UMSTEUERN IN ATHEN ANALYSEN - GRIECHISCHE STEUERPOLITIK UNTER SYRIZA UND DEN MEMORANDEN - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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ANALYSEN INTERNATIONALE POLITIK UMSTEUERN IN ATHEN GRIECHISCHE STEUERPOLITIK UNTER SYRIZA UND DEN MEMORANDEN AXEL TROOST UND RAINALD ÖTSCH
INHALT Kurzfassung 3 Umsteuern in Athen 7 Steuerhinterziehung als Volkssport 9 Steuerpolitik unter den Memoranden der ersten beiden Griechenlandprogramme 11 Erstes Finanzprogramm 2010/11 11 Zweites Finanzprogramm 2012 bis 2014 12 Umsetzung des zweiten Memorandums aus Sicht der Troika 13 Vom Bündnis linker Splittergruppen zur Regierungspartei – Syrizas steuerpolitische Forderungen vor der Regierungsübernahme 15 Das Regierungsprogramm von 2012 15 Das Steuerkonzept von 2013 16 Das Thessaloniki-Programm und der Varoufakis-Plan von 2014 19 Rebellion der Regierung – Die Amtszeit Varoufakis 21 Augen zu und durch – Das dritte Programm 24 Steuereinnahmen und Steuerstruktur heute 27 Einzelne Reformen 30 Der Umbau des «Generalsekretariats für öffentliche Einnahmen» zur «Unabhängigen Behörde für öffentliche Einnahmen» 30 Kampf gegen Steuerhinterziehung 33 Die Reform der Einkommensteuer 36 Vermögensbesteuerung und die Immobiliensteuer ENFIA 38 Der riesige Berg an Steuerschulden 40 Die Besteuerung der reichen Reeder 42 Beschränkte Freiheit – Reformen nach Ende des dritten Programms 44 Fazit und Zusammenfassung 48
KURZFASSUNG 3 Für die politische Linke ist Griechenland Die Krise der griechischen Staatsfinan- wegen der Bewältigung der 2010 ausge- zen hatte ihre Wurzeln maßgeblich auf brochenen Wirtschaftskrise, aber auch der Einnahmeseite. Für die Überwindung als derzeit einziger Staat der EU mit einer der griechischen Krise und den Aufbau radikal linken Regierung von besonde- eines modernen Staatswesens spielt die rem Interesse. Hausgemachte Probleme Steuerpolitik eine wichtige Rolle. Zudem und das institutionelle Setting der Euro- ist sie als Instrument der Verteilungs päischen Währungsunion hatten 2010 politik von großer Bedeutung für linke dazu geführt, dass der damaligen Pasok- Politik. Zur Steuergerechtigkeit gehören Regierung die Kontrolle über die Staats- aber nicht nur Fragen der Steuergesetz- finanzen entglitten war und das Land gebung, sondern angesichts der schwa- unter der Kuratel der Eurogruppe, des chen Vollzugsquote auch die Frage, wer Internationalen Währungsfonds und der diese Steuern tatsächlich auch zahlt. In EU-Institutionen einer rigorosen Rosskur diesem Sinne widmet sich diese Stu- unterzogen wurde. Ein historisch einma- die dem Zustand und den Reformen des liger Einbruch der Wirtschaftsleistung griechischen Steuerwesens unter Syriza. um ein Viertel und die damit einherge- Dazu ist aber auch ein Aufriss der Vorge- hende massenhafte Verarmung waren schichte unter den ersten beiden Memo- die Folge. randen vonnöten. Der Absturz der Nea Demokratia und Syriza hatte bei der Regierungsübernah- die Implosion der Pasok ging mit dem me 2015 gewaltige Probleme geerbt: Aufstieg von Syriza, der «Koalition der eine hohe Schuldenlast, die das Land radikalen Linken», einher, die sich in to- erpressbar machte, eine ausgeblutete taler Abgrenzung nicht nur zu den bei- Wirtschaft und Bevölkerung, eine nach den Systemparteien, sondern auch zu wie vor defizitäre Haushaltslage und ei- den von den Gläubigerinstitutionen auf- ne wenig leistungsfähige öffentliche Ver- gezwungenen Austeritätsmaßnahmen waltung. Hinzu kam eine Kultur der staat- profilierte. Die Regierungsübernahme lich geduldeten Steuerhinterziehung. Anfang 2015 geschah mit einer klaren Anders als häufig dargestellt, hatte Syri- Kampfansage an das politische Esta- za genaue Vorstellungen und Konzepte blishment in der EU und wurde erwar- für die Regierungsübernahme. Dazu ge- tungsvoll von der politischen Linken be- hörte auch ein umfassendes Steuerkon- grüßt. Nach der Niederlage im Sommer zept, das von einer Großvermögensteuer 2015, die Syriza auf den Kurs der Me- über die Reform der Einkommens- und morandumspolitik zwang, schwand das Unternehmensbesteuerung, den Schutz Interesse an den Möglichkeiten, Erfol- mittlerer und niedriger Einkommen vor gen und Misserfolgen des linken Regie- Steuerschulden bis zu Reformen der rungsprojekts. Die Bilanz von vier Jahren Steuerverwaltung reichte. Syriza konnte Regierung ist aber trotz der extrem be- auf eine gesellschaftliche Wechselstim- schnittenen politischen Spielräume im- mung und auf gute Berater bauen. Aller- mer noch lehr- und aufschlussreich für dings fehlten Regierungserfahrung und die politische Linke. Netzwerke. Außerdem hatte die Troika
4 nach Jahren der Krise inzwischen sehr nommen wurde. Trotzdem werden in der genaue Vorstellungen für die aus ihrer medialen Berichterstattung die Ergebnis- Sicht erforderlichen Reformen und saß se, etwa bei der Abarbeitung zugespielter machttechnisch eindeutig am längeren Listen reicher Steuerhinterzieher*innen, Hebel. immer noch zu Unrecht als Beleg für die Das Syriza-Regierungsprogramm setz- Tätigkeit oder Untätigkeit der Regierung te Schuldenerleichterungen und milde- angeführt. Insgesamt besteht der Ein- re Haushaltsziele voraus, die gegen die druck, dass die Steuerhinterziehung mit europäischen Geldgeber nicht durch- unterschiedlicher Intensität, aber durch- setzbar waren. Die erste Regierung und aus ernsthaft angegangen wird. Im ers- ihr streitbarer Finanzminister Varoufa ten Jahr der neuen Behörde wurden die kis erlitten daher nach wenigen Mona- mit den Gläubigerinstitutionen verein- ten Schiffbruch. Die Zeit war zu kurz barten Zielwerte übererfüllt. Nach Jah- und die Gemengelage zu konfrontativ, ren massiven Stellenabbaus findet inzwi- als dass die Regierung eigene Reformen schen wieder ein Personalaufbau statt. hätte umsetzen können. Griechenland Gleichwohl ist die neue Organisations- wurde sodann ein drittes Memorandum form allein noch keine Gewähr für einen aufgezwungen, das bis 2018 die Regie- effektiven und effizienten Steuervollzug. rungsagenda bestimmte. Statt Steuer- Die 2016 beschlossene Einkommensteu- umschichtungen oder -senkungen stan- erreform diente nicht mehr, wie von Sy- den Steuererhöhungen zum Erreichen riza ursprünglich anvisiert, der Umver- der rigiden Haushaltsvorgaben an. Syriza teilung der Steuerlast von geringen und musste im Rahmen des dritten Griechen- mittleren hin zu hohen Einkommen, son- landprogramms mehr als 450 Einzel- dern, wie von den Gläubigern erzwun- maßnahmen umsetzen. Möglichkeiten gen, dem Erzielen von Mehreinnahmen. für Korrekturen gab es dabei nur im De- Syriza konnte immerhin auf einen pro- tail. Auch für eigenständige Maßnahmen gressiveren Tarifverlauf hinwirken. Der- blieb kaum Zeit und Gelegenheit. zeit zielen die Anstrengungen darauf, ei- Von außen ist schwer zu identifizieren, ne auf Druck der Gläubiger hin für 2020 welchen Anteil die Gläubigerinstitutio- beschlossene drastische Senkung des nen und welchen Anteil die griechische Einkommensteuerfreibetrags wieder Regierung jeweils hatten. Im Grundsatz rückgängig zu machen. Voraussetzung einvernehmlich dürfte der Umbau der dafür sind aber überplanmäßige Haus- Steuerverwaltung zu einer «Unabhängi- haltszahlen. Eine ähnliche, für 2019 auf gen Behörde für öffentliche Einnahmen» Vorrat beschlossene Rentenkürzung (IAPR) gelaufen sein, die dem Regie- konnte im letzten Jahr bereits abgewen- rungseinfluss entzogen und der Kontrolle det werden. durch das Parlament unterstellt ist. Damit Die Besteuerung von großen Vermö- wurde die Steuerverwaltung finanziell genswerten scheiterte bisher an einem und administrativ vom Finanzministe fehlenden Vermögensregister. Die einzi- rium unabhängig gemacht. Die neue Or- ge relevante vermögensbezogene Steuer ganisationsform hat zur Folge, dass der in Griechenland ist die Immobiliensteuer Regierung die Einflussmöglichkeit auf ENFIA. Derzeit läuft dazu eine Neube- die Prüfung konkreter Steuerfälle ge- wertung der Immobilienbestände. Syriza
plant ferner, die ENFIA zu einer progres- mer, aber auch mit dem Ziel der Einnah- 5 siven Großvermögensteuer auszubau- menmaximierung und schlechten Er- en, die neben Immobilien auch ande- fahrungen mit der Samaras-Regierung, re Vermögenswerte erfasst. Dazu sind hatte die Troika allen Schuldenerlassplä- aber noch weitere Vorbereitungen nötig. nen von Syriza einen Riegel vorgescho- Mit den Überschüssen des Jahres 2018 ben. Der riesige, zu einem Großteil unein- konnte Syriza zumindest die ENFIA für bringliche Schuldenberg stellt aber nach Besitzer*innen kleinerer Immobilien ab- wie vor eine schwere Hypothek für das senken. Land und seine Bürger*innen dar; ein Trotz des dramatischen Wirtschaftsein- Problem, das dringend angegangen wer- bruchs von einem Viertel des BIP haben den muss. 2017 die Gesamteinnahmen aus Steu- Aus Sicht der griechischen Bevölkerung ern und Zöllen mit 49 Milliarden Euro ist die striktere Steuerpolitik zwiespältig: fast wieder das Vorkrisenniveau aus dem Steuern dienen einerseits der Finanzie- Jahr 2008 von 50,6 Milliarden Euro er- rung des Gemeinwesens. Andererseits reicht. Dabei sind die Steuereinnahmen dienen sie aber auch dazu, der Bevölke- laut IAPR seit 2014 von 31 Milliarden Eu- rung das Geld für die Rückzahlung der ro um 16,8 Prozent auf 36,2 Milliarden Hilfskredite abzupressen. An diesem Euro in 2017 angestiegen. Die Steuer- Dilemma kann die Regierung wenig än- schraube wurde in den vergangenen dern. Aus derzeitiger Sicht gilt: Jeder Jahren spürbar angezogen. Inzwischen Euro über den Haushaltsvorgaben kann liegt Griechenland bei Steuern und So- von der Regierung für sinnvoll gehalte- zialabgaben im Verhältnis zum BIP über ne Projekte verwendet werden. Jeder dem EU-Durchschnitt. Griechenland hat Euro unter den Haushaltsvorgaben da- nun sowohl bei der Mehrwertsteuer, bei gegen würde letztlich wieder zulasten der Einkommensteuer als auch bei der der Schwachen eingetrieben oder ein- Körperschaftsteuer mit die höchsten gespart werden müssen. Insofern ist der Steuersätze unter den EU-Staaten. Dazu eingeschlagene Kurs sinnvoll. kommt eine Vielzahl von einzelnen Steu- Die Senkung der Steuerlast wird von al- ern, die Dinge des alltäglichen Bedarfs len griechischen Parteien versprochen. betreffen. Anders als in den skandinavi- Die Spielräume dafür sind aber durch die schen Staaten steht den hohen Steuern hohe Schuldenlast und die von den Gläu- jedoch kein gut ausgebauter Wohlfahrts- bigern an konkrete Haushaltsvorgaben staat gegenüber. geknüpften Schuldenerleichterungen Vier Millionen Haushalte und Unterneh- stark begrenzt. Eine Neuaustarierung der men verzeichnen Steuerschulden in Hö- Steuerlast wird daher nur langfristig und he von 100 Milliarden Euro an den grie- sukzessive unter Berücksichtigung der chischen Staat. Waren zu Beginn der Fortschritte bei der Steuereintreibung er- Krisen unter den säumigen Steuerzah- folgen können. Die Weichen, die zu einer lern viele, die die Steuern zahlen konn- fairen Steuerverteilung führen können, ten, aber nicht wollten, so wurden es im müssen aber bereits jetzt gestellt wer- Verlauf der Krise immer mehr, die ihre den. Dabei macht es einen gravierenden Steuern schlicht nicht zahlen konnten. Unterschied, welche Partei an der Regie- Mit dem Verweis auf strategische Säu- rung ist. Geht der Weg in Richtung ei-
6 nes starken Sozialstaats mit hohen Steu- Der Anspruch, als radikale Partei die gel- ern, aber auch hohen Leistungen? Oder tenden Verhältnisse umzustürzen, zu- zu einem Staat mit niedrigen Steuern, gleich aber den alltäglichen Sorgen der der aber auch nur das allernötigste ver- Bevölkerung gerecht zu werden, birgt ein spricht? Oder werden wieder die alten großes Frustrations- und Konfliktpoten- Klientele bedient? zial. Dass dabei Fehler gemacht werden Das Programm des dritten Memoran- und Unzufriedenheit entsteht, liegt in der dums ist abgeschlossen. Die europäi- Natur der Sache. Bisher scheint sich der schen Institutionen zielen jedoch darauf, Einsatz von Syriza jedoch gelohnt zu ha- Griechenland dauerhaft auf den einge- ben. Die mühselige Arbeit auf sich ge- schlagenen Reformkurs zu verpflichten. nommen zu haben und über lange Zeit Trotzdem sind Parlament und Regierung den Kopf dafür hingehalten zu haben ver- in Griechenland gewillt, die verbliebenen dient Anerkennung. Spielräume und die wiedergewonnene Diese Studie stützt sich auf offizielle Pro- Freiheit zu nutzen und in wichtigen Fällen grammdokumente, deutsch- und eng- auch in die Auseinandersetzung mit den lischsprachige Presseberichte und Lite- Gläubigern zu gehen. «Die Mechanismen ratur sowie aus dem Umfeld von Syriza des Memorandums schrieben vor, dass stammende, ins Deutsche übersetzte alle Entscheidungen – sogar bei relativen Texte. Trotz aller Sorgfalt ist der Bericht Kleinigkeiten – unter Aufsicht der Troika eine Ferndiagnose, die subjektive Ein- standen und mit ihr ausgehandelt wer- schätzungen und Ungenauigkeiten ent- den mussten. Jetzt hat sich Griechenland halten wird. Gleichwohl ist es angesichts demgegenüber verpflichtet, bestimm- der vielen Vorurteile und der einseitigen te Budget- und Finanzziele zu erreichen, und oberflächlichen Meinungen ein Ver- und ist frei in der Wahl der hierfür einge- such, der Wahrheit ein Stück näher zu setzten Mittel», so Danai Koltsida.1 kommen. 1 Koltsida, Danai: Griechenland: Nach 10 Jahren wieder auf dem richtigen Weg, 12.2.2019, www.transform-network.net/ de/blog/article/griechenland-nach-10-jahren-wieder-auf-dem- richtigen-weg/.
Axel Troost und Rainald Ötsch 7 UMSTEUERN IN ATHEN GRIECHISCHE STEUERPOLITIK UNTER SYRIZA UND DEN M EMORANDEN Ende 2009 verkündete die frisch ins Amt die Gläubiger das wussten, bestanden gewählte Regierung unter Ministerprä- sie zunächst vor allem auf viel schneller sident Papandreou und Finanzminister wirksamen Kürzungen auf der Ausga- Papakonstantinou, von ihrer Vorgän- benseite. Dies würgte die griechische gerin ein gigantisches Haushaltsdefizit Wirtschaft ab. Mit der Zeit bekamen Re- geerbt zu haben. Das Haushaltsdefizit formen des defizitären Steuerwesens musste nach und nach auf 15,1 Prozent größeren Raum. Die Ausgangslage war des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hoch- prekär: Schätzungen zufolge nahm die korrigiert werden – eine ungeheuerliche griechische Regierung im Jahr 2012 ge- Zahl.1 Die von der Nea Demokratia (ND) rade einmal 57 Prozent der verhängten gestellte Vorgängerregierung unter Kos- Steuern ein. Die Vollzugsdefizite der Ver- tas Karamanlis hatte der neuen Pasok- waltung waren durch die Finanznot der Regierung ein finanzielles Desaster hin- Steuerzahler*innen noch verstärkt wor- terlassen. Dies läutete den Beginn der den. Griechenlandkrise ein. Das Land muss- Unbestreitbar hätten die Einschnitte im te Finanzhilfen beantragen, massiv den Renten-, Gesundheits- und Sozialsys- Haushalt zusammenstreichen und die tem deutlich gedämpft werden können, von den Gläubigern diktierten Auflagen wenn der Reichtum der griechischen umsetzen. Infolge der Austeritätspolitik Oberschicht in viel größerem Umfang ging das griechische Bruttoinlandspro- durch Steuern abgeschöpft worden dukt um ein Viertel zurück, ein historisch wäre. Doch die Gläubiger wollten kurz- beispielloser Wirtschaftseinbruch. Ar- fristige Konsolidierungserfolge sehen, mut, Arbeitslosigkeit und soziales Elend Maßnahmen gegen Steuervermeidung breiteten sich aus – dramatisch verstärkt und -hinterziehung dagegen setzen eine durch die drastischen Ausgabenkürzun- funktionsfähige, nicht vorhandene Admi- gen des Staates. Auf das erste Rettungs- nistration voraus und tragen erst später programm folgte bald ein zweites und Früchte. Der steuerliche Notstand war später ein drittes. auch viel mehr als ein Behördenversa- In der hiesigen Diskussion über die ge- gen. Das griechische Steuerwesen war scheiterte Krisenbewältigung standen bewusst ineffizient und ungerecht aus- meist die sozialen Folgen und die Rolle gestaltet, weil die jeweils amtierende Re- der Gläubiger im Vordergrund. Welche gierung den Staat als Beute betrachtete. Rolle die Steuerpolitik für die Entwick- Posten in der Steuerverwaltung wie im lung Griechenlands spielte, wurde öf- öffentlichen Dienst wurden nicht nach fentlich bisher kaum oder nur anekdo- Fähigkeit, sondern an Gefolgsleute ver- tisch diskutiert. Die Einnahmeseite stellte teilt und das Steuersystem war durch aber viel stärker noch als die Ausgaben- Ausnahmen und willkürlich auszulegen- seite die zentrale Schwachstelle der öf- 1 Auf das aktuelle deutsche BIP hochgerechnet entspräche fentlichen Finanzen dar. Obwohl auch dies einem jährlichen Haushaltsdefizit von 495 Milliarden Euro!
8 de Regeln durchlöchert wie ein Sieb. Ge- auf die Staatskasse erkauft. Dadurch lief rade in Wahljahren wurde durch laxen die öffentliche Finanzlage nach der Wahl Steuervollzug und teure Wahlgeschenke 2009 endgültig aus dem Ruder, was zum die Macht und damit der weitere Zugriff Offenbarungseid der Pasok führte.
STEUERHINTERZIEHUNG ALS VOLKSSPORT 9 Niels Kadritzke hat seit Ausbruch der Kri- ten Samaras ersetzt wurde. Unter Sa- se die Situation in Griechenland kennt- maras wurden griechische Familien fer- nisreich in zahlreichen Beiträgen zu- ner durch eine drastische Erhöhung der nächst in den NachDenkSeiten und Heizölsteuer hart getroffen, was daran später im Blog der Le Monde Diploma- lag, dass die Regierung wieder einmal tique kommentiert.2 Die Rolle der Steuer- schnelle Einnahmeerfolge brauchte und politik hat er in drei Beiträgen in den Jah- wie ihre Vorgängerin nicht gewillt war, ren 2010, 2012 und 2014 ausgeleuchtet.3 ein wirksames Antibetrugssystem gegen Darin beschreibt Kadritzke die systema- die mafiöse Umwandlung von niedrig be- tischen, in der Politik, den Behörden und steuertem Heizöl zu höher besteuertem der Justiz angelegten Schwächen des Diesel durchzusetzen. Als weiteres Bei- griechischen Steuerwesens, dem sich spiel berichtet Kadritzke, wie das «Gene- Steuerzahler*innen generell, besonders ralsekretariat für öffentliche Einnahmen» aber die Reichen leicht entziehen konn- (GGDE), eine unter dem Druck der Troika ten. Da eine ordentliche Erfassung der geschaffene Behörde, die eigentlich von Steuerschuld nicht stattfand, wurden politischer Einflussnahme abgeschottet Steuern zwischen dem Besteuerten und agieren sollte, plötzlich ihres Leiters Cha- seinem Finanzbeamten mehr oder we- ris Theocharis beraubt wurde. Dieser hat- niger plausibel ausgehandelt, Korrupti- te kurz vor den Europawahlen 2014 die on inbegriffen. Steuerhinterziehung war Regierung durch einen lange angekün- «Volkssport unter Anleitung der Finanz- digten «Aktionsplan zur Verfolgung von beamten» (Kadritzke). Steuersündern» verärgert und zudem Für das staatliche und gesellschaftli- die (unzulässige) Weisung der Regie- che Versagen nennt er zahlreiche Bei- rung ignoriert, eine Mitteilung über Steu- spiele. Dazu gehört ein (aufgrund der erpflichten zurückzuhalten. Deswegen Intervention der Troika später zurückge- drängte ihn die Regierung aus dem Amt. nommenes) Gesetz zur Abgeltung von Laut Kadritzke sei die Steuerbehörde au- Steuerschulden von 2010, das mit dem ßerdem systematisch an der Jagd auf Ziel, schnelle Einnahmen zu generie- große Steuersünder gehindert worden, ren, auf die Eintreibung ausstehender zum einen durch fehlendes Geld und Per- Steuerschulden verzichtete und sogar sonal, zum anderen, weil die finanzpoli- ertappten Steuerhinterzieher*innen die zeiliche Sondereinheit SDOE und die Zu- Möglichkeit gab, sich aus einem laufen- ständigkeit für brisante Sonderfälle nicht den Ermittlungsverfahren herauszukau- in der Kompetenz der unabhängigen Be- fen. Kadritzke kritisiert auch die massi- hörde lag, sondern der Aufsicht des Fi- ve Behinderung der «Abteilung für die nanzministers unterstellt war. Verfolgung von Wirtschaftsverbrechen» (SDOE) durch die Pasok-Regierung, de- 2 http://monde-diplomatique.de/blog-nachdenken-ueber-grie- ren Leiter Yiannis Diotis dann nach dem chenland. 3 Kadritzke, N.: Griechenland: Alternative zum Tot- sparen: Die Reichen müssen bluten, 16.12.2010, unter: www. Regierungswechsel 2012 auf skanda- nachdenkseiten.de/?p=7773; ders.: Trüber Herbst in Griechen- löse Weise durch einen Vertrauten des land, 26.9.2012, unter: www.nachdenkseiten.de/?p=14544; ders.: Griechenland: Der Klientelismus ist ungebrochen, neu gewählten ND-Ministerpräsiden- 22.7.2014, unter: www.nachdenkseiten.de/?p=22468.
10 Der Aufstieg von Syriza, der von Wut ven Vorschläge, wie man den Reichen in und Enttäuschung über die beiden grie- die Tasche greifen kann, von den Exper- chischen Systemparteien einerseits und ten des IWF: Das reicht von computerge- die Gläubigerinstitutionen andererseits stützten Programmen, die den Abgleich getragen wurde, stellte für das politi- der deklarierten Einkommen eines Steu- sche System Griechenlands eine radikale erbürgers mit relevanten Daten über sei- Wende dar. Steuerpolitik wurde aus Sicht ne Vermögensverhältnisse (Immobilien- von Syriza zum Werkzeug der Umvertei- besitz, Mieteinnahmen, Autos, Yachten lung von oben nach unten. Das war auch usw.) ermöglichen, über ein juristisches dringend notwendig. In einer umfang- ‹Fast track›-Verfahren zum beschleunig- reichen Untersuchung für den Zeitraum ten Eintreiben von Steuerschulden bis 2008 bis 2012 stellten Giannitsis und hin zu höheren Spitzensätzen bei der Ein- Zografakis fest, dass die Krise zwar alle kommensteuer.» Schichten getroffen hatte4 – auf mittlere Im Folgenden sollen die steuerpoliti- und hohe Einkommensgruppen waren schen Maßnahmen der ersten und zwei- in absoluten Zahlen sogar 80 Prozent der ten Griechenlandprogramme und ihre Verluste entfallen –, relativ gesehen aller- Umsetzung anhand der Memoranden dings die Armen in den ersten Krisenjah- und der von der Troika verfassten Fort- ren noch ärmer geworden waren als der schrittsberichte zusammengefasst wer- Rest der Gesellschaft. Insofern lag es na- den. Die Zusammenfassung der Troika- he, die Steuerpolitik zum Instrument ge- Berichte ist insofern hilfreich, da Syriza gen die Ungleichheit einzusetzen. 2015 zum einen viele der in den ersten Es ist allerdings nicht so, dass erst Syriza beiden Programmen angefangenen Pro- die Besteuerung von Reichtum auf die Ta- jekte fortführen musste und zum anderen gesordnung setzte. Denn die Troika stör- eine Einordnung ihrer Regierungspolitik te sich zwar weniger an der Ungleichheit, nur im Kontrast zur Vorgängerregierung ihr war aber daran gelegen, dass der grie- und zur Sicht der Troika möglich ist. chische Staat genügend Geld eintrieb, um langfristig seine Kredite zurückzah- len zu können. Sie hatte schon viel früher nach Möglichkeiten gesucht, quer durch alle Schichten Gelder einzutreiben. Die Besteuerung der Oberschicht war dabei aber am fehlenden Willen und Unvermö- gen der griechischen Politik gescheitert. Bezeichnend ist, dass laut Papakonstan- tinou noch unter der Karamanlis-Regie- rung der IWF im Jahr 2005 eine Studie zur Reform des griechischen Steuerwe- sens vorgelegt hatte, die dann aber auf- grund der unangenehmen Maßnahmen 4 Giannitsis, T./Zografakis, S.: Crisis Management in Greece. The shaping of new economic and social b alances, IMK im Bücherregal verstaubte.5 Kadritzke Study Nr. 58, hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung, Düs- stellte schon 2010 fest: «In Griechenland s e l d o r f 2 0 1 8 , u n t e r : w w w. b o e c k l e r. d e / i m k _ 5 2 7 4 . htm?produkt=HBS-006784. 5 Papakonstantinou, G.: Game stammen alle intelligenten und produkti- Over. Griechenland in der Krise: Der Insiderbericht, Zürich 2017.
STEUERPOLITIK UNTER DEN MEMORANDEN 11 DER ERSTEN BEIDEN GRIECHENLANDPROGRAMME Erstes Finanzprogramm 2010/11 natürliche Personen und Selbstständige Das erste Memorandum vom Mai 2010 mit hohem Einkommen, einschließlich legte einen Schwerpunkt auf die Erhö- Verfolgung der schwersten Straftäter». hung von Massensteuern.6 Die Mehr- Diese eher vagen Forderungen wurden wertsteuersätze sollten erhöht und bis- erst nach und nach konkretisiert und mit her ermäßigt oder steuerfrei gestellte Einnahmezielen beziffert. So wurde im Güter und Dienstleistungen zum regu- Juli 2011 das Memorandum um 900 Mil- lären Satz besteuert werden. Hinzu kam lionen Euro Mehreinnahmen aus der eine Erhöhung der Verbrauchsteuern schnelleren Eintreibung von Steuerzah- für Treibstoff, Tabak und Alkohol und ei- lungen bzw. -rückständen und Strafen er- ne nie verwirklichte CO2-Steuer. Zusam- gänzt. Mithilfe von Leistungsindikatoren mengenommen sollten diese Maßnah- sollte eine Handhabe gegen Fehlverhal- men jährliche Mehreinnahmen von etwa ten, Korruption und schlechte Leistun- 5 Milliarden Euro ergeben.7 Einen wei- gen von Steuerbeamt*innen geschaffen teren Schwerpunkt bildete die Besteue- werden. Die fünf Sondereinheiten für rung von Immobilien und Grundstücken, Steuerumgehungsbekämpfung sollten teils über eine verbreiterte Bemessungs- künftig monatlich an die Troika berichten. grundlage bei der Immobiliensteuer, teils Trotz bzw. wegen der Memorandums- über Sondersteuern für illegal errichtete politik steckte Griechenland nach dem Gebäude bzw. genutzte Flächen. Im Zu- ersten Programmjahr tiefer in der Kri- ge einer Einkommensteuerreform sollten se als je zuvor. Die Staatsschulden stie- Steuerbefreiungen und Sonderregelun- gen bis Ende 2011 auf rund 165 Prozent gen, insbesondere für Staatsbedienstete, des Bruttoinlandsprodukts und die im- abgeschafft werden. 2011 wurde zudem mer wieder neu aufgelegten Kürzungs- ein einkommensbezogener Solidaritäts- pakete verschärften die Rezession. Es zuschlag eingeführt. Zusätzlich sollten war offensichtlich, dass Griechenland 100 Millionen Euro aus der Besteuerung so nicht wieder an die Märkte zurück- von Luxusgütern eingenommen und ei- kehren konnte. Im Juli 2011 schnürte ein ne auf drei Jahre befristete «Krisenabga- Euro-Sondergipfel ein neues Programm- be für hochrentable Unternehmen» von paket. Die daran geknüpften Auflagen 600 Millionen Euro pro Jahr eingeführt 6 European Commission: The Economic Adjustment Program- werden. me for Greece, European Economy Occasional Papers 61, Mai Darüber hinaus forderte das Memoran- 2010, Brüssel, unter: http://ec.europa.eu/economy_finance/ publications/occasional_paper/2010/pdf/ocp61_en.pdf. 7 Um dum of Understanding (MoU) Maßnah- die Zahlen in dieser Studie mit Deutschland vergleichbar zu men zur Bekämpfung von Steuerbetrug machen: 2010 betrug das griechische BIP 226 Milliarden Euro bei einer Bevölkerung von 11,1 Millionen. Das deutsche BIP und -hinterziehung, darunter eine «große betrug 2010 rund 2.580 Milliarden Euro bei einer Bevölkerung von 82 Millionen. Werden die Zahlen aus Griechenland auf das Arbeitseinheit Steuerpflichtige mit dem deutsche BIP hochskaliert, müssen sie daher mit dem Faktor Schwerpunkt Steuerdisziplin der größten 11,4 multipliziert werden. Nimmt man die Bevölkerung zum Maßstab, gilt der Faktor 7,4. Mit Zahlen von 2017 ergibt sich Steuerzahler» und ein «Prüfprogramm durch das Wachstum in Deutschland (3.277 Mrd. Euro) und die zur Bekämpfung der weitverbreiteten Schrumpfung in Griechenland (180 Mrd. Euro) beim BIP sogar das 18,2-fache, bei der Bevölkerung durch den griechischen Steuerhinterziehung durch vermögende Verlust durch Auswanderung der Faktor 7,6.
12 stießen in der Bevölkerung und im Par- tungsreformen gelegt werden. In der lament aber auf so heftige Kritik, dass Steuerverwaltung sollten die Kontrollbe- der griechische Premier Papandreou es fugnisse über die zentralen Geschäfts- zum Gegenstand eines Referendums tätigkeiten und die Personalverwaltung machen wollte. Nach massivem politi- von der Ministerialebene auf die Verwal- schem Druck musste er es jedoch wieder tungsebene verlagert werden, um die absagen, trat zurück und die Regierung Verwaltung vor politischer Einflussnah- stürzte. Zunächst übernahm eine von me zu schützen. Insbesondere sollte die Pasok und ND gestützte Technokratenre- zum unabhängigen «Generalsekretari- gierung das Amt, die schließlich Anfang at für Steuer- und Zollangelegenheiten» 2012 das zweite Finanzhilfeprogramm (GSTC) umgebaute Steuerverwaltung durch das Parlament brachte. Es wurde direkt für die Einziehung hoher Steu- mit einem Schuldenschnitt verbunden erschulden zuständig werden. Positiv (der ganz besonders griechische Pensi- hob die Troika die Zunahme an Steuer- onsfonds und damit Rentner*innen traf). prüfungen hervor, die bevorstehende Anschließend setzte die Technokratenre- Einführung eines neuen Leistungsbe- gierung Neuwahlen für den Mai 2012 an. wertungssystems für Finanzämter, die beabsichtigte Fusion von Finanzämtern Zweites Finanzprogramm und ihre intensivere Kontrolle. Angekün- 2012 bis 2014 digt wurde auch ein umfassendes Anti- Im Rahmen des zweiten Finanzhilfe- korruptionsprogramm. programms evaluierte die Troika auch Das neue Memorandum mischte sich die Erfolge bzw. Misserfolge des ers- deutlich stärker in Details ein als das vor- ten Programms. Im neuen Memoran- hergehende. So wurden in Form von dum schrieb sie: Die Bilanz sei «eher «strukturellen Benchmarks in der Fi- durchwachsen».8 Speziell seien die «bei nanzverwaltung» ganz konkrete Zielvor- der Modernisierung der Einnahmen- gaben gemacht, wie viele offene Steu- verwaltung und Ausgabenkontrolle ge- erschulden eingetrieben werden sollten machten Fortschritte als unzureichend («2 Milliarden Euro bis Ende des Jah- zu bezeichnen»; ebenso seien «die im res»), wie viele Prüfungen jeweils bei Kampf gegen Steuerhinterziehung er- großen Steuerzahlungen, bei vermögen- griffenen Schritte […] weit hinter dem den Personen und bei «Umsatzsteuer- erforderlichen Maß geblieben.» Tatsäch- Sündern» abgeschlossen werden sollten lich herrsche «eine weit verbreitete Auf- und wie hoch die Eintreibung der jewei- fassung, dass die Steuerhinterziehung, ligen Steuerschulden sein sollten. Der wenngleich sie alle Bevölkerungsschich- Plan, bis Ende des Jahres 1.000 neue ten erfasst, besonders von Wohlhaben- und qualifizierte Mitarbeiter*innen anzu- den praktiziert wird». werben, um die Zahl voll einsatzfähiger Das neue Memorandum zählte eine ver- Steuerprüfer*innen auf 2.000 zu verdop- besserte Einnahmenverwaltung und die peln, lässt erahnen, wie prekär die Mit- Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu den Hauptschwerpunkten. Dabei soll- 8 Europäische Kommission: Das zweite wirtschaftliche Anpas- te der Fokus stärker auf die Umsetzung sungsprogramm für Griechenland, Brüssel, März 2012, Über- setzung durch den Sprachendienst des Bundesministeriums verabschiedeter Gesetze und Verwal- der Finanzen.
arbeitersituation in Teilen der Steuerver- Nachwahl noch weiter auf 26,9 Prozent 13 waltung gewesen sein muss. Auch die steigerte. Da die Nea Demokratia ihren geplante Aufstockung der Verwaltungs- Stimmenverlust bei der Mai-Wahl in der einheit für große Steuerzahler*innen um Nachwahl aber wieder annähernd wett- 40 Personen dürfte nicht mehr als ein machen konnte, reichte die Mehrheit der Tropfen auf den heißen Stein gewesen Koalition aus Nea Demokratia, den Res- sein. Symptomatisch für das Misstrauen ten der Pasok und der Reformpartei DI- und die Kontrollwut sind Vereinbarungen MAR zur Wahl des ND-Kandidaten An- wie jene, dass Zahlungen an die Finanz- donis Samaras zum Ministerpräsidenten. ämter künftig durch Überweisungen und Er sollte das Amt bis Februar 2015 inne- nicht in bar oder durch Schecks zu erfol- haben. gen habe, «damit die Arbeitszeit der Mit- Die Wahlen und die Regierungsbildung arbeiter mit der Konzentration auf echten hatten die Politik monatelang gelähmt. Mehrwert schaffende Arbeit ausgefüllt Entsprechend konstatierte der erste werden kann». Überprüfungsbericht vom Dezember Auf Druck der Troika musste die grie- 2012, dass die Umsetzung der verabre- chische Regierung eine Steueramnestie deten Maßnahmen «lange Zeit bruch- wieder aufheben – in der Vergangenheit stückhaft blieb». Speziell der Verlauf der hätten solche Amnestien die Steuer- Reform der Steuerverwaltung stelle «ei- ehrlichkeit untergraben. Die Regierung ne beachtliche Enttäuschung» dar. «Der musste sich verpflichten, keine neuen Großteil der strukturellen Benchmarks Amnestien mehr zu gewähren und Ra- für Steuerprüfungen wurde nicht er- tenzahlungspläne auf finanzielle Härte- reicht und bei der Umschulung von Mit- fälle zu beschränken. arbeitern und der Modernisierung der Zudem mahnte die Troika eine haushalts- Verwaltungsstrukturen wurden kaum neutrale Steuerreform an, die sowohl die Fortschritte erzielt.» Noch schenkte die Einkommensteuer, die Körperschaftsteu- Troika der neuen Regierung Vertrauen: er, die Mehrwertsteuer und Grundsteuer Sie scheine «eifrig bemüht zu sein, die sowie die Sozialversicherungsbeiträge Mängel und Pläne anzugehen».9 von Arbeitgebern umfassen sollte. In der zweiten Programmüberprüfung vom Mai 2013 wurden Fortschritte fest- Umsetzung des zweiten Memoran- gestellt. Die Regierung habe aber nicht dums aus Sicht der Troika alle zuvor vereinbarten Maßnahmen, Die Umsetzung des zweiten Memoran- insbesondere den Solidaritätsbeitrag für dums wurde durch die Wahlen im Mai Selbstständige, umgesetzt. Zudem sorg- 2012, die danach gescheiterte Regie- te sich die Troika über Regierungspläne, rungsbildung und die dadurch wiederum Immobiliensteuer und Mehrwertsteuer ausgelösten Neuwahlen verzögert. Die für Hotels und Gaststätten zu senken.10 Pasok war dabei für die Memorandums 9 Europäische Kommission: Das zweite wirtschaftliche Anpas- politik der vorangegangenen zwei Jah- sungsprogramm für Griechenland – Erste Überprüfung, Brüs- re abgestraft worden und kollabierte re- sel, Dezember 2012, Übersetzung durch den Sprachendienst des Bundesministeriums für Finanzen. 10 Europäische Kom- gelrecht. Der neue aufstrebende Stern mission: Das zweite wirtschaftliche Anpassungsprogramm am Parteienhimmel war Syriza, die ihr für Griechenland – Zweite Überprüfung, Brüssel, Mai 2013, Übersetzung durch den Sprachendienst des Bundesministe- Wahlergebnis von 16,8 Prozent bei der riums für Finanzen.
14 Die dritte Programmüberprüfung er- gehenden Opfer als weitere Zumutung folgte schon zwei Monate später. Darin empfunden wurde. Einige Griech*innen konstatierte die Troika «erhebliche Risi- weigerten sich, die Steuer zu zahlen, ken» bei der Programmumsetzung: «Die weitaus mehr waren damit aber schlicht Hauptrisiken bestehen bei der Standhaf- überfordert. Über Jahre war ein riesiger tigkeit der Regierung im Umgang mit alt- Berg an Steuerschulden entstanden, die hergebrachten Ansprüchen. […] Außer- zum beträchtlichen Teil als uneinbring- dem stoßen entscheidende Reformen, lich angesehen werden mussten. einschließlich die Reform der Finanzver- Nachdem sich schon die vierte Pro- waltung und der öffentlichen Verwaltung grammüberprüfung um mehrere Mo- weiterhin auf Widerstand.»11 Lob gab es nate verzögert hatte, geriet die Umset- dagegen für das beschlossene Einkom- zung der Reformen nun noch weiter ins mensteuergesetz. Die Reform der Immo- Stocken. Samaras’ Rückhalt in Parla- biliensteuer musste wegen fehlender Da- ment und Gesellschaft war längst ero- ten verschoben werden. diert. Ein Versuch, den Staat wieder an Die vierte Überprüfung erfolgte im April den Märkten zu finanzieren, scheiterte 2014, also erst wieder fast ein Jahr spä- kläglich. Die von der Nea Demokratia tak- ter.12 Darin resümierte die Troika Fort- tisch vorgezogene, absehbar gescheiter- schritte beim Einkommensteuergesetz te Präsidentenwahl Ende 2014 – der Prä- und der Steuerverfahrensordnung. Nach sidentschaftskandidat hatte im dritten «lang anhaltenden Verzögerungen» sei- Wahlgang die erforderliche Mehrheit von en nun auch «bedeutende Fortschritte» 60 Prozent der Parlamentsabgeordneten bei der Reform der Finanzverwaltung er- verfehlt – führte zur Auflösung des Parla- zielt worden. Mittlerweile sei eine halb- ments und zu vorgezogenen Neuwahlen. autonome Finanzverwaltung mit sämt- Bevor die fünfte Programmüberprüfung lichen Zuständigkeiten für Steuer- und abgeschlossen werden konnte, kam Sy- Zollangelegenheiten geschaffen worden. riza an die Macht. Ihr blieb ein Monat, be- Die Ergebnisse der Steuerverwaltungsre- vor die Gläubiger den Geldhahn abzudre- form seien jedoch immer noch «durch- hen drohten. wachsen». Die neue einheitliche Immo- biliensteuer habe zwei bisherige Steuern ersetzt. Laut Troika sei es der Steuerver- waltung gelungen, «über die vergange- nen 6 Monate einen beispiellosen Betrag an Grundsteuern (im Gesamtumfang von 1 Prozent des BIP) pünktlich einzu- ziehen». Trotz überarbeiteter Vorschrif- ten zur Abschreibung von Schulden habe sich der Schuldenbestand jedoch weiter 11 Europäische Kommission: Das zweite wirtschaftliche An- erhöht. Was sich hinter diesen techni- passungsprogramm für Griechenland – Dritte Überprüfung, schen Formulierungen verbirgt: Die neue Brüssel, Juli 2013, Übersetzung durch den Sprachendienst des Bundesministeriums für Finanzen. 12 Europäische Kom- Immobiliensteuer ENFIA war eine Mas- mission: Das zweite wirtschaftliche Anpassungsprogramm für sensteuer, die von der griechischen Be- Griechenland – Vierte Überprüfung, Brüssel, April 2014, Über- setzung durch den Sprachendienst des Bundesministeriums völkerung angesichts der vielen vorher- für Finanzen.
VOM BÜNDNIS LINKER SPLITTERGRUPPEN ZUR 15 REGIERUNGSPARTEI – SYRIZAS STEUERPOLITISCHE FORDERUNGEN VOR DER REGIERUNGSÜBERNAHME Syriza war 2004 als Wahlbündnis linker tik der Memoranden, die Syriza annullie- Parteien gegründet worden und in den ren und durch einen nationalen Plan zum Folgejahren mit Wahlergebnissen zwi- Wiederaufbau ersetzen wollte. Syriza schen 3 und 5 Prozent ins griechische bekannte sich darin zu einer Zukunft in- Parlament eingezogen. Die Schuldenkri- nerhalb des Euros. Gleichzeitig erkannte se und die danach exekutierte Austeri- das Programm an, dass das Land haus- tätspolitik ließen die bis dahin dominie- gemachte Probleme speziell mit Korrup- renden Systemparteien Pasok und Neo tion und einer ineffizienten Verwaltung Demokratia abstürzen und Syriza wur- habe. Mit dem Regierungsprogramm de die dominante Kraft im linken Spekt- kündigte der Vorsitzende Alexis Tsipras rum. Syriza war zum zentralen Sammel- auch einen radikalen Umbau des Steu- becken von Wähler*innen geworden, die ersystems an und dass er die notwendi- ihre Ablehnung der Memorandumspo- gen haushaltspolitischen Anpassungen litik ausdrücken wollten und enttäuscht mithilfe der Besteuerung von Vermögen oder erbost über die Politik der beiden und hohen Einkommen erreichen wol- Regierungsparteien waren. Bei der Parla- le. Die dazu erforderlichen Maßnahmen, mentswahl im Mai 2012 erhielt Syriza mit unter anderem die Schaffung eines um- 16,8 Prozent das zweitbeste Ergebnis, ein fassenden Vermögensregisters und die gewaltiger Sprung nach nur 4,6 Prozent Abschaffung von Steuerprivilegien, wur- bei der Wahl 2009. Als nun die Bildung den im Wirtschaftsprogramm der Partei einer Regierung scheiterte, was gemäß erläutert.13 griechischem Recht sofortige Neuwah- Das von Giannis Dragasakis vorgestellte len zur Folge hatte, wandelte sich Syri- Wirtschaftsprogramm sah vor, bis zum za zur Partei um, um in Anbetracht eines Ende der Krise ausschließlich das «pri- greifbaren Wahlsiegs in den Genuss des märe reguläre Haushaltsdefizit» zu besei- vom griechischen Wahlrecht vorgese- tigen, das heißt, zwar einen ausgegliche- henen 50-Sitze-Bonus kommen zu kön- nen Haushalt anzustreben, dabei aber nen, der allein für die stärkste Partei, aber Zinszahlungen und öffentliche Investiti- nicht für ein Wahlbündnis vorgesehen onen herauszurechnen. Das hätte Grie- war. Die Verschmelzung der einzelnen chenland gegenüber den Vorgaben der Gruppierungen zu einer Partei machte Gläubiger zusätzliche Spielräume von eine Positionsbestimmung notwendig mehreren Prozent des BIP für Investitio- und etablierte eine klare Führungsstruk- nen verschafft und zusätzliche Ausgaben tur. Gleichwohl blieb Syriza zunächst eine möglich gemacht, denn 2011 war das sehr heterogene Organisation. von Syriza so definierte Defizit schon fast ausgeglichen gewesen. Damit hätte ei- Das Regierungsprogramm von 2012 ne Regierung ein Zeitfenster bekommen, Das Syriza-Regierungsprogramm vom 1. Juni 2012 war eine klare Kampfansage 13 The Economic Program of Syriza-USF, Präsentation von Giannis Dragasakis, 11.6.2012, unter: www.syn.gr/downloads/ an die von ND und Pasok exekutierte Poli- syriza_usf_program_201206.pdf.
16 um grundlegende Reformen wirken zu dato dürfte das die umfassendste steu- lassen und den Staatshaushalt erst auf erpolitische Positionierung von Syriza ge- mittlere Sicht zu konsolidieren. wesen sein. Es sollte jedoch keine end- Das Wirtschaftsprogramm sah ferner ei- gültigen Positionen markieren, sondern ne Stabilisierung der Staatsausgaben bei ein Diskussionspapier sein. ungefähr 44 Prozent des griechischen Laut dem Konzept gehören Steuerge- Bruttoinlandsprodukts vor, ergänzt durch rechtigkeit, die Umverteilung von Reich- die schrittweise Erhöhung der Staatsein- tum nach unten und hohe Einnahmen nahmen innerhalb von vier Jahren von untrennbar zusammen. Einnahmen 41 auf 45 Prozent des BIP, also auf den sollten insbesondere aus der Bekämp- EU-Durchschnitt. Dazu sollten die Ein- fung von Steuerhinterziehung und -um- nahmen aus direkten Steuern über die gehung sowie aus der Verlagerung der Besteuerung von Vermögen und hohen Steuerlast von niedrigen und mittleren Einkommen deutlich erhöht werden, auf Einkommensschichten auf hohe Ein- der anderen Seite aber die Mehrwert- kommensschichten und Großvermögen steuer gesenkt und für Grundgüter wie erzielt werden. Im Gegensatz dazu setze Lebensmittel so weit wie möglich redu- die Memorandumspolitik auf die rück- ziert werden. Auf Prestigekonsum wie wirkende Besteuerung von Armut und Freizeitboote, Flugzeuge, Hubschrauber, niedrigen Einkommen, was die Zahlung Swimmingpools und teure Autos sollten von Steuern delegitimiere. Unter der Luxussteuern erhoben werden. «grausamen Steuerpolitik» drohten die Mit einem beachtlichen Stimmenzu- Bürger*innen durch Steuern «erstickt» zu wachs von zehn Prozentpunkten auf werden. Um sie zu entlasten, schlug die 26,9 Prozent wurde Syriza im Juni 2012 Syriza-Fachgruppe die sofortige steuerli- erneut zweitstärkste Partei, nur drei Pro- che Entlastung der Hauptwohnung vor, zentpunkte hinter der von Merkel und der speziell für Arbeitslose und Personen, die Troika unterstützten Neo Demokratia. Bis unter der Armutsgrenze leben. Durch ei- zur nächsten Wahl hatte Syriza danach ne einkommensabhängige Obergrenze Zeit, sich auf eine Machtübernahme vor- für die Abzahlung von Steuerschulden zubereiten. sollten niedrige und mittlere Einkommen vor Steuerschulden geschützt werden. Das Steuerkonzept von 2013 Dreh- und Angelpunkt der Reformagen- Eine parteiinterne Arbeitsgruppe trieb da sollte ein Vermögensregister sein, das die Ausarbeitung der steuerpolitischen alle beweglichen und unbeweglichen Positionen von Syriza voran und stellte Vermögensgegenstände griechischer im März 2013 im Vorfeld des ersten ge- Staatsbürger*innen im In- und Ausland meinsamen Parteikongresses ein 23-sei- erfasst. Dazu gehören Immobilien und tiges Papier vor («Für ein gerechtes und Grundstücke, Bankkonten, Finanzpro- effizientes Steuersystem»14). Es enthielt dukte, Unternehmensbeteiligungen, Ver- einen steuerpolitischen Rundumschlag, sicherungen und Vorsorgeprogramme, von den Grundzügen des Steuersystems Kraftfahrzeuge, Boote, Privatflugzeuge über einzelne Steuerarten bis hin zur Be- kämpfung von Steuerhinterziehung und 14 www.cornelia-ernst.de/wp-content/uploads/2015/01/SY- RIZA-Vorschlag-f%C3%BCr-ein-gerechtes-und-effizientes- zur Reform der Steuerverwaltung. Bis Steuersystem.pdf.
und Kunstwerke. Jeder Steuerpflichtige unter anderem erhöhte Steuersätze für 17 hätte eine Vermögenserklärung machen Großunternehmen und Banken einge- müssen, die von einem Sonderdienst führt und steuerliche Begünstigungen kontrolliert worden wäre. Bei Verstößen abgeschafft werden. Angerissen, aber wurden harte Strafen, bis zur Beschlag- nicht im Detail ausgeführt wurden zu- nahme, angedroht. Steuererklärun- dem Maßnahmen gegen Steuervermei- gen von Parlamentsabgeordneten, Re- dung durch grenzüberschreitend tätige gierungsmitgliedern, Journalist*innen Unternehmen und gegen Unternehmen mit besonders hohen Einkünften und mit Niederlassungen in Steueroasen. Medieneigentümer*innen sollten auf der Hinzu kam die Einführung einer Finanz- Webseite des Dezernats für Wirtschafts- transaktionssteuer, einer Fernsehwerbe- kriminalität veröffentlicht werden. steuer, eine höhere Besteuerung der Be- Das Vermögensregister wäre Vorausset- treiberunternehmen von Einkaufs- und zung für die Erhebung einer Vermögen- Vergnügungszentren und von Flughäfen, steuer («Großvermögensteuer»). Dabei Brücken, Tunneln und Straßen. sollte eine Freigrenze von 300.000 Eu- Um die regressive Belastung durch indi- ro pro Person kleine und mittlere Ver- rekte Steuern zu senken, sollte die Mehr- mögen schonen, die Steuer sollte einen wertsteuer gesenkt und Grundnahrungs- progressiven Tarifverlauf besitzen und mittel, die Gastronomie, Kindernahrung, die Einnahmen sollten mindestens dem Bedarfsartikel für Behinderte, Produkte EU-Durchschnitt an vermögensbezoge- aus dem Kultur- und Wissensbereich so- nen Steuern entsprechen. Darüber hin- wie erneuerbare Energiequellen einem aus sah das Steuerkonzept nicht näher ermäßigten Satz unterworfen werden. spezifizierte Steuern auf Grunderwerb, Zudem sollte es Luxussteuern geben, Erbschaften und Schenkungen vor, die insbesondere auf Prestigekonsum wie mit einem progressiven Tarifverlauf aus- Freizeitboote, Flugzeuge, Hubschrauber, gestaltet und auf sehr große Vermögen Swimmingpools und teure Autos. ausgerichtet werden sollten. Steuerbefreiungen, Steueranreize und Bestandteil des Programms war auch ei- steuerliche Privilegien (für die Kirche, ne Generalüberholung des Einkommen- Parlamentarier*innen, Reeder usw.) soll- steuersystems. Anstelle der bisherigen ten ausnahmslos überprüft werden. Auf Sonderregelungen sollten grundsätzlich der anderen Seite sollte die Steuerpo- alle Einnahmen demselben Steuertarif litik aber auch Anreize schaffen für die unterworfen werden. Mithilfe neuer Stu- Entwicklung benachteiligter Regionen, fen sollte die Progression des Steuerta- Beschäftigungswachstum, nachhalti- rifs deutlich gestärkt werden. Einkom- ge Entwicklung, Sozialwirtschaft und men bis 12.000 Euro sollte steuerfrei genossenschaftliche Wirtschaft, Wirt- bleiben, für das erste und das zweite Kind schaftsaktivitäten und -zweige, die mit sollte eine Freigrenze von 2.000 Euro, für der griechischen Kultur, Tradition und jedes weitere von 3.000 Euro gelten. kulturellen Identität verbunden sind. Im Bereich der Unternehmensbesteu- Das Programm sah ferner eine Beteili- erung sollten die Steuereinnahmen auf gung an internationalen Initiativen gegen das durchschnittliche europäische Ni- Steuerhinterziehung vor. Das Endziel sei, veau angehoben werden. Dazu sollten Offshore-Firmen auf dem europäischen
18 Kontinent zu verbieten, die Gewinnver- besonderen Qualifikationen in Bezug auf schiebung in Steueroasen zu bekämpfen Großunternehmen und internationale und nicht erklärte Einkommen in Steu- Steuerhinterziehung rekrutiert werden. eroasen offenzulegen. Zur Bekämpfung Die Zusammenlegung von Dienststel- der Steuerhinterziehung sollte ein elek- len der Finanzverwaltung sollte rückgän- tronisches Register angelegt werden, gig gemacht werden. Das Dezernat für das einen genauen Überblick über ein- Wirtschaftskriminalität sollte zwar wei- zelne Prüfschritte und die verantwortli- ter dem Finanzministerium unterstellt chen Steuerprüfer*innen geben sollte. bleiben, durch ein parteiübergreifendes Die Finanzämter sollten nach leistungs- Kontrollorgan aber von politischer Ein- orientierten Prinzipien geführt und von flussnahme abgeschirmt werden und politischen Interventionen abgeschirmt schlagkräftiger werden. Schließlich soll- werden. Insbesondere die Parteizugehö- te der Schwarzhandel mit Treibstoff, Ta- rigkeit sollte keinen Einfluss mehr auf die bak und Alkohol bekämpft werden. In Karrierechancen haben. Zur Verbesse- Bezug auf den Treibstoffschmuggel soll- rung der Steuerprüfung wurden diverse ten Mittel wie Transportkontrollen, GPS- Maßnahmen angekündigt. Bei der Steu- Ortungen und der Rückgriff auf eine erverwaltung prangerte das Programm elektronische Heizölkontrolldatenbank die gängige Praxis an, Leiter*innen zen- genutzt werden, die sich in anderen Staa- traler Behörden sofort nach der Wahl zu- ten bewährt hätten. gunsten parteilicher und persönlicher In- Alles in allem stellte das Steuerkonzept teressen neu zu besetzen, beklagt wurde damit ein dezidiert linkes Programm dar, auch die mangelnde Computerausstat- das zugleich von einer ernsthaften Aus- tung und die vielen unbesetzten Plan- einandersetzung mit realen Problemen stellen in der Steuerverwaltung und im zeugte. Teils enthielt es relativ konkrete Dezernat für Wirtschaftskriminalität. Der Vorschläge, teils blieben offene Punkte. unüberschaubare steuerrechtliche Rah- Über manche Widersprüche ging das men sei «einzig und allein mit dem Wort Programm stillschweigend hinweg – et- Chaos zu beschreiben», zudem seien die wa über die Tatsache, dass Steuerge- Verfahren zu bürokratisch. Die Steuer- setze nicht einfach und gerecht zugleich verwaltung sollte durch elektronische sein können –, nach einer entsprechen- Verfahren, den Versand vorausgefüllter den Balance wurde gesucht. Auch mit Steuererklärungen und die Einführung Versprechen wie jenem, sämtliche Steu- einer Identifikationsnummer bürger- ersonderregelungen auf den Prüfstand freundlicher werden. stellen zu wollen, zugleich aber Steuer- Die Finanzämter und Zollbehörden soll- anreize zur Erreichung wirtschafts- und ten kurzfristig durch die sofortige Ein- gesellschaftspolitischer Ziele setzen zu stellung von 600 Hochschul- und 300 wollen, wurden Konflikte von großer Fachhochschulabsolvent*innen und die Sprengkraft zunächst umschifft. Ein Di- Versetzung von 2.000 Bediensteten an- lemma waren die vielen notwendigen derer öffentlicher Dienste, die einen Aus- und sofort wirksamen Entlastungsmaß- wahltest durchlaufen müssten, gestärkt nahmen angesichts der humanitären Kri- werden. Bis zum Jahr 2018 sollten 8.000 se, während die einnahmesteigernden Mitarbeiter*innen und Prüfer*innen mit Maßnahmen eher mittel- und langfristig
wirksam werden würden. Für eine Par- Sofortprogramm zur Bewältigung der 19 tei, die radikale Veränderungen anstoßen humanitären Krise an und enthielt eine will, ist es aber sinnvoll, das Wünschbare Reihe von Maßnahmen, welche die neu- zu beschreiben, wohl wissend, dass im en Ausgaben finanzieren und zu einem Fall einer Regierungsübernahme nicht al- ausgeglichenen Haushalt führen sollten. le Vorschläge sofort und eins zu eins ver- Der dahinterliegende, aus Sicht von Tsi- wirklichbar sein werden. pras «nicht verhandelbare», «nationale Plan für den Wiederaufbau» umfasste Das Thessaloniki-Programm und vier strategische Säulen: neben einem der Varoufakis-Plan von 2014 Programm zur Bewältigung der huma- Die nach der gescheiterten Präsidenten- nitären Krise sofortige Maßnahmen zur wahl angesetzten Neuwahlen im Januar Wiederbelebung der Wirtschaft, einen 2015 machten Syriza mit einem Stim- nationalen Plan zur Schaffung von Ar- menzuwachs auf 36,3 Prozent zur mit beitsplätzen und die «institutionelle und Abstand stärksten Partei. Aufgrund des demokratische Umgestaltung des politi- 50-Sitze-Bonus verpasste Syriza die ab- schen Systems».15 solute Mehrheit nur knapp und ging ei- Als steuerliche Maßnahmen waren in der ne Koalition mit der rechts-konservativen ersten Säule des Thessaloniki-Programms Partei ANEL ein, die kulturell mit Syriza die Rücknahme der steuerlichen Gleich- wenig gemein hatte, aber ebenfalls einen stellung von Heizöl und Treibstoff enthal- klaren Anti-Austeritätskurs verfolgt hat- ten, welche die Heizkosten der Haushalte te. Bezeichnenderweise hatte die ND-Re- stark erhöht hatte.16 Die zweite Säule sah gierung vor der Wahl noch erreicht, dass Sonderausschüsse zur Abwicklung von das auslaufende zweite Finanzhilfepro- Steuerschulden vor. Ausstehende Steuer- gramm lediglich bis Ende Februar 2015 schulden sollten in 84 monatlichen Raten verlängert worden war, obwohl offen- abbezahlt werden, wobei der Jahresbe- sichtlich war, dass Griechenland keinen trag der Raten auf 20 Prozent des Einkom- Marktzugang haben würde. Ohne einen mens gedeckelt werden sollte. Ferner Kompromiss mit den Gläubigern hätte sollte die unter Samaras eingeführte Im- die Europäische Zentralbank (EZB) den mobiliensteuer ENFIA abgeschafft und griechischen Banken zum 1. März wahr- durch eine «sozial gerechte Großgrund- scheinlich den Geldhahn abgedreht. steuer» ersetzt werden. Die Einkommen- Syriza stand damit vom ersten Tag der steuer sollte stärker progressiv ausgestal- Übernahme mit dem Rücken zur Wand. tet und mit einem Steuerfreibetrag von Im Rahmen der internationalen Handels- 12.000 Euro versehen werden. messe in Thessaloniki, die traditionell ei- Die Abschaffung der ENFIA (Kosten von ne Ansprache des griechischen Minister- 2 Mrd. Euro), der Steuerfreibetrag von präsidenten über die Leitlinien der Politik 12.000 Euro (Kosten von 1,5 Mrd. Euro) enthält, hatte Alexis Tsipras im Septem- und das Programm zur Bewältigung der ber 2014 ein Alternativprogramm prä- sentiert, das gemeinhin als Blaupause 15 Non-Paper zur Rede von Tsipras im Vellidio-Kongresszen- trum, 14.9.2014. 16 Laut Niels Kadritzke hatte die drastische für die zukünftige Regierungspolitik galt. Erhöhung der Heizölsteuer die Kosten für eine warme Un- Das Programm setzte auf einen Bruch terkunft im Winter von 3.000 Euro auf 4.000 bis 4.500 Euro steigen lassen; vgl. Berger, J.: Trüber Herbst in Griechenland, mit der Austeritätspolitik, kündigte ein 26.9.2012, unter: www.nachdenkseiten.de/?p=14544.
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