürger- zu waschen oder zu sortieren. Dies empfin- Petitionsausschuss genau? sprechstunde im Café ‚Neue Holländerei‘ in den einige Insassen als ungerecht.“ Meldorf vor Ort bin, gehe ich davon aus, dass Hauke Göttsch: „Beim Petitionsausschuss überwiegend Dithmarscher vorbeischauen Gab es Petitionen, die Ihnen besonders kommen Fragen und Anregungen der Bürger werden.“ im Gedächtnis geblieben sind? im parlamentarischen Raum an. Wer sich in Schleswig-Holstein durch staatliche Stellen Werden vor Ort Unterlagen benötigt? Hauke Göttsch: „Gerade im ländlichen ungerecht behandelt fühlt, kann eine Petition an Raum kommt es dazu, dass sich Bürger ab- den Ausschuss richten. In diesem Jahr haben den Andreas Tietze: „In der Regel haben Bür- gehängt fühlen, weil sie an der Verwaltung Ausschuss bereits über 300 Petitionen erreicht. ger die Dokumente dabei, die sie für relevant abgeprallt sind. Wenn man sie jedoch vor Ort Wir prüfen die eingegangenen Dokumente, halten. Was für uns zählt, ist es, ein offenes besucht, können Dinge plötzlich leicht gere- beraten darüber und können oft ein positives Ohr für die Anliegen der Petenten zu haben. gelt werden und Missverständnisse beseitigt Ergebnis für den Petenten erzielen. Manchmal Wir sind nicht allwissend, wir sind keine werden. Da fungieren wir als Bindeglied zwi- müssen nur Kleinigkeiten ausgemerzt werden, Juristen. Wir hören uns die Anliegen an, wie schen Bürger und Behörde. Jüngster Erfolg: damit die Anliegen der Bürger Gehör finden.“ sie vorgetragen werden. Wir bestätigen, be- die Beseitigung einer Gefahrenstelle auf ei- gleiten und ermuntern die Petenten und fun- nem Radweg im Kreis Pinneberg.“ Was ist das Ziel der gieren als eine Art ‚Durchlauferhitzer‘, indem Sprechstunden vor Ort? wir Probleme aufnehmen und sie an fachkun- Interview: Rebecca Hollmann dige Juristen oder auch an die Behörden und Hauke Göttsch: „Wir wollen uns breit Ministerien weitergeben.“ aufstellen und jeden Winkel von Schleswig- Die nächsten Termine für offene Bürger- sprechstunden, jeweils um 16 Uhr: Freitag, 22. November, in Meldorf, Neue Holländerei, Jungfernstieg 4 Montag, 20. Januar 2020, in Husum, Kreishaus, Marktstraße 6 Es wird gebeten, sich unter der Rufnummer 0431/988-1018 oder per E-Mail an petitionsausschuss@landt ag.ltsh.de anzumelden. Weitere Informationen unter Mit dem Petitionsausschuss im Lande unterwegs: die Abgeordneten Volker Nielsen, www.sh-landtag.de, Rubrik „Petitionen“. Andreas Tietze, Hauke Göttsch und Jörg Hansen 14 DER LANDTAG 03/2019
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